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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.10.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-10-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951015024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895101502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895101502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-10
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Corresp." den Stöckerbrief durch eine „Erläuterung" seines Urhebers für „abgethan" erklärt; daß aber diese Art von Sammlungsversuchen das Gegentheil des beabsichtigten Er folges herbeiführt, geht u. A. auS einem Artikel der konser vativen „Eottbuser Ztg." hervor. Dieses Blatt wird wenig genannt, aber es erfreut sich, da neuerdings keinem nicht zur Fahne Stöcker's schwörenden Conservativen ein Berliner Parteiorgan zur Verfügung steht, der Mitarbeiterschaft hervorragender Parteigenossen. Auch von dem erwähnten Artikel kann die „Köln. Volksztg." versichern, daß er auS der Feder eines „hochangesehenen" Parteimitgliedes stammt. Er lautet: Ein solcher Wirrwarr, wie er jetzt in den leitenden Kreisen der conservativen Partei besteht, ist noch nicht dagewesen. Da soll der Kuckuck daraus klug werden! Die „Krcuzzeitung" bringt eine Reihe Artikel gegen die „Inn g-Conservativen ", die Christlich- Socialen, und weist eingehend nach, wie die von Liesen vertretenen wirthschaftlichen und socialen Tendenzen sich genau mit denen der Socialdcmokraten decken. Jeder vernünftige Mensch mußte daraufhin annehmen, daß das Tischtuch zwischen den Conservativen und den sogen. „Jung-Conservativen" zerschnitten sei. Leute, die auf wirklich conservativem Standpunct stehen, athmelen auf und meinten, daß der Hexentanz innerhalb der conservativen Partei endlich aufhören werde; denn sie hatten die systematische Classenverhctzung, wie sie in gewissen, sich konservativ nennenden und von der Parteileitung als solche anerkannten Blättern unablässig betriebe» wird, längst mit Kopsschütteln angesehen. Kamps gegen das besitzende und gebildete Bürgerlhum — das ist die Parole, die das Etöcker'sche „Volk" fast Tag für Tag ansgicbt und die in allen anderen christlich-socialen Blättern und Flugschriften widerklingt. Man traut wirklich seinen Augen nicht, wenn man liest, daß der Kampf gegen das gebildete und besitzende Bürgcrthum Aufgabe einer Partei, die doch eine staatserhaltende im eminentesten Sinne sein will, sein soll. Nun, wie gesagt, nach den eben erwähnten Artikeln der „Kreuzzeitung" mußte man annehmen, daß die diese verkehrte Richtung vertretende Gruppe ab geschüttelt werden solle. Ta koinmt die Veröffentlichung des Stöcker'schen Briefes mii den Rathschlägcn zum Sturze Bismarck's. Anfangs erklärt die Partei-osficielle „Conservative Corresp.", daß sie die in dem Briefe ausgesprochene Tendenz nicht billige. Darauf erhält sie vom Stöcker'schen „Volk" einen groben Fa nstschlag auf den Mund; sofort kriecht sie zu Kreuze und verkündet, daß Stöcker natürlich Mitglied des Parteivorstandcs bleiben werde. Aber Stöcker ist doch der Vater und Führerder christlich-socialen, der jung-conservativen Bewegung, die in ihren wirthschaftlichen und socialen Tendenzen der socialdemokratischen aufs Haar gleicht und ihr Rüstzeug von dieser entlehnt hat — wie die „Kreuzzeitung" nachgewiesen hat. Kürzlich ineinte die „Krcuzzeitniig" noch, daß Herr Stöcker wohl auch heule nicht mehr den in seinem Brief von 1888 ein genommenen Standpunct gutheißen werde. Herr Stöcker veröffentlicht aber in der „Evangelischen Kirchenztg." und im „Volk" eine Reihe von Artikeln, in denen er seine damalige Stellungnahme Punct für Punct aufrecht erhält, ja sie, wenn möglich, noch verschärft, denn er führt darin das denkbar gröbste Geschütz gegen die Conservativen Helldorff'jcher Richtung, gegen Freiconservative und National- liberale auf. Sofort giebt nun auch die „Kreuzzeitung" bei, indem sie in einer Polemik gegen die Erklärung des Herrn von Plettenberg, der aus dem Stöcker'schen Briese genau dasselbe herausliest, was Anfangs die „Conservative Corresp." und die „Kreuzzeitung" selbst herausgelesen hatten, diesem eine irrige Auslegung zuschreibt, „die man bei den Feinden Stöcker's begreiflich finden mag, vor der sich aber Gesinnungsgenossen hüten sollten". Etwas Consequenz, Ihr Herren von der conjervativcn Parteileitung, damit wir im Lande, die Euch folgen sollen, wissen, woran wir sind! Stöcker selbst bewegt sich in merkwürdige» Wider sprüchen. Er hat von vornherein nicht dem geringsten Zweite! an der Echtheit des Brieses Ausdruck gegeben und meterlange Artikel zur Begründung und Rechtfertigung des darin ausgesprochene» Standpunctes veröffentlicht. Jetzt am Schluß des dritte» Artikels spricht er aus einmal von dem „ihm zugeschriebenen" Briese I Wie kann man de» Conservative» im Lande zumuthcn, alle diese Wider sprüche ruhig hinzunehmen! Was ist denn cigcnllich heute con- servativ? Der Gewährsmann der „Köln. Volksztg." ist auf den Verfasser dieses Artikels, den er einen „verkappten Hell- dorsfianer" nennt, natürlich sehr schlecht zu sprechen. Er will auch die Wahrnehmung gemacht haben, daß „die große Mehr zahl der Eonservativen trotzdem noch der schärferen Tonart, wie Herr von Hammerstein sie vertrat, mit Leib und Seele zugethan ist". Er stellt indessen selbst fest, daß der wiedergegebene Artikel der „Eottbuser Zeitung" „allen Conservativen dortiger Gegend aus dem Herzen ge schrieben ist". Wir kennen auch noch andere Gegenden, in denen der größte Theil der Conservativen mit dem Eottbuser Blatte übereinstimmt. Vor vier Jahren sollte in Bade»« der National- liberalismus „zerschmettert" werden. So hatten es das Centrum, die Socialdemokratie, die Demokratie und der so genannte Freisinn unter sich ausgemacht, und die Conservativen batten zwar wenig Kraft, aber ebensoviel Lust wie die Anderen, mit zu siegen. Es war die Aera Caprivi, und es gelang, die Mehrheit, welche die Nationalliberalen in der Kammer inne hatten, auf eine Stimme hcrabzudrücken. Vor zwei Jahren — die Hälfte der Kammer wird in Baden aller zwei Jabre erneuert — war der Erfolg des erneuerten antinationalliberalen Eartells, daß zwei weitere Sitze den Nationalliberalen entrissen wurden, so daß diese von den 63 Kammersitzen 30 inne hatten. Von einer Zerschmetterung war also nicht die Rede, zumal da die von der Freiburger Curie unter Einbeziehung der Demo kraten und der Freisinnigen mit den Socialdemokraten ein- gegangene Coalition gleichfalls nicht die Mehrheit hatte, da die Kammer noch zwei Conservative zählte. Aber im Jahre 1895 sollte und „mußte" gelingen, was zweimal vergebens versucht worden war. Die Klerikalisirung der Umsturzvorlage war den Demokraten und den Freisinnigen nicht recht ge wesen; auf einer gemeinschaftlichen Versammlung der ver bündeten Radicalen, die im Mai stattfand, erkannte der freisinnige Landtagsabgeordnete an, daß das Centrum eine reactionaire Partei sei. Aber „so bedauerlich diese reactionairen Bestrebungen sind, doppelt und dreimal größer sind die Gefahren, die uns von Seiten der Nationalliberalen drohen." Welcher Natur diese Gefahren seien, theilte der Herr nicht mit, aber vielleicht erfährt man es demnächst aus dem Gang der Dinge. Die Nationalliberalen scheinen nämlich, statt zerschmettert worden zu sein, wiederum die Mehrheit in der.Kammer erlangt zu haben; jedenfalls haben sie einen Sitz gewonnen, und nach den bisherigen Nachrichten ist es sicher, daß sie dem Centrum und dem Freisinn je ein Mandat abgewonnen haben, dagegen sollen sie einen Sitz (Rastatt Stadt) an den Freisinn verloren haben. Ob das Letztere richtig ist, wird vermuthlich erst bei der Abgeordneten wahl — die Wahl ist eine indirecte — sich Herausstellen. Ist die gemeldete Parteizugehörigkeit der 57 Rastatter Wahl männer irrig, so ist die nationalliberalc Kammermehrheit fertig. Aber auch im andern Falle bleibt das Ergebniß, daß keine der antinationalliberalen Parteien einen Sitz gewonnen, das Centrum aber, das Oberhaupt des Vierbundes, ein Mandat verloren hat, und dies trotz innigsten Einverständnisses der Ver- bündetcn,daswabrscheinlich jetzt bestritten werden wird ;trotz einer außerordentlich eifrigen. schon im Frühjahre eingeleiteten Agitation und trotz deS geistlichen Hochdrucks, der sich eben sowohl in den Dienst der Partei, welche die Schule von der Kirche trennen will, als in den der kirchen- und religionS- seindlichen Svcialdemokratie stellte. Wie bitter die Ent täuschung für die Veranstalter dieses Hochdrucks ist, geht wohl am klarsten aus einer kurz vor den Wahlen gefallenen Aeuße- rung der ultramontancn „Köln. Volksrtg." hervor: Wenn die Macht des Nationalliberalismus in Baben gebrochen sei, so werde die Regierung nicht umbin können, der veränderten Zusammensetzung der Kammer Rechnung zu trage». Einigen Mitgliedern der Regierung wurde von der „Köln. Volksztg." eine persönliche Neigung dazu nachgesagt, für die anderen aber wurde die einst dem Präsidenten Mac Mahon gestellte Alternative wiederholt: 86 soumettro cm 86 Ü6M6ttr6. Wie das Deutschthum in Kroaticu-Tlavonicn in den letzten Jahrzehnten bedeutende Fortschritte gemacht bat (im Jabre 1857 lebten in diesem Lande ungefähr 30 000, 1880 bereits 83 000, 1890 aber 117 493 Deutsche), so hat sich auch die Zahl der Evangelischen seit 1870 stark vermehrt. Im Comitate Bjelovar wohnten 1890 1232, im Comitat Pozega 4449, im Comitat Virovitiza 5885 und im Comitat Syranien 23 285, im ganzen Lande aber 35 691 Evangelische, meist Augsburger Bekenntnisses. Die Evangelischen finden sich in allen wichtigeren Orten dieser Comitate in größeren oder kleineren Gruppen; nur wenige Gemeinden sind aus schließlich oder überwiegend von Evangelischen besiedelt. Zu letzteren Orten gehören z. B. Neu-Pazova mit 3285, Alt- Pazova mit 1535 und Naudorf mit 984 Evan gelischen. In Agram wohnen 348, in Semlin 340, in Surcin 485, in Vukovar 640, in Korogj 1004, in Neu- Banovei 572, in Bcska 1350, in Esseg 394, in Saliste 708, in Hrastovac 688, in Jlok 427, in Erdevik 505, in Bingula 482 Evangelische re. Der Nationalität nach sind diese Evangelischen zumeist Deutsche, doch giebt es auch, einige Tausende evangelischer Slovaken und Magyaren. Die wenigsten der Evangelischen sind Deutsche aus dem Reiche; meist sind sie aus den Schwabendörfern Süoungarns oder aus der nordungarischen Slovakei eingewandert. Seit einigen Jahren machen nun die evangelischen Gemeinden in Kroatien-Slavonien große Anstrengungen, um eine eigene Landeskirche Augsburger Confessio» zu begrün den. Schon im Jahre 1893 wurde ein allgemeiner Convent in Agram abgebalten, der sich mit dieser Frage beschäftigte. Im August d. I. tagte, wie man uns schreibt, in Neu- Pazua wieder ein Convent ans dem zum größten Theile durch Abgeordnete, 200 an der Zahl, zum kleineren Theile durch schriftliche Erklärungen, alle evangelischen Kirchen gemeinden Kroatien-Slavoniens vertreten waren. Von den auf dem Convent einhellig gefaßten Beschlüssen seien nur folgende hervorgehoben: Der Convent wahrt das Selbstverwaltungsrecht der evangelischen Kirche Augsburger Confession auf Grund des kaiserlichen Patents vom Jahre 1859 und erklärt sich als allein competent, über die Constituirung der evangelischen Kirche etwas Meritorisches zu beschließen und zu unternehmen. Der Convent verharrt grundsätzlich bei dem Beschlüsse des Agramer Convents vom 4. und 5. October 1893 in Bezug auf Gründung einer selbst ständigen Landeskirche und lehnt jede Einmischung von Seite der Kirchenbehörden Ungarns boflichst ab und verlangt, daß dieselben der Entwickelung der kroatisch-slavonischen Landeskirche kein Hinderniß in den Weg legen. Der Con vent erklärt die Gesammtheit der evangelischen Kirchen gemeinden Augsburger Confession Kroatien-Slavoniens für einen einheitlichen Körper, der im Convent einheitlich vor geht. Ein fünfgliedriger Ausschuß wird beauftragt, ein Memorandum über die Lage der evangelischen Gemeinden an den kroatischen Landtag abzusenden und um ein Gesetz zu bitten, nach welchem nicht nur die evangelische Kirche mil den übrigen christlichen Kircken gleichberechtigt, sondern auch die Begründung der kroatisch-slavonischen evangelischen Landes kirche anerkannt und unter den Schutz des Landes gestellt werden soll. Der Erfolg der italienischen Waffen b ei Debra Ailat leitet die Aetion des Generals Baratieri gegen den Negus Menelik und den Ras Mangascha in einer sehr viel versprechenden Weise ein. Das gleichzeitig in Rom veröffent lichte Grünbuch über Afrika wirft interessante Schlaglichter auf das in Abessinien von den Gegnern der italienischen Asrikapolitik versuchte Jntriguenspiel. Es erhellt aus dem Inhalte dieses Grünbuches, daß die italienische Regie rung schon seit geraumer Zeit Kenntniß von den Um trieben des Negns und insbesondere von seinen Bestrebungen, Italien in internationale Schwierigkeiten zu verwickeln, besaß. Auf dem Laufenden erhalten wurde das Auswärtige Amt durch den General Baratieri selbst, dessen Thätigkeit sich also ebenso erfolgreich in politischer und diplomatischer als in militairischer Hinsicht erweist. Er hatte überall seine Kundschafter und Vertrauensmänner, von denen er erfuhr, was im feindlichen Lager vor sich ging. Es konnte sich in Ansehung der Umstände nur darum handeln, durch rasches und entschlossenes Vorgeben sich zum Herrn der Lage zu machen. Wie es scheint, hatten die Ratbgeber des Negus Menetik nicht ge- taubl, daß General Baratieri schon so bald lvsschlagen würde, (ach den Berichten der „Agenzia Stefani" ist der Waffenerfolz bei Debra Ailat nicht minder bedeutsam unter dem strategischen als unter dem taktischen Gesichtspunkte, denn er hat die Tigriner vollständig außer Gefecbt gesetzt, so daß von dieser Seite her den Italienern keine weitere Gefahr drohen dürfte. Wohl aber verleiht der Besitz von Tigre dem General Baratieri eine vortreffliche Basis für seine weiteren militairischen Evolutionen. Unter der Landschaft dieses Namens hat man sich eine weite Ebene vorzustellen, welches sich vor den Hochplateaux des eigentlichen Abessinien bis zu dem Siemen erstreckt, dem höchsten und am meisten zerklüfteten Gebirgszuge Aelhiopiens. Die Tbäler des Ucri und des Takazze umgeben sie gleichsam mil tiefen Gräben, und da Tigre die beiden großen Straßenzüge nach Schoa und Gondar beherrscht, so ermöglicht sein Besitz eim leichte Vertheivigung der Stellung von Adigrad, welche nickt umgangen werden kann. Mithin ist Italien durch das Treffen bei Debra Ailat in den Besitz des Schlüssels zu seiner erythräischen Provinz gelangt und kann nunmehr in aller Ruhe an die Fortsetzung der Operationen schreiten, ohne befürchten zu müssen, daß der Feind den vormarschirenden Truppen in der Flanke oder im Rücken lästig fallen werde. In Italien ist man begreiflicherweise über die vom General Baratieri geernteten kriegerischen Lorbeeren hocherfreut. Sie kommen gerade zu rechter Zeit, um den Eindruck, den die nationalen Septemberjubiläumsfeste bei der öffentlichen Meinung des In- und Auslandes hinterlaffen, neu zu beleben und zu befestigen. Die Nachrichten auS dem Inneren des t!o»igostaates lauten ernst und alle officiösen Beschwichtigungen erweisen sich als eilele Flunkerei. Obwohl Briefe belgischer Officiere vom Eongo her meldeten, daß bebufs Ausrüstung einer neuen Expedition viele Sckwarze ausgeboben und militairisch aus gebildet würden, erklärte das ministerielle „Brüsseler Journal" mil der ihm eigenen Dreistigkeit und Unzuverlässigkeit, diese Nachricht sei unwahr; nur die Posten am Lualaba müßten um FsitiHetoir. Schwere Kämpfe. Roman aus dem groste» Kriege. 38j Von Carl Tanera. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Die entsetzliche Kälte zwang zu möglichst raschem Absuchen des Schlachtfeldes, damit nicht die armen Verwundeten, die noch zu retten waren, dem eisigen Hauch des Nordostes er lagen, ehe man sie in gedeckten Räumen unterbringen konnte. Oberlieutenant Horn hatte die Befehle für den folgenden Tag an die verschiedenen Bataillone gebracht. Nun ritt er über das weite Schlachtfeld zurück. Welch' schaurige Bilder erschienen vor seinem entsetzten Auge; welch' markdurchdringende Töne erschütterten sein Ohr. Sein Rappe mußte einem Haufen von Leichen ausweichen. Was war das? Dumpf wie aus der Erde kommend rief es: „Um Gottöwill'n, Kamerad, hilf mir. I' halt'S nimmer aus." Er hielt das Pferd an. Wo kamen die Töne her? Alles blieb still. „Hat hier Jemand gerufen?" Antwort kam nicht, aber ein dumpfes, mattes Stöhnen dort unter den Todten. Horn sprang aus dem Sattel. Er brauchte sein Roß nicht zu halten. ES war so müde, daß es sich nickt von der Stelle rührte, als es der Osficier einfach stehen ließ. Nun hielt er neben den Todten. „Wer hat hier gerufen?" „Ich. Befrei mi' von dem Todten, Kamerad. Der erstickt mi'." Das klang dumpf unter dem Körper eines Kopflosen hervor. Horn faßte den Gefallenen und wälzte ihn zur Seite. Der arme Jäger! Selbst verwundet, mußte er noch die Last eines todten Kameraden, der auf ihn gefallen war, tragen. Sogar das Blut des Unglücklichen war ihm über sein Gesicht geträufelt, und er batte eS sich nicht auS den Angen wischen können. Nun schöpfte er doch Athem. „Gott sei Dank. Etzt krieg i' Luft. I' bin ja fast erstickt!" Er athmete mehrere Male voll auf. „Wo sind Sie denn verwundet?" „Die Stimm! Wann i' nur sehgn kunnt. Aba 'S Blust vom Anderle bat mir die Aug'n ganz zupappt. San Sie nit der Herr Oberleitnant Horn?" „Ja, der bin ich. Und Sie ?" Er konnte das blutige Gesicht im flackernden Licht der Flammen von Loigny nicht erkennen. ,,J' bin ja der Cumpanieschreiber, der Huber." „Ach, mein armer Huber. Ich will Ihnen zuerst die Augen auswischen." Nun nahm der Osficier sein Taschentuch, feuchtete es mit geschmolzenem Schnee an und reinigte seinem Jäger die Augen von dem Blute des todten Anderle. „Gott sei Dank, jetzt siehag i' do wieada. Sie san so uat mit mir, Herr Oberleitnant. I' dank Ehana recht erzli.'" „Wo sind sie denn verwundet, Huber?" ,,D' Granat'» hat mir alli zwoa Händ zerschloag'n. I' bin untern Anderle a'falln nn' bab' nimmer b' Kraft g'habt, mi frei z'mach'n. Nacher bin i' ohnmächti' worn. Wica i a'fgwacht bin, war'S dunkel Nacht, un i' bab fast koa Luft meh' kriegt. I' Hab' gmoant, i' derstick. Jetzt geht's besser. Aba!" Er konnte nicht weiter reden. Er bob seine beiden zerfetzten, blutigen Hände in die Höhe und schluchzte. Horn, dem der schaurige Anblick fast daS Herz zerriß, richtete ihn etwas auf. Dann öffnete er einen nahen Tornister, entnahm daraus ein Hemd, zerriß es und verband dem armen Jäger die beiden Arme, so gut er konnte. Es war wenigstens günstig, daß das gestockte Blut eine weitere Blutung ver hinderte. Nun flößte er den letzten Schnaps, den er in seiner Feld flasche trug, dem Huber ein und lehnte ihn so an den todten Anderle, daß er wenigstens bequem saß. „Der gefallene Kamerad hat Sic doch vor dem Erfrieren bewahrt. Ich werde mich Umsehen, daß ich schleunigst Träger finde, die Sie gleich zum Verbandplatz nach Loinay bringen." Nach diesen Worten zog er einem Todten den Mantel aus und legte ihn über den Jäger Huber. Dieser wollte sich nochmals bedanken. Horn schnitt ihm das Wort ab mildem Bemerken, er solle keine Bewegung machen, um nicht neue Blutungen hervorzurufen, und bestieg seinen Orleans. „So schnell als möglich sollen Sie Hilfe bekommen. Dann wird eS schon wieder gehen. Adieu, Huber." Damit ritt er ab. Vorsichtig wich das Pferd den Gefallenen aus. Es schienen keine Verwundete mehr auf dem Schlacktfeld zu liegen, denn Alles war still, umheimlich still. Freilich, wer nicht seinen Wunden erlegen oder schon längst in die schützenden Räume eines Hauses gebracht worden war, den hatte die eisige Kälte in tiefen Schlaf gewiegt und dann auf ewig von allen Schmerzen befreit. Er war erstarrt und erfroren. Mit einem Mal vernahm der Osficier einen durch Mark und Bein dringenden fürchterlichen Schrei. Er sah nach der Richtung und bemerkte eine davonhuschende Gestalt. Wie der Blitz durchfuhr ihn der Gedanke: ..Eine Schlachtfeldhyäne." Er gab die Sporen, sprengte ohne Rücksicht auf die glatten Eisen seines Pferdes nack der Stelle, wo er den Schrei ver nommen, und riß sein Revolver aus der Satteltasche. Schnell war er dort. Da lag ein preußischer Unterofficier und rief gebrochen: „Der Hund — hat mir den Finger abgeschuitten — um meinen Ring — zu rauben — rächen Sie mich." Es hätte der Aufforderung nicht bedurft. Horn sah den Kerl nock. Orleans mußte im Galopp nachsetze». Bald hatte der Osficier das Scheusal trotz seines flüchtigen Laufes erreicht. Es war ein Blonsenmann. Mit wenigen Sätzen befand sich der brave Rappe an der Seite des Schuftes; der Revolver des Officiers neigte sich nach dessen Kopf, und mit dem Rufe „Canaille" drückte Horn ab. Er hatte gut getroffen. Wie vom Blitz erschlagen brach der Bauer zusammen und rührte sich nicht mehr. Der Osficier aber wandte sein Roß »nd kehrte nach der Stelle zurück, wo der Musketier gelegen. Da lag er auch noch, aber stumm und starr. Die blutige Hand ruhte auf dem weißen Schnee. An der Brustwunde des Todten ersah aber Horn, daß der Musketier doch nicht zu retten gewesen war. Er lag wahrscheinlich in den letzten Zügen, als der llnmensch ihn beraubte und verstümmelte. Der fürchterliche Schmerz beim Verlust der Finger hatte wahrscheinlich dem Unglücklichen noch einmal Kräfte verliehen, um zu schreien. Horn hielt sich nun nicht mehr auf. Er vermied eS, den Blick mehr auf das ihn umgebende Elend zu werfen, als es unbedingt sein mußte, um sein Pferd zu lenken. Bei der Ferme Beauvilliers fand er Verwundetenträger, befahl ihnen, ihm zu folgen, und führte sie zu der Stelle, wo der arme Huber noch saß und ruhig auf seinen Lieutenant wartete. „Hat länger gedauert, als ich wollte, aber ich kann nichts dafür. Ich mußte noch eine Pflicht erfüllen." „Macht nix, Herr Oberleitnant. Daß Sie mi' nit sitz'n lass'n, Hab' i' g'wußt. Dees Vertrau'» hat mir Kraft geb'n. Vergelts Ehane Gott, daß so um mi' sorg'»." „Ich hoffe nur, daß sich Ihre Wunden als leichter er weisen, wie Sie denken. Leben Sie Wohl, Huber. Ich werde, so bald ich kann, mich nach Ihnen erkundigen. Ich muß nun zurück zu meinem Stabe. Adieu." Ehe der Jäger neue Dankesworte äußern konnte, war Horn wieder weiter geritten. Bald traf er bei Beauvilliers ein. Witzelberger empfing ihn überglücklich. „Gott sei Dank, daß S' da san, Herr Oberleitnant. Die Angst, die i' ansg'stand'n Hab! Koaner bat g'wußt, wo S' nach der Schlacht hinkemma san. Jetzt trink n S' nur run dem Wein, den wir Hamm. Z' ess'n gibt's sreili' nur a Stückerl Schok'lad." „Hast Du denn selbst etwas bekommen?" „I? Gnua, Herr Oberleitnant. Da nehame S' nur all' den Schok'lad. I' will dem Orleans den Busch'l Heu geb'n, den i' no' aus dem brennende Höst rausg'holt Hab." Damit reichte er seinem Herrn ein Stück Chocolade; Alles, was er besaß, denn er selbst hatte sich mit einem trockenen Stück Brod begnügt. Horn trat ernst zu seinem General. Der Gedanke, daß er soeben einen Menschen gc tödtet, drückte ihn doch sehr. Als er aber im Kreise der anwesenden Officiere das Erlebnis; erzählte, wurde ihm so allseitiger und uneingeschränkter Beifall gezollt, daß er darin eine wirkliche GewissenSberuhigung fand und sich keine weiteren Scrupel mehr machte. Nach einiger Zeit kam ein preußischer Osficier und bat um einige Angaben behufs der Aufstellung der Gefechlsrelationen. Durch diesen erfuhr Horn, daß nur 30V Schritte vor dem Biwak der 3. bayerischen Brigade die preußischen 76er lagen. Er fragte seinen General, ob er nicht dort einen kurzen Besuch macken dürfe, um sich nach einem Bekannten zu erkundigen. „Ja; es ist mir sogar sehr angenehm, wenn Sie dabei auch die Aufzeichnungen der Hanseaten mit unseren vergleichen. Es kann dadurch vielleickt mancher Jrrthum, besonders bei den Zeitangaben, berichtigt werden." Horn grüßte nun die Kameraden und ging zu Fuß nach dem nahen Biwak der' 76er. Er erreichte diese bald und fragte nach der 7. Compagnie. „Sie giebt heute die Cantonnementswacben in Loigny." „Wissen Sie zufällig, ob der Lieutenant Thorstraten ver wundet wurde?" „Ich glaube nicht. Immerhin ist es besser, Sie sehen selbst im Dorfe nach." Horn begab sich in den Ort. Etwa ein Drittel desselben stand noch in Flammen. In den übrigen Häusern lagen Verwundete im Quartier, und fortwährend wurden neue Opfer des verflossenen Kampfes auS den Scheuern, in denen
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