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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.05.1895
- Erscheinungsdatum
- 1895-05-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189505068
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18950506
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18950506
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-05
- Tag1895-05-06
- Monat1895-05
- Jahr1895
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.05.1895
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B^ugS-PreiS »der de« im Stadt- dn«. «nb Festtage,» Uhr. gäbe WochernagS L Uhr. Urdsrliou »nd Erpr-itri«: -vtz««»e»,«ffe 8. DteSrPeditieu tst«»ch«at»g» uaaaterhroch«, vo» frich 8 dt» Adead- 7 Uhr. Filialen: vtt» Ml««»'» Marti«. (Alfred Hatz«)» UaiversiiLttstraßr I, Laut» L-sche, Unihartnrnstr. 1», Part, »ad Königsplatz 7. MMerLaMalt Anzeiger. Organ fiir Politik, Localgeschichte, Handels- vnd Geschäftsverkehr. AnzeigeN'Preis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Redaclionsslrich (4ge- jpaltew 50^, vor den Familiennachrichtra (bgejpalten) 40/H. Größere Lchristeu laut uiiserem Preis- vcrzetchniß. Tabellarischer und Ziffernjak nach höherem Tarif. Ertra»Beilaarn (grjalzri, nur mit der Morgen - Auegaöe, ohne Poslbesörveruag -/L 60.—, mit PostbeförLerung 70.—. Aunahmeschluß für ^Mizen: (nur Wochentags) Abend-Ausgabe: BormittagS 10 Uhr. Margen-AuSgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe «stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. ^ 223. Montag den 6. Mai 1895. 89. Ichrganß Amtliche Bekanntmachungen. Lekanntmachunz. Mr weisen »an Neuem auf die Vorthrile und Annehmlichkeiten hin. «eich, die Benutzung von Leucht»» zum Nachen und zu anderen hautwirthschaftlichen Verrichtungen besonders in der wärmeren Jahreszeit gewährt. In unserer Ausstellung von GaSverbrauchsgegrnständen aller Art (im Markthallen-Eckgebäuvr an der Brüder-Straße) werden Koch-, Brad-, Backherde und ander» Grräthe von zweckentsprechender Ein- richtung Versuchs, und miethweise sowie auch käuflich an Abnehmer van Gas aus den städtischen Anstalten abgegeben. Dt« Beamten der Ausstellung sind beauftragt, Auskünfte kosten» lo» zu ertheilea. Mittwochs in den Stunden von 3 bis 7 Uhr Nachmittag- Werden daselbst die verschiedenen Gegenstände im Gebrauch vorgefübrt. Leipzig, am 4. Mai 1895. Des Rath«» »er Stadt Leipzig. Deputatian »u de« Ga«-Anstalteii. Politische Tagesschau. * Leipzig, 6. Mai. Der Reichstag, der am Sonnabend wieder einmal seine Beschlußunsähigkeit festgestellt sehen mußte, wird sich heute u. A. mit dem Anträge der WahlprüfungScommission, die in Waldrck erfolgte Wahl des nation,lalliberalen, bei seinen sächsischen Parteigenoffen in besonder- gutem Andenken sieben den Abgeordneten vd Böttcher fllr ungiltig zu erklären, zu beschäftigen haben. Seine zahlreichen ultramontanen und demokratischen Gegner nehmen es ihm übel, daß er trotz jene- Antrags der Commission dem Plenum nicht durch Riederlegung seines Mandats eine Prüfung deS Antrags erspart. Or. Böttcher bat aber sofort nach Erscheinen des CommissionSberichteS die Absicht kundgegeben, sein Mandat niederzulegen, und hat lediglich durch ein förm liches Ersuchen der nationalliberalen ReichStagsfraction von der Durchführung dieser Absicht abgehalten werden können. Am Sonnabend ist diese« Ersuchen wiederholt worden, weil dir Fraction Werth darauf legt, eine Wiedereröffnung der DiScussion über den EommissionSbericht herbei- »uführen. Zur Vorbereitung eines hierauf bezüglichen Antrags hat der Abgeordnete vr. Enneccerus in einem offenen Briefe, den er an die Mitglieder des Reichs tag« richtete, eingehend