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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.06.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-06-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950606028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895060602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895060602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
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Merk." mit dem Hinweise darauf entgegen, daß in Bezug auf das Verhalten der Regierung zu den wirthschaftspolltischen Aufgaben zwischen der Aera Hohen lohe und der Aera Caprivi ein höchst bedeutsamer Unter schied bestehe. „Während man in der letzteren Aera" — so begründet das schwäbische Organ seine Ansicht — „seine ganze Kraft auf die Handelsverträge richtete und im Üebrigen sich mit der einfachen Abweisung der wirthschaftspvlitischen Allheilmittel begnügte, hat man sich unter Hohenlohe allen sachlichen Hindernissen und aller persönlichen Gegnerschaft zum Trotz an die Arbeit gemacht, überall da zu helfen, wo mit staatlichen Mitteln geholfen werden kann. Viel böses Blut bat es seiner Zeit auch in ge mäßigteren agrarischen Kreisen gemacht, als Graf Caprivi sich hinter die Reichsverfassung zurückzog, welche ibin für die Landwirlb schüft nichts mehr zu tbun gestatte. Fürst Hohenlohe hat die Verpflichtung übernommen, nicht nur die Mittel des Reiches, sondern auch diejenigen Preußens in An wendung zu bringen, und das geschieht. Von der eifrigen Für sorge für die Landwirthschaft seitens des neuen Fachministers hat man schon mannigfache Beweise. Aber auch für den Handwerkerstand wird durch die geplante (Errichtung eines Centralcreditinstituts für genossenschaftliche Verbände endlich einmal etwas geschehen, dessen Tragweite nicht unter schätzt werben darf. Was aus dem landwirthschafilicken Gebiete der Antrag Kanitz, das ist aus dem kleingewerblichcn der Jnnungszwang mit dem Befähigungsnachweis. Hier wie dort hat das Geschrei einer fanatischen Agitation, daß nur in diesen Radikalmitteln das Heil liege, die Wirkung hervorgebracht, daß die betr. Wirthschastskreise die vorhandenen Hilfsmittel zur Verbesserung ihrer Lage nur allzu sehr unbenützl gelassen haben. Jetzt hat die Regierung eS mutbig unternommen, diesen Hypnotismus zu durchbrechen, indem sie durch zweckmäßige staatliche Einrichtungen und durch allerlei nützliche Winke die ge werbliche und lanbrvirthsckiastliche Bevölkerung von der aus sichtslosen Jagd nach der vollendeten Glückseligkeit auf die Bahn der nüchternen und praktischen Neformarbeit zurückzuführen sucht. Das ist eine recht erfreuliche Wahrnehmung in dieser trüben Zeit, und man kann nur wünschen, daß die Regierung die verdiente allseitige Unterstützung finde." Es wäre ungerecht, wenn man bas Zutreffende dieser Ausführung leugnen oder auch nur abschwächen wollte. In der Thal unterscheidet sich die Aera Hohenlohe von der Aera Caprivi sehr vortheilhaft durch positive Maßregeln zu Gunsten der Landwirthschaft und des Handwerkerstandes. Wenn aber Fürst Hohenlohe bei seinen Bestrebungen zur Förde rung beider Stände die verdiente Unterstützung nicht im erwünschten Maße findet, so hat das seinen Grund nicht allein in dem Treiben fanatischer Agitatoren, die nach Radicalheitmitteln rufen, sondern auch darin, daß diesem Treiben nicht mit der Energie entgegengelreten wird, welche ihm den Boden entziehen würde. GrcO Kanitz und Genossen finden nur zu oft Anlaß zu der Behauptung, der Reichskanzler sei gar nicht völlig abgeneigt, sich bekehren zu lassen, und was die Anhänger des Znnungs- zwanges betrifft, so wird ihnen durch die Meldung, daß demnächst mit dem Geh. Ober-Reglerungsrath Or. Wilhelm, aus dem Reichsamt des Innern der Geh. Ober- Regierungsrath I)r. Sieffert und der Assessor Hvffmann aus dem preußischen Handelsministerium nach Oesterreich sich begeben, um die dort mit der Durchführung der Zwangsorganisation der Handwerker gemachten Erfahrungen zu studiren, neue Hoffnung auf Erreichung ihrer Ziele gemacht. War man über die in Oesterreich mit der Zwangsorganisation des Handwerks gemachten Erfah rungen noch nicht genügend orientirt, so hätte man auch Erklärungen über die Unmöglichkeit oder Zwccklosig- teit^ einer solchen Organisation vermeiden sollen. Gründeten sich aber diese Erklärungen auf genügende Erfahrungen, so sollte man den Anschein vermeiden, als müsse man solche erst noch sammeln. Nichts stellt sich der Neformarbeit der Negierung hinderlicher in den Weg, als der Anschein, sie experimcnlire nur und wisse nicht genau, was sie wolle. Im „Vorwärts" ladet ein englisches Comitö zur Beschickung des für 180» in London in Aussicht genommenen „Inter nationalen socialisnschen Arbeiter- nnv t^rwerkschajts- congresscs" ein. Beachtenswerlh ist in dem Aufruf höasstens die Mittheilung, daß das parlamentarische Cvmilö des Tra des-Un io n-C ongre sses an der Veranstaltung sich bctbeiligt. Der socialdemokratische Charakter der von manchem deutschen Optimisten noch vielfach als im Gegensatz zur social- revolutionairen Bewegung stehenden englischen Gewerk schaften erhält damit die letzte feierliche Bekräftigung. Wie die „Brüderlichkeit", die der Aufruf wiederholt im Munde führt, sich in London bewähren wird, kann man ja ruhig abwarten. Ans dem letzten internationalen „Arbeiter"-Eongreß, der 1803 in Zürich slatlfand. war es damit recht mäßig bestellt. An den ersten Versamm- lnngstagcn kam es zu einer solennen Schlägerei, von der der deutsche socialdemvkratische Abgeordnete Grimpe ein werthvolles Andenken in Gestalt einer Kopfwunde mit nach Hause trug. Es geschah dies aus Anlaß des „Hinaus- fliegens" der Unabhängigen und Anarchisten, das namentlich Herr Bebel lebhaft bewerkstelligte, aber gegen den Wider spruch der Franzosen und der Holländer. Die „Reinigung" führte jedoch keineswegs zu einer besseren Harmonie der Zu rückgebliebenen. Namentlich zwischen „Deulschcn" und Franzosen zeigten sich die Beziehungen gespannt, wobei die französisch - socialistische Werthschätzung einer russisch französischen Allianz die Hauptrolle spielte. Nach der Beendigung des Congresses betonten sogar die socia- listischen Pariser Blätter ausdrücklich ihr Franzosenlbum gegenüber den deutschen Socialdemokraten. Den Herren Bebel, Liebknecht und Singer, die sich selbstgefällig in der Rolle der mächtigsten unter den sociatdcmokratischen Führern Europas zeigten, wurde dieses Vergnügen etwas vergällt durch den sehr demonstrativen Hinweis der „Anderen" auf die Armseligkeit der Maifeier gerade in Deutschland. Die Brüderlichkeit wurde eigentlich nur bei einer Verhandlung, der über die „Agrarfrage", nicht gestört. Hierüber durfte nämlich nicht beratben, sondern nur abgestimmt werden. Auf dem Londoner Eongreß soll die Sache allerdings „in erster Linie" ans die Tagesordnung gesetzt werden. Vielleicht finden aber die „Deulschcn" wieder ein Mittel, die Aussprache, die ihnen besonders unangenehm ist, zu Hintertreiben. Tie Attentate in Rimini und Madrid, von denen das erstere zweifellos auf daS Cvnto der Umsturzpartei gesetzt werden muß, während über die Beweggründe des Madrider Meuchelmordes noch keine ausreichende Klarheit besteht, dürsten jedenfalls so viel darthun, daß unter der Einwirkung der autoritätssei ndlichen Strömung, die das schwerste von den Uebeln bildet, an denen unsere Zeit krankt, das öffentliche Leben tiefernsten Katastrophen entgegengesührt werden muß, wenn es nicht noch rechtzeitig gelingt, die Quellen, aus denen das Unheil fließt, zu verstopfen. Was den in Rimini auf den Tod verwundeten Ferrari betrifft, so haben ihn seine radicalen Partei-Antecedentien nicht vor der Rache der bei den Stichwahlen unterlegenen Socialdemvkratic zu schützen vermocht; und obwohl Ferrari keineswegs zu den unbedingten Anhängern Crispi's gerechnet wurde, hat doch der aus jenen verübte Morvanfall unverkennbar eine Spitze, die sich auch gegen das herrschende Regime kehrt. Die mit Erfolg von Criöpi niedergchaltene Partei des Umsturzes ist mit ver Niederschießung Ferrari's wieder auf den Weg des Terrorismus zurückgekehrt, dessen Verfolgung zur Ver schärfung der in Italien bestehenden politischen und socialen Gegensätze führen und nach Absicht Derer, die ihn betreten haben, dein Ministerpräsidenten seine reorganisirende und rcgenerireude Wjrksamkeil an der Spitze der Staatsgeschäfte nach Möglichkeit erschweren soll. Das Madrider Attentat kehrt zunächst eine andere Seite hervor, indem es darzuthnn scheint, daß in den Kreisen des spanischen Officiercorps keines wegs Alles so in Ordnung ist, wie es im Interesse der Armee und des Landes zu wünschen wäre. Osficiere, wie der, welcher vor etlichen Monaten den außerordentlichen marokkanischen Ge sandten tbätlich beleidigte, und nun wieder der Verüber des Attentats aus den Gouverneur von Madrid, Primo Rivera, bilden eine eminente Gefahr für Ruhe und Frieden, indem das sinnlose Wüthen solcher Individuen jeden Augenblick den Anstoß zu folgenschweren inneren oder auch auswärtigen Ver mehr finden, der die wissenschaftlichen und literarischen Neigungen seiner Jugend über eine lange und wechselvolle Amtslaufbahn , hindurch bis ins hohe Greisenalter be wahrt^ und am «griechischen Kränzchen" zum Studium der (Klassiker, das vor einigen vierzig Jahren begründet ward, auch noch als Minister und verabschiedeter Minister tbeilnimmt. Der jetzigen Beamtengeneration werden die siebzigjährigen altmodisch erscheinen, die sich noch an Sophokles erbauen, daneben aber auch den modernen literarischen Erscheinungen dauernd Aufmerksamkeit widmen. Friedberg stammte noch aus dem Geschlecht, das Nerven und Ueberarbeitung nicht kannte. Der Achtzigjährige war noch Wickelungen geben kann, deren Ueberwindung sich um so I täglich im Weiten, besonders im Thiergarten zu sehen, wo schwieriger gestaltet, je kritischer die Lage des' Staatswesenö l cr strammen Schrittes bei jedem Wetter seine Wege angesichts der unbesriedigenocn Gesammt-Cvnjunctur ohnebin erscheint. Die russische und französische Presse tauscht seit einiger Zeit Liebenswürdigkeiten auch die ein eigenst,ümlickes Licht auf die vutontv „em'ckinle" zwischen beiden Ländern werfen. Sogar eie panslavistiscke „Now. Wremja" betbeiligt sich an diesem Herüber und Hinüber und die Pariser Blätter, wie „Figaro", „Soleil", „Gaulois", „Antoritö" u. A. tbun ein klebriges, um die Stimmung in Petersburg zu verschlechtern. Der Pariser Eorrespondent der „Now. Wremja" citirt ver- chiedene Aeußerungen der Pariser Presse, in welchen es u. A. beißt: Rußland, anstatt die ritterliche Rolle Frankreichs werthzm chlitzen, beschäftigt sich egoistisch nur mit seinen veriöntichen Inter essen, liebäugele init Deutschland und weise Frankreich einen unter- geordneten Platz an. DaS Alles geichebe, nachdem dasselbe Rußland uns nach Kiel geschleppt, wo unsere Anwesenheit ehrenrührig ist. Wir spielen i» dem neugeschassencn Dreibund eine absolut lächerliche und klägliche Rolle. Fürst Meschtscherski widmet im „Grashdanin" dieser Aeußerung eine besondere Beachtung und schließt mit folgenden bezeichnenden Worten: „Wie war ich Loch immer im Recht, als ich selbst in den sana tischstcn Augenblicken unserer Franzojensympathie, ich ganz allein gegen alle Organe der Presse, meinen Zweifel an diesen Shmvathien laut werden ließ und vor Enttäuschung warnte ... Wie groß war Leun der Dienst, den Frankreich Rußland in der japanischen Frage erwies? Hat der Dienst ihm irgend welche Opser oder Anstrengungen gekostet? Keineswegs! Und dessen ungeachtet schon jetzt diese giftigen Vorwürfe gegen Rußland! Doch darob braucht man sich nicht zu wun- Lern oder zu ärgern. Im Gegentheil, man muß sich darüber freuen als über einen unumstößliche» und rechtzeitigen Beweis dessen, wie ein fältig wir wären, wenn wir die franco-russischen Sympathien ernst nehmen. Das sind Groschen-Sympathien. Schön wären wir jetzt mit einem Bündnis) mit Frankreich daran, wo es sich herausstellt, daß schon eine geringfügige diplomatische Intervention giftige Aus- fälle gegen uns hervorruft und ganz dazu angethan ist, den Minister Hanotaux wegen Uebersluß an Sympathien für Rußland zu Fall zu bringen. Frankreich ist ein angenehmer und fideler Partner für ei» Geplauder und für eine partis «ls xlnisir, einen ernsteren Sinn kann es für uns nicht haben, und wir werden immer die Narren bleiben, wenn wir von Frankreich etwas Ernstes ver- langen werden Deutsches Reich. * Berlin, 5. Juni. Der verstorbene Iustizminister von Friedberg war, wie den schon mitgetheilten biographischen Notizen hinzugefügt sei, schlichter bürgerlicher Leute Kind, die sich, wie er selbst in der Jugend, zum jüdischen Glauben be kannten. Er wuchs in engen Verhältnissen zum Knaben heran und erhielt in Danzig seine Gymnasialbildung. Um das ungemein knappe Taschengeld etwas mit den Anforde rungen des Lebens in Einklang zu bringen, sah er sich ge zwungen, schon als Schüler Hauslehrer zu werden. Friedbcrg wurde ein Mann von bedeutendem Wissen, von ungewöhnlicher Pflichttreue und, was in der jetzigen Beamtengeneration immer seltener wird, von einer über das Fachstudium und das amt liche Ressort weit hinausgehenden historischen und literarischen Bildung und großer Menschen- und Weltkenntniß. Man wird unter den jetzigen hohen Staatsbeamten wohl keinen machte. Im eifrigen Gespräch mit Camphausen, mit Delbrück, zuweilen mit Maybach, sah man ihn häufig, auch mit alten journalistischen und literarischen Bekannten. Eines Tages kam Friedberg, so erzählt die „F. Z.", mit Büchern beladen von der Bibliothek her und theilte einem über dieses für eine Thiergartenpromenade etwas ungewöhnliche Gepäck Verwunderten mit, daß er die eben erschienene Broschüre Quivde's „Caligula" gelesen und das Bedürsniß gefühlt habe, sich aus den ^Quellen zu überzeugen, wie Ouidde citirt und ausgelegt habe. Auch in seinem äußeren Auftreten war der Verstorbene der Vertreter des alten preußischen Beamtenthums. Die neuen Minister seben anders aus als die verabschiedeten, denen man in Berlin ». begegnet. Der schwarze Rock alten Schnittes, die sckwarze Binde und die Hemdkragen, wie sie Friedberg trug, altmodisch und doch vornehm, gehören einer verflossenen Periode an. — Das Begräbnis; Friedberg's fand heute unter außerordentlich starker Bethciligung des Hofes, der Ministerien, Gelehrtenkreise rc. statt. Kaiserin Friedrich, die den Hvfmarschall von Reischach und den Kammerherrn von Wedel entsandt hatte, widmete dem Entschlafenen einen besonders schönen Kranz. * Berlin, 5. Juni. Bon der gewissenlosen Art der socialdemokratischen Verhetzung, die kem Mittel zur Verbitterung ihrer Opfer verschmäht und selbst die gröbsten Widersprüche nicht scheut, führt die „Berl. Börsenztg." ein lehrreiches Beispiel an, indem sie schreibt: „Es ist Sitte ge worden, von jedem verstorbenen „Genossen" in der social demokratischen Presse Notiz zu nehmen und häufig hinzu- rufügen, daß er an der — Proletarierkrankbeit starb. Damit ist die Schwindsucht gemeint. Daß dieser Würg engel der Menschbeit die „bevorzugten Classen", wie es agitatorisch immer heißt, eben so wenig verschont, wie die durch Mangel an Gaben oder Mitteln zur Unselbstständigkeit gezwungenen Arbeiter aller Grade, ist offenkundig. Nichtsdestoweniger wird durch daS Wort „Proletarierkrankheit" in den von Mißgunst gesättigten Seelen das verbitternde Empfinden erweckt, sie seien die Einzigen, die der Krankheit zum Opfer fallen. Wären die Volköverführer thatsächlich „Freunde der Proletarier", sie gäben ihnen das einzige prophylaktische Mittel an die Hand, der „Proletarierkrankhcit" aus dem Wege zu gehen. Sie würden ihnen davon abrathen, in die großen Städte überzusiedeln, wo ihrer geringen Intelligenz kaum andere Aussichten sich bieten, als im Tagelobn in Fabriken zu arbeiten. Sie würden ihnen rathen, die Landarbeit der Fabrikarbeil vorzuziehen, um gesund zu bleiben. Diese Machthaber brauchen aber Unzufriedene, darum hüten sie sich wohl, ihnen menschliche Lehren zu bieten, sondern schmeicheln ihrem ungerechtfertigten Egoismus, ihrem Neid und — sind dann ihrer Stimmen sicher. Wie falsch dies Vorgehen ist, wird aber noch deutlicher, wenn man gleichzeitig in den erwähnten Blättern den Hinweis auz die Verlotterung der entnervten „besseren Classen" liest. Aus der einen Seite wird die „kapitalistische Gesellschaft" als morsch und innerlich an gefault geschildert, deren Zusammenbruch stündlich bevorsteht, weil sie physisch und psychisch krank ist, auf der andern Seite Wird derselbe kräftige Proletarier, der sie zu ersetzen berufen Fenilletsir. Die Erbin von Abbot-EajUe. L6j Original-Roman von F. Klinck-Lütetsburg. Nachdruck verboten. (Schluß.) Lord Ruthbert wußte kaum, ob cr sich über die Nachricht freuen sollte. Er dachte mit Unruhe an den Zeitpunkt, zu welchem die Verhandlungen geführt und seine leidende Gattm vielleicht, nein, gewiß als Zeugin vernommen werden würde. Und dabei hatte er noch so wenig Vertrauen in der ganzen Sache. Wenn sie nun erfolglos verlief, wenn man Will Gull- bam gleichfalls sreisprechen mußte, weil seine Schuld nicht hinreichend erwiesen war. Von der Stunde an, in welcher er diese Nachricht von Mr. Primrose empfangen, fühlte er sich aufs Neue von einer kaum überwundenen Unruhe beherrscht, die er nicht immer Mary verbergen konnte, weil sie ibn unausgesetzt argwöhnisch beobachtete. Immer mehr schwand seine Zu versicht, daß dies Ganze einen nur erträglichen Ausgang nehmen könne — es gab keine Rettung, sie würden beide hinabgezogen werden, untergehen an verdunkelter Ehre. Dann schmolz der Schnee dahin, Frllhlingsahnen zog durch die Welt. Von den Höhen rauschte eS hernieder, der Waldbach stürmte schäumend und brausend in wilder Eile nach, welcher riesige Eisschollen stromabwärts trieb, dem Meere zu. Der Schnee war im Lause weniger Tage zu einer dünnen, schmutzigen, grauen Schicht zusammengeschmolzen, hier und da begegnete daS Auge schon schwarzen Erdstrichen. Sonnenschein, von warmen Erdschauern abgelöst, waren be hilflich, den Bann des Winters zu brechen und unterstützten die Zeit, ibn rasch zu vertreiben. Lord Ruthbert hatte seit einiger Zeit nickt wenig von seiner Lebens- und Schaffensfreudigkeit eingebüßt. Mil welcher Freude sah er sonst dem Augenblick entgegen, wo hlreiche Anforderungen an ihn herangetreten waren, seine sich selbst gestellte Aufgabe aufs Neue erfolgreich in Angriff zu nehmen. Er fühlte nichts von der Ungeduld, die ihn ehemals in Wald und Flur Hinausgetrieben, nichts von dem Verlangen, überall selbst Hand anzulegen, wenn es sein mußte, oder wenigstens nachzusehen. Er mochte Ruthbert-Hall kaum noch auf einige Minuten verlassen. Die zarte Gesundheit seiner Gattin würde kaum noch einem ernsten Sturme trotzen können, und er wußte nicht, ob nicht schon die nächste Stunde einen solchen herbeisühren würde. Wie immer, mit trüben Gedanken beschäftigt, saß Lord Ruthbert an seinem Schreibtisch, um einige Briefschaften zu ordnen, als Bob plötzlich mit der Meldung eintrat, daß die Holzfäller, welche angewiesen waren, eine morsche Eiche zum Sturz zu bringen, am Waldrand, dicht an dem Fußwege, welcher der Cottage zuführte, eine männliche Leiche unter dem Schnee gesunden hatten. Sie mußte also schon inebr als sechs Wochen dort gelegen haben, sollte aber noch sehr gut erhalten sein, was wohl dem starken Frostwetter zuzuschreiben gewesen war. Lord Ruthbert wurde so aus einer unangenehmen Stim mung in die andere versetzt. Er erhob sich sogleich, um nach der Evttage zu reiten, während er den Reitknecht in die Stadt schickte, die Polizei zu verständigen. Er vergaß nicht, der Dienerin zu sagen, daß Lady Ruthbert der Vorgang ver schwiegen bleiben solle, damit sie nicht in eine unnöthige Auf regung versetzt werde. Es war ein schöner, sonniger Frühlingstag, und unter anderen Verhältnissen würde Harry Ruthbert sich dem vollen Genüsse eines solchen hingegeben haben. Heute ritt er finster des Weges dahin. Er sah nicht die schwellenden Knospen, nicht das Keimen und Sprossen auf hem Boden des Waldes, hörte nicht auf die Vogelstimmen, deren jeder einzelne Lock ton ihm bekannt war. Wie batte er im Laufe einer ver- hältnißmäßig kurzen Zeit sich verändert! Dem Ausgang des großen Waldweges zureitend, hörte er Stimmen. Die Polizei war schon früher zur Stelle ge kommen. da einer der Holzfäller sogleich auf dem kürzesten Wege in die Stadt gelaufen war, um Anzeige von dem Fund zu erstatten. Die Leiche lag noch, wie sie gefunden worden war, nur das Gesicht, das schon scbr entstellt ge wesen, batte man mit einem Tucke bedeckt. Man erwartete die Träger, um die Aufhebung der Leiche bewirken zu können. Trotz der durchnäßten und tbeilweise beschmutzten Klei dung, erkannte man auf den ersten Blick, daß der Träger derselben den besseren Ständen angehörte. Der Commissar erklärte Lord Rutbbert auch sogleich, daß Mord oder Raub mord ausgeschlossen sei. Der Todte habe die That selber begangen. Papiere, die über die Person desselben hätten Auskunft geben können, waren nicht vorgefunden worden, aber eine wertbvolle Ukr mit Kette, ein Ring mit Solitair an dem kleinen Finger und eine gefüllte Börse bezeigten, daß der Todte nicht etwa um pecuniärer Sorgen willen aus der Welt gegangen war. In demselben Augenblick als der Commissar diese Aeußerung gemacht, war Lord Ruthbert von seinem Pferde gestiegen, und während einer der Holzfäller daS Thier hielt, trat er einige Schritte näher heran. Die Sonne sandte gerade ihre Strahlen auf den Todten und so blitzte Lord Ruthbert plötzlich etwas Leuchtendes entgegen. Er verfärbte sich, fühlte sich aber auch in demselben Augenblick von einer unheilvollen Befürchtung erfaßt. „Herr Commissar, ich glaube, ich kenne den Todten", sagte er beinahe mit tonloser Stimme. „Es ist der Neffe des verstorbenen Grafen SaunderS, Sir Will Gullham." Er war es in der That. Wenige Minuten später, während welcher ^eit die Leiche auch von einem der Holzfäller als diejenige eines Herrn er kannt worden war. der im verflossenen Sommer auf Ruthbert- Hall als Gast gewesen, kamen die Träger mit einer Bahre. Der Selbstmörder wurde aufgehoben, um in die Stadt ge bracht zu werden. Lord Ruthbert ritt heimwärts, düsterer und in sich ge kehrter, als er gekommen war. Er sah bleich auS, und er atbinete wiederholt tief und schwer auf. Ein bitteres Lächeln umspielte seinen Mund. Nun war jede Hoffnung auf einen Ausgleich verschwunden. Will Gullbam batte der irdischen Gerechtigkeit sich entzogen, aber wenn auch der eine oder andere seine Tbat als ein Schuldbekenntniß aufsassen würde, von Mary's Sckuldern war die Last nicht genommen worden. Die junge Frau fühlte, daß den Gatten etwas schwer be drückte und sie wußte, daß es nicht nur ibr eigener Zustand war. Mit dem alten Argwohn bemerkte sie gar bald, daß er ihr etwas zu verheimlichen und verbergen bemüht war. Er la« die Zeitungen in seinem Arbeitszimmer, während er sie früber beim Frühstück in Empfang genommen. Sie hatte nie nach einer Zeitung gefragt, sie kaum eines Blickes ge würdigt, aber es mußte ihr doch auffallen, daß sie selten ein Tagesblatt fand, ja, daß er ein solches einmal sogar mit einer ungeduldigen Bewegung ihrer Hand entrissen, als sie dasselbe ahnungslos batte Zusammenlegen wollen. Mary war nur zu sehr geneigt, in diesen an sich unbedeutenden Glückg- keilen neue Anzeichen für die Unveständigkeit ihres Kleines zu sehen. Lord Ruthbert hatte sehr recht gethan» die Zeitungen vor den Augen seiner Gattin zu verbergen. Wochenlang ent hielt fast jede Nummer neue Mittheuungen über den Tod eines jungen Mannes, der sich in unglaublich kurzer Zeit eine höchst achtungSwerthe und einträgliche Stellung in Kalkutta erworben und dadurch den Beweis erbracht hatte, daß nicht die Ungerechtigkeit eines alten Mannes hemmend auf ihn gewirkt. Er hatte gezeigt, daß er den Reichthum nickt zu seinem Fortkommen gebraucht, sondern auf eigenen Füßen zu stehen gewußt. Plötzlich aber sei von irgend einer Seite her der Verbackt auf ihn gelenkt, daß er an dem Tode des alten Grafen SaunderS bctheiligt sei, und seltsamer Weise auch die Anklage gegen ihn erhoben worden. Der Leser werde sich noch ganz genau jenes Protestes erinnern, ver vor allen Dingen dargethan, daß Will Gullham nicht das allergeringste Interesse an dem Tode des alten Grafen gehabt baden könne. Die ihm angethane Schmach habe Will Gullbam unzweifelhaft in den Tod getrieben, nachdem er sich seiner bereits angeordneten Verhaftung durch die Flucht entzogen. So wurde vorwiegend geurtbeilt, und es fehlte sogar hier und da nickt an gehässigen Angriffen auf die Urheber eins»
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