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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.06.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-06-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950614026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895061402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895061402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-06
- Tag1895-06-14
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Hasse im Reichstage au» Anlaß der vielfachen Be schwerden über Bergcwaltignng von Deutschen im Auslande eine Interpellation ein, welche lautete: „WaS gedenkt der Reichrkoozler zu thun angesichts der vielfachen Klagen über den mangelnden Schutz der Deutschen im Au-laode, insbesondere in Erntral-Amerika?" StaatSsecretair Freiherr von Marschall beantwortete diese Interpellation damals in sehr absprechendem Tone. Er bemerkte, e» sei den diplomatischen Vertretern des deutschen Reiches in den mittel- und sübamerikanischen Ländern zur Pflicht gemacht, daß sie auch da, wo ein festes Auftreten nolhwendig sei, stet» danach trachten sollten, das empfindliche Nationalgefühl jener Völker nicht zu verletzen. Weiter stellte er den Satz auf: „Nicht jedes Interesse, das ein Deutscher im Auslande sich schafft, ist darum ein deutsches Interesse." Man kann diesen Bemerkungen ohne Ein schränkung beistimmen, wird aber immer eine Ergänzung dazu fordern; in der Schonung des empfindlichen National gefühles darf nicht so weit gegangen werden, daß jene Völker die in ihrer Mitte angesiedelten Deutschen für schutzlos erachten und deshalb mit Vorliebe zum Gegenstände von Vergewaltigung machen; die legitimen Interessen der Deutschen im Äuslaude müssen geschützt werden. Aber Herr von Marschall wies m seiner Antwort die vorgebrachten Beschwerden namentlich gegen den deutschen Geschäftsträger in Mittelamerika als Ausflüsse eines rechthaberischen, raisonnirenden Temperaments oder als wenig oder gar nicht begründet zurück. Daß die Antwort des Herrn von Marschall an der entscheidenden Stelle nicht in allen Puncten gebilligt worden ist, gehr auS der in zwischen erfolgten Abberufung des deutschen Geschäftsträgers m Centralamerika deutlich hervor. Aber dieser war nicht der alleinige Träger der vom Abg. vr. Hasse mit Recht ge brandmarkten Politik der zagen Zurückhaltung. Schon im vorigen Jahre hatte die „Schles. Ztg." einen Brief eine» in Brasilien ansässigen Schlesiers abgedruckt, der sich über die schamlosen Gewaltthaten der Brasilianer und die Un- thätigkeit der deutschen Diplomatie den berechtigten Be schwerden der Deutschen gegenüber bitter beklagte. Derselbe Schlesier fühlt sich nun durch die Ausführungen des Herrn von Marschall zu einer scbarfen Entgegnung veranlaßt, der daS genannte Blatt das Nachstehende entnimmt: „Nach den Erklärungen de» StaatSsecretair» von Marschall auf die Interpellation Hasse, die ja auch brasilianische Vorkommnisse be handelte, habe» wir uns schließlich in Ergebung mit dem Wenigen, das erreicht worden ist, begnügen müssen. Wenn wir in Folgendem »och einmal auf diese Angelegenheit zurückkommen, so geschieht es, um eine neue und eine deutliche Sprache redende Illustration zu den Erklärungen de- Herrn von Marschall zu liefern. Wiederum näm lich ist auf eine Reklamation des Blumenauer Consuls von der deutschen Grsandtschast in Rio der Bescheid gekommen, daß die deutsche Regierung auf Geltendmachung der An sprüche geschädigter Sieichsangehöriaer verzichten müsse, und zwar wurde dieser Bescheid unter Berufung aus den colum- bischen Vertrag mit seiner berüchtigten Klausel ertheilt. Eine hiesige deutsche Zeitung bemerkt hierzu, daß eine solche Austastung unbegreiflich wäre, da zwar eia solcher Vertrag wohl mit Columbien abgeschlossen wäre, aber nicht mit Brasilien; die deutsche Regierung begebe sich also ganz unnöthiger Weise ihrer Rechte. Zugleich mit diesem Bescheide der deutschen Gesandtschaft wurde bekannt, wa» ja auch schon der französische Minister des Auswärtigen in der Kammer mitgrtheilt hat, daß der französische Gesandte in Rio, der mit anrrkenncnswerther Energie für seine Schutzbefohlenen eingetreten war, für die Wittwen zweier fron- zösischer Ingenieure, die sich in Desterro den Revolutionairrn an- geschloffen hatte» und später von den Regierungstruppeu erschossen worden waren, von der brasilianischen Regierung eine Entschädigung von 900 000 Franken erlangt hatte! Ferner wurde mitgetheilt, daß die Unterhandlungen mit der ita lienijchen Regierung, die gleich- alls Entschädigung italienischer Unterthanen, welche während der Re volution zu Schaden gekommen waren, betreffen, einen glatten und >ür Italien günstigen Verlauf nehmen. Die französische Gesandtschaft also setzt eine Entschädigung für die Erschießung zweier Franzosen, die sich direct an der Revolution brtheiligt hatten, durch, die deutsche Regierung aber wagt es noch nicht einmal, auch nur erst eine Ent- chädigung zu verlangen für arine Colonisten, die mit der Revolution nicht das Geringste zu thun hatten! Wie stimmt hiermit die seinerzeit unserem hiesigen Eonsul von, vorigen Gesandten zu Theil gewordene Mittheilung, daß die deutsche Regierung gleichfalls Ansnruch aus Entschädigung erheben würde, sobald solche Len Angehörig, n anderer Länder bewilligt worden wäre? Angesichls dieser für ins so be- schämenden Thatsachen kann auf die Frage, ob wirklich die Deutschen im Nuslande denselben Schutz seitens ihrer Regierung genießen wie die Angehörigen anderer Länder, leider nur mit „Nein" geantwortet werden. Leider wird wohl gleich vielen anderen auch dieser Appell ungehört verhallen, zumal da die Mehrheit des Reichstages in solchen doch gewiß hervorragend nationale» Fragen gleichfalls eine un glaubliche Gleichgiltigkeit zeigt. Die Behandlung der Interpellation Hasse durch den Reichstag hat es bewiesen." Aehnliche Klagen sind in Berlin direct eingelaufen und haben, wie die „Nat.-Ztg." erfährt, Veranlassung zur An knüpfung von Verhandlungen mit der brasilianischen Regierung gegeben. Werden diese Verhandlungen von deutscher Seite mit gehörigem Nachdrucke geführt, jo kam ein be friedigender Erfolg nicht auübleiben, auch wenn die deutsche Reichsregierung das Beispiel Englands nicht nachabmt, daS in den letzten Wochen Nicaragua, welches einen englischen Consularbeamten hatte hinrichten lasten und dafür eine Schad loshaltung von 300 000 an die Wittwe des Beamten zahlen sollte, durch Entsendung eines Geschwaders und Be setzung der Hafenstadt Corinto zur Nachgiebigkeit zwang. Wenn der französische und der italienische Consul in Rio ohne besonderen Druck die SchadloShaltung ihrer Schutz befohlenen von der brasilianischen Regierung erreichen, so kann es nur an der deutschen Regierung selbst liegen, wenn die angeknüpft": Verhandlungen resultatlos verlaufen. Daß die im preußischen Abgeordnetenhause von den Cartelparteien wegen des ProccffcS Mellage eingebrachte Interpellation erst nach der Erledigung des Stempel steuergesetzes zur Besprechung kommen soll, erregt hier und da, besonders in liberalen Kreisen, Befremden und Wider spruch. Der „Hannov. Cour." findet, daß eine solche gemäch liche Behandlung der Interpellation der durch den Prvceß hervorgerufenen Stimmung nicht entspreche. „Wie es nicht die Aufgabe des Parlaments ist, lediglich die vor gelegten Gesetze zu genehmigen und die verlangten Gelder zu br willigen, sondern vor Allem auch das ganze östentliche Leben mit seiner Control« zu durchdringen, so ist es auch nicht der Zweck einer Interpellation, der Regierung Gelegenheit zu einer wohl- sormulirten Erklärung zu geben, sondern die Abgeordneten sollen damit von dem Rechte des Parlaments Gebrauch machen, Rechenschaft zu fordern, öffentliche Mißslände zu rügen und Len öffentlichen Unwillen in einer Form zum Aus- druck zu bringen, die nicht unbeachtet gelassen werden kann. Liegen Ereignisse, die die Bedingungen hierfür geschaffen haben, vor, so muß sich das Parlament sofort zum Wort melden. Nach der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses (8 33) soll der Präsident die eingrbrachten Interpellationen abschriftlich dem Staatsministerium mittheiien und dieses in der nächsten Sitzung deS Hauses zur Erklärung darüber aufsordern, ob und wann es die Interpellation beantworten werde. Wenn man also annehmen darf, daß die Interpellation dem Präsidenten in zwischen zugegangen ist» so wird dieser voraussichtlich morgen die Frage nach Ob und Wann an die Regierung richten. Scheint dann der Regierung eine Hinausschiebung der Erörterung er wünscht, so liegt es in ihrer Hand, das zu veranlassen, denn, wie es in der Geschäftsordnung heißt: „Erklärt das Ministerium sich zur Beantwortung bereit, so "Erd an dem^voi^thm Tage der Interpellant zu d"tn nah ' ° Canalseier ver- LLL kV NWWA. ei, die Festlichkeiten am Nord-Ostsee-Canal Welcke gemeine Aufmerksamkeit auf sich lenken, vorn" ^ ^ par- bevor man den durch den Proceß ^^üllt Z Presse lanientarisch näber tritt. Der ultra ^-svreckuna würde nichts willkommener sein, als ^ - ^ j. der Interpellation überhastet wurde und un ver Die „Köln. Volksztg." Z-igt deutlich °°^ttin- „Verallgemeinerung" der Besprechung, v°r eu-r ^ere,n ziehung der Barmherzigen Schwestern D sc" u. s.w- Gerade diese Besorgniß verralh kein gute« ein Wink für die Interpellanten, sich nicht auöschllestlich mit den Alexianerbrüdern zu beschäftigen. Zn Ätalien trägt anscheinend der Tod de« '« Dmmi meuchlings angefallenen Deputaten Lu,g, Ferrar. zur B e festiaung der Machtstellung Crtsp, s bei DaS tragische Schicksal diefts Opfers der soc,alrevolut,ona,ren Verschwörung hat sowohl auf die Kanimer als aus die öffentliche Meinung Italiens einen tiefen und heilsamen Eindruck bervorgebracht. Es hat den Gleichgiltigen oder Vertrauensseligen mit eindringlicher Warnung ,u Oe müthe geführt, wie furchtbar ernst die Zeit ist, e» bat ihnen den Abgrund gezeigt, an dessen Rande der Staat steht und in den er unfehlbar b">emtaumeln muß, wenn nicht eine eiserne Faust durch entschlossenes Zu- greifen einem Unglück zuvorkommt. ES ist unverkennbar, daß eine ganze Anzahl bisher als unsichere Kantonisten betrach teter Mebrheilsniitglieder erst jetzt urplötzlich ihr ministerielles Herz entdeckt und ihre Gelüste, zur Opposition zu desertiren, vorläufig bei Seite gelegt hat. Daß der neue Kammerpräsi dent in der ersten Sitzung eine Rede halten konnte, in welcher er ohne aus Widerspruch zu stoßen, für Aenderungen »n der Geschäftsordnung behufs Herstellung einer strafferen parlamentarischen Disciplm plaidirle, ist höchst charakteristisch für den augenblicklichen Zustand der Gemüther. Die Ermordung Ferrari's liefert eine nur zu lehrreiche Bekräftigung der Alternative, vor welche Crispi in seiner großen römischen Wahlrede daö italienische Volk gestellt hatte: Socialrevolu tionäre Anarchie oder nationale Monarchie. Selbst viele der principieüen Gegner des leitenden Staatsmannes, soweit sie eben nicht Umsturzfanatiker sind, geben dock dem Regime Crispi's bei Weitem den Vorzug vor einem Siege der Partei des Meuchelmords und der internationalen Verhetzung. Die Allssichten auf eine rationelle Reform der parlamentarischen Geschäftsordnung sind daher seit dem Ableben Ferrari's nicht unwesentlich gestiegen. Das Gelinget' dieser, an sich ja nur formalen Action würde aber erst die Möglichkeit eines gedeihlichen legis latorischen Arbeitens schaffen. Bekanntlich ist in der Thronrede König Humbert's das entscheidende Gewicht auf die Herstellung der finanziellen Ordnung gelegt worden. DaS Krebs übel, an welchem das moderne Italien krankt, bilden die chronischen Fehlbeträge des Staatsbaushalts und die schweren Mängel deS jetzigen Steuersystems. Ihre Beseitigung bat bis jetzt allem Scharfsinn und Eifer der italienischen Staats männer Trotz geboten, hauptsächlich mit wegen der Ungefügig keit der Kammermehrheit. Wenn Crispi auf Grund des Sonnino'schrn vielversprechenden Finanzprogramms, über dessen Einbringung in der Kammer an anderer Stelle be richtet wird, jetzt mittels einer revidirten Geschäftsordnung die Heilung der Schäden erfolgreich in die Wege leitet, ver setzt er den subversiven Tendenzen einen Stoß, von dem sie ich sobald nicht wieder erholen werden. Hierüber müssen chon die nächsten Tage Klarheit schaffen. DaS neue griechische Cab in et ist gebildet und hat bereits den Eid geleistet. Auf den Neffen folgt der Onkel, auf Nicolaus der 69 Jahre zählende alte Parteiführer Theodor Delyannis, welchen der König am 29. Februar 1892 durch einen Staatsstreich entlasten batte. Nachdem Ende vorigen Jahres Triknpis nach unglücklichen Versuchen, die Lage zu bessern, ganz plötzlich vom Schauplatz abgetreten, ,erief der König den Nicolaus Delyannis, um ein Beamten ministerium zur Uebernabme der Geschäfte bis nach den Neu wahlen zu bilden. Das Geschästsministerium war vom Glück »egünstigt; seit sechs Monaten haben sich die griechischen Handelsverhältnisse gehoben und der russisch-griechische Handels vertrag wurde abgeschlossen; die Regierung enthielt sich der Beeinflussung der ParlamentSwablcnj zum ersten Male in Griechenland candidirte keiner der Minister. Der Neffe, welcher etzt nach Erfüllung seiner Aufgabe zurückgetreten, übergiebt dem Onkel die Geschäfte in guter Drdnung, und nun hat Theodor Delyannis, der, wie dies üblich in Griechenland, mit der Minister-Präsidentschaft auch das Finanz-Portefeuille über nimmt, die schwierigere Aufgabe, in die griechische Finauz- wirrniß Klarheit zu bringen. In seiner Wahlrede zu Bolo hat er den Staatsgläubigern viel versprochen; inwieweit die neue Kammer den Minister-Präsidenten, der angeblich auf eine Mehrheit von 160 Stimmen rechnen kann, in der Ver wirklichung seiner Versprechungen unterstützen will, wird sich zu zeigen haben. Das Cabinet wird beule sich der Kammer vvrstellen und das Budget vorlegen. Die Männer, die heute das Ministerium bilden, sind durchweg anständige Politiker, die sich ibre Sporen längst verdient haben. Es ist also zu hoffen, daß der Umschwung in Griechenland den Anbruch einer besseren Zeit anch hinsichtlich der ausländischen Be