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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.06.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-06-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950627021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895062702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895062702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-06
- Tag1895-06-27
- Monat1895-06
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Sie sind ja äußerlich durch die Verantwortlichkeit des Regierungspräsidenten und des Collegiums, dem sie angehören, gedeckt, aber der Regierungs präsident hat rnehr zu thun, als Klöster zu revibircn, nnd die Anonymität, durch welche die Veranlworilichkeit der Specialreferenten bei der Regierung gedeckt wird, ist an nnd für sich eine unzweck mäßige Einrichtung." Die „Nat.-Lib. Corr." geht noch weiter, indem sie die Entfernung der schuldigen Aussichtsbcamten fordert. Sie begründet diese Forderung folgendermaßen: „Das öffentliche Urtheil ist in letzter In stanz bestätigt, der Cu ltus mini st er hat sich über die Aachener Vorgänge und deren administrative Seite in der denkbar schärfsten Form uusgelasse» und nun gilt es, nach allen Seiten hin die Eon- sequenzen zu ziehen. Vor Allem drängt sich die Forderung nach Maßregeln aus, welche dem Lande nnd der Beamtenschaft die Gewiß heit geben, daß man in Preußen eine, mit Herrn I)r. Bosse zu reden, „wohlüberlegte und geordnete staatliche Conirole" nicht ungestrast zu einer „reinen Scheincontrole" werden lassen darf. Ter Cnltusiniiiistcr hat seine Verantwortung für die gesetzwidrigen Zustände mit dem Hinweis auf ihm erstattete unwahre Berichte seiner Organe abgelehnt. Aus dieser Ausfassung ergiebt sich die gebieterische Nothmcnvigkeit, die Urheber des Jrrthums des Ministers aus ihren Stellungen zu entfernen. Unterbliebe diese Maßregel, so hätte der Minister die Verantwortlichkeit der Centralregicrung für künftige ähnliche Fälle anerkannt, da bei Verfehlungen der Untergebenen die Vorgesetzten nur dann entschuldigt sind, wenn sie keine begründeten Zweifel haben auskommcn lassen, daß Pslichtwidrigkcuen ent sprechend geahndet werden. Sind, wie es in der Mariaberger Angelegenheit denn doch der Fall gewesen zu sein scheint, politische Erwägungen an dem incorrecten Verhalten eines Organs nicht unbethciligt, so wird eine Energie, die den Beamten ohne Ausnahme vergegenwärtigt, daß sie sich durch nicht-? in der Beobachtung der Gesetze und Verordnungen beirren lassen dürfen, erst recht zur dis- ciplinaren Nothwendigkeit. Wir hofsen, daß der Cultusminister, als er jedem in dem Aachener Falle für schuldig Befundenen die Stra'e verhieß, im Namen des Staats Ministeriums gesprochen hat." Was die von der preußischen Regierung in Aussicht ge nommenen Maßregeln zur Berhindcrung der Wieder kehr ähnlicher Fälle anlaugt, so billigt das Organ der nationalliberalen Partei die geplanten Besuchöcommissionen nur als Nothbehelf bis zu dein Zeitpunkte, wo eine Neu ordnung des staatlichen Medicinalwesens durchgeführt sein wird. In der That ist eine ausreichende Eontrole nur durch ein wohlgeordnetes, fachkundiges Bcamtenthum zu ermöglichen; so lange cs an diesem fehlt, werden auch die Garantien gegen das Festhalten gesunder Personen in Irrenanstalten mangelhaft bleiben. Schärfere Vorschriften über die Auf nahme und Festhaltung werden gewiß von Nutzen sein, aber cs kann nicht fehle», daß sic, namentlich so lange der Eindruck der Aachener Vorkommnisse lebendig bleibt, und che für die eontrolirende Beobachtung eine hinreichende Anzahl irren ärztlich gebildeter Beamten vorhanden ist, die Entlassung von gefährlichen Kranken begünstigen. Gründliche Abhilfe der Mißstände verspricht nur eine geänderte Organisation, ver bunden mit der Besserstellung der Kreisärzte, für die ja Preußen so gut, wie dies in anderen deutschen Staaten möglich ist, die Mittel aufznbringen im Stande sein wird. Ein gar nicht seltenes Ereigniß lenkt die Aufmerksamkeit wieder auf die überaus seltene und seltsame politische Position des Reichstagsabgeordneten für Metz, Or. Haas. Dieser Herr bat bekanntlich seinen Sohn in der Absicht, ihn späterhin als Officier in die französische Armee eintreten zu lassen, aus der französischen Militairakademie untergebrackt, ein Vorgang, der s. Z. ein Grund maßlosen Befremdens in Deutschland geworden ist. Wie jetzt berichtet wird, ist der Bekundung des französischen Patriotismus des jüngeren Herrn Haas einstweilen ein Hinderniß dadurch entstanden, daß er die Officierprüfung nicht bestanden bat. Das ist eine überaus belustigende Wendung. Aber sie ändert nichts an dem Widersinn deS Zustandes, der es gestattet, daß der In haber eines Mandats, das ihn verpflichtet, das Wohl und Wehe Deutschlands nach bestem Wissen und Gewissen wabrzu- nehmcn, eine oen deutschen Interesse sich entgegensetzende Zuneigung zu einem anderen Staate bethätigen darf, ohne seines von deutschen Wählern ihm übertragenen Rechtes ver lustig zu geben. Zu der politischen Monstrosität gesellt sich die sittliche, die nicht vorhanden wäre, wenn Herr HaaS, als er das Mandat erlangte, schon den Schritt gelhan gehabt hätte, der nach den Gesetzen der Natur nur aus seinem Wunsche zu erklären ist, Deutschland möge in einem etwaigen Kriege mit Frankreich der unterliegende Theil sein. Der Vor bang weist auf eine Lücke deö Rechts bin, die, wenn nickt schon aus politischen Erwägungen, so doch aus Gründen des öffentlichen Anstandes ausgesüllt werden sollte. Die orientalischen Angelegenheiten haben seit einiger Zeit eine Wendung genommen, welche pessimistisch veranlagte Poli tiker schon mit der Sorge wegen der Möglichkeit einer Auf rollung der gesammten Orientfrage erfüllt. Soweit sind die Dinge nun ja noch lange nicht und werden wohl auch, bei Aufwendung pflichtgemäßer Sorgfalt aller an der Erhaltung des 8tatu8 <i'w auf der Balkanhalbinsel, in der Levante rc. interessirten Stellen, überhaupt nickt soweit kommen; immer hin muß zugestanden werden, daß die vulkanischen Kräfte, welche in der Tiefe des orientalischen Problems gebunden sind, neuerdings stärkere Lebenszeichen von sich geben, als es unter normalen Verhältnissen der Fall zu sein pflegt. Irgend etwas stimmt nicht, und fraglich erscheint nur, ob die am orientalischen Seismographen beobachteten Störungen spontaner Entstehung oder von außen hineingetragen sind. Als besonders „inter essante" Punkte sind im Laufe der letzten Monate hervor getreten: Armenien, Albanien, Syrien, Arabien mit dem Zwischenfall von Djeddah, dann Kreta, endlich Make donien und nun noch die Verschwörung in der Kon- stantinopeler Ofsiciersschule — von den Dependenzen des otlomanischcn Reiches in Afrika gar nicht zu reden. Vielfach kann man in der auswärtigen Pnblicistik, so weit sie von einer antienglischen Gesinnung beherrscht wird, den Vorwurf erheben hören, daß das Eabinet Rosebery mit der unglücklichen Hand, die es bei Behandlung der armenischen Frage bewiesen, die stagnircnden Gewässer des Orientproblems aufgewühlt habe,und man ist geneigt, die armenische Politik Rose bery's für alle daraus möglicherweise sich noch ergebenden Conse quenren verantwortlich zu machen. Da das Cabinet Rosebery der Vergangenheit angekört, so treffen die an seine Adresse gerichteten Vorwürfe ihr Ziel nicht mehr, ganz abgesehen davon, daß sie auch im klebrigen absolut nichts zur Klärung des llrtkcils beitragen. Dagegen kann man sich allerdings nickt verhehlen, daß das europäische Prestige als solches in der muselmännischen und zum Theil auch in der christlichen Bevölkerung des Orients nicht mehr auf der alten Höhe steht, so daß sich vielfach Agitationen an das Tageslicht wagen, die früher nur scheu im Dunkeln zu schleichen pflegten. In der armenischen Frage ist nach monatelanger diplomatischer Tbätigkcit der bctbeiligten Mächte ein nennenswertheS Resultat nicht zu erzielen gewesen; die blutigen Ausschreitungen, denen mehrere großmächtliche Consulatbeamte in Djeddah zum Opfer sielen, sind bis zur Stunde noch ungesühnt; von der englischen Flottenkundgebung vor Beirut, womit den Orien talen imponirt werden sollte, spricht kein Mensch mehr, statt dessen häufen sich die Nachrichten, daß bald hier, bald da ein örtlicher Conflict zwischen den herrschenden türkischen und der im Abhängigkeitsverbältniß lebenden christlichen Bevölkerung entstanden ist. Bei allen diesen Vorkommnissen spielt die Selbsthilfe die entscheidende Rolle, an die Stelle des Rechtes tritt die Gewalt. Es kann nicht ausbleiben, daß diese Art der streitenden Parteien, sich aus einanderzusetzen, neuen Haß auf alten Häuft, daß die Leiden schaften wachen und die Aufregung um sich greift. Zum Glück sind sämmtliche bisher beobachteten Eonflicte nur ört lich begrenzter Natur. Aufgabe der internationalen Politik wird cs sein müssen, dafür zu sorgen, daß die vereinzelten kleinen Brände ausgetreten werden, ehe sie in einen großen zusammenwachsen. lieber den Stand der Verhandlungen zwischen Lhina und dem französischen Anleihcsyn-tcat erfährt das „ Reuter'sche Bureau", die chinesische Negierung sei nicht gesonnen, die von Rußland geforderten Be dingungen für die geplante vorläufige Anleihe anzunehmen, welche zur Zahlung der Entschädigung an Japan für die Räumung von Liao-Tong verwendet werden soll. Eine solche Anleihe werde als nachtheilig für die größere Anleihe betrachtet, welche behufs Zahlung der Kriegsent schädigung nöthig sei. Man glaube daher, daß China eine Anleibe über den ganzen Betrag seiner Verpflichtungen auf allen Märkten Europas und Amerikas aufzunehmen wünsche, anstatt die Operation ans ein oder zwei Länder zu beschränken, welche die Zölle als Garantie verlangen und dadurch Cbina an der Erlangung vortheilbafterer Bedingungen hindern, welche die Deckung des gesammten Erfordernisses gestatten würden. Während die englischen Conservativen den englischen Liberale», wenn diese Bezeichnungen noch zugelasscn werden, ihr Bündniß mit den Iren vorwerfen, Westen Letztere wieder auf das Zusammengehen der Nicht-Homerule-WhigS mit den Tories bin. Allein neu sind solche politische Bündnisse in der Geschichte Englands keineswegs. So entstand das Ministerium Pitt aus dem