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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.07.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-07-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950724028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895072402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895072402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-07
- Tag1895-07-24
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Wie. kann auch eine Partei, die im Juli 1870 Bayern neuträsisircn wollte, Freude an den Folgen vvn Siegest habest, zss denen die wackeren bayerischen Trsthheii ganz wesentlich briacträgen! Ein Freudenverdertzer nsissmt stets eine schlimme Sielluna ein, selbst wenn er gute Gründe für sein Benehmen anzufuhren vermag. Umsomehr wird er mit mißtrauischen Augen angeschaut, wenn er sich nur aus Unwahrheiten und..Verdrehungen stützt. So wird jetzt behauptet, die großen Hoffnungen, welche das deutsche Volk in der nationalen Begeisterung. dcS Jahres 1870 gehegt, seien nicht erfüllt worden, weil Bismarck und die liberalen sofort das katholische Volk wegen seiner Religion „verfolgt" hätten. Aerger kann man, wie der „Schwab. Merk." mit Recht betont» die Dinge nicht auf den Kopf stellen. Wer hat denn im neugegründeten deutschen Reiche zuerst eine Sonderstellung eingenommen? Die Centrums- Partei scheint vergessen zu haben, daß ihre Abgeordneten (56 Mann) im ersten deutschen Reichstag mit 4 Welfen gegen die von 243 Stimmen angenoNtmeNe Adresse an den Kaiser (als Antwort auf die Thronrede) lediglich deshalb stimmten, weil die Adresse den Grundsatz der Nichteinmischung in das innere i/eben ariderer Böller bekannte und damit zu verstehen gab, daß Deutsch land von der Frage, ob der vormalige Kirchenstaat zum Königreich Italien gehöre oder als Eigenthum des Papstes zu betrachten sei, nicht berührt werde, wogegen daS Centrum schon bei den Reichstagswahlen däS Wiederaufleben der Jnter- ventionspolitik in Italien als Zweck angegeben und Windthorst die Herstellung der weltlicken Herrschaft des Papstes als ein Lebensinteresse der katholischen Bevölkerung Deutschlands be zeichnet hatte. Der württembergische Abgeordnete Rob. Römer rief damälS dem Centruür zu: „Die Frage ist beute: Rom oder Deutschland! Fest zu der Adresse stehen, heißt, fest zu Deutschland stehen!" Aber die NltraMontanen stellten sich auf die Seite RoMS, und gleichzeitig brach die Bewegung hervor, welche in mißbräuchlicher Anwendung des Satze«, daß man Gott mehr gehorchen müsse, als den Menschen, veN Staat unter die Kirche stellen wollte. Bekanntlich sah sich Bayern durch dieAyuiakung seinerGeistlichkeit und durch gewisse Vorgänge beim jüngsten Concil genöthigt, de» sogenannten Kanzelparagraphen zu heasstraa'en. Bei den Reichs- tagswghlen war Mehrfach die Wahl eines hrotestantischeü oder überhaupt eines nichtultrassipsstanen Candidaten von der Kanzel herab als eine Versündigung gegen die Religion bezeichnet worden und der Abgeordnete Reichensperger vom Centrum hatte; bei den Wahldebatten behauptet, eine Einwir kung auf die Wählen von der KanZel herab Müsse erlaubt sein. DieS war der Anfang deS sogenassriten CsslturkäuissfeS, den die Adreßdebätte und der klerikale Antrag zur Reichs- Verfassung auf volle Selbstständigkeit der Kirche ejngeleiiet batten. Es ist alsy, wenn der Ultraiiionkanismus die Ent stehung deS Culturkanihses den Liberalen und dein Fürsten Bismarck vorwirfi und Beide als dessen Urheber bezeichnet, genau so richtig und gerecht^ wie wenn die Franzosen das deutsche Volk und den Fürsten Bismarck beschuldigen, daß sie den Krieg von 1870/71 provöcirt und begonnen hätten. In beiden Fällen liegt die Kampfursache auf der Gegenseite: der Kämpf war von den Ultrainonianen und den Franzosen äusgezwungen. Einen beklagenswerthen Ausgang hat vie Stichwahl im Neichstagswahlkreise Walöcck genommen, beklagcnswerth in mehr als einer Hinsicht. Dort hatte, der langjährige national- liberale Vertreter des Kreises, 1)r. Böttcher, der nur durch das Drängen seiner Parteigenossen sich hglte bewegen lassen, dem Streite um die Giltigkeit seiner Wahl nicht schon früher dtirch Nicderleguiig seines Mandats ein Ende . zu machen, von vornherein einen schweren Stand. Er ist einer der selbstlosesten Charaktere; nur das Woht des Ganzen liegt ihm aiii Herzen, und ohne mit ängstlich taktischen Erwägungen sich zu fragen, ob er durch seine Stellungnahme zu eirter Frage Vertreter der einen oder der ander» Gruppe seines Wahlkreises sich abtrünnig mache, nahm er von jeher seine Stellung so, wie sein strenges nationales Gewissen es ihm dorschrieb. So hat er cS den Handwerker-, den aarärischeii Fragen, dem Tabaksteuerprojecte, der Flage der Bekämpfung der Umstnrrbestxebuiigen gegenüber gethaN und dadurch in seinem politisch zerklüfteten Wahlkreise diele seiner alten Wähler sich entfremdet, seinen Gegnern Anlaß zu heftigen Angriffen gegeben. Seine schwer erschütterte Gesundheit hätte ihm daS Recht gegeben, einem neuen Wahlkampfe auSzuweichen. Aber dieselbe Gewissenhaftigkeit, mit der er im Reichstag jedem taktischen Lavire» aus dem Wege gegangen war, veranlaßt,: ihn, dein Drängen seiner Parteigenossen abermals nachzugeben und den Persuch zu machen, den Wahlkreis der national- liberälen Partei zu retten. Persönlich in die Wahl- bewegung einzngreifen, verbot ihm sein Leiden; um so leichter wurde es den Gegnern, Stimmung gegen ihn zu machen und die Massen nicht nur durch Entstellung der Motive, die ihn bei seinen Abstimmungen im Reichstage bewogen hatten, sondern auch durch völlig unbegründete Borwürfe gegen ihn aufzuregen. Der ruhige Beobachter hätte allerdings gerade daraus, daß die Vorwürfe seiner verschiedenen Gegner ein ander aushoben, den Schluß ziehen müssen, daß er in der rechten Mitte sich gehalten und nach gerechter Abwägung der einander widerstreitenden Interessen seine Stellung genommen habe. Aber die wüste Agitation raubte auch ehedem besonnenen Wählern die Ruhe, so daß bei der Ersatzhauhtwahl am 10. Juli vr. Böttcher nur 2408 Stimmen erhielt, während dem antisemitischen Agrarier Müller 3448 üssv dem freisinnigen Candidaten Oi. Schücking 1778 Stimmen zufielen. Die Gefahr, den Wahlkreis einem antisemitischen Agrarier zufallen zu sehen, veranlaßle nun allerdings den vr. Schückliig, seinen Gesinnungsgenossen bei der Stichwahl das entschiedene Cintreten für Di. Böttcher zu empfehlen; aber die vorher betriebene Verhetzung war nicht mehr wirkungslos zu machen. Der antisemitische Agrarier Müller aus Nus hol» iki Oldenburgischen wurdd mit 5069 Stirn» en gewählt, während vr. Böttcher mit 3955 untellag. Dag dex agrarische Antisemit bas „größere Uebel" sei, hat den Führern d?r Freisinnigen schon vor der Stichwahl ein geleuchtet; ihren verblendeten und verhetzten Anhängern wird es bald genug klar werden. Aber auch der ganze Wahlkreis wird es empfinden, daß er nicht mehr durch einen Mann vertreten ist, der den Kreis und seine Bedürfnisse von Jggend auf genau kannte und die Interessen aller Theile der Wählerschaft gewissenhaft gegen einander abwog. Fühlten sich diejenigen Jnteressentengruppen, die vr. Böttcher nicht zur ausschließlichen oder vorwiegenden Vertretung ihrer Wünsche und Forderungen bewegen konnten, schon früher ge kränkt und zurückgesctzt, so kann die Unzufriedenheit und die Schärfe der Gegensätze nur wachsen, wenn als Vertreter des KreiseS ein antisemitischer Agrardeinagog rücksichtslos die extreme» Forderungen seiner Gesinnungsgenossen vertritt. Nicht ;u»l Wenigste» aber bat auch der Reichstag und daS Reich selbst den Verlust eines Maiincs zu beklagen, der durch Unabhängigkeit, Selbstlosigkeit und Gewissenhaftigkeit sich stets ausgezeichnet hat. Die Männer werden immer seltener, die nichts für sich selbst erstreben, das Wobl deö Ganzen über Alles stellen unv, mibeküiuuiert um Gunst oder Ungunst, Mit strengem Gerechtigkeitsgefühl abwägen, was sie zu gewähren, was zu versagen unv was zu erstreben haben. Und je seltener sie werden, ein um so größerer Verlust ist es für die deutsche Volksvertretung, wenn künftig ein Mann Wie vr. Böttcher in ihrer Mitte fehlt. Die Sommersession des österretchtschcn Reichs rat hes ist zu Ende. Die letzte Thal des Abgeordneten hauses war die Genehmigung deS Budgets geweseii. Bekanntlich hatte die „Bereinigte deutsche Linke" keinen officiellen Beschluß gefaßt, wie sie sich bei der Endabstimmniig in dritter Lesung verhalten solltd. Das Ergebniß war, daß sie sich in drei Theile gespalten hat: die Hälfte stimmte dafür, ein Viertel dagegen, das letzte Viertel blieb absichtlich weg. Man schreibt darüber dem „Hamb. Corr." aüs W ien: „Seit der Bewilligung des slowenischen Gviniiasinnis i» CM wurden die deutsch-liberalen Abgeordneten von ihren Wählerschaften bestürmt, das Budget zu verweigern, allein nur ein Theil der Ver einigten Linken hat sich bereit gezeigt, diesem Berlangen Folg, zu leisten. Der liberale Großgrundbesitz, sowie überhaupt der gemäßigte Theil der Partei vermag sich nicht dazu zu verstehen, dem Staate die Mittel zur Fortführung der Geschäfte zu versage», und rechnet außerdem mit dem Umstande, daß ein parteiloses Beamteiiministerium am Ruder ist, das sich in keiner Weise antideutsch oder antiliberal geberdet und dem gegenüber es eine Ungerechtigkeit wäre, wollte man ihm eine Verlegenheit bereiten. Es sprach aber auch die Erwägung mit, daß die deutschliberale Partei einerseits durch die Budgelverweigerung an der maßgebendsten Stelle einen schlechten Eindruck hcrvorriese, und andererseits, daß die Budgetverweigerung gar keine» praktischen Zweck hätte, da sich doch eine Mehrheit für den Etat fände und der Budgetposten für das slowenische Gymuasiuin in CM in keinem Falle mehr aus der Welt geschasst werden könnte. Für de» linke» Flügel der Partei kamen aber diese Erwägungen nicht in Betracht, und jo hat er bei der dritte» Lesung gegen däS Budget gestimmt. Es wäre sonach eine Spaltung der Vereinigten Linken unver meidlich gewesen, wenn Man hier einen Fraktionszwang hätte ausübe» wolle». Um die Spaltung zu verhüten, griff man zu de», Auskunft«, mittel, die Abstimmung sreizugrben. Formell aber wollte man auch das nicht eingestehen, und jo erfolgte, obwohl die Partei mehrfach Debatten über den Gegenstand abgehalten hatte, gär kein Beschluß, und jedem Parteimitglied wurde stillschweigend anheimgegeben, bei der entscheidenden Abstimmung sich entweder zu absentiren oder zu stimmen, wie ed es vor seinem Gewissest oder feistest Wählerst ver anttvorten zu könne» glaubte." Das ist doch in der That die denkbar schärfste „Spaltung" einer Partei, wen« sie bei der wichtigsten konstitutionellen Frage, der Bewilligung des Budgets, in drei Theile aus einanderfällt. Das kriegerische S.el b stbewußtsein, mit welchem ein großer Theit der französischc« Presse sich täglich brüstet, kostiint i» den militairischen Fachbkättern bei Weitem nicht zu so sicherem Ausdruck. Dort weiß man eben genauer, wie die Sachen in Wirklichkeit stehen. Wehr- und Angriffsniittel der Franzosen sind technisch zur höchsten Vervollkommnung getrieben, die sich in der Gegenwart erreichen läßt, an Opfcr- bereitschaft und Mnth wirv cs auch den Soldaten nicht fehlen. Was aber die Mannszucht und Organisation ihres Heeres werth ist, das bleibt die Frage. Etwa die Hälfte der Mann schaften dient, obgleich das Gesetz für alle ausnahmslos drei Jahre vorschreibt, nur ein einziges Jahr. In der Praxis bilden eben die Ausnahmen die Regel. Nothwendig wurde zunächst die Einschränkung des Militärdienstes für die Schüler der Hochschulen. Ausgedehnt wurde sie dann auf so und so viele Gewerbeschule». Das Uebrige that daS Protections- Wesen, daö unter der Republik noch viel stärker eingeritten ist, als unter dem Kaiserreiche. Militairfachstiänner jvciscn umsonst darauf hin, daß der größte Theil der Mannschaften unter den jetzigen Verhältnissen für den Kriegsfall nicht zuverlässig sei. Die politischen Sitten oder Unsitten sind ei» mal stärker als die Vernunft. DaS Ossiciercorps^ erinaiigelt des Zusammenhaltes. Zum einen Tbril ans Söhnen ge bitdcler Familien bestehestd, die durch Saint-Cyr und durchs Polytechnikum gegangen sind, zum andern Tbeil aus früheren Unterofsicieren gebildet, die sich in Saint - Maixend die zu ihrem Berufe knapp »vthigen Kenntnisse erworben haben, zerfällt es gesellschaftlich in zwei Hälften, die kaum miteinander verkehren und natürlich keinen CorpSgeist haben können. Das Oberkommando leidet an einem andern Fehler: Bei der Wahl von ArittcecoinmaNdaliten für dett Kriegsfall wagte man aus politischen Bedenken nicht, den künftigen Heerführern schon in Friedeiiszeiten dieentsprechendeStellungzu geben. Mansürchtete, sie in Versuchung zu führe;;, tyenn sie etwa politische Machtgelüste verspürten. So steht der künftige ArMeecoinmandant iss gleichem Rang mit den Corpökomittändanten, die ihtti im Kriegsfall unter geordnet sein sollen. Es ist dies eine schiefe Stellung, die schon in FriedenSzeiten zu Reibungen führt uitd bei der Mobil machung verderbliche Conflicte verNrsächcn kann. DieS Allts fühlt man in Frankreich wohl, doch läßt eS sich iinlkb dem jetzigen Regime nicht abstellcn. Wir dürfen deshalb die Franzosen als Gegner keineswegs unterschätzen, andererseits aber auch nicht glauben, daß die französische Kriegsmacht seil 1870 im Verhältnis; ihrer Soldatenzahl gewachsen sei. Uilter den Franzosen selber giebt es viele militairische Fachinänner, die im Kricgösalle eine Nheinarmee, wie die kaiserliche vom Jahre l87o, trotz ihxtzr geringen Zahl, noch lieber zur Grenze führen würde», als die jetzt bereitstehenden dreimal stärkeren Truppen der ersten Linie. Wenn auch die Vorgänge, deren Schauplatz die bulßnrischc Hauptstadt beim Leichenbegängniß Stambulow'S gewesen ist, überall daS Gefühl der EmpöruUg hervorgerufen unv dir diplomatischen Vertreter zu Vorstellungen bei der Regierung in Svsla veranlaßt haben, so ist es dbch so gut wie ausgeschlossen, daß jene Scassdalscenen zu einer Inter vention irgend eiUer der betheiliateit Mächte führen werdess, weil Man sich in den CabineteN Europa s mit Recht gewöhur hat, die Berbältnisse iU den oritntälischtn Staate» Nickt mit westlichem Maßllabe zn messen. So schreibt die „Nvrdd. Allg. ZtA ", offenbar die Anschauuiigett deS Auswärtigen Amtes wieder gebend: In diesem Gemeinwesen Mit einer Geschichte von gestern ist eben die Staatsgewalt noch lange nicht in dem Maße fähig, für strenge Wahrung der Ordnung cuie Bürgschaft zu übernehmen, wie dies in unseren altmonarchischcn Staaten der Fall ist. Unter diesem Gesichts- puncte betrachtet, schrumpft auch die Bedeutung blutiger und tumultüärischer Scene», wie sie in den vordem von den Türken be- herrschten Balkanslaa e i bald hier bald dort vorgekonnnen sind, sehr zusammen. Bon Rättern, die Jahrhunderte lang rechtlos gelebt haben, läßt sich nicht erwarte», daß sie im Handumdrehen sich ge- wohnen, aufregende politische Streitfragen unfehlbar und aus schließlich in den vom parlamentarischen Staqtsrecht vorgeschricbenen Formen ordnungsgemäß zum Austrag zu bringen. Wenn da ein Sturm lo-orscht, so wird man, sofern nicht zwingende Gründe für eine gegenteilige A issassüssg vorliegen, mit dem Urtheil sich meist dann aus dein richtigeren Weg befinden, wenn man weder die Ursachen allzu weit sucht, noch bezüglich der Folgen gleich von vornherein allzu großen Befürchtungen sich hin giebt. Wie es sich übrigens mit der Tragweite der jüngsten Vorgänge in Bulgarien auch verhalten möge, so leuchtet jedenfalls so viel ein, daß Deutschland davon nicht unmittet- —. 8s Vils verlorene Mradies. Roman von Anton Freiherr von Perfatl. — ,, Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) „Und Du Wärest star!k genug zu diesem Opfer, wie Du cS nenNst?" . „Ich hoffe rS, Kitty." -i - ^ . „Ich aber nicht, ich Nicht! Zu diesem Opfer nicht. Aber zu einem andern." „Zu welchem?" .. „Zu einem Opfer tdahrer Liebe — Alles, Alles, weNn es sein müßte!" „Georg stutzte. WaS hättest Du denn zu opftrn> wenn Du Franz —" „Immer mit Franz!" enthegnete Kitty ärgerlich. Du bist ja auf eissmal sehr brüderlich gesinnt. Georg fühlte, daß er zu weit gegangen. NuN, ich meine nur — aber von wem sprichst Du denn, wenü nicht von Franz? Kitty hüllte sich tiefer iN ihreN Pelz Und schwieg. Dieses Gespräch inmitten des StraßenpublicuiNs, wobei Man jede ErrtguNg sorgfältig verbergen, selbst die Miene beherrschen mußte, erschöpfte sie geradezu, außerdem Witt: sie Nahe daran, den reinsten UnstNtt zü schwatztN, dttt sie dünn ssiäter gewiß bereuen würde. Sir waren dor dettt CircNS ängelaNgt. Herr Cinclli, der Besitzer, ein älterer Herr in tadelloser Rellrvllettr, begrüßte Georg ttzlt elkett KIM BekäNnlrtt Und warf Blicke auf seine Begleiterin, vor welchen diese entrüstet die Augen »u Boden schlug. Erst als Georg ihm seine Cousine vdrstelltr, verwandelte sich dtr Unverschämte in den gewandtesten Cädalier. . , Er schien kein rechtes Vertrauen zu haben aut den vor- mittäglichen Bestich des Circus, noch dazu in Gesellschaft Georg von Prechting'S. Von drinnen ertönten abgebrochene Musikt»fte, dai Klatschen der Peitschen, Commaudorufe — Herr Cmelli zog den schweren Vorhang tzNd Gettl! üNd forderte Kitty mit einer galanten Verbeugung zum Eintritt auf. — Die Musik stimmte eben eine Polka an. In der Arena ritt ejne Darsse auf einem überaus edel geformten Rappen die hohe Schule. „Arabella — kein Zweifel!" Sie war so mit ihrem Pferde beschäftigt, daß sie die Eintretenden nicht beobachtete. Die an und sür sich unästhetischen Bewegungen deS KörpepS, welche die Gangart deS Pferdes aufnöthigte, wurden mit einer so vollendeten Grazie ausgeführt, daß Kitty kein Auge mehr davon wandte. Das edle Thier zitterte nervös bei der leisesten Berührung der Gerte, der saMnitglänzende HalS war mit flockig schneeweißem Schaum bespritzt. „Der „Mohamed" macht sich, Baron — WaS ?" bemerkte Ciüelli. „Wenn man ihn so reitet!" erwiderte Georg. Er stand mit dem. Direktor vor Kitty. Die Reiterik blickte auf und winkte Georg mit deb Hand zu. „Wo stecken Sie denn so lange? Beim Cousinchen natürlich." Sib bemerkte offessbär Kitty nicht, welche diese Wort'e wie ein Pfeil traftn. . Er hatte also mit dieser Person schon über sie gesprochen! Uetdr dir üufgedrungrne Braut, wbhl selsse schlechten Witze darüber gemacht! Sie Wat jetzt doppelt stoh, daß sie ihm auf dem Herwege Unumwunden die Wahrheit gesagt. Gtvrg vttwünschtt in seinem Jnssern die Unvorsichtigkeit Arabxlla's. „Ich habe ihr schon oft von Deinerss Rkittälerite ttzäbll", versuchte er Kitty assfzukläten. Diese gab ihm keine Antwort. Arabella führte die schwierigsten FItzÜren ässS: Passade, Courbette, Pirouette und Durchsprung. Selbst Kitty vetgaß über ihre Bewüssdrrnna dett Uttmuth. Das war dagegen ihr Reiten, auf das sie sich Po diel zugsstr gethan? Also nicht einmal auf diesem Gebiete leistete sie etwas? Ob daS Makowsky auch eine Fertigkeit NeNssek würde? Arabella hielt dicht vod ihnen. Gevrg, üsst einer weiteren Gefahr NuSzUwelchett, trat rasch auf die Seite und stellte Kitty vor: „Meine Cousine, Gräfin Serfeld." Arabella verneigte sich im Sattel. „Da habe ich Mich jä schön blamlrt! Verzeihen Sie Gräfin. Aber der Herr Baron hat mir so viel von Ihnen erzählt. Wir siNV ja svzusagtN Cvlleglnnen." Sie reichte Kitty auf eine cordiale Weise dir HäNd. weschr dieselbe »NgendliiNich verletzte» aber ihr ganzes Wesen war so bestrickend liebenswürdig, dir Bewunderung Kiity'S so groß, daß sie nicht zögerte, dieselbe zu ergreifen. Diese Dame wax doch wirklich etwas, eine gefeierte Künstlerin, und sie war nichts, ein unbedeutendes Geschöpf. Dieses erdrückende Gefühl hatte sie »och nie, wie jetzt. Arabella fragte sie, ob sie nicht den Mohamed reiten wolle. Er ginge wie ein Lamm. Kitty war glücklich, daß sie kein Reitkleid angezvgen, so hatte sie eine Ausrede. Sie hätte sich zu Tode geschämt, vor dieser Meisterin sich zn zeigen. Doch Arabella ruhte Nicht. Sie hatte drei Reitklkidrr zur Verfügung in ihrer Garderobe. Auch Georg drängte. Sic seien ja doch hergekommen, um zu reiten. Arabella werde ihr gewiß reichlich Rath ertheilen. Da kehrte ihr Selbstgefühl zurück. Sie wav wirklich eine gute Reiterin und — sie konnte nicht dagegen ankämpfen — sie fühlte fick lebhaft hingezoge» zu Arabella. Als d'idst: sich aus dem Sattel schwang und ihr den Arm bot, ssm sie in ihre Garderobe zu führen, konnte sie Nicht tviderstehen. Im Stall gittg eS lebhaft zu. Die Pferde wurden ge füttert, ZatlMzcug geputzt, ein Clown unterrichtete, mit