ziehungen bedeutet. Obgleich die türkischen Gegenvorschläge wegen der Verwalt ungSreform in Armenien noch nicht bekannt sind, will die „Köln. Ztg." bereits erfahren haben, daß die europäischen Mächte diese türkischen Vorschläge gar nicht in Erwägung ziehen werden. Die Behauptung dürfte sich als voreilig erweisen, denn waS der englische Ministerrath über die Frage beschließt, ist doch nicht bindend für die übrigen Mächte. Bezüglich Deutschlands sagt daS genannte Blatt, allen Beschlüssen, die von Rußland und England gemein sam gefaßt werden, würde die deutsche Reichsregierung zu stimmen. Wir baden allen Grund mit dem „Hamb. Corr." zu bezweifeln, daß diese Auffassung richtig ist. Deutschland bat, wenn uns auch aus Gründen der Humanität Reformen in Armenien geboten erscheinen, durchaus kein Interesse daran, daß die englischen Wünsche bezüglich der Zukunft Armeniens alle in Erfüllung gehen. Bis jetzt lag kein Anlaß vor, sich in der Frage zu cngagiren und die guten Beziehungen, die zwischen Deutschland und der Türkei bestehen, aufs Spiel zu fetzen, weil es deu Herren in London beliebt, sich als Vor sehung der christlichen Völkerschaften im ottomanischen Reiche auszuspielen. Der Sultan hat durch Berufung Said Pascha's zum Großvezir bekundet, daß er Reformen einführen will, und man wird einige Zeit abwarten müssen, wie weit es ihm Ernst damit ist. In London rechnet man darauf, daß das Erscheinen der englischen Flotte vor Smyrna den Sultan und seinen ersten Rathgeber gefügig macken werden. Wenn das gelingt, so müssen die übrigen Mächte das eben als Thatsacke hinnebmen, aber man soll von London die Pforte nicht dadurch ein^uschüchtern versuchen, daß alle Mächte dem Vorgehen Englands und seiner beiden Verbündeten Fe<rNletsir. Haus Hardenberg. Roman von Ernst von Waldow. Nachdruck »erboten. (Fortsetzung.) Die Aecker stießen an den Waldstrich, wo daS Jägerhaus gelegen war, WaS dem Hauptmann gehörte, dann würde alles ein gut abgerundetes Ganze sein, und — wer weiß — vielleicht kaufte Hardenberg, der wirklich ein guter Kerl zu sein schien, mit dem sich reden ließ, noch Schloß Erbach dazu, um eS als Wiltwensitz für ValeSka zu bestimmen. Der Hauptmann, sonst sehr sparsam, nahm in der Freude seines Herzens eine Droschke, um nur ja recht schnell ans Ziel zu kommen, eS war ihm immer noch zu Mutbe, als könne die» Glück entfliehen, so schnell, wie eS gekommen war. Nach dem Diner mußte er ohnehin noch Siegfried aufsuchen, der, wie er zufällig erfahren, in Berlin weilte. Der würde Augen machen, wenn er von dem großmüthigen Brautgeschenke Hardenberg's hörte. Sicherlich erschien auch dem stolzen Officier setzt die Herrath der Schwester als ein Glück für die ganze Familie. Wenn der Hauptmann von seinen neuen Plänen und Projekten nicht völlig absorbirt gewesen wäre, würde der Umstand ihn beunruhigt haben, daß Siegfried so häufig Urlaub »ahm, um seine Abende in der Residenz zu verbringen, an statt in seiner Garnison ein möglichst solides Leben zu führen, wie es sich für einen jungen Mann geziemt, der sich in Kürze zu verloben beabsichtigt. So aber dachte er nicht weiter darüber nach. Siegfried batte zweimal schon am Rande deS Abgrundes gestanden, das beißt, er war auf dem Puncte gewesen, seinen Abschied nehmen zu müssen, da eine Schuldenlast ihn erdrückte, die er leicht sinniger Weise sich aufgeladen. Dietrich von Erbach hatte beide Male die Sache „ar- rangirt", die Gläubiger nicht bezahlt, aber beschwichtigt und zur Geduld ermahnt, kleine Abzahlungen versprechend bis