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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.09.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-09-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950904028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895090402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895090402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-09
- Tag1895-09-04
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Als eine Ergänrung zur Rede des Kaisers wird in der Presse rin Artikel der amtlichen „Karlsruher Zeitung" bezeichnet, der, an der Spitze ihrer DienStag-Nummer er schienen, folgendermaßen schließt: „Die zügellosen Ausschreitungen der soclaldemokratlschen Presse, die fortgesetzte Aufwiegelung weiter Volkskreise in Wort und Schrift gegen den Staat, gegen Besetz und Recht, die Verhöhnung und Beskbimvfung alles dessen, was dem vaterländisch gesinnten Bürger theuer ist, — das alles fordert zur entschiedenen Anwendung der Gesetze heraus. Hier nichts zu versäumen, nichts zu unter» lassen, was zum Ziele führen könnte, auch dazu mahnt das er» hebende Fest, welches das deutsche Volk soeben beging/' Giebt die vorstehende Auslassung die Anschauungen einer Stelle wieder, von der schon öfter folgenreiche Einwirkungen auf den Gang der Reichspolitik auSgegangen sind, so ist eine gesetzgeberische Action gegen die Socialdemokratie nicht ge plant; denn nur von der Nothwendigkeit der entschiedenen Anwendung der bestehenden Gesetze spricht der Artikel. Nachdem wir dies vorausgeschickt, sei der Commentare ge dacht, welche — von der „Nordd. Allg. Ztg." abgesehen — die Rede des Kaisers gefunden hat. Die ^Aat.-Lib. Corr." schreibt: „Ein in Begeisterung ausflammendes Volk" war es, das die erhebende ErinnerungSfeier begangen hat. „Das Motiv für die Begeisterung war die Erinnerung an die Gestalt, an die Persönlichkeit des großen verewigten Kaisers", der die Deutschen führte, als der Augenblick gekommen war, daß sie für ihren Herd, für ihre zukünftige Einigung kämpfen durften und der „für uns, besonders für die Jüngeren", die Aufgabe binterlassen hat, das Reich und all die nationalen Errungen schaften des großen Jahres zu erhalten. In diesen kernigen Worten bat der kaiserliche Enkel des Reichsbegründers gestern gelegentlich eines Trinkspruchs auf den König von Sachsen in der Thal die Bedeutung deS Erinnerungsfestes nach allen Seiten hin beleuchtet und beschrieben. Im Dankesgefühl für den großen ersten Kaiser deS Reiches soll sich für uns das Pflichtbewußtsein immer neu beleben, damit wir geschickt und entschlossen bleiben, „das, was der Kaiser gegründet hat, zu erhalten". Und Kaiser Wilhelm II. stellt sich unmittelbar als erster Diener des Staates auf die Seite des Volkes indem er sagt: fckr wrr»- "dke "su erhalten. Hier tritt jeder Unterschied deS Ranges und Standes zurück. Gegenüber der ehrwürdigen Gestalt des Heimgegangenen soll uns Alle, die wir als Lebende das Reich besitzen, dasselbe Band der Pflicht umschlingen. „DaS, was der Kaiser gegründet hat, zu erhalten", ist die gemein same Aufgabe, die der jugendliche Herrscher der Nation in Erinnerung bringt und auch für sich als oberstes Gebot an erkennt. In deutschen Landen wird das Mahnwort des Kaisers, so hoffen wir, lebhaften Widerhall finden und das ganze Erinnerungsfest überhaupt nachhaltige Wirkung üben. Wenigstens wäre es nach allen trüben Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit doppelt von Nöthen. Denn auch darin hat der Kaiser die Situation treffend gekennzeichnet: anders als durch die Wiedererstarkung des Gemeinsinns und des Geistes ernster Pflichterfüllung werden wir den inneren Feind nickt überwinden. Dazu muß „das gesammte Volk in sich die Kraft finden". Der Kaiser tritt aufs Neue der Nation mit der Mahnung entgegen, diesen inneren Feind in seiner Gefährlichkeit und in seiner Verworfenheit recht zu erkennen. Dabei llbermannt ihn die frische Erinnerung an die Verunglimpfung, welche dem Andenken Wilhelm'S des Siegreichen soeben von einer „Rotte" widerfahren ist, die sich in ihrer Gesinnungs- und Vater landslosigkeit für unbesiegbar, ja für die Herrm der Zukunft hält. Plastischer Weise setzt der von der seelischen Empörung hingerissene Enkel des Beschimpften die Einzelerschei nung für das Ganze, daS Symptom für die Gefahr selbst. DaS gesammte Volk, dessen Aufmerksamkeit bei festgehalten wird, versteht den heiligen sowohl, wie den weiteren Sinn der kaiserlichen Hinwe, auf das zu bekämpfende Uebel, — wir geben uns wenigstens auch hier der Hoffnung hin, daß endlich doch der volle Ernst des uns aufgenöthigtrn Kampfes in weiteren Kreisen ganz erfaßt und gewürdigt werde. Ueber die Formen, in denen der Kampf geführt werden soll, haben wir ja heute nicht zu forschen, noch zu rechten. Es konnte auch nicht der Zweck des Erinnerungsfestes sein, darüber die Erörterung in Fluß zu bringen. Darauf allein kam es an, daß wir Deutschen insgesammt uns neuerdings bewußt wurden, welche köstlichen Güter — den gemeinsamen Herd, das in der Ver fassung verbürgte einheitliche constitutionell« Gemeinleben — wir errungen haben und daß sie gegen den inneren Feind nicht minder vertheidigt werden müssen, wie sie nach außen geschützt sein wollen. Wenn den Kaiser die Sorge beschleicht, daß ihm schließlich nur noch an der Spitze seiner Garde die Mittel und Weg« offen stehen möchten, um im Stande der Nothwehr eine hochverrätheriscke Schaar zurückzuweisen, so schweift hier der Blick in eine Zukunft, die unter allen Um ständen — auch wenn der Nothwehrkampf noch erfolgreich eführt werden sollte — doch die denkbar unglücklichste für eich und Nation sein müßte. Eine Entwickelung bis auf jenen Punct des Kampfes zwischen der revolutionairen Diktatur des Proletariats und der Militairdictatur wäre ja nur zu denken, wenn Alles vorher versagt hätte, was den modernen Verfassungsstaat zu erhalten berufen ist: der staatsbürgerliche Gemeingeist, der sich in den Parteien und in den Parlamenten zu betätigen hat, wie die staatsmännische Kraft, die in den obersten verantwortlichen Aemtern lebendig sein muß, um dem Volke führend voranzugehen. Beide — die Regierungen und die Regierten — haben das Aeußerste daran zu setzen, daß die Schöpfung Wilhelm'S deS Großen vor einer so verhängniflvollen Entwickelung in alle Zeiten behütet bleibe. Beide mögen sich dessen aber auch an jedem neuen Tage neu bewußt werden. Am letzten Ende hat jedes Volk die Verfassungszustände, die eS verdient. Wofern die Deutschen Werth darauf legen, DaS, was Kaiser Wilhelm begründet ' UI, gehen Lp Lar.in.. E.. rht'pölMscheS Mun und Lassen immer so einrichten. als müßten sie morgen selber die Verantwortung für alle Weiter entwickelung auf sich nehmen. Nicht die mehr oder minder entschiedene Haltung in diesem oder einem andern Falle be gründet ihnen den Anspruch auf Einfluß und Mitbestimmung, sondern die beharrliche Theilnahme an den öffentlichen Dingen im Rahmen eines ausgesprochenen Verantwortlichkeits- gefübls. Wann immer der Zeitpunkt kommen mag, daß die Nation an der Urne zu erhärten hat, daß sie von dem gestrigen Erinnerungstage ab sich selbst ihr Schicksal zu schaffen, ihr Glück zu schmieden, daß sie auch den revolutionairen Gewalten jeden Eingriff in ihr Verfassungs leben zu wehren gewillt ist, — der Tag möge die sichere Zuversicht begründen, daß die trüben Betrachtungen eines künftigen Nothwehrkampfes außerhalb von Ver>assung und geordnetem Recht für Deutschland auf sich beruhen können — ein für allemal. So weit die Aufgabe, dir »in gesunder Volks geist über kurz oder lang zu erfüllen hat. Nicht minder inhaltreich ist aber die Aufgabe Derer, die in Amt und Würden sich befinden und dem Volke als Regierung voranstehen. Versagt ihnen die führende Kraft, sind sie nicht im Stande- sich selbst über Umfang und Ziel ihres Wollens zu einigen, dem Volke weit und breit das Vertrauen einzuflößen, daß der Weg über sichere und absehbare Bahnen zu einem fest abgegrenzten Ziele führt, störende Einwirkungen aller Art und unverantwortliche Hände von dem Vollzug einer einheitlich gedachten Aufgabe fern zu Hallen, in entscheidenden Augenblicken auf eigenen Ueberzeugungen fest zu beharren, — dann allerdings muß der beste Wille eines Volkes erlahmen und die klarste Auf gabe sich bis zur Unerträglichkeit verwirren. Wir heben alle jlrsache, auch den Wunsch ausdrücklich und nachdrücklich zu bekunden, daß dem Volke der Deutschen in allen etwa kommenden kritischen Stunden eine feste Führung be- scheert sei." Die „Kreuz ztg." — um in der Wiedergabe von Com- mentaren fortzufahrcn — ergeht sich in einer einigermaßen altmodischen Darlegung des angeblichen Ursprungs der social demokratischen Ausschreitungen und der alten Sünden anderer Parteien: „Wir wollen heule keine einzelne der anderen Parteien angreisen. Aber ist nicht seit langen Jahren von deutschen politischen Parteien in einer der heutigen jocialbemokratischen Sprache sehr verwandten Tonart die christliche Kirche, die Monarchie, das Heer, all' und jede Autorität kritisch angegriffen worden? Wer die Zeitung»- und Broschüren-Literatur der vierziger und sechziger Jahre kennt, der weiß, wie sie nach dieser Richtung hin hinter dem. was heut die Socialdemokratie an Angriffen, Hohn und Spott leistet, kaum zurücksteht." Die „Berl. N. N." halten es, wenn die Nothwendigkeit, die der Kaiser als letztes Rettungsmittel bezeichnet, der Auf ruf zum Kampfe mit der Waffe, nickt eintretrn soll, für „unbedingt geboten, die Bvilskrast für neue Gesetze in Thätigkeit zu setzen, welche zur Bekämpfung der Social demokratie die erforderlichen Handhaben bieten. Ein großer Tbeil der Presse hat seit langer Zeit es an Hinweisen auf dieses unentbehrliche Erforderniß wahrlich nicht ermangeln lassen; mehr zu thun, als den Boden vorzubereilen, ist sie außer Stande. Sache der dazu berufenen Staatsmänner ist es nunmehr, den also vorbereiteten Boden fruchtbringend gesetzgeberisch zu bestellen." Auch die „Hamb. Nachr." hoffen, „daß dieser neuen und entschiedenen Kriegserklärung des Monarchen an die Umsturzpartei ein entsprechendes Vorgehen der Staats regierung bald folgen wird". Die Münchner „Allg. Ztg." beschränkt sich darauf, fest zustellen, „daß Kaiser Wilhelm II. daS rechte Wort zur rechten Stunde und dem deutschen Volke aus der Seele gesprochen bat, als ev gerade--«»s denr-Höhepunkt eine« vaterländischen Fest tages auf die Pflicht eines rinmüthigrn Protestes des gesammten Volkes gegen derartige Beschimpfungen seiner nationalen Heiligthümer und, falls diese Pflicht wider Er warten verkannt werden sollte, auf die Nothwendigkeit der Anwendung äußerster Mittel hinwies". Die „Germania" stiinmt in der Verurtheilung des jüngsten socialdemokratischen Treiben» dem Kaiser zu, beklagt aber das persönliche Eingreifen desselben in den Kampf der Parteien und erklärt sich gegen ein Socialistengesetz. Die „Köln. Ztg." siebt in der Erklärung, daß der Kaisey. wenn alle anderen Mittel die Socialdemokraten in ihrer revolutionairen Richtung nicht aufhalten sollten, auf die Mitwirkung der Armee rechne, nur die logische Folgerung der ganzen Entwicklung: „Wenn alle anderen Mittel nicht verfangen und wenn diese Bewegung sich zu revolutionairen Erhebungen entwickelt, jo werden zuletzt eben die Waffen sprechen müssen, und daß sie das dann nachdrücklich thun, dafür bürgt die gestrige entschiedene Er klärung des Kaisers. Wir hoffen, daß diejr Nothwendigkeit nicht an uns herantretcn wird, aber es kann nicht schaben, das) durch die gestrige Rede des Kaiser» den Socialdeiiivkrate» eininal recht nach drücklich nahrgelegt wurde, mit welchen Kräften sie es zu thun habe» werden, wenn sie alles Maß überschreiten." Der „Schwäbische Merkur" führt aus, der Kaiser habe den deutsche» Bürger auf den Weg gewiesen, selbst des Unfugs um ihn her Herr zu werden: „DaS kann ja nicht oft und nicht ernst genug gesagt werden- wenn der Bürger es nicht will, es nicht geschehen läßt, nicht bei den Wahlen zu Hause bleibt oder denen folgt, die, selbst keine Socialistrn, doch als ewige Krittler und Nörgler nur dem Umsturz die Wege bahnen, so kommt kein Socialdemokrat zu Macht und Ansehen, keiner in eine stellvertretende Versammlung. Rührt sich der Bürger und geht ihm gar, was ja leider in Deutfchland zumeist abgewartet wird, die Obrigkeit voran, wie jetzt bei dem Ver bot der gegen daS Sedanfest gerichteten Versammlungen, so ist es mit der Eociaidemokratie vorbei, auch ohne neue Umsturzgesetze, deren Vorlage und Berathung nur den Umsturz nähren könnte, weil sie mit Sicherheit abgelehnt und dadurch nur Macht und Ansehen der Regierung noch mehr als bisher untergraben würden. Vorbei, ohne Umsturzvorlage und — ohne Garde. Gewalt darf ja nur walten egen Gewalt, und so kann es auch nur der Kaiser gemeint haben, das sei ferne, daß das Schwert von Sedar. eines Tags, nur weil dte Geduld erschöpft ist, gegen innere Bewegungen, so lange sie in riedlichem, gesetzlichem Rahme» sich halten, gezogen würde! Das ist, wie gesagt, selbstverständlich nicht des Kaisers Meinung. Aber eine ernste strenge Mahnung wollte er gebe». Und wer weiß, ob sie nicht Einiges fruchten wird? Die zügellose Frechheit wird vielleicht doch, wenn sie den Ernst sieht, einen Schritt zurück- weichen, und das wäre schon etwas, da die Dinge so weit schon gediehen sind." Auch die „Münch. N. N." sind der Ansicht, daß im deutschen Volke noch kraftvolle Bejonnenhcit genug lebt, um der VernichtnngSarbeil der rothen Internationale erfolgreichen Widerstand zu leisten, ohne an das letzte Argument, die An wendung der Gewalt, zu gehen: „Aber freilich — es muß sich seiner Ausgabe nicht nur bewußt sei», es muß diesem Bewußtsein auch im politischen Leben praktische Bedeutung geben; rS darf für keine der bürgerlichen Parteien mehr von einer Bundes» genossenschast mit jenen Leuten die Rede sei», die ihre innersten Gedanken und ihre letzten Ziele gerade in diesen Tagen mit so cynischer Offenheit verrathen haben; die schimpslichen Wahlbünd nisse müssen aufhörcn, das Zusammengehen mit den Socialdemo kraten im Reichstage muß auf jene Fälle beschränkt werden, in denen das allgemeine Interesse ein solches gebieterisch fordert. Ein energisches Einsetzen des Volkswlllrns in dieser Rich tung wird und muß genügen, um es dem deutschen Volke zu erspare», daß noch einmal der unwillkommene Hinweis auf de» Bürgerkrieg als letztes Heilmittel für unerträglich ge» wordene Zustände aus dem Munde des Kaisers vernommen werde. Auch jetzt hätten wir ihn lieber nicht gehört; kaiserliche Worte, die einmal gejprochen worden sind, können nickt ungehört verhallen, und es wird nicht fehlen, daß sich um sie eine leidenschaftliche Erörterung entspinnt, die vermieden worden wäre, wenn der Monarch sein Vertrauen zu der siegreichen Kraft des deutschen Volkes weniger bedingt ausgesprochen hätte." Die freisinnige demokratische Presse beharrt auf ihrem doctrinairen Standpunkte, daß die Socialdemokratie „auf dem Wege sei, sich zu einer radicalen Reformpartei auszubilden", und nimmt demgemäß Stellung zur Kaiscrrede. Der „Vorwärts" sucht sein „Urtheil" über Kaiser Wilhelm I. zu rechtfertigen und verlangt „eine Aufklärung über die Schlußwendung in der vom Kaiser dem Volke gestellten Alternative, die von der Verwendung der Garden spricht". Die italienische» Aussichten in Lstafrika bessern sich zusebends, je näher der Termin heranrückt, an welchem General Baratieri» der Hvchstcommandirende der in der erylhräischen Colonie stehenden Truppen, nach seinem Wirkungs kreise zurückkebren soll. Der Enthusiasmus, mit welchem der General in Italien von der Nation empfangen und, wohin er kam, öffentlich gefeiert wurde, scheint die hinter dem Negus Menelik stehende», der Ausbreitung des italienischen Machteinflusses am Rothen Meere feindselig gesinnten Kreise belehrt zu haben, daß eS doch ein etwas gewagtes Beginnen ihrerseits sein möchte, sich tiefer in ein Experiment einznlassen, das von Nom aus scharf controlirt wird und seitens der Fereillrtsn. Schwere Kämpfe. Roman au» dem arotzen Kriege. 3j Boa Carl Tanera. Nachdruck »erboten. (Fortsetzung.) Da er noch keine ausgesprochene Neigung für irgend eine der jungen Damen der Gesellschaft gezeigt hatte, war er der Gegenstand verschiedenster Liebenswürdigkeiten der meisten Mütter, und auch manches Mädchen begrüßte ihn mit aufrichtigster Freude und viel verheißendem Lächeln. Er aber war gleich höflich, gleich freundlich und gemüthlich, gleich liebenswürdig und auch gleich unparteiisch mit allen wie schon seit zwei Jahren. Daß er in der letzten Zeit auffallend viel bei Strecker'S verkehrt hatte, wußte man in der „Euterpe" noch nicht. Endlich war die ganze Gesellschaft auf dem Dampfer versammelt. Dort fand eine allgemeine Begrüßung der Damen Strecker und Tborstraten statt, so daß Horn in der kurzen Zeit bis Possenhofen nicht Gelegenheit fand, sich wieder Renate und MechtildiS zu nähern. Ebenso erging es ihm anfangs ick WirlhSgarten von Possenhofen, weil ihn der Vorstand bat, ihm bei der Eintheilung einer entsprechenden Platzordnung behilflich zu sein. BiS es ihm gelungen war, die verschiedenen Mama« so Unterzubringen, daß dir eine nicht im Zug, die andere nicht »u nahe bei der Musik, die dritte in der Nähe einer Freundin u. s. w. saß, hatte sich die junge Welt selbst Plätze gesucht. Den Stuhl neben Renate nahm ein nur hier und da in der „Euterpe" als Gast ver kehrender Ingenieur, der Sohn eines der ältesten Gesell- schaftSmitalieder, ein. Er mochte 2 oder 3 Jahre alter als Lieutenant Horn sein, war viel in der Welt herumgekommen und stand mit keinem der anderen jungen Herren auf be sonder« vertrautem Fuß, weil seine berechnende, lebenSkluge, aber wenig offene Art nicht zu der leichtlebigen harmlosen DeukungSwe.se der Uebrcgen paßte. Herr von Hast, so hieß der Ingenieur, ließ sich so wenig wie Horn durch die kalte Form Fräulein Thorstraten'S abschrecken. Er sah in ihr eine reich- Erbin und dcmühte sich redlich, sich ihr so angenehm wie möglich zu erweisen, versorgte sie mit Kaffee und Kuchen vnd machte somit jede kleine Dienstleistung de» Lieutenant» gegenüber Renaten überflüssig. Der Ofsicier fand, als er ich nun dem Jugendtisch nahte, nicht einmal Mehr einen Platz rei. Da trat die liebenswürdige MechtildiS Strecker als eine Retterin auf. Sie war wie immer von mehreren Herren umschwärmt und wurde daher überreich mit Allem versorgt. Sobald sie Horn erblickte, hielt sie mit komischem Ernst folgende Rede zu ihren Curmtrchern: „Meine Herren, Sie Alle haben es sich recht bequem gemacht. Wenn Sie meine Freundinnen und mich auch recht reichlich mit Kaffee und Süßigkeiten versorgten, so hat doch Jeder zuerst daran gevacht, sich einen ihm angenehmen Platz zu erobern. Den ritterlichen Lieutenant Horn, der sich als echter Cavalier zuerst unserer hilfsbedürftigen Mamas annahm, haben Sie jedoch nicht berücksichtigt. Er soll aber für seine Aufopferung belohnt werden. Herr Lieutenant, welchen Platz wünschen Sie? Ich verhelfe Ihnen dazu." Sofort antwortete Horn: „Am liebsten möchte ich an Ihrer Seite sitzen, Fraulein MechtildiS." Während Alles loslachte, rief Fräulein Strecker in heiterem Tone: „Die Bitte sei gewährt. Renate, Du mußt schon so freundlich sein und etwa- zur Seite rücken, damit Lieutenant Horn »och Platz hat. So, nun ist auch die bunte Reihe her gestellt." AlS der Ofsicier Platz genommen, gab ihm Fräu lein Strecker die für sie bestimmte Taffe und trug einfach einem anderen Lieutenant auf, ihr eine neue zu holen. Bald ertönten allenthalben heitere Scherze und fröhliche« Lachen. Horn saß ziemlich stumm zwischen den beiden Cou sinen. weil Renate von dem recht« neben ihr sitzenden Jngrnieut in rin Gespräch verflochten war und MechtildiS über den ganzen Tisch hinweg mit Jedermann plauderte und sich neckte. Während die Unterhaltung gerade recht lebhaft war, sprach Letztere so leise, daß nur Horn sie verstand, zu Viesrck: „Sir sind doch rin rechter Filou." „Wie so, Fräulein MechtildiS?" „Sie haben mich einfach al» Aushängeschild benutzt, uck einen Platz neben Meinkr Cousine zu erhalten." „Aber ich bitte Sie —" Ach, papperlapapp. Wa» ich weiß, weiß ich. Nun unterhalten Sie aber auch Ihre Nachbarin zur Rechten, und heben Sie vor Allem den greulichen Ingenieur au» dem Sattel. Auf mich brauchen Sie gar keine Rücksicht zu nehmen. Gut Freund bleiben wir doch." Hier auf wandte sie sich nach der anderen Seite uNv rief übet den Tisch einem Chevauslrgervffirier zu: „Graf Spenser, mit Ihnen habe ich auch noch rin Hühnchen zu rupfen. Sie haben uns beim letzten Rennen Ihren Pfeil doch nicht vor geritten, obwohl Sie eS unS fest versprachen." Der Ofsicier antwortete; Andere betheiligten sich an dem dadurch entstehenden Gespräche, Und Horn fand nun Ge legenheit, sich ganz zu Renate zu wenden. Sie sprach gerade mit ihrem Nachbar von den Schönheiten der Umgegend von Hamburg. Der Ingenieur stimmte ihr so auffallend bei, daß man leicht erkennen konnte, er wolle sich um jeden Preis bemühen, das Wohlgefallen der Ham- burgirin zü erlangen. Horn warf die Bemerkung ein, er könne sich gar nicht vorstellen, daß eine Gegend ohne Gebirge einen besonderen Reiz zu bieten vermöge. „Sie haben noch wenig von der Welt gesehen", versetzte Herr von Hast kurz. „DaS mag sein, aber ich denke mir immer, der Reiz einer Gegend liegt im Wechsel de» Geländes. Eine Ebene wie die um Hamburg stelle ich mit einförmig vor." „Ich gebe Ihnen dies zu. Herr Lieutenant", schaltete nun Renate rin. „Und doch könnte ich mich nur schwer ent schließen, z. B. die hiesige reizende Landschaft mit meiner norddeutschen Ebene zu vertauschen, weil sie eben meine Heimath Und darum mit Werth und theuer ist." „Sie müßten denn hier eine neue Heimath finden." Auf diese letzten Worte Horn'S erwiderte der Ingenieur sofort: „Das konnte man Fräulein Tborstraten doch kaum zumuthen. Sie, gnädige- Fräulein, würden sich auch ge wiß Nicht dazu verstehen, je von Hamburg wegzuriehen?" ^Jch kann da» nicht behaupten. Eine Freundin von mir hat sich von Hamburg weg Nack Württemberg verheirathrt und fühlt sich dort ganz glücklich? ^Jch glaub» auch", wandte wieder Horn ein, „daß ein echte- Weib dein Manne seiner Wahl in die Wüste folgen und doch glücklich sein könnte. Tie wahre Heimalh findet eine Frau doch nur a» der Seite eine» geliebten Mannes, der stk seinerseits ebenfalls auf den Händen trägt Und ihr durch seine Liebe daS Verlassen von Vaterhau» und Vater stadt vergessen macht." „DaS klingt ganz schön, Herr Lieutenant. Aber noch glücklicher wird ein Weib dann werden, wenn der Mann es so liebt, daß er selbst wegen ihrer seine Heimath aufgiebt, ünd von ihr da» Opfer de« Verlassen» ihre« Vaterhauses gar Nicht beansprucht. Meinen Dir nicht auch so, Fräulein Thorstraten?" „Ich bin nicht Ihrer Ansicht, Herr von Hast, denn in dem von Ihnen angeführten Fall ist der Mann gewöhnlich nichts als nur der Mann seiner Frau. Eine alte Lebens regel sagt aber: Frauen verzeihen Alles eher, als wenn der Mann kein Mann ist! Demgemäß würde ich das von Lieute nant Horn angeführte Beispiel, daß eine Frau, welche aus gegenseitiger wahrer Liede die Heimath aufgiebt, glücklicher wird, für richtiger halten." Der Ingenieur mußte seiner Aerger verbeißen und konnte nichts mehr erwidern, da in diesem Augenblick der Vorstand zum Aufbruch mahnte. Lieutenant Horn warf einen dank baren Blick auf Fräulein Thorstraten, welche ihn wiederum mit ihren großen Augen so leuchtend ansah, daß er sich über glücklich fühlte utid den kühnsten Hoffnungen hingab. Wiederum war dieser Ausdruck einer seelenvolle» Innigkeit bei Renale aber nur ein winziger kleiner Augenblick. Als ob sie mit sich selbst unzufrieden sei, wandte sie sich schnell um und schritt ruhig zu ihrer Tante. Lieutenant Horn wurde vom Rath Strecker gerufen und gebeten, die Führung durch den Park zu übernehmen. Der Ingenieur schloß sich, ohne mit dem Ofsicier noch ein Wort zu wechseln, einer Gruppe von Herren und Damen an. Auf dem Weg von Possenhofe» nach Tutzing konnte sich Horn der schönen Hainburgerin wenig nähern. Sie blieb mehr in der Mitte der Gesellschaft, während er seiner Auf gabe gemäß sich meist an der Spitze aushallen mußte. Dennoch benutzte er eine Gelegenheit, wo er unbemerkt von dem Ingenieur einige Schritte »eben ihr gehen konnte, um diesem einen Vorsprung abzugewinucn. „Gnädiges Fräulein, in Tützing soll etwas getanzt werden. Darf ich eS wagen, Sir um den ersten Walzer zu bitten?" Sie äußerte keinerlei Erstaunen, daß et schon jetzt diese Bitte aussptach, sondern erwiderte einfach und be stimmt: „Ja". Dabei begegneten sich die Blicke der Beiden, und diesmal färbten sich ihre Wangen lebhafter roth als bisher. Er flüsterte kurz: „Herzlichsten Dank" uüd eilte wieder an die Spitze. Er wußte ja, wie peinlich eS ihr war, von Anderen beim Verralhr» einer inneren Bewegung entdeckt zu werden. Etwa o/«K Zhr kam die Gesellschaft „Euterpe" in Tützing an und Zog unter den lustigen Klängen eine« flotten MlUtairmarsche« durch den Ort nach dem GasthäuS zum Seehof. Der Sprisesaal war auSgeräumt, mit Tannen und Kränzen verziert und ai« Tanzsaal hrrgrnchtet worden. Gedeckte Tische standen in der Veranda, so daß die alteren Herrschaften in »Her GemUthIruhr zu Abend speisen konnten,
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