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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.07.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-07-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950706029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895070602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895070602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-07
- Tag1895-07-06
- Monat1895-07
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Die falschen Nachrichten über die zu geringe Tiefe de« Kaiser-Wilhelm- Canals hat er, wie wir gestern gesehen haben, so lange unwidersprochen gelassen, bis auf private Anfrage einer der verantwortlichen Mitarbeiter am Canal das Wort zu einer Klarstellung und zugleich zu einer Klage über das Umläufen jener Nachrichten sich veranlaßt sah. Eine Auslassung des „Reichsanzeigers" fehlt beute noch. Sehr verspätet nimmt heute die „Berl. Corresp." das Wort, um die seit zwei Wochen in Umlauf befindliche Behauptung eines für inspirirt geltenden Blattes zu dementiren, bei der Organisation des Handwerkes solle die Einheitlichkeit der Reichsgesetz gebung mittels der Reichsgesetzgebung dadurch durch brochen werden, daß durch Neichsgesetz eine Handwerks- ovganisation geschaffen werden würde, deren Unterbau der Landesgesetzgebnng mit der Bedingung zu überlassen wäre, daß es eine ZwangSorganisativn werden müßte. Dieser Behauptung gegenüber erklärt die „Berl. Corr": „Die vor einigen Tagen in einer Commission des Abgeordneten bauses von dem Minister für Handel gemachte Bemerkung, das; zu einer wirksamen Vertretung des Handwerks eine Zwangsorganisation erforderlich sei, und die Thatsache, daß in voriger Woche Commissare des Handelsministers und des Staatssecretairs des Innern noch Wie» gereist sind, um sich über Verhältnisse des Handwerks i» Oesterreich zu unter richten, haben den öffentlichen Blättern zu einer Reihe von Erörterungen Anlaß gegeben, die von unzutreffenden Voraussetzungen ausgehen und zu irrigen Ergebnissen gelangen. Namentlich ist die Nachricht verbreitet worden, daß ein Reichsgesetz vorbereitet werde, wodurch die Handwerkskammern als Oberbau der Hand- werkerorganisation festgestellt, die Gestaltung des Unterbaues aber den Landesregierungen oder der Landesgesetzgebung überlassen werden solle, woran dann Befürchtungen wegen Zerstörung der einheitlichen deutschen Gewerbegesetzgebung geknüpft werden. In der Sitzung des Reichstags vom 15. Januar d. I. haben der Siaatssecretair des Innern und der preußische Minister für Handel ihre Stellung zur Frage der Haudwerksorganisation dargelegt. Der Letztere hat namentlich die Einführung einer Zwangsorganisatio» — die bekanntlich auch die Grundlage der von ihm im Jahre 1893 veröffentlichten vorläufigen Vorschläge bildete — nach wie vor als die nach seiner Meinung zu erstrebende Maßregel bezeichnet, zugleich aber die Schwierigkeiten hervorgehoben, die mit der Herstellung eine: zweckmäßigen örtlichen Gliederung einer solchen Organisation verbunden seien. Um über die Bedeutung dieser Schwierigkeiten und die möglichen Mittel zu ihrer Uebcrwindung Klarheit z» gewinnen, ist eine statistische Erhebung in einer Reihe besonders dazu ausgewählter Bezirke des deutschen Reiches angcordnet worden, die im Laufe dieses MonatS auSgefübrt werden wird. Zu dem gleichen Zwecke sind die erwähnten Commissarien »ach Oesterreich entsandt, wo bekanntlich schon seit Jahren Zwangsgenossenschaften für das Handwerk be stehen. Das preußische Staatsministerium hat über die in dieser An gelegenheit einzunehmende Stellung noch keinen Beschluß gefaßt und wird dies voraussichtlich auch nicht thun, so lauge die Ergebnisse der eingeleiteten Erhebungen nicht vorliege». Der Vorschlag, für die Organisation des Handwerks einen Oberbau im Wege der Reichsgesetzgebung herzustellen und den Unterbau der Landesgesetz gebung zu überlassen, ist von keiner Seite zur Erörterung gestellt worden." Auf diese verspätete „Richtigstellung" kann man nicht einmal das Trostwort anwenden: „Was lange währt, wird gut." Denn erstens ist die Entstehung jener Behauptung falsch angegeben, und zweitens ist nicht gesagt, ob der bis jetzt noch „von keiner Seite zur Erörterung gestellte"Borschkag nicht doch gestellt werden soll, um mit dem Schwerte den Knoten von Schwierigkeiten zu durchbauen, die mit der Herstellung einer zweckmäßigen örtlichen Gliederung einer Zwangsorganisation verbunden sind. DaS Einzige, worüber man durch den ofstciösen Dementirapparat in diesem Falle klar wird, ist da«, daß man sich an maßgebender Stelle über die Art der Lösung der Frage selbst noch nicht klar ist. Und das hätte man rüher und einfacher sagen können. Die hohe Genugthuung, die der Reichstagöpräsident Freiherr v. Buol darüber empfinden muß, daß die So cial- demokratie begeistert seine officielle» Einladung zur Theil- nähme an der Enthüllung des Gindthorst-Tenkmals begrüßt, wirb erheblich getrübt ourch den Umstand, daß die demo kratische „Franks. Ztg." trotz ihrer Borliebe sür daS Cen trum und seinen verstorbenen Führer dem Herrn Präsidenten den Vorwurf macht, er habe ungehörig gehandelt. Blatt schreibt nämlich: „Wenn das Comits sür Errichtung des Windthorst-Denkmals die Mitglieder des Reichstags zur Enlhüllungsseier einladen wollte, ö brauchte es nur den Parlamenlsalmanach zur Hilfe zu nehmen, um jedem Abgeordneten die Einladung zukommen zu lassen. Daß es sich an den Reichstagspräsidenten gewandt hat und daß dieser dem Ersuchen, de» Mitgliedern von der Einladung Kenntniß zu geben, nachgekommen ist, wäre an sich auch nicht bedenklich; daß ober der Präsident die Sache als amtliche Angelegenheit des Reichstags behandelt, erscheint uns durchaus ungehörig. Der Reichstag als solcher hat mit dem Windthorst- Denkmal gar nichts zu thun, und der Präsident kann es nicht zum Gegenstand einer osficiellen Mittheilung machen, die aus Reichskosten gedruckt und unter dem Privilegium der Portofreiheit versandt wird." Auch die „Nationallib. Corr." erörtert die Frage, ob Herr v. Buol zu seinem Verfahren berechtigt gewesen sei, und ant wortet auf die Behauptung ultramontaner und „freisinniger" Blätter, Herr v. Buol habe gar nicht in seiner Eigenschaft als Präsident gehandelt oder doch diese amtliche Eigenschaft „nicht vorangestellt", sondern habe einfach Freiherr v. Buol- Berenberg unterzeichnet, ebenso wie jeder andere Reichstags abgeordnete ein Circular ähnlichen Inhalts aus ähnlichem Anlaß unterzeichnen könnte: „Diese Eiuwände werden durch den Umstand hinfällig, daß das Rundschreiben oben de» Vermerk „Reichstag" trügt, welcher ihm zu sammc» mit der Kennzeichnung des Unterzeichners als Reichtags Präsidenten ohne Frage den Charakter eines amtlichen Acten stück es ausdrückt. Wen» Herr von Buol als Privatmann oder Landgcrichtsrath Mittheilungen zu machen hat, so wird er sich nicht der Drucksachen des Reichstags bedienen. Indem er dies bei dem Erlaß der Einladung nicht unterließ, hat er seine amtliche Eigenschaft als Reichstags- Präsident allerdings vorangestellt. Daß der Präsident als solcher gehandelt, geht auch daraus hervor, daß das Rundschreiben ledig, iich sür die Mitglieder des Reichstages bestimmt ist. Der Privat mann oder das Denkmalcomitö-Mitglied von Buol hätte sich diese Beschränkung nicht auferlegt. Es ist selbstverständlich auch nicht zu treffend, daß der Präsident ebenso wie jeder andere Abgeordnete Eircu lare versenden kann, in denen parteipolitische Angelegenheiten wie Reich stagsangelege » Heiken behandelt werden. Der Abgeordnete hat in dieser seiner Eigenschaft nur ein Amt, während dem Präsidenten vom Reichstag ein zweites übertragen ist, und zwar ein solches, das seinem Inhaber zur obersten Pflicht macht, bei der Amts führung die Verbindung mit einer Partei nicht hervortreten zu lassen. Diese Pflicht erlischt auch dann nicht, wenn es sich, wie nach der Haltung der socialdemokratischen und volk-parteilichen Presse in dem vorliegenden Falle angenommen werden muß, um die Beziehung zu einer Coaiition von Parteien handelt." Wir halten es für selbstverständlich, daß in der nächsten Session das Verfahren des Herrn Präsidenten im Reichstage zur Sprache gebracht und namentlich die Frage zur Erörterung gestellt wird, ob der Präsident befugt ist, auf Ersuchen eines Parteicomitss Einladungen an die Reichstagsmitglieder auf Reichs kosten drucken und unter dem Privilegium der Portofreiheit versenden zu lassen. Wird, wie wir annehmen, diese Frage nickt nur von s-w'n Nichtwah^-rn, sondern auch von Gesmnung«g-no,,«n vtt „O ^age. verneint, so sieht sick jHein Grunde noch kein vor die unseres Erinnern« auS gleiwem ^ ^ Präsident de» deutschen Reichstag- sich ö-st-Ul ge,-Y Die unlängst auf Anordnung d-S Schweftcrtschk« Bundes ratbs vollzogene Auswe. ung d'"'VrA.t'keni der Eid- Canton Tessin hat bei allen emsick ge (?§ harten g-noss-nschaft sympathische Zust.nm ung gesundem ^ ^ sich in dem genannten Canton geradezu gebildet, die öffentliche Sicherheit ü-fäbrdenv- Zu, and- her S ^l Das indem das Tessin zu «n«n Absteigequart e k - ^ italienisch-Umsturzpr°pagand.sten"-rTha auSgeartet^w Anarchisten organisirten auf 4-essiner Boden in Werkstatt MHerstellungvonSprengbombenaiigelegt. Indem > >o rath diesem gemeingefährlichen Treiben e.n Ende macht . -r u lic -m- Ml», ,-g.n ,l» I-lbs>. .7° '"'L äüi gegen da« benachbarte Italien, dessen Regierung ibre l N?-derhaltung und Unschädlichmachung der Umsturzbeweg mg abzielende Bestrebungen nur dann von endg. Ng n ^ftlg gekrönt seben kann, wenn den Anarchisten die MogUchl« genommen wird, aus s'ck>er-m Schl>.pswmkel lense, s der Greine die Massen durch Emissäre und Brandschriften zu bearbeiten. Durch die erwähnte Maßregel hat der Echw«;cris > Bundesrath abermals zu erkennen gegeben, daß er keineswegs der Ansicht ist, das schweizerische Asylrecht gewahre fremd ländischen Anarchisten daS Monopol auf Betreibung ihrer verbrecherischen Anschläge innerhalb der eidgenössische» Grenzen. In den letzten Tagen sind zwar einige Siege der Franzosen aus Madagaskar gemeldet worden, zugleich aber wurde auch mitgctheilt, daß ein Zehntel der Mannschaft erkrankt sei. Das ist ein Zugestänvniß, um daS sich die Heeresleitung schon lange gedrückt hat, obgleich unverfälschte Berichte in Paris genug einliefen, die die gesundheitlichen Zustände im wahren Lichte schilderten. Es ist eine Thatsache, daß die HovaS einen mächtigen Bundesgenossen gesunden haben, auf den man nicht gefaßt war. Das Sumpffieber hatte man zwar in Ruckstcht gezogen, aber daß die Dysenterie sich so bald dazu ge selle», die Schwarzen von der afrikanischen Westküste ebenso wenig verschonen, ja sie noch mehr heimsuchcn würde, als die Weißen, das kommt unerwartet. Und da» Schlimmste dab«, ist, daß die Frequenz beider Krankheiten den ungenügenden Vorsichtsmaßregeln zugeschrieben wird und daß man diese wiederum dem zwischen der Marine und dem Kriege herr schenden Zwiespalt zur Last legt, wie bei der Moiiteil-Expe- dition die Reibereien zwischen dem hohen Personal des Marineministeriums und dem Colonialministerium das Meiste zu dem Mißerfolg beiaetragen haben sollen Die Kritiken mehren sich zusehends und sind nicht mehr bloS in den Pariser Oppositionsblättern zu finden, denen man mißtrauen durfte, weil sie schon vor der Einschiffung der Truppen daS Schlimmste weissagten. So schreibt ein Correspondent deS „Tcmpö", die Berproviantirung der auf dem Vormarsche befindlichen Truppen, welche zu Fuße, aus unwegsamen Pfaden, durch Morast und Gestein bis nach Suberbieville ziehen mußten, indeß die Fluß boote leck oder als Bruchtheile zurückblieben, sei jammervoll mangelhaft, und dies abermals auS dem gleichen Grunde: die Flußschifffahrt ,st nicht organisirt die Flußboote taugen nichts, die Kanonenboote, die jene inS Schlepptau nehmen könnten, sind nicht stcch genug, um täglich die 300 Tonnen Lebensmittel zu tranS portiren, deren die Marschtruppen bedürften. Folglich leiden uese Mangel und der Rest ist bei dem mörderischen Klima nicht schwer zu errathen. Doch nimmt die Expedition, wie. es scheint, einen rascheren Fortgang, als man noch jüngsthin erwartete, und das wäre wirklich Glück zu nennen, weil nur dann von einem Er olge die Rede sein kann, wenn das Exprditionscorps noch vor der Regenzeit in der Landeshauptstadt Tananarivo unter Dach kommt. Bleibt es unterwegs liegen, so wird es von Seuchen dahin gerafft und eS müssen Verstärkungen nack- aesandt, die Operationen vielleicht theilweise wiederholt werden, da die Hovas voraussichtlich einem erschöpften, durch das Klima erschlafften Feinde daS Leben sauer machen werden. Viel hängt jetzt davon ab, ob die 400 Mann Genietruppen, welche der General Duchesne telegraphisch verschrieben hat, rasch nachgesandl und mit der gewünschten Schnelligkeit die Bahnbrecher arbeit vollbringen werden, die sie zu verrichten habe». Daß diese Sappeurs nicht gleich mitgenommen wurden, leweist von Neuem, wie oberflächlich oder verworren die Zurüstungen getroffen worden sind. Und dabei md die bewilligten Credite schon verschlungen und werden verdoppelt oder verdreifacht werden müssen, nur um die nöthigstcn Ausgaben für die Expedition zu bestreiten. Diese erheischt einen ungeahnten Kostenauf wand, schon weil nur mit größter Mühe die Arbeitskräfte ,uin Ausladen der Schiffe aufgelrieben werden könne». Da darf man sich nicht Wunder», wenn vielfach die Meinung laut wird, Frankreich hätte daS Protektorat über die Insel fahren lassen und Madagaskar den Engländern preisgeben sollen. Die widerspruchsvollen Meldungen betreffs der Lage in Makedonien erhalten noch immer neuen Zuwachs. Nach der einen Version soll es sich dabei um ganz belanglose ört liche Reibungen handeln, nach der anderen ein regelrechter Aufstand im Gange sein. Bei Beurtheilung einer derartigen Berichterstattung wird man zu berücksichtigen baben, daß die mace dänische Bevölkerung sich keineswegs aus gleichartigen Elementen zusaminensetzt, sondern daß »eben dem in herrschender Stellung befindlichen Osmanenthum Bulgaren, Serben und Griechen das Gros der Einwohnerschaft ausmachen, und daß jedes dieser Bevölkerungselemente ein ganz bestimmtes Interesse daran nimmt, nur solche Situationsschilderungen an die Oeffentlich- keit zu bringen, wie sie seinen specifischen Wünschen und Absichten entsprechen. Hieraus erhellt schon, wie unzutreffend es sein würde, allein nationalbulgarische Machenschaften mit der Verantwortlichkeit für die gegenwärtige Lancirung einer makedonischen Frage zu belasten. Daran allerdings dürste festzuhalten ftin, daß zur Zeit unter den christlichen Volker schäften Makedoniens die Stimmung eine hochgradig erregte ist, und zwar liegt der Grund dessen in der Mißstimmung darüber, daß die Frage der armenischen Reformen einer diplomatischen Behandlung für Werth erachtet worden war, indeß Makedonien außerhalb des Bereichs großmächtlichcr Inter vention verblieb. Die makedonischen Christen empfinden heute das Drückende ihrer untergeordneten Stellung härter als je und halten dafür, daß, was den Armeniern recht, ihnen selbst auch billig sei. Und dieser Volksstimmung wird in Gestalt von gelegentlichen Friktionen mit den türkischen Organen der be waffneten Macht der dort landesübliche Ausdruck verliehen. Als erschwerender, die Complicirtheit der Lage vermehrender Umstand tritt die Eifersucht zwischen den einzelnen christ lichen Nationalitäten hinzu, und es begreift sich ohne Weiteres, daß unter diesen Umständen die mit der Stimmung an den tonangebenden Stellen der europäischen Politik nicht unbekannten Regierungskreise Sofias keine sonderliche Neigung verspüren, Feuilleton» Haus Hardenberg. L6j Roman von Ernst von Waldow. Nachdruck Verbote«. (Fortsetzung.) Wenn nur schon Alles glücklich überstanden, die Gefahr einer vorzeitigen Entdeckung überwunden und sie Beide sich auf dem rettenden Schiffe befänden, das sie einer fernen, glücklichen Küste zuführen sollte. Die fortwährenden Aufregungen der letzten Zeit, daS Be mühen, ihr gefährliches Geheimniß vor aller Augen zu be wahren, die Angst bei den heimlichen Zusammenkünften, der innere Kampf zwischen Pflicht und Liebe hatten die ohnehin zarte Gesundheit des schwächlichen jungen Mädchens unter graben und ihre Nerven auf das Höchste angespannt. Auch heute Abend galt eS, ihren ganzen Muth zusammen zunehmen. Schon einmal war sie, als Alles im Hause schlief, leise hinabgeschlichen und batte einen Brief durch die Spalte der ein wenig geöffneten Thür gesteckt und einige Worte mit Victor gewechselt. Damals war der Schlüssel, einer Nach lässigkeit zufolge, im Thürschlosse stecken geblieben. Das hatte sich aber nicht wiederholt und so mußte Rath geschafft werden, da es bei der rauhen Jahreszeit, wo die Spazierritte ein gestellt worden waren, durchaus keine Gelegenheit gab, Victor heimlich zu sprechen. In der letzten Zeit war eS ihr nicht einmal vergönnt gewesen, ihm ein Wort zuzuflüstern, wenn er einen Besuch im Hardenberg'schen Hause gemacht, und während der Ab wesenheit des Hausherrn verbot sich eine solche Visite von selbst. Da gab es denn keine andere Wahl, als eine heimliche Zusammenkunft bei Nachtzeit, und um diese zu ermöglichen, hatte Renate den Doppelschlüssel aus dem kleinen Schlüssel schranke genommen und Victor gegeben, der sich von Karl eine Doublette anfertigen ließ. Sie hatte nichts zu thun, als den Riegel von der Tbür zu schieben, waS sich leicht bewerkstelligen ließ, und Victor dann zu erwarten. Da ihr Zimmer unweit von denen ihrer Stiefmutter hätte doch das unvermuthete Erscheinen eines Domestiken eine Entdeckung herbeiführen können. Aber es gab noch ein Aus- kunstsmittel. Von dem ersten Absätze der breiten Freitreppe zweigte sich rechts ein bedeckler GlaSgang ab, der nach dem Hofe sah. Am Ende desselben lag ein bochgewölbter, düsterer Raum, der nur bei besonders feierlichen oder traurigen Familien- ereignissen geöffnet und benutzt wurde. Vor mehr als einem Jahrhundert waren dort die feier lichen Verlöbnisse oder Tauffeste, zuweilen sogar eine HauS- trauung abgehalten worden. Späterhin war der unfreundliche Raum nur noch bei Trauerfeierlichkeiten zur Verwendung gekommen. Zuletzt war daselbst die Leiche Friederike Hardenberg's aufaebahrt gewesen. Nun würde keine Macht der Welt Renate bewogen haben, dieses schauerliche Gemach zu betreten, vor dem sie sich schon als Kind so gefürchtet, aber in dem Corridor, der dahin führte, war man völlig sicher, da nie und besonders zur Nachtzeit nicht, der Fuß eines Dieners sich hierbei verirrt hätte. Dazu kam noch, daß sür Renate's jungfräuliches Gefühl der Gedanke minder verletzend war: dem Geliebten hier in einem offenen Gange eine Zusammenkunft zu gewähren, als in ihrem Zimmer, ganz abgesehen davon, daß die Nähe jenes düsteren Raumes mit seinen schmerzlichen Erinnerungen jedem leidenschaftlichen GefühlSergusse Schranken ziehen mußte. Wie lange die Stiefmutter auSblieb — was mochte nur das für ein Geheimniß sein — vielleicht gar der Besuch eines früheren Liebhabers, der die Neuvermählte hier aufsuchte und sie tödtlich erschreckt hatte, denn sie war leichenblaß geworden und ihre Hände hatten gezittert. Und wenn sie etwa gar nicht wiederkehrte, heimlich ge flohen wäre? — Abscheulich! Aber hatte sie, Renate, denn noch ein Recht, über dergleichen Vergehen so hart zu richten? — DaS Blut stieg ihr in die Wangen. Morgen schon würden Alle sie unnachfichtlich verdammen, als eine — die Aergerniß gegeben in der Familie. Renate erhob sich, es litt sie nicht mebr an ihrem Platze, sie trat an» Fenster, schob die dichten Vorhänge zurück und preßte ihre beißen Wangen gegen die kalten Scheiben de« hohen Spiegelfensters. Oft genug batte sie es sich so schön auSgemalt, im bräutlichen Schmucke an des Gatten Seite da» schützende Vaterhaus zu VOHUIsril, , geebrt von den Ihrigen. Und nun war Alles plötzlich fS anders — ganz ändert gekommen! Von den stolzen Mädchenträumen hatte sich keine; erfüllt, nur die Glut, welche versengend in ihrem Herz« brannte, sie mochte der Liebesseligkeit gleichen, die ihr unbe friedigte« Gen üth so lange ersehnt. Renate blickte zum Himmel auf, da war keiner der traute, Sterne mebr zu sehen, die vorher noch so freundlich geblinkt Auch der Wind hatte sich erhoben, die Flammen der Gas laternen flackerten wie ängstlich hin und her. Da hielt ein Wagen vor der Tbür de« Hause«. Endliö kam die Stiefmutter heim. Renate läutete und bestellte, dal man den Thee serviren solle. ES wäbrte auch nicht lange, da trat ValeSka ein, sie halt Hut uud Pelz abgelegt und war gleich hierher gekomm« we,l Luise ihr gesagt, daß Fräulein Renate mit dem The auf sie wart». Die junge Frau sah blaß und traurig auS, trank schne' «ne Taffe heißen Thee und hüllt« sich fröstelnd in ein Tuck das Luise ihr reichen mußte. Ueber ihre Ackssahrt und die Veranlassung dazu sprac sie kein Wort. Renate wunderte sich nicht darüber, sie ball eS nicht ander« erwartet. Windstoß dw Scheiben leise klirrend ertöne, Baleska blickte erschreckt auf. » . 7-?? ^ Wetter ändert sich, es hat sich so plötzli, bekommen " ^acht keinen Schneesturi Zeit nicht« Ungewöhnliches - meinte Renate, die nach kurzer Ueberlegung zu den, Result- ' daß e« für sie besser wäre, wenn sich ei recht starker Schneesturm erhöbe. ^ der Offnen der Thür, di- Schritte a, * F . Ä dann gar Nicht vernommen werden. Die Unterhaltung blieb eine sehr einstlbiae Es »» DaS junge Mädchen war an« Fenster aetret-n Mama, Du hast Recht gehabt es scdn«» ci. Wik die Flocken lustig emporwirbeln." ' ^ ^ „Lustia ist das eben nicht, besonders nicht für diejenigen, welche auf der Reise sind. Auch Papa wird in Tiefensee sich nicht wohl fühlen." „Er hat Herrn Engelinann zur Gesellschaft und ich wette, daß die Herren bei einem Glase Punsch ganz vergnügt bei sammen sitzen und nicht so melancholische Betrachtungen an- stellen, wie wir einsamen Frauen." „Vielleicht Haft Du Recht. Nun, gute Nacht, Kind!" „Gute Nacht, liebe Mama." Renate geleitete ihre Stiefmutter bis zur Thür. „Kommst Du nickt mit?" „Ich habe dem Mädchen noch etwas zu bestellen." „Dann zögere nicht zu lange, daß Du Dich nicht er kältest." „Gewiß nicht, ich folge bald." Die Thür schloß sich hinter Valcska. Dann erschien«, ein Hausmädchen und der alte Friedrich, um das Theegeschirr wegzuräumen und die Ordnung im Speisezimmer wieder her zustellen. Renate batte nur darauf gewartet. Anscheinend voll Theilnahme fragte sie: „Wie geht es denn dem alten Anselm?" „Danke schön, Fräuleinchen, seit gestern gehtS schon be deutend besser, das Fieber hat nachgelassen und er ist müde. Der Doctor meinte: das Beste wäre, ihn schlafen zu lassen, so lange er will." „Ei gewiß, da hat er ganz Recht und auch für Sie ist das gut, denn da werden Sie endlich wieder eine ruhige Nacht haben." „Die thäte freilich noth, denn seit drei Nackten bin ich in kein Bett gekommen, da grade in der Nacht das Fieber am schlimmsten war, ja Fräuleinchen, so was spürt man schon in den Gliedern» wenn man die SechSzig passirt hat. „Armer Friedrich, ich glaub' es wohl, aber nun können Sie hoffentlich das Versäumte nachholen." Der Alte schmunzelte. Renate winkte ihm zu, nahm einen ^»andleuchter von der Kredenz, entzündete die Kerze und gao den Auftrag, daß man sorglich den Gaskronleuchler im Speisezimmer, wie auch die einzelnen GaSlampen im Treppenhause und Corridor abdrehen möge. Dann verfügte sie sich in ihr Gemach, setzte sich an den Tisch, schraubte die Lampe höher und nahm ihre Stickerei vor Nicht lange währte e«, da wurde leise an di» Thür gepocht und auf die erhaltene Erlaubniß trat Luise in da« Zimmer. Sie batte ihrer Herrin beim Auskleidrn geholfen und
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