Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.08.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-08-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950824029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895082402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895082402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-08
- Tag1895-08-24
- Monat1895-08
- Jahr1895
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-PreiS kn der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Bororten errichteten AoS- ualestellen abgeholl: vierteljährlich-64.50, ket zweimaliger täglicher Zustellung in« Hau» 5.50. Durch dir Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertel,ährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandlendung in« Au-Iand: monatlich 7.50 Die Morgrn-Rusgob« erscheint täglich mit Au«, nähme nach Sonn, und Festtagen '/,? Uhr, die Abend-Au-gabe Wochentag« 5 Uhr. LeLaction und Lrpe-itio«: I«hanneS«»fie 8. Dir Expedition ist Wochentag« nnunterbrocha» ««öffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Filialen: Ott« »le««'» Sortim. (Alfred Hahn). UniversitätSstratze 1, LontS Lösche. Katharinrnstr. 14, part. und König-Platz 7. Abend-Ausgabe. WWMIagMM Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- «nd Geschäftsverkehr. Mrizeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Rrclam.a unter dem Redactionsstrich <4 ge spalten) 50-4» vor den Familiennachrichtea (k gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis« derzeichniß. Tabellarischer und Zisfernsatz nach höherem Tarif. Extra-Veilagkn (gefalzt), nur mit der Morgen »Ausgabe, ohne Postbefördekima ^4 60.—, mit Postbeförderuug 70.- Annnhmeschluß für Anzeigen: (nur Wochentag«) Abrnd.AuSgabe: Vormittag« 10 Uhr. Margen»Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen »nd Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anjtigr« sind stets an di« Expcditi«a zu richten. Druck und Verlag von E. Polz kn Leipzig. W. Sonnabend dm 24. August- 1895. 89. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig. 24. August. Morgen beginnen in der bayerischen Hauptstadt die Ver handlungen de« diesjährigen Katholikentages. Lange Jahre hindurch ist der Wunsch, den Katholikentag wieder einmal in München abhalten zu dürfen, an der Abneigung der bayerischen Regierungskreise gescheitert, und so kann man sich denken, daß schon die Thatsache, nun doch einmal in München tagen zu dürfen, als ein Triumph der katholischen Sache, will sagen, der Sache des Centrums, angesehen wird. Werden sich diesem Triumphe andere anschließen? Wir glauben es nicht. Das Programm der Berathungen wird zwar so lange als möglich geheim gehalten, aber Werth und Inhalt der Reden dürften etwa den spöttischen Vermuthungen entsprechen, die der grobe, jedoch manchmal sehr glücklich charakterisirende Vr. Sigl vor einigen Tagen in seinem „Vaterland" ausgesprochen hat. vr. Sigl meinte, man werde zum hundertsten Male die „moderne Schule" verdammen. Er dürfte mit dieser Vermuthung Recht haben. Man muß zwar gerade in diesem Jahre dankbar der modernen Schule gedenken, der die treffliche Ausbildung unserer Officiere und Mannschaften in Sprachen, Geographie und anderen sehr nützlichen Kenntnissen im Jahre 1870 zu verdanken war, und die darum ein nicht geringer Factor des glorreichen Sieges war — aber das ficht das Centrum nicht an. vr. Sigl meint ferner, daß man zum hundertsten Male die Rückgabe des Kirchenstaats an den Papst verlangen würde; er dürste auch mit dieser Vermuthung Recht haben. Zwar feiern die Italiener gerade in diesem Jahre das Jubiläum der endlichen Einigung ihres Reichs; zwar sind dieselben Italiener unsere treuen Freunde und Bundesgenossen, deren nationale Feiern auch bei uns einen Widerhall finden — aber das sicht das Centrum nicht an. vr. Sigl meint weiter, man werde zum hundertsten Male den Gläubigen auf die Seele binden, doch ja nur die „gute Presse" zu unterstützen; er dürfte auch mit dieser Vermuthung Recht haben. Zwar giebt diese „gute Presse" den Lesern ein Minimum an Wahrheit und ein Maximum an Verdächtigung; zwar giebt sie ihnen ein Minimum an ernster Belehrung und ein Maximum an Aufreizung und confessionellcm Gezänk, indem sie immer wieder die „Paritätsfrage" aufrührt und sich anstellt, als würden die Katho liken in Deutschland als minderwerthige Bürger behandelt; — aber das sicht das Centrum nicht an. vr. Sigl meint endlich, daß man wieder die schöne Phrase Vorbringen werde: „Katholisch ist Trumpf"; darin dürfte er aber nicht Recht babcn. Denn wenn man mit der Wahrheit nicht gar zu kühn umspringen will, so hat man Grund, in München den Mund nicht zu voll zu nehmen. Neben den endlosen Blamagen und Enttäuschungen, die sich das Centrum in diesem Winter zugezogen hat, ist die Erhebung des Herrn von Buol zur Würde des Reichstagspräsidenten doch nur ein schwacher Trost, um so mehr, als ja leider das Anseben des Parlaments und damit auch die Werthung der Präsi- dentenwürde nicht unerheblich gelitten haben. Und die heftiger als je entbrannten Streitigkeiten innerhalb der Partei lassen das Feldgeschrei „Katholisch ist Trumpf" gerade jetzt als un zeitgemäß erscheinen. Die in Gelsenkirchen erscheinende socialdemokratische „Deutsche Berg- und Hüttenarbeiter-Zeitung" schreibt zum Essener Meineidsproceß: „Verhänqnißvoll sind die Würfel gefallen. Wenn auch der Weg zur Revision des Uriheils noch offen steht, so sind unsere Freunde für die nächste Zeit doch dem Leben entrissen. Sollen wir nun gleich Schwachmütigen klagen? Unsere Gegner werden Iriumphiren über den „Schlag". Sie bereiten sich schon vor zu dein Leichenschmaus bei dem „Begräbniß" unsere- Verbandes. Werden wir ihnen den Gefallen thun, nunmehr den Kampf um unsere Existenz aufzugeben? Nein, tausendmal nein! Sind auch der Opfer viele, die da fallen, sie düngen nur die Saat. Unsere Bewegung steht und fällt nicht mit einzelnen Personen. Wenn auch der Verlust schmerzlich ist. — Aufschlüßen! heißt die Parole. Die Reihen rücken nur fester zusnmmen. An die Stelle der Gefallenen treten andere, dir in dem gleichen Geiste wirken. Keine Bewegung kann sich mit der unsrigen an Selbstständigkeit messen. Wir sind keine Schäflein, denen bei dem Stürzen des Führers das Ziel verloren geht. Je mehr Hindernisse zu überwinden sind, je ehren voller der Sieg. Darum Freunde und Kameraden: Vorwärts unbeirrt! Immer treu und feit zu der Organisation. Schasst neue Streiter, daß die Reihen dichter werden. Agitirt in Schacht und Hütte für Eure Vereinigung. Der Boden ist gut vorbereitet — sorgt, daß die Saat bald und reichlich aufgeht." „Neue Streiter" thun dem Verbände deutscher Berg- und üttenarbeiter in der Thal bitterlich notb. DaS lehrt der ericht des Verbandes, besten Generalversammlung morgen in Bochum tagt. Der Bericht zeigt, daß diese einst so mächtige Vereinigung nur ein Schatten ihrer früheren Größe ist und daß die Auslösung trotz aller Prahlereien Wohl nicht mehr lange aus üch warten lassen wird. Der Bericht umfaßt die Zeit vom 21. October 1894 bis 31. Juli 1895, also einen Zeitraum von 9 Monaten. In demselben betrug die Gesammt-Einnahme nur 11 796 ihr steht eine Gesammtausgabe von 14 765 ^ gegenüber: es ist also ein Deficit von 2968 ^ vorhanden. Ber der letzten Vermögensaufstellung vom October 1894 soll noch ein Vermögen von 22 000 vorhanden gewesen sein; 16 000-L, die dem öfter erwähnten Consum-Verein geliehen wurden, sind verloren, heute verfügt der Verband, wie er selbst angiebt, nur noch über ein Vermögen von 3777,60 ^ Fast überall ist ein Rückgang der Beiträge zu verzeichnen. Die Organisation ist vollständig gelockert, der Anfang vom Ende ist da. Alle internationalen Congreste haben nicht vermocht, den Zerfall aufzuhalten, alle Agitationsreisen des Leiters der General streikcommission, des Abgeordneten Legien, waren vergebens. Aus dem großen Agitationsapparat der Socialdemokraten ist ein Rad ausgebrochen: über vie Knappen hat die Social demokratie die Herrschaft verloren; sie ist um eine Niederlage reicher geworden, die um so empfindlicher ist, weil die Partei in den letzten Jahren große Summen geopfert hat, um sie fernzuhalten. Ein srauziisischer General leistet sich in einer Zuschrift an den „Figaro" folgende unerhörte Beleivigung deutscher Officiersehre. Die Zuschrift lautet: Geehrter Herr! Gestatten Sie einem der ältesten Abonnenten des „Figaro", die Direction zu dem Artikel „Die Jahrestage" zu beglückwünschen, der den feurigsten Patriotismus athmet, indem er dennoch unsern Feinden gegenüber die vollste Schicklichkeit bewahrt. Es liegt mir daran, dem Circular des Herrn von Chaudordy» einem officiellen und urkundlichen Aktenstück, ein Detail hinzuznfügrn, das meine Familie persönlich betrifft und eine Idee von der ritterlichen „Freiheit" der deutschen Officiere giebt. Die Scene hat sich in Lothringen während des schrecklichen Jahres zugetragen, in diesem Departement der Maas, das durchschritten und wieder durchschritten, geplündert und wieder geplündert wurde durch diese Diebesbanden (danäes äs voleurs), die vom Großen Hauptquartier ihre Instructionen erhielten. (!!! Ein höherer Officier von großem Auftreten kommt mit seiner Truppe in einem der wichtigsten Flecken des Maas- thales an, installirt sich von Amtswegen bei einem Guts besitzer, Edelmann, früherem Cavallerie-Officier, der ihn mit großer Höflichkeit empfängt und sein ganzes Haus zu seiner Vrr- fügung stellt. Ter Kriegsknecht (souäarä) erstaunt, als er die Schränke verschlossen sieht, und bemerkt hochmüthig zu seinem Wirth: „Halten Sie mich denn für einen Dieb?" — Keineswegs, der Gedanke liegt mir fern, antwortet der Schloßherr, den wir Herrn v. B. nennen wollen. Wir haben die Gewohnheit, unsere Schränke zu verschließen, um der indiScreten Neugier unserer Dienstboten vor- ubeugen. — „Sie haben nichts Aehnliches von meiner Seite zu «fürchten, wir wissen Hab und Gut unseres Nächsten zu achten." Am andern Morgen, nach dem Abzug seiner Einquartierung, be sichtigt der Eigenthümer feine Schränke und constalirt das Ver schwinden von Wäsche und Schmucksachen, u. A. einer Hemden-Garnitur von großem Werth, die dem deutschen Officier gefallen haben muß. Was kann man dieser Er zählung hinzufügen? Höchstens, daß die Thatsache nicht ver einzelt dasteht. General Munter. Dieser Brief ist eine Infamie sondergleichen, da der Ver fasser desselben — nachdem er sich fünfundzwanzig Jahre Zeit gelaffen — sich in ganz allgemeinen unbestimmten Beschul digungen ergeht, ohne den Namen des deutschen Officiers zu nennen und genau anzugeben, wo und wann der angebliche Diebstahl geschehen ist; er ist eine um so größere Infamie, wenn eS sich Herausstellen sollte, daß der Beschuldigte nicht mehr am Leben ist und sich darum nicht mehr vertheidigen kann. Lebt der Officier noch, so wird er sich selber volle Genugthuung zu verschaffen wissen. Aber ganz unabhängig davon wird eS Sache der deutschen Regierung sein, sich deS Falles zu be mächtigen, denn nicht ein einzelner Officier, sondern daS gesammte deutsche Officiercorps ist durch den Brief, der sich gegen dasselbe Ausdrücke wie „Diebesbande" bedient, auf das Allerschwerste beleidigt. Wäre die Anklage eine Privatleistung des „Figaro", so würden wir dieselbe kaum der Erwähnung Werth gehalten haben, denn das deutsche Officiercorps und seine bisher fleckenlos bewahrte Ehre steht viel zu hoch, als daß ein Blatt wie der charakterlose, unzu rechnungsfähige und im Ausland alles Ansehens bare Pariser „Figaro" dasselbe beleidigen könnte. So aber ist es ein französischer General, der mit eigener Namens unterschrift die Ritterlichkeit der deutschen Officiere zu verdächtigen wagt. Das hindert uns und muß die deutsche Regierung hindern, die Sache einfach zu übersehen. Die von unS im gestrigen Abendblatt mitgetheilte Er klärung deS ersten SchatzlordS Balfour im englischen Unterbause, betreffend die internationalen Umlaufs mittel, ist ein schwerer Schlag für die Anbänger des Bimetallismus. Balfour ist das politische Haupt der Silberleute in Englanv. Wie oft haben uns die deutschen Doppelwährungsfanatiker versichert, wenn ein Balfour wieder au die Regierung käme, dann sei ein Einschwenken des englischen Cabinets zur internationalen Doppel währung sicher. Und als die Wahlen die imposante Tory-Mehrheit ergaben und Balfour ein hohes Amt er hielt, da war der Jubel der deutschen Bimetallisten groß, und jeder, der nicht an die baldige Verwirklichung ihrer Prophezeiungen glaubte, wurde verhöhnt und be schimpft als thöricht oder gewissenlos. Und nun kommt die kalte Douche aus ihre Häupter: „Ich habe keinen Grund", erklärt Balfour, „zu glauben, daß gegenwärtig eine internationale Conferenz zu einem internatio nalen Einvernehmen führen werde." Und was dieser Kundgebung noch ein besonderes Gewicht giebt, ist die Thatsache, daß ein erklärter Silbermann, der sich seines Standpunctes noch rühmt, im Namen der Regierung diese Erklärung abgegeben hat. England will also auch unter einem Torycabinet nichts von einem Verlassen der Gold währung wissen, und es sagt rund bcrauS, es verspreche sich von der internationalen Conferenz, die vom deutschen Reichs kanzler als Möglichkeit in Aussicht gestellt worden ist, nicht daS Mindeste. Schon diese Erklärung erschwert die Aussichten auf das Zustandekommen einer solchen Conferenz erheblich. Weiter verläuft aber auch nach allen Berichten in den Vereinigten Staaten von Nordamerika die Hochfluth des Silberfanatismus allmählich. DaS Ent scheidende ist, wie der „Hamb. Corresp." richtig hervorhebt, daß auch in den deutschen Einzelstaaten der Vorschlag einer WährungSconferenz vielfach nur gleichgiltig oder sogar direct ablehnend beantwortet worden ist. Unter diesen Umständen bat die Reichsregierung vollauf Grund zu der Erklärung, die Anfragen, ob die Einberufung einer internationalen Wäh- rungSconserenz räthlich und wünschenswertb erscheine, hätten weder in Deutschland selbst, noch bei den betheiligten fremden Staaten ein Ergebniß gehabt, das für eine solche Conferenz irgendwie günstige Chancen beständen. DaS deutsche Reich darf aber die anderen Mächte nicht zu einer Besprechung einladen, von der u priori feststebt, daß sie ausgeht „wie das Hornberger Schießen" — das entspricht nicht seiner Würde und Machtstellung. - In Bulgarien ist die Devise der „leitenden" Männer: „Heute so, morgen so". Man lese Folgendes: Der Correspondent der „Frkft. Ztg." in Belgrad erhielt Einblick in einen von Sofia abgesandtcn Situationsbericht eines dortigen Generalkonsuls und diplomatischen Agenten. In dem Bericht heißt es, daß in den Ansichten des Fürsten Ferdinand sich seit einigen Tagen eine bedeutendeWandlung vollzogen habe. Der Drang, sich mit Rußland um jeden Preis zu verständigen, sei einer kühleren Auffassung gewichen. Die Frage der Aussöhnung werde zwar noch im Palais erörtert, doch geschehe dies schon in bedeutend gedämpfterer und zurückhaltenderer Weise. Die Sinnes änderung des Fürsten Ferdinand sei entstanden durch milita irische Kreise, die mit großer Aktivität durch die mancherlei Canäle, die sie mit dem Palast verbinden, gegen eine Aussöhnung mit Rußland, wie sie von dem Metropoliten Clement gedacht ist, arbeiteten. Tie dem Fürsten Ferdinand ergebenen Kreise hielten ihm offen die Lockerung seiner eigenen Politik, die sich aus der Aussöhnung mit Rußland ergeben müßte, vor. Weiter heißt cs in dem Bericht, die Berufung eines rein ruffensremivlicheii Cabinets oder selbst eines Cabinets mit Clement an der Spitze gelle als nicht ausführbar, weil der Fürst gezwungen sei, der Stimmung in der Armee Rechnung zu tragen. Ebenso gelte die jüntzst viel besprochene Convertirung des Prinzen Boris für mehr als zweifelhaft. Sowohl die gesammte Familie Parma, wie die Prin zessin Clementine, lehnten sich hiergegen auf. Besonders letztere habe sich drastisch dagegen geäußert. Der Bericht stellt weiter fest, daß Fürst Ferdinand am liebsten Contredampf geben möchte, daß aber daran gezweiselt werde, ob er noch Kraft hierzu habe. Wir zweifeln keinen Augenblick an der Autbenticität der Informationen des Frankfurter Blattes, bestätigen sie dock in augenfälliger Weise, waS wir erst letzter Tage schrieben, daß nämlich Prinz Ferdinand die Trauben der russischen Freundschaft wieder einmal etwas theuer und dabei sehr sauer gefunden hat und nun sich den Anschein geben möchte, als hätte er sie nie begehrt. Zu Statten kommt ihm dabei der Umstand, daß die ruffenfreundliche Stimmung im Lande erheblich nachläßt und die Nationalpartei, die namentlich in der Armee, speciell im Officiercorps, zahlreiche Anhänger bat, zu erstarken beginnt. Jetzt suchen der Prinz und seine Re gierung Anlehnung an diese, und sie werden sie finden, wenn sie alle russischen Illusionen, was wir allerdings noch stark bezweifeln, dauernd über Bord werfen. Die Nationalpartei erfreut sich bereits der Protection des officiösen Sofianer Preßbureaus, und die interessante Frage ist nur die, ob die Ruffophilen und ihr Führer Clement sich mit der Rolle stummer Resignation begnügen werden. Ueber die Ursachen, die der Absenkung des Strafzuges in das Hinterland von Mombasa (Britisch Ostasrika) zu Grunde liegen, giebt vr. Douglas Hooper, der jüngst aus jener Gegend nach Europa zurückgekehrt ist, die folgenden Aufschlüsse: „Da« Aufstandsgebiet, dessen Mittelpunkt Taksungu ist, liegt zwischen Melinda und Mombasa, mit einem Hinterland von 20 englischen Meilen. Es war früher von der Ostastika-Gesellschast besetzt und wurde dann von England übernommen und von Zanzibar aus verwaltet. Der Kampf tobt zwischen einer Anzahl mächtiger FriitHetsir. In der Fabrik. 3j Erzählung von W. v. d. Mühle. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) „Geben Sie sich keine Mühe", rief ihm Paulsen nach und setzte sich dann wieder an seinen Arbeitstisch. Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, sein Patent zu verkaufen. Brachten die Messermaschinen bisher auch noch keinen großen Vortheil, so gab ihr Bau seiner Fabrik doch ein bedeutendes Ansehen, und die Noth zwang ihn ja Gott sei Dank nicht, ein Geschäft zu machen, daß nur seinem Geldbeutel zu Statten gekommen wäre. Allerdings lagen schwere Tage hinter ihm, aber durch den Verkauf der Fabrik in Brasilien hatten sich neue Hülfsquellen erschlossen, und dann versprach er sich auch großen Vortheil von dem Bau einer Blocksäge, zu der sein erster Ingenieur, der rothe Ruprecht, die Zeichnungen geliefert hatte. Er hoffte mit dieser Säge, die nach einem ganz neuen Verfahren construirt war, d,e englische Concurrenz zu be siegen, und wollte die Säge demnächst zum Patent anmelden. Während er über den Zeichnungen zu derselben saß und rechnete, war in dem Zeichensaal der Fabrik von dem gleichen Gegenstand vie Rede. Levison konnte es sich selten versagen, daS HauS zu ver lassen, ohne noch einen kleinen Besuch im Zeichensaal gemacht zu Haben, so oft ihm hier auch auf mehr oder minder höfliche Weise die Thür gewiesen wurde. Jetzt stano er an dem Pult des rothen Ruprecht und fragte dreist: „Was ist denn das für eine Zeichnung, an der Sie arbeiten?" „DaS sind die Kurven, die die Ratten und Mäuse auf unserem Modellboden beschreiben. Lieben Sie vielleicht diese niedlichen Thierchen, Herr Levison?" „Der Himmel soll mich bewahren vor ihnen", rief der elegante Herr mit einem afsectirten Schauder. „Ich liebe sie sebr", meinte der Rothe phlegmatisch, „und wenn Sie vielleicht Jens drüben an seinem Pult einen Besuch abstatten wollen, der hält sich in der Schieblade eine ganze Colonie." Ein dumpfer Ton, ähnlich dem Brummen eines Bären, der in seiner Ruhe gestört wird, drang aus der Ecke, wo JenS'Pult stand; es war die einzige Antwort, die der lange, magere Schwede bei den Neckereien seiner Gefährten zu er- theilen pflegte. JenS war trotz seiner 34 Jahre so harmlos und gut- müthig wie ein Kind, aber wie ein Kind hatte er auch einen inslinctiven Widerwillen gegen Menschen, deren Liebenswürdig keit ihm nicht aufrichtig schien. Von seinem College» Ruprecht ließ er sich alle Neckereien gefallen. Ließ ihm der Stören fried keine Ruhe, so kam er langsam heran und knuffte den Anderen ein paar Mal in den Rücken; dann zog er sich ebenso schweigend zurück. Obgleich er sich auch jetzt den Anschein gab, als achte er nicht im Geringsten aus das Geräusch um sich herum, so paßte er doch ganz genau auf jedes Wort, daS zwischen seinem Collegen und dem Agenten gewechselt wurde. Levison hatte das Gespräch glücklich wieder auf daS Patent zu lenken gewußt, Ruprecht wurde ärgerlich. „Ich will Ihnen mal was sagen, Herr Levison, wenn sie in der Geschichte Erfolg haben wollten, hätten Sie früher aufstehen müssen, jetzt haben wir Oberwasser. In vier Wochen, vielleicht auch früher, WaS weiß ich, haben wir den Kaufpreis für die Fabrik drüben. Dann bauen wir hier rin Stockwerk auf und vergrößern den Betrieb um das Doppelte. Na, nu wissen Sie eS ;und werden wohl einsehen, daß Herr Paulsen nicht nvthig hat, sich in das bewußte Geschäft mit Ihnen ein- zulaffen." Der kleine Mann veränderte keinen Augenblick den liebens würdigen Ausdruck seines Gesichtes: „Wissen Sie, Herr Ingenieur, ich bin kein arroganter Mann; Gott meiner Väter, das hat mir noch Keiner nachsagen können. Das brasilianische Geld ist gewiß ein schönes Stück Geld, ich wollt' ich yätt's, aber ich meine doch, Ihr Chef hat's auch noch nicht, und darum sollt' er sein vorsichtig und nicht weisen Leute von der^Hand, die er vielleicht noch brauchen kann." „Na, nu hören Sie aber endlich auf! Weiß der Deubel, der Mensch glaubt ja wohl, wir haben den ganzen Tag nicht- zu thun, wie zu schwatzen. Und wenn unS auch die ganze brasilianische Geschichte auS den Händen geht^ so haben wir immer noch ein anderes RettungSmittel. Sehen Sie mal hier! WaS meinen Sie dazu?" Er wies auf di« Zeichnungen, an denen er arbeitete. Ein grunzender Ton drang aus JenS' Ecke, eS war «in WarnungSstgnal für seinen geschwätzigen Gefährten. Ruprecht hörte nichts in seinem Eifer, desto genauer hatte der Agent daS Zeichen vernommen und spitzte nun doppelt die Ohren. „Na, ich seb' schon, Herr Ingenieur; aber wenn ich sagen soll, was daS ist, bin ich ein verlorener Mann." „Dann will ich es Ihnen sagen." Langsam wandte Jens sein kurzgeschorenes, schwarzes Haupt und hustete energisch. Wieder war die Warnung vergeblich. „Also dieses ist eine Zeichnung zu einer neuen Blocksäge, verschiedene von den Blättern hat Herr Paulsen schon drüben in seinem Privatcomptoir. Wenn alle Stricke reißen, ver kaufen wir den Plunder und sind immer noch fein heraus. — Ich habe die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen, Herr Levison." Noch ein langer Blick aus den Augen deS Agenten streifte das weiße Blatt, — dabei bemerkte er genau Zeichen und Ziffer, womit es versehen war, — dann ergriff er seinen spiegelblanken Cylinder und verschwand mjt einer tiefen Verbeugung. Ruprecht wollte eben weiter arbeiten, da störte ihn ein derber Stoß im Rücken in seiner Andacht. Er fuhr herum. „Halloh Jens, sind Sie vom Boxteufel besessen! Wie können Sie einen friedliebenden Menschen so in seiner Ruhe stören?" Der lange Schwede öffnete mehrere Male den Mund, ehe er langsam und nachdrücklich sagte: „Sie sein gewesen sehr dumm, Sie sein ein Schaf." Ein unglaublicher Spectakel folgte seinen Worten. Die jüngeren Herren waren aufgesprungen und drängten sich um das Pult. „JenS, alter Schwede", ries der Eine, „was ist Ihnen denn in die Knochen gefahren? Wie in aller Welt kommen Sie zu solcher Grobheit?" Der rothe Ruprecht starrte seinen Beleidiger fassungslos an. Er wußte zwar, daß Jens, wenn er seinen Gefühlen einmal Luft machte, bei seinem mangelhaften Deutsch nicht sehr wählerisch in seinen Ausdrücke» war, aber momentan wußte er sein Gewissen von keiner Sünde beschwert. Jens wandte sich an den, der zuletzt gesprochen: „Sie brauchen gar nicht so zu schreie, ich werde Herrn Ruprecht schonffagen, was ich meine." „Na, da wäre ich doch auch begierig", erklärte dieser, dem die offenherzige Beleidigung seines Freundes doch etwa- zu stark gewesen war. „Sie haben Levison erzählt von die neue Maschine und die Herr Paulsen hat gesagt, es soll noch bleiben ein Ge heimnis" Die Gesichter der Umstehenden nahmen verlegene Mienen au. „Donnerwetter", murmelte der Beleidigte. „Dies Mal hat unser alter Schwede recht. Na, Levison wird es Wohl nicht gleich an Herrn Paulsen klatschen. Warum haben Sie mich denn aber nicht eher gewarnt, damit ich alte Schwatz liese mein Maul halten konnte? Ich habe geknurrt", erklärte JenS im Bewußtsein seiner Unschuld. „Ja, er hat geknurrt", siel der ganze Chor ein. „Und ich werde Ihnen sagen, was Levison wird thun. Er wird nicht hingehen und klatschen an die Herr Paulsen, er wird es erzählen in die ganze Stadt und sie werden Alle kommen und kucken uns auf die Finger und das Geheimniß merken, eh die Herr Paulsen noch bat das Patent. Uno was sein wir denn? Wir sein beschmiert!" „Blamirt!" verbesserte der Chor. „Ist mich ganz egal", erklärte der Lange mit stoischer Ruhe und zog sich, erschöpft von seiner Sprechleistung zurück. Der erste Ingenieur sah so verbissen drein, daß die übrigen Herren es ebenfalls für gerathen hielten, ihn nicht länger in seiner Arbeit aufzuhalten und sich schweigend wieder an ihre Plätze begaben. Eine lange Weile blieb es still in dem geräumigen Saal, nur ein paar Fliegen brummten an den Scheiben, und vom Garten her hörte man daS Lachen der Paulsen'schen Kinder. An zwei Seiten des Saales lagen hohe Fenster; die einen gingen nach dem Garten hinaus, die anderen nach dem Fahr- damm, der zur Fabrik führte. An einem der letzteren stand Nuprecht's Pult. Er hob gerade den Kopf und warf einen Blick hinaus aus die sonnige Straße, da kam Lene Blei den Weg herauf gegangen und schritt rem Thore zu. Sie batte ihren leeren Fouragekorb aus der Schmiede geholt und dabei Versöhnung mit ihrem Carl gefeiert. Ein Abglanz ihres Glückes lag noch auf der reinen Stirn, und eS war dem Ingenieur nicht zu verdenken, daß er mit vollster Ueberzeugung ausrief: „Tausend Sapperment noch eins, ist das ein sauberes Ding!" „Oöh ja!" tönte es aus Jens' Ecke; sein Pult stand an einem der gegenüberliegenden Fenster. „Was", wurde er sofort angerufen, „giebt der Weiber verächter auch mal seinen Segen dazu?" Aber Jen« gab weiter keine Antwort. „Da« Mädchen ist eine Nichte von Tischler Hagemeister"»
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite