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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.07.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-07-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950720023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895072002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895072002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-07
- Tag1895-07-20
- Monat1895-07
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Bgol in seiner Eigenschaft als Präsident de» Hauses übersendeten Entladung recht einfach verlausen- Bjellejcht hätte sie einen anderen Verlauf genommen, wenn diese Einladung nicht erfolgt wäre und nicht die Absicht v«rratben hätte, Pgß Verhaltcn der Reichstagsmajorität qm 23. März durch eine demonstrative Wiiidihorst-Ehrnng in noch grelleres Licht zu setzen. An einer solchen Demonstration j„ pen Tagen der Erinnerung an hie großen Ereignisse de« IqhreS 1870/71 sich zu betheiligsn, war aber anscheinend sogar einen, großen Theile de« Centrum« aus Rücksicht auf seine Wähler peinlich. Andere Parteien waren in Meppen so gut wie gar nicht vertreten. Mit um so größerer Beflissenheit registriren nun nachträglich die ultra- montanen Blätter jedes zur Feier cingetroffene Telegramm und jede da« Andenken des verstorbenen Centrnms- und Welfenflihrers ehrende Kundgebung der Presse. Nur eine derartige Kundgebung baben wir in der EentrumSpresse nicht verzeichnet gefunden: die perKop enhagener „National- tidcnde". welche folgendermaßen lautet: „Wem, Tentschland mit Recht diesen begabten Mai», feiert, der aus dem Cultiirkampf siegreich hervorging, während sein mächtiger Feind, Bismarck, verloren gehen mußte, hat Dänemark nicht weniger tÄrund, I)r. Windthorst in freundlicher Erinnerung zu behalte». Ilr. Windthorst's Vorliebe für Dänemark rührt von seinem Frepndesverhältiiiß zum jetzige» Bischof Johannes her, welcher in Meppen geboren ist »Nb alljährlich in Villa Flora i» Ems mit Windthorst zusainmenlebte und ihn in die dänischen Verhältnisse hineinversetzte. Im Gegensatz zu Herrn v Beiiiiigsen blieh der frühere Juslizminister von Hannover seinem Königehause treu und verblieb dessen juridischer Conjutent bis zu seinem Tode. I)r. Windthorst soll den Herzog Von Tumber laub darauf aufmerksam gemacht habe», wie wünschenswert es wäre. eine dänische Prinzessin zu hestgthen. . . . Auf Bischof Johannes' Aufforderung hi» förderte Or. Windthorst mit großem Interesse die dänische Sache in Schleswig. Er machte eS überhaupt den dänischen Repräsentanten für NordschleSwig möglich, einen Vorschlag im Reichstage einbringen zu können, indem er das katholische Centruin die 15 Unterschriften ab- geben ließ, welche die Geschäftsordnung verlangt, um einen Antrag im Reichstage einbringen zu können. Ohne Dr. Windthorst würde es de» Nordschleöipigern nie möglich geworden sei», ihr« berechtigte« Ansprüche auf dänisch, Schule und dänischen Religio»«, unterricht vorzutrage». „Flensburg Avis" ist nicht ohne Grund centrumSfreuiidlich." Und doch ist diese Kundgebung so recht bezeichnend für die „Perdienste" des Verstorbenen. Eine kleine Unrichtigkeit läuft dem dänischen Blatte freilich unter: Herr v. Bennigsen war seinem König treuer, als Herr Windthorst; hätte Georg V. den dringenden Mahnungen Bennigsen's und seiner Freunde Gehör gegeben, so wäre er gestorben als König von Hannover und als in ganz Deutschland gefeierter deutscher Fürst. Aber er folgte den Rathschlägen der Gesinnungs genossen Windthorst's, die nicht von Liebe zu ihrem König, sondern von ihrem Haß gegen Preußen sich leiten ließen. Aber treffend charaklerisirt die „Nationaltidende" die Vor liebe Windthorst's für das deutschfeinbjiche Dänemark, die mit seiner Liebe für andere Feinde des Reiche« auf gleicher Höhe stand. Warum hat man die Worte „Freund der dänischen Sache" nicht mit auf sein Denkmal geschrieben? Aus Süddeutschland schreibt man der „Nat.-Lit. Corr.": In der württem belgischen zweiten Kammer hat sich während der letzten EtatSberathung ein Vorgang abgespielt, dem außerhalb des Lande« nicht überall die Beachtung zu Theil ge worben ist, dje er verdient. Es war von der vandesuniver- sität Tübingen, der Bcdcutnug Ser Universitäten überhaupt und vyn verwandte» Dingen die Rede,wobei manche« interessante Urtheil gefällt wurde. Am bemerkcnswerlhestrn «der sollte doch die Thatsache erscheinen, daß der Abgeordnete von Geß, ein führend«« Mitglied der deutschen Partei, nicht ohne sich mit einiger Schärfe gegen die „nordischen Professoren" zu wenden, die Zusammensetzung des Tühjnger Lehrkörper«, weil sie mehr N'ch"vürtte,nberger al« Würltemberger aufweist, in sehr nachdrücklicher Weise getadelt hat, Herr von Geß führte für seine Forderung, di« Wtlrttem- berger bei den Berufungen mehr zu berücksichtigen, runäHst einige untergeordnete und unseres Erachtens nicht stichhaltige Gründe inö Feld, zweifellos war aber der Gesichtspunkt, der ihn leitete, der particularistische. Ihm scheint der jetzige Zustand auf di» Dauer nicht haltbar, nämlich die Thatsache, „daß i>, unserem intelligenten, geistig so gut veranlagten Württem berg mehr als die Hälfte der angcstetlten Professoren Nicht- Württemberger sind." Nun befinden sich allerdings unter den 4? ordentlichen Professoren Tübingens nicht mehr als 10 Württcmberger, aber Leipzig, die einzige Universität de« Württemberg an Bevölkerungszahl weit übertreffenden Königreichs Sachsen zählt unter 64 ordentlichen Professoren — 10 Einheimische. Und ähnlich oder noch w«,t ungünstiger für die „Laiideskinder" ist das Verhältniß an alle» von Mitiel- und kleineren Staaten unterhaltenen Universität«». Alle diese Hochschulen haben weniger einheimische Lehrer als Tübingen, ohne daß sich deswegen die particulare Intelligenz mißachtet fühlte. Klagen, wie die des Herrn von Geß, sinh bischer nur in der bayerischen Kammer laut geworden, aber dort waren e« Ultra montane, die unter der publicistischen Begleitung des Herrn vr. Sigl die Schlachtgesänge gegen die „Nordlichter" anstimmten, und deren Beweggründe sind wohl mehr kirchlicher als partjcularistischer Natur gewesen; gegen „Auswärtige" wie Hertling haben die Dauer und Walter nichts einznwenden. Im Uebrigen würde es auch nicht bemerkenswerth sein, wenn seitens des Centrums in der Stuttgarter Kammer einem Vinnenschutzzoll im deutschen geistigen Verkehr das Wort geredet worden wäre. In Frankreich beschäftigt sich die öffentliche Meinung in hohem Grade mit dem Rücktritt de- OrdenSratyeS der Ehrenlegion. Da« ist kein Wunder, denn jeder Fra» zose hat entweder da« rothe Bändchen oder hofft wenigstens, eö irgend einmal zu erlangen, wäre eS auch nur durch eine zusällige Bekanntschaft mit einem Manne von Einfluß, wäre es auch durch ein Wunder, und «rbetrachtetAlles, was den natio nalen Orden betrifft, als seine eigene Angelegenheit. General Fsyrirr und zehn Beigeordneten konnten nach der Sonn- abend-Abstimmung der Kammer nicht anders als abdanken Wenn sie geblieben wären, so bätten sie eine solche Mißachtung der Regierung und des Parlaments an den Tag gelegt, daß sie Rückschläge herausgcfvrdert und in letzter Reihe die Einrichtung gefährdet hätten, deren Hüter sie sein sollen Einige Blätter )ammern, die Kammer überschreite ihre Be> fugnisse, sie verwirre die öffentlichen Gewalten und mische sich in die Thätigkeit unabhängiger Behörden: sie habe nicht da« Recht, an den Beschlüssen der Gerichtshöfe de« StaatsratheS oder des OrdenSratheS Kritik zu übe». Diese Neben einanderstellung ist indeß willkürlich. Die Gerichte sind der Kammer in keiner Weise unterworfen. Ihre Unab hängigkeit ist von der Verfassung selbst verbürgt. Auch auf den Staatsrath bat das Parlament keinen unmittelbaren Einfluh. Der Ordentrath aber kann mit diesen Organen des staatlichen Lebens nicht verglichen werden. Es ist eine rein berathende Körperschaft, ./-r -'«en bestimmten Tbeil ihrer Verwal,u.,gsbsugn. .namnw ^ Prüfung der OrdenSbewerber "»d d'e^Bea^N ch^g^a^^^ Ordenöinbaber, übertragen hat- ,-j„er Rechte einem d.e vor Kurzem erfolgte Erweiterung me Beschlüsse der Kammer; ein anderer Beschu 8 so Imm i-m-R,ch>- D-r LLL'''°V'd.^ Platz mach«. Die englische Machtstellung auf der Insel Borneo die früher kaum in weiteren Kreisen Beachtung gesunden h , dürfte am Anfänge einer neuen Aera inte»,wer FoUen^ Wickelung stehen. Der in Ostasien mit dem Friedensschl iß z>vische„b(5hi„a und Japan «„gebahnte Umschwung der Pvli- tische» GesamnitconsteUation verleiht der in Borneo erhöhte colonial-, verkehr«- und n"UM'rPolit„che Wichtigkeit. Dem Vernehmen nach liegt es deshalb in ver Absicht der Londoner Negierunaskreise, aus Borneo einen festen Stützpunkt des britilchen Aufmarsches ,m fernen O,len ,u gestalten. Zunächst ist die Anlage von Eisenbahnen in Aussicht genommen, um eine rasche Verbindung der stra tegisch wichtigen Kllstenplätze unter sich und eine Grundlage für die Erschließung deS Binnenlandes zu gewinnen. Die Inangriffnahme maritimer Befestigungen an einzelnen dafür besonders geeigneten Punkten dürste ebenfalls nicht mehr lange auf sich warten lassen. Die britische Nordborneo gesellschaft entwickelt großen Eifer, das für diese Zwecke benvtbigte Capital zusammenzubringen, und bei dem eminenten politischen Interesse, das England au Borne» nimmt, wäre der Geldpunct das geringste Hinderniß. bas dem Ausbau der britischen Machtstellung in Borneo entgegenstände. Nach den letzten, an anderer Stelle mitgetheilten Mel dungen zur Ermord«,,a Stamliulow's scheint der bulgarischen Regierung doch die anfängliche Neigung, Manches zu ver schleiern,vergangen zu fein,denn gegenwärtig wird, wenigsten« den Mittheilungen der officiösen Presse zufolge, die Untersuchung jetzt mit wirklichem Ernst und mit Energie geführt. Aber erst die allgemeine Entrüstung über das Verhalten der Polizei, welche in Bulgarien, und zwar mit Recht, mehr als anverSwo als das bloße Werkzeug der jeweiligen Ministerien angesehen wird, ist nöthig gewesen, um das Gewissen Derer zu schärfen, die einen Augenblick geglaubt hatten, der Ver antwortung für Das, was geschehen ist, sich zu entziehen. DaS mehr als zweideutige Verhalten ihrer Polizei organe hat auf dir Regierung selbst düstere Schatten ge worsen, und es liegt nur in ihrem eigensten Interesse, diese durch die umfassendste und schonungsloseste Klarstellung der Vorgänge zu erhellen. Ministerpräsident Stoiloiv hat es bei der llelernahme der Regierungals Ausgabe seines Ministeriums bezeichnet, die Härten deS Stambulow'scyen Regiment« zu mildern und die Parteileidenschaften zu besänftigen. Heute gehen die Wogen dieser Leidenschaften höher als je zuvor, und da« Ministerium hat nur noch ein einziges Mittel zur Hand, um sich zu halten: nämlich ohne Rücksicht auf irgend eine Partei oder Person die Mörder Stambulow's zur Rechenschaft zu ziehen und wenn dabei auch der eine oder der andere Mi nister-Co llege vor Gericht gezogen») erde «müßte. Wir wissen nicht, ob Stoiloiv, dessen persönlich-chrenwerther Charakter auf allen Seilen anerkannt wird, die nöthige Energie besitzt, um auch vor den letzten Consequenze» nicht urückzuscheuen, allein sicher ist, daß dies das einzige Mittel st, «ine Regierungskrise in Bulgarien zu verhindern und damit zugleich die Herrschaft des Fürsten Ferdinand zu sichern. Mit kleinen Mitteln, wie Absetzung einiger Gendarmen, ist dieses Ziel nicht zu erreichen. Falls eS der Regierung nicht gelingt, die Urheber der Mordthat und die Mörder selbst, welche allem Anscheine nach auch der Polizei bekannt sind, zur Veranl- wprtung zu ziehe», so würde sich außerhalb Bulgariens Niemand wundern, wenn die politischen und persönlichen Freunde des Ermordelen auf eigne Faust der Gerechtigkeit Genugthuung zu verschaffen suchen sollten. Dadurch würden aber innere Wirren hervorgerufen werden, durch welche der Bestand des Staates in Frage gestellt werde» könnte. Eine moralische Mitschuld wird die Regierung, wie gesagt, niemals von sich abwälzen können. Wer selbst die Hetze gegen den gestürzten Staatsmann bis zu dem Grade ge schürt hat, daß das Regierungsblatt dem Publicum den viehisch-rohen Rath giebl, Stambuloiv das Haus anzu zünden und die Knochen einzeln herauszuziehen, wer selbst dem kranken Stambuloiv nicht einmal eine Badecur im Ausland erlaubt hat, der muß die Folgen seines Treibens bei einem wiiven Volke, wie der Ermordete seine Landsleute zu treffend nannte, voraussehen und sie darum auch tragen. Die formelle Verantivortlichkeit aber für die Sünden ihrer Polizei könnte die bulgarische Regierung nur durch das selbst mörderische Eingcständniß von sich abwende», daß diese Polizei nicht ihr gehorcht, sondern geheimen Vorgesetzten, das wäre das offene Bekeniitniß, daß die Regierungszügel ,n Bulgarien am Boden schleifen. Eine schwere Anklage gegen das Ministerium Stoiloiv, oder doch gegen einzelne Mit glieder desselben, wie Herrn Natsckewitscb, den unversöhn lichsten und gehässigsten Gegner Stambulow's, bildet auch die am Tage des Attentats auf den Expremier erschienene, auf amtliches Acteiimaterial sich stützende Broschü re „Bulgarien nach dem Sturze Stambulow's". AuS dieser Pnblication spricht ein tödtlicher, ja teuflischer Haß gegen den Schöpfer des Staates Bulgarien. Es giebl keine Schandthat, die Stambuloiv hier nicht an- aehängt wirb; er ist feige, grausam, blutdürstig, ein Dieb, ein Mörder, ein Verräther. Sein Russenhaß ist ebenso erlogen wie seine Türkenfreundschaft. Ihm war lediglich an seiner Machtstellung gelegen; um sie zu befestigen, hätte er Bulgarien verrathen und verkauft. Bi« in sein Privatleben dringen die schmutzigsten An würfe, nicht einmal seine Eitern werden verschont, und au« Stambulow's Zügen und aus seiner Erscheinung soll sich schon die Verworfenheit seines Charakters enthüllt haben. Auf dieser rabenschwarzen Folie glänzen dann um so Heller die edlen Gestalte» des Fürsten Ferdinand, der in hündischer Weise umschmeichelt wird, und die weisen und guten Minister Stoiloiv und Genossen. „Jetzt ist Stambuloiv (der u. a. ein Offenbach'scher Operettengenerat mit den Instincten eines Räuberhauptmanns genannt wird) nach Verdienst abgetha», Stoilow und Natschewitsch aber lenken neben dem Fürsten Ferdinand eie innere und äußere Politik des Landes." So ruft der anonyme Verfasser jenes schandbaren Pamphlet« triumvbirend aus. Angesichts aller dieser Umstände ist die Entrüstung, welche sich der Presse aller Länder, auch der deutschen bemächtigt hat, nur zu be greiflich. Dabei darf allerdings nicht verschwiegen werden, baß einzelne Blätter zu weit gehen und unnöthiger Weise in Petersburg Anstoß erregen, wenn sie die Verantwortung für die Greuelthat des 15. Juli in letzter Linie der russischen Politik aufzubürden suchen. Russischer Machination hat es seit Staiiibulow's Sturz in Bulgarien nicht bedurft, um den Boden für einen entscheidenden von Petersburg aus zu unter- 5) FrirNlrton. Das verlorene Paradies. Roman von Anton Freiherr von Perfall. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Wenn sie ihn, morgen, unbeeinflußt von der gehobenen Stimmung, in der sie sich heute befand, beim Anblick all des Fremdartigen, für ihre verwöhnten Begriffe Entsetzlichen» in die Hand versprechen würde, die da unten entworfenen Pläne an seiner Seite getreulich durchzuführen, sie zu ihrer Lebensaufgabe zu machen, dann — dann war er ein Selbst- süchtling, wenn er das Opfer nicht brachte. — So schwankte er die ruhelose Nacht hindurch zwischen Furcht und Hoffnung. — Sab er Kitty vor dem Abbau in seinen Armen, in der vollen Hingebung des liebenden Weibes, so hoffte er, — sah er sie voll neu erwachten LebenSdrange«, mit blitzenden Augen und hochgehender Brust auf der „Wildrose" davonsprengen, so fürchtete er. — Mit dem Frükstl'ick brachte der Diener einen Brief. Ein Bote von Bat« habe ihn gebracht, Herrn Baron Franz selbst zu Händen. — Kitty's Handschrift! — Er wendete ihn lange hin und her. E« handelte sich wohl um Verhaltungsmaßregeln gegenüber dem Vater, der von Allem schon wußte oder um derbe Vorwürfe über seine Halsstarrigkeil! Oder sie hatte Angst, daß ihn der kühl« Abschied gestern bestimmte, sich nicht mehr sehen zu lassen. Plötzlich riß er den Brief heftig auf. „Lieber Vetter! „Wir waren gestern rechte Kinder." Franz lachte bell auf und ballte das Papier zusammen. Er holte aus, um eS in die Ecke zu schleudern, — dann glättete er e« wieder sorgfältig und las weiter: „die abenteuerliche Fahrt in die Unterwelt, di« ja reizend „war, hat mich so außer Rand und Band gebracht I Jetzt „habe ich die Folg.-n zu leiden. Ich lieg« im Bette mit „Katarrh »nd Fieber! — Unser Traum vom Paradiese „war sehr schön, ich werde ihn nie vergessen, aber ich bin, „offen gesagt, viel zu oberflächlich, wetterwendisch, um ihn „zu verwirklichen. Dagegen verspreche ich Dir. bei unserer „alten Freundschaft, Alles zu thun, wa« in meinen schwachen „Kräften steht, das LooS der Leute zu verbessern und auch „bei meinem Vater dakin zu wirken. — Ganz verloren „sollen die Stunden nicht sein, die wir da unten zngebracht. „Alles Uebrige bitte ich der armen, mit sich selbst sehr „unzufriedenen Kitty zu verzeihen. Si« ist ein wilde- „Füllen, ohne Zucht und Führung . . danke Gott, der Dich „vor dem Wildling bewahrt »nd wenn wir unS einmal „wieder sehen sollten, wa« ich sicher hoffe, kein Groll, keine „Verstimmung — und nun „Glückauf"! Ich kann Dich „mit dem besten Willen nicht empfangen. „Vergiß nicht ganz Deine treue Cousine Kitty." Franz blickte lange auf die phantastisch verschlungene Unterschrift „Kitty". Cr verfolgte durch ihre Windungen bindurch ihre liebe Gestalt bis zurück in ihre erste Kindheit. Die Augen wurden ihm feucht dabei und die Lippen preßten sich fest zusammen. Als er sich erhob und den Brief faltet», war sein Antlitz ruhig und gefaßt. Besser fo! Sie hat mich vielleicht vor einer Schwäche bewahrt. Der Abschied vom Bruder war kühl, Verhältnisse und Anschauungen bildeten von jiher eine Scheidewand zwischen Beiden. — Das „Laß Dich bald wieder auf Sittenfeld sehen" Georg'« klang sehr nüchtern. Kein Wort von Kitty, und doch fühlten Beide, daß der Name zwischen Ihnen lag. Als Franz in der Eauipage des Bruders zur Bahnstation fuhr, blickte er rechts aus Schwarzacker. Eine schwere massige Wolke lag, von der feuchten Atmosphäre am Auffteigen ver hindert, über dem Werk. Er sah deutlich die Treibriemen deS großen Schwungrades wir Spinngewebe di« Lust durch kreuzen und hörte, vom Wind herübergetragen, die Signal« der Förderung. — Da wandte er sich nach link«, über dem purvurimi Buchenwald erhoben sich blitzend die Thürme vom Schloß Vals. Und doch wird ihr Blick unzählige Mal herübrrschweisen auf die geschwärzten Hallrn, den düstern Thurm, der wie ein Wahrzeichen sich erhebt, des ewigen Gesetze« der Menschheit, von dem er gesprochen, und die mannigfaltigen Stimm«» Schwarzacker« werden sich in ihre Hreud» Mlsch«n und sie erinnern an den Schatz, den si« so liichtstnnig »«rgeudet im Schooß drr Erde. — Das «rst« Litbesstammeln d,« Weihis. Und inmitten deS Lusttaumels wird das Heimweh erwachen nach dem verlorenen Paradies, das ihr jetzt nur mehr ein reizendes Spiel scheint ihrer Phantasie. — Sein Bild wird sich heben aus einer Tiefe ihrer Seele, die sie selbst noch nicht kennt, die nur überdeckt war von all' dem gleißenden Tand, an dem ihr goldenes Herz gehangen. Und wenn einst diese lockere Decke berstet, wird sie es mit bitterem Weh blinken sehen, unerreichbar tief, und darüber wird die öde Leere sie angähnen. — Arme Kitty! * E, * Die Bewohner des Arbeiterviertels waren nickt wenig erstaunt, eines Tages das Schloßsräulein, dessen Besuch in der Grube schon alle Gemüther erregt, von einem mit zwei schweren Körben bepackten Bedienten gefolgt, mitten in ihrem engen Gemeinwesen zu sehen. — Schaaren von Kindern und Frauen sammelten sich vor den Häusern, in welche sie eintrat. „Was ist denn der in den Kopf gefahren?" „Druckt'S dock einmal da« Gewissen, die Schloßleut! Angst Haben s, s Maul wollen'S uns stopfen! Was will'« denn eigentlich da drinnen? Daß er no mehr sanft der Petri! Wenn s mal was geben, geben sie'« g'wiß den falsch',, I Das 'S halt wieder was Neues, un« in Tops 'nein schau'n, nachher schmeckt S wieder besser daheim!" Da« ging so vom Munde zu Munde. Der Boden war Nicht im Germasten vorder,itet für eine Liebcssaat. Kam dann Kitty heraus, deren vornehme Erscheinung und geschmackvolle Toilette in dieser Umgebung doppelt zur Geltung Rotzigen barten Reden ein hündisch kriechendes Wesen Platz, vor dem Kitty. von Widerwillen er- ging völlig wähl- und planlos nniber, bis ihre Taschen und die Körb« grleert. e. t>«n kinderlosen Trunkenbold ebenso mit Famili«^a?er^^" s^ver bedrängten fleißigen ärmlichen, übelriechenden Stuben mit zurückgehaltinem Athen,, das parfümirt« Taschentuch in der Hand, drängte den erstaunten Leuten ihre Gaben förmlich auf und eilte w,«der hinan«. ^ Sie gab den Gesunden kostbaren Wein aus dem Schlok- keller, d»n Kranken für si. unbrauchbar, Sleiderstücke. wie es rhr a,rad« in die Finger kam. — Sie verstand nickt die ungefügen Dankesworte d,r Leut, die gepreßten Thranen und kummervollen Händeküsse. Die Leute hinwiederum nicht ihre hastigen Fragen, ihre fremd' artige» Ausdrücke. Hatte sie ihren sonderbaren Nundgang beendet, schüttelte sie den garstigen Staub aus ihren Kleidern und eilte, ohne umzusehen, dem Schlosse zu. Sie hinterließ keine Spur von Wärme und empfand selbst keine. — DaS sollte ein Paradies sein! Wie kindisch war doch ihr Traum, wenn sich Franz auch so enttäuscht fühlt von seiner neuen Welt — dann, armer Franz! Das einzige Motiv ihrer wiederholten Gänge war das ihm gegebene Versprechen. DaS wollte sie wenigstens halten. Bald wurden dieselben immer seltener und in wenigen Wochen überließ sie dem Director des Werkes eine Summe zur freien Verwendung für die Bedürftigen. Georg und der Vater erriethe» leicht, woher dieser plötzliche Wohlthätigkeilsbetrieb stammte. Ersterer war klug genug, Kitty vor der Hand mit keinem Antrag zu belästigen, er wnßte nur zu gut, daß diese Gemüthsstimmung ein rasch vorüber gehende sein werde. Kitty. welche fürchten mußte, daß die Abreise des Bruders daS Zeichen für ihn sein werde, uni ihre Hand zu werben, war ihm dankbar für diese Zurückhaltung. Die in Schwarzacker verbrachten Stunden zitterten dock, heftig in ihr nach und deS jungen Mannes Bild wollte nicht weichen. Da half auch der nervöse Eifer nichts, mit dem sie sich von Neuem dem Sport hingab, nicht die aufgeregteste Jagd, nicht der kühnste Ritt. — Was Franz während seiner Fahrt zur Bahn geträumt, war jetzt schon theilweise eingetroffen. — Der Anblick des Werkes, die tausend Stimmen, die von dort berüberdrangen, weckten immer von Neue», die Erinnerung. Und doch mußte sie sich sagen, daß sie recht gehandelt. Sie war keine Frau für den ernsten, ibr an Charakter — sie machte sich kein Hehl daraus — weit überlegenen Mann hier nicht und dort nicht, wo er sich jetzt befand. Da« Gefühl, welche« sie zu ihm zog und dort in der Grube so ganz ttbermannte, war nur eine schnell amslackernde Leidenschaft, bedingt durch den langjährigen «nlimin Verkehr, zum Ausbruch grkvmmen, unter ganz ab- Umständen. DaS ganz begreifliche Absckiedsweh, daS Mttlrid mit s»in«r Lage hatten de» Hauptantheil daran. Diese Ueberzeugung. welche si« sich selbst ausdrängte, brachte Ne jedoch nicht im Geringsten dem Gedanken an eine eheliche Verbindung mit Georg näher.
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