ver schränkten Beinen wie ein Türke auf einer Kiste sitzend, zwei schwarze Pudel, während zwei andere eine komische DuosceNe übten und sich mit Ohrfeigen traclirten. PapägeieN krächzten, an der Räufe klettetten zwei Affen umher und warfen mit gestohlenen Nüssen nach ihnen. An einen Schimmel Mit ausgetretenem breiteM Rücken gelehnt, stand ein junges Mädchen iss Trirot, einen Regenmantel um die Schulter ge worfen, in eifrigem Gespräch mit einem Officier. Jt» Stande dassebeii sang ein junget Butsche ein französisches Lltb zttt Arbeit. Kitty war entzückt von diesem bunten Bilde. Arabella hatte Mühe, sie in die GätdKobt ztt bringen, übet in einer Stunde war Balleltprobe und die Manege nicht Mehr frei. EiN kleiner Bvtttirvetschtag, vvn einer offenen Gasflamme beleuchtet und geheizt, ssahm sie auf. Reitstiefel aller Art, Sporen, Reitstöcke lagen in wirrer Unordnung umher, kaNM eiNknt svürftigen Spiegel, einigt» Schniiüktöpsen und ändern Toiletttgegenstänren Platz geivähtend. An der Bretterwand klebten rahmenlose Phvtographiren vvn Pferden und Artisten. Ein großer Strauß vvn weißem Flieder avf dev Toilette erfüllte den ganzen Raum mit seinem Duft; Kitty rrsannte sofort die Karte Georg von Prechting'S auf der Krässsr an- gehestet. Arabella bediente ihren Gast mit der größten Aufmerksam keit. Nebenan, nur durch eine Bretterwand getrennt, war die Garderobe des Balletcorps, welches aus den Reiterinnen sormirt war. Ein betäubender Stimmenlärm drang herüber. Zn einer Stunde war Cöstümprobe. Kiity Halle unzählig? Fragen an Arabella. „Die sann man einer so großen Künstlerin einen solchen Raum an- weisen?" „Ja, das ist so, Gräfin. Dir Rampe der Manege ist die Grenze uyserer Herrlichkeit." „Aber nicht wahr, Sie würden um Alles in der Welt Ihrem Berufe nicht entsagen?" „Warum nicht? Wenn ich mich für die ganze Zukunft gesichert wüßte." „O, daS kann nicht Ihr Ernst sein." .„.Sie haben gut reden! Wenn man so glücklich ist, so reich! Aber wir? Wenn Uns heute etwas zustößt — wer sorgt sür Uns?" „Ich bitte Sie, Miß Arabella, sprechen Sie mir nickt von dem Glücke der Reichen! DaS kenne ich nun wieder besser. DäS Langweiligste, WaS Sie sich denken können. Sie hieltet! es keine drei Tage bei Mir aus." „Bei Zhssen gewiß! Ich glaube, wie paßten ganz gsst zusammen." „Wirklich? So kommen Sie doch nach BalS, so lange Sie wollen." „Ich muß arbeiten, Comtesse? „Arbeiten? Wie das häßlich klingt, Sie ärbeiten doch nicht! Ach, wie beneide ich Sie uM Jhrd Arbeit! Diese Reisen! Ucbernll gefriert! Da« ganze herdliche Künstlerteben! Und das wollten Sie asssgeben ssm eine nüchtrtsse Bersdrgssitg?" „Entschuldigen Gräfin, äbet: Sie deuten recht kindlich tzätübtt." „DaS „Cvnstttchen", nicht wähd? Ich weiß selbst Nickt, wie ich dazu kam, Ihnen das sb rasch zu vergessen. DaS ist sonst gär nicht Meine Art! Da- wird ev Ihnen Alle« erzählt kaben vvn deM CösssincheN! Däß er sie heiratheN müß! DaS ihm da» sehr uNaNaeüehtN ist!" „Aber Gräfin!" „O, sagrss Tie rS nür ssngenirt! Ich habe ihn eben selbst über diesen PuNdt völlig beruhigt. Sie wissen ja doch Alles! Er vrrehtzt Sie, ich tzlassbe fast mehr." Kitty eMyfäntz eisseN ihp erst später verständlichen WuÜsch, Arabella ln rin tttgereS Vethältüiß ztt Georg zu drässzen. Sie vergaß darüber völlig ibrr Stellung, da- Unwritzliche ihre- Unternehmen-, doch von jeher gewohnt, augenblicklichen
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