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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.07.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-07-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950712024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895071202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895071202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-07
- Tag1895-07-12
- Monat1895-07
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Gröbere Schriften laut unserem Preis- »eizeichnib. Tabellarischer und Zifsernjatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefördernng ^l 60.—, mit Postbesördenurg ^l 70.-». Annahmeschluk für Anzeigen: (nur Wochentag») Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morge n-Au-gabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeige» sind stet» an die Gx-etzirtoi zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. ^§ 335. Freitag den 12. Juli 1895. 89. IahrganK Amtliche Bekanntmachungen. Versteigerung. Eannahead, den IS. Jult 1805, von Vormittag 10 Uhr ab, sollen im Gafthaf zur goldenen Krone tu Möckern lL Pferde schweren Schlag» mit Geschirren, 1 Breakwagen, S Lowry- und Mstwagrn, 6 Strinwagen, 2 Erdtransport- wagen, 8 Leiterwagen, 1 Kutschwagen (Glaslandauer), 1 Korb« schlitten, 4 Stück komplett Kutschgeschirre, ca. 50 Etc. Hafer, ra. 300 Ltr. Heu, 1 Häckselschnridemaschiu«, IIS,000 Lehm« steine u. s. w. meistbietend gegen Baarzahluag versteigert werden. Leipzig, den 10. Juli 1895. Der Gerichtsvollzieher de» Kgl. AmtSgcrtchiS daselbst. Steinbeck, Secr. Politische Tagesschau. " Lcipztg, 12. Süll. Die Gährung der Zeit läßt Blasen an die Ober» fläche steigen, die sich in einer Periode ruhiger Entwickelung nicht zu bilden vermögen. Man sieht sie, und weil man sie steht, spricht man von ihnen, ohne dabei zu vergessen, daß sie alsbald platzen müssen. Manchmal dauert eS eine geraume Weile, bi» da» natürliche Ende eintritt, wie z. B. bei I)r. Böckel. Herr Rösicke, der sein Reichstagsmandat für Zerbst-Dessau dem Zusammenwirken der Ordnungs parteien gegenüber der Socialvemokratie verdankt und diese» Mandat jetzt plötzlich zurückgeben zu müssen glaubt, weil er sich nicht mehr in Uebereinstimmung mit dem nationalliberalen Thcile seiner Wähler befinde, wird die Zeitungen nicht so lange beschäftigen. Wenn die Ersatzwahl in Dessau vorüber ist, wird er wieder der herzoglich deffauische Commerrienrath und Berliner Brauereidirector und keine politische Persönlichkeit mehr sein. Die „National liberale Eorr." hat ihm bereits auseinandergesetzt, daß er den Verlust eines Vertrauens vermuthet, das er nie besessen hat. Herr Rösicke ist von den nationalliberalen Stimmen in Defsau-Zerbst taut äs wieux gewählt, als Nichtsocialist und Nichtantrsemit, er hat mit der nationalliberalen Fraktion keinen Zusammenhang und keine Verpflichtungen ihr gegenüber gehabt und e» ist ihm auch auS den Kreise» seiner nationalliberalen Wähler über die in den Punkten, die eraufzLhlt, von dieser Partei abweichende Stellungnahme niemals rin Befremden be kundet worden. Seine Selbstanzeige wehen Wählertäuschung ist lediglich dem Bedürfniß entsprungen, in den Acten, die in diesem Falle die Zeitungen sind, zu siguriren. Dieses Bedürfniß ist so tief empfunden, daß sich Herr Rösicke sogar einer gegen- sätzlichen Haltung zur nationatliberalen Partei beschuldigt, wo er mit ihr eines SinneS ist. So in der Frage des Reichstagswahlrechts. Die Partei hat in der letzten Tagung der von Herrn Rickert vorgrschlagenen Vorkehrungen zur vermehrten Sicherung der geheimen Stimmabgabe mit der Begründung zugestimmt, baß eS ihr weniger um jene Neuerung an sich, als um die Sichern,,; deS bestehenden Wahlrechts überhaupt zu thun sei. Was den Antrag Paasche auf Abänderung de» Zucker st euer- gesetzeS anlangt, so bezweckte er, wie Iebermann weiß, keine „unberechtigte Bevorzugung einzelner Tbeile der Be völkerung", sondern die Gleichstellung der deutschen Zucker- industrie mit der der Concurrenzstaaten. Es war ein Kampfantrag und hat als solcher bereit» gewirkt. Es finden Verhandlungen mit Oesterreich Uber vie Ausfuhr prämien statt: wenn sie zum Ziele führen, so wird dies einzig und allein geschehen, weil die österreichische Industrie durch den Antrag intimidirt ist. Wenn wir befürchteten, daß man in Oesterreich Herrn Rösicke politischen Einfluß zuschrirde, so würden wir gegen ihn den Vorwurf erheben, er habe die öster reichische Besorgniß vor einem energischen Vorgehen Deutsch lands gemildert und dadurch der Fortdauer der Prämien- wirthschaft Vorschub geleistet, welche, wo sie nicht durch Concurrenzstaaten zu einem Gebot der Selbsterhaltung ge worden, allerdings eine „unberechtigte Bevorzugung einzelner Tbeile der Bevölkerung" ist. In dem anspruchsvollen Tone deS Besserwissers belehrt Herr Rösicke die industriellen Autori täten dahin, daß die sofortige Ausdehnung der Arb e iterver- sicherungsaeseye und deS Arbeiterschutzgesetzes die Concurrenzfähigkeit der deutschen Industrie nicht im Mindesten beeinträchtigen werde. Wir möchten aber stark bezweifeln, ob daß Gebiet, auf dem der kaufmännische Leiter einer Bierbrauerei sich bewegt, hoch genug gelegen ist, um die Verhältnisse, mit denen eine Industrie, wie die deutsche, zu rechnen hat, ihm das Gesichtsfeld treten zu lassen. DaS deutsche Exportgewerbe steht mit einem enorm kostspieligen Versicherungswesen zur Zeit noch o gut wie allein da und darum ziehen wir eS vor, daß die 5rage des Weiterschreitens aus dem eingeschlagrnen social- -olitischen Wege unter dem Gesichtspunkte der Ver antwortlichkeit und nicht dem der Reclame beantwortet wird, obwohl wir nicht altmodisch genug sind, dir Reclame an sich unrühmlich zu finden. Im Gegentheile. ES gefällt uns, daß die Madame Sarah Bernhardt einen Löwen für tausend Pfund Sterling gekauft hat, und wir finden auch nichts dabei, daß Herr Rösicke sein Schreiben an die Dessauer Nationalliberalen durch die freisinnigen Blätter, anstatt in dem von ihm herauSgegrbenen und uns sehr gerühmten „Schultheiß-Anzeiger" veröffentlicht hat. Zumal da gerade die Fortschrittspresse nicht dafür bekannt ist, daß sie Blasen in konsistente Körper umzugestalten vermag. Die Beweggründe, die den Rector der Universität Bre-lau bestimmten, die Gründung einer akademischen Ortsgruppe des Vereins zur Förderung deS DeutschtbumS in den Ost marken zu Verbindern, werden in der „Boss. Ztg." „nach seinen eigenen Angaben" wie folgt dargelegt: „Als die hiesige Studentenschaft vor dem 1. April d. I. durch Anschlag am schwarzen Bret zur Betkeiligung an der BiSmarck- frier von einem Ausschuß aufgesordert wurde, batte der Rector den Avschlag anstandslos gestattet. Ebenso hatte er er- taubt, daß ein anderer Ausschuß später »ur Unterzeichnung einer Petition gegen die Umsturzvorlage ausforderte. Hiergegen aber erhob damals das Curatorlum, wie eS beißt, auf unmittelbare Veranlassung des Ministers von Kötter, Einspruch, weil die Petition gegen die Umsturzvorlage ein» politische Angelegen- heit sei, mit der die Studenten sich nicht befassen dürften. Ver gebens berief der Rector sich darauf, daß ja die studentische Vis- niarckfeier, gleichfalls «ine politische Angelegenheit, von der Behörde gestattet gewesen wäre. Ter Anschlag, der zur Unter- zeichnung der Petition gegen die Umsturzvorlage aufsorderte, mußte entfernt werden und die Petition mit den Unterschritten wurde de- schlagnahmt. Al» aber jetzt der Verein deutscher Studenten das Audi torium maximum für die Versammlung zur Gründung der akademischen Ortsgruppe des „Vereins zum Schutze de» Deutschthums in den Ost marken" benutzen wollte, glaubte der Rector sowohl die Räume der Universität, wie auch die Ankündigung am schwarzen Bret dieser Vereinsgründung versagen zu müssen, weil e« sich hier wieder um eine politische Angelegenheit handle. Der Verein deutscher Studenten ließ nun vor der Universität Zettel mit der An kündigung an di« Studenten vertheilen, daß die Ver sammlung heute Abend im „König von Ungarn" stattfinden würde. Diese Zettelvrrthetlung wurde gleichfalls verboten und die Vrrtheiler weggewirsen. Trotzdem war die polizeilich angemeldete und überwachte Versammlung recht gut besucht. Man war gerade mit der Berathung der Statuten beschäftigt und soeben hatte die Versammlung, entgegen dem Vorschlag des V. D. St., der nur Eommititonrn deutscher Abstammung als Mit glieder zulassen wollte, die Bestimmung angenommen, daß jeder tmmatriculirte Student VereinSmitglied werden könne, als der Pedell erschien und im Namen von Rector und Senat die Versammlung auflösen zu wollen erklärte. Als darauf ein un geheurer Lärm entstand, löste der überwachende Polizeibeamte die Versammlung auf, weil der Vorsitzende alle Gewalt über die Ver sammlung verloren hatte. Mit großem Getöse ging die Versamm lung auseinander." Aus dieser Darstellung ersehen wir zwar mit Genug- thuung, daß es nicht, wie gestern übereinstimmend gemeldet wurde, der Protest der polnischen Studenten gewesen ist, der den Rector zu seinem Vorgehen bewog. Im Urbrigrn aber bleiben wir nach wie vor der Ansicht, daß eS bei dem Verfahren deS RectorS nicht sein Bewenden haben kann. Denn der Rector irrt, wenn er die Gründung einer akade mischen Ortsgruppe deS Vereins zur Förderung deS Deutsch- thumS für eine „politische Angelegenheit" erklärt, die er nach dem ministeriellen Verbot der Unterzeichnung einer Petition gegen die Umsturzvorlage nicht zulassen dürfe. Die Gründung einer solchen Ortsgruppe ist ebenso wie die BiSmarckfeicr lediglich eine nationale Angelegenheit, an der Angehörige der verschiedensten Parteien sich bethesiigen können und sich betheiligt haben — auch in Breslau, wo die Burschenschafter, der Verein deutscher Studenten und wissen schaftliche Vereine gemeinsam beriethen und beschlossen. Wenn Rector und Senat der Universität Breslau eine rein nationale Angelegenheit zu einer politischen stempeln, so dürfte allerdings die Ursache hierfür daö ministerielle Verbot sein, das wahrscheinlich nicht klar genug abgefaßt war, um solche Mißverständnisse auszuschließen. Im österreichischen Abgeordnetenbause ist die große Rede schlacht, welche die Entscheidung über die ganze zukünftige politische Stellung der Deutschen zur Regierung bringen sollte, geschlagen. Es handelte sich um das Budget des Unterrichtsministeriums und im Besonderen um die Forderung für die slowenischen Parallelklassen bei dem Gymnasium der deutschen Stadt Cilli. Wie erregt die Stimmung im Lager der Deutschen sowohl wie auch in dem ihrer vereinigten Gegner ist, hat besonders der zweite Verhandlungstag er kennen lassen, über den ein Bericht im gestrigen Abendblatte das Erforderliche anführte. Auf beiden Seiten kämpfte man mit dem Bewußtsein, daß es sich um die Gesammtheit der nationalen Interessen, um die politische Existenzfrage handelt, denn die Cilli-Frage ist weit über ihre locale Bedeutung hinaus anaewachsen zu einem Streitobject, bei dem die höchsten politischen Principienfragen den Preis bilden, nämlich, ob in Zukunft daS Deutschthum sich den immer stärker werdenden Prätentionen der slavischen Sonderbündler unterordnen, oder aber, ob es die seiner natio nalen Bedeutung und seiner politischen Ehre als erste Cultur- nation entsprechende Stellung behaupten soll. Es darf schon beute nicht mehr als zweifelhaft betrachtet werden, daß die Deutsche Partei um keinen Fuß breit zurückweichen wird, Wenn auch ihre Majorifirung durch die den „Budgetposten" der Regierung vertretenden vereinigten Polen, Klerikalen, Feudalen und Slawen bereits erfolgt ist. Die For derung für daS Cillier Parallelgymnasium ist bewilligt worden, aber damit hat auch für die Deutschen, nachdem daS CoalitionSministerium abgetreten ist, jede Ver pflichtung, an der sogenannten Versöhnungspvlitik mit zuwirken, aufgehört. Man ist den Gegnern weit genug entgezengekomnien, denn man hat ihnen das slovenische Gymnasium in jeder anderen Stadt Steiermarks zu be- I willigen sich bereit erklärt, obschon dem sprachlich-nationalen Bedürfniß bereits drei Anstalten genügen. Aber alle diese Vorschläge sind von dem leidenschaftlichen Fanatismus der Gegner verworfen worden, der sich gerade auf Cilli ver- teifte und von irgend welcher Nachgiebigkeit nichts wissen wollte, weil er eben nichts Andere» als eine nationale Kraft- rrobe bezweckte. Hätten die Deutschen sich schwach gezeigt, o wäre deS slawischen Uebermuthes in Zukunst kein Maß und Ziel mehr gewesen und man hätte sortgefahren, durch derartige Versuchungen die Deutschen Schritt für Schritt kraftlos zu machen. Hier hieß es: priuoipüs vt)8tu, wenn auch der äußere Anlaß winzig erscheinen mochte. In der belgischen Kammer sind die Würfel über das klerikale Schulgesetz gefallen. Der Minister Schollaert beantragte unter dem Larmen der Linken, am kommenden DienStag das Gesetz zu berathen, und fand mit diesem über- raschenvrn Anträge bei dem ultraklerikalen Rechtenführer Woeste sofort kräftigste Unterstützung. Vergebens protestirte die Linke und forderte, daß zunächst die Budgets und da» Gemeindewahlengesetz berathen würden, vergebens protestirte der Progressist Lorand, „gegen daS abscheu liche Attentat auf die Gewissensfreiheit aller Nicht katholischen, gegen das Verbrechen, welches Ministerium und Mehrheit begehen wollen." Der Socialist Vander- velde constatirte, daß vor den Wahlen Niemand erklärt habe, daß man dem Lande den Congo und die klerikalen Schulen aufbürden, den Religionsunterricht obligatorisch machen und die Schule der Kirche unterstellen wollte. „Sie haben Millionen für Leopold II., welcher den Congo los sein will, Sie nehmen Millionen aus den Taschen des Volkes für Ihre Schulen, welche Sie nicht mehr bezahlen wollen, aber für die Arbeiter haben Sie keinen Pfennig I Die ver sprochenen Gesetze über die Arbeiterverstcherung und Arbeitsregelung sind nicht einmal ausgearbeitet! Sic wollen die Protestbewegung deS Landes ersticken, aber es wird Ihnen antworten!" Herr Woeste erklärte sehr kühl, daß die Arbeiterreformen bis zur nächsten Session Zeit hätten und alle guten Arbeiter ihre Kinder unter dem Schutze der Religion erzogen sehen wollte, woraus die Rechte ohne Weiteres den Antrag des Ministers mit 61 gegen 32 Stimmen an nahm. Nur ein Rechtenmitglied, Herr De Lantsheere, enthielt sich der Abstimmung und erklärte unter allseitigem Aussehen, das Schulgesetz der Regierung sei für ihn eine wahre Ueber- raschung. Jede nicht confessivnelle Schule solle künftig von den Staatszuschüssen ausgeschlossen werden. Dieser neue Grundsatz werfe das bisherige Schulgesetz über den Haufen. Ein derartiges Gesetz könne nicht mit Ueberstürrung angenommen, sondern müsse sorgsam erwogen werden. Und der ebenfalls klerikale Kammerpräsident Becrnaert, welcher nicht minder daS Gesetz als ein maßloses Parteigesetz verurtbeilt, verließ vor der Abstimmung den Saal. Der ganze Verlauf der Sitzung stellt zwei Puncte klar. Das Schulgesetz wird trotz aller Proteste unbedingt angenommen und die von dem Devutirten Woeste geführten klerikalen Heißsporne haben das Heft in Händen und beherrschen die Regierung. In Südamerika droht aus einmal ein Krieg zwischen zwei Republiken, die soeben erst schwere Stürme im Innern durchgemacht haben und noch von allen Seiten vom Aufstande umtobt werden. Die spanisch-creolischen Reiche Mittel» und Südamerikas können nie zur Ruhe kommen; die nothwendige Entwickelung deS Handels überlassen sie den Fremden, die Einheimischen widmen sich der Politik und so wechselt denn Jahr für Jahr rin Präsident mit dem andern ab nnd das landesübliche Blutvergießen sorgt für die nothwendige Nervenerregung der arbeitsscheuen Bewohner. So sind in den letzten Jahren Nicaragua, San Salvador, Guatemala. Costarica, Feirilletsir. Haus Hardenberg. 31j Roman von Ernst von Waldow. Nachdruck »erboten. (Fortsetzung.) „O, ich vergaß, fuhr ValtSka voll Bitterkeit fort, „daß ich hier vor meinem Richter stehe und daß man den Worten einer Angeklagten nicht glaubt. Warte!" Flüchtigen Fuße« eilte sie au» dem Gemache, um gleich darauf mit einem Briefe in der Hand zurückzukthren. ^Da -- der Brwri»." Mit großem Bedacht las Hardenberg das uns bekannte Schreiben Siegfried'», bann legte er es sorgsam zusammen und reichte «< Valeska, indem er in milderem Tone sagte: „Du hast zwar unbedacht gehandelt, daß Du allein und zu später Stunde Dich an einen solchen Ort begabst, doch vieS Ware entschuldbar. Jetzt sage mir mit derselben Aufrichtigkeit: warum gabst Du di« Nadel an Lieutenant Saalseldt?" „Ich?!" rief ValeSka, hoch aufgerichtet, „wagst Du eS auch jetzt noch, mich de» Diebstahl« zu beschuldigen?" „Aber sie fehlt doch — besinne Dich — hast Du den Schlüssel de« Schranke» au« der Hand gegeben, kann irgend Jemand hier eingedrungen sein?" „Ni, ist der Schlüssel von der Kette hier gekommen, auch halt« ich «» für beinahe unmöglich, daß ein Fremder in die» Zimmer gekommen und den Schrank dort geöffnet haben sollte» ohne daß ich eS im Nebenzimmer, dessen Thür nur angrlehnt war, gehört hätte." „Und wie erklärst Du Dir da« Verschwinden der Nadel? „Ich kann eS mir eben nicht erklären." „Noch ein». Auf Dein Gewissen frag, ich Dich, hälft Du diesen Viktor Saalseldt, der sich in zerrütteten Umständen befindet, für fähig, gemeinsam» Sache mit Karl Winterfeld gemacht zu haben, zum Zwecke hilt einen Diebstahl zU be gehen? Er kannte den Schmuck, er war „Unmöglich! Viktor Mag leichtsinnig sein, in Schulden stecken — rin gemeiner Dieb ist er nicht, darauf lege ich meine Hand inS Feuer. „Du nimmst ja sehr lebhaft Partei für Deinen — Jugendfreund", bemerkt» Härdenvtlg Mit gerunzelter Stirn. „Gewiß, denn es ist meine Pflicht, einen Abwesenden zu vertbeidigen, weiß ich doch erst seit heute, waS es heißt, un gerecht angeklagt zu werden." Ihr Ton war so klagend, so bitter, daß er Hardenberg in die Seele schnitt. „ValeSka!" rief er, Alle» vergessend, in wilder Erregung, „nimm diese furchtbare Last von meinem Herzen! Die Un gewißheit, der Zweifel tödtcn mich, da» Gift des Argwohns ist Mir in» Blut gegangen — ich mochte Dir trauen können — Jahre meines Lebens aebr ich dafür —, aber sieh, ich kann nicht, kann meinen klaren Verstand nicht umnebeln, meine sehenden Augen nicht blind machen. Habe Mitleid — sag« mir Alles, stoße mir den Dolch in« Herz, daß eS an der Wunde verbluten mag, aber belüge mich nicht, lasse in dieser letzten Stunde wenigsten« Wahrheit zwischen uns walten!" „Ich habe Dir Alle» gesagt, WaS ich wußte." Mit selbstquälerischer Geschwindigkeit hatte der eifersüchtige Mann sich eine andere Auslegung dieser unleugbaren That- sach« zurecht gemacht und fuhr dringender fort: „Vielleicht hat gestern auch Dein Jugendfreund Dich um Hilfe angegangen —- Du hattest dem Bruder alle- Geld gegeben, e« galt wieder »ine bedrohte OsstcicrSehre zu retten, und da nahmst Du die Nadel — sie sollte verpfändet werden — Saalseldt kam bei Nachtzeit hier in» Hau», daS Schmuckstück zu holen — Du erwartetest ihn — schobst den Riegel zurück — denn da« konnte nur von innen, ohne Geräusch zu machen, gethan werden. Er kam die Treppe mit Dir hinauf, stand in dem GlaSgange, wo die Schneespuren noch beute am Morgen von Friedrich entdeckt wurden» und dann benutzte der andere — der Karl Winter feld — die aut« Gelegenheit, einzudringen und den Dieb stahl im Cassenzimmrr auszuführen — sag« mir — war eS so?" Valeska bebte an allen Gliedern, Zorn und Schmerz stritte» UM die Wette in ihr, doch Mit fast übermenschlicher Kraft richtet« sie sich auf, und die Recht« wie ,'utn Schwur erhebend, sagt, sie langsam: „So wadr ich schuldlos an alledem bin, wird auch mein« Unschuld an den Tag kommen, oder «S Müßte keinen gerechten Richtet über den Sternen geben. Hier, nimm den Schlüssel zu Deinen Kostbarkeiten, ich verwahre sie nicht mehr. Ich würde Noch heut» Dein Hau» vexlaffen, aber ich Hab« gelobt, dem kranken Kinde «in« treue Pflegerin zu sein, zudem hieße eS, dies schmachvolle Gc- heimniß aller Welt preisgeben, wollte ich in einem Augen blick von' hier scheiden, wo meine Stieftochter schwer krank darniederliegt. Wir aber haben uns nichts mehr zu sagen und ich hoffe, daß wir unS so wenig wie möglich begegnen, da ich mich auf daS Krankenzimmer und mein Schlafgemach beschranken werde." DaS Geräusch des auf den Marmortisch fallenden Schlüssels schreckte Harvenberg auS seiner Betäubung auf. Er blickte sich um — ValeSka hatte da« Gemach verlassen, er war allein, vor ihm stand der geöffnete Schmuckkasten, die Brillanten funkelten ihn an — o, wenn diese Steine reden, wenn sie ihm sagen könnten, welche Hand es gewesen, die sich räuberisch nach ihnen auSgestreckt I XIII. Drei ewiglanae und bange Wochen für di« Bewohner deS Hardenberg'schen Hauses waren vergangen. Ein so trauriges WeihnachtSfest, ein so betrübte« Neujahr — wie Gustchen sich auSdrückte — hatte man hier noch nie erlebt. Schwer war der Kampf gewesen, um dem Tode dir Beut« abzuringen, und einmal sogar — es war zwischen Weihnachten und Neujahr — da hatte selbst Doctor Friede- bach, der sonst Allen Muth zu machen verstand, den Kopf hängen lasten und gemeint: man müsse auf daS Schlimmste gefaßt sein» die Kranke sei zu sehr geschwächt, sie werde die Krise kaum Überstehen. Und ValrSka, fast ebenso blaß und schmal im Gesicht wie Renate, war am Lager nlrdetgrsunken und hatte, die Hände faltend» unter Schluchzen die Wort« gesprochen: „O Gott, laß mich für sie sterben!" Tiefgekühlt batte im Vorzimmer der alte Doctor »u Friederike gesagt: „Hüten Sie mir daö junge Frauciien, sie opfert sich ja auf. Da» ist eine wahre» eine treue Mutter, kein» Stiefmutter!" Die Alt, nickte stumm, war sie doch längst von Ihrem Vorurtheil zurUckgekommrN. Friederike war keine schlechte Person, in der rauhen Schalk steckte ein guter Kern. Cie wa, gleich «ine», treuen «Hunde Ibrer Herrschaft blind er geben nnd knurrig und bissig gegen Fremd«. Nun hatte sie sich aber doch überzeugen müssen, daß Valeska an edle», OpfekMuth Niemand NachstaNd, Dl« junge Frau war in all der Zelt kaum aüö den Kleidern gekommen und batte sich Immer nur für wenige Nachtstunden, wenn Friederike bik Wache Übernommen, bald angekleidet, um gleich bei der Hand zu sein, zur Ruhe gelegt. Mit dem Gatten, der das Krankenzimmer nicht oft be trat, weil sein Anblick seltsamerweise Renate sehr erregte, batte sie nur wenige Worte gewechselt, die sich auf Renate's Zustand bezogen. In dieser Reihenfolge qualvoller Tage und Nächte, die sie noch dazu mit dem liefen Web im Herzen am Lager deS jungen Wesens verbracht, daS, einer Sterbenden gleich, meist regungslos und mit geschlossenen Augen da lag, war c« Valeska oft, als sei auch sie im Banne eines wüsten FiebertraumeS. Sie beachtete kaum, was um sie her vorging, ausge nommen, wenn es sich auf die Kranke bezog. Daß sie nicht mit Aurrlie Winterfeld in Berührung zu kommen brauchte, empfand sie wir eine Wohlthat, auch Martha war ihr zu wider und sie war innerlich froh, als sie vernahm, daß Hardenberg ihr da» HauS verboten habe. Auf ihrem Schreibtische hatte Valeska unter anderen Briefen «in zierliches Couvert gefunden, daß eine Visitenkarte Viktor» enthielt. Er verabschiedete sich mit den üblichen Redensarten, weil es ihm nicht vergönnt sei, dies persönlich zu thun, indem er genöthigt gewesen, Breslau plötzlich — Familienverhältniffe halber — zu verlassen. Später war ein Schreiben von Siegfried, auS Pest datirt, eingelaufen. Er bat die Sckwester um Nachricht, weil er beschlossen habe, vorläufig in Ungarn zU bleiben Und abzuwarten, wie sein Schicksal sich gestalten werde. Dann batte Onkel Dietrich geschrieben UNd dieser Brief war der einzige, welcher die junge Frau ihrer Apathie entriß. Der alte Herr, der ungesäumt auf VaKSka'S Nachricht bin nach Berlin geeilt WLr, theillt vet Nichte mit» „daß Kammerhetk v. d. Golze — so scheine eS wenigstens — mit dem Leben davon kommen werde. Freilich müsse er sich be- anligtn, Mit einer halben Lunge in dtr Welt herumzulaufrn, sei aber für diesen Verlust anderweitig uNd reichlich ent schädigt worden, denn", so schloß daS Schreiben, „stelle Dir Vor. Wilhelmin« v. d. Golze hat sich — ihrem bestgehaßten Vetter Kurt vermählt! Die Trauung» am Krankenbett« vox- genommeN, bildet daS Stadtgespräch hier. Obwohl an die ErtravägaNzkk der schönen Comteffe gewöhnt, kann sich doch Niemand erklären, warum Wilhelmine, die ja allgemein schon alS di« Verlobte Siegfried'ö aalt» im letzten Moment sich dem WMcklichiN Nebenbuhler ihres Erwählten zugewendet bat. Däß sie, wenigstens b>S GraS über die Geschichte gewachsen Siegfried s Frau nicht hätte werden können, war ja selbst
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