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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.08.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-08-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950809028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895080902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895080902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-08
- Tag1895-08-09
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Corr." die schon im Morgen blatte mitgetheilie Nachricht, daß bei dieser Feier die Hammer schläge in nachstehender Reihenfolge erfolgen sollen: der Kaiser, die Kaiserin, die Kaiserin Friedrich, der Kronprinz, der Großherzog und die Großherzogin von Baden, die Prinzen und Prinzessinnen, sowie die übrigen Angehörigen deutscher Fürstenhäuser, Fürst Bismarck, der Reichskanzler, dann die übrigen Würdenträger. Es wird wohl überall, wo Deutsche wohnen, die diesen Namen verdienen, mit freudiger Genugthuung empfunden werden, daß der Baumeister des deutschen RerchS an diesem Tage, wo dem ersten Kaiser ein Nativnaldenkmal gesetzt wird, nach dem officiellen Programm vor allen nichtfurstlichen Personen dem Monumente den Weihegruß mit drei Hammerschlägen entbieten soll. Diese Anordnung widerlegt nicht nur die alberne, ja den Kaiser- beleidigende Ausstreuung, daß bei allen officiellen Festlich keiten zum Gedächtniß der Tage von 1870/71 der Name des Fürsten Bismarck nicht erwähnt werden solle, sondern sie beweist auch, daß das Haupt des deutschen Reiches trotz der Meinungs differenzen, die zwischen ihm und dem Schmiede seiner Krone sortbestehen, die unsterblichen Verdienste dieses einzigen Mannes um das Reich in vollem Maße würdigt und gewürdigt wissen will. Der Kaiser giebt dadurch jener Mehrheit des deutschen Reichstags, die aus politischer Feindschaft dem größten Sohne des Vaterlandes Gruß und Glückwunsch zu seinem achtzigsten Geburtstage verweigerte, ein großherziges Beispiel, das hoffentlich wenigstens auf einen Theil der Wählerschaft dieser Mehrheit den rechten Eindruck nicht verfehlt. — Auf die Gesinnung, mit der in Deutschland die Erinnerungstage begangen werden, wirft ein Helles Licht die Thatsache, daß die Veteranen- und Kriegervereine in München am Tage von Wörth nicht nur die Gräber und Denkmale deutscher Krieger schmückten, sondern auch an dem Hügel, der in der Gefangen schaft verstorbene französische Soldaten deckt, Kränze nieder- lcgten zum ehrenvollen Gedächtniß des tapferen Feindes. Der selbe Zug ist überall zu bemerken: Man freut sich in der Er innerung an jene Tage des Ruhms und Sieges der großen eigenen Errungenschaften, aber nirgends fällt ein Wort der Provokation gegen Frankreich. ES ist interessant, zu sehen, wie man außerhalb Deutschlands hierüber urtheilt. So sagt z. B. der „Popvlo Romano" in einem Leitartikel über die deutschen patriotischen Feste, diese hätten nichts Demükhigendes für Frankreich, aber sie seien eine beredte Antwort auf Frank reichs ewige Nörgeleien wegen der Rückerstattung von Elsaß- Lothringen. Dadurch, daß Frankreich diese Frage fortwährend aufwerfe, verschulde es die Unsicherheit der allgemeinen Lage und den ungeheueren Rüstungsapparat aller Staaten. So lange die verbündeten Regierungen den auf Ein jührung von Annungszwang und Befähigungsnachweis gerichteten Wünschen eines Theiles der Handwerker sich ab lehnend verhielten, unterstützten die Conserva tiven diese Wünsche auf das Lebhafteste und konnten in der Presse, im Reichstage und in Parteiversammlungen das Schicksal, dem das Handwerk verfallen würde, wenn ihm diese Forderungen nicht bewilligt werden würden, nicht schwarz genug auSmalen. Schon damals wurde wiederholt die Vermuthung ausge sprochen, baß diese Haltung wenigstens bei einem Thcile der Konservativen nur ein Mittel zu dem Zwecke sei, die Hand werker an die conservative Fahne zu fesseln, und daß in dieser Haltung eine Wandlung eintreten werde, wenn im Bundesrathe eine solche sich bemerkbar machen sollte. Und siehe, kaum baben die verbündeten Regierungen die Lösung der Organisationsfrage des Handwerks energisch in die Hand genommen und kaum hat verlautet, auch die Einführung des Befähigungsnachweises werde nur „vorläufig" als undurch- s sührbar betrachtet, so werden in der konservativen Presse I schon Stimmen laut, die an dem ehemals als einziges Mittel zur Rettung des Handwerks so boch gepriesenen Befähigungs nachweise recht dunkle Schattenseiten erblicken. So schreibt der „Reichsbote", der die zünftlerischen Forderungen früher mit besonderem Eifer verfocht: „Der Fabrik gegenüber wird der Befähigungsnachweis ebenso wenig in Anwendung gebracht werden können, als dem kaufmännischen Magazinbetrieb; er dürfte deshalb wahrscheinlich nur den Erfolg haben, daß die Handwerker sich selbst einander das Leben sauer machten und statt sich gegenseitig durch geeignete Genvsjenschasten zu stärken, einander zu schwächen und zu chicaniren suchten, weil die Abgrenzung der Handwerke gegeneinander heute, wo sehr viele Handwerke zur Herstellung ihrer Arbeiten die Halb- oder Theil- fabrikate au« den Fabriken beziehen, kaum noch möglich ist, ohne sie selbst aufs Schwerste zu schädigen, zumal da auch viele Handwerke sich auf Herstellung von Theilarbeiten für andere Handwerker beschränken und gerade durch diese Arbettstyeilung ihr Geschäft rentabel er halten. So verkaufen heute die Klempner eine ganze Reihe von Metallwaaren, die sie aus den Fabriken beziehen müssen, wenn sie etwas daran profitiren wollen, da sie dieselben gar nicht so billig Herstellen können. Und die Möbeltischler beziehen vielfach die ein zelnen Möbeltheile von besonderen Handwerkern. Der Befähigungs nachweis dürfte sich deshalb für das Handwerk leicht als ein zweischneidiges Schwert erweisen." Auch der Lösung der Organisationsfrage legt der „Neichsbote" jetzt eine ganz andere Bedeutung bei als früher; als den Hauptzweck dieser Lösung betrachtet er die Fürsorge für besseren Credit, für billigere Beschaffung des Rohstoffes und für Erleichterung des Absatzes, sowie für kaufmännische und gewerbliche Ausbildung. Wenn diese Anschauungen in der konservativen Partei Boden gewinnen, so kann das selt same Schausviel sich wiederholen, da« der „Freisinn" auf- sllhrte, als iym die zweijährige Dienstzeit, für die er so lange geschwärmt und deren Einführung er so oft gefordert hatte, von den verbündeten Regierungen entgegengetragen wurde. Es giebt eben Ideale, die zu Agitationsmitteln sich sehr gut verwenden lassen, aber allen Reiz verlieren, so bald sie — greifbare Gestalt annehmen und auch ihre Kehrseite er kennen taffen. Die Enttäuschung, welche die wiederholt von uns be leuchteten Gcneralrath«wah1en in Frankreich für den Socialismus im Gefolge gehabt haben, ist in den Kreisen der Zukunfsstaatler außerordentlich groß. Nach socialistischer Auffassung sollten die Wahlen den Einfluß darthun, den der SocialiSmus auf die französische Landbevölkerung gewonnen hat. „Die Propaganda unter der Landbevölkerung ist das charaktcristisäirMerkmalder socialistischen Bewegung geworden", schrieb der Pariser Mitarbeiter des „Vorwärts" im Hinblick auf die Generalrathswahlen; „sie ist der beste Beweis für die Fortentwickelung der socialistischen Bewegung in allen Kreisen der gesellschaftlichen Thätigkeit". Und der Artikel schloß: „Die Reservearmee der Capitalisten (die Bauernschaft) ist ans dem Punkt, zu den Socialisten überzugeben." Als der erste Mahlgang statt Erfolge fast durchweg Niederlagen für die Socialisten brachte, vertröstete man die gläubigen „Genossen" auf die Stichwahlen. Aber auch diese haben die Scharte nicht answetzen können; im Gegentheil haben sie die Zahl der Verluste im socialistischen Lager nur vergrößert. Und gerade jene socialistischen Candidaten, an deren Wahl der französische SocialismuS seinen wachsenden Einfluß auf die Landbevölkerung zu demonstriren gedachte, sind durchweg .«», d.r Slrecke- Ml.».»- S° W'.- <-b-" storbene) Blousenmann, der p ^ wesentlich auch Per „Vorwärts" rühmte, Bauern , den ländlichen Kreise, Bourbon gesandt sei, fik Ausschlag geben", m das Pa!aS^°urvo„ gc,^ i bei den GeneralrathSwahlen vo" de"' >„try falle» unbedingter Treue ergebenen stilistischen Depu- gelassen worden. Neben »hm Unterlegenen, t.rten Soubet und Gonjat die ^'ste der un rieg^^^ W-nn di- s-liaU,lisch- Preis- w.z m rer Weift als ssänzlich bedeutungslos hmsl.lu, ! . ^tier vor das, °» .i». B-l>-»r„mg, "«„ss, m°ch,,»' Kurzem b-zugltch der »Meeft» fta"ft Damals di-'z ,s. dl. «-gl.,°»S-pr-II- L L"L.uÜ,' °ekE-'-°»>- W»u g-»-e-!<». Ll?L7 -der» Recept handelt heute die , social'stffche Press- Frankre.^ die vor den Wahlen die „voraussichtlichen Siege des Socialismus nicht wichtig genug machen koniite. nm ttach cn Wablen für dir tbatsächliche» Niederlagen die volle B deulu»gsl!sigkeit aus der Unwichtigkeit der Wahlen uberhan^ berruleiten Auch wir sind der Meinung, daß die general raihswahlen in Frankreich in gewöhnlichen Z-'-lauften ur die Politik des Landes von wenig Belang sind. eine ^-deulung, und zwar eine symptomatische Bedeutung haben l'- dwsma aber erhalten durch die enttäuschten Hoffnungen deS Socia lismus auf die französische Landbevölkerung. Der „rtandard"-Nrtikkl scheint in der englischen Presse Schule zu machen. Jetzt erdreisten sich d,e „Daily-New« , zu schreiben: „Es ist wesentlich, daß während de« Besuches des deutschen Kaiser« nichts gethan oder gesagt wird, was die Welt zu dem Glauben verleiten könnte, daß unsere Freundschaft zu Deutschland geringere Rücksichtnahme für Frankreich tnvolvire. Der Kaiser selbst hätte gut gethan, in britischen Gewässern eine Bezugnahme auf den deutsch, französischen Krieg zu unterlassen. Der Anlaß war allerdings sehr versuchet, aber Kaiser sollten solchen Versuchen widerstehen können. Die Aeußerungen des Kaiser» über Wörth geschahen allerdings an Bord eines deutschen Kriegsschiffe-, über welches wir, selbst wenn es sich in britischen Gewässern befindet, keine Jurisdiction haben. Jedenfalls hat der Vorfall mit England gerade so wenig zu thun, als ob er sich in Hamburg ereignet hätte. Unser« französischen Freunde müssen DiScretion üben." Es wird gut sein, derartige freche Anrempelungen unseres Kaisers, die in England Mode zu werden anfangen, in nächster Zukunft etwas niedriger zu hängen, um zu sehen, wie weit man sich dort von dem grimmigen Aerger darüber, daß man sich in Kaiser Wilhelm II. gründlichst getäuscht hat, noch Hinreißen läßt. England treibt in jüngster Zeit überhaupt lustig in der Politik der Täuschungen dahin. Erst versuchte man „Freundschaft" mit Rußland zu schließen, einer Macht, der England in Asten überall auf den Fuß tritt und treten muß, aber man zog die Hand sehr schnell wieder zurück, weil der FreundschastSdruck der russischen Tatze doch zu schmerzhaft war; jetzt streichelt man die sanftere Hand Frankreichs und vergißt, daß dieses der geborene Rivale Eng lands toto immäo ist. Dazwischen dämmert freilich die Er- kenntniß, daß man uneigennützige Freundschaft, d. h. eine solche, die b-i einem ehrlichen Geschäft auch dem Ander» einen'Vortheil gönnt, nur von Deutschland zu erwarten hat, aber Deutschland verlangt als Gegengabe die gleiche Uneigen- nützigkeit, und dieses Wort steht leider nicht im diplomatischen Lexikon Englands! Die Nachrichten von blutigen Ausbrüchen des Fremden- hasses in China mehren sich in bedenklicher Weise und rasches energisches Handeln der Regierungen der betroffenen Nationalitäten ist unabweisbares Erforderniß, wenn nicht noch Schlimmeres geschehen soll. In erster Linie ist es natürlich Sache der englischen und der amerikanischen Negie rung, ausgiebige Sübne zu verlangen, dann aber Sache aller- christlichen Machte, Garantien von China zu verlangen, daß derartige Acte crassester Barbarei in Zukunft nicht mehr zu beklagen sind. Aber wird es zu einem Einverständniß unter den Mächten kommen? Als in« Jahre 1891 eine Anzahl protestantischer und katholischer Missionsanstalten am Jangtze zerstört worden war und die diplomatischen Vertreter einmüthig und geschlossen Genugthunng für die Vergangenheit und Sicherheit für die Zukunft forderten, war es die Regierung der Vereinigten Staaten, welche ihrem Gesandten verbot, sich an den gemeinsamen Schritten seiner College» zu be theiligen, und das damalige Cabinet Lord Salisbury's, das sich, entgegen de» Warnungen seiner Agenten, willig von den durchsichtigen Unwahrheiten der Chinesen täuschen ließ und so die Gelegenheit versäumte, in durchgreifender Weise Abhilfe und Besserung zu schaffen. Nun ist eS ein eigenthümlicher Zufall, daß die diesmal ermordeten Ausländer, in Kutscheng sowohl wie in Fatschan, ausschließlich der englischen und amerikanischen Nationalität angehören. Vielleicht trägt dies dazu bei, beide Regierungen gemeinsamen Schritten geneigter zu machen. Man komme nur nicht wieder mit der Be hauptung, eS sei Alles vergeblich, die Regierung in Peking sei machtlos den Mandarinen gegenüber, sie könne für nichts stehen, nichts garantiren. Das ist falsch. Sowohl während des französisch-chinesischen Conflictes, wie während des chinesisch-japanischen Krieges sind keinerlei Ausschreitungen gegen Fremde oder Christen vorgekommen, obwohl bei diesen Gelegenheiten sich Niemand darüber verwundert haben würde. Daraus geht doch hervor, daß die chinesische Regierung und ihre Behörden wohl die Macht haben, wenn sie nur wollen. Und zu diesem guten Willen müssen sie eben gezwungen werden. So lange es freilich bei der alten Unentichlosseu- heit und Uneinigkeit der Mächte bleibt, wird auch, wie die „Nat.-Ztg." richtig hervorhebt, der Zustand in China, in dem die Pekinger Regierung sich vielmehr vor den dortigen Literaten- Cliquen, als vor den fremden Mächten fürchtet, chronisch bleibe» Deutsches Reich. * Berlin, 8. August. Aufden groben Klotz des Freiherrn v. Fechenbach, der die „Manchestermänner" im Centrum gehörig abkanzelte, setzt jetzt die „Köln. Volksztg." den groben Keil. Unter anderen Liebenswürdigkeiten widmet das ultramontane Blatt ihm auch folgende Sätze: „Es ist ja leicht, den Freund der Landwirthschafl zu spielen, indem man das Blaue vom Fimmel herunter verspricht und auf Alle schimpft, die nicht von heute auf morgen helfen können. Man muß eS fast bedauern, daß Herr v. Fechenbach nicht mit der nöthiaen Anzahl gleich tüchtiger Männer in den Parlamenten sitzt; sie könnten dann ja die Agrarfrage in einer Sitzung lösen. Nicht der Centrumsinteressen wegen muß man sich gegen das Treiben Derer wehren, welche die besten Männer des Centrums beseitigen wollen, weil sie für die Handelsverträge gestimmt haben, sondern vor Allem der Lanvwirthe wegen. Den Bauern wird vorgeredet, 2) Fe«illetsir. Der sechste Sinn. Novelle von Woldemar Urban. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Unter diesen Umständen machte es unter den zahlreichen Angestellten auf Doberan und auch in der Stadt Dinglingen selbst erhebliches Aussehen, daß Fräulein von Fahlen plötzlich, chne daß Jemand eine Ahnung davon hatte, auf ihrem Schloß cintraf. Aus dem großen Gepäck, das ihr folgte, schloß man auf einen beabsichtigten längeren Aufenthalt, wenngleich der Winter vor der Thüre stand. Herr Amtmann Lassen beeilte sich selbstverständlich, sich der Herrin von Doberan zur Verfügung zu stellen und nach ihren Befehlen zu fragen. Er wurde auch sofort vorgelassen und fand die junge Dame, offenbar etwas erschöpft und angestrengt von der Reise, in einen blaßrothen, seidenen Schlafrock gehüllt aus einer Chaise longue ihres Salons. „Mein lieber Herr Lassen", nahm sie ohne Weiteres mit ihrer wohlklingenden und eigentbümlich anheimelnden Stimme das Wort, „eS ist mir schwer in die Seele gefallen, daß ich bisher wohl in der Lage war, die Rechte der Herrschaft Doberan in Besitz zu nehme», ohne mich um deren Pflichten kümmern zu können. DaS soll aber nun geschehen." Herr Lassen war ganz überrascht. Er sagte nichts, sondern machte nur eine stumme Verbeugung, und Fräulein von Fahlen fuhr in ihrer ruhigen Auseinandersetzung fort: „Es wird nöthig sein, daß ich mit den hier in Frage kommenden Persönlichkeiten direct in Berührung komme, und ich möchte Sie bitten, Herr Lassen, mir zu diesem Zweck geeignete Vorschläge zu machen." Herr Lassen war wie aus den Wolken gefallen. Der Gedanke lag ihm nahe, daß sich hinter diesen philanthropischen Paraphrasen irgend ein weiblicher Kniff, eine versteckte Absicht verberge, und er strengte seinen Geist an, um diese zu errathen. Er glaubte vorläufig an ihre allgemeine Menschenliebe nicht. Dieser Standpunct war ihm für eine junge Dame zu neu. „Es handelt sich zunächst darum", fuhr Fräulein von Fahlen fort, als sie Herrn Laffen'S nachdenkliches Schweigen bemerkte, „daß ich die Ortsvorstände der Herrschaft Doberan, die RcgierungSbeamten und sonstige einflußreiche Persönlichkeiten selbst kennen lerne, um an ihrem Wirken und Trachten, soviel ich vermag, theilnehmen zu können. Verstehen Sie mich, Herr Lassen?" „Zn dienen, gnädiges Fräulein", antwortete Herr Lassen endlich langsam, „und ich glaube, Ihnen zu diesem Behufe Vorschlägen zu dürfen, eine Jagd zu veranstalten, die bei dem reichen Wildstand von Doberan ohnehin nothwendig ist. Ich weiß nicht, ob es Ihnen, gnädiges Fräulein, vielleicht genehm ist, als äußere Veranlassung Ihren in den nächsten Tagen bevorstehenden Geburtstag zu benutzen " „Gewiß ist mir das angenehm, Herr Amtmann. Sie wollen also das Weitere in der Sache veranlassen." Damit erhob sich Fräulein von Fahlen. Bei aller artigen Freundlichkeit und wohlthuenden Innerlichkeit lag eine gewisse vornehme Bestimmtheit und strenge Entschiedenheit in der Art der jungen Dame. Herr Lassen fühlte auf der Stelle; daß damit die Unterredung zu Ende war. Er erhob sich gleichfalls und verließ mit einer stummen Verbeugung das Zimmer. Herr Lasten war noch ein junger Mann, galt aber trotz dem für einen tüchtigen Landwirtk, und da er unverbeirathet war, so wäre es ganz unerklärlich gewesen, wenn Niemand auf eine gewisse Combination zwischen der Herrin auf Doberan und dem Amtmann verfallen wäre. Aber Herr Lasten war nicht nur ein praktischer Bauer, sondern auch ein nüchterner, verständiger Mensch, der solchen Anzapfungen mit der Antwort begegnete: Nur Kinder und Narren greifen nach den Sternen. Er wollte damit sagen, daß eine solche Cymbination zu den Unmöglichkeiten gehörte. Al« er jetzt ans dem Herrenbause kam und im Begriff war, über den geräumigen Gntshof binwegzuschreiten, blieb er plötzlich lachend stehen und besah sich behaglich eine kleine Gruppe, die auf dem Hof stand. ES war der alte Jochen, das taube, etwas altersschwache Factotum auf Doberan, und sein Vetter Max Horn; der letztere bemühte sich in so auf- regender Weise, von dem alten tauben Mann den Aufenthalt de« Amtmann'« zu erfahren, daß Herr Lassen unwillkürlich lachen mußte. Der junge Student war ganz rotb vom Sckreien geworden, während ihn Jochen mit größter Seelen ruhe in seiner duseligen Art ansah, wahrscheinlicb neugierig darauf, ob der junge Herr vor ibm von dem Schreien platzen, oder ob er bei Zeiten damit aufhören würde. Vorläufig war noch keines von Beiden der Fall, und langsam schritt der Amtmann näher. „Aber, lieber Mann, hören Sie denn nicht, was ich sage!" ereiferte sich Max. Jochen glaubte nun auch etwas sagen zu müssen und antwortete: „Ja, ja, es ist ein weiter Weg." „Herr meines Lebens!" schrie der Andere wieder ungeduldig, „eS handelt sich ja gar nicht um den Weg, den ich gemacht habe, sondern darum, wo ich Herrn Lasten finden kann. Herrn Lassen!" schrie er ihm ins Ohr, „Lassen!" „Weiter als eine Stund«", sagte Jochen kopfnickend. Hoffnungslos wandte sich der junge Mann jetzt ab und wurde dadurch des Amtmanns ansichtig. „Ach, da bist Du ja, Alex!" rief er von Weitem. „Und Du siehst ruhig zu. wie ich mich hier mit dem Alten abmühe? Der ist ja so taub wir ein Stein." „Das sieht blos so auS." „Wie?" . »Paß wal auf, Jochen!" ries dann der Amtmann nach einer kleinen Pause, worauf sich der Alte langsam umdrehte und Herrn Lassen ruhig ansah. » T'A? E-in Langstrob mehr da. Hansen soll mit den Fuchsstuten nach Erlenhorst fahren und eine derbe Fuhre holen. Verstanden?" "»yre „Ja Herr Amtmann, ja", antwortete Jochen zur großen Ueberraschung des Herrn Horn. „Aber nicht solch' kurzen, nassen Mist, den haben wir selbst, Be"rswüde!?