Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.05.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-05-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950504025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895050402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895050402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-05
- Tag1895-05-04
- Monat1895-05
- Jahr1895
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BeMSS-Prstt der Hauptexpedition oder den im StadV bezirk und den Bororten errichteten Au»- - gadestellrn abgeholt: viertrljührllch^l4.bO, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» ü.50. Durch die Post bezogen für Deutschland and Oesterreich: viertel,ährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandsendung in» Ausland: monatlich ?.bO. Die Morgen-AuSgabe erscheint täglich mit Aus nahme nach Sonn- und Festtagen '/,? Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags b Uhr. Redaktion und Expedition: Johannesgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr. Filialen: Mead-AnsgaVe. WpMtrTagMatt Anzeiger. SkkzergeitHKKß die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg» Reklamen unter d«nRedqcttonSsrrich (4g»> spalten) LO^, vor den Familiennackrichtea (6 gespalten) 40^. tSroßere Schriften laut unserem Preit« verzetchniß. Tabellarischer und Ziffernjatz nach höherem Tarif. Extra »Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe. ohne Postbesörderung >e 60.—, mit Postbesörderung ^4 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: (nur Wochentags) Abend-AuSgabe: Bormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition Universitätsstratzr 1, Loni» Lösche. WeeGarknenstr. 14, Part, und Königiplatz 7. Lrgan fiir Politik, Localgeschichte, Handels- «nd Geschiistsverkthr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. ^221. Torrna-en- den 4. Mai 1895. 89. Jahrgang. Consrrvativen eine Rückzugsbrücke in daS Lager der Gegner der klerikalisirten Umsturzvorlage zu bauen, indem sie einer Zuschrift Raum gab, die die ganze Schuld für das Scheitern des Gesetzes auf die Regierung abwälzte und schließlich die Hoffnung auS- sprach, daß wenigsten» einzelne Theile der Vorlage als brauch bar sich erweisen würden. Diese Zuschrift gleicht in ihrer Tendenz dem Beschlüsse der Fraction, und e» ist nickt unmög lich, daß zwischen ihm und dem Echo auS Bayern ein innerer Zusammenhang besteht. So ist es denn wirklich so weit ge kommen, daß daS Centrum noch als einzige Säule de» Com- promisseS dasteht: „auch diese, schon geborsten, kann stürzen über Nacht." Wenigstens ist in den klerikalen Kreisen de» Westens die Stimmung gegenüber der Vorlage äußerst kühl. In Bayern freilich hat dieser Tage noch eine Centrumsversamm lung unter Führung der erklärten Häupter in der Abgeordneten kammer die Umsturzvorlage für eine unbedingte Notywendigkeit erklärt und insbesondere darauf hingewiesen, daß den Lehrern an den höheren Schulen das Handwerk gelegt werden müsse, „die den Glauben an einen persönlichen Gott leugnen, die Unsterblichkeit der Seele und die Vergeltung im Jenseits in Abrede stellen". Hoffentlich Unterlasten Eiferer diese» Schlage« nicht, im Reichstage ihre Stimme zu erheben und klar und deutlich zu erklären, was die Centrumspartei mit den Com missionsbeschlüssen in Wirklichkeit erstrebt. Ob jetzt Wohl noch, wie die Dinge liegen, die „Nordd. Allg. Ztg." den guten Willen und die positive Mitarbeit des CentrumS in der Com mission rühmen würde? Die Aufsehen machenden Erklärungen des ungarischen Ministerpräsidenten Baron Banffy gegen den päpst lichen Nuntius Agliardi haben durch das telegraphisch mit- gctbeilte Communigus der „Polit. Corresp." ein noch weit größeres Aussehen erregendes DeSaveu des Minister» de» Aeußeren, Grafen Kalnocky erfahren, während man nach den Mittheilungen Banffy's annebmen mußte, daß er mit jenem im vollsten Einvernehmen stehe und auf Grund einer bis auf den Wortlaut der Erklärung genauen Verabredung mit dem Minister de» Auswärtigen gebandelt habe. Zur Entstehung de- beispiellosen Cvnflictes verlautet der „Voss. Ztg." zufolge: Banffy richtete ein Schreiben an Kalnoky gegen das Auftreten Ägliardi'S in Ungarn und er suchte um ein Einschreiten bei der Curie. Kalnoky anschortetr in einem Briefe, der den Vermerk „vertraulich" trug und worin er die Auffassung Banffy's theilte, das Auftreten Ägliardi'S taktlos nannte, sich jedoch erst die nöthigen Beweismittel erbat, um sie bei der Curie vorzulegen. Daraufhin glaubte Banffy die Anfrage wegen Ägliardi'S ohne Weiteres in der bekannten Weise beantworten zu können. Entspricht diese Mittheilung den Tbatsachen, so läge allerdings auf Seiten Banffy's eine Taktlosigkeit vor, welche den ihm schon längst nackgesagten Mangel an diplomatischem Geschick bestätigte und sein Ver bleiben auf dem Posten deS Ministerpräsidenten unmöglich machte. Doch muß man daS Eintreffen authentischer Meldungen, die nicht lange auf sich warten lassen werden, abwarten In Wien ist die Stimmung sehr rasch gegen Banffy um> geschlagen. Man behauptet besonders, daß die Form seines Auftretens gegen allen diplomatischen Gebrauch ver stoße und Kalnoky weder zustimmen konnte noch zugestimmt bade. Eine Uebereinstimmung herrschte zwischen Beiden wohl darüber, daß Agliardi durch sein Benehmen in Ungarn der dortigen Regierung berechtigten Anlaß zur Beschwerde gegeben habe. Kalnoky sei aber, wie dem Auswärtigen Amte nahestehende Kreise behaupten» weit davon entfernt gewesen, Banffy die Berechtigung rnzugestehen, in offener Reichstagssitzung den Vertreter des Papstes abzukanzeln und gegen den Vatikan förmliche Drohungen auszustoßen. In Zoskreisen wird auch Übel genommen, daß Banffy, der Kalvinist ist, die Beziehungen des Kaiserhauses zum Papste anz außer Acht ließ. Der Ausbruch einer ungarischen "inisterkrise gjlt als unzweifelhaft. Wir geben im Folgenden die zu der plötzlich so peinlich veränderten Lage vorliegenden Meldungen: * Wien, 3. Mai. Da» „Fremdenblatt" bespricht die Meldung der „Pol. Corrrspondenz'^über die Antwort des ungarischen Ministerpräsidenten v. Banffy und die Interpellation im ungarischen Abgrordnetenhause, betreffend die Reise des Nuntius Agliardi n Ungarn, und meint, manche Puncte seien noch nicht auf geklärt. Ein objektives Bild von der Sache sei daher noch nicht zu gewinnen, immerhin stehe Folgendes fest: Im Ministerium de» Auswärtigen war bereits dir Bereit willigkeit zu einer eventuellen Aktion bei der römischen Curie vorhanden. Die Action war als eine ver trauliche gedacht. Dir Interpellation und die Antwort Banffy's im Abgrordnetenhause aber brachten die Sache in die laute Oeffentlich- keit und schafften dem Batican gegenüber eine schwierige Lage. Die Behandlung der zweifellos wichtigen Angelegenheit ist wesentlich erschwert, ja theilwrise compromitttrt, wa» sicherlich eine bedauerliche Thatsache ist. * Wien, 3. Mai. (Von einem Privatcorrespondenten.) In hiesigen parlamentarischen Kreisen hält man infolge der Vorgänge in Pest eine Krise sür unvermeidlich und glaubt, daß von der selben auch der Minister des Auswärtigen, Gras Kalnoky, be rührt werden könnte. * Wien, 4. Mai. (Tel ) In Uebereinstimmung mit dem „Pestrr Lloyd" behaupten auch die Bester Berichte der „N. Fr. Pr.", Graf Kalnoky habe nach dem Bekanntwerden der Antwort Banffy'» aus die Interpellation seine Abdankung angeboten; eine anderweitige Bestätigung hierfür liege jedoch bi- jetzt nicht vor * Pest, 3. Mai. Der Ministerpräsident Baron Banffy reist heute nach Wien. Parlamentarische Kreise bringen diese Reise mit der Situation in Verbindung, welche durch Beräffentlichung der Mtttheilung in der „Pol. Correspondenz" geschaffen ist. * Pest, 4. Mai. (Telegramm.) Nach den Berichten hiesiger Blätter erfolgte die gestrige Abreise des Ministerpräsidenten v. Banffy nach Wien nach kurzer Berathung mit einigen Minister- collegen und Mitgliedern der liberalen Partei au» eigenem Antriebe, sung, um die durch dir Mittheib nicht auf Bern die durch dir Mittheilung der „Pol. Corresp." ungarischen Mtntsterium« s»l unvern Banfsy nicht Genugthuung erhalte. Auffallend ist der der Angelegenheit nicht nur» daß das klerikale Wiener „Vaterland" bereits gestern Morgen einen mit den Inhalt des Kalnoky'schen DesaveuS in der „Pol. Corr." übereinstimmenden Artikel bringen konnte, sondern auch der Umstand, daß bereits vorgestern Gra Khuen-Hedervary in Wien angelangt war. Man legt daS so aus, daß Khuen nach Wien berufen sei, um Bauffy, den man dort als gefallen ansieht, zu ersetzen. Mit dieser Nachricht lebt wieder eine ganze Reihe von Vermuthungen auf. Zum dritten Male steht Khuen im Vordergründe mit seinem Plane einer halbconservativen Regierung und der Vereinigung aller den Ausgleich von 1867 anerkennenden Parteien. Seit Beginn des kirchenpolitischen Streites bot die ungarische Politik kein Bild solcher Zerfahrenheit wie augenblicklich. Heute lassen die Nachrichten über den Stand der ost asiatischen Frage sich weit friedlicher an, als es noch gestern der Fall war. Allerdings melden, wie wir durch den Telegrap) erfahren, auch die „Times" aus Shanghai, daß der Kaiser von China gestern den Friedrnsvertrag ratificirt habe und daß Li-Hung-Tschang nach Chefoo abgereist ist, um die Ratifikationsurkunden auszutauschen, und nicht blos dem Reuter'schen Bureau", sondern auch der Eastern Exchange Bank in London wird durch directe Privatmeldungen die Genehmigung der Ratification chinesischerseits bestätigt, Nachrichten, aus denen man schließen konnte, daß Japan nunmehr, da es auf die Einwilligung de« Nächstbetheiligten hinzuweisen in der i»ge ist, erst recht auf seinem Scheine bestehen und die Ab- chwächungsversuche der Mächte mit noch größerem Nachdruck urückweisen werde. Andererseits scheint aber doch, obwohl in den diplomatischen Kreisen, namentlich Deutschlands, strictes Stillschweigen über den Stand der Sacke beobachtet wird, o viel festzustehen, daß zwischen der Regierung und den Vertretern der intervenirenden Mächte in Tokio thatsäcklich Verhandlungen eingeleitet sind, wenn auch die vfficielle Be antwortung ihres Einspruches, wie sie durch daS „Reuter'sche Bureau" ,n Aussicht gestellt worden war, den Mächten bisher noch nicht angekündlgt worden ist. Allgemein wird angenommen, daß der Empfang des japanischen Gesandten und des chinesischen Geschäftsträgers bei dem Staatssecretair Freiherr» v. Marschall die Präcisirung der in den officiellen Kreisen Tokios und Pekings herrschenden Anschauungen zum Gegenstand gehabt hat, daß ähnliche Schritte der Vertreter Japans und Chinas bei den übrigen in Ostasien interessirten Regierungen stattgesunden haben, und daß die unmittelbar sich anschließende Ratificirung des Vertrages von Shimonoseki nicht über den Kopf der europäischen Diplomatie hinweg erfolgen dürfte. Wie die Wiener „Pol. Corr." aus Petersburg erfährt, seien dort Nachrichten eingetrosfen, die, wenn auch positive Mittheilungen noch nicht vorliegen, zu der Hoffnung berechtigten, daß Japan den Vorstellungen der drei Mächte Rechnung tragen werde, und aus London berichtet man der „Nowoje Wremja", der amerikanische Ge sandte in Tokio habe der japanischen Regierung Rathschläge ertheilt, welche sowohl des Beifalls dieser, wie der englischen Regierung gewiß seien. Diese Rückschläge gehen dahin, Ruß land solle sich selbstständig mit äapan in der Korea-Frage einigen; zur Entscheidung Uber die Angelegenheit der Halb insel Liao-tung beantragt Nordamerika eine Conserenz aller derjenigen Mächte, die an dem japanisch-chinesischen Friedens vertrage ioteressirt sind. Wir geben alle diese Nachrichten ohne die Gewähr ihrer Richtigkeit. Jede neue Meldung kann die Lage in ihr Gegentheil verändern. Immerhin spricht die innere Wahrscheinlichkeit für die ein Entgegenkommen Japan- signalistrenden Meldungen. Deutsches Reich. Berlin, 3. Mai. Dem Vernehmen nach hat die Reichsjustizverwaltung ihre Absicht dahin zu erkennen ge geben, daß, falls die Iustiznovelle in dieser Frühjahrs- tagung unerledigt bleibt, dem Reichstag im Herbst dieselbe Novelle wieder vorgelegt werden soll. Damit bleibt wenigstens die sichere Aussicht gegeben, Laß die Frage der Entschädigung unschuldig Verurtheilter in Verbindung mit der Frage des Wiederaufnahmeverfahrens, bezw. der Berufung in Straf sachen so, wie jetzt vorgeschlagen war, ihre Lösung finden kann, und bekanntlich entspricht eine Lösung in diesem Zu sammenhang der Materien dem Wunsche weiter Kreise. Dann scheint aber auch das Bedürfniß einer Vertagung der Session auf ein Minimum zusammenzuschrumpfen. — Wie in colonial politischen Kreisen verlautet, soll dem Reichstag noch ein zweiter Nachtrags-Etat zugeben, der eine außerordent liche Beihilfe des Reiches für die von der Heuschreckenplage in Nothstand gerathenen Districte Ostafrikas zu erwirken suchen wird. n Berlin, 3. Mai. Mit dem Schluß der ersten Juli- Woche des laufenden Jahres wird, abgesehen von dem Jns- Politische Tagesschau. * Leipzig, 4. Mai. Der Reichstag hat gestern den Nachtragsetat, der 1 700 000 ^ für die Eröffnuna»seier am Nordostseecanal fordert, in erster und zweiter Lesung genehmigt. Nur die Socialdemokraten nahmen «ine ablehnende Haltung ein, obgleich am Baue des Nordostseecanals Tausenve von Ar beitern jahrelang ein sicheres und auskömmliches Brod ge funden haben und es jetzt am Bau anderer Canäle (Mittel landcanal re.) finden sollen. Die conservative Partei stimmte für die Forderung, unterließ eS aber leider, gegen die Behauptung des Tagesorgans des Bundes der Landwirthe zu protestiren, daß ein „großer Theil der Conservativen" angesichts der drückenden Nock der Land- wirtkschast schwere Bedenken gegen eine so beträchtliche Aus gabe für eine internationale Feier hege und nur deshalb die Forderung bewilligen werde, weil die Einladungen an die sremden Mächte schon ergangen seien und diesen gegenüber die Regierung doch nicht bloßgestellt werden könne. Unseres Erachtens kann schon diese, von couservativer Seite nicht zurückgewiesene Berufung auf einen „großen Theil" dieser Partei in erheblichem Maße dazu beitragen, wenn auch nicht die Regierung, so desto mehr die deutsche Nation selbst gegen über fremden Nationen bloßzusteUen. Deutschland ist doch weit davon entfernt, für hohle Demonstrationen n. la Kron stadt Millionen ins Wasser zu werfen, es erfüllt vielmehr im vorliegenden Falle eine Cultur- und Friedensaufgabe, indem es die Vertreter a»s aller Welt zur Eröffnung eines neuen bedeutsamen Verkehrsweges festlich um sich versammelt. So viel Würde konnten alle nationalen Parteien sich bewahren, daß sie bier das Widersprechen und auch das Nörgeln allein den Soeialdemokraten überließen. Am aller wenigsten erscheint aber das genannte Tagesorgan berufen, an die Pflichten einer sparsamen Wirthschaft im Reiche zu mahnen. In diesem Falle ist es doch statthaft, auf den officiellen stenographischen Bericht der letzten General versammlung des Bundes der Landwirthe zurückzugreifen und daran zu erinnern, daß die Ausgaben des Bundes — Aus gaben lediglich zum Zwecke einer bis jetzt erfolglosen Agitation — für das Jahr 1894 sich auf rund eine halbe Million bezifferten. Wenn dazu die Mittel noch verbanden waren, so wird auch das ganze deutsche Reich noch eine Million und siebenbunderttausend Mark erschwingen, um ein er folgreich betriebenes Werk von größter Bedeutung würdig zum Abschluß zu bringen. Dem Entschlüsse der conservativen Reichstags- fraction, die Coinniissioiisbeschlüsse zur Umsturzvorlage» die doch nur ibrer Beihilfe die Existenz verdanken, abzulehnen und auf den NegierungSentwurf zurückzugrcifen, ist eine sehr lebhafte Auseinandersetzung zwischen den Conservativen dies seits und jenseits des Mains vorausgegangen. Bekanntlich batte schon vor Wochen die conservative Partei i» Bayern Front gegen die Umsturzvorlage in einer öffentlichen Kund gebung gemacht. Als nun unlängst die „Cons. Corr." die Conservativen im Lande warnte, sich nur ja nicht der „liberal- demokratischen Agitation" anzuschlicßen, fühlte sich die „Südd. Landpost", daS Organ der bayerischen Conservativen, getroffen und erwiderte gereizt: Wenn die Parteileitung in Berlin beabsichtige, den Faden, der die süddeutschen Conservativen mit den norddeutschen verbinde, abzuschneidcn, so seien solche „hoben Erlasse" vollständig geeignet dazu. Der Artikel der „Cons. Corr.", des officiellen Parteiorgans, beweise eine solche Unkenntniß der einschlägigen Verhältnisse, wie man sie leider auch bei anderen Gelegenheiten und anderen Personen im Norden ab und zu finde. Daraus suchte die „Kreuzztg." den Feuilleton. Vas Geheimniß von Szambo. 10) Novelle von B. Milär Gersdorff. Nachdruck vkrbotcn- (Schluß.) Da ist eines Tages, als Igor gerade wieder ab wesend, eine Zigeunerin in Szambo aufgetaucht — Mira'S Mutter, die einstmals viel gepriesene Schönheit. Und Vas ist so zugegangen: Wohl hat sie vor langen Jahren die Nachricht bekvmmen, daß ihre Tochter ist gestorben im Kloster, aber sie bat nie daran glauben wollen, denn die Karten haben ihr prophezeit ganz deutlich das Wiedersehen mit ihrem Kinde. Als dann endlich die Kunde zu ihr ge drungen ist von der jungen, schönen GutSherrin auf Szambo, die auch Mira geheißen hat und über deren Herkunft cs gelegen wie ein dunkler Schleier, da bat sie eS nicht mehr auSgelialten in dem stillen Waldwinkel, wo sie so lange gehaust, sondern ist gepilgert nach Szambo, weil sie fest über zeugt gewesen, in Mira von RadovanovitS ihre Tockter wiederzufinden. Dort hat sie sich nach Zigeunerart auf die Lauer gelegt, und als die junge Frau dahergekommen ist, bat sie aus den ersten Blick erkannt, daß sie sich nicht ge täuscht. Dieses Wiedersehen aber brachte unserer Herrin kein Glück, denn das sorgsam gehütete Geheimniß ihrer Ab stammung bat die Zigeunerin aufgedeckt, und Mira ist vor Entsetzen außer sich gewesen, als sie erfahren, daß sie die Tochter von dem gefürchteten Räuberhauptmann. Und jetzt bat sie mit einem Mal begreifen können, warum sie so bald Igor'S Liebe verloren hat. und da ist sie gerathen in Helle Verzweiflung über ibr unglückselige- Berhängniß. Als sie nun der Mutter all ibr Herzeleid anvertrauti da baden die Augen der Zigeunerin vor Wuth gefunkelt, und sie schwur Rache und Vergeltung. Wie eine Katze iff sie hinter rem nickt- ahnenden Igor hergeschlichen, aus Schritt und Tritt hat sie ihn verfolgt und so lange umherspionirt, biß sie heranSgebracht, daß er seine Zeit nicht nur bei Wein und Spiel verbringt, sondern auch in den Armen einer bekannten Schönheit, deren Reize ihn völlig umstrickt hatten. Wäre sie eine vernünftige Mutter gewesen, so bätte sie der Tochter Igor'S Untreue verschwiegen und im Stillen versucht, ihn wieder zurückzuführen zu seinem Weibe; aber der böse Dämon hat in ihr gesteckt, daß sie nur auf Rache gesonnen hat. So bat sie denn ihrem Kinde Alles geoffenbart und in ihrer Verblendung sich nicht darum gekümmert, daß die arme Mira fast vergangen ist vor Gram und Herzeleid; heimlich bat sie ihr ein tödtliches Gist zugesteckt und ihr geheißen, es Igor in den Wein zu mischen. Unsere Herrin hat auch das Gift an sich genommen, aber wie es Abend geworden, da ist sie an das Bett ihre- Töchterchens gegangen, Kat eS geküßt unter herzzerreißendem Schluchzen und dann selbst daS Gift auSgetrunken bi» auf den letzten Tropfen. Am Morgen hat man sie gefunden, blaß und kalt; die Hand hat noch krampfhaft umspannt gehalten das Fläschchen. AlS dieZigeunerin nun daS Unheil gesehen, daS sie angestiftet, da hat sie wie ein wilde- Tbier aufgeschrieen, sich über die deiche geworfen und sie im Wahnsinn unter Thränen und Klagen angesteht, wieder zu erwachen; aber die arme Mira war und blieb todt, sie hatte gefunden ihren Frieden. Dann aber ist der Rozsa Sandor erschienen, zu halten ein fürchterliche- Gericht. Die Zigeunerin war verschwunden und Niemand hat sie jemals wiedergesehen, aber unser Herr war verfallen seiner Racke. Im Walde haben sie ihn gefunden, an einem Baum aufgehängt, daS Herz von drei Kugeln durchbohrt, und auf seiner Brust ist ein Papier geheftet gewesen mit den Worten: „Für seine Verbrechen gerichtet von Rozsa Sandor". Den wirklichen Zusammenhang hat damals Keiner begreifen können. Jeder hat sich die Sache in seiner Weise zurecht gelegt; erst viel später, als sie den Hauptmann eingefangen und zu lebenslänglichem Kerker verurtheilt haben, ist die ganze Wahrheit gekommen an den Tag. Esau Wolf schwieg einen Augenblick, und Oswald benutzte die Unterbrechung zu der Frage: „Und was wurde aus dem armen Kinde?" „An« der kleinen Ljubitza?" Oswald schnellte mit einem Ruck empor. „Ljubitza?! So ist eure jetzige Herrin . . „Die Tochter von Igor und Mira von RadovanovitS — ja, Herr. Sie wurde gleich nach dem Tode ihrer Eltern fortgebracht, ich glaube nach Wien, um dort in einem Institut erzogen zu werden. Unser Gut hat einen Pächter bekommen, und allmählich ist GraS gewachsen über dir traurige Geschichte. Bon unserer jungen Herrin hörten wir nur hier und da; sie ist viel in der Welt umhergereist und hat nirgend« finden können rechte Ruhr: der Gedanke an ihre Abstammung und an da» schreckliche Ende ihrer Ettern hat sie überall wie eia Gespenst verfolgt. Wir haben immer ehofft, weil sie doch so schön und gut ist, sie werde draußen nden einen edlen Mann, der sie heirathet, aber", so schloß Esau Wolf mit einem Seufzer seine Erzählung, „es scheint halt ander- für sie bestimmt zu sein." Oswald, der mit gespannter Aufmerksamkeit den Mit theilungen deS Juden gefolgt war, blickte träumerisch den sich aus seiner Cigarre emporringelnden Rauchwölkchen nach. Es war ibm, als habe er die nüchterne Wirklichkeit weit hinter sich gelassen und das alte Zauberlanv der Romantik betreten, einst des Knaben Ideal und höchste Wonne. Er sah die Gestalten wieder vor sich auftauchen, die seine kindliche Phantasie beschäftigt hatten; aber während sie ihm damals in nebelhaft weiter Ferne erschienen, waren sie jetzt in fast greifbare Nähe gerückt, ja, batten gewissermaßen festen Fuß in seinem Leben gefaßt; hauste bier doch das Enkelkind des großen Räubers und mit ihr, in inniger Freundschaft ver bunden, die Geliebte seine» Herzens, bald, wie er hoffte, seine Gattin! „Es ist spät, Herr", unterbrach Wolf seine träumerischen Betrachtungen, „und Zeit, baß ihr zur Ruhe kommt. Morgen wecke ich Euch rechtzeitig und bringe Euch wieder zur Station." „Schön, Herr Wirtb, ich verlasse mich darauf und herz lichen Dank für Euren Bericht — Ihr habt mir einen großen Gefallen damit erwiesen." „Gerne geschehen, Herr, nun aber schlaft wohl!" „Gute Nacht!" Ein bleierner Himmel wölbte sich über daS Land, als Oswald am nächsten Morgen die^§,arda verließ. Esau Wolf war verhindert, ihn selbst zur Station zu fahren, und mit dem Knecht, der statt seiner die Pferde lenkte, konnte er sich nur schwer verständigen. So hatte er Muße genug, seinen Gedanken nachzuhängen, die sich fast ausschließlich um Ljubitza'S seltsames LebenSschicksal und Clara'- nabe Beziehungen zu der jüngen GutSherrin drehten. Sein Gemüth war eigen- thümlich bedrückt, und als er einige Stunden später Wols'S Wägelchen mit dem nach Szegedin eilenden Bahnzug ver tauscht batte, wurde ihn,, je mehr er sich der unglücklichen Stadt näherte, desto schwerer und banger um- Herz, als läge irgend ein drohende- Unheil in der Lust. In Szegedin angelangt. konnte er sich nicht entschließen, seiner ursprünglichen Absicht gemäß gleich nach Pest weiter- ufahrenz eine gehrimnjßvolle Macht hielt ihn zurück, eine nnere Stimme flüsterte ihm zu: Bleib — geh noch nicht fort — hier ist dein Platz! Unwillig schalt er sich selbst einen abergläubischen Narren und wollte schon, der seltsamen Mahnung zum Trotz, die Karte zur Weiterfahrt lösen, als der Portier in den Wartesaal trat und mit lauter Stimme verkündete, daß infolge Unterspülung des Bahndammes bei einer benachbarten Station vor Abend kein Zug nach Pest abgehen werde. Merkwürdiges Zusammentreffen, brummte Oswald kopf schüttelnd, nun, das Schicksal will es, ich füge mich! Er ließ sich ein frugales Frühstück bringen und wanderte dann langsam der hartgeprüsten Stadt zu. Es war so ziemlich dasselbe Bild, das sich ihm tagS zuvor darzeboten; die trüben, schlammigen Wassermassen setzten noch rastlos ihr Zerstörungswerk fort, während Hunderte unerschrockener Männer und Knaben in Booten, Kähnen und auf schnell zusammengezimmerten Flößen eifrig dem schwierigen Rettungswerk oblagen. Die einen drangen unter steter Lebens gefahr durch tausend Henimnisse zu den gefährdetsten Häusern vor, um die noch in ihnen weilenden Bewohner und, soweit möglich, deren werthvollste Habe in Sicherheit zu bringen; andere hatten das traurige Amt übernommen, die überall treibenden, zum Theil schrecklich verstümmelten Leichen zu bergen; noch andere versorgten die durch das Wasser vom Verkehr Abgeschnittenen mit Lebensmitteln, Heizmaterial und andern unentbehrlichen Dingen des täglichen Bedarfs. Herz zerreißende Scenen spielten sich ab. wenn in einer der ge borgenen Leichen die Familie ihre» Ernährer, der Bräutigam die Braut, die Mutter ihr Kind erkannte. Dann erschütterte lauter Jammer und Wehklagen die Luft; hier stürzte sich rin Jüngling mit Ausbrüchen wildesten Schmerzes über daS theure Opfer der grimmen Flutb, in stummer, tbränenloser Ver zweiflung kniete dort ein Weib an dem erstarrten Körper des ihr so jäh Entrissenen nieder, dazwischen ertönten mitleidsvolle Trostesworte der Umstehenden, leise Gebete sür das Seelen heil der Dahingeschiedenen. Oswald war nickt gerade schwachnervig, aber schließlich wurde eS ihm unmöglich, länger inmitten all de« ihn um gebenden Elends zu weilen; er schickte sich an, die UnglückS- stätte zu verlassen, al« eine plötzliche Bewegung in der Menge, laute Angst- und Warnungsrufe ihn belehren. daß etwa» Außerordentliche« sich ereigne. Er bemerkt sofort, daß irgend ein Vorgang auf der Wasserfläche die allgemeine Aufmerksam keit in Anspruch nimmt, blickt hin und gewahrt in einiger Entfernung vom Ufer em leichte» Boot, über dessen Rand zwei weibliche Gestalten sich weit hinauSlehnen in der eifrigen Bemühung, einen Gegenstand au» dem Wasser zu ziehen. DaS Boot ist infolge der unvorsichtigen Bewegung nahe daran,
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite