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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.07.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-07-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950730024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895073002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895073002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-07
- Tag1895-07-30
- Monat1895-07
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An sich ist diese Ausgrabung sehr nützlich, denn nichts kann in so überzeugender Weise die Berechtigung der Begeisterung dartbun, di« bei der Erinne rung an die Vorgänge im Juli l870 jede- deutsch fühlende Herz durchflammt. WaS Treitschke und mit ihm mancher Andere für unmöglich gehalten hatte, das wurde in jenen Tagen zur herrlichen Wirklichkeit. Als wären sie selbst be troffen von den demüthigenden Forderungen Napoleons, standen die deutschen Fürsten trotz der Vorgänge von 1866 einmüthig zu dem greisen Hohenzollernkönia und bewiesen, daß Treitschke fälschlich an ihren deutschen Herzen gezweiselt batte. Wäre er ein Mann, der öffentliche Schau stellungen siebt, so hätte er damals seine Schrift feierlich verbrannt und damit daS Unrecht gesühnt, das er an den Fürsten der norddeutschen Mittelstaaten in seiner beißen Sehn sucht nach einem einigen deutschen Reiche verübt hatte. Aber er durfte sich begnügen mit der Sühne, die er durch sein Wirken leistete. Jede« seiner ferneren Werke beweist, daß er den Jrrthum, in dem er t866 befangen war, erkannt hat; jedes beweist seine Freude über die gewonnene bessere Einsicht, ;edes seine Dankbarkeit für die Opferwilligkeit, mit der Deutschlands Fürsten beitrugen zur Erneuerung des alten Glanzes der deutschen Kaiserkrone und zur Stärkung der Macht ihrer- Trägers. Wie soll nun die Ausgrabung jener Schrift den „nationalen Begeisterungsplunder" verächtlich machen, während doch gerade die Erinnerung an diese Schrift die Begeisterung für daS, was 1870 durch die einmüthige nationale Opfer willigkeit errungen wurde, entflammen muß? Die „geistigen" Führer der Socialvemokratie müssen in der verächtlichsten Weise von ihrer Gefolgschaft denken, wenn sie glauben, die letztere durch Citate auS jener Schrift zur Verachtung nicht nur der Begeisterung, sondern auch der Begeisterten veran lassen zu können. Ueberhaupt beweist die socialdemokratische Presse fast mit jeder Zeile, mit der sie die Erinnerungsfeier zu Ehren der Jahre 1870/71 zu verunglimpfen sucht, daß sie m ihren Lesern jedes Vcrständniß für gröbste Wider sprüche bereits ertodtet zu haben glaubt. So thut der „Vorwärts", der so gerne in der Erinnerung an die schaurigsten Blutscenen der französischen Revolution schwelgt und für die Mordbrennereien und Füsilladen der Pariser Commune die heißesten Sympathien empfindet, entsetzt darüber, daß man dem deutschen Volke die ,,Ausbrüche des wildesten Berserkerthums" ins Gedächtniß zurück rufe und dadurch die „alten Wunden de- Völkerhasses" wieder aufreihe! Er, der in die Familien der „Genossen" seinen bluttriefenden Wandkalender auSsendet, in dem alle Morde und Mordversuche, soweit sie gegen Fürsten und Staatsmänner gerichtet wurden, als erinnerungS- würdiae Thaten gefeiert werden — selbst die Verbrechen eines Hödel und Nobiling nicht ausgenommen —, klagt, daß, wer zum Guten erziehen wolle, den Kindern keine „Bösr- kvichter" (II) als Muster vvrsühren dürfe! Der nächste internattvnale Epeialiftencontretz soll bekanntlich in London stattfinden. Mit den größten Hoff nungen sah man in den internationalen Socialistenkreisen diesem Congreß entgegen, dessen Firma man etwa« um geändert und erweitert hatte in der Erwartung, daß auf dem internationale» „Socialisten-undGewerksckaftscongresse" die Trabes Unions in großer Stärke erscheinen und mit den Socialisten sich verbrüdern würden. Die englischen Wahlen haben durch diese Combination einen dicken Strich gemacht; die alten und die neuen Gewerkvereine haben sich auf daS Bitterste bekämpft und es hat sich gezeigt, daß der Abinarsch der Ersteren in das socialistische Lager denn poch noch nicht so weit ist. Bei den Wahlen trat auch die ganze Oknmächtigkeit der Socialisten klar zu Tage und da fast in keinem anderen Lande der Ersog auf die große Masse so bestimmend emwirkt, wie in England, so ist es begreiflich, daß dieselben Kreise, die noch vor kurzer Zeit den Socialisten zujubelten, beute von ihnen nichts mehr wissen wollen und daß die Neigung der alten Gewerk schaften, den internationalen Socialistencongreß zu beschicken, vollständig umgeschlagen ist. Wenn heute der Congreß slattfände, könnte es sich ereignen, daß das Häuflein der unverfälschten englischen Socialisten allein bliebe. Auch in französischen Gewerkschaftskreisen verspricht man sich zur Zeit wenig von dem Congreß. Die französischen Socialisten sind bekanntlich ein eigenartiges Völklein, einer straffen Centralisation haben sie sich immer widersetzt und jetzt sind sie uneiniger als je. So haben trotz heftige» Widerstandes von anderer Seite die Alemaniste» dieser Tage einen besonderen GrwerkschaftSeongreß nach Limoges einberusen, wo wieder einmal über den General- auSstand berathen werden soll. In deutschen Gewerk schaftskreisen ist die Lust, nach London zu geben, begreiflicher weise eine ganz besonders geringe; sind doch die deutschen Gewerkschaftsführer auf allen internationalen »nd natio nalen Congressen von den politischen Machern immer unsanft bei Seite geschoben worden. Aehnlich liegen die Verhältnisse in Oesterreich, wo die führenden, nicht aus dem Arbeiterstande hervor gegangenen Geister von der Gewerkschaftsbewegung wenig wissen wollen. Glaubten also die Leiter der internationalen Socialdemokratie recht schlau zu handeln, als sie den Londoner Congreß umtauften, so haben sie mit diesem Schachzuge sich mehr geschadet als genützt, denn auch die extremen Elemente waren mit der Verquickung sehr unzufrieden. Es muß weit gekommen sein in Belgien, dem gelobten Lande unbeschränkter klerikaler Machtentfaltung, wenn der König als höchster Vertreter des Staatsbegriffes Insulten und Verunglimpfungen der gemeinsten Art auSgesetzk wird, wie es in den letzten Taaen in Brüssel geschehen ist. Man be handelt ihn in Brüssel wie einen Schauspieler, der seine Rolle nicht beherrscht, man ruft ihm, wenn er sich auf den Straßen zeigt, Mißsallensäußerungen zu, unterdrückt den Beifall der Klerikalen durch Lärm und Zischen, und die Vertreter der Galerie bombardirrn seinen Wagen und seine Diener mit Kohl- strünken und anderen unsauberen Geschossen. Kein Zweifel, der Thron Leopold's ist stark erschüttert, das monarchische Princip in Belgien aufs Aeußersle gefährdet. Wer aber trägt die Schuld an einer derartigen Entwickelung? Wir sind weit davon entfernt, die liberale Partei völlig freizu sprechen, denn sie hat den dringenden Ruf der Zeit nach Reformen im Wirtschaftsleben und in der Gesellschaft nicht gehört oder nicht hören wollen und so dem SociaiiömuS will kommene Nahrung zugeführt. Aber verschwindend klein ist diese Unterlassungssünde gegen den gewaltigen Schuldtitel der Klerikalen. Sie haben sich derselben Sünde schuldig gemacht und haben außerdem durch ihr jahrzehntelanges Regime konsequentester Reaktion auf wirtschaftlichem, politischem und culturellem Gebiete dem Volke die Opposition gegen dje Regierung und den König, der sie gewähren ließ, förmlich aufgezwungen. Hatte schon die jüngst inaugurirte, für eine fast durchweg industrielle Arbeiterbevöllerung einen Schlag ins Gesicht bedeutende, die nothwendigsten Lebensmittel ver- tbeuernde Schutzzollpolitik den Becher bis zum Rande gefüllt, so mußte ihn bas durch und durch klerikale Schul gesetz vollends zum Ueberschäumen bringen. Die »ltraniontanen Machthaber hofften mit diesem Versuch der Ertödtung aller freiheitlichen Keime in der Heran wachsenden Jugend zwei Feinde aus einmal zu treffen, die Socialisten und die Liberalen mit ihrem Anhang imFrei- dcnkerthui» und Wissenschaft. Aber sie haben sich doch in ihrer Beurtheilung der Volksseele getäuscht. Der Entwurf, der selbst einem Theil der Rechten zu weit geht, weil sie fürchten, daß diese klerikale Kraftprobe ein schlimmes Ende nimmt, bat eine ungeheure Erregung in Belgien hervor- gerufen, die am Sonntag in der großartigen, alle Erwartungen weit hinter sich lassenden Massenkundgebung in Brüssel zu einem für daS ultramontane Ministerium und den ibm ergebenen König beängstigendem Ausdruck kam. Wie veisichert wird, ist trotzdem dir große klerikale Mehrheit entschlossen, einmüthig für daS Gesetz einzutreten und eS dein widerstrebenden Lande auszuzwingen. Ob ihnen die Kraftprobe gelingen wird? Wir möchten daran zweifeln, denn sie haben da« Vertrauen der großen Masse verscherzt. Lange hat die sogenannte christlich-sociale Bewegung mit dem revolutionairen, auf den Umsturz der gegenwärtigen Staatsordnung hin strebenden SocialiSmus gespielt, ohne ernstlich Hand an die Heilung der socialen Schaven zu legen, sie bat an seinem mächtigen Anwachsen mitgeholfen und sieht sich jetzt durch ein päpstliches Schreiben an den belgischen Episkopat, welches verlangt, daß der Klerus sich in Zukunst jeder mündlichen und schriftlichen Propaganda der „neuen socialistische» Theorien" enthalten soll, genöthigt, ihrer Vergangenheit untreu zu werden und gegen die Arbeiterschaft Front zu machen. Das kann ihnen sehr leicht die Herrschaft kosten, aber auch dem schon wegen seines das Land mit schweren internationalen Complicationen bedrohenden Conavunter- nehmens nicht eben beliebten König theuer zu stehen kommen. Er muß jetzt schon an seiner eigenen Person suhlen, WaS die Klerikalen im Lande sündigen. Will Leopold II. sich noch länger mit einer Regierung identificiren, die seinem Throne die letzten Stützen wegzieht? In sehr energischer Weise hat der italienische Minister präsidentCriSpünder letzten Sitzung der Deputirtenkammer auf die gegen Italien offen feindselige Sprache der russischen Blätter geantwortet. Jmbriani, der franzosen- und natürlich auch russenjreundliche Radikale, hatte es als dringend nothwendig bezeichnet, eine Tagesordnung anzunehmen, welche verlangte, daß das Leben der Staatsbürger nicht ohne die Bewilligung des Parlamentes preisgegeben werde. Die Regierung müsse ermahnt werden, ihre Colonialpolitik, die eine solche des Krieges und der Eroberung sei, aufzugeben. Diesem italienischen Patrioten gegenüber erklärte CriSpi mit aller Bestimmtheit, daß eS absolut unmöglich sei, eine solche Tages ordnung anzunehmen, und fuhr dann fort: „Das erythrälsche Plateau ist unser kraft deS Vertrages von Uccialli, Tigre kraft der der zu seiner Bertheidigung er griffenen Waffen. In diesen Landstrichen werden wir bleiben und dieselben vertheidigen in der Hoffnung daß wir stets siegen werden, wie wir bisher gesiegt haben. Diese Siege sind die ersten seit dem Jahre 1889. Afrika ist die hohe Schule für unsere Soldaten. Aus Afrika wir aus dem Orient kann der erste Funke kommen, der einen europäischen Krieg entzündet. In Afrika schützen wir derzeit thatsächlich die Interessen Italien«. Der Vertrag von Uccialli wurd» vorbereitet, als noch der Nrgu» Johann am Ruder war, und da Italien dem Negu« Menelik Hilfe leistete, mußte dieser den Vertrag halten." Der Ministerpräsident schloß mit den Worten: „Die Regierung befolgt im Innern eine Politik der wirthjchaftlichen und socialen Restauration, nach außen eine Politik, welch« unter Gewährleistung der Ehre und der Autorität deS italienischen Namens den Frieden sichert." Diese entschlossene Erklärung deS Ministerpräsidenten wurde mit lebhafter Zustimmung und wiederholtem Beifall von der Kammer enlgegengenommen, und selbst der konser vative Deputirte di Rudiyi, bekanntlich ein grundsätzlicher Gegner Crispi's, konnte nicht umhin, die Tagesordnung seines College» von der rolhen Opposition als undiscutabel zu be- eichnen und denselben um Zurücknahme derselben zu ersuchen. Ja, di Rudini brachte, wie schon telegraphisch kurz gemeldet wurde, eine von Crispi gebilligte Tagesordnung ein, welche die Erklärungen der Regierung zur Kenntniß nahm. Diese Tagesordnung wurde von der Deputirtenkammer in einfacher Abstimmung mit allen Stimmen gegen die der äußersten Linken angenommen, Jmbriani'S Tagesord nung dagegen abgelehnt. So wurde die radikale Interpella tion Anlaß zu einer beinahe alle Vertreter deS italienischen Volkes in patriotischem Ehrgefühl völlig einig zeigenden Kundgebung, die nicht verfehlen wird, an der Newa zu imponiren. Eine besondere Folie erhielten Crispi's Aeußerungen noch durch die unmittel bar vorher anläßlich einer andern Interpellation abgegebene Erklärung des Premierministers, Italien sei für den Frieden, welcher hauptsächlich durch den Dreibund erhalten worden sei. Hätte dieser nicht bestanden, so wäre ein Krieg sicher gewesen. Deutlicher konnte Crispi die in letzter Zeit wieder geflissentlich von gewisser Seile verbreitete Ausstreuung nicht widerlegen, als hänge Italien nur noch al« loses Glied am Dreibundringe. Die Meldung der bulgarisch officiöse n „Agence Bal- canique" über den neuesten in Sofia getriebenen Unfug zeigt abermals, welcher Geist jetzt in Sofia herrscht. Die unter Theilnahme der Geistlichkeit abgebaltene Trauer feier f ür die „Opfer de« ProcesseS Beltsckew" galt Leuten, die durch bulgarische Gerichte wegen Theil- nahme an der Ermordung Beltschew's regelrecht zum Tode verurtheilt und hingerichtet sind. Eine Rehabilitirung derselben hat nicht stattgefunden, ist auch in keiner Weise versucht worden, und trotzdem gestattet die Negierung, daß diese Mörder zum Gegenstand einer Tranerfeier gemacht werden dürfen. Interessant ist ferner, daß auch ein Trauer gotte «dien st für die auf der Perim Planina gefallenen bulgarischen Officiere stattgefunden bat und daß die Demonstranten einen Umzug durch die Stadt abaebalten haben, bei dem die Bilder der beiden bulgarischen Lffficiere Natschew und Mutafow vorausgetragen wurden, die die bulgarische Armee verließen, um sich dem Aufstande in Macevonien anzuschließen, und die dort in einem Gefecht mit den türkischen Truppe» gefallen sein sollen. Auch gegen diese Kundgebung, die sich direct gegen die Türkei richtet, hat die Polizei ein Eingreifen für nicht angezeigt erachtet. Man fährt also fort, mit der macedonischen Gefahr zu spielen, obgleich man wissen muß, daß eine Lösung dieser Frage in einem den bulgarischen Hoffnungen günstigen Sinne heute weniger als je auf die Unterstützung irgend einer Regierung zu rechnen hat. Dafür, daß man sich durch ein solches Verhalten die Sympathien ver Mächte noch mehr, vielleicht unwiederbringlich verscherzt, scheint man in Sofia keine Augen zu haben. Nimmt die macedonische Bewegung 13j Das verlorene Paradies. Roman von Anton Freiherr von Perfall. Nachdruck verbot«». (Fortsetzung.) Georg hatte sich denn doch in dem Alter des Grafen verrechnet, indem er im Beginn seiner Hiobspost ruhig Blut empfahl! Vor 10 Jahren, da hätte er getobt, wie ein gereizter Löwe, hätte wahrscheinlich «in paar Pferde zu Schanden geritten, oder wäre gar mit dem ersten Zuge nach Wien gefahren, um den leichtsinnigen Burschen noch vor dem Altar, von seiner sauberen Braut zu trennen. — Aber heute knickte er einfach zusammen unter der Last der Ereignisse. — Gestern hielt ein Maler, ein Herr Makowsky um Kitty, deS Grafen Seefeld'« einzige Tochter an! Heute heirathet ein Baron Prechting eine Kunstreiterin! Da« war zu viel für seinen alten Kopf. Er sah darin kein zufälliges Zusammentreffen mehr, sondern «in Zeichen, daß seine Zeit gekommen, daß eine andere nahe, von der er nicht« mehr wissen wolle. Der Zusammenbruch alle« dessen, wa« ihm theuer war und ehrwürdig. — Er hatte überhaupt nur den ersten Theil de« Briefe« gelesen. „Trauen zu lassen." Was kümmerten ihn all« weiteren Entschuldigungen, Erklärungen. Immer wieder la« der Graf dir eine Zeile: „Um mich mit unserer gefeierten Arabella trauen zu lassen." Mit „unserer!" WaS soll das heißen? Allmählich stieg ihm eine andere Röthe al« die de« Zorne« in da« Antlitz. — Da« Berständniß dämmerte in chm aus, diese« sonderbaren „unserer." In diesem Mädchen verkörperte sich da« einzige Ideal seines ganzen Lebenskreife», die rohe körperliche Kraft und Fertigkeit, die in, Sport den besten Ausdruck fand, die tierische Genußfreudigkeit, ohne jede« ernste Ziel, — da« Ideal, welche« alle andern, erhabenen, die einst den Adel groß gemacht, ihm seine innere Würde verliehen, verdrängte. Hatte er da« Recht, sich »u beklagen, daß «in Glied desselben ihm zum Opfer siel? War er nicht der Mitschuldige? Huldigte er je einem andern? Kannte er je ein andere«? — Er la« weiter: — „er allein ist im Stande, Kitty vor einer großen Thorheit zu bewahren" — diese Worte erschreckten ihn fast noch mehr, trieben den Schweiß auf seine Stirn. — Nach dem, was sich vor einer Stunde ereignete, konnte er sie nicht miß verstehen. Kitty wußte um den Antrag Makowöky'S, war einverstanden damit! Im Atelier — in der Grotte — ihre Verwirrung! — Sein einziges Kind, die Erbin von ValS, einverstanden mit dem Maler! — er schleuderte den Brief auf den Tisch und ließ seinem Zorn freien Lauf, die Hände ballend, vor sich hingrollend, verzweifelnd lachend — dann wurde er plötzlich wieder nachdenklich, — Wie sie nur dazu kam, so abtrünnig zu werden? Alle ihre Grundsätze, di« er ihr von Kind auf rmgepflanzt, über Bord zu werfen — alle ihre Ideale! —> die Ideale Georg'«, seine Ideale — eine vortreffliche Hundemeute, eine berühmte Pferdezucht —! Eine aut« Jagd! Wenn in ihr plötzlich da- Bedürfniß nach andern Idealen erwacht — e« gab andere, e« mußte andere geben, er fühlte es jetzt wie noch nie — war sie deshalb so ver- dammenSwerth? Waren sie am Ende doch dort zu finden in dem bunten Wirrwarr deS MakowSky'schen Atelier«? In den tollen, sinnverwirrenden Bildern? In der üppigen, schwülen Grotte mit dem Thron au« Pappe? Nein nimmer mehr! — Seine ganze gesunde Natur sträubte sich dagegen. Dort nicht! Da- war alle« krank, weichlich. DaS schlich sich wie Gift in da« Blut seine- Kindes. Lieber noch da« andere! Da lag doch noch Kraft darin, Natur, Gesundheit! Lieber Arabella als Makowsky! — Franz! — Ja, da« Wäre der Mann! — Er stand vor ihm in seiner schlichten ernsten Männlichkeit, und wie ein Blitz durchleuchtete eS ihn — da« ist'«! Da« Ideal, nach dem dieser getrachtet, Arbeit, Pflichtbewußtsein I Etwa- Positive« leisten, mitschaffen an der großen Cnlturarbeit der Zeit. Je größer die Kraft, desto größer die Pflicht. — Und diesen Mann hatte er Vermögen«- rücksichten geopfert, obwohl er wußte, daß Kitty ihn Georg vorzog. — Also war er allein schuld, er hatte ja kein Recht mehr, seinem Kinde Vorwürfe zu machen! Her mit Franzi Er wird Alle« gut machen! Kitty wird erwachen wie au« wüstem Traume und glücklich sein. — Tine Baterlieb« ergriff ihn zu Franz, dem Retter! — Ja, er sah jetzt eine Fügung de« Himmel- in den Ereignissen. Und Kitty sollte überrascht Werden — nicht weil er etwa eine Thorheit fürchtete — wa« für eine Thorbeit denn? Daß sie sich den Kopf von dem Phantasten etwa« verdrehen ließ? Den wird der yran» gleich wieder »urechtrücken. Nein, — nur um ihr «ine rechte Freude zu bereiten. Er faltet« den Brief» zufrieden lächelnd, zusammen und ging selbst, so jeden Berrath vermeidend, um die Depesche auf- zugeben an seinen Franz. Kitty empörte das völlige Schweigen des Vaters über Makowöky'S Antrag, Er mußte sich doch denken, daß irgend ein Anlaß dazu auch von ihrer Seite gegeben worden sei. Er interessirte sich nicht einmal für ihr innerstes Empfinden, daS kam überhaupt nicht in Frage. — So erwartete sie mit heller Schadenfreude die Nachricht Georg'« betreffs seiner Vermählung mit Arabella. Was hatte er für einen Grund, dieselbe dem Vater zu verbergen? Ja, sie dachte bereits darüber nach, ob die« nicht der geeignete Augenblick sei, ihre Liebe zu Makowsky offen zu gestehen und um seine Ein willigung zu bitten. Der Vorwurf, sein Kind beinahe einem Manne geopfert zu haben, welcher ihr die nächst beste Kunst reiterin vorzog, mußte ihn entwaffnen. Doch der Vater war stet- in bester Laune, von einer ihr so ungewohnten Herzlich keit, daß sie sich lebhaft beunruhigt fühlte. ES lag eine Gefahr in der Luft! Die als Aeußerstes geplante Flucht erschien ihr in dem verschiedenartigsten Lichte. Bald völlig berechtigt, einem rücksichtslosen Vater gegenüber, reizvoll in ihrer roman tischen Abenteuerlichkeit, als Gewähr für eine über alles Menschliche erhabene Liebe, bald ehrlos, verbrecherisch, als eine ungeheure Gefahr, in deren Abgrund sie nicht einmal zu schauen wagte. Nach drei Tagen wurde der Zustand unerträglich. Sie batte erfahren, daß der Graf mehrere Depeschen erhalten. Unbedingt von Georg. Warum schwieg er ihr gegenüber? War eS ihm am Ende gelungen, Georg von der Ehe mit Arabella noch im letzten Augenblick abzuhalten, auf daß er reuig zu seiner Tochter zurückkebre? Ihr Blut empörte sich bei dem Gedanken. Da war sie zum Aeußersten nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet. Am Abend deS dritten Tages nach der Unterredung im Park trug die Lampe in Kitty'S Zimmer einen rothen Schirm. Um jeden Preis mußte der Geliebte von der ihm drohenden Gefahr unterrichtet werden. Zu schreiben wagte sie nicht, noch weniger einen Besuch im Atelier! ES sollte sich ja nur um ein« kurze Zusammenkunft handeln, noch dachte sie nicht an Flucht. Der nächste Tag brachte ihr den Beweis, daß sie die schmachvolle Wahrheit geahnt. Wieder war eine Depesche ringrtroffen. Sie machte auf Papa den heitersten Eindruck, ja, er ließ sich sogar zu unklaren Anspielungen auf eine freudige Ueberraschung Hinreißen, die sie Anfang« zwar etwa« ver wirrten, zuletzt aber doch nicht an»er« gedeutet werden konnten. Als er Nachmittags daS Haus verließ, hielt sie sich völlig berechtigt, in seinem Zimmer nach der Depesche zu suchen. — Lange vergeblich. — Endlich entdeckte sie im Papierkvrb einige Feyen. Sie setzte sie sorgfältig zusammen. Es war nicht die letzte Depesche, aber völlig genügend: „Unmöglich vor Donnerstag Abend. Prechting." Da stand eSl Erbärmlichster Verrath, den je ein Bater ersonnen. Er wird den Elenden mit den glänzendsten Versprechungen zurückgelockt haben. Arabella wird mit Geld entschädigt worden sein. Sie war ja praktisch, verstand ihren Vortheil, und am Ende konnte eS ja auch nachdem „beim Alten" bleiben. Und das Alles, diese Fülle von Gemeinheit, um sie dem Geliebten für immer zu entziehen, der sich ihrer erbarmt, der sie herausziehen will ans diesem ekeln Sumpf, in dem sie geboren und gelebt, aber um keinen Preis untergeben will. Eine zornige Energie erwachte jetzt in ihr. Sie dacht« nicht an Flucht, offen wollte sie dem Vater und Georg gegenübertreten, ihm den schmachvollen Betrug Vorhalten, ihre Liebe zu Makowsky bekennen. Jetzt batte sie «in Recht darauf, über sich selbst zu verfügen, u»v Niemand soll eS ihr mehr streitig machen. Makowsky soll beute Alles erfahren, daß sie entschlossen sei, offen in den Kampf zu treten, auf jede Heimlichkeit und List zu verzichte». — Sie war glücklich, zu diesem Entschluß gelangt zu sein; ihrer ganzen Natur sagte diese offene Kampfe«art mehr zu. Der Wiener Schnellzug traf um 7 Uhr ein. Um 6 Uhr wird sie Makowsky sprechen, da- wird ihr doppelten Muth ver leihen. — Nicht zögernd, zitternd, im Gefühle de« Unrechts, kämpfend mit der Scham, legte sie, al« e« dunkel wurde, den rothen Schirm zum zweiten Male um die Lampe, sondern in dem Bewußtsein, in einen völlig berechtigten Kampf zu treten um ihr Heiligstes, daS man mit rohen Händen anzutasten wagte. Und mit einer Sicherheit, die ihr andern Falls gewiß gefehlt hätte, begab sie sich Schlag 6 Uhr zu dem Stelldichein. Den Hauptweg vermeidend, schlich sie durch den Park. Wie damals, als sie mit Makowsky zusammentraf, lag ein kalter, feuchter Nebel »wischen den Bäumen. Da hielt ein Wagen vor dem Parkthor, ein Kutschenschlag ward zu- geworfen. Sie versteckte sich rasch hinter einem Baume. Ein Mann kam eilig dem Hause zu — ein großer Mann! Sollte er mit einem früheren Zuge gekommen sein? Dann wird man nach ihr fragen, ihre Abwesenheit bemerken. Ander seits mußte sie Makowsky sprechen. Sie mußte wissen, ob e« Georg war. Al« gewandte Jägerin schlich sie eilig von Stamm zu Stamm. Jetzt traf ihn da« durch den Nevrl dringend«
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