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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.10.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-10-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951014023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895101402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895101402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-10
- Tag1895-10-14
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Voetlicher vor einiger Zeit ausgestreuten und neuerdings mit heuch lerischer Perfidie von dem Organ des Buntes der Land- wirthe wiederholten Verdächtigungen zu widerlegen suchte, bemerkten wir im Leitartikel unserer SonntagsauSgabe, mit dieser Erklärung sei nicht das Mindeste erreicht, Wohl aber sei bewirkt worden, daß selbst anständige Organe auf Lücken in der Darstellung des Ministeriums hinwiesen; wenn man in solchen Dingen nicht eine beweiskräftige Einsperrung er zielen könne, so werde man einen freiwilligen ehrlichen Widerruf vergebens erwarten. Genau dieselbe Ansicht finden wir heute in den „Hamb. Nachr.", dem Organe des Fürsten Bismarck, ausgesprochen, den der „Vorwärts" durch die Behauptung, der Fürst habe s. Zt. die betreffenden Summen widerrechtlich dem Welfenfonds entnommen und werde deshalb einer von welfiscber Seite beabsichtigte aktenmäßige Darstellung des Vorganges zu gewärtigen haben, m die Affaire hineinzuziehen trachtet. Die „Hamb. Nacbr." wenden sich nun zunächst gegen das von dem StaalS- ministerium beliebte Verfahren, indem sie auSsühren: „Die Thatsache, daß das gesammte Staatsministerium in amt- sicher Form die Integrität eines seiner Mitglieder in Schutz nimmt, ist ein Novum in unserer Publicistik. Früher war es üblich, daß das Staatsministerium vielleicht vor Gericht klagte, wenn es in corpore beleidigt war, aber auf Angriffe gegen einzelne Minister zu erwidern, wurde stets diesen selbst überlassen und cs fand auch auf gerichtlichem Wege statt. Wir erinnern uns, wie z. B. Fürst Bismarck von der Presse angegriffen wurde, weil er gegen die Beleidigungen, welche die „Reichsglocke" gegen ihn druckte, die sehr viel schwerer, deutlicher und gröber waren als die heute der „Zukunft" und der „Deutschen Tageszeitung" schuld gegebenen, ebenfalls vor Gericht klagte. Die Klage führte zu einer vollständigen und beruhigenden Erledigung des ganzen Lärms, den die „Reichsglocke" und ihre Anhänger er- hoben hatten. Wir hätten gewünscht, daß der übliche Weg in diesem Falle nicht verlassen worden wäre, denn wir glauben nicht, daß der Zweck, die fragliche Sache zum Abschluß zu bringen, durch den Schritt des Staatsministeriums und seines Amtsblattes erreicht werden wird. Wir sehen schon jetzt, wie die Gegner der Regierung, z. L. d.r socialdeinokratische „Vorwärts", die Dinge ausfassen." Die „Hamb. Nachr." gehen dann auf die Frage ein, ob event. der WelfenfondS für dergleichen Zwecke rechtlich ver wendbar war, und beantworten diese Frage folgendermaßen: „Die socialdeinokratische und die klerikale Presse scheint anzu- nehmen, daß der Fonds nur zur Ueberwachung der Welfenbcwegung in ihrer localen Begrenzung bestimmt gewesen sei; sie berück- sichtigt dabei nicht, daß die Welfenbemegung praktische Consequenzen nur durch Zerstörung und Schwächung der jetzigen Reichsverfassung und der preußischen Macht erreichen konnte. Die Wiederherstellung des Königsreichs Hannover ist bisher nur möglich in Folge des Verfalls der preußischen Macht und Monarchie, und die Ausgaben, die für den Schutz und die Consolidtrung derselben gemacht worden sind, und die, wie wir vermuthen, bei Weitem den größten Theil aller Ausgaben gebildet haben, entsprachen logisch der gesetzlichen Bestimmung des Fonds, den Bestand des preußischen Staates gegen welfische Aspiration zu schützen und zu kräftigen. Es würde deshalb kein Pudendum für die damalige Regierung bilden, wenn sie aus dem Welfenfonds Verwendungen gemacht hätte, welche den Zweck halten, die preußische Regierung in ihrer Stärke und Unanfechtbarkeit zu decken, und wenn die Verlegenheiten, denen aus dem Welfenfonds abgeholsen sein soll, rein finanzieller Natur gewesen wären, so würde auch König Wilhelm nicht geneigt gewesen sein, einer Abhilfe zuzustimmen." Das wird natürlich nicht nur vom „Vorwärts" und seinen ultramontanen und welfischen Nachbetern als ein Geständ- niß des Fürsten, daß in der Thal der Welfenfonds zur Deckung des von dem Schwiegervater des Herrn v. Boetticher (Bankdirector Berg) bewirkten Desicits oder vielmehr zur Wiedererstattung der von den Freunden Berg's zur Deckung dieses Desicits vorgeschossenen Summen benutzt worden sei, angesehen und fruclificirt werden. Dem Fürsten Bismarck kann man es natürlich nicht verdenken, wenn er sich gegen hinweist. Wir glauben ihm auch darin beistimmen zu müssen wenn er weiter ausführt, daß daS, was Herrn v. Boetticher von solcher Seite, auf deren Urtheil Gewicht gelegt werden darf, vorgeworfen worden war, nicht die Anwendung des Apparates einer feierlichen Ministererklärung bedurfte. Denn: „Ein Minister kann an und für sich doch nicht sür die Zuverlässigkeit und die Moralität seiner angeborenen oder angeheirathcten Ver wandten veranwortlich gemacht werden. Es könnte ja manchen Mitgliedern des Staatsministeriums pajsiren, daß sie in der Wahl ihrer nächsten Verwandten oder Schwiegereltern nicht vorsichtig genug gewesen sind. Wenn also der Schwiegervater eines Ministers in finanzielle oder selbst weitergehende Gefahr geräth, jo wird dadurch unserer Ansicht nach die Integrität des Schwiegersohnes noch nicht angefochten und beeinträchtigt. Niemand kann dem Minister von Voetlicher eine überwachende Tdätigkeit eines Stralsnnder Bankdireclors zmnuthen, auch wenn derselbe sein Schwiegervater ist. Es ist ja edel, daß Herr von Boetticher die Sache des Valers seiner Frau sofort als die eigene behandelt und sür dieselbe sein eigenes Ver mögen und einen erheblichen Theil des Vermögens seiner männlichen 'Verwandten geopfert hat, und Laß das Opfer von der Größe, wie es das Gesammtbedürsniß erforderte, seine Kräfte überstieg, war nicht seine Schuld und keine Schädigung für die eigene Ehrenhaftigkeit. Daß er die Art, wie dieses Opfer von königlicher Seite vervollständigt wurde, hätte stolz zurückweisen sollen, ist eine Zumutdung, deren An nehmbarkeit man nach dem Maße des periönlichen Gefühles des Betheiligten allein zu bemessen hat; aber die Entscheidung darüber kann höchstens das Maß des Stolzes des Betheiligten, nicht das seiner Ehrenhaftigkeit abgeben. Endlich ist es durchaus wahrscheinlich, daß Herr von Boetticher die fehlenden Gelder nicht direct erhalten hat, sondern daß sie da zur Einzah- lung gelangt sind, wo sie fehlten: bei der Reichsbank." An diese Erläuterung knüpfen die „Hamb. Nachr." die folgende Schlußbetrachtung: „Wir wissen also, wie gejagt, nicht, warum man aus ministerielle'- Seite die gerichtliche Verhandlung gescheut hat, welche durch.Ver nehmung der Ministerialbeamten, des Chefs der Reichsbank und der betheiligten Bankhäuser rin unanfechtbares Ergebniß zu Tage gefördert haben würde, das für Herrn von Boetticher nach unserer Schätzung der Verhältnisse klarer und günstiger aus gefallen sein würde, als alle die Vermuthungen und Folgerungen, welche sich an die vorsichtig redigirte Erklärung im „Reichsanzeiger" anknüpsen und schließlich den weiteren Forschungen und Angriffen in der Presse nur Vorspann leisten werden." Leider kommt der Rath, der in dieser Betrachtung liegt, zu spät. Eine Klage ist nach dem Erscheinen der ministeriellen Erklärung nicht mehr möglich, denn die von dieser Erklärung gelassene Lücke über den Ursprung der Deckungssumme kann doch nicht zum Vorwand einer nachträglichen Klage benutzt werden, deren Erbebung man mit Berufung auf die „Würde eines Staatsministers" abgelehnt hatte. Das Wühlen in jener Lücke wird nun mit besonderem Eifer von Denen be trieben werden, die besonderen Grund haben, nicht nur den Fürsten Bismarck zu vervächtigen, sondern auch seinem jetzt im Amte befindlichen Nachfolger eine wenig glückliche Hand nachzuweisen. Das Alles halte vermieden werden können, wenn das preußische Staatsministerium wegen der Behand lung des Falles Boetticher sich ins Einvernehmen mit dem Altreichskanzler gesetzt hätte, der diesen Fall doch am genauesten kannte. Ist es auch bekannt, daß er Herrn v. Boetticher nicht mehr zu seinen Freunden zählt, so durfte man doch von ihm erwarten, daß er eS nicht von der Hand weisen würde, diesen Minister gegen unberechtigte Angriffe in Schutz zu nehmen; und daß er dafür die rechte Form ge-1 funden hätte, unterliegt Wohl auch keinem Zweifel. Leider aber — und das ist für uns die betrübenvste Seite der ganzen widerwärtigen Sache — beweist dieser Fall, daß zwischen Friedrichsruh und Berlin die Wege noch immer verrammelt sind und daß von Berlin a»S kein Versuch ge macht wird, sie zum eigenen Vortheile wieder zu öffnen. Die diplomatischen Verhandlungen über den Kall S^okcS zwischen London und Brüssel scheinen zu einem Still stände gekommen zu sein, und zwar wohl hauptsächlich aus dem Grunde, weil das englische Ministerium noch auf eigene Berichte über die Sache aus Afrika wartet. Unterdessen bereitet sich eine andere Action in Sachen Stokes gegen die Ccngoregierung vor. Die Familie des aufgehängten Stokes bat vas Mitglied des Unterhauses sür Shrewsbury, Henry David Greene, einen berühmten Advocaten, beauftragt, ihre Entschädigungsansprüche an den Congostaat zu ver treten. Die Familie verlangt (wie schon erwähnt) außer einer Entschädigung die Rückgabe der dem Tobten weggenommenen Sachen, die einen Werth von einer halben Million Francs hätten. Mr. Greene ist vor einigen Tagen in Brüssel eingetroffen, um seine Acten zu vervollständigen und die Gesetzgebung des Cvngostaales zu studiren, deren Bestimmungen bei der Hinrichtung von Stokes nickt einmal befolgt worden seien. Tie Werthangabe des im Besitze des Hingerichteten befindlichen Materials, welches hauptsächlich aus Elsenbein bestand, ist bemerkenswerth. Von Brüssel aus wurde es mehrfach bestritten, daß Stokes so werthvolle Besitzthümer gehabt habe. Indessen wurde schon vor mehreren Zähren aus Deutsch-Ostafrika berichtet, daß der in deutschen Diensten stehende Händler Stokes aus dem Westen Elfenbein im Werthe von etwa 400 000 mitgebracht habe. Stokes hat also überall, wohin er kam, das Elfenbein aus weitem Umkreise an sich gezogen und anderen Sammlern großen Abbruch gethan. Dieser Umstand kann bei der Beunheilung des ganzen Vorganges, der überhaupt, vielfach tendenziös dar gestellt, noch der Aufklärung bedarf, ehe man das Schuldig nach der einen oder der anderen Seite spricht, jedenfalls nicht außer Acht gelassen werden. Zn EnglanS hat man von Anbeginn des französischen Feldzuges auf Madagaskar eine Haltung eingenommen, welche deutlich verrieth, wie sehr wenig erbaut man dort von der Eventualität einer endgiltigen Begründung der fran zösischen Herrschaft auf jener wichtigen Insel war. Jetzt, wo die militairische Action der Republik in Madagaskar mit der Einnahme Antananarivos zu einem vorläufigen Abschluß gediehen ist, kehren die englischen Beklemmungen mit ver stärkter Intensität zurück. Madagaskar bildet gewissermaßen eine natürliche Citadelle an der Ostküste Afrikas, deren Besitz die strategische Beherrschung des südlichen Indischen OceanS und der von und nach Indien bezw. Australasien und den chinesischen Gewässern führenden Wasserstraßen gewähr leistet. Und bei der ausgesprochenen Tendenz gerade der überseeischen Politik Frankreicks, sich ganz und gar in den Dienst der expansiven Interessen dieser Macht zu stellen, wird die Wahrscheinlichkeit, daß Madagaskar in französischen Händen sich zu einer permanenten Bedrohung der englischen Stellung in Indien und im fernen Osten entwickeln könne, fast zur Gewißheit. An brauchbaren Häfen fehlt es der Znsel nicht, ebensowenig an materiellen Hilfsquellen der ver schiedensten Art, deren allmähliche Erschließung und Nutzbar machung nur noch zur Erhöhung des Werthes dieser colonialen Errungenschaft führen muß. Wenngleich vorerst Frankreich noch alle Hände voll zu thun haben wird, um nur die noth- dürftigsten Vorbedingungen für ein coloniales Regime in Madagaskar zu schaffen, so liegt es doch in der Natur det Dinge, daß die Regierung des Mutterlandes nicht au, halbem Wege stehen bleiben kann. Dieselben Gesichts punkte, welche maßgebend waren für die Einfügung Madagaskars in das moderne französische Colonialreich, werden auch bestimmend bleiben für Zuweisung der Rolle, welche der Znsel unter den französischen Herrschaftsauspicieu Vorbehalten ist. Und diese Rolle dürfte weniger in der Richtung einer culturellen als einer machtpolitischen Action gelegen sein. Die Festsetzung der Franzosen in Madagaskar kann daher England nicht gleichgiltig lassen; vielmehr wird Letzteres nicht umhin können, je eher desto besser solche Maß regeln zu treffen, durch welche die nachtheilige Wirkung, welche mit der dauernden Stationirung stärkerer französischer See streitkräfte in den Gewässern Madagaskars zweifellos für Englands maritime Position im Indischen Ocean und weiter ostwärts verbunden ist, thunlichst abgeschwächt wird. Es ist in den letzten Tagen wiederholt in der Presse behauptet worden, daß die armenische Gesellschaft der Huntschakisten die Ruhestörungen veranlaßt und geleitet habe. Man bezeichnet die Gesellschaft als eine „anarchistische", und zwar auf Grund einer Broschüre, die vor Kurzem unter dem Titel: .,1.» r^belliou urmöulcunc; so» vrigino — 8ou lmt. l'ru Io Vte. U. cles Lour8on8" in Paris in der l-iluuiric cku 8orvieo central cko la pre886 erschienen ist. Der Verfasser dieser Broschüre seinerseits stützt sich wieder auf das Werk res Reisenden M. S. Limenes ,Ivurck8 null /Vrmeni,m8), sowie auf eine in London 1880 unter dem Titel: „l'ouiaut nouveau" erschienene Broschüre. Es werden dort allerhand Grundsätze aufgestellt, die sehr bedenk lich lauten. So heißt es auf Seite 19: Vor Allem ist es bekannt, daß wir Anarchisten sind und ein ernstes Verlangen hegen, das in unserem Programm verzeichnet ist: wir wollen in Anatolien Anarchie Hervorrufen, das ist unser Haupt ziel. Um es zu erreichen, haben wir beschlossen, in Anatolien eine unabhängige nationale Regierung zu gründen und sofortige Unruhen hervorzuruse», um damit die ausgedehntesten politischen Freiheiten zu erlangen. Es wird dann der Patriotismus für „lächerlich" erklärt, und es werden die üblichen anarchistischen Mittel zur Herbei führung des Umsturzes angeführc, unter denen natürlich auck das Dynamit nicht fehlt. Diesen Beschuldigungen gegenüber erklärt nun der Herausgeber des „Huntschak", des Organs der erwähnten armenischen Gesellschaft, Avetis Nazarbek, daß die Behauptungen des Vicomte des Coursons auf Phan tasie beruhen; er habe daS angebliche Programm dem Archiv eines türkischen Gerichtshofes entnommen, dem es ein erfindungs reicher Spion übergeben habe. Der „Huntschak" sei nickt, wie Coursons behaupte, vor 8 Zähren in Tiflis gegründet worden, denn die russische Censur hätte dies gar nicht er laubt. Ter „Huntschak" habe nie die Anwendung von Dynamit empfohlen, auch sei thalsächlich seit dem Bestehen der Partei der Huntschakisten, also seit 8 Zähren, nie ein Dynamit-Attentat in Armenien vorgekommen. Die Partei wolle nichts weiter, als den nationalen Geist der Armenier wecken, sowie dieselben veranlassen, sür ihre Rechte zu kämpfen und, wenn nölhig, auch für dieselben zu sterben. Das Pro gramm der Huntschakisten sei: administrative, politische und gerichtliche Autonomie sür Armenien unter einem von den Mächten ernannten unabhängigen Gouverneur, eine vom Volke ohne Unterschied des Glaubens und der Nationalität erwählte Volksvertretung, Freiheit der Presse und der Religion, der Versammlungen rc. Diese Forderungen kann gewiß Niemand als „anarchistische" bezeichnen. — Mittlerweile scheint die arme nische Bewegung sich zu einem Kampf zwischen der jung türkischen, modern-fortschrittlichen, resormfreundlicken Richtung, welche sogar die Einführung constitutioneller Formen FerriHrtsir. Schwere Kämpfe. Roman aus -em g ratzen Kriege. 87) Von Carl Tanera. Nachdruck verboten. lFortsetzung.) Die Pferde trugen noch die glatten, halb abgelaufenen Sommereisen. Mit diesen rutschten sie jetzt aus, daß man oft meinte, die armen Thiere wollten Schlittschuh laufen, und viele stürzten und verletzten sich mebr oder minder. Des gleichen ihre Reiter. Den guten Muth beirrte dies aber keineswegs. Im Gegentheil! Er hob sich, weil man sich mit vollem Reckte sagen konnte, die an eine derartige Kälte gar nicht gewöhnten Südfranzosen, welche den größten Theil der Loirearmee bildeten, würden unter solcher rauher Witterung noch mehr leiden. Außerdem wußte man, daß das jetzige Ziel wieder die schöne und reiche Stadt Orleans sei. „Sind wir erst dort, dann hat alle Noth ein Ende." Damit tröstete man sich und wünschte nur recht bald mit den Franzosen, die noch dem Einzug in Orleans im Wege standen, abrechnen zu können. Zn der Nacht vom 1. zum 2. December hielten die Vor posten der 3. Brigade die Höhen vorwärts der Fermen la Maladrie und Morale besetzt. Die Vorposten des Feindes standen keine 2 Kilometer entfernt bei Villepion und Terre noire. Beide Gegner waren durch Märsche und Kämpfe des vergangenen Tages so ermüdet, daß sie sich in der Nacht wenig belästigten. Immerhin konnte ein durch frische Truppen ausgeführter Ueberfall jeden Augenblick stattsinden. Etwa um 2 Uhr Morgens wünschte General Roth eine besondere Meldung über die Verhältnisse auf dem rechten Flügel der Vorposten zu erbalten. Horn zog selbst, um nicht die armen Burschen unnotyig zu ermüden, seinen „Orleans" auS der Scheune, in der die Pferde des Stabes standen, bestieg ihn und trabte loS. Nach kurzer Zeit kam er am GroS der Vorposten vorbei nach der Ferme Villerand. Dort mußte in einem sogenannten Alarmquartier die rechte Flügelfeldwache der Brigade liegen. Unter solchen Quartieren verstand man daS Unlerbringen der Leute in großen Scheuern, oder in Räumen, auS welchen man schnell herauskommen und sofort in gefecht- dsreiter Ordnung antreten konnte. Bei dieser Art von Unterkunft durfte nur ein Theil der Leute schlafen, keiner aber die Waffen ablegen oder sich sonst eine die Schnelligkeit deS Bereitseins aufhaltende Erleichterung verschaffen, noch weniger sich entfernen. Horn kam zufällig so von rückwärts in den Hof, daß er am Wohnhaus vorbei auf die Scheuer zuritt, in der sich die Feldwache befand. Der wegen der Nähe des Feindes für diesen Tag ausgegebenen Instruction gemäß, nur im dringendsten Nothsall und auch dann nur sehr leise an zurufen, rief ihn der Posten überhaupt nicht an, weil er bei der durch den Schnee und den Sternenschein entstandenen Helle den Ordonnanzofficier deutlich erkannte. Dieser ritt an die Scheuer und fragte: „Wo ist der Feld- wacheommandant?" „Der is' nit da, Herr Oberleitnant." „Nimmt er gerade eine Postenrevision vor?" „Nein, er is' — i woaß nit recht, wo er is'." Zn diesem Augenblick trat ein Unterofficier aus der Scheuer und meldete, er sei der momentane Vertreter des Feldwachcommandanten. „Wo ist denn dieser?" Der Unter officier stockte. Dies Alle« erschien Horn sehr verdächtig. Er fuhr den Unterofficier hart an: „Aus der Stelle melden Sie mir, wo er ist, sonst werde ich Sie selbst höheren OrteS zur Meldung bringen." „Herr Oberleitnant. Er is nur in deeS Zimmer da gange. I' hält' 'n holen lasten sollen, wann ebber (irgend jemand) kimmt. Aba der Herr Oberleitnant stehgne grad vor der Thür." DaS erschien nur noch verdächtiger. Horn stieg daber schnell auS dem Sattel, ließ sein Pferd halten und schritt ohne Weiteres in daS Haus. Als er in daS Zimmer trat, sah er vor einem großen in der Ecke stehenden Bett einen Mann, ohne Rock, aber mit Stiefeln und der bayerischen Unisormshose bekleidet, stehen. Dieser eilte aus einen Stuhl zu, über dem ein Lieutenantsrock hing, zog denselben schleunigst an, schnallte seinen Säbel um und setzte den bereitstebenden Helm auf. Zu seiner peinlichsten Ueberrasckung erkannte der Ordonnanzofficier beim Schein einer brennenden Talgkerze den Landwehrlieulenant von Hast. „Wie kommen Sie zu einer so pflichtvergessenen Ent fernung von Zhrer Feldwache?" „Ach, Sie müssen das nicht so schlimm ausfaffen, Herr Kamerad. Sie haben ja selbst gesehen, daß ich in kaum einer Minute fix und fertig dienstbereit vor Zhnen stand." „Zch habe nur gesehen, daß ein Feldwachcommanbant seine Pflicht gröblich verletzt und eine durch die Kriegsgesetze mit schwerster Strafe bedrohte Handlung begangen hat." „Wenn eS denn nicht anders sein soll, so will ich Zhnen den Grund verrathen, warum ich mich nur auf einige Minuten zehn Schritte weit von meiner Feldwache entfernte. Dann werden Sie auch milder urtheilen und vielleicht ebenfalls mehrere Minuten hier verweilen." Damit trat er zu dem Bett und wollte die Federdecke etwas aufbeben. Horn konnte die Formen eines hübschen Frauenarmes erkennen, welcher sich bemühte, die Decke festzuhalten. Der Ordonnanzofficier mußte sich sehr zusammennehmen, um nicht im gerechten Zorn über ein solches Verhalten eines Kameraden Ausdrücke zu gebrauchen, die eben doch nicht zulässig waren. Er biß sich auf die Lippen und zwang sich selbst zu einer Pause, um sich nicht zu vergessen, und um sich ganz in der Gewalt zu haben. Lieutenant von Hast nahm sein Schweigen falsch auf: „Zch dachte es mir doch, daß ein so schöner Grund auch in Ihren Augen Gnade findet. Sie ist eine hierber verschlagene Pariserin. Nicht wahr, Herr Kamerad, so etwas entschuldigt Alles?" Nun fuhr ihn aber die Oberlieutenant doch an: „Herr, ich verbiete mir jedes weitere Wort. Auf der Stelle begeben Sie sich zu Zhrer Feldwache und führen Zhren Dienst so auS, wie es die allerhöchsten Vorschriften befehlen. DaS Weitere werden Sie morgen hören." Wie ein geprügelter Hund drückte sich Herr von Hast an dem Ordonnanzofficier vorbei und verließ die Stube. Horn folgte ihm sofort, stieg wieder in den Sattel und ritt nochmals zur Feldwache, vor der nun Herr von Hast stumm stand. Wie daS hart klang, als der Oberlieutenant rief: „Machen Sie mir gefälligst Meldung, was sich bei Zhren Posten ereignet hat." Der Lieutenant erstattete Rapport. „Haben Ihre Patrouillen eine Bewegung beim Feinde bemerkt?" „Nein." Da fügte aber der nebenanstehende Unterofficier bei: „Za, die zuletzt zurückgekommenen Patrouillen haben auf den Straßen hinter Loigny und Villepion Wagenaerassel ver nommen. Es klang, als ob Geschütze von rückwärts nach diesen Orten vorgedracht würden." Ohne den Lieutenant nur noch zu beachten, besprach nun der Oberlieutenant alle dienstlichen Verhältnisse mit dem Unterofficier. Als er fertig war, wandte er sich nochmals zu Herrn von Hast: „Zn zwei Stunden begehen Sie die ganze Postenlinie Zhrer Feldwache und senden dann sofort neuen Rapport an den Stab in la Maladerie." „Sehr wohl, Herr Oberlieutenant." Ganz flüchtig erhob Horn die Hand an die Mütze, um nicht vor den Leuten der Feldwache ein schlechtes Beispiel zu geben. Dann ritt er, obne noch ein Wort zu sprechen, zur nächsten Feldwache. Sein Dienst zwang ihn, alle Auf merksamkeit auf seine Umgebung zu lenken. Darum konnte er das Erlebniß mit Hast nicht gleich überdenken. Dies hatte wiederum das Gute, daß sich sein Zorn etwas abkübltc. Auf dem Rückweg aber bedachte er, was er in diesem Falle zu thun habe. Tienstgcmäß wäre es gewesen, den pflicht vergessenen Osficier zu melden und damit seine Ent lassung nebst einer schweren Strafe zu erwirken. Bei jedem Anderen hätte er sich auch keine Minute besonnen, so zu bandeln; denn solche Kameraden schänden den Stand; die kann man nicht schonen; die müssen fort. Aber daß eS gerade von Hast war! Mußte nicht Zeder, der die Scene bei dem Kellcrfest in München miterlebt batte, annehmen, er habe ihn auS persönlicher Feindschaft zur Anzeige gebracht; mußte nickt selbst Renate, wenn sie Alles erfuhr, glauben, er habe in unedler Weise seine Eifersucht aus solche Art befriedigt. Das durfte nicht sein. Zn diesem Fall hielt er seinen unantast baren Namen, den er nicht Mäkeleien oder falschen Beur teilungen aussetzen wollte, für zu werthvoll, als daß er ib» durch die Meldung der Handlungsweise eines von Hast aufs Spiel setzen wollte. Somit entschloß er sich, nach wieder holtem Ueberlegen, die Sache zu verschweigen. Als am nach sten Tag die Brigade in Gefechtsbereitschaft ausmarschirt war, ritt er zum 2. Bataillon de« 3. Regiments und rief den Lieutenant von Hast zu sich. So leise, daß Niemand ihn sonst verstehen konnte, sprach er zu ihm:"„Herr Lieutenant, Sie wissen selbst; eS kommt jetzt bei der Truppe auf jeden einzelnen Osficier an. Wollte ich Sie melden, so würden Sie infam cassirt. Zch tbue es nicht. Zeigen Sie in der heutigen Schlacht, daß Sie meine Nachsicht richtig aufgesaßk haben." Damit grüßte er und ritt weiter. Von Hast trat wieder bei seiner Compagnie ein. Nun folgte die Schlacht de« 2. December, der schwerste Tag der 3. bayerischen Infanterie-Brigade. Zm Allgemeinen lautete die Aufgabe für die einzelnen Tbeile der Armee deS Großherzogs von Mecklenburg wie folgt: „Die französische Loire-Armee scheint einen Vorstoß nach Norden unternehmen zu wollen. DaS darf nicht geschehen.
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