Bündniß der unabhängigen Whigs mit den Freunden des Königs; dann bildete sich im Jahr 1793 die Toryvartei um, indem die Anhänger Pitt'S und die aristo kratischen Whigs, mit Portland nnd Burke an der Spitze, für den Kampf gegen die demokratischen Ideen nnd zur Erhaltung der politischen und gesellschaftlichen Stellung der Aristokratie zusammengingen. Vierzig Jahre später, zur Zeit der großen Reformbill, entstand die ruhmreiche Coalition der Anhänger nnd Schüler Canning's mit den von Lord Grey angeführten Whigs. Dann vereinigten sich unter der Führung Sir Robert Peel's die alten Tories mit den gemäßigten Whigs, die Lord Stanley und Sir James Graham folgten, zu einer Partei, die sich konservativ nannte und den Ruhm erntete, die freihändlerische Politik Englands cingeleitet zu haben. Aus dieser conservativen Partei ging dann durch eine Ver bindung der von Peel nach dem endgiltigen Siege des Frei handels abgefallenen Politiker mit den Whigs unter den Lords Palnierston und Ruffel dieselbe liberale Partei hervor, die später ihre Kennzeichnung durch Gladstone erhielt und deren heutiger uniomstischer Flügel mit dem Herzog von Devonsyire und Joseph Chamberlain den Ueberlieserungen jener großen Zeit treu geblieben ist, während Gladstone sich mit den Reichsfeinden in verderbliche Machenschaften ein gelassen hat. Deutsches Reich. 11 Berlin, 20. Juni. In der berufsgenossenschaftlichen Verwaltung spielt der Gefahrentarif eine große Rolle. Nach ihm und nach der Höhe der von den einzelnen Arbeit - gebcrn in einem Jahre gezahlten Lobnsummen werde» die Beiträge berechnet, welche jährlich zur Deckung der entstandenen Kosten ausgeschrieben werden. Es ist demnach natürlich, wenn der den tbatsächlichen Gefahrenhöheverhältnissen entsprechenden Ausgestaltung der Gefahrentarife die größte Ausmerksamke ge- chenkt wird. Nack dem Unfallversicherungsgesetz hätten bisher die Berufsgenossenschasten ihre Gefahrentarife zwei Mal revi Viren müssen, es giebt aber wobl nur wenige, die dies nicht öfter gethan hätten. So lobenswertb nun an nnd ür sich ein solches Bemühen ist, durch Anpassung der Gesahrentarifziffer an die jeweiligen Gesabrenverbältnisse oder an die Zahl und Schwere der vorgekvmmenen Unfälle die Belastung zwischen den einzelnen in den Berufsgenossenschasten vereinigten Betriebsarten in gereckter Weise zu vertheilen, so sollte doch nicht zu häufig und nicht mit Schaffung zu vieler neuer GefahrcntarifSclassen die Revision vorgenommen werden. Es ist eine auch jetzt durch die berufsgenossenschaftlickr Erfahrung bestätigte Thal sache, daß erst in längeren Zeiträumen die wirkliche Ge- fahrenhöhe einer Betriebsart sich endgiltig seststellen läßt. Will man der schwankenden Gefahrenhöhe in kürzeren Zeit räumen gerecht werden, so müßte man eigentlich in jedem Jahre den Gefabrentarif revidiren. Anders würde man erst recht eine ungerechte Vertheilung der Belastung erzielen. Bei der Suche nach recht vielen Gesabrentarifclassen aber ist man nur zu leicht geneigt, vorübergebenden Momenten dauernde Bedeu tung beizulegen. Dadurch wieder wird bei den Berusögeiiossen selbst Unzufriedenheit erregt. Vor Allein ist den behördlichen Organen, welche ans diesem Gebiete zu entscheiden habe», zu ralhen, daß sie sich mehr als bisher auf das Urtbeil der Bernssgenossen selbst verlassen. An der Hand der statistischen Zahlen allein lassen sich die hier in Frage kommenden Mo mente nach ihrer Bedeutung nickt schätzen. * Berlin, 20. Juni. Der Verband deutscher Post- und Telegraphen-Assistenten hielt an, Sonnabend hier seinen fünften BerbandStag ab. In seiner Begrüßungs rede gab der Vorsitzende Kaßnitz der Genugthuung über die Sympathien Ausdruck, die der Verband in der Oeffentlichkeit finde, und knüpfte daran die Hoffnung, daß auch bei den Behörden das dort anscheinend noch immer herrschende Miß trauen schwinden werde. Redner schloß mit einem Hoch auf den Kaiser. Nach dem Geschäftsbericht hat sich die Mitgliederzahl seit dem letzten VerbandStage um rund 2000 vermehrt, so daß der Verband jetzt circa 7000 Mitglieder zahle. Es haben sich neue Bezirtsver- bände in Braunschweig, Breslau, Darmstadt, Erfurt, Halle und Frankfurt a/O. gebildet, auch zahlreiche Orts vereine seien neu entstanden. Die Organiiation habe sich durch sogenannte Bezirksleitungen gefestigt. TaS verflossene Jahr sei ein Jahr der Ruhe gewesen, es habe das Bestreben vorgewaltet, Conflicte zu vermeiden und die Organisation nach innen auSzubaucn. Die Wirtbschaftseinrichtnngen des Verbandes haben einen große» Aufschwung genommen, es sind Zweigniederlassungen gegründet worden in Düsseldorf und Leipzig. In Leipzig wurde gleichzeitig das Post- casino eröffnet, daS zwar nicht zum Verband gehört, das aber ausschließlich von VerbandSmitgliedern gebildet wird. Die Gründung einer Krankencaffe mußte noch hinausgcschoben werden. Der vorjährige Beschluß, die Lebensstellung des Geschäftsführers Funk, deS Begründers des Verbandes, sicher zu stellen, sei durch den Einkauf desselben in eine Lebens versicherung ausgeführt worden. In einem längeren Vor- 181 Fruillatsn» Haus Hardenberg. Roman von Ernst von Waldow. (Fortsetzung.) Nachdruck verboten. Sie rückte ihm das Tischchen mit dem Nauckapparat näher, setzte sich dann wieder und brachte bald daS Gespräch auf Renate's Wunsch und die Tanzstunden. Zu ihrer nicht geringen Verwunderung schüttelte Harden berg den Kopf und sagte in ungewöhnlich ernstem Tone: „Es tbut mir leid, Euch diese Bitte Abschlägen zu müssen, die ja an und für sich einem berechtigten Verlangen entsprang, aber ich habe gewichtige Gründe dafür." „Darf man dieselben kennen?" „Was Dich betrifft. Bally, gewiß, nur Renate müssen sie ein Geheimniß bleiben." „Das klingt ja ganz romantisch I" „O, in Wirklichkeit ist cs eher daS Gegentheil." „Ich bin in der That gespannt." „So höre. An diesen Tanzstunden, die der Großhändler ReinSberg und einige unserer näberen Bekannten arrangirt haben, betbeiligen sich natürlich auch junge Männer, und ich will nicht, daß Renate derlei Bekanntschaften macht." „Wenn sie aber im bevorstehenden Carneval die Börsen- bälle besucht, dann —" „Das soll und wird sie aber nicht", fiel Hardenberg be stimmt ein. „Dann ist es etwas Anderes — übrigens ist Renate im siebzehnten Jahre." „WaS das betrifft, so ist sie noch völlig Kind, und das soll sie bleiben, bis sie in näberen Verkehr mit dem jungen Manne tritt, den ich ihr z»m Lebensgefährten bestimmt habe." „Wie — Du hast Rcnate'S Hand bereits versagt?" „DaS ist schon seit Jahren eine abgemachte Sache zwischen mir, Schwager Winterfeld und Aurelren. ES handelt sich nämlich um deren Sohn Adalbert. Wir beschlossen aber, den Kindern daraus ein Geheimniß zu machen, und Aurelie, die trotz mancher Schwächen eine kluge Frau ist, bat auch brav Wort gehalten." „Und dieser Adalbert, WaS ist daS für rin Mensch?" Ein Jüngling, wie ein jeder Vater und wäre es der Höchstgestellten einer, sich ihn zum Eidam wünschen würde." „Also ein sogenannter Musterknabe?" „Ja, aber in der eigentlichen Bedeutung des Wortes. Ein junger Mann ohne Leidenschaften, ohne Fehler, mit einem offenen Kopfe, gebildetem Geiste und gutem Herzen. Rnbig, klar, ein guter Rechner, ohne Hang zur Romantik, praktisch im Thun und Denken, so recht fest auf dem Boden der Wirk lichkeit stehend." „Ist er hübsch?" „Wie man's nimmt —" „Will sagen, daß er unbedeutend, oder gar häßlich ist." „Das ist Geschmackssache. Er war ein etwas aufgeschossener Junge mit großen Händen und Füßen, als er nach England ging, kann sich aber noch recht hübsch herauswachsen." „Als nahe Verwandte müssen sich die jungen Leute ja kennen." „Gewiß, sie sind ja fast zusammen ausgewachsen." „Und hast Du bemerkt, daß sie sich gern haben?" „Im Gegentheil, sie waren stets im Streit mit einander." „Da scheint mir wenig Aussicht vorhanden, daß Deine Idee sich verwirklichen wird, lieber Mann, denn Du wirst doch Renate nicht zwingen, einen Menschen zu heirathen, der ihr unausstehlich ist?" Hardenberg blies den Ranch seiner Havanna in feinen Ringeln von sich und fuhr ruhig fort: „Fürs Erste denke ich mir, daß die Sache sich ganz von selbst machen wird, wenn man etwas vorsichtig dabei zu Werke geht. Deshalb will ich auch vermeiden, daß Renate die Bekanntschaft anderer junger Männer macht, die mir als Schwiegersöhne unwillkommen wären, wie z. B. der junge Reinsberg. Die ersten Eindrücke auf empfängliche junge Herzen werden zumeist in Tanzstunden oder aus Ballen gemacht, und da ich keinesfalls meine Einwilligung zu einer anderen Verbindung geben würde, so hätte das Kind dann zu leiden, und daS will ich verhüten." Luise krackte den Thee, sie rückte einen niederen Credenz tisch in die Nähe des KaminS, stellte alles Zugehörige daraus und nun schänkte BaleSka ein und reichte dem Gatten die Taffe hin. Nachdem daS Mädchen hinaus gegangen, nahm die junge Frau den abgerissenen Faden deS Gespräches wieder auf, indem sie, in ihrer Tasse rührend, meinte: „Mir will eine solche lange vorher projectirte Heirath immer bedenklich erscheinen, denn ich kann mir gar nicht vor stellen, daß zwei Leute, die man auf diese Weise zusammen- schmiedet, glücklich werden können." „Weit gefehlt, Liebste. DaS eben sind die wahrhaft glücklichen Ehen, die ohne Uebereilung und GefühlSüber- schwänglickkeit, mit Berücksichtigung der bestehenden Verhält nisse, der Standes- nnd BermögenSgleichheit geschloffen werden. — Denn von vornherein sind schon alle jene Klippen klug vermieden, an denen das Lebensschifflein eines sogenannte» Liebespaares im wirklichen realen Dasein zu scheitern pflegt." BaleSka schob ihre Tasse fort, ohne sie geleert zu haben, sie sab den Gatten fest an und fragte langsam: „Und Du?" Er verstand ganz gut, was sie sagen wollte, und ärgerte sich, daß er gedankenlos von Standes- und Vermögensgleichheit gesprochen habe, die zu einer glücklichen Ehe erforderlich wären. Ganz nur mit dem Geschick seines Kindes beschäftigt, hatte er gar nicht daran gedacht, daß er selbst ja noch ein junger Ehemann sei. DaS kam ihm nun plötzlich zu Sinne und er mußte un willkürlich lächeln, dann sagte er: „Mit mir altem Knaben ist es eine andere Geschichte. Ich habe redlich meine Pflicht gethan und meinem gestrengen Herrn Papa gehorcht in allen Stücken, auch da, als er für mich um Friederike Erbenreich geworben, und wehe mir, wenn ich mich widersetzt hätte. Mein Vater verstand keinen Spaß in solchen Dingen, wie auch ich ihn nicht verstehen würde, «nd er hatte Recht, denn ich habe meine Frau lieben gelernt und bin sehr glücklich mit ihr gewesen. Was Dich betrifft, meine kleine Vally, so mag es ja sein, daß Du nicht daS für mich warst, WaS man eine vernünftige Partie nennt, schon Deiner großen Jugend wegen. Aber Tu bist die Zierde, der schöne Schein m meinem Leben, und ick habe ja redlich gearbeitet und bin fast ergraut in der schnöden Ge- schäftSpraxiS, daß ich mir schon selbst eine Prämie verleihen durfte, als Belohnung für ein Leben, daS mehr zum Nutzen Anderer gedient als ru meinem eigenen Genuß. Mache kein so ernste- Gesicktchen, meine kleine Aristokratin, sondern gieb mir einen Kuß und eine zweite Taffe Thee." „WaS willst Du zuerst?" „Den Kuß natürlich." Sie trat zu ihm und er zog sie auf seine Kniee. „Bist Du mir noch böse, Bally?" „Nein, böse nicht, nur betrübt bin ich." „Aber warum denn?" „Weil mir mit einem Male so recht klar geworden ist, daß ich eigentlich, trotzdem ich Deine Gattin bin und Dir durch heilige Bande verknüpft, doch außerhalb Deines Lcbens- kreises stehe, Dir, den Deinen eine Fremde." „Närrchen, so war'S doch nicht gemeint. Du bist eben etwas Exotisches, ein feinfühliges, romantisches kleines Frauchen, mit aristokratischen Neigungen, das in dem Boden eines schlichten Bürgerhauses nicht recht Wurzel fassen will, aber mit der Zeit, so hoffe ich, wird das geschehen." ValeSka schmiegte sich an den Gatten und in ihre» leuchtenden Augen laS er denselben Wunsch, nnd jetzt erhielt er auch den erbetenen Kuß, der Thee aber war unterdcß kalt geworden. II. Viktor erhielt am nächsten Tage durch die Stadtpost daS folgende lakonische Schreiben von Renate's Hand: Geliebter! Ich muß Dich sprechen, um Dir Wichtiges, unsere Zukunft betreffend, mitzutbeilen. Mama hat morgen ihren EmpsangS- tag, ich werde, wenn daS Wetter eS gestattet, nach Scheitiiig fahren, um, wie ich Mama später mittheilen kann, in meiner Billa zum Rechten zu sehen. Finde Dich um 1 Uhr dort ein und frage nach Mama und den Strehlens. Ter alte Hermanns wird mir den Besuch melden und nichts Verfängliches darin sehen, daß ick Dich eintreten lasse, um Dir Bescheid zu sagen. Du darfst natürlich nicht lange bleiben, aber eine Viertel stunde genügt, um Dich wissen zu lassen, welch drohende Wolke den Himmel unserer Liebe bedroht. In der vergangenen Nacht floh der Schlummer meine Augen — o Viktor, wie unglücklich bin ich doch; doch trotz alledem Dein bis in den Tod! Renate." „Donnerwetter. WaS ist denn da loS?" brummte Viktor, als er daS Briefblatt überflogen. „Hat der Teufel sein Spiel gehabt und Hardenberg Wind bekommen von der Liebelei mit seiner Tochter? Aber nein, dann würde ich durch ihn, und wahrscheinlich nicht in sehr angenehmer Art, davon in Kennlniß gesetzt worden sein. Oder sollte der Hauptmann ihm Mittheilungen über meine Schulden, meine kritische Lage gemacht haben? — eben so unwahrscheinlich. Dietrich Erbach ist ein Ehrenmann, und wenn selbst ValeSka darum wüßte, so würde fff ihrem Manne gegenüber schweigen. Es muß etwa« Anderes sein. Warum hat die Kleine nicht mindesten- eine Andeutung gemacht? Aber so sind diese zartbesaiteten
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