Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.07.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-07-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950725029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895072502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895072502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-07
- Tag1895-07-25
- Monat1895-07
- Jahr1895
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezugS-Preis kn der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk mrd de» Bororten errichteten Au», gabestelleu ab ge holt: vierteljährlich 4.50. bei zweimaliger täglicher Zustellung in» hau» 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich k.—. Directe tägliche Kreuzband,endung iss Ausland: monatlich 7.50. Die Morgen-Ausgabe erscheint täglich mit Au», nähme nach Sonn- und Festtngen '/,7 Uhr, die Abend-AuSgabe Wochentags 5 Uhr. Lr-aclion und Erpeditiou: JohanneSgasse 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr. Filialen: vtt» Klemm» Sortim. (Alfred Hahn)» UniversitätSstraße 1, Louis Lösche. Katharinenstr. 14, Part, und König-Platz 7. Abend-Ausgabe. Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Kandels- nnd Geschäftsverkehr. Anzeigen'PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Psg. Rrclameu uuter dem RedactiouSstrich (4g«. spalten) 50^, vor den Faoülieunachrichteu (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zisferusatz uach höherem Tarif. Extra »Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefördernng 60.—, mit Postbeförderung ^ 70.-*. Annahmeschluß für Anzeigen: (nur Wochentag») Abrnd-Ausgabr: Vormittags 10 Uhr. MorgeN'AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige» sind stets au die Srpetzikiou zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. ^- 357. Donnerstag den 25. Juli 1895. 89. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig. 25. Juli. Das neue socialdemokratische Agrarprogramm, das auf dem Breslauer Parteitage durchberathen werden soll, hat einen kleinen häuslichen Krieg im socialdemokratischen Lager zur Folge. Angriffe, die der von der Commission zum Parteitagrefrrenten bestellte Redacteur der Hausmann. Presse", Ouarck, gegen die Partei richtete, haben in dieser so böseS Blut gemacht, daß die Absetzung Quarck's von seinem Referentenposten gefordert wurde. Darob großer Kriegsrath, der indessen zu dem Resultate führte, daß Ouarck mit einem Rüffel davonkam und Referent für den Parteitag bleibt. Es ist ihm jedoch aufgegcben worden, seine Stellung innerhalb der kaufmännischen Gehilsenbewegung baldigst vor der Oeffentlich- keit zu klären. Ferner hat in Breslau Liebknecht's Schwieger sohn gegen die Borschläge der Commission die Fahne erhoben, und im „Socialdemokrat" bat, wie schon milgetheilt, Quarck's Studieugeuosse Schippe! das Gleiche gethan. Aber diese kleinen Reibereien verschwinden vor der schwerwiegenden Thatsache, daß Herr Bebel, der bekanntlich auf dem letzten Parteitage gegen die Behandlung der Agrarfragen im Bollmar'- schen Sinn, wie sie in dem Programm zum Ausdruck gelangt ist, den entschiedensten Widerspruch erhob nnd darin eine Verleugnung der socialdemvkratischcn Principien und ver werflichen „Bauernfang" sah, sich bekehrt hat. In dem Urlheile, das er über das Programm veröffent licht, ist von seiner früheren Entrüstung über den „Bauernfang" nicht die geringste Spur mehr vorhanden. Sofort bei Beginn seiner Ausführungen stellt er sich grund sätzlich auf denselben Standpunkt, und am Schluß erhebt er gegen das Programm nur zwei Ausstellungen, die Alles daraus auszumerzen Vorschlägen, was der Partei schädlich werden könnte. Ueber das Princip, auf dem das neue Pro gramm beruht, wird sich demnach in Breslau kein harter Kampf mehr erheben; lediglich die einzelnen Puncte desselben werden an dem Kriterium des Parteivortheils ge messen werde». Durch den Uebertritt Bebel's in das Lager des Vollmar-Schoenlank'schen Opportunismus, der mit Lügen den Bauer für den Fall der socialen Revolution „neutralisiren" will, „damit er die Arbeit nicht stört", ist die Gefahr, die von dem Bauernfänger-Programm droht, wesentlich gewachsen. DieAgi- tatoren brauchen nun nicht mehr zu fürchten, daß ihnen aus dem eigenen Lager der Vorwurf gemacht werde, sie erkennten das Privateigenlhum an Grund und Boden nur zum Scheine an und beharrten in Wirklichkeit auf dem grundsätzlichen Stand- puncte der Vergesellschaftung aller Produktionsmittel. Nicht rasch und eifrig genug können daher diejenigen Kreise, denen zumeist an einer Fernhaltung der socialdemokratischen Pest von unserem gesunden Bauernstände gelegen sein muß, an die Verbreitung der Reden gehen, in denen auf dem Frank furter Parteitage der jetzt zu Kreuze gekrochene Bebel den von Vollmar und Genossen beabsichtigten Betrug kennzeichnete. Leider findet die Socialdemokratie in ihrem Bestreben, den Bauernstand gegen die bestehenden staatlichen Verhältnisse auszureizen, Bundesgenossen im Bunde der Landwirthc. Zur Kennzeichnung der wüsten Tonart, die in diesem Bunde um sich greift, heben wir aus einer Rede, die in der General versammlung desselben zu Lemgo der Vorsitzende v. Stiel en- cron gehalten hat, nach der „Lipp. Landesztg." folgende Stelle hervor: Verantwortlich für die schlechteLage der Landwirth. schast ist die Reichsregierung. Sie ist herbeigeführt dadurch, daß wir einen Phantasten an der Spitze der Regierung gehabt haben. Caprivi ist mit seinem Versuche, aus Deutschland einen Industriestaat zu machen, kläglich gescheitert. Er hat die Karre in den Dreck ge« fahren und ist dann nach Montreux gegangen. In den Staatsrath hätte man nur Landwirthe berufen solle», nicht Großhändler, Bankpräsiden ten rc., unsere Lage können nur Bauern beurtheilen. Die Hauptsache ist, Laß wir in Len Reichstag eine agrarsreundliche Mehrheit be kommen. Ebenso in die Landtage und alle anderen politischen Körperschaften. Die Industrie hat uns preisgegeben, während sie selbst in ihrer Schutzhütte geblieben ist, unsere Zölle hat man preis- gegeben, die für die Industrie bleiben die alten. Das ist eine un gerechte Bevorzugung. Wenn man uns unsere Schutzzölle nicht wiedergeben will, so muß man auch jene anfheben. Augenblicklich findet eine Auswucherung des Bauernstandes statt. Bekommen wir unsere Zölle nicht wieder, so müssen wir für den Freihandel eintrcten; wir müssen die Industrie in dieselbe Nothlage bringen, in der wir uns befinden. Der Zustand wird dann nicht lange dauern; man wird dann schleunigst „Kehrt" machen aus dem be- schrittenen Wege. Durch die Schließung der Handelsverträge ist der Landwirthschast die Pulsader gerösfnet. Sie muß wirth- schaftlich verbluten. Ungeschickte Aerzte halten der aus dem Siech bette Ruhenden das Riechfläschchen von den kleinen Mitteln vor. An ihren Rockschößen hängen die Juden, Judengenossen und Social- dcmokraten und suchen den Aerzten Las Riechfläschchen aus den Händen zu schlagen, denn sie gönnen der Landwirthschast nicht einmal die kleinen Mittel; unentschlossen aber und zögernd steht die große Menge. Herr v. Stietencron scheint nicht zu wissen, daß man gerade die Getreidezölle einseitig bedeutend erhöbt hat unv daß man dabei von vornherein den Gedanken ins Auge faßte, bei der Handelsvertragspolitik, die Fürst Bismarck als richtunggebendes Ziel festhielt, eben diese Erhöhung als Compensationsobjcct zu verwerthcn. Jedenfalls aber vergißt der Herr ebenso, wie die „Corresp. des Bundes der Land wirthe", die in einem Artikel über die Währungsfrage die Reichsregierung frank und frei mit dem Aufrührer Catilina auf eine Stufe stellt, daß durch solche Verhetzungen und Schimpfereien die conservative Gesinnung unseres Bauern standes in das Gegentbeil verkehrt werden muß und dem Bauernfange der Socialdemokratie der größte Vorschub geleistet wird. Mit der französischen Expedition in Madagaskar will es nicht recht vorwärts gehen, aber nicht blos, wie der Oberstcommandirende, General Duchesne, berichtet, wegen der großen Schwierigkeiten, welche die Beschaffenheit der Wege bieten, sondern in erster Linie wegen der mangelhaften Vorbereitung des Feldzugs, die sich jetzt zu rächen beginnt. So veröffentlicht der „Figaro" den Brief eines OfsicierS aus Madagaskar, der den Zustand des Expeditionscorps als äußerst betrübend schildert. Seit der Ankunft der Transportboote sei die höchste Unordnung eingerissen, die zunächst dadurch veranlaßt wurde, daß die Werft schlecht gelegen sei und die Schiffe 800 m von der Küste ankern müßten. Es fehle an den nöthigen Ausschiffungs mitteln, so daß die Leute erst nach drei bis vier Tagen, die Materialien erst nach acht, fünfzehn, ja selbst dreißig Tagen ausgeschifft werden könnten. Der Officier beklagt auch seiner seits den Mangel an Kanonenbooten, der die Veranlassung dafür sei, daß statt des Flußweges der ungesunde Land weg gewählt wurde. Es fehlt an Wasser und Ingenieuren, die den Weg in Stand setzen könnten. Dreiviertel der Mannschaften seien Kranke. Der Gesundheits zustand der Marine und der Infanterie sei schlecht, der der Chasseurs sehr schlecht, die Verpflegung un genügend, da die 4800 Wagen der Compagnie Lefevre, die die Verproviantirung besorgen sollten, wegen ihrer Schwere unbrauchbar wären. Es ist die Rede davon, daß eine Colonne von 5000 Mann allein nach Tanarivo gehe, das einzige Mittel, um die Expedition vor der ungünstigen Jahres zeit zu beenden. Der einzige Ausweg wäre, mit einem kleinen Theile des Expeditionscorps die Einnahme von Antananarivo vor dem Eintritt der schlechten Jahreszeit zu versuchen, sonst würde das Corps in Folge von Krankheiten auf eine unbedeutende Ziffer zusammenschmelzen und die Expedi tion müßte im nächsten Jahre gänzlich erneuert werden. Und das wird in demselben Augenblick geschrieben, in dem die bei dem Vormarschcorps befindlichen Berichterstatter von der „glvrreicken Einnahme von Mevatanana", von der „wunder vollen Ueberbrückung des Betsiboka" rc. schreiben! Die HovaS arbeiten langsam, aber stetig an der Verteidigung von Antananarivo. Die Hauptmasse der Streitkräfte soll indessen nach Ambohimanga geschoben werden, das als heilige Stadt gilt. Hier würde auch der entscheidende Schlag zu erwarten sein, von dem das Schicksal des Feld zuges abhmge. Eine sehr charakteristische Seite dcS Ergebnisses der eng lischen Parlamentswahlen ist die Niederlage der socialen Revolutionaire. Bon den ungefähr fünfzig Canbidaten, mit denen die socialdemokratische „Federation", die „Unab hängige Arbeiterpartei" und andere mehr oder weniger social demokratische Gruppen in England bei diesen Wahlen auf den Plan getreten sind, ist nur der einzige John Burns in Battersea (Süd-London) gewählt, der auch seither schon dem Parlament angehörte. Der Führer der „Unabhängigen", I. Keir Hardie, ist nicht wieder gewählt, ihn hat ein Con- servativer geschlagen. Und von den achtundvierzig Neuen, die ihr Heil versuchten, hat nicht einer Erfolg gehabt. Die Partei, für welche unsere socialdemokratischen Großsprecher in Deutschland die Zukunft bereits mit Beschlag belegen, hat sich im englischen Parlament seit 1892 von zwei Mandaten ans eins rückwärts concentrirt. Was es mit diesem einen Mandat aus sich hat, kann man daraus ersehen, daß die radical- liberale Partei John Burns unter ihre Fittige nehmen mußte, weil man genau darüber unterrichtet war, daß ein großer Theil seiner Anhänger ihn im Stich lassen würde und zahl reiche Arbeiterstimmen dem conservativen Candidaten sicher seien. Und was war das Resultat der liberalen Hilfe? 250 Stimmen Mehrheit gegen 1200 Stimmen bei den letzten Wahlen, also mit anderen Worten: tausend Stimmen von der Mehrheit abgefallen! Das giebt zu denken und zwar in mehrfacher Hinsicht. Es bestätigt, daß nicht einmal dieser einzige Socialdemokrat seinen Sitz im Parlament der eigenen Kraft verdankt, wiewohl in Süd-London die Arbeiterbevölkerung nach der Kopfzahl ungefähr ebenso ein erdrückendes Uebergewicht besitzt, wie im vierten und sechsten Berliner Wahlkreis, wo die Socialdemokraten aufstellen können, wen sie wollen: er wird im ersten Wahlgang gewählt. In den entsprechenden Londoner Stadtvierteln ist nicht einmal der zweifellos geistig bedeutendste Socialdemokrat Englands vermöge der social demokratischen Organisation allein durchzubringen. Das will sagen: es ist eitel Humbug, wenn diese Organi sation für sich allein in Anspruch nimmt. das Interesse der Arbeiter in sich zusammen zu fassen und gegenüber der Gesetzgebung zu vertreten. Im Gegentheil, die weitaus größte Zahl der Arbeiter sieht nicht im Lager der revolutionairen Partei des einseitigsten Classengedankens, sie steht nach wie vor auf dem Boden des allgemeinen staat lichen Lebens und scheidet sich dort nach den großen Gegen sätzen desselben, wie auch alle anderen Erwerbstreibenden sich scheiden. Ja noch mehr: in dem Augenblick, in welchem die radical-liberale Partei für einen John Burns eintritt, gehen ihr tausend Arbeiterstimmen (denn fast nur solche giebt es in Süd-London) verloren und wachsen dem conservativen Gegner zu. Kann Herr Liebknecht etwas Triftiges dagegen einwende», wenn wir sagen, daß diese Arbeiter zu den Conservativen abgeschwenkt sind, um auf jeden Fall genügend weiten Abstand von einem Revolutionair wie John Burns zu behalten? Eine Be kräftigung für diese unsere Ansicht finden wir in der eclatanten Niederlage Keir Hardie's in einem andern überwiegend von Arbeitern bevölkerten Vorortbezirk östlich von London, wo der conservative Wahlsieg und der Rückgang der Stimmen des socialdemokratischen Führers mit donnerndem Beifalls jubel ausgenommen wurde. Insofern hiermit das ungewöhnlich anspruchsvolle Gebühren des socialistischen „Undertaker" auf das denkbar bescheidenste Maß von Berechtigung zurückgeführt ist, könnte man allerdings bei dem Ausfall der englischen Wahlen sich beruhigen, wenn sie nicht auch sonst eine recht annehm bare Aussicht eröffneten. Jedenfalls steht fest, daß die eng lischen Arbeiter heute weniger als zuvor nach der Pfeife der internationalen revolutionairen Socmldemokratie tanzen, daß sie sich sogar zum Theil von dieser Partei wieder abgekehrl haben, nachdem die Veranstaltung von unzähligen Arbeiter- Ausständen und internationalen Congreffen aller Art dem Sehenden einen tiefen Einblick in daS Wesen und Walten der Revolutionaire gestattet hat. Bei dem furchtbaren Tumult, den die bulgarische Polizei während des Leichenbegängnisses Stam- bulow'S hcrvorrief, ist, wie auS Berlin gemeldet wurde, der deutsche Generalconsul nicht gleich einigen seiner College» verletzt worden. Es ist auch in den Berichten der Zeitungen über diesen Vorgang von dem deutschen Vertreter Or. v. Voigts-Rhetz nicht die Rede gewesen. Der General- consnl bat selbstverständlich ebenso wie seine Cvllegen dem Be gräbnisse beigcwohnt, ist aber von unliebsamen Erfahrungen ver schont geblieben. Herr v. Voigtö-Rhetz, der schon bei früheren Anlässen — zuerst wegen der Unterstützung deS macedonischen Auf standes durch Bulgarien — mit Entschiedenheit aufgetreten ist, scheint sich auch auf diesem Posten als der rechte Mann zu bewähren. In seiner früheren Stellung in Valparaiso hatte er die Aufmerksamkeit der leitenden Stellen dadurch auf sich gezogen, daß cs ihm gelang, durch sein entschlossenes Auftreten dem Ansbruch eines Aufstandes vorzubeugen. Nicht am wenigsten hat dabci dcr frühere Militair den Insurgenten durch seinen persönlichen Muth imponirt, indem er mit ihnen vor der Mündung der Kanonen stehend verhandelte. Nach Mittheilnngen, die der „Krcuzzeitung" auS Karlsbad, aus der Umgebung deS Fürsten Ferdinand zngegangen sind, ge denkt dieser vorsichtic; noch einige Zeit, fern vom Schuß, außer Landes, vorläufig mehrere Wochen in Oesterreich, zu verbleiben. Seine Karlsbader Cur soll nicht vor Anfang August ihren Abschluß finden; darnach beab sichtigt er sich gleichsam zur Nachcur kurze Zeit auf Schloß Ebenthal nächst Wien bei seiner Mutter aufzu halten. Von dort dürfte er wahrscheinlich des öfteren nach Wien fahren, um „Geschäfte", darunter, wie man meint, auch politische, zu besorgen; hernach aber ist ein Besuch in Schwarzau in Niederösterreich auf der Besitzung seiner Schwiegereltern (Herzog Robert von Parma), wo auch die Fürstin Marie Luise und der Erbprinz Boris gegenwärtig weilen, in Aussicht genommen. Darnach würde zum Mindesten die erste Hälfte des August, wenn nicht eine noch längere Frist verstreichen, bevor Fürst Ferdinand seine Heimfahrt nach Bulgarien antritt. Zu einem Ministerwechsel wird cö bis dahin nicht kommen. So behaupten officiöse sofiane,r Mittheilnngen. Aber wer kann denn in Bulgarien für die nächsten vierundzwanzig Stunden garantiren! Deutsches Reich» * Berlin, 24. Juli. In einer geschichtlichen Erinnerung an die Kriegsanleihe, die vor 25 Jahren in der Höhe von 120 Millionen zur Kriegführung von den verbündeten Regierungen des Norddeutschen Bundes gefordert wurde, Fettilleton. ^ Das verlorene Paradies. Roman von Anton Freiherr von Perfall. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Als Arabella auf Mohamed in die Manöge geritten kam, winkte sie Kitty mit der Gerte zu und diese war stolz auf die Blicke, welche von allen Seiten auf sie gerichtet waren. Jetzt, in vollem Lichterglanze, bejubelt von der Menge, er schien sie ihr noch herrlicher, bewundernswerther, und als sie als Schlußeffect die sogenannte Schule über der Erde ritt, Mohamed, schaumbespritzt sich kerzengerade auf die Hinter füße erhob und die Reiterin nur noch durch Zauberkraft in den Sattel gebannt schien, um gleich darauf, unter dem Jubel der Menge, dem Rauschen der Musik, durch die Manege zu jagen, da loderte ihre Begeisterung hoch auf. Sie erhob sich vom Sitze, um Beifall zu klatschen und rief laut den Namen Arabella s, unbekümmert um die Bedenklich keiten und daS Geflüster in ihrer Umgebung. Dreimal erschien Arabella, huldvoll sich verneigend, wäh rend Mohamed, auf eine leise Berührung ihrer Gerte, sich auf die Knie niederließ. Kitty blickte triumphirend im Kreise umher, auf die un zählig sich regenden Hände. Sie genoß den Erfolg mit der neuen Freundin. Da siel ihr gerade in der Loge gegenüber ein Herr auf, welcher, nachlässig zurückgelehnt, keine Hano rührte. Sie nahm ärgerlich das Opernglas und sah hinüber — Ma- kowsky! Sein Blick war starr auf sie gerichtet wie damals auf dem Balle. Jetzt verneigte er sich leise und um den schönen Mund zog wieder dasselbe liebenswürdige, schmerzliche Lächeln. Sonderbar! Anstatt sich über ihn zu ärgern, über seine Kaltblütigkeit, ärgerte sie sich über sich selbst, über ihren Enthusiasmus. Gewiß verlachte er sie deshalb. Das war ein sonderbarer, fremdartiger Zustand von diesem Augenblick an. Jede Bewegung, welche sie machte, stand in Beziehung zu ihm, kam nur in Betracht als eine von ihm gesehene. Der Blick war blind, inmitten all dcS Lichtes, bis er wieder zu ihm rurückkebrte. Die Spaße der Clown», da- Gelächter de» Publicum» klangen wie au» weiter Ferne. Auch an Arabella dachte sie nicht mehr, nur eine ungeheure freudige Unruhe ergriff sie. Ob ihm Wohl der Seehundspelz gefalle und das kleine rothe Hütchen? Er studirt wohl eben jetzt die Zusammenstellung! Die Pause begann. Die Herren erhoben sich in den Logen, auch Makvwsky. Er ging dem Stalle zu. Georg von Prechting kam herüber, auffallend förmlich. Kitty drängte es in den Stall. Sie habe Arabella ver sprochen, zu kommen. Die Herren mußten sie wohl begleiten. Es war ein dichtes Gedränge in dem schwülen, von einigen Lampen nur matt erhellten Gange. Jeder wollte einen Blick werfen in diese geheiligten Räume, womöglich ein Wort, einen Blick wechseln mit einer Künstlerin, einem Balletmädchen. Mancher fühlte sich als Sportsmann und betrachtete mit affectirtem Kennerblick die Pferde. Der Menschenstrom riß Kitty fort. Sie hatte ihren Begleiter verloren und spähte in der Menge umher. Warum gab er nicht acht auf sie? Sie empfand m Wahrheit einen bitteren Schmerz darüber. Jetzt stand sie vor der Garderobe Arabella's. Sie war verschlossen. Das Fräulein hat Umzug, erklärte ihr ein Bedienter. Kitty war froh darüber, so gewann sie Zeit. Plötzlich stand der Maler dicht vor ihr, wie aus dem Boden gezaubert, und begrüßte sie. ES gelang ihr nicht, ihre Freude zu verbergen. „Nun, sind Sie befriedigt von Ährem Ausflug in die CircuSwelt?" fragte er sie. „Ach, ich bin nie befriedigt. Das ist ja mein Unglück! Immer große Erwartungen — und dann — Warum baden Sie denn vorhin nicht geklatscht, bei Miß Arabella? Ihre Leistung war doch großartig." „Wirklich? War sie daS? Ich weiß nur, daß sie mir wiederholt ihren Anblick entzogen. Und da soll ich klatschen?" „Sie kennen wohl Miß Arabella gar nicht", fuhr Kitty er- röthend fort, ohne scheinbar die Schmeichelei deS jungen Mannes zu beachten. „Ein reizendes Wesen!" „Finden Sie?" „Aber Sie müssen es doch vor Allen finden — als Maler." „Nein, als Maler eben nicht — viel zu nüchtern." „Ach, das ist wieder so etwa» auS dem Unbewußten, Wa ich nicht verstehe." ' . „Indem Sie es sagen, beweisen Sie, daß Sie es verstehen, Gräfin, oder wenigstens fühlen." In diesem Augenblicke trat Arabella heraus, als Anfüh rerin der Amazonen, in einer großen Reiterschlacht, — die nächste Nummer. Blonde Locken umwallten den glitzernden Panzer, der ihre tadellose Form umschloß. Ein geschürztes Pardelfell zeigte mehr den stolzen Gliederbau, als er ihn verbüllte. Das Antlitz war etwas stark geschminkt. Die scharf markirten Augenbrauen, die künstlich gefärbten purpurnen Lippen ver liehen ihr etwas Maskenhaftes, Starres. Kitty war entzückt von dem Anblick. Arabella kam auf sie zu und brückte ihr wirklich amazonen- haft die Hand. DaS ist schön, daß Sie Wort gehalten. Jetzt wird er sich rasch bekehren, dachte sie. Sie kam sich jetzt so entsetzlich Nein und unbedeutend vor. „Daß gäbe ein Bild! Nicht wahr, Herr Makowsky", sagte sie in einem Tone, welcher Arabella auffiel. „Höchstens ein Aushängeschild für eine Maskengarderobe", bemerkte lachend die Kunstreiterin. „Aber — Sie werden entschuldigen — ich habe Eile! Treten Sie doch ein wenig in meine Garderobe, wenn Sie plaudern wollen, das Ge drängel ist ja unausstehlich." Mit echt amazonenhafter Bewegung mit der Lanze sich Raum schaffend, verschwand sie in der gaffenden Menge, nur der Helmbusch flatterte darüber. Der Maler und Kitty standen dicht vor der offenen Garderobe. Makowsky übertrat die Schwelle. Kitty zögerte, bis ein neuer Anprall der Menge sie förmlich Hineintrieb. Niemand achtete darauf, man hielt sie wohl für eine CircuSdame. „Wir haben ja noch Zeit, kommen Sie nur." Der Maler ließ die Thüre zufallen. Kitty fühlte das Unschickliche dieser Absonderung, noch dazu in diesem Raume, der erfüllt war von aufdringlichen Wohlgerüchen, unordentlich hingeworfenen weiblichen Kleidungs stücken und Toilettegegenständen. „Ich habe Sie heute erwartet", sagte Makowsky. „Heute schon? Sie sind sehr zuversichtlich." „Und doch waren Sie schon auf dem Wege zu mir." „Nein, daS war ich nicht —" „So hatten Sie doch wenigsten- den festen Willen zu kommen, concentrirteu sich ihre Gedanken darauf? Nur ein Hinderniß trat dazwischen." „Sie vermuthen das natürlich." „Nein, ich weiß es bestimmt. Um 1t Uhr waren Sie fest entschlossen." Kitty verlor ihre mühsam erhaltene Fassung. Der be ängstigende und doch so süße Bann kam wieder über sie, nur intensiver in diesem schwülen, engen Raume. Sie mußte sich setzen. „Um 1t Uhr? Ja — um 11 Uhr! Aber —" „Wie ich das wissen kann? Ich fühle es! Ich werde cS immer fühlen, wenn Sie sich in Gedanken mit mir beschäftigen." „Wenn sich Jemand mit Ihnen in Gedanken beschäftigt, so fühlen Sie das?" „Nicht Jemand — Sie — nur Sie, Comtesse." „Ja, warum gerade ich?" „Das ist schwer zu sagen. Ich kenne die geheimnißvolle Kette nicht, die unsere Gedanken verbindet. Vielleicht schmieden wir sie selbst, vielleicht besteht sie von ewig." „Sie sind leidend! Sie sollten sich mehr schonen. Ich fühle nie so." „In dieser dicken Atmosphäre, in der Sie leben, daS glaube ich! Sie durchdringt kein feines Gefühl. — Sie müssen kommen, Gräfin. Ich kann nicht mehr arbeiten, wenn Sie nicht kommen. Es klang wie ein Befehl aus seinen Worten. „Ich komme! Ja, ich komme! Aber jetzt muß ich gehen. Mein Vetter wird mich suchen — wenn er mich hier findet — s „Anstatt Miß Arabella, wird er sehr enttäuscht sein!" ' „Herr Makowsky!" „Warum! Das ist ein Weib für ihn! Jedem da-seine!" „Ich ersticke hier!" Kitty öffnete die Thüre. Georg von Prechting wollte eben eintreten. Er prallte zurück, als er Makowsky erblickte. „Sie hier?" „In der Garderobe Miß Arabella'-", sagte Makowsky in einem spöttischen Tone, welcher Georg nichts weniger als versöhnlich stimmte. „Ich wollte nur Ihre Cousine auS dem lästigen Gedränge retten." „Arabella lud mich ein, einzutreten, Herr Makowsky leistete mir Gesellschaft. Ich wußte, daß Du mich hier suchen würdest, daS ist doch sehr einfach!" erklärte Kitty, welche gerade in diesem Raume sich Georg überlegen fühlte. Sie hatte sich nicht verrechnet. Georg reichte ihr ohne Weitere Kritik den Arm. „Papa ist sehr ärgerlich. Die Vorstellung hat ja schon
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite