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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.08.1895
- Erscheinungsdatum
- 1895-08-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189508050
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18950805
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18950805
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-08
- Tag1895-08-05
- Monat1895-08
- Jahr1895
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.08.1895
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Dez«g-.Prers k der Hauptexprditton oder den im Stadt bezirk und de» Vororten errichteten Au«- oobestellen abaehost: vierteljährlich ^--.50, vei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau« 5.50. Purch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich X 6.—. Direct» tägliche Kreuzbandsendung tu« Ausland: monatlich 7.50. Ued-rtion und LrveMo«: S*hm«i,k»«affe 8. Dir Lrpedition ist Wochentag« uaunterbroche» -»öffnet von früh 8 dt« Übend« 7 Uhr. Filialen-. vtt- Mm»'« e-Nim. i«1sre» UniversitätSstrabe 1, L-»iS Ljssch«. »otbarsvfustr. I«. Part und Köni-Svlatz 7. np)igtr.T>lgMaü Anzeiger. Organ fnr Politik, Localgeschichte, Handels- vnd Geschäftsverkehr. Anzeigeit.PreiS die 6 gespaltene Petitzeilr 80 Pfg. Reelgmru unter dem PedactionSstrich («ge spalten) 50^z, vor den Familien,lachrichkrn (6 geipalten) 4»4- «röherr Schriften laut unserem Preis- verzrichniß. Tabellarischer und Merksatz »ach höherem Tarif. 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An den Tod Gneist's haben englische Blätter die Be trachtung geknüpft, daß mit diesem greisen Recht-lebrer wiederum einer von den wenigen Ucberlebenden jener Gene ration dahingeschiedeu sei, deren Thätigkeit in die Zeit der Erhöhung Preußen- und der Einigung Deutschland- siel und wesentlichen Antheil an dein Werke Bismarck'- hatte; daß die Zeitgenossen jener großen Epoche unserer Geschichte all mählich auSstürben, ohne einen ebenbürtigen Nachwuchs zu hiiiterlassen; daß das neue Geschlecht, in dessen Händen nun mehr die Geschicke Deutschlands ruhen, hinter den berühmten Vorgängern an geistigem Wüchse bedenklich zurückzustebeu scheine und daß man wohl die Frage auswerfen dürfe, ob es ibm gegeben sein werde, das vor einem Menschenalter in großem Stile begonnene Unternehmen würdig weiterzuführen. DaS Hin- scheiden Heinrich'- von Sybel hat zu ähnlichen Betrach tungen Anlaß gegeben und die Klage geweckt: Dir Großen gehen weg; der Ersatz, der Nachwuchs läßt auf sich warten. Diese Klage giebt der „Wes.-Ztg." Veranlassung zur Prüfung der Frage: ob diese trübe Auslassung der Dinge in der Thal gerechtfertigt sei, ob wir wirklich darauf verzichten müssen, den stolzen Erinnerungen, denen gerade die Tage dieses Sommers geweiht sind, stolze Hoffnungen an die Seite zu setzen, ob die großen Ereignisse der sechziger und siebziger Jahre nichts weiter als eine Episode waren und ob wir damals einen Gipfel erstiegen haben, von dem wir unS seit dem den Niederungen, wenn nicht gar den Abgründen zu bewegen. Die „Wes.-Ztg." giebt zu, daß die Erscheinungen der Gegenwart diese Frage zu bejahen scheinen: „Vergleicht man die damaligen mit den heutigen Zeiten, so hat man gewiß den Eindruck einer entschiedenen Decaoenz: Alles scheint kleiner, schwächlicher, glanzloser geworden, die Tbaten, die Personen, die Stimmungen und Gesinnungen. Von den AriegSereignisjen ganz abgesehen, ragen auch die großen orgauisatorijchen Arbeite» bei und unmittelbar nach der Gründung des Reichs hoch hinaus über die heute üblichen parlamentarische» Verhandlungen; die Zusammensetzung der ersten Reichstage überstrahlt durch Glanz und Reichthum der Talente die des jetzigen; die Parteikämpfe galten höheren, allgemeineren Inter essen und nahmen von ihnen eine würdigere Form und Farbe an ; die Regierung, von dem gewaltigen Reichskanzler nicht zu reden» war von einer Reihe der ausgezeichnetsten Staatsmänner vertreten, deren Auto rität und Verdienst» auch von der Opposition anerkannt werden mußten; endlich an der Spitze des Reich« bildete der ehrwürdige kaiserliche Greis mit seinen „Paladinen", umgebe» von siegreiche» Feldherren, eine Krönung des Gebäude-, der natürlich die Gegen wart nichts Gleichwerthiges an die Seite z» setzen vermöchte. Der Abstand eines heroischen Zeitalters von einem Epigonengeschlecht zeigt sich überall bei diesem Vergleiche, und der Eindruck fällt für die Epigonen durchweg ungünstig aus." Trotzdem glaubt die „Weser-Ztg", daß es ungerecht sein würde, nach diesen Eindrücken die Gegenwart zu brurtheilen und auf sie Schlußfolgerungen für die Zukunft zu gründen: „So rückhaltlos wir die Gebrechen »nd Schwächen, die Uw Würdigkeiten und Gemeinheiten der Gegenwart auerkennen, so wenig können wir doch -»gehen, daß sich in ihnen die Summe der in unserem Volke liegenden Eigenschaften und Kräfte auSLrückt. Wir sind vielmehr überzeugt, daß ebenso, wie die jetzt vorwaltenden schlimmen Elemente auch in der Vergangenbeit vorhanden waren und nur zurücktratrn vor dem Aufschwünge einer plötzlicheintretenden ungeheuren Schicksalsaufgabe, daß, sagen wir, ebenso die guten und edlen Elemente, die damals der heroische Aufschwung entfesselte, auch in der Gegenwart existiren und ebenso sich bethütigen würden, wenn ein weltgeschichtlicher Posaunrnschall sie aufriese. Natürlich ist nicht aus ein» Wiederholung der Geschichte zu rechnen; solche Constellationen wie Kaiser Wilhelm I., Bismarck und Moltke gehen nicht zweimal ain Horizont auf. Aber doS Schicksal der Nationen bängt auch nicht von so außerordentlichem Zusammentreffen glück bringender Gestirne ab: welches Volk könnte dann mit einiger Zu verficht in die Zukunft blicken? Die Grundlage alles nationalen Gedeihens muß immer da« durchschnittliche Quantum von Kräften, Fähigkeiten und Bereitschaften bilden, da« sich in der ge- ammteii Masse der Bevölkerung vorfindet und im Augenblick« des Be- wtfS von einer verständigen und entschlossenen Regierung, auch ohne außerordentliche Genialität, mobil gemacht werden kann, das sogar in Zeiten der Erregung sich wir von selbst dem Füher dar- bietet. Nun ist nichts schwieriger, als dies Quantum zu messen, auch nur annähernd es mit der Kraftmengt anderer Zeiten zu ver gleichen, mit nur einiger Genauigkeit zu sagen, es ist größer ge- worden, r« ist geschwunden, oder eS ist sich gleich geblieben. Für diese Art von Bestimmungen giebt es nur einen sicheren Maßsiab, das ist die Probe, die wirkliche Leistung einer gegebenen Auf gabe gegenüber. Ist da- Volk in seinem Kern gesund und tüchtig geblieben, so wird man zwar in gewöhnlichen Zeiten dessen nie völlig sicher sein, aber sowie eine große Aufgabe herantritt, tauchen plötzlich aus den verborgenen Tiefen, die unter der Oberfläche des Alltagslebens lagen, scyaarenweise die Talente auf, die tüchtigen Lharaktere und manchmal auch das Genie. Und diese Talente und Charaktere werden dann selbst etwa- Anderes, als waS sie im Alltagsleben gewesen waren, größer, vornehmer: es wächst der Mensch mit seinen größer« Zwecken. Wie sehr eS irre führt, wenn mau nach dem äußeren Schein die auf große Erhebungen folgenden stilleren Zeiten ohne Weiteres für Zeiten der Entartung halten zu müssen glaubt, lehrt ein naheliegende- Beispiel. Wie oft hat man klagend und strafend das „öde" halbe Jahrhundert nach Waterloo mit dem glorreichen Aufschwünge der Befreiungskriege verglichen, und wie glänzend bat vie in diesem öden Halbjahr- hunvert geborene und ausgewachsene Generation mit ihren Söhnen die düsteren Prophezeiungen zu Schanden gemocht! Warum sollte es nicht wieder so kommen können? Nll ckeoperauäum." Leider können wir unS diese optimistische Anschauung nicht völlig aneignen, obgleich auch wir mit Zuversicht erwarten, daß ein neuer „weltgeschichtlicher Posaunenschall" eine große Anzahl jener Elemente, die jetzt keine höhere Aufgabe zu kennen scheinen, als mit allen Mitteln auf die Befriedigung ihrer selbstsüchtigen Wünsche hinzuarbeiten, an ihre nationale Pflicht erinnern und zu opferwilliger Hingabe an diese Pflicht bewegen würde. Aber wir verkennen auch nicht, daß erstens ein solcher neuer „weltgeschichtlicher Posaunenschall" noch un gleich höhere Anforderungen an die deutsche Nation stellen würde, als der so frevelhaft von Frankreich vom Zaun gebrochene letzte Krieg sie stellte, und daß zweitens dem neuen Reiche in der Socialdemokratie ein Feind groß geworben ist, de» frühereZeitea in solchrrMacht und sanatischerFeindseligkeit nicht kannten. Es heißt die Augen vor der erschreckenden Tbatsache verschließen, daß von de» vielen Tausenden deutscher Arbeiter, dir in Frankreich für das Vaterland gestritten und geblutet haben und jetzt den Fahnen Liebkuechl'S und Bebel'ö folgen, nicht einer die Stimme gegen da- vaterlandsverrälherische, Frank reich zur Rache für Ems uod Sedan anreizeude Treiben de- „Vorwärts" und der übrigen socialdemokraiischen Blätter er hebt, wenn man sicd mit der Annahme tröstet, es seien „die jetzt vorwaltenden schlimmen Elemente auch in der Vergangen heit vorhanden gewesen". Allerdings wird, je stärker und besser gerüstet die äußeren und je zahlreicher und fanatischer die inneren Feinde sein werden, auch die Anstrengung der edlen und opferwilligen Elemente wachsen: wer aber bürgt dafür, daß dieses Wachsthum genügt, um eine furchtbare Niederlage abzuhalteu? Am wenigsten bürgt für einen glücklichen AuSaang jener Optimismus, welcher der Zukunft ruhig die „Probe" überläßt und die That- kraft mit dem Trostworte einwiegt: „Es wird schon Alles gut werden." Leider hat dieses politische Man chesterthum, da- der „Zeit" anheimstellt, was die Zeit genossen lhun sollten, noch (ehr viel Anhänger bei uns. Sie haben zum Fallenlassen des Socialistengesetzes beigetragen, wie zu dem völlig resultatlosen Ende der Bewegung gegen die Uinsturzbestrebungen. Sie sind auf dem besten Wege, die Hoffnungen unserer äußeren und inneren Feinde zu be flügeln, indem sie der deutschen Nation einzureden suchen sie werde, trotz der trüben Erscheinungen der Gegenwart, von elbst für höhere Zwecke wieder heranwachseu. Wer von selbst für rößere Aufgaben Heranreisen zu können glaubt, reift nie. Zur Herzweifrluna hat allerdings eine Nation, die vor 25 Jahren o gewaltig sich empvrraffte, keinen Anlaß, aber noch weniger um Sicheinwiegeu in Zukunftsträume, wenn sie schon so >ald nach jenen großen Jahren so Klägliches wie den 23. März dieses JahreS und so Erschreckendes wie die Gleich- iltigkeit von Hunderttansenden gegen vaterlandSverrätherischeS 'reiben in sich selbst erleben muß. Unsere Zukunft verbürgt unS einzig und allein der klare Blick in die Schäden der Gegenwart und der unablässige energische Kampf gegen diese Schäden. Lasten wir unS diesen Blick durch falschen Opti mismus trüben und die Kampfesenergie durch Schönfärberei schwächen, so findet der große Moment der Zukunft ein chwacheS Geschlecht und leitet unfehlbar eiu Ende mit Schrecken ein. Zu der am 19. August in Gegenwart deS Kaisers statt- indenden ErinoerungSfeier der Berliner Kriegervereine aus dem Tempelhoser Felde hat der katholische Feld er» pst vr. Atzmann seine Betheiligung abgesagt. Tie Germania" schreibt dazu: „Es war von Seiten der hiesigen Kricgervereiue »in Festact auf dem Tempelhoser Felde geplant, bei welchem nicht allein ein evan gelischer Geistlicher, sondern in Rücksichtnahme auf die katholischen Kameraden auch ein katholischer Geistlicher eine kurze Ansprache halten sollte. In letzterer Beziehung wandte man sich an den Bischof und Frldpropst vr. Aßmann. Dieser erklärte sich, da er selbst verhindert sei, an der Festlichkeit thcilzunehmen, gern bereit, einen Militatrgristlichen hiermit zu beauftragen, betonte jedoch, Laß dielet, nur unter der Bedingung geschehen könne, daß der Festact nicht den Charakter eine- Gottesdienstes trage, denn zu eincm Siniultan.Gottesdienste könne er nie und nimmer leine Zustimmung geben; die betreffenden Geistlichen müßten also in ihrer außrrliturgischen Kleidung ihre Ansprache Hallen. Hierauf wurde dem Bischof- mündlich und ipäter auch schristlich von Seiten der Kriegervereine die ausdrückliche Ver sicherung gegeben, es bandele sich nicht um einen Gottes- dienst, sondern nnr um einen Festact mit Ansprachen von je einem katholischen und evangeliichcn Geistlichen. Soweit war nun Alles in bester Ordnung. Jetzt heißt es aber iu dem Festprogramm: „Nach dem Gottesdienste, welchen der Hosprxdiger v. Frommet abhalteu wird, ordnen sich die Vereine für die Besichtigung durch den Kaiser". Daß hiermit die Betheiliaung eines katholischen Geist lichen au der Feierlichkeit als ausgeschlossen erscheint, versteht sich von selbst und ist in, Interesse der katholischen Kameraden nur zu beklagen." Mit den letzteren Worten übt die „Germania" an dem Verhalten deS FeldpropsteS selbst die beste Kritik. Cie erinnert zugleich an so viele erbebende Vorgänge auf den franzchischen Schlachtfeldern, wo Katholiken und Protestanten gemeinsam dem Einen Gotte für den Sieg dankten, den ex ihnen verliehen. Wir fürchten, daß ein neuer „weltgeschicht licher Pvsauncnschall" nicht auSreichen würde, um Protestanten und Katholiken zu bewegen, in Simultan-GotteSdiensten vor dem Einen Herrn der Heerschaaren in demüthigem Flehen und deuiüthigem Danke sich zu vereinigen. Jedenfalls ist eS die denkbar schlechteste Vorbereitung auf jene Zeit, da wir zu vertheidigen haben werden, WaS wir vor 25 Jahren durch Eintracht errungen, wenn von feierlichen ErinnerungSsesten unter den Augen deS Kaisers die katholische Geistlichkeit auS engherzig-confessionellen Gründen sich fern hält. Leider bestätigt sich die Nachricht, daß der «»-arische Unterrich tSm inister vr. Wlassitsch an den Stadt magistrat von Pest einen Erlaß gerichtet, der aller Wahr- scheinlichkeit nach den Anstoß geben wird zur völligen Verdrängung deS Unterrichts im Deutschen aus den öffentlichen Communal-Volksschulen der Hauptstadt Ungarns. Der Minister findet nämlich, daß die Jugend in diesen Schulen „überbürdet" sei, und stellte an den Magistrat die Anfrage, ob man diese Jugend nicht dadurch entlasten könnte, daß der obligatorische Unterricht im Deutschen aufgegeben und in einen bloS „facultativen" Lehrgegeustand umgewandelt werde. Bei der heutigen Sachlage ist daran kaum zu zweifeln, daß der Magistrat de« Ministers Anfrage bejaht unv dann sofort an- Werk geht, um auch den spärlichen Rest eine- Unterrichts im Deutschen auS den Volksschulen Pests zu entfernen. Den Schülern war der dis- serige deutsche Unterricht in den Pester Volksschulen wahrlich keine „Ueberbürdung"; denn worin bestand im Wesentlichen dieser ganze Unterricht? In nichts Anderem, als daß, vom dritten Schuljahre an gefangen, in einigen Stunden der Woche die Kinder im mechanischen Lesen und Schreiben des Deutschen unterrichtet wurden. Höchstens kamen noch einige Verslein dazu und in den oberen Elasten etwa- Sprachlehre und orthographische lebungen. Die Lehrer und die chauvinistischen Schul- commissionSmitglieder sorgten schon dafür, daß die „Germani- irung" hier nicht Platz greifen konnte. Und diese bescheidenen Bröcklet» auS dem Deutschen sollen für die hauptstädtische Schuljugend eine „Ueberbürdung" bedeuten! Das glaubt im Ernste wohl der Minister selber nicht, um so weniger, als er den übrigen Ballast deS Lehrstoffes für den Volksscbulunterricht unangetastet läßt. Wenn von „Ueberbürdung" hier gesvrochen werden darf, dann trifft die Schuld die 11—13 ver- chiedenen Lehrgegenstände, mit denen daS ungarische Volks chulgesetz schon die Elementarschule in durchaus zweckwidriger, a geradezu schädlicher Weis« belastet. DaS Haupt motiv zu dieser völligen Ausmerzung des Deutschen aus den Volksschulen von Pest findet man indessen am Schlüße der ministeriellen Zuschrift angeführt. Die Hauptstadt möge auS ihren Schulen daS Deutsche entfernen, weil diese Schulen dann ihren „nationalen Aufgaben" noch mehr Nachkommen könnten. Das ist des Pudels Kern! Die vollständige Eutnationalisirung der Deutschen, die „Krönung" des „nationalen" Bestrebens — soll eine neuerliche Förderung erhalten. Man hat daS Deutsche aus dem BerathungSsaale der hauptstädtischen Vertretung ver drängt, man hat die deutschsprachigen Bürger von Pest und Ofen in ihrer Gemeinde mundtodt gemacht, so daß sie an der Leitung der communalen Angelegenheiten keinen Antheil nehmen können, weil selbst iu den Commissionen jedes deutsche Wort verpönnt ist; man hat den Deutschen die Theater gesperrt und die Errichtung neuer deutscher Theater verweigert; man bat die gesammte Verwaltung und selbst den Verkehr mit den Parteien magyarisirt und die magya rische Sprache als Unterrichtssprache in allen hauptstävlischen Schulen eingeführt; man Hai die deutsche Predigt in der Kirche und da- deutsche Kirchenlied aus ein Minimum rrducirt, und auch dieses steht iu Gefahr, gänzlich beseitigt zu werden. AU das genügt nicht; der Minister sür Eultus und Unter richt ist eS selbst, der ohne er ichtliche Nöthigung jetzt den Anstoß giebt, daß der spärliche Unterricht im Deutschen be seitigt und die Pester Jugend nur im Magyarischen gedrillt wird. So groß dir Sympathien sind, welche wir dem ungarischen Liberalismus iu seinem Ringen nach Freiheit von den Fesseln römischer Umarmung entgegenbringen, so offen und ernst müssen wir Protest einlegen gegen eine Beschueidung der kräftigen Triebe nationalen deutschen Lebens in Ungarn, die nicht durch den gesunden Egoismus des MagyarentbumS gefordert wird und ohnevieS vom culturellen Standpunct völlig unbegreiflich ist, da die Zahl der Nichtniazyaren in Ungarn nach Millionen zählt unv speciell in Pest kein an ständiger Hausknecht einen Posten erlangt, wenn er nicht über eine gewisse Kenntuiß de- Deutschen verfügt. Die Lage der Spanier auf Euba ist eine höchst un behagliche, sowohl militairisch als politisch betrachtet. Mili- tairrsch, weil die Jahreszeit, das Klima und die Krankheiten FeniH-toir. Aas verlorene Paradies. Roman von Anton Freiberr von Verfall. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Ein dumpfes Geräusch klang von unten herauf. — Sie wußte nicht einmal, ob es auS dem Atelier kam. Eiu Bild war wohl umgefallen oder er rückte die Möbel weg, um ihr den Eingang frei zu machen. — Ja, daS war'-! Er zer störte die Barrikade, die er gegen sie errichtet und gegen Franz. Ein Scherz, weiter nichts. Sie eilte hastig die Treppe hinab. — Ein Mann und rin Dienstmädchen standen auf der unteren Treppe und blickten sie starr an. „Was gafft Ihr denn so?" „Im Atelier des Herrn MakowSky . meinte daS Mädchen. „WaS ist mit dem Atelier deS Herrn MakowSky?" „Ein so eigenthümlicheS Geräusch ..." „WaS geht daS Sie an? Kann man keinen Schrank mehr rücken, ohne daß das ganze Haus zusammenläuft?" erwiderte Kitty, an die Thür de- Atelier- eilend. Sie war „och immer verschlossen. „Paul! Orffne doch! Bitte! — Du machst ja einen Lärm, daß daS ganze HauS zusammenläuft!" Kein Laut drang heraus. Jetzt packte sie unerklärliche Angst. Sie versuchte durch das Schlüsselloch zu blicken. Sie fuhr entsetzt zurück — ein ihr wohlbekannter Geruch drang heraus — Pulvergeruch! Plötzlich stieß sie einen gellenden Schrei au- und sank zu Boden vor der Thür. Leut« kamen die Stiege heraufgeeut „Senden Sie Hotel Victoria — Baron Prechting — sofort!" Ein junger Mensch sprang eilig die Treppe hinab, die klebrigen umringten sie. „Wqs wollen Sie denn? Ich habe nur den Schlüssel verloren", sagte sie, nach Athen, ringend, aschfahl. Da drang ein unbestimmte« Geräusch heraus, e« klaog wir menschliche- Stöhnen» da- Rücken eines Stuhles. „Paul! Pauli" gellte jetzt ihr Ruf durch da- Stirgenhav«. So helft doch! Schlagt die Thür ein! Er stirbt ja! Paul! Paul! Ich komme ja! Ich verlasse Dich nie mehr!" Ein handfester Knecht machte sich über die Thür, mit einem düstern Knall wich sie dem Brecheisen. Ein kleiner Schrank, darauf verschiedenartiges Gerümpel aufgehäuft, ver sperrte noch immer die Thüröffnung. Kitty ließ den Leuten keine Zeit zum Abräumen, polternd, eine Wolke Staub aufwirbelnd, stürzten Skizzen, Bilder, Waffen in das Atelier — darüber her, wie eine Katze, Kitty. Ein wilder Schrei gellte gegen die Wand. Niemand wagte, z» folgen — eine bis an die Decke ragende graue Leinwand verdeckte das Entsetzliche. Auf dem persischen Teppich vor dem verlorenen Paradies lag MakowSky. Die Sammetjacke, das weiße Hemd waren aufgeriffen, die schmale, zierliche Hand war krampfhaft auf die TodeS- wunde gepreßt, da« Blut sickerte zwischen den schneeweißen Fingern hervor. Kitty, über den Unglücklichen gebeugt, rief ihn an, den eigenen Athen, hemmend: „Paul! Höre mich, Paul! — Du mußt mich hören! — Ich hätte Dich ja nimmer verlassen! — O, Du darfst nicht sterben!" Ter Verwundete schlug die Augen auf. „Einen Arzt! Einen Arzt!" — Kitty sprang auf. Franz stand vor ihr, entsetzt auf den Sterbenden blickend. Sie wollte an ihm vorbeistürmen, sinnlos. Er hielt sie zurück. „Der Arzt ist bereit- unterwegs. Du bist hier notbwendiger." MakowSky'- Blick wandte sich aufwärt» dem Bilde zu. Die Götterdämmerung war mit einer häßlichen grauen Farbe übermalt, nur da und dort glühte eS noch durch wie eine feurige Kohle unter Asche. Er hob di« geballte Faust darnach, sie fiel kraftlos zurück auf den Boden. E,n trotzige- Lächeln verzog die blutigen Lippen. Kitty klammerte sich unwillkürlich in ihrem Entsetzen an Franz. Plötzlich wandte MakowSky da- Haupt. Ein großer, er staunter Blick traf da- Paar. Kitty stürzte auf die Knie vor dem sterbenden Gatten Er tastete nach ihrer Hand, während seine Augen noch immer auf Franz ruhten. E« lag eine magische Gewalt in diesem brechenden Blick, Franz mußte ibm folgen. E« war wohl Zufall, daß sich die Hände der Beiden in der de- Sterbenden vereinten. Kein Wort kam mehr über die röchelnden Lippen. Ein gefeierter Künstler erschießt sich nach halbjähriger Ehe, deren Motiv, den begleitenden Umständen nach, doch nur eine glühende Liebe sein konnte. Da- war ein Problem, dessen Lösung dir Gesellschaft lange Zeit beschäftigte. Ein Gerücht löste daS andere ab. NabrungSsorgen trieben ihn in den Tod, er war zu stolz, den Schwiegervater um Unterstützung anzu gehen. — Die Lüge war zu greifbar. Jedermann batte ja wenigsten- schon gehört von der Pracht des MakowSky'schen Ateliers, und seine Bilder standen hoch im Preise. DaS wußte man bestimmt, obwohl man selbst noch kein- gekauft, r« stand doch wiederholt in den Zeitungen. Mit semer Frau war nicht Alles in Ordnung. Ein Vetter wurde erwähnt, mit dessen Erscheinen im Hause die Tragödie angefangen. Die Einen meinten Georg, die andern Franz Prechting. Irgend «in frühere- Ereignitz, daS mit einem dieser Namen in Be ziehung stand, warf seine Schatten in die Ehe. Die Unwahrheit dieser Gerüchte war ebenso greifbar. Georg Prechting, berüchtigter Löwe der Residenz, lag völlig in den Fesseln der schönen Arabella und ließ sich überhaupt in der Stadt nicht mehr sehen. Franz, sein Bruder, ein höchst harmloser Mensch, der bereits vor Jahren mit seiner Werbung bei der schönen Kitty gründlich abgeblitzt sein soll, kam lediglich als Vermittler zwischen Vater und Tochter in daS HauS. Al« dann zuletzt die wirkliche Thatsache bekannt wurde, MakowSky habe sich in einem Anfall von Irrsinn vor dem Entwürfe zu einem verlorenen Paradiese erschossen, da wollte man ihm plötzlich diese« Ende schon längst auS seinen ver rückten Bildern prophezeit haben. Sich wegen eine« „verlorenen Paradieses" erschießen, als Gatte der schönen Kitty und Schwiegersohn deS Grafen Seeseld, daS war allerdings der Höhevunct der Narrbeit. Wirkliche Theilnahme erregte nur da- Gerücht, Frau MakowSky selvst, die schöne, lebenslustig« Kitty Seefeld, deren Gespann noch vor wenigen Jahren die Residenz in Aufregung versetzte, die einstige Zierde des Renn plätze-, sei demselben traurigen Schicksal verfallen seit dem Tode ihre- Manne-. Sie hat sich in den Kopf gesetzt, selbst da- „verlorene Paradies" vollenden zu wollen, ihrer Ansicht nach da- größte Meisterwerk der Welt. Allen Bemühungen ihrer Verwandten, selbst de- Vater-, gelang eS nicht, sie au- dem Unglücks-Atelier zu entfernen. Da- Gerücht hatte einen wahren Kern. Kitty betrachtete das unglückselige Bild als heilige« Vermäcktniß ihre- Gatten. Er sollte wenigsten« nicht vergeben» sein Blut dafür vergossen haben. Der Ruhm, den der Lebende damit erstrebte, sollte dem Todten nicht entgehen. Trotz allem Wahnsinn war unter der häßlichen, schwarzgrauen Farbendecke eine Fülle von Genie verborgen, welche, an das Licht gebracht, dem Namen MakowSky die Unsterblichkeit sichern mußte. Davon war sie überzeugt. Unter ihrer Aufsicht wurden alle erdenklichen Verfahren a»- gewendet, die jüngste Farbenschichte zu entfernen. Alles ver geblich. Sie war auf daS selbst noch feuchte Bild aufgetragen und war nicht mehr zu trennen. Unter dem dunklen Schleier, welchen MakowSky in seiner letzten Stunde über das Bild gebreitet, lag kein Paradies mehr; wo man ihn wegkratzte, blickte daS Gewebe der Lein wand hindurch; nur die beiden Gestalten der Vertriebenen blieben vor der Verwüstung bewahrt. Auf den aus düsterm FarbenchaoS sich hebenden Klippen glichen sie eher aus ver nichtender Katastrophe Geretteten. — Die beabsichtigte Restau ration des Bildes war ihr ein willkommener Grund, die dringende Aufforderung ihrer Familie, nach Vals überzusiedeln, vorderhand zurückzuweisen. Sie glaubte dies dem Todten schuldig zu sein, so unheimlich sie sich in dem Atelier fühlte. Jetzt, nachdem der Geist MakowSky'S daran- gewichen, der auS dem Nicht« geschaffen, schien ihr ein modriger Duft auszugehen von all dem Hohlen Pappwerk, die lebhaftesten Farben schienen zu erblinden. Sie sab" selbst ein, daß eS ihr unmöglich sein würde, immer in diesem Raume zu leben, worin nichts echt als der grauenhafte rothe Fleck aus dem Teppich, dem sie so sorgfältig auöwich. WaS hatte sie denn eigentlich für einen Grund, die Heimath, den Vater zu meiden? Wenn er ihr erst jetzt, nach dem Tode des Gatten, die Hand zur Versöhnung geboten, dann — ja, dann wäre eS ihre Pflicht — aber so ... — Weil Paul sich im letzten Augenblick sträubte, nach Dal- zu kommen — aber da war ja sein Geist schon zerrüttet! — Es war etwa« ganz Anderes, was sie abhielt, und so sorgfältig sie auch immer wieder ihren Geist davon abzuwenden suchte, vergeblich! — immer wieder stand e» vor ihr, da- furchtbare Bild. — Sie an der Seite Franzens, dickt an ihn geschmiegt, der Blick de- Sterbenden auf sie gerichtet. Sie zerfaserte unzählige Male diesen Blick. Er war nicht schmerzrrsüllt, auch nicht gehässig, eher — zustimmend. Er sab wohl über haupt nicht mehr, aber gleichviel — in keinem Falle war Franz der rechte Mann, sie nach Vals zu holen. Den Vater, der noch am Unglück-tagr, Alle- vergessend, zu ihr geeilt, hatte sie in dem ersten Sckmerz schroff ab gewiesen, ebenso da- gewiß ehrlich gemeinte Mitleid Arabella« I und Georgs. Eine« Tage-, die dritte Woche seit dem Tode Makow-ky'S ging zu Ende, hatte st, st» m di« Srot», zurück-,z»g«n.
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