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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.08.1895
- Erscheinungsdatum
- 1895-08-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189508127
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18950812
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18950812
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-08
- Tag1895-08-12
- Monat1895-08
- Jahr1895
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.08.1895
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BezugS-Pve» K L« Hauptexpeditioa oder drn i« Stadt« bezirk und den Bororten errichteten Au«- oavrstrllen ab geholt: vierteljährlich ^>4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau« SSO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich S—. Direkte tägliche Kreuzbandjenduag tu« Ausland: monatlich ?chO. DieMorgen-AuSgabe erscheint täglich mit Au«, nähme nach Sonn, und Festtagen '/,? Uhr. die Abend-Ausgabr Wochentag« b Uhr. Nedaction und Lrpe-ittou: J-hanne-gaffe 8. Dir Expedition ist Wochentags ununterbrochen grössuet von früh 8 bi- Abend» 7 Uhr. Filialen: ktts Rle««'« korttm. (Alfre- HahnX UaiversitätSstrabr 1, LoniS Lösche. Katharinenslr. 14, part. und KSnig-vlatz 7. M. Amtliche Bekanntmachungen. Alle Officiere, Sanitäts-Officiere, Beamte, Unterosficiere und Mannschaften, welche den Feld zug 1870/71 mitgemacht, oder während demselben gedient nnd noch keine Mittheilnng erhalten haben, werden hiermit z» dem Dankfeldgottesdienst der Garnison am 18. d. M., O Uhr Bor mittags eingeladen. Als Ausweis dient die Kriegsdenkmiinze. Sanunelpunct, insoweit auf den schon ergangenen Einladungen kein anderer bestimmt ist, am Pestalozzi- Stift, von wo 8V2 Uhr nach dem Exercirplatz bei der Barackencaserne des 10. Infanterie-Regiments Rr. 134 abmarschirt wird. Leipzig, den 11. August 1895. Garnifon-Commarr-o. MtWM Anzeiger. o-M!»r WM, LMiMichk. Ä>»d«lS' «>d Nnzeigen-PrelS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamrn unter dem Redactionsstrich («ge spalten) 50/H, vor de» Familiennachrichtea («gespalten) 40^. Größere Schriften laut unjerem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Zisferujatz nach höherem Tarif. Extra»Beilagei« (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefördcrima 60.—» mit Postbrsörderung 70.-». Ännahmeschluß für Anzeigen: (nur Wochentags) Abend-AuSgabr: Vormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei drn Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig. Montag den 12. August 1895. 89. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 12. August. „Unablässig bekämpft die Totial-cmokralie aller Länder jede kriegerische Abenteurerpolitik, in allen Parlamenten stimmt sie gegen die Militärbudgets. Sie sieht in der friedlichen Entwickelung die erste Boraussetzung deS Culturfortschritts, im Kriege die größte Barbarei. Deshalb ist die Social- dcmokratie nicht blos eine Friedenspartei, nein, sie ist, da alle anderen Parteien diesen Standpunkt nicht theilen, dtc AricScnspartci." So wagt der „Vorwärts" zu schreiben, derselbe „Vorwärts",derin diesen derErinnerung andie großeZeil vor 25 Jahren geweihtenTagen die kriegerischeAbenteurervolitik eines Herzogs von Gramont entschuldigt, die französische Nation zur Rache anDeutschland wegen der „gefälschten" Emser Depesche aufstacheit und den eigenen Genossen einen solchen Rache act als gerecht und von Bismarck herausgefordert darstellt! So wagt der „Vorwärts" in derselben Rümmer zu schreiben, in der er den von Deutschland um seine Existenz gegen einen kriegerischen Abenteurer geführten Kampf einen „bruder mörderischen Krieg" nennt und einen Genossen (Schreiner Brinkmann in Cassel), der bei der Feier der Schlacht von Weißenburg Festzug, Gottesdienst und Parade mitgemacht haben soll, der „Stegmüllerei" beschuldigt und mithin als unwürdig brandmarkt, weil er nicht der Meinung ist, Deutschland hätte sich von einem französischen kriegerischen Abenteurer wehr- und widerstandslos noch mehr zerreißen und zerstückeln lassen sollen! Aber trotz de? tausend fältigen Beweise dafür, daß der „Vorwärts" und seine Hinter männer keineswegs eine fremde kriegerische Abenteurerpolitik, die den „großen Kladderadatsch" herbeiführen könnte, sondern nur die gemeinsame deutsche Abwehr einer solchen fremden Action verabscheuen, scheint der „Vorwärts" nicht mit Unrecht dem Glauben sich hinzugeben, seine Partei werde an recht einflußreicher Stelle, wenn auch nicht für die Friedens partei, so doch für eine Friedenspartei und er selbst für ein srieosertiges und Wohl gar nationales Blatt gehalten. Unter dem sogenannten „neuen Curs" war das bekanntlich der Zall. In den Augen des Grafen Caprivi waren alle Parteien national. Nach seiner Theorie brauchte mau die revolutionaire Propaganda nur ruhig gewähren zu lassen, um sie sich all mählich in sich selbst verzehren zu lassen. Die Socialdemo kratie sollte im Lichte der Oeffentlichkeit und Freiheit immer ungefährlicher, sie sollte zu einer harmlosen Arbeiterpartei geworden sein. Die Reactwn der öffentlichen Meinung gegen diese Theorie entfachte im vorigen Sommer den heftigen Streit zwischen der nationalen und der gouvernementalen Presse und zwang schließlich die Caprivi'sche Regierung zu einem gesetzgeberischen Vorgehen. Jetzt, nachdem dieses Vorgehen gescheitert ist, sind die Vertreter des „Muthes der Kaltblütigkeit" sofort wieder zur and, ihre Weisheit von Neuem zu empfehlen, fiese Weisheit beruft sich auf da« für den nächsten social demokratischen Parteitag zur Di-cusston gestellte Agrar programm, das doch keinen anderen Hweck verfolgt, als durch Lügen die ländlichen Arbeiter allmählich an die revo lutionaire Anschauungsweise zu gewöhnen und den Bauern fäusten die Waffen gegen die einheimischen und fremden Volksbeglücker zu entwinden. Diese Weisheit beruft sich ferner auf die Erbitterung der „zielbewußten" Socialdemokraten gegen die Anarchisten, obgleich es auf der Hand liegt, daß diese Erbitterung lediglich der Besorgniß entstammt, die ungeduldigen Anarchisten könnten vorzeitig, bevor sie in den Besitz der ausreichenden Macht gelangt sind, zur „Propaganda der That" übergehen und dadurch den erhofften Sieg in eine Niederlage verwandeln. Für Jeden, der sehen will, ist der reinrevolutionaire Charakter der Socialdemokratie heute schärfer als je ausgeprägt, und wenn man trotzdem an maßgebender Stelle den,,Muth der Kaltblütig keit" bewahrt oder aus Mangel an geeigneten Mitteln zu be wahren scheint, so sollten wenigstens alle jene nationalen Kreise, die sich von den frechen Versicherungen des Organs „der Friedenspartei" über die wahren Ziele der Socialdemo kratie nicht täuschen lassen und mit tiefer Empörung seine schamlosen Entschuldigungen der fremden Friedensstörer, seine infamen Verlinglimpsuligen der deutschen Heldenthaten vor 25 Jahren empfinden, zur thatkräftigen Abwehr der von der socialdemokratiscken Propaganda drohenden Ge fahr sich entschließen. Sie wächst mit jedem social demokratischen Wahlsiege, weil er die zur Rache aus geforderten französischen „Genossen" in dem Glauben be festigt, der Tag der Rache rücke näher und die Schaar der zur Abwehr entschlossenen würdigen Söhne der Kämpfer ven t870/7l werde geringer. Auch jeder socialdemokratische Wahl sieg in Sachsen vergrößert diese Gefahr; aber leider scheint es, als ob man auch hier in gewissen Kreisen den „Muth der Kaltblütigkeit" gegenüber der Socialdemokratie sich angeeignet habe und Len Muth des Kampfes in Fehden der bürgerlichen Parteien sich austoben lassen wolle. Im Reichstagswahlkreise Pleß-Rybnik, der sich im festen Besitz des Zentrums befindet, hat bekanntlich für die durch den Tod des Abg. Conrad nothwendig gewordene Ersatzwahl eine Versammlung von Vertrauensmännern den Freiherrn von Huene als Candidaten aufgestellt. Bleibt es dabei, so unterliegt die Wahl des Freiherrn von Huene kaum einem Zweifel, und damit würde von den bis auf wenige Aus nahmen adligen Herren des CentrumS, denen ihr Eintreten für die Militairvorlage am 6. Mai 1893 das Reichstagsmandat gekostet hat, der erste wieder in den Reichstag zurückkehren. Bei den Wahlen, die nach der damaligen Auflösung erfolgten, wurden die sechs schlesischen Centrumsabgeordneten, die für die Militairvorlage gestimmt hatten, nicht wieder gewalt, darunter außer Gr°css Ballest«m " Der SSH-n" » d-r ^3.. istsor.-m- worden, und di- Mckkehr d^ nicht- ändern. Dafür ist ein ^ st UH, ^ic dem der agrarischen Tendenzen entst , ^ ^ Wai 1893 Centrum gefährlicher zu werden droh ^ des entstandene. Herr Hu-ne bat sich Zwar^aw^^ rheinischen ^ Centrumsdemokraten m machen, Plane, das Centrum zu einer agrarijchen Partei w , aeaenüberstehen. Zur Verkleisterung des neuen N-ss-S m Uurme« wird also die Aufstellung deS Herrn von Huene nicht beitragen. Wie in fachmännischen Kreisen Dänemarks über die strateaische Bedeutung des Kaiser Wilhelm-Canals aeurthe'ilt wird, zeigt ein interessanter Artikel deS bedeutenden ^ovenhaaener Blatte« „Politiken". Derselbe geht davon aus, küste entgegenzutreten; 3) sich Mit de.r l--ee macht zn vereinigen, um dw franzoslsche Flotte ,u be kämpfen; und 4) sich der verewigten eng lisch-Italienlsch- österreichischen Flotte im Mittelmeer anzuschlietzen, um gegen die französisch-russische Seemacht zu kampfm. Der erste Fall wird sehr kurz abgethan; der dänische Politiker ist der Ansicht, daß die russische Ostseeflotte vielleicht stark genug gewesen wäre, der in der Ostsee liegenden deutschen Flotteuabtbeiluug ernsten Schaden zuzufügen und daß der neue Kriegshafen in Libau namentlich für einen über raschenden Angriff einen sehr günstigen Ausgangspunct gegeben hätte; jetzt aber, da die deutsche Ostseeflotte jeden Tag von der Nordsee her Verstärkung erhalten könne, sei die russische Ostseeflotte zur völligen Passivität verdammt, und der KriegShafen von Libau könne unter solchen Umständen nur für Rußland selbst gefährlich werden, weil er viel mehr als das entlegene, schwer angreifbare Kronstadt zu einem Angriff herausfordere, der schwerlich abgewiesen werden könnte. Die an dritter und vierter Stelle genannten Möglichkeiten werden außer Betracht gelaffen, weil dabei die Mitwirkung des Canals weniger stark hervortreten würde; eingehend wird dagegen die zweite Eventualität besprochen, die das deutsche Reich in die Nothwendiakeit versetzen würde, seine Küste gleichzeitig gegen einen französischen und einen russischen FlotterMngriff zu vertheidigen. Dabei wird der für Deutschland ungünstigste Fall vorausgesetzt, daß V,Irland aus dem oder jenem (Arunde Rrankreick die Durckiakrt nach der Nordsee nicht gesperrt habe und das letztere somit die ibm im Mittelmeer entbehrlichen Flottenkräfte nach derNordsee werfen könne. Aber auch in dieser Lage glaubt der Artikel die deutsche Seemacht den an sie gestellten Anforderungen gewachsen, und zwar eben mit Hilfe deS Kaiser Wilhelm-Canals, der beiden (Yegnern jede Berechnung deS ihnen im gegebenen Augenblick gegenüberstehenden TbeileS der deutschen Flotte unmöglich machen, die deutsche Flotte dagegen in Stand setzen würde, ich zunächst mit überlegener Kraft auf den schwächeren Aegner zu werfen und ihn kampfunfähig zu machen, während der Canal ihr im allerschlimmsten Falle einen dem Feinde unzugänglichen Zufluchtsort bieten würde. Daß Frankreick» dieje Bedeutung des Canals nicht verkenne, sei mit Sicherheit aus den bekannten Marineforderungen zu schließen. Die „Nordd. Allgem. Ztg." schreibt officiös: „Die Rückberufung des deutschen Geschwaders au§ >en marokkanischen Gewässern, die bereits verschiedene Blätter zu melden wußten, ist nunmehr in der That erfolgt, nachdem die marokkanische Regierung die verlangte Genugthuung für die Ermordung des Reichsangehörigen Rockstroh geleistet hat Diese Genugthuung besteht zurächst in der Zahlung einer Summe von 200000 Francs, die zur Schadlos haltung der Mutter des Ermordeten nnd der Leipziger Firma, für die er thätig gewesen ist, sowie zur thcilweiscn Bestreitung der dem Reich in der Sache erwachsenen Unkosten Ver wendung finden wird. Ferner ist der Rest der für die Ermordung des Reichsangehörigen Neumann geschuldeten Summe im Betrage von 50 000 Fr., der erst im October fällig war, schon jetzt baar entrichtet worden. Außerdem hat der Sultan die Absetzung der Beamten ausgesprochen, deren Verhalten in der Rockstroh'jchen An gelegenheit der kaiserlichen Regierung Anlaß zu berechtigten Klagen ge- geben hatte; dem kaiserlichen Bertreter in Tanger ist hierüber eine amtliche Mittheilung der marokkanischen Regierung zugegangen. Ta außerdem die Bestrafung der an der Mordthat direct betheiligten Personen marokkanischer Seits wiederholt zugesagt worden ist, hat die von der Regierung des Sultans gewährte Sühne als aus reichend erachtet werden können; es sind jetzt nur noch Nebenpuncte zu ordnen." Wie nns heute gemeldet wird, hat der vor Tanger liegende deutsche Dampfer „Hagen" gestern die Heimreise angetretcu. Da der „Hagen" so lange dort bleiben sollte, bis die Ent schädigungssumme zur Auszahlung gelangt sei, so ist anzu nehmen, daß das Geld bereits in deutschen Händen ist. — Während so der deutsch-marokkanische Zwischenfall als bei gelegt betrachtet werden kann, läßt die Anwesenheit von zahlreichen fremden Kriegsschiffen in den marok kanischen Gewässern — es sind, abgesehen von dem deutschen Dampfer „Marie", französische, englische, spanische und ein italienisches — darauf schließen, daß auch andere Regierungen noch verschiedene Hühnchen mit Marokko zu rupfen haben und durch das energische und erfolgreiche Auf treten Deutschlands sich zu einem gleichen Druck auf den Sultan ermuthigt fühlen. Liberale Madrider Blätter, wie der „Correo" und der „Jmparcial", bezeichnen das Er scheinen der spanischen nnd englischen Schiffe als das Ergebniß eines spanisch-englischen Abkommens, dessen Ziel die Errichtung eines spanischen und eines eng lischen Consulates in Fez wäre, wo bis jetzt Frank reich allein ein solches besitzt und somit in der Lage ist, zum Nachtheile der übrigen Mächte den stärksten Einfluß auszu üben. Ein spanisch-englisches Einvernehmen in dieser An- 4j Der sechste Sinn. Novelle von Wolde mar Urban. Nachdruck vrrbotm. (Fortsetzung.) Seit zwei Tagen batte es Frau Horn unternommen, ihre Tochter zu diesem Besuch auf Doberan zu überreden und sie dafür gehörig zu instruiren. Einmal hatte sie eine nicht zu bannende Sorge, daß ihrem Mann auf der bevorstehenden Jagd irgend ein Unglück passiren könne. Sie schärfte also Doris ein, mit dem Amtmann darüber zu sprechen und ihn ;n bitten, doch um'S Himmelswillen Alles zu thun, waS etwa zum Schutze des VaterS gethan werden konnte. Sie wäre deshalb lieber gern selbst nach Doberan gegangen, wenn das nicht private Revolution in der Haushaltung veranlaßt hätte. Lassen, sehr erfreut über Doris' Besuch, wenn auch weniger über ihre Begleitung, versicherte ihr mit seiner ganzen liebens würdigen herzlichen Wärme, er würde Uber Herrn Horn Wachen wie über seinen eigenen Vater; Frau Horn möge sich aus Achtung vor ihm, vor Lassen und seiner aufmerksamen Umsicht, darüber beruhigen. Fräulein Doris wurde selbst ganz warm und weich, als Lassen in der ihm ganz eigen- tbümlichen treuherzigen Weise und in sorgender Beredlsamkeit sie von der absoluten Gefahrlosigkeit der Unternehmung zu überzeugen suchte und wer weiß, waS sich auf diesem Wege cntwickett hätte, wenn nicht Herr Adolar Saegebühl mit höflicher Aufmerksamkeit das Gespräch in geziemendere und weniger gefährliche Bahnen gelenkt hätte. Dagegen verharrte ihr Bruder ihrer Weisheit gegenüber in unbegreiflicher Verstocktheit. Die Sache nahm folgenden, für sie sehr überraschenden Verlauf. „Max, Mama ist in großer Sorge um Dich", sagte sie, in Erfüllung eines weiteren Auftrags der Mutter. „Ich weiß eS", sagte ihr Bruder, „die Mutter ist um uns Alle in Sorge, weil sie unS All« liebt." „So meine ich das nicht, Max." „So! Wie denn?" „Ich meine, die Mutter fürchtet, daß Du auf Doberan wie in Heidelberg Deine Zeit mit allerlei dummen Streichen verzettelst und darüber das Arbeiten vergißt. Nun sind sowohl die Mama als alle vernünftigen Menschen der Ansicht, daß ein Mann in Deinen Jahren etwas für seine Zukunft zu thun hat und daß, wenn diese eine gute sein soll, sie eS nur durch Arbeit werden kann. Ein Student, so ist nun einmal die weltläufige Ansicht, hat zu studiren, wenn er nicht alle Ewigkeit ein Student bleiben will. Das ist's aber, was die Mama von Dir fürchtet, und darum hat sie große Sorge um Dich. So! lieber Max, Du wirst mich jetzt nun hoffentlich nicht mehr mißverstehen." Der junge Mann war ganz starr und sah seiner Schwester erstaunt in s Gesicht. Plötzlich lachte er laut auf. „Aber Dorr", rief er, noch immer lachend, „wie kommst denn Du zu so waghalsigen Sentenzen? Du sprichst ja wie ein Pastorl Du mußt an meiner Statt nach Heidelberg." Fräulein Doris machte eine stolz wegwerfende Bewegung. „Es ist mir nicht verwunderlich, wenn Du den kühlen Verstand von aller Welt eine waghalsige Tendenz nennst oder die Reden, wie sie in der guten Gesellschaft gang und gäbe sind, pastoren mäßig nennst. Leider, leider stehen von Dir noch andere Sachen zu erwarten, und die arme Mama hat nur zu recht, wenn sie um Dich in Sorge ist." Kaum hatte Max von der armen Mama gehört, als seine Heiterkeit verschwand und er ernster geworden fortfuhr: „Nun höre mal auf mit den steifbeinigen Redensarten. Zu Deinem besseren Verständniß will ich T)ir sagen, daß ich lieber ein Student von vierzig Jahren werden will, als ein Professor von dreißig; Grünschnabel, die sich an den schwersten StaatSvroblemen versündigen, giebt eS in der Welt genug; ich will diese Sorte von Menschen nicht vermehren. Jedes Alter hat seine Rechte, nnd ich sehe nicht rin, weshalb ich mir die Rechte der Jugend von kleinen, naseweisen Mädchen ver kümmern lassen soll." „DaS soll ich" — unterbrach ihn entrüstet seine Schwester. „Das ist für Deine specielle Belehrung", fuhr ihr Bruder mit Entschiedenheit fort, „der Mutter werde ich schon selbst sagen, waS zu sagen ist. Da wir aber doch einmal allein sind, so hätte ich Dir noch mancherlei zu sagen. Doris, höre mir deshalb aufmerksam zu. Ich spreche aufrichtig zu Deinem Besten und möchte Dich nur im Interesse Deines eigenen Wohles auf Einiges aufmerksam machen." „Oh, bitte recht sehr, lieber Max. So lange Du den gewöhnlichsten Anforderungen de« guten Geschmacks und der guten Erziehung so wenig nachzukommen vermagst, so lange möchte ich vorzieben, auf Deine Weisheiten, und wenn sie noch so gut gemeint sind, zu verzichten." „So, so!" entgegnete ihr Bruder hitzig, „Du möchtest Wohl, daß ich auch so ein gestriegelter, glatthaariger Zierbengel, so ein mattäugiger, hohlköpfiger Complimentenschneider, so ein „Haben Sie die Güte" und „Verzeihen Sie" und „Erlauben Sie" würde, wie sie jetzt soviel herumlaufen, die mit ihrem Leben fertig sind, wenn die anderen, gesunden Menschen an fangen! Wünsche das nicht, Doris, denn Du wirst an Saege bühl, wenn Du ihn heirathest, Jammer und Elend genug erleben —" „Ach, das ist also deS Pudels Kern —" „Jawohl, Schwester, und ich habe nicht nur daS Recht, sondern auch die Pflicht, Dir