°"^ ^angstroh. Etwa zwei Schoch bunlLdnL'L"""- --d """" die Welt nicht unterdessen unter- geht, so steht mein Langstroh heute Abend auf dem Hof." ich bitte Dich, wie kommt der Mann dazu, mich jA^u vttstehrn", sagte Max ziemlich erbost, „ich!>in doch „Das weiß ich nicht Max, das ist sein Gebeimniß. Ich alte Jochen seit den etwa zehn Jahren die ich ihn kenne, nie ander« war und voraussichtlich auch nie anders werden wird. Ick. weiß auch nicht, ob er wirklut. nicht Hort und m.r am Munde abliest, was ich sage ober ob er nickt etwa gerade so gut hört wie ich und Du S. eben mit seine» Ohren, was er will, und da die gehören, so hat er ein Recht dazu" * ' „Aber erlaube mal —" ^ „Mar, der alte Jochen wird nächstes Frühjahr zweiund neunzig Jahre, und ich habe auf dem ganzen Hof keinen zu verlässigeren Menschen als ihn. Wie Mancher mit seinen gesunden Sinnen kommt nicht so weit wie er — mögen cs nun fünf oder vier sein. Soll ich ihm also Vorschriften machen, wie er seine Sinne brauchen muß?" „ES giebt nichts Merkwürdigeres in der Welt, wie das Leben", sagte Max bedenklich. Der Eine wird mit vier Sinnen zweiundneunzig Jahre und der Andere mit fünf gesunden sinnen möchte mit dem Kopf gegen die Wand rennen." „Aber lieber Freund, ich kenne Dich nicht mehr", ries Herr Lasten mit komischem PathoL; „wie kommst Du mit Deinen vierundzwanzig Jahren dazu, Trübsal zu blasen? Weißt Du nicht, daß wir uns Alle mit fünf Sinnen in dieser Welt begnügen müssen? Glaubst Du, der liebe Gott wird Dir ri, Liebe für Dich speciell einen sechsten schaffen?" „Ich hätte ihn sehr nöthig, denn so geht's nicht." „Ich verstehe Dich nicht." „So höre mir nur zu, Alex, und Du wirst mich begreifen. Ich finde die Welt unausstehlich; mit meinen, wie ich hoffe, gesunden, geraden Sinnen finde ich, daß sie von Tag zu Tag schäbiger, abgelebter, kälter, herzloser wird. Ich finde, daß sich in Ton und Situation unserer Gesellschaft, unseres Volkes, eine gewisse krankhafte Hypercultur, eine tolle, dünkel hafte Verschrobenheit, ein blinder Egoismus breit mack>t, der der Entwickelung von Herz und Geist des Menschen diamelrU entgegentritt." „Thu' mir den Gefallen, Max, und laß die Redensarten. Komme schlecht und recht auf Deinen Fall zu sprechen und ich werde mir Mübe geben, Dich z» verstehen. Wenn Du aber so fortfährst, wir Du eben ansingst, so wette ich, daß ich in einer Viertelstunde verrückt bin. oder wenigstens melan- cholisirt, was schließlich doch dasselbe ist." „Gut. Also Du weißt, daß ich so gut wie relegirt b,n „Ich weiß eS. Es ist das auch nach meiner Ansicht kein große« Wunder. Nimm mir'S nicht Übel, Max, aber wenn ein junger Student stets mit dem Hausschlüssel zum Früh schoppen geht " „Das ist ja eben das Tolle. Hör' mir uur zu, Alex, daran lag'- ja gar nicht. Ich war trotzdem noch immer nicht der Dümmst« von meinen College«. Da wollte eS aber mein persönliches Pech, daß die liebliche Jungfrau, Fräulein Adele L irrlapp, die älteste Tochter des Professors Dirrlapp, eines ron ihren holden Augen auf mich warf. Sie ist etwa noch
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