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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.06.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-06-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950611022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895061102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895061102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-06
- Tag1895-06-11
- Monat1895-06
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Mts. ab eine erste halbjährliche Ab schlagszahlung von ein und dreioiertel Procent oder 52 Mark 50 Pfennig für den Dividendenschein Nr. 13 bei der ReichSbank-Hauptcasse in Berlin, bei den Rrich-bankhauptstellen, Reichsbankstellrn, der Reichs- bank-Tommandite in Insterburg, sowie bei sämmtlichen Reichsbank- vebenstellen mit Casseneinrichtung erfolgen. Berlin, den 7. Juni 1895. Der Reichskanzler. In Vertretung: v. Boetticher. Politische Tagesschau. * Leipzig, 11. Juni. Die ultramontane Presse ist sich vollkommen bewußt, daß den Vorgänaen im Alexianerkloster Mariaberg nicht so sehr wegen des Lichtes, das sie auf die Irrengesetzgebung und die sonderbare Beschaffenheit einiger Aerzte werfen, die Be deutung zukommt, dir ihnen die civilisirte Welt beimißt, sondern daß die große Wirkung des Aachener Falles der Beleuchtung zuzuschreiben ist, in der diese Vorgänge die einer völligen Freiheit überlassene Kirche zeigen. Die „Köln. Volkszt." beginnt, nachdem sie die Änstandsdepense eines Bedauerns über die Mißhandlung der Aermsten unter den Armen durch geistliche Brüder gemacht, den Thatbestand zu verwischen und von Andeutungen zu der Vermuthnng überzugehen, in weltlichen Irrenanstalten gehe es nicht anders zu, als in dem bloßgestellten Kloster. Die Bemerkung des ultramontanen Blattes, die Alexianer- brüder hätten, wenn man ihrem Ersuchen, in Berlin „wirken" zu dürfen, Folge gegeben hätte, die Irren Wohl ebenso gut gepflegt, wie es in der Anstalt Dalldorf bei Berlin geschieht, hat ja doch keinen anderen Zweck, als die Leser glauben zu machen, in Dalldorf würven die Kranken ebenso schlecht behandelt wie in Mariaberg. Und übermorgen wird man lesen, in Irren häusern lasse sich die Sache überhaupt nicht anders machen. Dieses jesuitische Manöver muß jedoch schon gegenüber dem maßlosen Erstaunen der Sachverständigen, die solche Vorgänge, wie die im Proceß geschilderten, nicht für möglich gehalten hatten, scheitern. E« ist da uichtS zu beschönigen und zu vertuschen. Derartiges kommt in weltlichen Anstalten, Deutsch lands wenigstens, nicht vor, und wenn die klerikale Presse nach Präcedenzfällen sucht, so wird sie abermals vor ein Klostcrthor zu stehen kommen, vor jenes Krakauer Kloster, in dem eine Barbara Ubryk auf gefunden worden ist. Und die Unthaten der Brüder von Mariaberg können nicht auf individuelle Rohheit und Lust am Quälen zurückgeführt werden; der Proceß hat erwiesen, daß eS sich um eine Institution handelt, wie denn auch eine Berufung der zu Angeklagten gewordenen Kläger auf die „Tradition" mehrfach erfolgt ist. Schon das ängstliche Fernhalten der Aerzte, obwohl diese — wir urtheilen nach dem allgemeinen Eindruck — zu den Gut gesinnten nach klerikaler Auffassung gehören dürsten, deutet auf die Absicht, die Kranken nickt als Kranke zu behandeln. Desgleichen die Uebertragung der Leitung an gänzlich ungebildete Personen, die der Staatsanwalt verantwortlich machen mag, für deren Verhalten aber die sittliche Verschuldung anderswo zu suchen ist. Hätte die kirchliche Aufsichtsbehörde in der Behandlung der Irren etwas Mißbräuchliches erblickt, so hätte sie schon vor Jahresfrist Remedur eintreten lassen können. Damals erschien die Schrift Mellage's und einer geistlichen Prüfung ihrer Angaben hätten sich nicht die Hinder nisse entgegengestcllt, welche die aus gleichem Anlaß angestellten