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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.09.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-09-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950912026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895091202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895091202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-09
- Tag1895-09-12
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Aus dieser Veranlassung zerrt er auch in die Literatur das so gern gerittene Paritätspferd hinein, indem er auöfiihrt: „Mit der Parität in der Literatur stehtS ebenso schlimm wie auf anderen Gebieten. Außer den Dichtungen Weber's hat nur „Amaranth" es auf 40, der „Singschwan" bis zu 10 Auflagen gebracht. Und auf der anderen Seite? Da sehen wir Zahlen, vor denen uns schwindeln muß. Bodenstedt's „Mirza-Schaffy" obenan mit 150 Auflagen! Die Dichtungen von Rudolf Baumbach und Julius Wolfs erleben jedes Jahr mehrere Auslagen: alle sind mehr denn 20 Mal erschienen, die meisten 50, 60 und 70 Mal. Und welche Zahlen können wir diesen gegenüberstellen? Meine Herren, es ist kläglich, wenn ich Ihnen sagen muß, daß unsere schönsten Dichtungen es zu 2, 3, 5 und — das höchste — zu 8 Auflagen gebracht haben. Ebenso kläglich steht es mit der Erzählungsliteratur. Wenn Sie Scheffel's .Ekkeharw' kaufen, prangt auf dem Titelblatt: IlO. Auflage! Die Romane von Georg Ebers und Felix Dahn sind bis zu 20 Mal neu aufgelegt, die der Marlitt nicht viel weniger, ihre „Goldelse" über 20 Mal. Und uns ere(I) Er zählungen? Außer „Fabiola", die voriges Jahr zum 21. Mal in die Welt ging, konnte nur ein einziger Roman, die „Tochter des Kunst reiters", zu einer größeren Anzahl vonAuflagen sich emporschwingen, aber nicht zu 100 und auch nicht zu 50, sondern zu 8! Am kläg- lichsten, meine Herren, stehts aber um die UnterhaltnngSblätter. Die „Gartenlaube" zählt ungefähr 250 000 Abonnenten; „lieber Land und Meer",, Zur guten Stunde", „Daheim" haben Auflagen von 100000 und mehr Exemplaren. Diese Zeitschriften haben also zusammen mehr denn 600 MO Abonnenten bei etwa 30 Millionen Protestanten in Deutschland, Oesterreich und der Schweiz. Katholische illustrirte Zeitschriften haben wir besonders zwei bedeutende, die „Alte und Neue Welt" und den „Deutschen Hausschatz". Und diese beiden haben unter den 25 Millionen Katholiken jener Länder gerade 60 OM Ab nehmer. Wie viele Katholiken müssen unter den 6M M0 Abonnenten der „Gartenlaube" u. s. w. sein?^ Die „Rb.-Westf. Ztg." findet es mit Recht befremdlich, daß der Herr ConvictSrector I)r. Huppert nicht fragt, warum das Volk diese „katholische", d. h. ultramontane, Lectüre nicht haben will. Die Antwort muß lauten: Weil die echte Kunst Selbstzweck ist, weil ihr ein ideales Streben nach Vollkommenheit zu Grunde liegt. Was man aber „katholische Literatur" nennt, ist Tendenzschreiberei; mit bleierner Langeweile zieht sie den Leser hinunter. Es ist ein Nuhmeszeugrnß für das deutsche Volk, daß eS sich weigert, kritiklos zu sich zu nehmen, was ihm als „katholische" Literatur vorgesetzt wird. Doch was nicht in der Natur des Deutschen liegt, das soll durch ultramontane hetzerische Agitation ihm aufgepeitscht werden. „Fort mit der «katholischen Literatur", ruft deshalb der Herr ConvictSrector. „Jeder katholische Mann und jede katholische Frau soll sämmtliche Unter- haltungslectüre in der Familie gewissenhaft überwachen und in erster Linie nur katholische Bücher und Zeitschriften an- schaffen." Und wenn das noch nicht hilft, werden vermuthlich mittels „Umsturzgesetzes" Goethe, Scheffel und die „Garten laube" aus den Häusern hinausgejagt und dafür die ledernen Erzählungen Herchenbach's und die „Stimmen von Maria Laach" durch den AmtSbüttel bei den Familien berumgetragen. Nach obigem Muster geht dann die Rede in behaglicher Breite weiter. Der Herr ConvictSrector sagt u. A.: „Meine Herren, jeder Primaner muß wissen, was von den verschiedenen Lonversations-Lexika, von den illustrirten Geschichtsmerken, den belletristischen Blättern u. s. w. zu halten ist. Dem Abiturienten, der das nicht weiß, sollte kein Maturi- täts-Zeugniß ausgestellt werden, denn der ist nicht reif fürs Leben. Jenes Wissen braucht er nämlich fürs Leben, und wenns ihm sein Religionslehrer nicht mitgiebt, auf der Universität lernt ers nimmermehr." Die armen Primaner! Nun soll ihnen sogar noch der Religionslehrer Kenntnisse über Conversationslexika und die belletristischen Blätter deibringen, der ReligionStehrer, der doch eigentlich eine ganz andere Aufgabe hat. Oder sollte sich etwa die ganze „fürs Leben reif machende" Kenntniß der belletristischen Blatter und Lexika auf eine Titel-Zusammen stellung beziehen, die der gehorsame Primaner auswendig zu lernen hätte, um die betreffenden Werke wie Gift und Feuer zu meiden? Oder soll der Religionslehrer wie der Reichs tagspräsident über dem Redner täglich 6 Stunden auf einem höheren Katheder als Ober-Oberlehrer über dem Ordi narius und den anderen Lehrern thronen? Man mag sich nun ein Bild machen, wie es im ultromontanen Zukunsts gymnasium und — schon heute in den ultramontanen Con- victen aussieht. In der sogenannten „Zuwachssteuer-Frage", welche in Frankreich »och immer den Gegenstand des Streites zwischen dem Staate und den geistlichen Genossenschaften bildet, hat sich der Vatican stets bestrebt, nach außen hin sich in reservirter und neutraler Haltung zu zeigen. Die päpstliche Curie hat von Anfang an der Meinung Ausdruck gegeben, daß es sich hierbei nicht um eine Principien-, sondern lediglich um eine Jnteressen-Frage handle und daß eS deshalb angezeigt wäre, den Leitern der Genossenschaften die vollständige Hand lungsfreiheit zu lassen. Diese hätten sich in ihren Ent schließungen nur von den ihrer Obhut anvertrauten Interessen leiten zu lasse», und deshalb könnte eine Einmischung des Heiligen Stuhles nur von Nachtheil sein. Diesen Stand punkt nimmt der Staatssecretair Cardinal Rampolla auch in einem Schreiben ein, das er an den Erzbischof von Lyon richtete, der dem Papst die Beschlüsse des vor Kurzem in jener Stadt abgehaltenen ConareffeS katho lischer Rechtsgelehrter in Angelegenheit der Zuwachssteuer- Frage mitgetheilt hatte. Nachdem Cardinal Rampolla dem Erzbisckof von Lyon versichert, er werde die Beschlüsse des Congresses dem Papste mittheilen, fährt er in dem er wähnten, vom 24. v. M. datirten Schreiben fort: „Was Ihre detaillirten Informationen anlangt, so brauche ich Ihnen nicht nochmals zu. sagen, daß der Heilige Stuhl den Superioren der religiösen Genossenschaften vollständige Freiheit läßt, die Verhaltuugslime anzunehmen, die sie für die der Vertheidigung ihrer Interessen gegenüber dem Gesetze vom 16. April vortheilhafteste halten." Die französischen Prälaten sind indeß nicht geneigt, das „Verspiel" der römischen Curie uachzuahmen. Sie Hetzen im Gegentheile die Congregationen zum Widerstande gegen die Staatsgewalt auf, und einzelne Kirchenfürsten treiben ihre Opposition so weit, daß sie jene geistlichen Ge nossenschaften, die sich dem Gesetze fügen, mit Verfolgung bedrohen. In Frankreich macht man für diese Renitenz der Bischöfe aber doch den Vatikan verantwortlich und zwar mit gutem Grund, denn hätte der Papst sich auf den für die französische Regierung und sachlich überhaupt einzig in Be tracht kommenden RechtSstandpunct gestellt, so halte er den Prälaten nicht volle Handlungsfreiheit lassen dürfen, sondern hätte ihnen einfach jede Opposition verbieten müssen. So duldet er diese, ohne dafür formell die Verantwortung über nehmen zu wollen. Thatsächlich trägt er sie doch, und man wird ihn darüber in Frankreich nicht im Unklaren lassen, daß man sein zweideutiges Spiel durchschaut. Die letzten Nachrichten über neue türkische Aus schreitungen in Armenien, die aus Tiflis Vorlagen, wurden von der türkischen Botschaft in Berlin in einem Augenblicke als falsch erklärt, in dem sie selbst noch gar nicht im Besitze authentischer Meldungen aus Konstantinopel sein konnte. Jetzt sind ausführliche Drahtberichte nach London gelangt. Dieselben bringen nach der „Voss. Ztg." folgende Einzelheiten: Eine in Kar« am Montag aufgegebene Drahtmeldung de« armenischen Sonderberichterstatters der „Daily New«" bestätigt voll- aus die jüngsten Meldungen über die Vorgänge unweit von Erzinghian. Gegenwärtig — sagt der Berichterstatter — spielen sich dicht bei Erzinghian Scenen ab, die vielleicht den Ereignissen von Sassun gleichkommen dürsten. Der Haupiurheber ist wieder der Marschall ZekiPascha. Ein türkischer Gendarmerie oberst reiste am 12. August, begleitet von einem Armenier und einem türkischen Sergeanten nach Erzinghian, als die Gesell schaft von Räubern, die in einer Schlucht verborgen lagen, überfallen wurde. Der Sergeant wurde getödtrt, der Oberst verwundet, die Räuber entkamen. Der Angriff fand in der Nähe einer Gruppe armenischer Dörfer, „Kemakhs" genannt, statt. In Erzinghian angelangt, meldete der Oberst den Borfall den Behörden, die ohne Weiteres sofort aus den Gedanken kamen, daß die Angreifer eine Bande von 60 armenischen Rebellen aus Kemakhs waren und dazu schritten, demgemäß Maßnahmen zu ergreifen. In Erzinghian wurden sofort zahlreiche angesehene Armenier verhaftet, die noch eingekerkert sind. Ein Corps von 1000 Mann, zusammengesetzt ans Infanterie, Cavallerie, Gendarmen und Bajchibozuks, wurde nach Kemakhs gesandt mit der üblichen Weisung, zu plündern und die Rebellen zu verhaften. Diese Befehle sind noch in der Ausführung begriffen. Der ganze Bezirk Kemakhs ist umzingelt. Nach den bislang vorliegenden Meldungen wurden die Dörfer Corni, Tiru- guenen l?), Tortan, Horopul und Marig völlig geplündert, deren Bevölkerung (im Ganzen etwa 5000 Seelen) ruchlos mißhandelt, Männer wurde» grausam gefoltert, Frauen und junge Kinder vergewaltigt, vier Klöster wurden ebenfalls ge plündert, die Altäre umgestürzt, Heiligenbilder unter Be- schimpfungen vernichtet. Ein anderer, noch unbestätigter Bericht giebt Einzetheite» über die Ermordung von sechs Frauen und mehrerer Kinder. Die Arinenier von Erzinghian beschwören den englischen, französischen und russischen Conjul in Erzerum um Schutz gegen die Ortsbehörden und das Mititair. Die Aufregung und Beunruhigung ist allgemein, selbst die bessere Elaste der Türken ist gerührt. Die Armenier bringen diese neuen Ausschreitungen in Zusammenhang mit der bevorstehende» Ankunft ihres alten Feindes Schakir Pascha, der nach Erzinghian unterwegs ist. Wie »er- lautet, bildeten sich in Musch und Bittis antichristiiche Türkenvereine zwecks Ermordung der Christen, falls die Pforte den Reformplan der Mächte onnehine. Diese Nachrichten stammen zwar aus englischer Quelle und sind deshalb mit Vorsicht aufzunehmen, aber wenn man ihnen auch nur zur Hälfte Glauben beimißt, so lauten sie noch empörend genug und lassen es von Neuem als höchst bedauerlich erscheinen, daß gegenseitige Eifersucht die interessirten Mächte nicht zu einem nachdrucksvolleren Einschreiten gelangen läßt. Was die Verhandlungen der Pforte mit den Mächten anbetrifft, so sind sie soeben dadurch in ein neues Stadium getreten, daß die Pforte ihre Zustimmung zu einigen weiteren Punkten des ihr unterbreiteten Reformprogramms gegeben hat. Damit hat allerdings der Sultan insofern sich ent gegenkommend gezeigt, als er sich gegen für Armenien speciell zugeschnitlene Reformen — bekanntlich beabsichtigte er, einen die ganze Türkei umfassenden Reformplan ausarbeiten zu lassen — nickt mehr direct ablehnend verhält und wenigstens einiges zugesteht. Allein an der Weigerung, Vertreter der Mächte in die Controlcommission delegtren zu lassen, hält er — aus guten Gründen — hartnäckig fest und so bleiben seine Zugeständnisse nach wie vor leere Versprechungen. Deutsches Reich. * Berlin, 11. September. Man hat sich allgemach daran gewöhnt, die von Jahr zu Jahr anwachsenve Zahl der Verbrechens- und Vergehensfälle als ein Symptom der Verschlechterung des BolksckarakterS aufzufassen, jedoch nur in sehr beschränktem Maße mit Recht, da sich das Wachsthum der Criminalität durch eme Reihe anderer Factoren wesentlich beeinflußt zeigt. Erst kürzlich wurde in einer Sitzung deS Abgeordnetenhauses darauf hingewiesen, daß die zunehmende Ansammlung von Menschen in de» größeren Städten unter ungünstigen moralischen und wirtbschaftlichen Verhältnissen mit Sicherheit die Vermehrung der Strafsälle bewirke, und auf dem vorjährigen Antwerpen«? Eongreß für Schutzfürsorge bezeichnete man die Zunahme der Criminalitätsziffern mit Recht als rin unvermeidliches Correlat der modernen Cultur, die an Stelle der einfachen alten Verhältnisse für jeden ein zelnen Menschen bis hinein in die weitesten Volksschichten eine Fülle von Beziehungen in seinem Berufe, in seinem öffent lichen und privaten Leben, einen früher in diesem Maße un geahnten Verkehr mit fremden Menschen, kurz mannigfache, früher nicht existirende Berührungspuncte und Neibungsflachen, zahllose neue Verlockungen und Gelegenheiten zu Ueber- griffen in eine fremde NechtSsphäre geschaffen habe. Die Richtigkeit dieser Gesichtspunkte findet ihren unzweifelhaften Ausdruck in den neuesten Feststellungen der Criminalstatistik, denen zufolge eS nur wenige, und zwar die verhältnißmäßig leichteren Delicte sind, auf welche die Mehrzahl der Ver urtheilten entfällt. Auf Diebstahl, Unterschlagung und Körper verletzung kommt allein mehr als die Hälsle derselben; von je 10 000 überhaupt verurtheilten Personen waren i» den Jahren 1882—1862 verurtheiit wegen Diebstahls und Unterschlagung 3052, wegen Körperverletzung 2087. Daran reihen sich Be leidigung mit 1168, Verbrechen uno Vergeben gegen die öffentliche Ordnung mit 1182 auf je 10 000 Verurtheilte, so daß diese 4 Delicte 75 Proc. aller Verurtheilten ergaben. Bon den übrigen 21 Delictsgattungen erreichen nur 7 einen Antheil von mehr als 1 Proc. bis zu 5 Proc., während auf die letzten 14 zusammen noch nicht ganz 4 Proc. ent fallen. Die geringere Gefährlichkeit der Gesammt- criminalität drückt sich auch in der Verurtheilung zu Ehrcn- strafen und Polizeiaufsicht aus, deren Procentsatz seit 1882 in einer fast ununterbrochenen Abnahme begriffen war. Es ist ver sucht worden, einen ferneren wesentlichen Theil der in den criminalstatistischen Zahlen zu Tage getretenen Steigerung da durch zu erklären, daß infolge der nach dem Kriege 1870/71 beträchtlich vermehrten Geburtsziffer eine Verschiebung in dem Altersaufbau der Bevölkerung eingetreten sei, welche eine stärkere Vertretung der jüngeren, criminalfähigeren und auch criminelleren AlterSclassen in der Bevölkerung gegen früher bewirkt habe, wodurch auch die Zahl der Ver urtheilten habe wachsen müssen. Auch diesen Gesichtspunkt haben die criminalstatistischen Ermittelungen bestätigt, in dem in der Thal eine Verschiebung in dem Aufbau der Be völkerung nach Alter und Geschlecht und zwar in der Art eingetreten ist, daß die beiden jüngsten strafmündigen AlterS classen im Jahre 1880 stärker besetzt, die mittleren Alters klassen dagegen weniger stark vertreten sind als im Jahre 1885. Einen dritten bei der Steigerung der CriminalitätS- ziffer in Betracht kommenden Factor bildet die Aenderung der «lrafgesctzgebung, indem eine Reihe von Handlungen unter Strafe gestellt wurde, deren Thatbcständc früher nicht als strasbar angesehen wurden. Die Criminalstatistik für 1881 und 1892 fuhrt nicht weniger als 17 solcher Aenderungen, bezw. Erweiterungen der Strafgesetzgebung auf, unter denen namentlich die Zuwiderhandlungen gegen das Krankencaffen- gesetz und gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch, bezw. Besitz, von Sprengstoffen einen nicht un bedeutenden Raum einnehmen. Daß trotz dieser die Crimi- nalität beeinflussenden Factoren eine Gefahr vorhanden ist, kann ja nicht geleugnet werden; aber sie liegt nicht in der Größe der absoluten Ziffern, in der Ausdehnung (Erten- silät) der modernen Criminalität, sondern, wie auf dem Ant- werpener Congreß dargelegt wurde, in der zunehmenden Feuilleton. Schwere Kämpfe- Roman aus dem großen Kriege. 10) Von Carl Tanera. Nachdruck ««rbotkn. (Fortsetzung.) Damit ging er schleunigst am User entlang nach dem ganz nahegclegenen SeehäuSchen. Seine Mutter saß im Garten und stickte. Als sie seine Stimme vernahm, erhob sie sich und wandte sich ihm entgegen. „Du, Ludwig, jetzt schon?" „Ja, Mutter, ich komme allein. Es ist Alles aus." „Mein armer, armer Sohn." Sie gab ihm die Hand, zog ihn an ihre Brust und küßte ihm Mund und Wange. Ihre Thränen netzten sein Gesicht; er selbst, er konnte nicht meinen. Seine Miene blieb unbe weglich, düster und todtenähnlich; keine Thräne milderte die Spannung. Frau Horn forderte ihn nun auf, in daS Zimmer zu treten und abzulegen. „Wie lange kannst Du hier bleiben?" „Drei Tage." „DaS ist gut. Da können wir unS aussprechen." Nun kam Kati herbei und begrüßte den jungen Osficirr. Auch sic war über sein Aussehen sehr überrascht, äußerte sich jedoch nicht darüber, um ihn nicht zu erschrecke«. Sir hielt ihn für sehr krank. In wenigen Minuten batte Horn r« sich in seinem immer für ihn bereit stehenden Zimmer bequem gemacht, dir Uni form mit einer weihen militairische« Drillichjacke vertauscht und sich dann wieder zu seiner Mutter in den Garten be geben. Diese frug ihn: „Willst Du Dich noch erholen und vielleicht einen Spazier gang machen oder drängt es Dich, mir gleich zu erzählen." „Ich möchte Dir gleich erzählen." „Gut, so wollen wir un» in vir Laub« setzen. Dort sind wir am ungestörtesten." Bride ließen sich in der kleinen Laube nieder, und nun berichtete er. Merkwürdiger Weise kam kei« Wort der Klage, kein Bedauern, nichts Derartige» über stin« Lippe«. Er ichildelte, so nüchtern, so unparteiisch, wie wenn er Er lebnisse dritter Personen »zählen wvllt«. Wenn rr ein Unheil «infUgte, so war e« »in Zusatz, d«r »I« Handlung». weise Renatens milder, sozusagen gerechtfertigt erscheinen lassen sollte. Auch von ihrem Vater sprach er nicht im Ge ringsten gehässig. Er zeichnete ihn einfach als den reichen, vornehmen, aber einseitigen Kaufmann, der er wirklich war. Von Gustav Thorstraten wußte er nur Gutes und Sym pathisches zu berichten. Die Mutter hörte ihm stumm zu. Nur hier und da fügte sie eine Frage ein. Aber sie sprach noch kein Wort des Trostes. Sie kannte ihren Sohn und wußte, daß er jetzt noch für keinen Trostspruch zugänglich war. Aber sie kannte auch sein sanguinisches Temperament. Sie hoffte, daß er mit der Zeit von selbst Alle» leichter nehmen, dann auf ihre Trostworte hören, nach unv nach sich aufraffen und schließlich sogar vergessen werde. Dann konnte er ja auch doch noch an der Seite eines anderen brave» Wesens wieder froh, heiter und noch recht glücklich werden. „Freilich thut r» mir sehr leid. Renate Thorstraten hätte so ausgezeichnet zu ihm gepaßt und Ware mir eine so liebe Schwieger- tochter geworden." — DaS war der Gedankengang von Frau Horn, den sie aber vorsichtig vor ihrem Sohn verheimlichte. Dieser blieb die drei Tage ruhig in Vermied. Er spazierte durch den Park, er streifte un Wald umher und fuhr im Boot auf dem See. Aber er fand nirgends Ruhe. Am dritten Abend trieb er wieder langsam auf dem Wasser dahin. Er sah in die klar«, tief dunkelblau er scheinende Fluth. Da kam ihm der Gedanke: „Da unten ist Ruh." Immer wieder starrt« er hinab. Mit einem Male schien eS ihm, als ob Renate in der Tiefe sitze und ihm zu winke. „Sie fordert mich auf, zu kommen. Dort muß sie nicht ihrem Vater gehorchen. Dort ist sie frei. Da gehört sie mir und ich ihr." Noch weiter beugte tr sich Uber den Rand deS Boote». Seine Stirn« berührt, beinah« die Wasseroberfläche, sein Blick aber forschte in die Tiefe und bohrte sich immer mehr hinab. Noch eine Bewegung und er mußte da« Gleichgewicht verlieren. Da klang es vom Ufer: „Ludwig, bitte komm' zum Abendbrod. Du hast mich schon so lang« warten lassen/ Da« war die Stimme seiner Mutter. Der Spuk im Wasser verschwand, er richtet» sich wieder auf, ergriff dir Ruder, steuert« dem Ufer zu und trat bald darauf zu seiner Mutter in dir Laube. Am nächsten Morgen mußt« er mit dtm Frühzug nach München zurückfabrrn, um sich zu melden. Sein Urlaub war ja beendet. Er sah etwa« besser aus. Dir dreitägige Ruhe in vernritd, »it still«, vernünftige Art seiner Mutter batten ihm wohigelhan und ihm etwas Erholung geschaffen. Nur in Einem war ihm der Aufenthalt am See gefährlich geworden. Er hatte in ihm den Gedanken geschaffen: Ruhe ist nur im Grab. In den nächsten Wochen gab es in der Akademie viel zu tlmn. Die Vorarbeiten für daS Jabresschlußexamen be gannen, und außerdem mußten die Officiere der Akademie ganze Tage im Gelände am Meßtisch zubringen, um topo graphische Aufnahmen zu machen. Manche Abende zwang sich Horn, in der Oper zuzubringen, und das war auch die einzige Gelegenheit, wo er seinen Gram ganz vergaß. Er hörte die herrliche Musik Beethovcn'S, Weber'S, Mozart's und anderer großer Meister, welche damals neben Wagner in erster Linie das Repertoire der Münchner Bühne be herrschte, mit großer Vorliebe. Fast noch mehr sagten aber seinem Temperament und Geschmack die einschmeichelnden Melodien der italienischen Meister wie Verdi, Rossini und besonders Bellini zu. Mit Kameraden kam er immer weniger zusammen, weil man vor dem Jahre 1871 in Bayern das Caflnoleben noch gar nicht kannte, und AbendS nur kleine zufällig miteinander verkehrende Gesellschaften von Ofsicieren sich in den Bierkneipen vereinten. Die Akademiker, deren Regimenter nicht in München standen, blieben daher auf sich selbst angewiesen. Horn gehörte nie zu den Kneipern. Des halb siet auch jetzt sein Ausbleiben nicht auf. Nach und nach war seine Stimmung zwar eine etwa» ruhigere geworden. Immer aber kehrten seine TodeSgedanken wieder zurück und nur die Oper lenkte ihn noch ab. Sie hatte aber den Nachtbeil, daß sie seine Phantasie sehr erregte. Kam er dann nach Hause, so saß er oft stundenlang da, träumte zuerst noch von dem Gesehenen und Gehörten, und dann zogen seine Gedanken stets von Neuem zu seinem Gram, seinem für immer verlorenen LiebeSglück. So ver gingen fast sechs Wecken. Eines Abend» kam er sehr erregt auS Bellini's herrlicher Oper „Romeo und Julia" nach Hause. Besonders die letzte Scene, die Sterbesccne der beiden Liebenden, hatte ihn mächtig ergriffen. Ihm war es. als fühle er mit Romeo, daß eS unmöglich sei, den an genommenen Tod der Geliebten zu überleben; er fand es selbstverständlich, daß Julia, al» sie nach ihren, Erwachen au« der Erstarrung den Geliebten erdolcht neben sich sah, sich auch de» Dolch inS Herz stoßen mußte. Dann zogen seine Gedanken weiter: „Und Du selbst I Deine Julia ist auch todt, für Dich ans ewig todt. WaS willst D» denn eigentlich noch aus der Welt. Stirb, todt« endlich Dich selbst. Wenn dann Dein« Julia, Dein« Renate auS der Seelen erstarrung, in der sie sich befindet, erwacht, wenn sie hört, daß Tu wegen ihr aus dem Leben geschieden bist, villeicht hat sie dann Seelengröße genug und'folgt Dir nach." Er erhob sich, nahm seinen geladenen Revolver von der Wand und spannte den Hahn. Da wurde auf der Treppe das Geräusch von Tritten hörbar. Sie näherten sich, die Corridorthür öffnete sich, wurde wieder verschlossen, dann öffnete sich auch die Zimmer- tbür, und Witzelberger trat ein. Er hatte heute Urlaub bis Mitternacht gehabt, war soeben nach Hause zurückgekehrt, sah Licht im Zimmer seines Herrn und wollte fragen, ob dieser vielleicht noch etwas brauche. Da say er den Revolver, welchen der Lieutenant auf den Tisch gelegt hatte, ohne den Hahn niederzulassen. Wie auf höhere Eingebung erkannte der treue Bursche die Lage. Hatte er doch schon längst Sorge gehegt, daß sein immer schwermüthiger ge wordener Herr einmal einen Schritt gegen sein eigenes Leben unternehmen könne. Jetzt vergaß Witzelberger ganz, guten Abend zu wünschen, ging langsam auf den Tisch zu und sprach ernst: „Herr Leitnant, wann die gnädig Frau Muttern sehgen that, was ihr oanziger Sohn Nachts mit dem geladene Revolver rummacht! Was that da die gnädig Frau Muttern soag'n? Der Revolver is' übrigens ganz in Ordnung. I' habm erst vor Kurzem putzt. I* wilrn aber morg'n nomal vornehme, damit der Herr Leitnant nit nothwcndi Hamm, Wieda nochz'seghn." Damit nahm er, ohne eine Erlaubniß abzuwarten, den Revolver vom Tisch, spannte den Hahn ab und behielt ihn bei sich. Horn saß da wie ein bei einem Unrecht ertappter Knabe. Witzelberger that, als ob er da gar nicht bemerke, sondern frug in streng militairischem Ton: „Befebl'n der Herr Leitnant noch WaS?" „Nein, Witzelberger. Ich danke Dir. Ich will mich schlafen legen und" — leiser fügte er bei — „an meine gut« Mutter denken." Der gute Bursche konnte nichts mehr antworten. Er machte militairisch Kehrt und verschwand. Der brave Mensch war so erregt, daß ihm die Augen naß wurden. DaS wollte er seinem Lieutenant nicht sehen lassen. Auch dieser war sehr ergriffen. Daher vergaß er. seinem Burschen wie sonst noch gute Nacht zuzurufen, begav sich still ln sein Schlafzimmer und legt« sich zu Bett. Wieder vergingen mehrere Tage. Horn arbeitet« fleißig und bannt, damit vorübergehend di« Gedanken an sein Leid. AbendS aber kehrten sie immer wieder, und «i»r unheimlich» Zaubergewalt lenkte sie stet- von Neuem auf den Wunsch
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