zu dem Zeitpuncte, wo sein Neffe in der Lage sein werde, die Schuld mit Zin« und ZinseSzinS zu decken. Es hatte nicht an peinlichen Scenen gefehlt, die den Stolz «iegfried'S tief verletzten. Di» Lection war eine harte ge wesen, aber der Hauptmann war überzeugt davon, daß sie gefruchtet, denn Siegfried hatte sein Ehrenwort gegeben, sich nie mehr in dieser Weise zu compromittiren. Zehn Minuten nach 4 Uhr betrat der Hauptmann den Sprisesaal des Hotels de Rome. Hardenberg saß am gewöhn lichen Platze und war eben damit beschäftigt, seine Suppe zu essen, das späte Kommen des Hauptmanns hatte ihm den Appetit also nicht verdorben. Jedenfalls war er seiner Sache sicher. — Inzwischen befand sich ValeSka allein in ihrem Zimmer, nachdem sie Frau Goldstücker die große Neuigkeit mitgetheilt. Die im Grunde autmüthige Frau, welche geneigt war, diese Verlobung als ihr Werk zu betrachten, hatte sich einem Aus bruche so geräuschvoller Lustigkeit überlassen, daß derselbe sicherlich ansteckend auf ValeSka gewirkt haben würde, wenn diese sich nicht körperlich leidend und seelisch beängstigt gefühlt hätte. Sie verweigerte eS, am gemeinschaftlichen Mahle Theil »u nehmen, und man ließ sie gewähren, den eigenthüm- lichen Umständen Rechnung tragend. Wenn die stechenden Schmerzen in den Schläfen ein wenig nachließen, dann legte sich ValeSka immer und immer dieselbe Frage vor: Liebe ich denn diesen Mann, dem ich mich heute gelobt habe fürs Leben? Eine rechte Antwort darauf fand sie aber nicht. In ihrem Innern war ein solcher Sturm von widerstrebenden Empfindungen, daß sie zu keiner Klar heit kommen konnte. Wenn Hardenberg ganz unvermittelt die Frage, ob sie die Seine werden wolle, an sie gerichtet hätte, als sie beide im WaldeSschattrn neben einander hinritten, allein und unbe obachtet, dann würde sie vielleicht, üorrwältigt von der ersten Aufwallung eines wärmeren Gefühl-, an seine Brust gesunken sein und ein „Ja" geflüstert haben. Ganz sicher, ohne vorher zu überlegen, ob der stattliche Reiter neben ihr, über dessen blonden Bollbart und edel geschnittene« Antlitz die letzten Sonnenstrahlen einen röthlichen Schein warfen, «ine gute oder schlechte Partie sei. Ach. in jenen Augenblicken eines genußreichen Beisammen seinS hatte die Ahnung unbekannter Seligkeit ihre junge Brust geschwellt. Warum batte Wolfgang Hardenberg damal« ge schwiegen — warum hatte er jetzt durch Onkel Dietrich um ihr« Hand geworben? Liebte er sie denn wirklich, oder war e» auch von seiner Seite eine Vernunftehe? Vermögen besaß sie freilich nicht, da» ihn hätte anlocken können, der reiche Witiwer hatte ja auch nicht nöthig, solche» durch eine Heirath noch zu gewinnen. Aber er brauchte eine Erzieherin für seine Heranwachsenden Töchter, eine Frau, die seinem großen Haushalt Vorstand — vielleicht batte auch er speculirt und herausgerechnet, daß ein armes Mädchen am geeignetsten dazu sei und keinerlei Prä tensionen zu macken dabe. Gleich darauf freilich machte ValeSka sich Vorwürfe über solch' häßlichen Verdacht. Aber kein Wunder, sie hatte zu viele Predigten über sich ergehen lasten müssen in der letzten Zeit, es war Alles so praktisch auseinandergesetzt, so ver nünftig zerlegt worden, daß die schüchtern im tiefsten Herzens gründe entkeimte Knospe der Liebe jetzt einer Blume im Herbarium glich, über die man sprach und an der man Studien gemacht. Und dann diese entsetzliche Migräne! Baleska versuchte zu schlafen, doch sie war zu erregt, der Kopf brannte ihr auf dem weichen Polster, sie erhob sich schwankend, schritt zum Fenster und öffnete eS. Anfänglich that die frische Luft ihr gut, da begann ein Frostschauer ihre Glieder zu schütteln, sie schlich zum Sopha zurück und versank schließlich in einen leichten Halbschlaf au« dem die Stimme der Frau Goldstücker sie erweckte. d" vicken Dame erschien die alte Rosa, ein Präsent,rbrett tragend. Jetzt begann eine neue Pein für dir Leidende, denn die energische Frau ruhte nicht eher, bis ValeSka wenigstens eine Taffe Kaffee zu sich nahm, die sie auch wirklich etwa» aufmunterte, und nun konnte man sich mit der Toilette der Braut für den VerlobungSact be schäftigen. DaS junge Mädchen blickte ganz erschreckt auf. „Kommen denn Gäste, Frau Rath?" „Selbstverständlich — nur einige Freunde —" „Aber —" „O, denken Sie denix liebes Kind, daß Sie unter Menschen leben, die weder Herz haben, noch wissen, was sich schickt? Ich habe in aller Eile einen unserer jungen Leute nach dem Hotel de Rome gesendet und den Herrn Hauptmann ersuckt m unserem Namen auch Baron Soltendorff und Lieutenant Saalfeldt einzuladen. Bei Ihrem Herrn Bruder versteht lick d°. ,a bst M-i» ,u„r S-mu.1. Si w°K i-'A ,u dergleichen mcht zu gebrauchen, doch Herr K eei-iv 'k.,. „Ach, mein Kopf!" seufzte ValeSka. „Nun, bis dahin wird es schon besser sein, nur Muthl" Aber es war nicht besser geworden, und die Braut in ihrem weißen Kleide, das die Frau Rath mit rosa Schleifen batte übersäen lassen, um es ein wenig aufzufrischen, sah trotz dessen aus wie ein Opferlamm. Dies fand mindestens Frau Engelmann — eine Freundin des Hauses, die mit ihren beiden ältlichen Töchtern natürlich nur ganz zufällig bei dem Feste erschienen war. Wenn Ferdinande Goldstücker geahnt, daß die Frau Commissionsrath Engelmann sie eine „alte GanS" genannt, als sie erfahren, daß sie eö gewesen, welche der armen Er zieherin einen reichen Mann verschafft, sie würde sich weniger beeilt haben, die tbeuere Freundin zu ihrem Feste zu laden. ValeSka hörte weder das spöttische Gezische! noch sah sie die neidischen Blicke, wie durch einen Nebelschleier unterschied sie die hohe Gestalt ihres Bruders und dessen glänzende Uniform, und dann Onkel Dietrich mit dem Bräutigam. DaS Herz klopfte ihr zum Zerspringen und es war gut, daß Siegfried sich in diesem Augenblick näherte, um der Schwester den Arm zu bieten und sie dem Verlobten zuzuführen. Hardenberg ergriff ibre kalte Hand, sie fühlte, wie er ihr einen Ring an den Finger schob, dann neigte er sich zu ihr, sein heißer Atben, streifte ihr Gesicht — seine Lippen hatten flüchtig ibre Stirn berührt. Die kleine Ceremonie war beendet, ValeSka athmete er leichtert auf und nabm ihre ganze Kraft zusammen, um die Gratulationen, welche nun aus sie heradregnetrn, mit guter Miene in Empfang zu nehmen. Bei Tafel fast sie allerdings neben dem Bräutigam, aber sie sprachen wenig mit einander und dann auch nur über die allergewöhnlichsten Dinge. Hardenberg fragte, wie sie sich befände» bedauerte sie ihrer Migräne wegen und schlug ihr den Gebrauch ver schiedener Mittel vor, die in solchen Fällen seiner Tochter Renate, die oft an dergleichen Anfällen zu leiden pflegte, gute Dienste gethan hatten. Im Uebrigen wurde sehr viel Cbampagner getrunken, eine Anzahl Gesundheiten ausgebracht. Reden gehalten, gescherzt und gelacht. Man schien sich köstlich zu unterhalten und lobte da» Fest und die Festgeber. Der kleine Herr Samuel blickte mit fast väterlicher Theil« nabme zu dem jungen Mädchen hinüber, da» sein HauS
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