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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.05.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-05-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950522024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895052202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895052202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-05
- Tag1895-05-22
- Monat1895-05
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Wir haben den Verhandlungen der beiden Häuser des preußischen Landtages bisher wenig Aufmerksamkeit zugewendet, nicht weil wir glaubte», daß derartige Reichs- angelegenheiten unbedingt nicht in Einzellandtagen verhandelt werden dürfen, sondern wegen der inhaltlichen Dürftigkeit dieser Erörterungen. Es ist zurZeit und solange sich in den Prvductwns- verhällnissen der Edelmetalle nichts ändert oder fremde Staaten ihre Währung nicht anders ordne», nichts Neues über die Frage oorzubringen, aber solche Scheu vor der Annäherung an ihren Keriipunct, wie sie die Bimetallislen in den preußischen Kammer» gezeigt haben, wäre durch die voraus- gegangene Erschöpfung der öjsentlichen Discnssion doch nicht be dingt gewesen. Das Abgeordnetenhaus hat gestern den himetallisiischen Asttrag mit 187 gegen 02 Stimmen in dem bei bei voller Besetzung 100 Mitglieder zählenden Hause ange nommen, aber es kostet Ueberwnidnng, dieses Ergehniß nicht durch ein Eitat aus dem Stieler'schen Gedicht zu kennzeichnen, worin ein altbayerischer Bauer die Erklärung dafür giebr, warum trotz besserer Gründe der Gegenseite i» seiner Heimath immer ein Angehöriger, der klerikale» Partei gewählt wurde. Herr v. Kardorff ist der weitaus gediegenste unter den parlamentarischen Bimetallisten, sei» Plaidoyer für die Doppel währung war das beste, und das gipfelte in dem Satze, jede feste Relation zwischen Gold und Silber, möge sie hoch oder niedrig sein, sei besser als der jetzige Zustand! Die Forderung des Abg. Fuchs, nnbedenklich zu der alten Relation von 1 : l5>/z (bei einer Siiberenlwerthniig von 50 Procent gegen früher) zurückznkchren, ist nur ein tieiner Schritt weiter vom Standpunkt des Herrn v. Kardorff. Herr Fuchs war aber der einzige Eentrumsredlicr für den bimetallistische» Antrag, sein Parteifreund Imwalle hielt hingegen unstreitig die nachdrücklichste Rede sür die Beibehaltung des jetzigen Zustandes, und ein dritter Fraelionsgenosse secundirte ihm. War kies unerfreulich sür die Doppelwährungsleute, so wurde der Antrag des freiconiorvalivcn Freiherr» v. Zedlitz geradezu zu einer Ealamitäi. Heir v. Zedlitz schlug betaniillich vor, in der Resolution Arendt als Endziel den internationale» BimctaUiüniuS „einschließlich Englands" zu fordern. Diese Erweiterung durften die Antragsteller nicht zurückweisen, denn England gehört zur „Iiileriiattonalität", und zwar sehr bedeutend. Seine Einfügung setzt aber auf die bimetallistische Tratte die griechischen Kalenden als Fälligkeit« termiii. Der wird sich daher über Vas süß-sauere Gesicht des Herrn vi. Arendt wundern, das er »ach de» Berichten von Augenzeugen machte, als er der „Ausdehnung" seines Antrags beipflicktete? Daß die Bimetallisten ganz be sonders das Feld des Persönlichen beackerten, stand durchaus im Einklang mit dem Zweck der Debatte, der die Unterhaltung des agitatorischen Feuers war. Hierin wurde Erkleckliches geleistet. Der Abg. v. Ehiiern handelt mit Indigo, nack Herrn v. Kardorff ist dieser Umstand die einzige Erklärung für seinen deni Währungsabenteuer abgeneigten Standpunct. Herr v. Erffa verweist kurz weg alle Moiiomelallisten zu den großcapitalistiscken Interessenten und wirft, obwohl die himetalllstischen Wortführer recht viel in die Zeitungen schreiben, einen scheelen Blick auf die „Leitartikler". Er meint, es sei viel leichter, einen Leitartikel über die Unersättlichkeit der Agrarier zu schreiben, als eine Ernte unter Lach zu bringen. Das ist eine zutreffende und angesichts der Leistungen der freisinnigen Presse auch sehr zeitgemäße Bemerkung. Ebenso richtig ist aber die Antwort, daß es viel leickter ist, die Börse und die Grvßcapitalisten sür die niedrigen Gelreidepreise verant wortlich zu machen, als in einem einzigen Dorfe ein richtiges Genossenschaftswesen in die Wege zu leiten. Die schlesischen Großgrundbesitzer haben „durch die Tdat" bewiesen, das sie das nickt können, im übrigen Osten hat man noch an keinem durchschlagenden Beispiel gezeigt, daß man es kann. Die Herren können überhaupt sehr vieles nicht. In der gestrigen Debatte ist seitens des erwähnten Abg. Zmwalle ein Wort gefallen, das die Bedeutung einer Prophetie für den Bimetallismus haben müßte. Der Abgeordnete, der kein Großcapitalist ist, stellte die DoppelwäbrungSagitation der Propaganda für den Antrag Kanitz gegenüber und bemerkte gelassen: „Der Antrag Kanitz ist doch schon zum alten Eisen geworfen." Das ist er, und der zäheren, weil inter nationalen himetalllstischen Gedanken wartet das gleiche Schicksal. Zum Ministerwechsel in Lcstcrreich-Uugarn schrieb die „Rordd. Allgem. Ztg." anscheinend osficiöS: „In der Persönlichkeit des Grasen Goluchowski bot sich ein Staatsmann dar, dem die allgemeine Stimme die Eigenschaften ziierkennt» die eine mit der vom Grasen Kalnoky innegehaltenen Richtung übereinstimmende Forlsührung der auswärtigen Politik Oesterreich-Ungarns erwarten lasse». Das unverbrüchliche Ver traue». welches die politische Welt und namentlich die mit der habsblirgische» Monarchie eng verbündeten Reiche dem Kaiser Franz Josef entgegeiibringen, erstreckt sich auch auf seinen neuen Vertrauensmann. Graf Goluchowski, der im diplomatische» Dienst schon hohe und vcrantwortuiigsooUc Posten bekleidete, hat übrigens in seiner ganzen Laufbahn Beweise einer Gesinnung gegeben, die den neue» Leiter der auswärtigen Angelegenheiten Oesterreich-Ungarns als einen überzeugten Freund des Bundes der drei Mächte kenn zeichnet. Man wird demgemäß mit Sicherheit auf eine Fort setzung der Traditionen der Kalnvky'jchen Geschäftsführung unter feinem Nachfolger rechnen dürfe». In Deutichland giebt nach dem Allen der letzte Minifterwechfet in dem benachbarte» Reiche nur Anlaß zu einem erneuten Ausdruck des stets gleich bleibenden Ver- lraucns in die von dem Kaiser Franz Joseph bisher inne- gehaltene weise Politik des Friedens und der Förderung der allge nieinen Wohlfahrt der Völker." Hierzu bemerkt der ungarisch-officiöse „Pester Lloyd", welcher in Beziehungen zum Ministerpräsidenten Baron Banffy steht, unterm 2 t. Mai: „Unter den Aeußerungen der Blätter über den neuen Minister des Auswärtigen, Grasen Goluchowski, ist diejenige der „Nord deutschen Allgemeine» Zeitung" i'cho» darum die bemerkenswertheste, weil sich darin der Gedanke abspiegelt, von welchem die Mächte des Dreibundes in ihren Beziehungen zu einander geleitet sind, daß nämlich die Allianz und die Richtung derselben durch keinerlei oersönliche Momente alterirt werden können. Daß dabei an erster Stelle das Vertrauen zu den Absichten n»sercs Monarchen zum Ausdruck kommt, kann uns nur mit lebhafter Geiiugthuung erfüllen." Auch in maßgebenden ungarischen Kreisen theilt man also unsere letzter Tage ausgesprochene Ueberzeugung, daß Kaiser Franz Josef selbst es ist, welcher in der auswärtigen Politik Österreich-Ungarns die Direcliven giebt und das letzte Wort spricht, daß man sich demnach keinerlei Besorgnissen wegen der polnischen Nationalität, der französischen Be- ziebuiigcn und der streng katholischen Anschauungen des Grafen Goluchowski hinzugeben braucht. In Frankreich baut man darauf allerdings weitgehende Hoffnungen, aber man wird sich von deren Grundlosigkeit sehr bald gründlich überzeugen können. Dem bulgarischen Expremier Stambulow beginnt der Boden unter den Füßen doch zu heiß zu werden, er will so rasch wie möglich außer Landes, ein Gedanke, den er vor I einem Vierteljahre noch weit von sich wies. Sein Reiseplan I wird zwar mit Gesundheitsrücksichten nwtivirt, allein, wenn I man folgende Stelle der Unterredung liest, welche ein I Correspondent des „B. T." kürzlich mit Stambulow hatte, I wird man eines Andern belehrt. Der Exminister äußerte I da u. A.: Meine persönliche Lage ist fürchterlich, unerträglich. I Aus jedem Schritt werde ich von der Regierung, die sich dabei I rühmt, daß sie damit nur den Willen und Len Beseht des Fürsten I ersullt, in unerhörter Weise mißhandelt. Ich kann eigentlich nicht I einmat sagen „aus jedem Schritt". Tenn das Thor meines Hauses ! ist die Grenze, über die ich mich nicht hinauswagen darf. Seit einigen I Tagen sind wiederum Gendarmen vor und hinter meinem Hause Tag I und Nacht auf Posten ausgestellt. Die parlamentarische Enquetecommis-1 sion, welcher die Sobranie keine anderen Rechte gab aiS das Recht der I Untersuchung in Regierungssachen, nimmt sich die Rechte eines Unter-1 iuchungsrichlers heraus und hat aus meine Grundbesitze und selbst I auf dieses Wohnhaus Beschlag gelegt. Die Regierung unterstützt diese gesetzwidrige Maßregel, diese freche Willkür, und ich kann jetzt weder etwas verkaufen, »och eine Hypothek ausnehmen, um meinen pekuniären Verpflichtungen nachzukommen. In Regierungskreijen spricht man sogar davon, daß es am besten wäre, mich ins Ge- ängniß zu werfen Unter welchem Vorwand dies geschehen soll, das weiß ich noch nicht. Aber ich kenne meine Leute, ihnen ist jedes Mittel gut, wenn es ihnen dazu verhilft, mich ein sür alle Mal aus ihrem Wege zu schaffen. . . Wie leicht ist es, einen Vor wand für ein solches Mittet zu finden, wenn man die Macht in Händen hat... . Thatsächlich scheint der famvse „parlamentarische Unter suchungsausschuß" derartiges im Schilde zu führen, denn er widersetzl sich hartnäckig der Abreise Stambulow's unter dem Vorwand, er müsse ihn wegen seiner Amtsführung verhören, ein Recht, das der Commission bisher gar nicht zugesprochen war. Man darf gespannt sein, ob die Regierung der Ver weigerung des Paffes von seiten der Polizei und somit einer unerhörten Gewallthat gegen den Schöpfer Bulgariens sich schuldig zu machen, im Stande ist. Ueber die Beraubung des holländischen Sch ooners „Anna" an der marokkanischen Küste durch Rispiraten liegen jetzt nähere Berichte von holländischer, spanischer und selbst von maurischer Seite vor. Das Schiff hatte Las Unglück, am 28. April gerade unter den I Augen des spanischen Forts Athucemas, von wo aus man, ohne Hitse bringen zu können, den ganzen Vorfall mit ansehen konnte, von einer Windstille überfallen zu werden. Während dasselbe unbeweglich dalag, näherten sich von der Küste sieben Boote, die durchweg mit Rispiraten bemannt waren, von denen einer in spanischer Sprache den Capitain der „Anna" aufforderte, die Segel zu streichen, was dieser natürlich verweigerte. Nur der Capitain hatte einen Revolver, weitere Schußwaffen befanden sich nicht an Bord, jo daß sich die aus 6 Köpfe» bestehende Bemannung mit Beilen und Knütteln der an der Schlffswand heranskletternden See räuber erwehren mußte. Der Steuermann Smit spaltete auch einem Mauren den Schädel, erbielt aber gleich darauf 4 Schüsse, jo daß er sich schwer verwundet zurückziehe,i mußte; der Capitain, der seinen Revolver abfeuerte, wurde ebensalls schwer verwundet, so daß er »ach einigen Stunden starb, während der übrigen Mannschaft kein Leid geschah, die natürlich, da aus weiteren Booten noch etwa hundert Rispiraten heranruderten, von jeder weiteren Bcrtbeidigung abiah. Was nicht niet- und nagelfest war, Taue, Segel, Raaen, Proviant, Kleider (den Matrosen wurden letztere vom Leibe gerissen), selbst die Thüren der Cajüten wurden in das Schiffsboot der „Anna" gepackt, worauf dieses ins Meer gelassen wurde. In ihrer ungestümen Habgier hatten die Piraten auch den Schiffskrahn weggerisse» und mitgenommen, mit Hilfe dessen eS allein möglich war, die Ladung ans dem Schiffsräume herauszubringen; sie sahen ihren Mißgriff auch ein, allem sie verzichlete» wohlweislich auf ihren Plan, nach Bergung des ersten Raubes an der Küste wieder zurückzukehren und die übrige, aus feinem Olivenöl bestehende Ladung zu rauben; in diesem Falle wäre wohl auch die übrige Mannschaft ermordet worden, um alle Zeugen des Ueberfalls aus der Wett zu schaffen. Ueberdies mußteil sie befürchten, von einem vorbeisahrende» Schiff gestört und gezüchtigt zu werden. Abends erhob sich eine Brise, und die „Anna" konnte den Bug wenden und auswärts steuern, so daß sie am andern Tape um 4 Uhr in Gibraltar ankam. Die Entrüstung über diesen unerhörten Seeranb war eine allgemeine, ob sie aber auch zu einer Bestrafung der Misse- thäter führen wird, ist sehr fraglich. Zwar wird es der deutsche Gesandte, Graf v. Takten bach, welcher so eben nach Tanger zurückgekehrt ist und die Geschäfte der Ge sandtschaft wieder übernommen hat, und unter dessen Schutz die niederländischen Unterthanen stehen, an den nölhigen Schritten beim Sultan nicht fehlen lassen; es wird von demselben viel leicht auch der verlangte Schadenersatz geleistet werden, allein seine Macht über die Piraten ist bckannilich gleich Null, so daß es sehr schwer halten wird, die Schuldigen, deren Namen man dieses Mal (während die Mörder Nockstroh's noch nickt ermittelt sind) zufällig kennt, zur Rechenschaft zu ziehen. Da Spanien allein schwerlich die Macht haben dürfte, das Züchtigungsamt zu übernehmen, so bliebe schließlich nichts übrig, als ein gemeinschaftliches Auftreten der mittelländischen Staaten, aber man weiß zur Genüge, was in solchem Falle die Haltung Englands und Frankreichs sein wird, sobald es sich um eine Einmischung in die marokkanischen Angelegen heiten handelt. — Hier sei gleich noch erwähnt, daß dem I Vernehmen nach der aus Ostasien abberufene Kreuzer I „Marie" Befehl erhalten hat, an Stelle der „Alexandrine" I nach Marokko zu gehen und sich dem deutschen Gesandten I zur Verfügung zu stellen. Sie trifft in Tanger in einigen I Wochen ein. Der Oberste Gerichtshof der Bereinigten Ttaatcn bat in I der vielumstrittenen Frage der Einführung einer Ein kommensteuer das ganze Gesetz mit fünf gegen vier Stimmen sür verfassungswidrig erklärt. Die Frage ist seit anderthalb Jahren auf der Tagesordnung, und vor einigen Monaten, als das Bundesobergerichl sich zum ersten Mal zur Fällung einer Entscheidung entschloß, konnte es sich über die Angelegenheit nicht einigen. Es herrschte Stimmen gleichheit, und es mußte eine neue Berathung angeordnet werben. Die ganze Frage dreht sich um Ermittlung und sichere Feststellung der rechtlichen Natur einer Einkommensteuer, das heißt um die Klarlegung, ob die Einkommensteuer eine direkte oder eine in- directe Steuer ist. Im ersteren Falle ist sie ohne Auferlegung nach der Kopfzahl der Einwohner der ver schiedenen Staaten durch die Verfassung verboten, im andern Falle, als indirekte Steuer, ist sie verfassungsmäßig. Es ist zu verwundern, daß in den mehr als 100 Jahren des Be händes der Bereinigten Staaten diese Frage noch niemals in einer Weise zur Verhandlung gekommen ist, daß eine end- giltige Entscheidung über die rechtliche Natur einer Ein kommensteuer gegeben werden konnte. Wäre die Entscheidung günstig für die Negierung ausgefallen, so hätte das Schatz amt in seinen Finanznölhen einen großen Gewinn elngehennst. I Durch den Obergerichtsbeschluß entsteht möglicherweise eine beträchtliche Lücke in den Bundeseinnahmen. Ueber die An gelegenheit liegen uns heute folgende Meldungen vor: * Washington, 21. Mai. Beamte, welche mit den Ansichten > des Präsidenten Cleveland durchaus vertraut sind, erklären, es s werde wegen der Entscheidung des obersten Gerichtshofes über das Einkommensteuergesetz sicherlich keine außerordentliche Tagung des Congresses staltsinden. * London, 22. Mai. (Telegramm.) Die „Times" melden aus Philadelphia: Das Schatzamt hofft auch ohne Einkommen steuer genügende Einnahmen zu haben, vorausgejctzt, daß der gegenwärtige Stand der Einnahmen nicht abnimmt, was auch nicht Feiirttetsn» Oie Erbin von ^bbot-LMe. .151 Original-Roman von F. Klinck-Lütetsburg. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) „Lord Nilthbert, ick, schulde Ihrem Großvater Sir Malet noch eine ganz ansehnliche Summe Geldes, wenigstens ist es im Laufe der Zeit eine solche geworden. Zweiundscchzig Iabre ZinS und ZinseSzins machen aus einer Mücke einen Elephanten, aber es war etwas mehr als eine Mücke, mit welcher Sir Malet mich eines Tages rettete. Wir sind später auseinander gekommen. Sir Malet hat das Geld nicht zurückaefordcrt, und ich habe w>.hl an die Schuld, aber nicht ans Bezahlen gedacht. Es dürfte aber an der Zeit sein, mich ihrer zu entledigen, bevor mich das Ende überrascht. Dreißigtausend Pfund können Ihnen jetzt von Nutzen sein." Lord Rnthbert warf einen besorgten Blick auf den alten Herrn, den dieser aber richtig zu erfassen schien. Er erhob sich von seinem Sitze und trat an einen Schreibtisch, dessen Platz im Halbdunkel des Zimmers darauf binwies, daß er nickt den Zweck hatte, in Benutzung genommen zu werden. Gleich darauf überreichte er Lord Rnthbert ein vergilbtes Blättchen Papier. „Kennen Sie die Handschrift, Sir?" „Es tönute die meines Großvaters sein, wie auch die Unterschrift anzudenten scheint." „Es ist die Handschrift Sir Malet Ruthbert'S. Wollen Sie sich, bitte, von dem Inhalt überzeugen?" Lord Rnthbert laö die wenigen Zeilen. „Mein lieber Lionell Wenn Du das Geld gebrauchst, so kann ich cS selbstverständlich nicht wieder bekommen. Mache Dir dieserhalb keine Sorgen. Ich füge den zerrissenen Schuldschein bei. Ein solches Ding sollte zwischen guten Freunde» niemals ausgestellt werden. Gott befohlen!" Harry Rnthbert gab seinem Wirth, der ihn mit größter Aufmerksamkeit beobachtete, das Blatt Papier zurück. „Das Geld wird nun dem Enkel zu gute kommen", sagte der alte Herr. „Die dreißigtausend Pfund stehen zu Ihrer Verfügung." Lord Rnthbert machte ein sehr ernstes Gefickt, eS war nichts von einer freudigen Ueberraschung in demselben zu be merken. Nur einen flüchtigen Augenblick war ihm ein Ge danke gekommen, dessen er sich im nächsten selbst schämte. Wohin führte doch die Armuth?! „Ich hoffe, Mylord, Sie fassen diese Angelegenheit nicht von einer Seite auf, die mick zwingen würde, sie als eine Beleidigung zu betrachten. Wenn mein Großvater eines Tages die Ehre batte, einem Freunde oder Bekannten hilfreich zur Seite zu stehen, so würde es dem Enkel schlecht anstehen, wenn er dessen hier deutlich ausgesprochenen Absichten ent gegen eine Bezahlung entgegen nehmen wollte, die in Empfang zu nehmen ihm daS Gesetz der Ehre verbieten würde." Sir Lionel Connor sah seinen Gast mit einem Ausdruck höchster Verwunderung an. Sein Gesicht aber verjüngte sich in strahlender Zufriedenheit. „Die Lage ist eine veränderte, Sir", sagte er dann. „Damals batte ich in der Thal nicht die Mittel, Sir Malet Ersatz leiste» zu können. Er würde heute diese Summe, welche ich für die Begleichung einer alten Schuld bereit gelegt babe, als ihm zugehörig, ohne Besinnen annehmen. Dieselbe auSzuschlagen, würde sich schwer für Sie entschuldigen lassen, da «ie das Geld gebrauchen." „Nickt so nothwendig, Mylord, daß ich den Willen meines verstorbenen Großvaters nickt respectiren sollte. Sie sind auch in einem Jrrthume, wenn Sie glauben, daß ick mit uiiüberwiiidlichen Schwierigkeiten zu kämpfen habe, um Ruth- bert-Hall mir zu erhalten. Die erste Zeit hatte ich ernste Sorgen, jetzt nicht mehr. Es liegt ein großer Reiz im Streben und in einem langsamen Vorwärtsschreiten, ick möchte ihn mir nicht durch die Großmuth eines Änderen verkümmern lassen. Im Uebrigen bin ich sehr erfreut, daß Ihre Ver hältnisse Ihnen gestatten einen Freundschaftsdienst so zu er widern. Um so beruhigter darf Miß Mary Connor der Zukunft entgegensehen." „Meine Enkelin ist eine der reichsten Erbinnen des Landes," sagte Sir Lionel mit ruhiger Miene. „Sie würden dieselbe nicht durch die Annahme des Ihnen zugehörigen Gelees berauben." Es trat eine Pause ein. In gespanntester Erwartung blickte der alte Herr auf Lord Ruthbert. Dieser saß in Nachdenken versunken. Wniiderbare Gedanken bewegten ihn. Er bezweifelte nicht die Wahrheit des von Sir Lionel Ge- agten, indem er sich des in der Dorfschenke über ihn ge- ührten Gespräches erinnerte, obwohl seine Worte im Gegensatz l, dem sich befanden, was er am vorhergehenden Tage über eine Vermögensverhältnisse geäußert hatte. An dem alten Herrn war überhaupt Etwas, das mit vernünftigem Handeln und Denken sich nicht im Einklang bringen ließ. Im gegen wärtigen Augenblick machte er indessen ganz den Eindruck eines ungewöhnlich rüstigen Greises, der sich noch im Voll besitz gesunder Sinne befand. „Nun, Lord Rnthbert? Müssen Sie so lange Zeit ge brauchen, sich auf etwas zu besinnen, das nickt des Besinnens Werth ist?" fragte Sir Lionel lauernd. „Ich besinne mich nicht, Mylord, Sie würden mir einen außerordentlichen Gefallen erzeigen, wenn Sie nicht mehr aus die Angelegenheit zurückkvmmen wollten — sie ist für mich erledigt. Etwas Anderes beschäftigt mich, manches mir unerklärlich Scheinende. Verzeihen Sie, wenn ich darauf zurückkomme und es offen ausspreche. Sie sagten mir gestern, Sie seien arm. Ich habe Ihren Worten geglaubt. Wenn dies aber nicht der Fall ist, warum ließen Sie Ihre Enkelin zu fremden Leuten geben, damit sie ihr Brod sich verdiene?" „Machen Sie mir einen Vorwurf daraus? Ist eS nicht gut, wenn ein Mensch lernt, auf eigenen Füßen zu stehen?" „Dagegen habe ich nichts einzuwenden, aber in diesem Falle ist es ihr Unglück gewesen." .DaS ist nicht meine Schuld. Im Uebrigen hören Sie mich an, ehe Sie verurtbeilen. Ich halte Mary nicht für unglücklicher, als sie geworden sein würde, wenn sie von Kindheit an von dem Stand ihres Vermögens unterrichtet gewesen wäre und ein Leben geführt hätte, wie Damen ihres Standes und Reichthums zu führen gewohnt sind. ES mag Ihnen Manches fremd erscheinen; die mich kennen, nennen mich einen barten, geizigen Mann — ich glaube, daß ich eS bin, es sollte mir leid sein, wenn ich anders wäre, ich möchte meinen durch ein freudloses Leben gewonnenen Grunvsätzen nicht treulos werden. Meine Jugend war an Entbehrungen reich, einen um so köderen Werth lernte ich dem Gelde beilegen, und als ich eS trotz allen Fleißes selbst nicht erwerben konnte, suchte ich e« durch meine Gattin zu erreichen. Ich wählte nicht aus Liebe, sondern um mir eine Zukunft zu sickern. Lassen Sie mich über daS Glück oder Unglück meiner Ehe hinweggehen, sie brachte mir nur die Erkenntniß, daß ein« um de« Geldes willen geschloffene Ebe fluchbeladen ist. Meine Gattin starb, mir blieb eine Tochter, die ich abgöttisch geliebt habe. Das Herz wollte sein Recht, nachdem eS lange Jahre hindurch nicht ein einziges Mal schneller geschlagen hatte. Ich umgab mein Kind mit Allem, was nur ein Menschenkind begehren kann, ich träumte von der Zeit, wo dieses Kind, glücklicher als sein Vater, an der Seite eines geliebten Menschen durch das Leben gehen würde. Ick wurde dieses Kindes Ratbgeber, ich warnte es täglich vor der Gefahr, die in der Begründung eine Ehe ohne Liebe liegt, inzwischen aber begann ich schon Reichthum auf Reichthum zu Käufen, ohne daß Jemand davon wußte. Man hielt mich sür wohlhabend, nicht für reich, man schalt mich, daß ich hoch- müthig meiner Tochter eine gute Erziehung zu Tbeil werden ließ, daß ich ihr schöne Kleider und tbeuren Schmuck kaufte, man hielt mich für einen Narren, weil ich sie in eine vor nehme Familie brachte, damit sie die Freuden genieße, welche ich ihr auf dem einsamen Abbot-Castle nicht gewähren konnte. Mein Kind war schön, aber ich hatte es verwöhnt, verzogen, ihm jeden Wunsch gewährt und bei dem ersten, den ich ihm versagte, kam der Conflict, welcher unausbleiblich gewesen war. Ich trug die Schuld — kein Anderer, ich machte Niemanden verantwortlich als mich selber, ich thue es auch beute nicht. Als ich meinen Fehler erkannt hatte, wollte ich ilm verbessern, ausgleichen, gutmachen und verfiel dabei in einen anderen größeren, der »ach dem Vorangegangenen unheilvoll wirken mußte, und auch — gewirkt hat." Sir Lionel Connor hielt ein. Von einer furchtbaren Erinnerung überwältigt, saß er da, leise mit dem alten Kopfe nickend. Er zitterte, und als er seine Hand nach dem leuch tenden Wein ausstreckte, vermochte sie das Glas kaum zu halten. Einen Augenbjick hegte Harry Ruthbert die Be fürchtung, daß in dem Wesen des alten Mannes eine Ver änderung einlreten möge, er zwang in seiner auffallenden Hilflosigkeit zu einem Vergleich mit dem vorhergehenden Tage. Aber schon war der Anfall überwunden. Nachdem Sir Lionel sein GlaS geleert, fuhr er fort: „Meine Tochter heirathete ihren Cousin, der durch mich eine Stellung in der Welt ssich erobert. Er war mir nie sympathisch gewesen, aber ich genügte der Pflicht, indem ich dem Sohne deS verstorbenen BrnderS die Wege zu seinem Fortkommen ebnete. Mit allezeit offener Hand fragte ich nicht nach seinen kostspieligen Neigungen, wenn ich es auch an wohlmeinendem Rath nicht fehlen ließ. Wenn er dem selben nicht Gehör geben wollte, so würde er selbst, nach einer ewigen Ordnung, dafür zu büßen haben, nicht ich. Er stahl mir daS Herr meines Kinde», er zwang mich, ihr zum ersten Male in ihrem Leben etwas zu verweigern, und dann — er war Schuld an dem inneren »nd äußeren Zer- würfniß zwischen mir und dem einzigen Wesen, das ich so unnennbar liebte und dann zu verabscheuen begann. Ja, Lord Ruthbert, eS gab eine Zeit, in welcher ich mein eigenes
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