über gewisse Sachen die Augen zu öffnen." „Nun, Max, damit Du siehst, wie schwer Du Dich gerade in Bezug auf ihn getäuscht hast, will ich Dir sagen, daß Herr Saegebühl noch auf dem Herweg geäußert hat. er bedauere eS herzlich, daß Du in Heidelberg nicht besser reussirt hättest. Er hätte sehr gewünscht " Erbost unterbrach sie ihr Bruder. „WaS hat der Windbeutel mich herzlich zu bedauern? Er, der nicht mehr Herz hat wie ein Hase am ersten November? Der Truthahn, der sich mit der eigenen Selbstgefälligkeit auf- blustert, der ,n der Sonne spazieren geht, nur'um an seinem Schatten eine gute Haltung zu lernen, der seinem Spiegel alle Tage Gesichter schneidet und allerlei höfliche Redensarten bedauere." Sei eS, daß Herr Horn Junior glaubte, seinem Freund Lassen mit diesem etwas kernigen Erguß einen Dienst z, A daß es ihn wirklich empörte, von Leute, "" Saegebühl bedauert zu werden, auf jeden Fal polterte er die Worte mit ziemlicher Heftigkeit heraus. In se»' Zorn war wie der Frühlingssturm: er rausch E°!°le«nber. aber die Luft bleibt mild. Gleich wohl that Fräulein Doris einen erschrockenen Schrei uw '".Dbnmacht gefallen, wenn Herr Adolar da ^rniangelung jeder mitfühlenden Seele sal sie das völlig Nutzlose dieser Demonstration ein und unterließ ^ Es ^ ? n theatralischem Geschick „Es ist empörend, ries sie. „einen Abwesenden in diese .npoiend, es ist feL 2a Max, ich will'es bekenne^ i^ zu sL" '"f- Schmach, ihn s° von Dir behL' „Du weißt nicht, was Du sprichst." „Meinst Du? Aber ich weiß doch, wie schwer Du im Jrrtbum bist, und ich hoffe, es Dir binnen Kurzem zu beweisen?" „So, so? Nun, da bin ich doch begierig." „Adolar ist ein edler, uneigennütziger Charakter, er hat eS mir tausend Mal gesagt und ich glaube es, ich weiß es, trotz aller Deiner Einwendungen." „Ich sehe eben, daß Du gar nichts davon weißt und daß Du genau so seinen faden Redensarten, die auf Eure Eitel keit speculiren, verfallen bist wie der Vater auch. Aber ich werde Euch schon noch die Augen öffnen." „Uns die Augen öffnen? Der Himmel gebe, daß sie erst Dir geöffnet werden, damit Du siehst, wie Unrecht Du uns Allen thust. Aber mich sollst Du nicht irre macken, Mar, ich weiß, daß ich auf die Treue Adolar's bauen kann und werde ihn nie verlassen. Nur ihn werde ich oder Niemanden heiralhen." „Das ist ja zum Tollwerden I Doris, Doris!" Sie hörte ihn nicht mehr. In tiefer sittlicher Entrüstung über den entarteten Bruder und in dem gehobenen Bewußtsein, ihr treues Herz, das sie erst jetzt in aller Geschwindigkeit entdeckt zu haben schien, bethätigt zu haben in der Vertbeidigung des unschuldig angegriffenen Geliebten, eilte sie die Apselbaum- allee entlang, in ver ihnen die beiden Anderen vorangegangen waren. Der junge Herr Horn ließ sich auf eine Bank fallen und erging sich in tiefsinnigen Betrachtungen. Er halte das dunkle Gefühl, wieder eine große Dummheit gemacht zu haben; und er hatte es doch so gut gemeint, hatte im Interesse seiner Schwester und seines Freundes rückhaltlos die Wahrheit gesprochen! Was konnte er denn Besseres thun als das? Und trotzdem schien nun Alles verloren zu sein. Immer mehr und mehr kam er zu der Ueberzeugunz, daß ihm wirklich ein sechster Sinn fehle, denn ohne diesen ging ja offenbar Alle« schief, was er anfaßte. Auch Herr Amtmann Lassen kam, als er später Herrn Saegebühl und Fräulein Doris nach Dinglingen zurückfuhr, unwillkürlich auf die Idee, daß Max einen Fehltritt gemacht haben müsse. Fräulein Doris hatte nur Augen für Herrn saegebühl, und als dieser im Laufe des Gesprächs äußerte, daß nächste Woche Neumond sei, sah er, wie sie in unnach- ahmuAgraziöser Weise die Augen niederschlug und verschämt „Ja, Adolar" lispelte. Herr Lassen war wüthend, und die armen Pferde mußten büßen, waS Max verschuldet hatte.
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