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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.07.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-07-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950710022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895071002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895071002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-07
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Die Kürze des Weges, die gerade Linie der Straße und der pünktliche Dienst der Staatsschleppdampfer sind Dor theile, die sich die Besitzer der Segelschiffe nicht entgehen lasten mögen und die ihnen — soweit man bis jetzt sehen kann — die verhältnißmäßig hohen Abgaben als eine nicht zu große Last erscheinen lasten. Besonders ist eS der Verkehr auf der Eider bis Rendsburg, der auf Kosten des Canals stark zurllckgeht. An einem einzigen Tage der vorigen Woche, der ersten, wo der Kaiser-Wilhelm-Canal in Betrieb war (am Mittwoch, den 3. Juli), haben nicht weniger als 80 Schiffe die Schleußt bei Brunsbüttel passirt. Darunter befand sich ein englischer Dampfer, der allein 1700 -6 Abgaben zahlte. Bekanntlich sind in voriger Woche auch die ersten Kriegs schiffe durch den Kaiser-Wilhelm-Canal gelaufen; es waren dieses die beiden Panzerschiffe der IV. oder Siegfried-Classe „Hildebrand" und „Frithjof", die den Weg von Kiel bis zu ihrem HeimathShafen Wilhelmshaven in 24 Stunden rnrück- legten, wovon 10 auf dir Fahrt durch den Canal selbst kamen. Die Fahrt ist ebne jeden Zwischenfall von statten gegangen; nur wurde unterwegs im Canal der sehr starke Wind recht unangenehm empfunden. An einigen Stellen haben sich die Deiche ein wenig gesenkt, doch war VaS für die Schiffe, die nur einen Tiefgang von 5,4 m haben, kein Hemmniß. Uebrigens sind auf der ganzen Canalstrecke jetzt die noch rückständigen Arbeiten wieder ausgenommen. Der Hauptsache nach handelt eS sich dabei darum, die nach und nach von den Uferwerken in daS Canalbett gesunkenen Erd- und Schlamm massen wieder auszubaggern und überall die vorschriftsmäßige Tiefe herzustellen. Man erwartet, daß spätestens im nächsten Frühjahr auch unsere tiefstgehenden Kriegsschiffe den Canal passiren können. Zu den noch rückständigen Arbeiten gehört auch noch die Ausbaggerung des BetriebshafenS bei Rends burg, die im letzten Frühjahr nicht auSgeführt werden konnte, da es an den nvthigen Baggern gebrach. Man hat nun auch die Vollendung der BefestigunzS werke an der Canalmündung allen Ernstes in die Hand genommen. Am linken Ufer der Elbe, Brunsbüttel gegen über, ist das Fort so weit vorgeschritten, daß von den sechs Batterien, die es umfassen soll, bereits vier fertig ge stellt sind, während die beiden anderen Ende Herbst in Dienst gestellt werden können. Das ganze Fort wird mit großen Geschützen von lO^/zin Lange und 40 om Durchmesser armirt werden, die sämmtlich aus den Krupp'schen Etablissements stammen. Jedes Geschoß, das 9^/r Crntner wiegt, bedarf fast 3i/r Centner Pulver. Die Versuch-Übungen, die mit diesen gewaltigen Geschützen angestellt sind, haben ergeben, daß die Tragfähigkeit so groß ist, daß von dem Fort aus die ganze äußere Elbmündung bis zur Spitze deS Friedrichs koog beherrscht wird, das Küstengebiet also wirksam geschützt werden kann. Aehnliche Fort- sollen später auch am rechten Elbufer angelegt werden. Auf diesem wird in der unmittelbaren Umgebung der Schleuß« jetzt auch wieder eifrig gearbeitet. Zunächst gilt es das Stationshaus für die sogenannten Böscher Lootsen fertig zustellen. Ursprünglich sollten diese eS schon am 1. Juli be ziehen; doch dürfte es kaum vor dem 1. Oktober vollendet sein Die Böscher Lootsen sind Hamburger: ihnen liegt es ob, alle in die Elbe einlaufenden Schiffe nach Hamburg zu geleiten Ihr StationShauS lag bisher etwas südlich von Brunsbüttel bei St. Margarethen. Da ihnen jetzt aber auch die Pflicht wird, einlausende Schiffe, nachdem bei Cuxhaven der See lootse sie verlassen bat, bis zur Mündung des Kaiser Wilhelm-Canals zu führen, wo sie von dem Canallootsen abgelöst werden, oder umgekehrt auch von dort bi« zur Elbemündung zu bringen, so hat daS Reich beschlossen, ihnen, um einen regelmäßigeren Dienst zu ermöglichen und die Transportkosten von und nach Bösch zu sparen, ein neues prächtiges Haus mit 60 Betten an der Canalmündung zu errichten. Der Vollständigkeit wegen wollen wir zum Schluß noch erwähnen, daß an der Canalmündung bei Brunsbüttel vorige Woche auch die erste Havarie vorgekommen ist. Der Kieler Dampfer „Thea", von Newcastle mit Kohlen nach Rendsburg bestimmt, lief im Außenhafen mit solcher Gewalt gegen die Ouaimauer, daß er sich den Vordersteven ein- drückte. Die Schuld wird von den Lootsen dem Umstand beigemefsen, daß die Molen zu kurz sind, so daß der Strom an Stärke bei Ebbe und Fluth zu sehr wechselt. Nach An sicht von Fachmännern ist eS nothig, namentlich wenn erst die größeren Kriegsschiffe durch den Canal lausen sollen, die Molen zu verlängern, um mehr ruhiges Wasser zu schaffen, in daS gefahrlos eingesegelt werden kann. Das sind kleine Mißstände, wie sie bei so gewaltigen, neuen Anlagen, wie es der Kaiser-Wilhelm-Canal ist, stets Vorkommen, die aber leicht mit der Zeit zu beseitigen sind. Das Urtheil, soweit ein solches nach einer Betriebswoche überhaupt gefällt werden kann, lautet in den Kreisen der Sachverständigen, daß sich der Kaiser-Wilhelm-Canal in ganz vortrefflicher Weise bewährt. Politische Tagesschau. * Leipzig, 10. Juli. Der preußische Landtag wird heute nach langer Session geschlossen werden. Die Dauer war weder durch die Menge, noch durch das Gewicht der gesetzgeberischen Aufgaben be stimmt, sondern ist zum Theil durch das Bedürfnis nach demonstrativen Reden und Anträgen, theil« durch den Um stand zu erklären, daß eine Reihe wichtiger Vorlagen dem Hause in sehr vorgerückter Zeit zugrgangen sind. Dieser Verspätung wiederum mag die Thatsache, daß rin in seinem Präsidium, sowie in drei Ressorts neugestaltetes Ministerium dein Hause zum ersten Male sich gegenüber sah, zur Entschuldigung dienen. Eine starke Beeinflussung der Verhandlungen beider Häuser durch den Ministerwechsel wird man nicht feststrllcn dürfen. Lag es an den Verhältnissen, daß die Behandlung von Agrarfragen auch dieser Tagung den Stempel aufvrückte, so hätte die Ersetzung des Grafen Caprivi durch den Fürsten Hohenlohe und des zum treuen Anhänger des Elfteren gewordenen LandwirthschaftS Ministers v. Heyden-Cadow durch den agrarischen Präsidenten des deutschen Landwirthschaftsraths Frhrn. v.Hammerstein Loxten eine mildere Tonart, als die extrem-agrarischen Elemente sie anschlugen, erwarten lassen dürfen. Die Ernennung des Herrn v. Koller zum Minister des Innern war geeignet, diese Annahme zu bestärken, und die Berufung des Herrn Schönstedt an Stelle deS den Antisemiten verhaßten Herrn v. Schilling als Justizminister war ihr zum Mindesten nicht entgegen. Aber auch in dieser Session war die Form des konservativen Auftretens häufig ein schroffes und, was stärker ins Gewicht fällt, die Herren hielten an ihren unerfüllbaren For derungen mit gegen früher eher noch vermehrter Hartnäckig keit fest. Der LandwirthschaftSminister hat sich jedoch An spruch auf Dank und vor Allein auf den Dank der Land wirthschasl erworben durch die Offenheit, mit ver er solche Forderungen beurtheilte und abwieS, und die dem Finanz minister Or. Miquel und gelegentlich auch dem Minister Präsidenten zum Muster hätte dienen können. In der Durchführung des Programms der „kleinen Mittel", die in I Wahrheit recht ansehnliche sind, ist der LandwirthschaftS minister und die Regierung überhaupt um so «nergischer ver fahren, und zu einem beträchtlichen Theil batten sich dies« Bestrebungen schon zu Gesetzesvorlagen für diese Session ver dichtet. So wurde die Begründung einer staatlichen Central anstalt zur Förderung deS genossenschaftlichen Credits vorgrschlagen und beschlossen. Das neue In stitut , das der preußische Staat mit fünf Millionen Mark dotirt, bezweckt die Verbilligung des Ge- nossenschaftscredits und will damit vorzugsweise auf die Ausbildung deS Genossenschaftswesens in der Land- wirthschaft, wo es in dem Preußen östlich der Elbe noch in den Kinderschuhen steckt, und im Handwerk, wo es ebenfalls noch wenig entwickelt ist, hinwirken. Eine weitere Zuwendung staatlicher Mittel ist der Landwirth« schaft durch ein Gesetz geworden, das 5 Millionen für die Unterstützung von Kleinbahnbauten auswirft, ohne daß die übliche alljährliche Ausdehnung des Secundärbabnnetzes dabei zu kurz kommt. Mit zwei weiteren im Interesse der Land- wirthschaft vorgelegten Gesetzen hatte die Regierung kein Glück. Eine Vorlage, welche die Versicherung gegen den Verlust durch Schweinekrankheiten einführrn wallte, scheiterte an dem Widerstand der agrarischenMehrheit desAbgeordnrtenhauseS und dasselbe widerfuhr einem Entwürfe, der der Vagabundenplage durch die Errichtung von Verpflegung« st ationen, beziehungs weise durch Sicherung der bestehenden, entgegenzutreten bestimmt war. An dem letzteren Mißerfolg ist Herr I>r. Miquel nicht ganz unschuldig, da er der Forderung, einen Theil der Kosten aus den Staat (statt ausschließlich auf die Kreise und Pro vinzen) zu überwalzen, einen principiellen Widerstand entgegen setzte, von dem man nicht ganz ohne Grund annimmt, daß eS im Grunde doch nur ein fiskalischer gewesen. Bei der großen socialpolitischen Bedeutung dieser Frage ist ihre Ver zögerung, denn nur um eine solche darf es sich handeln, tief zu beklagen. Eine dritte die Landwirtbschaft berührende Vor läge wurde durch das Herrenhaus zu Fall gebracht. Preußen cultivirt seit einigen Jahren eifrig die Besitzform derRenten güter, als die einzige, die zugleich den Stand der bäuerlichen Kleinbesitzer im Osten zu vermehren und de» Arbeitermangrl auf den großen Gütern, der durch den Zug der beschäftigungslosen Arbeiter nach Westen hervorgerufen wird, zu beheben oder zu mildern im Stande ist. Die Vermittelung der Niederlassung be sorgen die staatlichen Genrralcommisstonen, mit denen die creditgewäbrenden Rentenbanken verbunden sind. Die zweckend sprechende Wahrnehmung dieser Geschäfte in Ostpreußen hatte die Errichtung einer Generalcommission für diese Provinz zur dringenden Nothwendigkeit gemacht und das Abgeordneten Haus batte sich dieser Einsicht auch nicht verschlossen. Im Herrenhause aber, wo daS Bestreben, die Latifundien zu ver mehren und zu erweitern, stärker ist als das, die brennendste Agrarfrage Preußens der Lösung näher zu bringen, wo man also der Rentengutseinrichtung nicht sehr gewogen ist, wurde die Errichtung der Generalcommission verweigert. Ueberein stimmung erzielten die beiden Häuser in der von den Agrariern aufgeworfenen Frage der Rückzahlung der Grund steuerentschädigung. Sie beschlossen ein Gesetz, dessen Wirkung wäre, daß eine kleine Anzahl sehr reicher Groß grundbesitzer große Summen, die ihnen der Staat gewährte, als er ihre Grundsteuerfreiheit aufhob, nunmebr, da die Grundsteuer wieder beseitigt ist, in der Tasche be hielten. Man nimmt an, daß die Regierung, wenn schon auS keinem anderen Grunde, so doch um Ver Socialdemokratie und dem bürgerlichen NaVicaliSmnS nicht ein überaus werthvolleS Agitationsmittel zu verehren, dem Gesetzentwurf die Zustimmung versagen werde. Die wich tigstr Leistmm der Session war die Beschlußfassung Uber ein Stempel st eüergesetz, daS der auf diesem Gebiete herrschenden, Beamte und Publicum be lästigenden Unordnung »in End« macht. An diesem Stücke hat die Commission de« Abgeordnetenhauses «nd dieses selbst in der That mit Fleiß und mit Zurück stellung von Sonderwünscbrn gearbeitet und das Herren haus hat eS wenigstens unterlassen, das Werk durch die angekündigte Herabsetzung des Stempels auf Fidei- commißstiftungen zu verderben. Von politischen Vor gängen während der Tagung ist die Mariaberarr Inter pellation zu erwähnen, die das allgemeine Interesse er regte, und etliche auf Wiederbelebung deS CulturkampfeS ge richtete Versuche des CentrumS, die so gut wie ganz unbeachtet blieben. Für uns ist der bemerkenSwertheste Tag der Session der 23. März, wo dir Mitglieder de« Abgeordnetenhauses Mit großer Mehrheit den Beschluß faßten, den Fürsten Bis marck zu seinem 80. Geburtstage zu beglückwünschen, um sich sodann in den Reichstag oder auf dessen Tribünen zu begeben und Zeugen der Schmach zu werden, di« die Ver treter des gesammten deutschen Volkes diesem und sich selbst anthaten. Das Ergebnis der ReichStagSrrsatzwahl in Meseritz- Bomst ist derartig, daß der Wahlkreis im deutschen Besitz erhalten werden kann, dies jedoch nur dann, wenn alle Deutschen, die auf diesen Namen noch Anspruch machen, in der Stichwahl ibre Schuldigkeit thun. Die auf die beiden deutschen Candidaten entfallene GesaniintstiMMrn- zahl übertrifft die deS polnisch - klerikalen Herrn von SzymanSki um 742. ES haben indessen nach den vor liegenden Berichten nur rund,16 900 von den 22 100 Wahl berechtigten, die bei den Hauptwahlrn 1893 gezählt wurden, sich an der Wahl bethriliHt. Da bei dem Fanatismus der Polen und der DiSciplin, die dir Geistlichkeit handhabt, nicht anzunehmen ist, daß eine nennenswerthe Anzahl von Polen und Ultramontanen im ersten Wahlgang der Urne fern ge blieben ist, so sind für Herrn von Dziembowski beträchtliche Reserven vorhanden. Hoffentlich ist das deutsche National gefühl stark genug, sie heranzuziehen. Die „Freisinnigen" scheinen, der „Ostdeutschen Presse" zufolge, in einigen Orten schon im ersten Wahlgang für den deutschen Kandidaten gestimmt zu haben. Jedenfalls bilden diese aber eine kleine Minderheit ihrer Parteigenossen, da im Jahre 1893 ^381 Stimme« für den Freisinn abgegeben worden sind; hei der Ersatzwahl von 1894 wurde die freisinnige CandidatUr Nicht ernsthaft betrieben. Die Antisemiten haben sich zu Be ginn der Wablbewegung verpflichtet, für den Fall, daß ihr Candidat nicht in die Stichwahl gelangen sollte, für Herrn von Dziembowski zu stimmen. Sie haben Um so mehr Anlaß, ihr Wort einzulösrn, als ohne ihre Absonderung die Nothwendigkeit für die Deutschen, sich mit den Polen in einem »weiten Wabl- gange zu messen, entfallen wäre. Die letzte Ursache dieser Zersplitterung ist aber in der konservativen Politik der letzten Jahre ru suchen, die den radikalsten Antisemiten zu Einfluß verholten hat. DaS Hauptwahler^ebniß in Meffritz- BoMst und die für sie beschämende Katastrophe in der „Kreuzzeitung", welches Blatt Herrn Ahlwardt rmpor- aehoben hatte, sind Ereignisse, welche die deutschconservative Partei zum Nachdenken über den schreienden Widerspruch zwischen ihrer jüngsten Vergangenheit und ihrem Namen bewegen sollten. In der belgischen Bevölkerung steigt die Erbitterung über das neue klerikale Schulgesetz immer höher. Am Sonntag haben in Gent lärmende Demonstrationen, woran sich 3000 Liberale und Socialisten betheiligten, gegen die Gesetzesvorlage stattgesunden. Diese wurde als ein ver fassungswidriger Angriff auf die Gewissensfreiheit stürmisch verurtheilt. Am 15. v. M. soll in Brüssel eine Mani- Rs Fsrrilletoir. Haus Hardenberg. Roman von Ernst von Waldow. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) An welchen Abgrund hatte sein Leichtsinn ihn geführt I Seine Schuld war es, wenn ein Mensch wie dieser Karl Winterfeld ihn als seines Gleichen behandelte. O, die Schande! Wie vernichtet war Viktor auf einen Stuhl gesunken, dir Pulse an seinen Schläfen hämmerten, seine Wangen deckte die Röthe der Scham — ja, er war tief — tief gesunken, daS kam ihm mit furchtbarer Deutlichkeit zum Bewußtsein. Wie nun, wenn er versuchte, sein Unrecht durch ein offenes Bekeuntniß wieder gut zu machen — wenn er zu Hardenberg ginge, ihm Alle« sagte? Da war es ihm, als wenn er die Blicke von de« Kauf herrn kalten Augen verachtungsvoll auf sich gerichtet sähe — nein — nur daS nicht, nur diese Demüthigung nicht — lieber eine Kugel vor den Kopf! Auch trug er ja noch des König« Rock, den mußte er vor Schimpf bewahren. Und ferner hatte er kein Recht, selbst eine Entdeckung deS Geheimnisse« herbeizufÜhren ohne Renate'S Zustimmung. Also fort! Der Boden brannte ibm unter den Füßen, dem Mädchen konnte er durch sein längere« Bleiben nichts nützen, eS war ihm ja sogar unmöglich gemacht, mit Renate in Verbindung zu treten, da nicht« ihn dazu bewogen hätte, da« Hardenberg schr Ha»S zu betreten. Jetzt plötzlich durchschaute er auch die Komödie, welche Karl mit der Frau Lindemann vorhin aufgespielt. Di« gute Alte war natürlich ahnungslos gewesen, sie batte ganz einfach da- werlhvolle Schmuckstück ihrem Gedächtniß einprägen müssen und daß Lieutenant Saalfeldt sich als dessen Besitzer auSgegrbrn. Ihr« Aussage jedoch müßte geradezu vernichtend für ihn werden. Halte der Einbruch wirklich stattgchabt — und darüber konnte er sich leicht Gewißheit verschaffen —, dann war eS da» Geratenste, schleunigst nach Berlin zurückzukehren, den Abschied zu nehmen und sodann sich in irgend einem Erden winkel zu vergraben. Indessen saß Karl seelenvergnügt bei einem Glase Ungar wein in Tate Mendel's Wirthsstube und schrieb eben die Adresse aus einen zweiten Brief, den er versaßt, nachdem er Wilhelm Raabe, seinen SociuS, nach der Frievrichstraße zu Lieutenant Saalfeldt entsendet. Die Aufschrift deS zweiten Briefes lautete: „An Seine Wohlgeboren Herrn Wolfgang Hardenberg — Firma Hardenberg «L Söhne Eilt. Dlücherplatz." Mit einem hämischen Schmunzeln betrachtete Karl den Brief. „Es ist eigentlich schade, daß ich ihm da« nicht mündlich sagen kann, was darin steht. Dringender Grund zur Abreise wäre ja auch nicht vor handen, denn wegen der Anleihe von so ein paar lumpigen Hundert Thalern wird die Firma Hardenberg L Söhne einen Verwandten nicht inS Loch stecken lassen. Ich gehe nur fort, weil ich Wilhelm die Steine nicht an vertrauen mag. Er ist zwar ein kreuzbraver Kerl, aber als Socialdemokrat von reinstem Wasser lautet das erste Gebot in seinem Katechismus: „Eigentbum ist Diebstahl", und da dieses mein Eigenthum wirklich Diebstahl ist, so stimmt zu fällig Alles und er würde sogar ganz in seinem Rechte sein, damit durchzugeben, waS wiederum mir Nicht stimmen würde. Da« erbeutete Geld wird getheilt von Rechtswegen, wenn ich auch die Hauptarbeit gethan habe. Von diesem kleinen Privatgeschäft weiß Raabe aber Nicht« und braucht auch nichts zu wissen. Man muß Niemand in Versuchung führen. Eine halbe Stunde bleibt mir noch, die will ick benutzen. Heda! Tate Mendel, kann ich bei Euch ein Zimmer haben, um etwas Toilette zu machen — ich zahle für «ine Stunde Der Alte führte den Gast in sein eigene« Schlafzimmer, wo noch Nicht einmal aufgeräumt war, wie die Frau ein wendete. „Macht nichts — will mir nur den Schlaf aus den Augen wischen." Al« Karl allein war, verriegelte er die Thür, schob einen Stuhl vor daS Schlüsselloch, setzte sich und begann sehr ge schickt die einzelnen Steine au« der Fassung »u brechen. Nachdem er auch die Perlen abgelöst, schraubte er den Knopf seines dicken Knotenstockes ab und ließ eins nach dem anderen die Steine und Perlen in der Oeffnung verschwinden. Ganz zu oberst kam der große Brillant zu liegen. Die Silberfassung drückte er zusammen und steckte sie in die Tasche. „So — das wäre gemacht, die werde ich in die Oder werfen, wenn wir um 2 Uhr mit dem Holzkahn nach Oppeln u segeln. In Polen wird mich später wohl Niemand finden, elbst wenn sie mich suchen sollten." Und darin behielt er Recht. Wenigstens bis jetzt hat Niemand von Karl Winterfeld oder dem Weltverbesserüngs- apostel Wilhelm Raabe etwas wieder gehört, und da Karl ich auch nicht, wie sonst geschehen, mit der Bitte um Unter- tützliiig an seine Mutter gewendet, ist anzunehmen, daß er auf seiner beabsichtigten Orientfahrt zu Ansehen und Reich thum gekommen, oder aber am Galgen geendet hat. Im Interesse der Moral wäre das letztere zu wünschen. XII. Im Hardenberg'schen Hause war beute „der Teufel los" — wie der alte derbe Wellenberg ärgerlich vor sich hin brummte. Die Damen „nervös" und mit Migräne behaftet, der Hausherr abwesend, die Dienstleute außer Rand und Band, ja selbst der erste Buchhalter „unverzeihlich zerstreut". Und jetzt kam gar Friederike in aller Hast herab, um Friedrich zu dem HauSarzte zu senden, weil Fräulein Renate daS Fieber habe. Das hatte noch gefehlt! Uebrigens war eS ValeSka gewesen, welche, die Gefahr erkennend, in der ihre Stieftochter schwebte, sofort zu Doctor Friedebach geschickt. Leider wurde der Arzt sehr spät gerufen — das kam aber so. ValeSka war am Abend vorher, als sie sich allein sab, so tief erschüttert von dem Erlebten gewesen, daß sie ein heftiger Brusikrampf befiel. Sie hatte sich jo lange Zwang anthun und all« Geistes kraft aufbieten Muffen, um dem Bruder Muth zu machen und ibm eine Stütze zu sein, jetzt brach sie fast zusammen. Es war doch schrecklich, denken zu müssen, daß Siegfried da- Blut eines Menschen vergossen habe. Wenn auch der Kammtrherr ihn schwer gereizt — da« blieb immer nur ein« Entschuldigung, konnte nie eine Rechtfertigung de« Ge» schebenen werden. Zumal unter so erschwerenden Umständen, Wo Siegfried der Schuldner deS Herrn v. d. Golre war. Der Ehrenschein — o da« war schlimm — sehr schlimm Und wie ValeSka daran dachte, siel ihr auch ein, baß sie die Verpflichtung habe, bei Hardenberg'« Rückkehr demselben Rechnung über daS ihr anvertraute Capital zu lege». Diese NotbweNdigkeit berührte sie erkältend. Nein, lieber Alle« thUn, als gezwungen zu sein, eine olche Mittheilung über ihren Bruder zu machen. Sie kannte ihren Gatten ja (oder walmte ihn zu kennen), sie wußte, welche strenge, ja beschränkte Begriffe er, den Ehrenpunct >etreffend, habe, wußte auch, daß er Siegfried nicht liebte, ihm dessen Art unsympathisch sei — wie würde er also jetzt über den Schuldigen denken? Natürlich ihn auf da« Strengste verurtheilen. Vielleicht tadelte er sogar sie, daß sie dem Bruder das Geld geliehen, welche« er ihr zu anderen Zwecken gegeben. Schamröthe färbt« bei dieser Vorstellung ValeSka'S er glühende Wangen; Ihr Gatte, obwohl gut und edel denkend, konnte zuweilen, besonder« wenn eS sich um Geldfragen handelte, recht kleinlich werden. DaS Geld mußte beschafft werben. Sie wollte morgen mit Frau Martha reden, und wenn diese keinen Rath wußte, mit Clementine von Strehlen. Man konnte ja die Summe irgendwo aufhorgen und sie zahlte dann langsam von ihrem Nadelgelde ab. So würde es gehen. Einigermaßen beruhigt, entschlief ValeSka, die sich sehr ermattet fühlte, mit dem Gedanken an das Geld und den Brief beschäftigt, de» sie morgen an Onkel Dietrich richten wollte. Aber unruhige Träume beänastlgtcn sie, und als sie früh erwachte, war «S noch ganz dunkel im Zimmer. Sie empfand beftigeS Kopsweh und läutete dem Mädchen, damit diese« ihr »in Morphiumpulver mischen möge. Luise that dir« auch, und dann schlummert« ValeSka tief und fest rin und erwachte erst, al« di« Sonne schon hoch stand. Da« Kopfweh hatte etwas nachgelassen, dock fühlte sie noch einen dumpfen Schmerz und groß« Mattigkeit. Dieser Zustand verschlimmert« sich noch, als nun Luise erschien und di» fatal« Neuigkeit von dem nächtlich«» Ein druck bracht,. Da« war wirklich rin Unglück, auch für sie, denn nun würde Hardenberg sogleich zurückkehren und die Anlrihe war unter diesen Umständen viel schwieriger in« Werk zu setzen. Vor allen Dingen aber mußte der Brief an Onkel Dietrich geschrieben werden.
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