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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.08.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-08-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950816020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895081602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895081602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-08
- Tag1895-08-16
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Anfangs begnügten sich die Leiter der social demokratischen Vereine damit, ihren Mitgliedern, welche an einer patriotischen Feier sich betheiligt hatten, wegen dieser „Stegmüllerei" einen Verweis zu ertheilen; aber bas ist den Zielbewußten noch nicht genug: mit dem Bannstrahl sollen die Abtrünnigen getroffen und aus dem Verein aus gestoßen werden. Die gemüthlichen Sachsen sind es, die vieses Beispiel des Terrorismus geben. Der socialdemokratische Wahlverein in Waldheim hat, wie wir schon nach der „Franks. Z." mittheilten, beschlossen, jedes Mitglied, das sich an der Sedanfeier betheiligt, ausruschließen. Und das gleiche Verfahren wird von der sächsischen Socialdemokratie ihren Vereinen überhaupt zur Bekämpfung etwaiger „Steg müllereien" bei den bevorstehenden Kricgs-Erinnerungsfeiern empfohlen. Auch die socialdemokratische „Magdeb. Volksstimme" findet ein solches Vorgehen „sehr empfehlenswerth". Wer möchte bezweifeln, daß die Empfehlung des Terrorismus nicht aller Orten auf fruchtbaren Boden fallen wird? Kann aber der „Vorwärts" auch jetzt noch leugnen, daß ein social demokratischer Ueberwachungsdienst bei den Erinnerungs feiern in Thätigkeit ist? Dhne ihn ist es ja gar nicht möglich, die mit dem großen socialdemokratischen Bann zu belegenden „Genossen" zu ermitteln und die Execution des Ausstoßens cum inkamia an den verlorenen Schafen auö dem Stall der Herren Bebel und Liebknecht zu vollziehen. Mit „patriotischen Capitalisten" hat sich jüngst der „Vorwärts" beschäftigt. In seiner Nr. 180 vom 4. August d. I. war unter der Ueberschrift: „Im Jubeljahr von Deutschlands Einigung" Folgendes zu lesen: „Patriotische Capitalisten beabsichtigen, in inniger, aufrichtiger Liebe zu diesem Staate, den heiligen Sedan diesmal ganz be sonders umfassend zu begehen. Sie wollen, wie aus ihren Organen herauszulesen, möglichst unter „Contractbruch", wie sie es bei der Maifeier nennen, und unter Einbehaltung des Arbeitslohnes für Liesen Tag, ihre Arbeiter in die mordspatriotische Feier hineinpeitschcn, damit dem erhabenen Gedenktage des großen Schlachtens auf keinen Fall der volksthümliche Charakter fehle. Wo ist der Mann unter dem deutschen Jndustrieproletariat, der solcher frechen Bewilligung des Mordpatriotismus nicht hohnlachend und mit Ekel erfüllt gegen überstände? Wo ist der Hanswurst unter den Ausgebeuteten, der sich, ohne Ingrimm iin Herzen, durch Betheiliguug an solcher Feier ent ehrte? Welcher classenbewußte Arbeiter in deutschen Landen reichte im Anblick des mordpatriotischen Geheuls nicht mit doppelter Innig keit seinen französischen Brüdern und Leidensgefährten die Hand, eingedenk der erzenen Losungsworte, vor denen die Bourgeosie der ganzen Welt erblaßt, als vor einem Menetekel: „Proletarier aller Länder vereinigt Euch!" Das hat, wie gesagt, am Morgen des 4. August im Centralorgan der deutschen Socialdemokraten gestanden. An demselben 4. August feierte Deutschland das Gedächtniß der ersten Siege aus dem Jubeljahr seiner Einigung. Den Lesern der von Herrn Liebknecht geleiteten Parteizeitung wurde die Theilnahme an dieser Gedächtnißfeier noch besonders dadurch verleidet, daß ihnen der Ausfall eines Tagesarbeitsverdienstes für den 2. September in Aussicht gestellt wurde. „Patriotische Capitalisten" sollten diese Benachtheiligung der Arbeiterschaft, wie Herr Liebknecht bestimmt meldete, „beabsichtigen". Natür lich hatte er aus den Organen dieser „patriotischen Capitalisten' überhaupt nichts dergleichen „herausgelesen", sondern die ganze Geschichte aus den Fingern gesogen. Thatsächlich war am August für den 2. September noch nirgends etwas Näheres angeordnet. Wohl aber geschieht dies jetzt, und zwar lautet die erste Meldung, die darüber bekannt wird, folgendermaßen: „Der Vorstand des Vereins der Industriellen des Regierungs bezirks Köln beschloß, den Arbeitern, die 1870 am Kriege theilnahmen, den Sedantag unter Vergütung des vollen Tagelohnes ganz freizugeben, der übrigen Arbeiterschaft von 4 Uhr Nachmittags an ebenfalls ohne Lohnabzug." In der Zeit vom 18. bis 22. August werden die großen Vcutsche» Vereine Siebenbürgens, die ein festes Band um die in 8 Städten und 227 Dörfern wohnenden 200 000 Sachsen schlingen, ihre Hauptversammlungen in Hermann stadt abhalten. Vom 18. bis 20. August tagt der älteste der Vereine, der 1840 in Schäßburg gegründete Verein für siebenbürgische Landeskunde. Er steht jctzt^ unter der vortreffliche» Leitung des Seminardirectors vr. Fr. Teutsch, zählt ungefähr 700 Mitglieder, verfügt über ein Vermögen von 24 000 fl. und eine Iahreseinnahme von 2400 fl. und veröffentlicht alljährlich im „Archiv" eine Reihe werthvoller Abhandlungen auö der Geschichte Siebenbürgens. Am 19. August ist die Hauptversammlung des allgemeinen evangelischen F r au e n v e r e i n s , der sich in etwa 100 Zweigvereine gliedert und etwa 12 000 Mitglieder zählt. Dieser Verein hat seit 1884 über 110 000 fl. verausgabt und damit nicht nur Kindergärten und Kinderbewahranstalten ins Leben gerufen und erhalten, nicht nur Gotteshäuser und Friedhöfe geschmückt, sondern auch Krankenpflegerinnen ausgebildet und Tausende von Armen und Kranken unterstützt. Am 20. August tagt der Verein für Naturwissenschaften, am 20. und 21. August der evangelische Verein der Gustav- Adolf-Stiftung. Letzterer bemüht sich, nicht nur die Noth armer evangelischer Gemeinden in Ungarn-Siebenbürgen, sondern auch in Oesterreich und selbst im deutschenReiche zu lindern und zu heben. Vom 14. bis 21. August finden sechs Aufführungen des Gustav-Adolf-Festspieles statt. Der sieben- bürgische Karpathenverein, der seit 1880 Großes ge leistet, daS früher so unwegsame Waldgebirge mit guten Wegen und Schutzhütten versehen, das Führerwesen geordnet, das Karpathenmuseum in Hermannstavt gegründet und in den 15 Bänden des Jahrbuchs zahlreiche wissenschaftliche Ab Handlungen und Reiseberichte veröffentlicht hat, wird im Anschluß an seine Hauptversammlung Ausflüge auf die Präsbe, nach dem Curhause auf der hohen Rinne, auf den Negoi und an den Bulleasee ver anstalten. Ende September wird in Hermannstadt noch das fünfzigjährige Gründungsfest des sieben bürgisch-sächsi schen LandwirthschaftSvereins abgehalten werden und eine große Ausstellung damit verbunden sein. — Die große culturelle Bedeutung des Dcutschthums in Siebenbürgen und das lebhafte Interesse, welches der Entwickelung desselben in deutschen Landen gerade heute enlgegengebracht wird, wo die Magyarisirungs-Tendenzen der ungarischen Regierung sich wieder empfindlich bemerkbar machen, rechtfertigt es, daß wir den obigen dankenswerthen Mittheilungen unseres auf diesem Gebiete vorzüglich orientirten Mitarbeiters an dieser Stelle Raum geben. Möchten sie überall die gebührende Beachtung finden und um thatkräftige Unterstützung der genannten stammverwandten Vereine werben helfen! Wie wir voraussagten, ist die englische Thronrede ziem sich farblos ausgefallen. Das innerpolitische Gebiet wird kaum gestreift, da nicht beabsichtigt ist, das Parlament vor Beginn der kommenden Februartagung mit wichtigeren Auf gaben zu befassen, und die nächsten Sitzungen nur der Adreß debatte und der Erledigung der vom vorigen Parlament noch nicht bewilligten Posten des Staatshaushaltes gewidmet sein ollen. Kommen also nicht noch wichtige Amendements zur Thronrede, so geht das Schiff des neuen Cabinets bei ziem- icher Windstille vom Stapel. Damit dürften freilich die Erwartungen Derer enttäuscht sein, welche auf baldige greif- >are Resultate deS jenseits des Canals eingetretenen System- und Cabinetswechsels rechnen zu können meinten. ?ord Salisbury ist ein zu erfahrener Staatsmann, um nicht zu wissen, daß eine fehlerhaft instradirte Politik nicht «m Handumdrehen in die richtigen Gleise geleitet werden kann, sondern daß es dazu der Zeit, der Geduld, der günstigen Umstände bedarf. Ein überstürztes, forcirtes Handeln möchte leicht, statt des vermeintlichen Gewinnes theilhaft zu werden, neuen Schaden zu dem alten fügen. Der jetzige leitende englische Staatsmann hat deshalb auch mit der Entwickelung seines Negierungsprogramms so wenig Eile, daß er damit bis zum Zusammentritt des Parlaments im Februar k. I. warten zu wollen er klären läßt. Natürlich wird die englische Politik in der Zwischenzeit nicht die Hände müßig in den Schooß legen, sie wird im Gegentheil sehr thätig sein, um eine brauchbare Basis für ihre späteren Operationen zu schaffen, aber von der Inscenirung einer Action in großem Stil ist, wenn nicht unvorhergesehene Ereignisse eintreten, vorerst keine Rede. Und das um so mehr, als die schweben den Fragen der internationalen Politik im europäischen und pacisischen Orient und an anderen Orten, wenn auch nichts weniger denn belanglos, doch für den Augenblick nicht so brennend sind, um das englische Cabinet zu einer unmittelbaren Stellungnahme von principieller Tragweite zu nöthigen. Dem giebt auch die Thronrede mit der Versicherung Ausdruck, daß „keine internationalen Verwickelungen irgendwo entstanden sind, welche dazu angethan wären, den europäischen Frieden zu gefährden". Wir nehmen mit um so größerer Be friedigung von dieser Erklärung Act, als sie der gegenwärtigen Weltlage thatsächlich entspricht. Allerdings hatten sich in den letzten Wochen über dem Balkan bedenklich aussehende Ge Witterwolken zusammengezogen, die, wenn sie sich entladen hätten, nicht nur für den Osten Europas hätten verhängniß- voll werden können. Aber Dank der unverkennbar auf die Erhaltung des Friedens gerichteten Politik Franz Ioseph'S sowohl, wie Nicolau's II., an deren Betonung es beiderseits gerade in den letzten Tagen nicht gefehlt hat, braucht man sich heute kaum noch einer ernstlichen Besorgniß hinzugeben Auch die übrigen Signatarmächte deS Berliner Ver> trags scheinen ebenso wie Oesterreich-Ungarn entschlossen. Rußland bei der Ausnutzung der ihm in diesem Abkommen gewährleisteten Vortheile betreffs Bulgariens keinerlei Schwierigkeiten in den Weg zu legen, und so wüßten wir nicht, aus welchem Grunde die Orientfrage sich gegenwärtig bedrohlich gestalten sollte. Dies würde nur geschehen, wenn Rußland die Absicht zeigte, über den Artikel 3 des genannten Vertrages hinaus „seinen Einfluß auf dem Balkan geltend zu machen". Die schwächste Stelle der Thronrede ist die Erwähnung des Interventionsversuchs Englands im ost asiatischen Krieg. Die Action, welche „zur Beendigung der Feindseligkeiten günstig erschien", war bekanntlich völlig erfolglos, da sie noch inter arm» geschehen sollte und keine der anzerufenen Mächte Lust zeigte, an einem solchen Schritte sich zu betheiligen. In Betreff der grausamen Vergewalti gungen christlicher Missionare in China erfahren wir, daß es bis jetzt nur zu ernsten Vorstellungen der englischen Re gierung und zu Versprechungen seitens der chinesischen gekommen «st. Zu einem energischen Vorgehen, event. in Gemeinschaft mit den übrigen Mächten, scheint man in England, alter Tradition getreu, leider auch heute noch nicht entschlossen. Die chinesischen Versprechungen werden nicht gehalten werden, und es wird Alles beim Alten bleiben. Man weiß in Peking nur zu gut, daß England China ven Pelz einmal waschen, denselben aber doch nicht naß machen möchte. Auch Lord Salisbury's Aeuße- rungen zu dieser Angelegenheit in der Adreßdebatte des Oberhauses, „die Regierung habe allen Grund, zu glauben, daß die chinesische Regierung entschlossen sei, die Schuldigen zu trafen", klingt sehr wenig versprechend. Um so energischer ist die Interpretation, welche der Premierminister der Bezug nahme der Thronrede auf die Verhältnisse in Arinenien giebt. Schlägt hier die Letztere schon einen kräftigeren, dringlichen, ja ungeduldigen Ton an, so läßt Lord Salisbury in der Adreßdebatte keinen Zweifel darüber, daß er der armenischen Frage gegebenenfalls hart auf den Leib zu rücken entschlossen ist. Das Cabinet, so führte er, wie uns tele graphisch gemeldet wird, aus, habe in dieser Beziehung die Politik seiner Vorgänger zu der seiuigen gemacht und sei in gleicher Weise bemüht, wie jene es waren, wenn es auch glaube, daß gegenwärtig keine Ge währ vorliege, daß die Gewalttaten in Arinenien sich wiederholen. Der Sultan habe den Vorschlägen der Mächte noch nicht beigestimmt, England habe aber die Versicherung der loyalen Unterstützung Rußlands und Frankreichs für seine Bemühungen. Der Sultan wisse, daß keine Regierung mehr als die englische wünsche, das ottomanische Reich aufrecht zu halten, der Sultan würde aber einen ernsten Irrtbum begehen, wenn er, um eine rein formelle Unabhängigkeit aufrecht zu erhalten und um sich möglichen Vergewaltigungen seiner nominellen Prärogative zu widersetzen, sich weigerte, die Hilfe der europäischen Mächte anzunehmen und auf deren Rathschläge zu hören, um in seinen Ländern Anarchie und Grausamkeiten auszurotten, die kein Vertrag und keine Theilnahme verhindern würden, verhängnißvoll zu sein. Das ist eine ziemlich ernste Sprache, welche erkennen läßt, daß gegenwärtig eine festere Hand das Steuer der aus wärtigen Politik Englands lenkt. Eben so unerwartet, wie die Abkanzlung, welche der französische „Gaulois" dem „Standard" wegen seines be kannten Artikels über Kaiser Wilhelm zu Theil werden ließ, kommt die der russischen „No wo je Wrem ja" in der gleichen Richtung. DaS Blatt macht Lord Salisbury für die Un verschämtheit des genannten Blattes direct verantwortlich und sagt u. A.: Den jungen deutschen Kaiser so zu apo- strophiren, wie das Organ Salisbury's es gethan, zeuge wahrlich nicht von hoher politischer Begabung des Premiers. Statt den Enkel der Königin freundlich zu begrüßen, habe er ihn geradezu grob empfangen, gerade wie ein Lehrer seinen Schüler, dem der Kopf gewaschen werden «nüsse. Dann fährt das leitende russische Blatt fort: „Wir müssen gestehen, daß uns das mit der Reputation tiefer diplo matischer Weisheit und politischer Weitsichtigkeit, welche Lord Salisbury genießt, durchaus nicht vereinbar erscheint. WilhelmII. ist keiner von den Herrschern, welche die ihnen gegebenen Lehren großmiithig anhören, wie hoch die ungebetenen Lehrer in der öffentlichen Meinung Europas auch ständen. Ter Mann, der es nicht zulietz, daß ein solcher politischer Gigant, wie Fürst Bismarck cs noch vor einigen Jahren war, auf seinen Person- liehen Willen Einfluß ausübe, wird es natürlich nicht für nothwendig halten, den Rathschlägen eines Lord Salisbury Gehör zu geben, zumal Rathschlägen, die nicht unter vier Augen, sondern im Angesichte ganz Europas in der Gestalt eines einfachen Zeitungsartikels gegeben worden. In der auswärtigen Politik des jetzigen deutschen Herrschers ist der Widerstand gegen England auf dem Boden der Colonialpolitik einer der höchsten Trümpfe." Mit einer gewinnenden 81 FruiUetsn. Der sechste Zinn. Novelle von Wolde mar Urban. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) „Was stickst Du denn da?" fragte er, die Zeichen mit größtem Interesse betrachtend, als ob es sich um eine alte bevralende Handschrift gehandelt hätte. „Sag' doch, Max, er war wohl tüchtig zornig, als er es erfuhr, wie? Er hat gewiß recht auf mich raisonuirt. Hat er nicht gesagt, ich sei lieblos, herzlos, kokett und dergleichen? Was sagte er denn?" „Das sieht doch beinahe aus wie ein 9", fuhr der Bruder fort, mit verstockter Aufmerksamkeit die Wäschezeichen be trachtend. „Ei nun ja", sagte Fräulein Doris ungeduldig, „ein 8 oder sonst was. Was sagte er denn, Max?" „Und das ist ein v, daS sieht man klar." „Herr meines Lebens, sollte man doch meinen, Du wärest wieder ein Abc-Schütze geworden, v. 8. Doris Saegebühl, heißt es. Ich wollte mir einen Stempel machen lassen mit: Frau Actuar Doris Saegebühl. Aber Adolar sagte, ich solle doch damit warten, bis er Amtsrichter würde. Da- sehe dann bester aus. So! Nun weißt Du die ganze Pastete. Nun erzähl' aber auch, was Alex sagte, als er meine Ver lobuna erfuhr." „Von Weitem sieht daS 8. beinahe aus wie ein I.." Jetzt wurde aber Fräulein Doris ernstlich böse. Sie warf mit einer heftigen Bewegung den ganzen Stickkram bei Seite und sagte: „Ei, so mag'S meinethalben rin tz sein. Max, ich will wissen, was Vetter Lasten gesagt hat." Fräulein Doris hatte keine Idee davon, daß sie das Opfer einer — Necognoscirung sei, sonst würde sie wohl behutsamer gewesen sein. Max stand auf. Er schien plötzlich sehr ernst geworden zu sein, trat langsam an'S Fenster und schaute ruhig, fast theilnahmSlos hinaus. Dann sagte er nach einer auffallenden Pause halblaut und jede« Wort betonend: „Doris, — Du hast ihm sehr web gethan." Fräulein Doris schien zu einer heftigen Rede auSholen zu wollen, als plötzlich ihre Mutter in'S Zimmer trat und dem Gespräch ein Ende machte. „Max", sagte Frau Horn, „der Vater hat den Brief von Vetter Lassen gelesen." „Nun, und was sagte er dazu?" fragte ihr Sohn begierig, als ob auch ibm nicht daran gelegen gewesen wäre, das ver fängliche Gespräch mit seiner Schwester fortzusetzen. „Er sagte, es sei ein sehr respektvoller und eines jungen verständigen Mannes sehr würdiger Brief, und er sei erfreut darüber. Ueberreugt habe er ihn aber nicht. Wenn er Euch Beide wirklich für unschuldig halten solle, so müßte er den Beweis haben, wer den Besen in das Futteral practicirt habe." „Komm Mutter, wir wollen mit ihm reden. Auf dieser Basis läßt sich unterhandeln, komm." Im Begriff, das Zimmer seiner Schwester zu verlassen, hörte er, w«e diese laut und aufgeregt rief: „Maxi" „Doris?" fragte er zurück und wartete ziemlich demon strativ, daß diese sich äußern solle. „Wolltest Du noch etwas sagen, Doris?" fragte er noch mals langsam und deutlich, als seine Schwester schwieg und verlegen mit ihrer Wäsche hantirte. „Ich — ich wollte Dich bitten, doch noch einmal herauf zukommen, ehe Du wieder fortreitest." „Aber, liebe Doris, ich habe so wenig Zeit. Du weißt doch, daß der Vater jetzt sehr streng mit mir ist. Ich muß unbedingt mit dem letzten Zug heute Abend noch nach Heidel berg und ich habe noch nichts gepackt." „Ei was, auf zwei Minuten wird'S nicht ankommen." „Gewiß nicht, aber versprechen kann ich nichts." Damit ging er fort, in der festen Absicht, bis auf Weiteres jedes Alleinsein mit seiner Schwester zu vermeiden, weil er der Ansicht war, daß nur «in kleiner Zug ein halbverlöschtes Feuer anfache, ein starker Wind es aber ausblase. Als er bei seinem Vater eiutrat, hielt es dieser seiner Würde und der Situation entsprechend, die gewaltige Denker stirn in düstere Falten zu legen. „Hm, Max", begann er, offenbar zu einer längeren Rede ausholend, „ich muß mich sehr wundern. Dich trotz meines Briefes an Dich noch hier zu sehen, da ich durchaus nicht erwartet hätte, meinen Anordnungen in Bezug auf Dich nachlässig begegnet zu sehen." „Lieber Vater", unterbrach ihn der junge Mann, „eS ist davon durchaus nicht die Rede. Ich bin sozusagen schon auf dem Sprunge, nach Heidelberg abzureisen und werde ebenfalls heute oder morgen abreisen, wenn Du «nick nicht ausdrücklich veranlassest, meine Abreise aufzuschieben. Selbst verständlich konnte ich aber nicht fortgehen, ohne persönlich gegen den Verdacht Verwahrung einzulegen, in dem Du mich und Vetter Alex hast." „Nun, ich glaube gern, daß Euch Beiden jetzt der Streich, den Ihr mir gespielt habt, leid thut, wenn Du aber denkst, daß Du ihn durch eine, wenn auch noch so gewichtige Be- theuerung von Dir abschütteln kannst, so irrst Du Dich ge waltig. ES ist zu sehr Deine Heidelberger Schule, die daraus spricht, als daß rnan nicht von Deiner Mitwirkung überzeugt fein follte." „Aber —" „Thu' mir den Gefallen, Max, und laß die ebenso nutz losen wie thörichten Redensarten. So lange Du mir nicht klar beweisen kannst, daß Du unschuldig daran bist, wird mich nichts davon überzeugen", sagte Herr Horn mit einer unerschütterlichen Grandezza. Max zuckte in einer rührenden HilfSlosigkeit die Achseln und sagte dann mit einer Geschmeidigkeit, die selbst seinem Vater neu und überraschend war: „Ich muß mir das gefallen lassen. Du wirst doch ein- sehen, Vater, daß ich darauf verzichten muß, irgend etwas zu ermitteln, was mich entlasten könnte." „Es ist gar nicht nöthig, irgend etwas zu ermitteln, was so klar vorliegt", entgegnete sein Vater mit über legener Ruhe. „Ich muß mir auch gefallen lassen", fuhr Max unbeirrt, wie mit einem festen Ziel vor Augen, fort, „daß Du mich in einer Weise von Doberan fortschickst, daß man glauben könnte, ich habe gestohlen oder Gott weiß was Schändliches verübt." „Warum nicht gar." „Ich glaube Dir schon, daß Du daran nicht gedacht und daS nicht beabsichtigt hast, aber da- schützt mich nicht vor einer üblen Nachrede. Daß eine solche nicht ausbleiben kann, liegt auf der Hand, denn man wechselt heutzutage seinen Aufenthalt nicht wie man etwa Schuhe oder Strümpfe wechselt." Frau Horn hatte bisher still zugehört und kein Auge von ihrem Strickstrumpf verwandt. Hier konnte sie sich aber nicht enthalten, dazwischen zu werfen: „Max hat Recht. Hörnchen, und ich sollte doch auch meinen, daß eS auf ein paar Tage früher oder später nicht ankäme. Es sieht doch nicht gut aus, so plötzlich von Doberan fortzulaufen." Das „Hörnchen" empörte den gewaltigen Mann, als wenn ihm die ärgste Beleidigung ins Gesicht geschleudert worden wäre. Indessen bewahrte er mit vieler Würde seine äußere Ruhe; nur an seiner Stimme hörte Max, daß die Mutter ihm diesmal bester gedient haben würde, wenn sie geschwiegen hätte. „Hm — wenn man glaubt, daß ich mich von den schein heiligen Armensündermienen und von der reuigen Gefügigkeit in meinen Willen bestechen lasse und in einen längeren Aufent halt auf Doberan willige, so irrt man sich sehr. Ich durch schaue das Manöver wohl. Man hat eingesehen, daß man mit dem Kopf nicht durch die Wand kommt, und nun will man um die Wand herumgeben. Du siehst, Max, Deine Schlauheit ist vergebens, mir gegenüber jedenfalls vergebens. Es bleibt ein für alle Mal bei dem, was «ch geschrieben habe." „Aber" — fuhr Frau Horn entrüstet auf. Indessen Max hielt es für gut, sie mit einem Blick verstummen zu lassen, indem er sie gleichzeitig unterbrach. „Gewiß, Vater, eS wird dabei bleiben, wenn Du nicht selbst für gut hältst, Abänderungen zu treffen. Ich bin hier, um Abschied zu nehmen, und" — er machte hier eine kleine Kunstpause, nach der er mit einem niedergeschlagenen seuf zenden Ton fortfuhr — „ich hätte nicht geglaubt, gerade bei Dir einem so kränkenden Mißtrauen zu begegnen. Adieu." Damit wandte er sich zu seiner Mutter, küßte sie zärtlich und sagte: „Adieu, Mutter. Ich weiß, daß ich Viel gut zu machen habe und ich will Vieles gut machen. DaS aber habe ich nicht verdient." Frau Horn gerieth selbstverständlich bei einem so rührenden Abschied ihres Jungen in eine gelinde Verzweif lung, und kaum hatte Max in einer traurigen nieder geschlagenen Langsamkeit da- Zimmer verlassen, als der Sturm ihrer mütterlichen Gefühle losbrach. „Siehst Du, da hast DuS! Du wirst den Junge» mit Deiner ewigen Prahlhanserei noch zur Verzweiflung bringe». Du wirst noch einen Duckmäuser aus ihm machen, der seiner Lebtag kein gesundes, fröhliches Lachen mehr über die Lippen bringt. Max ist kein kleiner Junge mehr, und wenn Du ihn tyrannisirst, so wirst Du unfern« einzigen Sohne daS Leben verbittern, ohne ihm etwas zu nützen. Oh, ich arme un glückliche Frau!" j Nun kamen die Thränen, diese fürchterliche Waffe der
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