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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.09.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-09-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950910022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895091002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895091002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-09
- Tag1895-09-10
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Anzeigen.PrelS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. dirclam»« unter dem Redactionsitrich (4g«» spalten) 50/>z, vor den Familieunachrichtra (6 gespalten) 40-C- Größere Echristen laut unserem Preis« verzeichnch. Tabellarischer und Zifierasutz nach höherem Tarif. Extra»Vetlagen (gefalzt), nur mit der Morgen - An-gabe, ohne Postbefürdernag 60c—, mit Postbrförderuog 7<a.->. Annahmeschluß für Anzeige«: (nur Wochentag«) Abend-AuSgabe: Vormittag« 10 Uhr. Marge n-AuSgabr: Nachmittag« 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stund» früher. Anjetgr« sind stet« an die Gxpe-ttta» zu richten. Druck und Verlaa von E. Dolz in Leipzig. 89. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 10. September. „In Sachen Stöcker" ergreifen jetzt auch die „Hamburger Nachrichten" das Wort. Sie knüpfen an folgende Stelle des Stöcker'schen Briefes an: „Was man nun meines Trachten« thun kann und muß, ist olgendes: Principiell wichtige Fragen, wie Judcnsrage, Mutineum, arnack, Reichstagswahl im sechsten Wahlkreise, die gewiß mit einem Jiasco der antisocialdemokratischen Elemente schließt, mnß man, ohne B. zu nennen in der allrrschärfsten Weise benutzen, um dem Kaiser den Eindruck zu machen, daß er in dieser Angelegenheit nicht gut berathen ist und ihm den Schluß auf B. überlassen." Zweifellos von Friedrichsruh aus inspirirt, führen nun die „Hamb. Nachr." auS: „Wir glauben, daß in dem Stöcker- schen Briefe der räthselhafte Ausdruck „Mutineum" ein Er ratum für „Matineen" ist, und daß mit diesen Matineen die... Waldersee-Versammlungen gemeint sind. Die selben hatten Aeußerungen deS damaligen Reichskanzlers zur Folge, welcher in außeramtlicher Correspondenz dem Prinzen, jetzigem Kaiser, abrieth, sich auf vorzeitige Be ziehungen zu irgend einer besonderen Partei oder Clique ein- zulasscn. In diesem Vorgänge suchen wir die psycho logische Erklärung für die Feindschaft, die in dem Stöcker'schen Briefe gegen den damaligen Reichskanzler zum Ausdruck kommt. Unter der Regierung des Kaisers Friedrich wurde von verschiedenen amtlichen und kirchenregimentlichen Seiten ein repressives Vorgehen gegen Stöcker und dessen damalige christlich- sociale „Agitation" angeregt und zwar mit der Entschieden heit, daß ein Kronrath unter dem Vorsitz des Kaisers und Königs in Charlottenburg darüber stattsand, zu welchem außer dem Staatsministerium eine Anzahl hoher Beamter und Officiere berufen wurde. Die Stimmung war daselbst gegen Stöcker gerichtet und gipfelte in der Anregung von Maßregeln behufs sofortiger Beseitigung dieses angesehenen Dom- geistlichen. Der Beschluß des Kaisers aber fiel auf Antrag des Ministerpräsidenten dahin auS, dem Betheiligten die Wahl zu stellen, ob er seine Stellung als Hof- und Dom prediger beibehalten oder ob er seine öffentliche Agitation in Volksversammlungen fortsetzen wolle. Stöcker wählte, wie be kannt, den Verzicht auf die Agitation und behielt die Stellung deS Hof- und Dompredigers einstweilen bei, bis sie ihm im Iabre 1890, ein halbes Jahr nach der Entlassung des Fürsten Bismarck, entzogen wurde, vbschon er sich seitdem der Agitation in Volksversammlungen, so viel uns bekannt ist, enthalten hatte. Wir wissen nicht, oh die Stimmung, in welcher sein Brief, den der „Vorwärts" bringt, geschrieben wurde, eine dauernde geblieben ist; aber ihre Entstehung und ihre Bitterkeit ver dankt sie zweifellos der Haltung, welche der Reichskanzler in seinem Verkehr mit dem Prinzen den „MatinSen" gegenüber genommen hatte, um zu verhindern, daß der künftige Thronerbe schon damals für den Einfluß einer be stimmten Coterie gewonnen werde. In dem Stöcker'schen Blatte „DaS Volk" wird gesagt, die Nedaction habe Stöcker, der in Bayern auf seinem Gute sei, nicht gefragt, ob der vom „Vorwärts" veröffentlichte Brief echt sei, aber wenn dies der Fall wäre, so sei er erklärlich durch daS damalige Vorgehen deS Kanzlers, der den Antrag gestellt habe, Stöcker auf Grund des Socialistengesetzes auSzuweisen. Die Insinuation, Fürst Bismarck habe diesen Antrag gestellt, beruht auf Erfindung, wenn auch die Erwägung der Frage damals nahegelegen hat." — Nach dieser Darlegung können wir eine Auslassung des „Volk", da« seinen Patron nach Möglichkeit rein zu waschen sucht, ohne Commentar ab- drucken. DaS „Volk" schreibt u. A.: „Denn der Kaiser stand als Prinz und in den ersten Monaten seiner Regierung, besonder« aber in der Zeit der sogenannten Watderseeversammlung (der Veranstalter war nicht Graf Walderjee, sondern ein anderer Herr) den Mtttelparteien ganz fern; aber die mittelparteilichen Jntriguen und Angriffe suchten ihn aus diese Seite zu bringen. Es hat also keinen Sinn, die bamali. e Situativ» jo darzustellen, als hätte man coscrvativcrseits aus die Ueberzeugungen des Kaisers Einfluß üben wollen; vielmehr wußlen die Eoniervaliven, daß die mittelparteiliche Cartelpolitik — wie eS denn auch geschehen ist — das Reich und die Krone in die größten Schwierigkeiten stürzen würde, daher der berechtigte und pflichtgemäße ötauivf gegen diese Politik. Auch wir sind der Meinung, daß, wer die Regierung von der längst bankerotten, aber noch immer maßgebenden Cartel« Politik frei machte, der Retter des Vaterlandes heißen könnt e." In den „Grenzboten" veröffentlicht der Schriftsteller Jentsch, bis kurz vor der Proclamirung des UnfclilbarkcitS- dogmas Caplan in Liegnitz, Lebenscrinncrunzen, in denen er auch einen Beitrag zur Vorgeschichte jener neuen Lehre bei- bringt. Jentsch hatte, herausgefordert durch die in einem klerikalen Blatte vorgebrachte Behauptung, die katholische Geistlichkeit werde das Dogma willig enlgegennebmeii. sich öffentlich gegen das Domina gewandt und seinen Wider spruch u. A. mit der Unmöglichkeit begründet, zu glauben, was eine Reihe von Päpsten gelehrt hatte und was mit der Ver kündigung der Unfehlbarkeit verbindliche Kraft gewinnen mußte. Von dem bischöflichen Generalvicar zum Widerruf ansgefordert, verweigerte ihn Jentsch, zum Unterschiede vo» Amtsbrütern, die ihm öffentlich ihre Zustimmung ausgedrückt batten, sie aber nach wenigen Tagen „auf Befehl des Bischofs" zurück zogen. Zweifellos interessant ist, wie ein Vorgesetzter den Caplan zum Widerruf zu bewegen suchte: „lieber Herr Confrater, Sie haben ja Recht, aber sagen, öffentlich sagen, dürfen wir daS doch nicht." Nachdem das Vicarial auf disciplinarem Wege gegen den Beharrlichen vorgegange» war, erließ dieser, jedoch auf Anrathen gleichgesinnter Geistlicher nicht öffentlich, eine Erklärung, in welcher er gegen das Verfahren des Generalvicariats proleslirte, als gegen einen Versuch, einen Menschen, der in der katholischen Kirche lebt, mit jeder Faser an sie gebunden ist, ihr mit Begeisterung seit 14 Jahren dient und in ihrem Dienste zu sterben wünscht", aus der Kirche herauSzudrängen. ES heißt in dem Protest: „Wenn meinem Hinweis auf diese päpstlichen Kundgebungen (Bullen von Bonifa; VIII., Inno- cenz VII. und Paul IV.) die an mich gerichtete Frage entgegen gestellt wurde: „Haben Sie denn diese Dinge zu verant worten?" so liegt darin entweder eine Verkennung des Glaubens, da dem Geiste ein blos äußerlicher Inhalt gegen über dem Glaubeusobject zugennithet, der Glaube zu einem Wort ohne Inhalt herabgesetzt wird — oder ein Rath zur Heuchelei. Ich soll das Dogma äußerlich gehorsam annehmen, mir selbst aber und den Gläubigen die Dinge ver bergen, die mit demselben in offenbarem Widerspruch stehen. Nein, hochwürdige Herren! Wenn daS Dogma der Unfehl barkeit proclamirt wird, dann muß ich, will ich anders ein ehrlicher Katholik sein, nicht bloS das neue Dogma nc kwooptum registriren, sondern ich muß mit Paul IV. meinen protestantischen Nachbar für rechtlos halten und sein Ver mögen ohne Gewissensbisse mir zueignen können, ich mnß den König Wilhelm von Preußen für einen Usurpator Hallen und darf den unter seinem Namen promulgirten Gesetzen ver bindende Kraft nicht zusprechen." Hübsch ist die Mit- theilung, daß, wie Jentsch später erzählt wurde, bei Ver lesung Vieser Stelle des Protestes im Generalvicariatsamt die Kanoniker sich die Ohren zugehalten hätten und aus dem Sitzungssaal herausgelaufen wären. Das Ge wichtigste in der Verwahrung deS CaplanS ist der frei- mütbige Ausdruck der Urberzeugung, daß er sich „au demselben Standpunkt befinde, wie der Herr Fürst bischof" (von Breslau, Förster), und sowohl für die Objektivität und Ruhe des Prolestirenden, als auch sür die Auffassung des Religiösen bei der Hierarchie charakteristisch ist die Art, wie Jentsch das von dem seinigen abweichende pätere Verhalten des Fürstbischofs und dessen Amtsgenossen erklärt: „Im Grunde genommen waren meine Empfindungen ganz dieselben, wie die der Bischöfe. Der Unterschied be tand nur darin, daß ich mir den Zusammenhang zwischen der Wahrheit und Vernünftigkeit der Lehre und dem Bestand der katholischen Kirche weit inniger dachte, als er in Wirk lichkeit ist, und daher von einer Verletzung der Wahrheit de» Einsturz der Kirche fürchlele, während die Bischöfe als Glieder der Hierarchie und an die Auffassung der Kirche als eines Weltstaats gewöhnt, die Gefahr mehr in der Erschütterung der äußeren Einheit und in der Lockerung des äußeren Zu>a»imelil>anges sahen. . . . Daß sie selbst als Organ des heiligen Geistes eine neue Lehre sollten machen helfen, die ihnen wider den Strich ging, war allerdings eine tarke Zumuthuiig, und sie würden wahrscheinlich Gott ge dankt haben, wenn die Italiener schon ein paar Monate früher i» Nom eingerückt wären und sie vor dem Aeußersten bewahrt hätten." Die Beachtung, welche dem Besuche deS LordmayorS von London in Paris seitens der Presse zu beiden Seilen des Canals gezolll wird, geht über die rein formalen Grenzen sreundnacbbarlicher Höflichkeit kaum hinaus. Zwischen dem innersten Denken und Empfinden beider 'Nationen besteht nun einmal keine Gemeinsamkeit, ebenso wenig wie zwischen ihren politischen Interessen, wohl aber ein sehr lebhaftes wechselseitiges Mißtrauen, gepaart mit einer Abneigung, welche bei den Franzosen allerdings seit 1870 durch den Deutschenhaß einigermaßen zurückgedrängt wird, bei den Engländern aber, wegen ihres von Hause aus kühleren und weniger leicht erregbaren Temperaments überhaupt weniger bervvrlritt, wenngleich sie eine sehr reale Existenz besitzt. Bei Anlässen wie dem in Rede stehenden ist man natürlich aller seits bestrebt, einander nur Angenehmes zu sagen und zu er weise», und wohl mehr aus diesem Grunde, als in der Hoff nung auf einen zustimmenden Bescheid richtete denn auch das Londoner Stadloberhanpt an den Präsidenten Felix Faure die Einladung zn einem Besuche der britischen Metropole, die ja in formell korrekter Weise vom Londoner Foreign Office Namens der Königin Victoria als eine Haupt- und Staatsaktion zu erfolgen hätte. Wenigstens hat Faure dem Lordmayor dergleichen zu verstehen gegeben, indem er ihm sagte, die Frage der Reise nach England sei gegenwärtig nicht off n „nd könne zwischen ihm und dem Londoner Stadt haupte nicht erörtert werden. Londoner Blätter bezeichnen diese kühle Ablehnung als eine große — Ungeschicklichkeit. In Wahrheit entspricht sie nur der Stellung beider Länder zu einander und beweist, wie wenig man in Paris im Grunde des Herzens geneigt ist, aus der bisherigen Haltung England gegenüber herauszutreten. Man wird in der Annahme kaum fehlgehen, daß bei der großen Mehrzahl des englischen Volkes hinsichtlich der Fran zosen ganze analoge Empfindungen obwalten. Eng land bat sich bei dem Verhaltniß, welches sich in Folge des Rücktrittes Frankreichs vom egyptlschen Condominal und der alleinigen Installirung Englands im Nillande zwischen den beiden Nachbarstaaten herausbildete, recht wohl befunden und bekundet durchaus keine Sehnsucht nach Wiederbelebung der Ueberlieferungen und den Tagen der Allianz der Westmächte. Und Frankreichs Spekulationen liegen beute ebenfalls aus einem von den gedachten Ueberlieferungen gänzlich verschiedenen Ge biete. Die Pflege der russischen Freundschaft, vermittels welcher die Republik zwei Fliegen mit einer Klappe zu treffen hofft, nämlich Deutschland und England, nimmt den franzö sischen Volksinstinct so vollständig m Beschlag, daß ihm sür eine regere Theilnahme an dem Pariser Besuche deS Lord- mayorS und an den dieses Ereigniß begleitenden Preß- commentaren weder Zeit, noch Sinn übrig bleibt. Ungleich interessanter ist dem GroS der französischen Politiker die Tbcil- nahme des russischen Generals Dragomirow an de» großen Herbstmanöver» unweit der deutschen Grenze, sowie die Eventualität einer Einladung des Präsidenten Felix Faure z u der Moskauer Krönungsfeier. Auch der Minister des Aus wärtigen Haiivtaux mied in seinem dem Londoner City- haupte zu Ebren gesprochenen Begrüßungstoast sorgfältig den geringsten politischen Zusatz. Um so deutlicher war in dieser Beziehung Lord Renals in seiner auch an anderer Stelle erwähnten Ansprache, welche er gestern in Bordeaux bei dem vom Staatsrath ihm zu Ehren gegebenen Festessen hielt. Nachdem er dort nochmals zu verstehen gegeben, wie große Bedeutung man in London auf einen Besuch des Präsidenten der Republik legt, holte er die Friedensschalmei hervor und pielte ein gar rührendes Stiicklein vom Völkerfrieden im Allgemeinen und von der Hoffnung im Speciellen, die er aus ein freundschaftliches Hand-in-Hand-, oder doch wenigstens Nebeneinandergehen Frankreichs und Englands setze, die Beide höchstens auf kommerziellem Gebiete Anlaß hätten, in fried liche» und ehrlichen Wettstreit mit einander zu treten. Man merkt deutlich aus diesen Anspielungen des Lordmayors, wie aus der Haltung der englischen Presse, die in allerjüngster Zeit nicht nur Rußland wieder unter die Arme zu nehmen versucht, sondern auch zur Abwechselung — voran der „Standard"! — Deutschland und seinem Kaiser die größte» Höflichkeiten zu sagen für gut befindet, daß England in seiner selbstverschuldeten Isolirung sich nicht Wohl befindet. Gleich zeitig bietet man die englische Freundschaft aus dem politischen Markte Frankreichs, Rußlands und Deutschlands feil, wird aber schwerlich Abnehmer sür diese Freundschast, walle iu Luglanll, finden. Die Frage, ob der englische Händler TtokeS zu Recht oder Unrecht hingericbtet worden, erscheint noch keinesfalls endgiltig entschieden, jedenfalls nickt zu Gunsten derer, welche in ihrem Verdammungsurtheil über Hauptmann Lothaire gar nicht weit genug gehen können. Bemerkenswerth erscheint, daß gerade von den mit Stokes am genauesten bekannt gewesenen Afrikanern die absprechendstcn Verdikte über den Mann gefällt werden. Der schon bekannte weg werfende Ausspruch Stanley's erhält soeben eine Er gänzung durch den belgischen Forscher Moray, einen hoch geachteten Beamten des Congostaats, welcher als erster Belgier den schwarze» Erdlbeil querte und aus eigener An schauung mit den dortigen Verhältnissen, sowie Mit StokeS und dessen geschäftlichen Manipulationen wohlvertraut ist. Moray nnn, der längere Zeit in der Nähe Stokes' und im persönlichen Verkehr mit demselben gelebt, hält ihn für einen Menschen von sehr fragwürdigen Grundsätzen, der häufig die Sklaven mißhandelte, die er einem arabischen Häuptlinge vermiethet hatte. StokeS sei für Geld oder Geldeswerth zu Allem zu haben gewesen. Moray meint, daß Hauptmann Lothaire seine Befug nisse nicht überschritt, als er den Mann aufknüpfen ließ. Er hätte ihm vielleicht noch die Berufung vor dem Gerichtshof in Boma »erstatten können, das ver- nrtheilende Berdict wäre aber dasselbe geblieben. Ins besondere daS Elfenbein, womit StokeS bandelte, entstammte nach Moray dem Nachlaß Emin Paschas. Kibonge, der Mörder des Paschas, hatte sich dasselbe angeeignet und seinem Freunde StokeS um ein Billiges abgelassen. Moray, der zur Zeit noch in Belgien anwesend ist, gedenkt in den nächsten Tagen nach dem Congo zurückzukehren. Anläßlich der in China an protestantischen und katho lischen Missionaren verübten Greuel ging durch einen Theil der deutschen Presse ein von unS bisher un berücksichtigt gelassener Artikel, in welchem, angeblich auf Feuilleton. Schwere Kampfe. Roman aus dem grohen Kriege. 8f Von Tarl Tauera. Nachdruck verbaten. (Fortsetzung.) Der Zeiger wollte aber nicht schneller vorrücken; eS war erst 5>/, Ubr. Da er von der Haltestelle neben der Alsterlust nach dem Fährhaus nur 13 Minuten zu fahren hatte, so wäre es unklug gewesen, sich schon jetzt dorthin zu begeben, weil eS ihm nickt angezrigt erschien, fast eine Stunde in seiner hellblauen Uniform, die immerhin in Hamburg etwas auffiel, im Fährhaus zu warten. Er blieb also sitzen. Immer mehr schwächte sich aber sein Interesse an dem wechselreichen Bild des Lebens aus der Außen-Alster ab; immer mehr be schäftigte sich sein Geist mit der kommenden Stunde. Merkwürdig, je länger er nachsann, desto unsicherer wurde er. Zuletzt tauchten sogar manche Zweifel in seiner Seele auf, die sein bisheriges absolute- Vertrauen etwa« wankend machten. Mit Gewalt zwang er aber doch alle die düsteren Gedanken nieder und gab sich schließlich der festen Koffnung bin, daß eS ihm gewiß gelingen werde, da« Herz Renaten« selbst dann noch in seinem Sinne zu lenken und ihren Ent schluß zu seinen Gunsten zu beeinflussen, wenn sogar da- Zureden ihre« Vater« sie schwankend gemacht haben sollte. Endlich war eS Zeit. Er zahlte, verließ die Alsterlust, bestieg einen der kleinen Localdamvfer und fuhr nach dem Fährhaus. Eine Viertelstunde spater befand er sich im Mittelbau de« sehr vornebm erscheinenden Gartenrestaurant« des Uhlenhorster Fährhauses. Er nahm in der rechten Ecke einen Platz, von dem er den Eingang de« Garten« übersehen konnte, und ließ sich abermal- Kaffer geben. Im Local be fanden sich noch sehr wenig Menschen, da die Hamburger feine Welt gewöhnt war, nach der allgemein sehr spät ein genommenen MittagSmahlzeit noch länger« Spazierfahrten in Wagen oder Booten >u unternehmen und erst den späteren Abend theilweisr in öffentlichen Gärten zu verbringen. Es dauerte nicht lang», so fuhr ein hocheleganter Landauer vor. Auf dem Bock saßen ein Kutscher und ein Diener, beide in rehfarbiger Livrs«, mit Eylinderhüten und weißen Hand schuhen angethan, in der steifen geraden Haltung, welche 8ak«i»n kennzeichnet, di« seit langen Jahren in vornehme» Häusern in Stellung sind. Während der Kutscher kurz die edlen, englischen Pferde parirte, sprang der Diener gewandt vom Bock, nahm den Hut ab, öffnete den Wagenschlag und half ehrerbietig Fräulein Thorstraten beim AuSsleigen. Hinter ibr folgte ihr Bruder in feinstem Promenadenanzug mit einer Marsckall-Nirl-Rose im Knopfloch. Renate sah imponirend auS. Ihre bohr Gestalt wurde durch ein einfach gearbeitete-, aber kostbares dunkelfarbige- Seidenkleid gehoben. Ein großer, mit echten Marabu-Federn geschmückter Hut beschattete da« ernste, durch den Schleier erkennbare Gesicht, und Sonnenschirm und Handschuhe stimmten in der Farbe genau mit dem Kleid zusammen. Horn hatte sie in einer so ausgesuch eleganten Toilette in München nie gesehen. Er verschlang förmlich mit seinen Augen die fas- cinirende Erscheinung. Die Geschwister schritten nun der Mittelhalle zu, der Diener trug einen indischen Seiden- shawl nach. Nunmehr erhob sich der Officier und ging Beiden ent gegen, sie schon von fern respectsvoll grüßend. Beide ant worteten böslich, aber steif ceremoniell. Dann begann Herr Gustav Thorstraten: „Wir haben Sie doch nicht warten lassen, Herr Lieutrnavt?" „Durchaus nicht, Herr Thorstraten, ich bin erst seit sehr kurzer Zeit hier." „Sie haben wohl schon einen Tisch belegt?" „Ja dort in der Ecke, wenn Sie einverstanden sind." „Gewiß. ES ist Dir doch recht, wenn wir unS dorthin setze», Renate?" „Vollkommen". Alle Drei begaben sich an den Tisch, an welchem Horn schon vorher gesessen hatte. Der Diener rückte schleunigst dir Stühle zurecht, Renate und ihr Bruder nahmen Play, und Erster« bemerkte zu dem Lakeirn: „Sie können den Shawl über meine Stuhllehne hängen und dann zum Wagen zurück kehren. Ich brauche Di« nicht mehr." Nach einer sehr tiefen Verneigung entfernte sich der Diener stumm wie eine Maschine. Nun fragte Herr Thorstraten seine Schwester: „Wünschest Du Kaffe«, Tde« oder Limonade?" „Bitte, laß niir Kaffee kommen." Der junge Herr gab dem in der Näh« stehenden Kellner den Auftrag und wandte sich dann an Horn mit der Frag«: „Sie haben in der Zwischenzeit Wohl etwas von Hamburg besichtigt, Herr Lieutenant?" Dem lösficier kam Alle«, wa» er sah, so fremraitig. so unsympathisch vor, daß er sich mit Mühe dazu zwingen mußte, aufmerksam zuzuhören und die Frage richtig zu be antworten. Er bemerkte kurz, er habe die beiden Alstcr- bassins betrachtet. In seinem Innern stieg aber ein wirk licher Grimm gegen Renate auf. Etwas weniger ceremoniell hätte sie doch sein können. Wenn er es auch verstand, daß sie ihm hier im öffentlichen Garten aus Rücksicht auf ihren Bruder oder sogar auf ihren Vater, der es ja erfahren konnte, keine Hand reichte, so durfte sie ihm doch wirklich durch einen Blick zeigen, daß sie nickt einen ganz fremden Herren, sondern den Auserwählten ihres Herzens vor sich hatte. Aber nichts davon war der Fall. Sie neigte den Kopf, sah vor sich, und keine Miene ihres starren Gesichtes verrieth die geringste innere Bewegung. Herr Thorstraten richtete noch einige nebensächliche Fragen an Horn, die dieser gleichgiltig beantwortete. Als der Kellner den bestellten Kaffee gebracht und auf dem Tisch servirt batte, fragte ihn Herr Thorstraten, ob die neuen Abendzeitungen schon im Lesezimmer aufgelegt seien. „Jawohl, mein Herr." „Dann bitte ich, mich etwa- zu entschuldigen. Ich will die letzten Depeschen Nachsehen." Mit diesen an den Officier und Renate gerichteten Worten erhob er sich und ging nach dem rückwärts gelegenen Lese salon. Nun waren die Liebenden allein. Kaum batte sich ihr Bruder so weit entfernt, daß er kein Wort mehr verstehen konnte, so erhob Renate den Kopf, sah den Officier mit halb verschleiertem Gesicht traurig an und begann: „Sie habe» mir eine schwere Stunde bereitet, indem Sie auf dieser AbschiedSunterredung bestanden. Sie ver größerten dadurch die Wunde, die in mein Herz gerissen wurde und" — ihre Stimme wurde so leise, daß er sie nicht mehr recht verstand — „schwer genug verheilen wird." „Aber, Renate! Wie können Sie von einer Abschieds unterredung sprechen! Ich denke, wir sollten nur über unser gemeinsame- zukünftige« Handeln klar werden." „Armer Freund! Sie glauben also noch immer, mein Vater ließe sich umstimmen? Darin täuschen Sie sich. So herzensgut er ist, io unbeugsam ist er in seinen vorgefaßten Meinungen, und so starr hält er an dem, waS er einmal bestimmt hat. UnS bleibt keine, gar keine Hoffnung übrig. Wir müssen un« beugen und verzichten." „Nein tbeuerste, geliebte Renate, da« thun wir nicht. Wenn Ihr Vater nicht einscben will, daß da- Glück seine« K'udes nicht böber (lebt al« seine eiiffeitigr. noch dazu mir gegenüber ganz falsche Ansicht über die Officiere, so müssen wir eben gegen seinen Willen unser Ziel erstreben." Ziemlich bestimmt klang es, als sie rasch antwortete: „Das geht nicht. Ohne den Segen meines Vaters giebt es für mich kein Glück." „Aber bedenken Sie doch! Er lehnt mich ja nicht ab, weil ihm meine Person als Mann seiner Tochter ungeeignet erscheint. Er weiß, daß ich ein tüchtiger Mensch in meinem Berufe bin; ich bin überzeugt, er glaubt mir, daß ich ein Ehrenmann bin. Also weist er meine Bewerbung nur aus veralteter, eigensinniger Voreingenommenheit ab und —" „Halten Sie ein, Herr Lieutenant! Sie verkennen meinen Vater vollständig. Er ist weder eigensinnig, noch kleinlich, wie Sie ihn auffassen. Wenn er so bestimmt, so fest in einer so wichtigen Frage, wie eö dock die Verheiratbung seiner einzigen Tochter ist, auf einer Absage beharrt, so geschieht es, weil er seiner innersten Ucbcr- reugnng folgt, weil er fest glaubt, die seinem Kinde fremden Verhältnisse würden diesem auf die Dauer nickt Zusagen und in ihm zuerst ein Sehnen nach der früheren Zeit, dann ein dirccteS Heimweh und schließlich eine Reue über den be gangenen Schritt entstehen lassen. Dafür will er keine Ver antwortung übernehmen und darum und nickt aus einseitigen, veralteten Anschauungen versagt er seine Zustimmung." Horn hörte aufmerksam zu und erkannte zu seinem größten Schrecken, daß er bei Renate auf ein so grenzenloses Ver trauen zu dem Urtheil ihres Vaters stoße, daß eS gar nicht so sicher stand, ob cs seiner Ueberredungskunst gelingen werde, sie umrustimmen. So weich als möglich entgegnete er: „Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen durch meine falsche Auf fassung deS Charakters Ihres Vaters web tbat. Ich will gern zugeben, daß ich zu flüchtig genrtbeill, weil ich ihn ja u wenig kenne und weil ich nicht berücksichtigte, daß ich durch ein Austreten mir gegenüber gegen ihn gereizt war. Ich will zugeben, daß Herr Thorstraten nur nach bestem Wissen und Glauben handelt, daß er nur reifer Ueberlegung folgt. Aber er faßt die Verhältnisse falsch aus, weil sie sich von seinem Standpunkt auS nicht richtig brurthrilen lassen. Er hat sein ganze- Leben in strenger Arveit zugebracht, ist gewiß durch und durch Geschäftsmann und sieht Alle« mit dem nüchternen, praktischen Blick eine- solchen a». Herzen lassen sich aber nicht mit Nüchternheit beurtheilen, und vie Liebe ist eine Macht, die sogar Charaktere ändern kann. Sollte sie nickt im Stande sein, Sie, Renate» d,e Heimath vergessen zu lassen?"
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