Nachforschungen der Staatsanwaltschaft zu einem negativen Ergebniß gelangen ließen. Ein Interesse, den Dingen auf den Grund zu kommen, hat sich auch später nicht verrathen. Zwar wurde die Verleum- dungsklage gegen Mellage anhängig gemacht, aber das Verhalten des Bischofs von Aberdeen, der über den Geistes zustand der Eltern des Forbes unrichtige Angaben machte, der Terrorismus, der gegen Mellage und seinen Vertheidiger geübt wurde, und die Beeinflussung von Zeugen sprechen nickt dafür, daß mit der Klage die Ermittelung der Wahrheit be absichtigt war. In den Kreisen der „Köln.Volksztg." scheint man sich vielmehr gewissen Erwartungen hingegeben zu haben, welche die Gerichtsverhandlung enttäuscht hat. Wenigstens vermag das Blait einen starken Verdruß über die Zulassung einer unbeschränkten Beweisaufnahme nicht zu verbergen. Alles in Allem wird Niemand sagen können, in Mariaberg wollte man eine ordentliche und humanne Irrenpflege, hat sich aber in der Auswahl der Organe vergriffen. Vielmehr liegt auf der Hand, daß die geistliche Behörde, da die weltliche Aufsicht fehlte, gänzlich außer Stande war, eine ent sprechende Behandlung der Kranken auch nur zu er möglichen, geschweige denn zu sickern. Sie steht mit ihrer Auffassung des Irrsinns im Mittelalter und verinuthlich darf sie sich derselben nicht begeben. Jedenfalls ist bewiesen, daß die im Namen der Sittlichkeit und Menschlichkeit unaus gesetzt geforderte Beseitigung eines jeden staatlichen Aussichts- rechtes über die kirchlichen Anstalten eben um der Sittlichkeit und Menschlichkeit willen nicht gewährt werden kann und daß den geistlichen Behörden schon mehr Freiheit eingeräumt ist, als nicht etwa nur der Staat, sondern auch die Gesellschaft vertragen kann. Es giebt noch andere ebenso wichtige An stallen wie Irrenhäuser, die rein „geistlich" geleitet werden, ohne rein religiöse Aufgaben zu erfüllen. Wie mag es Wohl in diesen stehen? In der französischen Deputirtenkammer entlud sich gestern ein förmliches Interpellationsgewitter wegen der Haltung der französischen Politik bezüglich der Ereignisse in Ostasien und der Annahme der Kieler Einladung über den Häuptern des Ministeriums Ribok, aber wenn es auch zu etwas lauterem Donnergepolter als neulich bei der gleichen Gelegenheit im Senat kam, es war doch auch nur Theater donner, der nicht einmal im Stande war, ein auf so schwachen Füßen stehendes Ministerium, wie das gegenwärtige, ins Wanken zu bringen, geschweige denn zu stuv die Verhandlungen an anderer Stelle Sachlich brachte die Beantwortung des Socialisten Milleraud durch den wärtigen Hanotaux nichts wesentlich charakterisirte er die Theilnahme an der Eröffnung des Nord ostseecanals als einen Act internationaler Höflichkeit, betonte aber mit Rücksicht auf die größere Zahl der in der Kammer sitzenden Revancheradaupolitiker noch mehr als im Senat, daß die Politik der Regierung keine solche der Verzichtleistung sei, und daß Frankreich auch heute seine Erinnerungen nicht ver gesse. Wir brauchen nicht zu wiederholen, daß in Deutsch ianv kein Mensch dem Minister diese Rücksichtnahme auf Elemente verargt, die zwar nicht, wie Goblet behauptet, dal französische Volk repräsentiren, aber bei der Zerfahrenhei der Regierungsparteien stark genug sind, jederzeit Verwirrung anzurichten und die Staatsmaschine ins Stocken zu bringen Von großer Wirkung waren die Aeußerungen Hanotaux' denen sich auch Ministerpräsident Ribot anschloß in Bezug rzen. Wir geben ausführlich wieder, der Interpellation Minister des Aus- Neues. Auch hier licken Schaden gebracht, ^den anderen aufrichtung deS Landes europäischen Evncert W'»?uV^ NN ng bei. Auffallend war. daß sowohl Hanotaux als R'vol v ttnem Bündniß Frankreichs m.t Rußland -d-te^ R.l^s diesbezügliche Aeußerung konnte als eine beiahel U nvo Senat der Anzapfung, die Regierung sollenden -ounrnib vertrag veröffentlichen, absolutes ^^eigen gegenn er, tz ^ weiß man so wenig als vorder und «nn unter di-s-m „Bündniß" sich alles Mögliche denken. .. D' hängen wir nur noch das offene ZugestanwnßR'bosRu^ la»d und Deutschland hatten .... s-rneu Osten ...cht a le n thätig bleiben dürfen, etwas niedriger. Es bildet eine tc zeichnende Ergänzung zu der Betheuerung Hanotaux.Frank reich habe seinen Verbündeten nicht den Schwierigkeiten der Lage überlassen können, und bestätigt, daß zuerst Nußlai r und Deutschland in der Frage der Intervent,°>, einig gewejcn sind, als Dritter hätte sich dann Frankreich dazwischen ge schoben. — Die Majorität, mit welcher die Kammer der Regierung das Vertrauen votirte, 362 gegen io.. Elluiiiieu, war eine sehr bedeutende und das Ministerium ist als Sieger auS der Schlacht hervorgegangen. Es mutz sich aber schon wieder zu neuem, noch heißerem Kampfe rüsten, denn der Abgeordnete Deloncle hat bereits eine Inter pellation wegen des russisch-französischen Finanz geschäfts angemeldet. Letzteres besteht angeblich darin, daß Rußland die absolute Garantie für eine chme,siche Anleike ,n Höhe von 16 Millionen Pfund Sterling übernimmt, welche durch eine Gruppe französischer Banken zum Abschluß ge langen soll. Bemerkenswerther Weise herrscht in Frankreich Zurückhaltung und Bedenken gegenüber vem „Vorzug , welcher dem Pariser Geldmarkt gegeben worden. Die großen Zeitungen haben bisher fast sämmtlich über die Angelegenheit Schweigen beobachtet. Ein radicales Blatt, die „Lanterne", äußert sich sebr mißvergnügt; sie schreibt: Diesmal hält man die Franzosen denn doch für zu dumm. Sollte es aber gelingen, ihnen diese neue Combination annehmbar zu machen, so wäre ihre Äimpelei grenzenlos und unheilbar. Schon hat sich Frankreich von Rußland zu einer Intervention im äußersten Osten hinreißen lassen, wo seiner nur Verluste harrten, und jetzt sollte es auch noch zahlen! Eine Anleihe, die von den drei Jnterventionsmächtcn gewährleistet worden wäre, hätte nach ihrem Einschreiten zwischen China und Japan einen Sinn gehabt, so aber reißt Rußland unverfroren jeden Vortheil an sich und möchte Frankreich die Last ausbürden I Tie russische Freundschaft fängt an, uns theuer zu stehen zu kommen. Es giebt in Frank reich viele Leute, die gern wissen möchten, was sie uns eigentlich einträgt, und ob wir uns noch lange zum Schaden unserer Börse und unserer Würde gutwillig foppen lassen werden. Auch der „GauloiS" will nichts von dem Geschäft wissen. Er schreibt: Ehe aber diese Anleihe cmittirt wurde, vollzog sich ein Ereigniß, welches Politiker ohne Bedenken als den kühnsten Theatercoup be zeichnen, den Rußland seit Peter dem Großen gemacht hat Rußland erlangt aber diesen Vortheil unter unverhofften Be dingungen. Indem es seine Eisenbahn durch die Mandschurei führen läßt wird es heute Gläubigerin Chinas, es erhält eine Hypothek auf China, es errichtet sein Protectorat über China. Kommen dann günstige Umstände, jo wird diese geschickte Politik ihre natürliche Entwickelung haben. Weiter wird aber hervorgehoben, daß Rußland diese Vortbeile erlange, ohne den eigenen Geldbeutel zu öffnen, da der Erfolg der Anleihe in Frankreich gesichert sei. Der GauloiS" kann nicht umhin, die Frage aufzuwerfen, ob der 'ranzösische Minister des Auswärtigen sich eine Eompen- ation von Rußland habe zusichern lassen, „dem Frankreich oeben einen Dienst ersten Ranges geleistet hat, einen Dienst, den vielleicht niemals eine Nation von einer anderen er halten hat". Am Schlüsse wird dann noch bestimmter an- »edeutet, daß nur die Regel äc> nt «los als die Grundlage und das Ziel jeder Allianz und eiueS jeden Einvernehmens angesehen werden dürfe. Durch die Thronrede, mit welcher König Humbert gestern die italienische Kammer eröffnet hat, geht ein Zug zuversichtlicher Hoffnung auf die völlige Gesundung der Staatsfinanzen, die bereits in erfolgreicher Weise angebahnt ist und vermittels weitgreifender Verwaltungsreformen weiter- zesührt werden soll. Einen ganz vorzüglichen Eindruck macht es, daß die zu erwartenden budgetären Ueberschüsse mit ver wendet werden sollen zur Inscenirung großer socialer Reformen. Dieser Passus der Thronrede ist außerordent lich warm gehalten unv, namentlich durch den Hinweis auf weiter in großem Umfang bevorstehende Begnadigungen der bei den letzten socialen und anarchistischen Wirren Ver urteilten, geeignet, bis tief hinein in die Reihen der „Unversöhnlichen" versöhnlich zu wirken. Die Thronrede sagt in dieser Hinsicht: Noch eine Verantwortlichkeit ruht in gleicher Weise aus allen Gutgesinnten, noch ein Werk giebt es, z» dem wir alle berufen sind: es ist der sociale Friede. Meine Regierung mußte diesen Frieden als Hüterin der Ordnung durch die Gewalt aufrecht halten, sie stimmt jedoch mit mir darin überein, daß der Anwendung von Gewalt die des Wohlwollens unter Mitbürgern vorzuziehen sei, und da den repressiven Maßregeln die Gnade gefolgt ist und in »och ausgedehnterem Maße folgen wird, sobald durch die wiederhergestellte Ordnung die Bürg- schüft einer nicht ohne Zwang zu erhaltenden Stabilität gegeben ist, so rechne ich daraus, daß ein wirksamer Einfluß aus die unbewußt Handelnden und die Irregeleiteten geübt werden wird durch die Gesetzgebung, welche dem Grundsatz der Brüderlichkeit unter den Menschen immer Höhere thatsäch- liche Bedeutung zu leihen bestimmt ist; nach dieser Richtung wird auch die erziehliche Sendung der Schule wirksam sein. Ich habe, wie Sie wissen, den Ruhm meiner Negierung in der Ver besserung deS Looses der Bedürftigen gesucht. Sie werden an dem Glücke meiner durch glückliche Ereignisse erfreuten Familie nicht besser theilzunehmen vermögen, als indem Sie dahin wirken, daß es in der großen italienischen Familie Nie- manden gebe, der durch Gewaltthätigkeit oder Haß zu leiden hätte. In diesem letzten Satz macht der König in sympathischen Worten die Sache der socialen Reformen, des Friedens zwischen den einzelnen Gliedern der „großen italienischen Familie" zu seiner persönlichen Herzenssache, zur Sache seines Hauses. — Von inneritalienischen Angelegenheiten, die in der Thronrede Erwähnung finden, interessirt noch in besonderem Maße die Ankündigung von Iu st izre formen, welche es in Zukunft unmöglich machen sollen, daß Männer in hohen Stellungen, wie Giolitti und Genossen, das Werk politischer Opposition mit den Mitteln persönlicher Verleumdung zum Schaden deS Staatsganzeil straflos betreiben können. Es heißt in Bezug auf diese Reform, die heftigen Widerspruches sicher sein dürfte: Die oberste Bürgschaft jeder bürgerlichen Gesellschaft ist eine sichere, rasche, für Alle gleiche und über Allen stehende Justiz. Meine Regierung wird Ihnen mithin einige Aenderungen der zur 4j Feuilleton. Haus Hardenberg. Roman von Ernst von Waldow. (Fortsetzung.) Nachdruck verboten. „Breitkopf, ich verbiete Ihnen, weiter zu reden, den» Sie sind stets langweilig, wenn Tie persönlich werden." ES war eine klangvolle Frauenstimme, welche diese Worte sprach, die Hardenberg aus seinem Sinnen jäh erweckten. Der Platz, auf welchem er sich befand, war am Eingänge in einen schmaleren Seitenpfad gelegen, der die breite Allee schräg durchschnitt und von dieser durch dichtes, schon völlig belaubtes Fliedergebüsch abgetrennt. Er vermochte die Beiden zu sehen, welche in der Allee stehen geblieben waren und ihm den Rücken zuwendeten. Es schien ein ungleiche« Paar zu sein. Sie hoch und schlank gebaut, sicher noch jung, darauf deuteten wenigsten« die Körper- svrmen und das üppige Lockenhaar hin, er klein und untersetzt, in schwarzem Sammetrock, auf dem Kopfe einen sogenannten Rembrandthut. Jetzt wendete er sich um und Hardenberg erblickte ein bartloses, volle« Gesicht mit treuherzigem Ausdruck und großen blauen Augen, das hübsch zu nennen gewesen, wenn nicht die Haut durch eine Menge Sommerflecke verunstaltet worden wäre. Die Stimme war hoch und dünn, mit der „Breitkopf", denn so mußte der junge Mann wohl heißen, da ihn seine Begleiterin mit dem Namen angrredrt, nun zu sprechen begann: „Mein gnädiges Fräulein —" „Wie oft soll ich Ihnen noch wiederholen, daß Sir mich nicht mit dieser albernen Anrede ärgern sollen. Ich bin Ihnrn ganz und gar nicht gnädig und zweitens haben Sie in meiner Gesellschaft zu vergessen, daß ich dem weiblichen Geschlecht angehöre. Für Sie bin ich „Eollr-e Saalfeldt", und damit Punktum." „Wenn man nur immer so auf Kommando vergessen könnte", meinte kleinlaut der Gescholtene. „O, das lernt sich in der Schule des Leben«." E« klang so viel Bitterkeit au« dem Ton, mit dem diese Bemerkung hingeworfen worden, daß inan leicht hätte errathen können, sie sei keine allgemeine, sondern das Resultat trüber persönlicher Erfahrungen. Breitkops seufzte statt aller Antwort. „Nun werden Sie gar noch sentiäiental", scherzte das Mädchen, den Kopf wiegend und so Hardenberg einen Blick aus ihr ansprechendes, ausdrucksvolles Gesicht gestattend. „Das passirt Ihnen stets, wenn Sie gut gesrühstückt und zu viel Bier getrunken haben. Vorwärts denn, ich höre Leute kommen, wenn man uns hier in der einsamen Allee bei diesem tßto-ä-ttzts erblickt, könnte man uns für ein Liebespaar halten, das sich gezankt hat und nun alle zehn Schritte stehen bleibt, um sich zu versöhnen." Jetzt errötbete Breitkopf und den Blick senkend, um nicht das spöttische Lächeln der jungen Dame zu sehen, schritt er schweigend an ihrer Seite weiter. „Virsgo!" murmelte Hardenberg, den Kopf schüttelnd. „Dieser „Eollege Saalfeldt" ist ja ein wabreS Prachtexemplar! Ärmer Breitkopf, Du hast wenig Aussicht, das Herz dieser Kunstgenossin zu rühren, und das ist jedenfalls ein Glück für Dich. — Gottlob, daß Valeska Erbach keine derartigen Gelüste zu haben scheint!" Eine Blutwelle färbte das für gewöhnlich blasse Antlitz des Kaufherrn, als er in seinem Gedankenganae bei der jungen Erzieherin angelangt war, die einen so tiefen Eindruck auf sein Herz gemacht zu haben schien. Was ging es ihn denn im Grunde an, ob Fräulein v. Erbach die Ausschreitungen ihres Geschlechts verdammte, wo es sich um die Gleichberechtigung mit den Männern handelte, und die Emanzipationsbestrebungen eine Krankheit des Jahr hunderts genannt hatte, die noch dazu ansteckend sei. Warum hatte er „gottlob" gesagt — war er denn wirklich in das schöne Mädchen verliebt? Narrheit — der Müßiggang und da« FrühlinaSahnen bringen solche Grillen in das Gehirn eine« sonst passabel ver- nünstigru Menschen. Und eine Viertelstunde danach kämpfte dieser passabel ver nünftige Mensch mit dem Wunsch», im Goldstücker'schrn Haizje einen Besuch zu machen! DaS ging aber denn doch nicht an, eine solche Hast, den conventionellen „Ouittungbesuch" zu machen, hätte aufsallen müssen. Hardenberg kehrte in sein Hotel zurück, zufrieden mit sich selbst, weil er einer Versuchung widerstanden. Er würde vielleicht weniger zuversichtlich gewesen sein, wenn er sich genau erforscht und den wahren Grund entdeckt hätte, der ihn zum Ankäufe des theurcn Reitpferdes bewogen. Valeska hatte gestern nämlich im Laufe des Gesprächs, das er mit ihr über Erziehung der weiblichen Jugend geführt, die Aeußerung gethan, daß sie nur eine Passion besitze, welche man ihr als unweiblich auslcgen könne — sie sei eine wag balsige Reiterin und entbehre dieses Vergnügen jetzt recht schmerzlich. Eigentlich batte Hardenberg den Tattersall besucht, um ein paar neue Wagenpferde zu kaufen, nachdem er jedoch den Goldfuchs gesehen und Baron Soltendorff ihm gesagt, daß dies ein gut zugerittenes Damenpferd sei, bezeigte er Lust, das Thier zu erstehen, und kaufte auch noch das zugehörige Sattel- und Zaumzeug, weil beides besonders elegant ge arbeitet war. Während seines Aufenthalts in Berlin sollte Valeska Erbach mindestens täglich einen Ritt auf dem Goldfuchs machen, die Erlaubniß dazu wollte er schon von Freund Goldsiücker auswirken. Natürlich würven der Hauptmann und er die junge Dame begleiten. Was dann später mit dem Goldfuchs geschehen sollte, hatte sich Wolfgang Hardenberg noch nicht klar gemacht, oder, rickttiger gesagt, er vermied es noch instinktarlig, Klarheit ,n seine Wünsche unv Hoffnungen zu bringen. Der EirkuS Renz war wie gewöhnlich überfüllt, nur in einer geräumigen Loge des zweiten Ranges, welche die Mitglieder de« adeligen Elubs für sich gemiethet, war noch Platz, da die meisten Besucher sich erst spät rinstellten. Hauptmann v. Erbach und Baron Soltendorff jedoch hatten sich Heu e früher e,«gefunden, um bei dem Stelldichein m.t dem Breslauer Großhändler nicht zu fehlen, sie hatten ihm genau die Nummer der Loge angegeben und wollten auch anwesend sein, wenn der Fremde ihnen dort einen Besuch machte, deute aus der Provinz pflegen bekanntlich sehr pünctlicl, ^ öin/ ,Eg"ügungsgort auf,„suchen. ^ husche Schulreiterm hatte die Aufmerksamkeit soltendorff« gefesselt, während Erbach nach seinem Lands- al« die Lvgenthiir knarrend geöffnet ward. „Ah, Du bist eS, Siegfried ? Da« ist sehr nett, wir können noch einen Moment ungestört plaudern." Damit näherte er sich dein Neffen, der seinen Paletot auszoa und vor dem Spiegel der Garderobe Bart und Haar ordnete wöbe, ,r leichthin bemerkte r ^ wichUchU!,^""'»»«-m »°> Jetzt war der lange blonde Bart, am Kinn gttheilt und in zwei Spitzen auslaufend, geglättet, und Siegfried Erbach rückte sich in den Schultern, zog ein in Gold gefaßte; Monocle aus der Brusttasche seines Waffenrocks und wollte ich an die Logenbrüstung begeben. Doch der Oheim hielt ihn zurück. „Daheim habe ich etwas für Dich — ein zierliche! Kästchen aus Rosenholz —" „Ah -« „Ja, und das Beste daran ist der Inkalt — Dene Briese. Du magst noch beute Abend diese gefährlichen Stillungen in den Kamin werfen." lieber das männlich-schöne Antlitz deS jungenOfsiciers glitt eine flüchtige Röthe, er athmete etwas tiefer uf — es klang fast wie ein Seufzer — und fragte dann gevimpfl: „Wie hat sie es ausgenommen?" Der Hauptmann zuckte die Achseln: „Da fragst Du mich zu viel. Valeska Kat mir d rch einen Dienstmann das Kästchen gesandt, ohne eine Zeil« hinzuzu fügen. Sie hat wahrscheinlich keine Zeit mehr dazu xfunden." „ES ist auch besser so — für alle. Ich danke Tr, Onkel Dietrich." „Nicht mir gebührt Dein Dank, sondern Valeskc die sich trotz der Vernachlässigung, welche sie von Dir erfahre, sogleich bereit finden ließ, Dir in dieser delicaten Sache ihrerBe>ftand zu leihen. Sie ist wirklich ein braves Mädchen, und )u mußt endlich Frieden mit ihr machen." Die einnehmenden Züge Siegsried's nahmen plöjjch einen harten, stolzen Ausdruck an, und er cntgegnete kalt: „So lange Valeska in dienender Stellung in jemi Kauf- mannshause weilt, werde ich sie nicht als Schwester an kennen " „Man muß die Sache nicht so auf die Spitzetreiben", meinte einlenkend der Hauptmann. „Auch ich war janfangs ganz Deiner Ansicht, aber jedes Ding hat zwc Seiten. Schließlich hat Valeska in dem Goldstücker'schen Hise eine ganz angenehme Stellung, auch in gesellschaftlicher bziehung, wie ich mich gestern selbst überzeugen konnte, de, es sind geachtete und reiche Leute —" „Handelsleute!" warf Siegfried geringschätzend n. Der Hauptmann zuckte die Achseln, aber seiner Gwhnheit nach mochte er sich nicht in derlei Streitfragen verton, dann lag ihm auch viel zu viel daran, den Neffen ein» Plane günstig zu stimmen, welchen er eifrig ausgesponnen, u deshalb fuhr er unbeirrt fort,-
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