dargelegt, daß in der That nur eine rechtSirrthümliche Auffassung in der Commission den Antrag auf UngiltigkeitSerklärung bewirken konnte. ES handelt sich in diesem Falle um eine principiell so belangreiche Frage, daß bei ruhiger Erwägung allen Parteien erwünscht sein müßte, eine endgiltige Entscheidung getroffen zu sehen. Nicht nur die vermuthungswrise anzunebmenden Folgen einer Wabl- beeinflufsung, eine« Versehens der Wahlbehörden oder der gleichen de, Wahlprüfungen übliche Dinge sind strittig. Wäre e- nur die-, so wäre rS allerdings nicht angebracht, die nach constanter Praxis ergehenden Entscheidungen der WahlprüfungScommission weiter anzufechtrn, al« eS durch Aufstehen und Sitzenbleiben bei der Verbandluna im Plenum de« Reichstages herkömmlicher Weise geschieht. Insbesondere wäre die nationatliberale Fraktion die letzte, die den Reichstag einen Augenblick langer, al- eS dem eingebürgerten Gebrauch entspricht, aufhalten würde. Aber die Frage ist llipp und klar die, ob unter „acht Tagen" im Wahlgesetz acht auf einanderfolgende Tage zu verstehen sind, wie dies der StaatSrechtSlehrer Seidel, die Motive zum bürgerlichen Gesetzbuch, die WahlprüfungScommission von 1884, auf Em pfehlung ihre- Referenten von Vollmar auch der Reichstag selbst und von jeher alle WablauSführungSbebörden angenommen haben, oder ob „acht Tage" hier nur eine Woche bedeuten. Ist Letzteres Rechtens, so find auch die Dutzende von Wahlen un- giltig, bei deren Vorbereitung am achten Tag noch Eintragungen in die Listen erfolgt sind. Hat eS aber bei der alten Praxis sein Bewenden, so bleibt für l)r. Böttcher genau dir absolute Mehr heit der Stimmen bestehen. Diese formale Rechtsfrage ist, wie man unbefangener Weise überall wird zugeben müssen, für all« Parteien gleich wichtig und bedarf, nachdem sie ein mal zu solchen Controversen gelangt ist, der schleunigen Er ledigung. ES kann demnach bei der nationalliberalen Fraction und zumal bei dem Abg. vr. Böttcher nichts weniger als BerschleppungSabsicht unterstellt werden, wenn noch ein letzter Schritt versucht wird, UNI vom Reichstage auf «ine klare Frage eine klare Antwort zu erwirken. Morgen beginnt mit der letzten Lesung der Umsturzvorlagc der vermuthlich letzte Act eines absonderlichen politischen DramaS, das in seiner Exposition noch auf den verwichenen Grafen Caprivi zurückweist, worin eine Erklärung für den unbefriedigenden Abschluß zu finden ist. Die frühere Reichs- regierung war init einem Widerwillen, der seine Quelle keineswegs in politischen Auffassungen, sondern in persönlichen Eifersüchteleien batte, an die Verwirklichung des gesunden Gedankens einer Eindämmung der anarchistischen und social- demokratischen Agitation, insoweit letztere auf dir Revolution hinarbeilet, gegangen. Die Ermordung Carnot's, andere entsetzliche Bluttbaten in Frankreich, Spanien und Belgien batten jenen Gedanken so volkStbümlich gemacht, daß — es ist beute der richtige Tag, das wieder einmal in Erinnerung zu bringe» — selbst freisinnige Organe von einer Gesetz gebung gegen die socialrevolutionaireu Bestrebungen wie von etwa« Selbstverständlichem sprachen. Graf Caprivi zögerte, setzte dem Drängen der Einzelregierungen passiven Widerstand entgegen und suchte durch seine Presse Ver wirrung zu stiften — Alles in der dem simpelsten poli tischen Macher zugänglichen Erkenntniß, eine Stimmung wie die durch die rrvvlutionairen Unthalen erzeugte sei „keine Herinaswaarr". Als er sich schließlich der Inangriffnahme einer Gejetzesvorlage nicht mehr entziehen durfte, fand «rRatb- geder, die ihm Vas Einbrzirben von Bestimmungen, welche in Fragen der geistigen Freiheit empfindliche staatSerhaltende Kreise stutzig machen mußten, als daS Mittel bezeichneten, den Plan, den er nicht wollte, weil er durch ihn wirkliche oder vermeintliche Rivalen gefördert glaubte, »um Scheitern zu bringen. Graf Caprivi jchlug diese Lehre seiner Freunde nicht in den Wind und setzte sie, soweit es eben möglich war, in dir Tbat um. So fand sein Nachfolger ein in doppelter Hinsicht unvollkommenes Werk vor. Die Caprivi'sche Vor lage ging den Umsturzbestrebungen zaghaft zu Leibe und enthielt Bestimmungen, die vom Standpunkt der noth- wendigen politischen und wissenschaftlichen Kritik bedenklich erscheinen mußten. Immerhin war deS Brauchbaren genug vorhanden, und vor allen Dingen ließ der Entwurf seine Zweckbestimmung erkennen, indem er sich an mehreren Stellen gegen die auf gewaltsamen Umsturz gerichteten Bestrebungen richtete. Aber gerade aus diesen letzteren Vorzug concentrirtr daü Ce nt rum in der ersten Hälfte der CommisstonSverhandlungen seine Angriffe, denen von den Vertretern der Regierung weder mit Energie noch mit Geschick begegnet wurde. Die Pertbeidigung der Vorlage in der Commission war räthselhaft schwach und ermntbigte dir Ultra- montanen. nachdem sie das ihnen Unerwünschte beseitigt batten, in drrWeise positiv zu werden, daß sie ein wesentlich anders geartetes Gesetz zurecht machten, über dessen Verwerflichkeit Deutschland heute einig ist. Die Regierung, welche dem Aufbau deS neuen Entwurfs so wenig ernstlich wehrte, als sie dem Ab bruch des alten cutgegengetreten war, und die Conservativen, blind gemacht durch die Erwartung vermeintlicher politischer Vortbeile einer klerikal-conservativen Coalition, tragen die Schuld an dieser Entwickelung. Jetzt, in letzter Stunde, kommt allerdings diese Partei, um einen Tbeil der Opfer an politischen Grundsätzen und evangelischer Neberzeugung, die sie auf dem Altar nacktester politischer Selbstsucht nieder- grlegt, wieder wegzunehmen. Aber eS scheint zu spät zu sein, glücklicher Weise zu spät, denn auch nach dem conservativen Abzug von der Summ« der ultramontanen Coinmissions- rrrungenschasten bleibt, namentlich in dem für den Protestan tismus wie die wissenschaftliche Forschung gleich gefährlichen tz. 166, ein unerträglicher Rest. Die „Freisinnige Ztg." will Grund zu der Annahme haben, daß die conservativen An träge sich mit dem Standpanct der Reichsregicrung decken. Wir ballen daS für möglich sicher ist, daß ihre Einbringung im Einverständniß mit jener Stelle in der preußischen Regierung erfolgt ist, die wegen des klerikal-conservativen Bündnisses um »eben Preis etwas zu Stande gebracht sehen möchte. Mag aber auch die Ueichsregieruna und die Mebrbeit desBunvcSralhs den konservativ amenvirtenCentrumSbeschlüffen zustimmen, sie werden nicht Gesetz werden. Zwar die Ver- mutbung, daß selbst CentrnmSabgeordnete der Abstimmung geflissentlich sernbleiben werden, dürfte sich als hinfällig Herausstellen — die Klerikalen in der hessischen Kammer hatten gut gegen die Vorlage reden, es giebt im Reichs tag keinen Ultramontanen aus Hessen —, aber von den Conservativen wird mancher nicht gesehen werden. Und erscheinen sie vollzählig» so wird eS immer noch an einer Mehrheit für die tztz. 130 und 166 fehlen. Sollte ein zur Zeit abwesendes, sehr einflußreiches Mitglied der freiconservativen Partei diese etwa zur Ver leugnung ihrer eben erst gefaßten Beschlüsse zu gewinnen suchen, so würde dem Erfolge das Schreckensbild jener Droschke im Wege stehen, mit der eine Mittelpartei, die sich mit den conservativen Abschwächungen der CentrumSbeschlüssc begnügte, m der nächste» Legislaturperiode in corpore in den Reichstag fahren konnte, sogar unter Mitnahme ihrer Hospitanten. Bei dieser Sachlage ist cs für daS Schicksal der Vorlage gleickgiltig, ob das Centrum durch Annahme der conservativen Anträge, insbesondere durch Ver zicht aus die Beseitigung des Kanzelparagraphen und durcki die Bedrohung deö Widerstande- gegen Beamte — auf welche letztere Bestimmung, da sie in der Thal unentbehrlich zu jeder Be kämpfung der Umsturzbestrebungen ist, die Regierung großen Werth legt, für die brauchbaren Paragraphen der Vorlage eine Mebrbeit und für die anderen eine starke Minderheit bilden hilft. Für die Politik der nächsten Zukunft überhaupt wird die Entschließung Vieser Partei jedoch von nicht geringer Bedeutung sein. Die so plötzlich eingrtretcne ungarische Krise wird an scheinend ohne die Folgen vorübergehen, die man in allen liberalen Kreisen fürchtete und in den ultramontanen herbei wünschte. Kaiser Franz Josef hat gestern den un garischen Ministerpräsidenten Baron Bansfy nicht nur sehr gnädig empfangen, sondern auch die be stimmte Erwartung ausgesprochen, daß die „Differenzen" zwischen dem Grafen Kalnoky und dem Baron Bansfy aus geglichen werden würden. Hieraus ergiebt sich, daß der Monarch wenigstens ähnlicher Ansicht ist, wie die meisten deutschen Blätter, welche die Schuld an dem beklagcnswerthen Conflicte beiden Theilen zuschieben, die größere Hälfte aber rem Grafen Kalnoky. Man kann ja darüber getheilter Meinung sein, ob eS correct war, daß Baron Bansfy von der „vertraulich" gegebenen Zustimmung de« gemeinsamen Ministers des Aeußern zur Einleitung diplomatischer Schritte beim Vatican, einen so weitgehenden Gebrauch machte, daß er das Abgeordnetenhaus davon ossiciell in Kenntniß setzte — er wird darüber zweifellos noch Erklärungen ab geben. DaS aber muß als eine kaum verständliche Ueber- eilung bezeichnet werden, daß er die diplomatische Action beim Vatican durch den Minister des Aeußern als bereits vollzogen hinstellte, was sie thatsächlich noch nicht war. In der Mittwoch-Sitzung äußerte der Ministerpräsident wörtlich: Das ist meine Ansicht, geehrtes Haus, und daS ist die An schauung der Regierung in Uebereinstimmung mit dem gemeinsamen Minister des Aeußern, der den Stand- punct der Regierung zu dem feinigen gemacht hat. Die Regierung aber gab dieser ihrer Anschauung bereits auf diplomatischem Wege durch Vermittelung des Ministers des Aeußern beim heiligen Stuhle Ausdruck, indem sie «inerfeitS Aufklärung wünschte, andererseits zur Renntniß- nähme bringen wollte, daß diese Handlungsweise den Schein der Einmischung in unsere inneren Angelegenheiten besitze. Ich bitte meine Antwort zur Kenntniß zu nehmen. Wie der „Offavatore Nomono", daö Hauptorgan des Vaticans osficiös versichert, existiren die von Baron Bansfy angekündigten Reclamationen beim römischen Stuhle nicht, Kalnoky batte also den mit Bansfy verabredeten weitgehenden Schritt noch nicht zethan, wollte vielmehr erst die Beweis- lücke in seinen Händen haben» um sie der Vorstellung beim Vatican beizufügcn. Soweit scheint Kalnoky völlig correct ge handelt zu haben. War aber in Pest ein Fehler begangen worden, o geschah von Wien aus ein weit schlimmerer. Auf keinen Fall durfte Graf Kalnoky, der durch Banffys Uebereiluug ja gewiß in eine peinliche Verlegenheit der Curie und wohl auch dem Hofe gegenüber gekommen war, sich dazu fortreißen lassen, in der „Pol. Corr." jene Verleugnung und Ab kanzelung deS ungarischen Ministerpäsidenten zu veröffentlichen, die geradezu unerhört genannt werden muß und das gerechte Selbstgefühl der Ungarn ohne Unterschied der Partei — von den vaterlandslosen Römlingen natürlich abgesehen — aufs Tiefste verletzt hat. Baron Bansfy hat einen Fehler begangen, aber er wiegt federleicht im Vergleich zu dem, den Graf Kalnoky verschuldet hat. Der Lenker der auswärtigen Politik einer Macht von dem Range Oesterreich-Ungarns darf sich in keinem Augenblicke über die Grundgesetze der Staatskunst im höheren Stile hinwegsetzen, er darf nie zur Beute einer Gemüths Wallung werden. DaS Ministerium des Auswärtigen ist in Oesterreich - Ungarn ein „gemeinsames" Amt, Graf Kalnoky ist nicht ein Vorgesetzter des ungarischen oder des öster reichischen Ministerpräsidenten, er ist ihnen gleichgeordnet, und nichts berechtigte ihn zu einer so schulmeisternden Ton art, wie sie seine Auslassung in der „Politischen Corresp." gegen Baron Bansfy anschlägt, Kalnoky mußte seinen ver traulichen Brief offen als die Meinung des Wiener Aus wärtigen Amtes anerkennen, und wenn der Monarch sich dem Vorgeben gegen den Nuntius Agliardi nicht anschließen zu können glaubte, hatte Kalnoky seine Entlassung zu geben. DaS war der gewiesene Weg. In dieser Auffassung ist nicht bloS die öffentliche Meinung in Ungarn einig, sondern auch die unabhängige Presse in Oesterreich, soweit sic nicht die vatikanischen Interessen vertritt oder aus Haß gegen den Dreibund eine Niederlage des ungarischen Liberalismus wünscht. Wenn heute versucht wird, Kalnoky damit zu entschuldigen, daß die Erklärung der „Pol. Corr." nicht von ihm, sondern von einem höheren Beamten des Ministeriums des Aeußeren inspirirt sei, da Kalnoky zur Zeit der Er scheinung der Erklärung seine Demission bereits überreicht hatte, so ändert das, vorausgesetzt, daß man es wirklich mit Thatsachen zu thun bat, an der Sache nichts, denn ohne Wissen und ohne Zustimmung des Chefs des Ministeriums des Auswärtigen ist jene berichtigte Erklärung sicherlich nicht in die „Pol. Corr." gekommen. Es unterliegt ja schon längst keinem Zweifel mehr, daß Kalnoky hinter der Hetze gegen Baron Bansfy steht. Letzterer wird also in einen Ausgleich nur willigen können, wenn Graf Kalnoky Bürgschaften für ein anderes Verhalten giebt. Wir hoffen, daß das geschieht, denn wir würden den gemeinsamen Minister des Auswärtigen wegen seiner Ver dienste um den europäischen Frieden eben so ungern scheiden sehen, wie den ungarischen Ministerpräsidenten wegen seiner energischen Abwehr römischer Uebergriffe. Mag er auch die diplo matische Form arg verletzt haben, in der Sache ist er voll kommen im Recht. Das römische Intriguenspiel und ebenso das der Hoskreise, welche mit der Curie sympathisiren, war in Ungarn so weit gediehen, daß daraus schwere Gefahren für den Staatsverband Oesterreich-Ungarn entstanden waren. Da be durfte eS einer rücksichtslos durchgreifenden Hand. Unwill kürlich wird man dabei an etwas Aehnliches erinnert, das sich vor fünfzehn Jahren in Belgien abspielte. Die römische FereiNeto«. Vie Erbin von Abbot-Laftle. Original-Romaa von F. Klinck-LütetSburg. Nechdruck «erboten. Erste- Capitek. iSie kötmea den Saal verlassen. Miß Eonnor, Sie sind flüstert« Rrcht-anwalt Primrose seiner Elientin zu. D»se erhob sich zögernd-schwerfällig. Es war außerdem in ihr« Bewegungen etwa- Unsichere«. Sie streckte tastend die rechte Hand au«, zog sie aber, indem sie schauderte, hastig wieder zurück, als sie mit derselben die Anklagebank berührte. Dann that st« rin paar Schritte vorwärts, stand wieder, um gleich darauf, wie einem raschen Entschluß folgend, dem AuS- ganade» Saale« sich zu nähern. Nun erst wurde eS in dem weiten Raume lebendig. Bi» zu diesem Augenblick hatte man, die Frrigesprochene beobachtend, ,n Schweigen verharrt. Ein andere- Urthril war erwartet worden. Der Fall hatte unarheurr« Aufsehen erregt. Ein kaum rinundzwanzigiährigeS Mädchen au« vornehmer Familie sollte den Grafen SaunderS ermordet haben. Man hatte nicht an so viel Verworfenheit glauben wollen, aber ihre Schuld konnte nicht bezweifelt werden. So sehr hatten Zeugenaussagen, Umstände, ja die eigenen Antworten der An geklagten diese belastet, daß der jung» Bertheidiger, obwohl von dem redlichsten Willen beseelt ein klägliches FiaSco er leiden mußte. Ähre Freisprechung verdankte Mary Conaor ohne Zweifel ihrer Persönlichkeit. Sie hatte mit dem Ausdruck ihrer wunder baren blauen Äugen, in welchen eine Welt voll Jammer und Ergeb«h«it gelegen, den Sinn der Herren Geschworenen förmlich verwirrt, und die Richter mochten nicht daran glauben, daß diese- blaffe, seine Gesicht, da« ein Spiegel von Unschuld und HrrzenSaüt« war, nur eine Maske sein sollte. Die Furcht, durch d,e Härte da« alt«, geizigen Grafen, den geliebten Mann zu verlieren, hatte sie vorübergehend in einen GeisteS- ,«stand versetzt» in welchem sie nicht für jene grause That hatte verantwortlich gemacht werden können. Der Wahrspruch der Geschworenen lautete, daß die Schuld der Angeklagten nicht hinreichend erwiesen sei. Nun stand Mary Connor draußen. Ein eisiger Nordost braust» durch die Straßen der Stadt und trieb die ersten Schneeflocken daher. Sie athmete auf. Die Kälte berührte sie wodlthurnd. In dem furchtbaren Hause hatte Stickluft geherrscht. Rechtsanwalt Primrose, welcher seiner Clientin gefolgt war, batte bereit- einen Wagen herbeigrrufen. „Nach dem Ostbahnhof, Miß Connor'?" Nach dem Ostbahnhos? Nein. Sie schauderte. Und doch — was wollte sie tbun? „Ja, nach dem Ostbahnhos", murmelte sie. „Miß Connor, darf ich Sie nickt zuvor in meine Wohnung führen? Sie ist zwar nur «ine Iunggesellenwirtbschaft, aber — Sie können so nicht reisen. Es sind neun Stunden bis Abbot-Castle. Sie sehen nicht gut au«. Sie haben heute noch nichts genossen, irgend eine Stärkung ist absolut nothwendig für Sie." In dem Ton seiner Stimme lag etwa«, da» seither bei keiner Gelegenheit zum Ausdruck gelangt war — sie fühlte sich eigrnthümlich davon ergriffen. Milde für siel Mary Connor erhob den gesenkten Blick. Zum ersten Male, seitdem er sie gesehen, sah sie ihm voll in da- Gesicht. Er schrak förmlich vor dem Ausdruck dieser großen, unschuldsvollen Kinderangen zurück und errötbrte wie rin Schulmädchen. Sie war doch unschuldig. Bisher hatte sie ibm keinen besonders günstigen Eindruck gemacht. Ibr verschlossen,» Wesen, ihre stoische Ruhe reizten ihn wiederholt, weil ihm sei» Wunsch, sie zu entlasten, von ihr selbst förmlich zur Unmöglichkeit gemacht worden war. „Ich danke Ihnen, ich möchte nicht von Ihrer gütigen Einladung Gebrauch machen", sagte sie leise, mil unendlich sanfter Stimme „Wenn Sie mich indessen nach dem Bahn hof« begleiten wollt«, so könnten wir da« Geschäftliche er ledigen." Neugirriae drängten sich herzu, Rechtsanwalt Primros« öffnete den Wagenschlag. »Ich werde dir- mit Ihrem Herrn Großvater abmachen, von dem ich Ihnen dieses übergeben soll. Es ist sein Wunsch so." EineBlutwelle schien sich plötzlich in ihre todtblassen Wangen zu ergießen. Jetzt — jetzt, erinnerte der alte Mann sich ihrer, nachdem er sie bis zu dieser Stunde ihrem grausamen Schicksal überlassen. Auch er hatte an ihre Schuld geglaubt. Sie bewegte heftig verneinend den Kopf und wehrte mit der Hand DaS in Empfang zu nehmen, was Rechtsanwalt Primrose ihr in Gestalt eine- kleinen Packetes überreichen wollte. „Dann, bitte, bemühen Sie sich nicht weiter, Herr Rechts anwalt. Ich kann das nicht nehmen — ick will es nicht." Mit einer raschen Bewegung hatte sie ihren kleinen Fuß auf den Wagentritt gesetzt. In diesem Augenblick bob der Wind ihren Mantel empor und ließ ein kostbares Pelzfutter sehen. Es war derselbe Mantel, der bei den Verhandlungen gegen Mary Connor eine gewisse Rolle gespielt halte. Dann zog sie den Schlag hinter sich zu, wie um ihrem Begleiter zu wehren, ihr zu folgen. Er trat etwas verletzt zurück. „Nach dem Ostbahnhofe", sagte er noch, dann lüftete er seinen Hut und kehrte in das Gerichtsgebäude zurück. Sie war entschieden nicht wie ein «inuiidzwanzigjäbrigeS Mädchen, daS bis vor zwei Jahren in strengster Abgeschieden heit gelebt hatte. Mary Connor aber sank auf den Wagen sitz zurück und bedeckte ibr Gesicht mit beiden Händen. Thränen rollten über ihre Wangen herab, die ersten, welche seit Wochen und Monaten in ihre Augen sich gedrängt. Aber, als schäme sie sich dieser Zeichen ihre« Schmerze«, sie trocknete dieselben ,m nächsten Augenblick und saß dann wieder still, wie immer seit der Zeit, als daS Furchtbare sich ereignet. Obre Schuld war nicht erwiesen — nicht ganz erwiesen, aber Niemand hatte an derselben gezweiselt, weder Geschworene noch Richter, weder daS Auditorium noch ihr Bertheidiger, noch — noch — o, Gott wie war e« zu ertragen? — noch er, um drffrntwillen sie zu einer gemeinen Mörderin herab gesunken sein sollte, sie — Mary Eonnor. Noch einmal war es ihr, al« drängten wieder Thränen in ibr« Augen, aber sie wehrte ihnen tapfer. Thränen hatten gar keinen Zweck und konnte» nur aufmerksam auf sie machen. Wenn man sie sab, würde man sie erkennen. Da ist sie — Mary Connor — die Mörderin. Barmherziger Himmel, wenn sie nur erst diese entsetzliche Stadt verlassen hatte und nichts mehr von derselben sehen würde. Auch auf dem Bahnhöfe war sie vielleicht — nein, gewiß noch eia Gegenstand der Auf merksamkeit. Der Eine oder Andere — Würde nickt er — Edgar SaunderS — denselben Zug benuven? Aber auch Will Gullham mußte ibr begegnen. Röthe und Bläffe wechselten in ihrem Gesicht, sie athmete schnell wie im Fieber. Ein gütiger Gott mochte sie in seinen Schutz nehmen und ihr das Entsetzliche, einem d'eser beiden Menschen wieder zu begegnen, ersparen. Sie hatte Edgar SaunderS geliebt. Ob es jenes große, erhabene Gefühl gewesen war, welches nur ein Mal eines Menschen Herz ergreift, um eS nie mehr frei zu geben, darüber war Mary Connor sich nicht klar gewesen. Sie batte aber seinetwegen einen opferfreudigen, hochherzigen Entschluß gefaßt und auch auSgefübrt, einen Entschluß, der ibr verhängnisvoll geworden war, und sie zwingen würde als eine^AnSgestoßene in der Welt uu,herzuirren. Sein Zenaniß aber hatte sie am schwerste» belastet und würde ihre Verurtheilung berbeigeführt haben, wenn nicht Gott sich ihrer erbarmt hätte. Es war ein furchtbare- Zu sammentreffen. Mary Connor hat bis vor etwa zwei Jahren mit ihrer Mutter, einer MajorSwittwe, im Hause ihre« Großvater- auf Abbot-Castle gelebt. Man hielt den alten Mann für einen sehr reichen Herrn, aber seine eigenen Angehörigen waren der Meinung, daß er nur gezwungen die mancherlei Ein schränkungen sich auserlegte, welche auf Abbot-Castle Mode waren und darauf schließen lassen mußten, daß der Besitzer mit einem verbältnißmaßig sehr geringen Einkommen zu recbnen habe. Diesem Umstand war es auch gewiß zuzu schreiben, daß er darauf bestanden batte, seine einzige Enkelin und Erbin in die Stadt zu geben, damit sie sich daselbst auf eine gewissermaßen dienende Stellung in der Welt vorbereite. Sein Wille war eS gewiß nicht gewesen, daß die Familie, in welcher Mary Aufnahme gefunden, daS anmutbige, liebens würdige Mädchen al- Mitglied betrachtete und dementsprechend in jeder Weis« für da- Wohlergehen drffelben Sorg« -e«
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