Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.11.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-11-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951121020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895112102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895112102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-11
- Tag1895-11-21
- Monat1895-11
- Jahr1895
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis in d« Hauptexpeditiou oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten AuS- qcwcs'ellen abgeholt: vierteljährlich^»4..)0, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins hau- ü.LO. Durch die Post bezöge» für Deutschlaud und Oesterreich: viertel,ährlich 8.—. Direkte tägliche Srruzbandiendong i»< Ausland: monatlich ÜM 7.öO. Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/-? Uhr. die Abeud-Ausgabe Wochentags um ü Uhr. Nr-aciion «n- Crpe-itio«: Johannesgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Otto Klemm'- Sortim. (Alfred Hahn)» Universitätsstraße 1, LouiS Lösche. Katharinenstr. 14, part. und König-Platz 7. ALend-Ausgabe. Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- «nd Geschäftsverkehr. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Psg. Reklamen unter dem Redactionsstrich <4ge- spalten) üO/H, vrr den Fainiliennachrichten (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut uusrrem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsa^ «ach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Posrbesörderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Aunahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Für die Montag.Morgen.Ausgabe: Sonnabend Mittag. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anreisen find stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Donnerstag den 21. November 1895. 89. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 21. November. Je näher der Tag der Wiedereröffnung deS Reichstags gerückt ist und je deutlicher das Cent rum durch die Dort munder Wahl bewiesen bat, daß es zur Unterstützung einer Politik, die der Kaiser in Uebereinstimmung mit seinen hohen Verbündeten klar vorgezeichnet hat, absolut unbrauchbar ist, um so mehr hätte man erwarten sollen, daß das officielle Organ der deutschen Couservativen gegen die Mittel parteien eines Tones sich befleißigen werde, der ein erträg- tiches Verhällniß zwischen diesen Parteien und den Con- servativen im Reichstage herbeizuführen vermöchte. Statt dessen bringt die „Conservat. Cvrr." in ihrer letzten Nummer einen „Das Sturmlaufen gegen die konservative Partei" Lberschriebenen Leitartikel, in dem es von den Nationalliberalen sagt: „Die Nationalliberalcn haben ebenfalls gegen die konservative Partei energisch mobil gemacht. Ihre illoyalen Zettelungen gegen unsere Partei in Sachen des „Hammerstein.Scandals" und des „Stöcker.Briefes" sind zu Schanden geworden; nun stürzen sie sich mit verdoppeltem Eifer aus die Na umann'jche Angelegenheit und thun, als ob sie der konservativen Partei Vor» schriften zu machen hätten. Den anspruchsvollen Herren ist unsere Stellungnahme zu Naumann und Anhang nicht entschieden, der Scheidungsschnitt nicht tief genug; sie „verlangen", daß auch Stöcker abgestoßen werde. Daß ein solcher Wunsch gerade von dieser Sette in allen konservativen Kreisen auf den stärksten Widerspruch stößt, braucht nicht erst hervorgehoben zu werden." Es ist nichts weniger als klug von dem konservativen Parteiorgan, den Nationalliberalen illoyale Zettelungen in Sachen des Hammerstein-Scandals zum Vorwurf zu machen und das Wort Hammerstein-Scandal noch dazu zwischen Anführungszeichen zu setzen, zum Zeichen, daß es die Thaten des früheren Führers mit „skandalös", d. h. „ärgernißerregend", als zu hart beurtheilt erachtet. Seit die Couservativen sich rückhaltlos der Verdammung des Entflohenen angeschlossen hatten, war es von dem Manne ziemlich still geworden. Und ganz still gerade in der nationalliberalen Presse, die das politische Moment im Falle Hammerstein überhaupt nur in dem Umstande fand, daß man den Verbrecher so lange ge schont und sich durch Angriffe auf andere Parteien von der Pflicht, Herrn v. Hammerstein weuigstens publicistisch und rednerisch sein „Recht" werden zu lassen, gern ab lenken ließ. Wenn das Organ der deutschen Conserva- tiven in dieser Beziehung wieder rückfällig wird, so werden zwar voraussichtlich nicht die Nationalliberalen, aber die Blätter anderer Parteien sich mit ihm auseinandersetzen. ES ist ebenfalls weder wahr, noch geschickt, wenn die „Cons.- Corr." — ganz wie anläßlich der Erörterung über den Fall Hammerstein — von den Nationalliberalen sagt, sie thäten, als ob sie in der Naumann'schen Angelegenheit der konser vativen Partei Vorschriften zu machen hätten. Daß eine Partei sich darum kümmert, was die andere in einer den Staat betreffenden Angelegenheit thut oder läßt, ist natürlich, denn die Handlungen einer Partei bestimmen ihr Verhältniß zu anderen Parteien, und dieses wiederum ist, in Deutschland und Preußen wenigstens, wo keine Partei die Mehrheit im Parlamente besitzt, maßgebend für den Gang der Politik, soweit die Parlamente an ihr betheiligt sind, und noch ein gut Stück darüber hinaus. Also auf die von ihrem Organ zur Zeit gewünschte Nichtbeachtung können die Conservativen nickt rechnen. Aber die Beachtung, die sie bei den Nationalliberalen finden, ist nicht von der Art, daß die „Cons. Corr." berechtigt wäre, zu sagen: „Den an spruchsvollen Herren ist unsere Stellungnahme zu Naumann und Anhang nicht entschieden, der Scheidungöschnilt nicht tief genug; sie verlangen, daß auch Stöcker abgestoßen werde." Nun, die Stellungnahme der „Cons. Corr." zu Naumann hat wegen ihrer Entschiedenheit in nationalliberalen Kreisen geradezu überrascht. Wenn da- Organ Grund zur Un zufriedenheit darüber bat, daß eS nicht den entsprechenden Widerhall fand — und es hat Grund dazu —, so liegt die Schuld doch ganz wo anders als bei den Miltelparteien. Was die „Abstoßung" Stöcker's angeht, so lassen sich Zeug nisse aus der „Cons. Corr." ankühren, daß sie im eigenen Lager dringender gefordert wird, als außerhalb desselben. Hat die „Cons. Corr." doch selbst Stöcker nach dessen Wort „abgeschüttelt". Sie zog ihn allerdings schleunigst wieder an sich, und Beides hat sich wiederholt. Wenn nun daS amtliche Organ einer Partei sich ab und zu von einem Mitgliebe derselben trennt, so kann es anderen Parteien dock, nicht wohl verargt werden, wenn sie sich in Betrachtungen ergehen, ob jene Partei nicht bester ohne jenes Mitglied führe. Uebrigens hat die national liberale Presse gerade in der neuesten Zeit den Vorgängen innerhalb der conservativen Partei gegenüber weitgehende Zurückhaltung an den Tag gelegt, sehr zum Unterschied von conservativen Organen, die sich an Beschimpfung der National liberalen keinen Tag genug thun können. Zur Frage der Militairstrafgerichtsordnung respektive zu der politischen Bedeutung, die sie nach den Aus lassungen der ,^kreuzztg." und de- „Hann. Cour." gewonnen zu haben scheint, liegt positiv Neue« nicht vor. Negativ aber insofern, als der starken Vermuthung des hannoverschen Blattes, Herr v. Köller gehöre zu den thätigen Gegnern der Reform des Militairstrafverfahrens, wie sie der preußische Kriegsminister, wahrscheinlich im Einvernehmen mit seinen College» in den übrigen deutschen Königreichen, ins Auge gefaßt habe, halbamtlich oder auch nur „anscheinend osficiöS" nickt entgegengetreten worden ist. Zn der Sache haben wir wiederholt dem Zweifel Ausdruck gegeben, daß eine neue Militairgerichtsordnung auch in der nächsten Tagung des Reichstags nicht zur Vorlage gelangen werde. Man kann das Angesichts der starken und zähen Wider stände vorhersehen, hat aber wirklich, wenigstens vom liberalen Standpunkte aus, keinen Grund, cs zu entschuldigen, wie die „Köln. Ztg." es thut, indem sie sagt, die Vorlegung einer Militairstrafaerichtsordnung in der künftigen Tagung sei gar nicht gerechtfertigt, da die Grundlagen des allgemeinen Strafverfahrens auch für das Militairstrafverfahren in An wendung gebracht werden sollten, die bürgerliche Straf- proceßordnung aber erst in der nächsten Session die Abänderungen erfahren werde, die in der vorigen infolge der Unthätigkeit des Reichstags nicht erfolgt seien. Dem ist entgegenzuhalten, daß die Tagung lang genug sein wird, um beide Materien hintereinander zu erledigen. „Durch gesprochen" ist die alte Zustiznovelle wohl hinlänglich, und die Punkte, in denen die Militairstrafgerichtsordnung nach dem geänderten bürgerlichen Verfahren sich zu richten haben wird, sind nicht die kritischen der ersteren. Wenn alle ArbcitcrauSstände, die in der socialdemokra tischen Gewerkschaftspresse und unter der Rubrik „Gewerk schaftliches" im „Vorwärts" als in der Vorbereitung begriffen erscheinen, wirklich zum AnSbruch gelangen sollten, so würde man im nächsten Frühjahr mit einer umfassenden Lohnbewegung unter socialdemokratischer Führung zu rechnen haben. Es giebt kaum noch ein Gewerbe, für welches nicht irgend ein Vertrauensmann, irgend eine Lohncommission im socialdemokratischen Hauptorgan mit dem Anspruch auftritt, als Centralpunct für die Bestrebungen zu gelten, auf dem Wege der Arbeitseinstellung höhere Lohn sätze zu erzielen. Töpfer, Maler, Instrumentenmacher, Confectionsarbeiter, Holzarbeiter u. s. w. u. s. w., sie alle sollen des Segens theilyaftig werden, welchen die gewerk schaftliche Organisation zu vermitteln sich anheischig macht. Gerade diese Ueberfülle von Streikandrobungen ist es aber, was dies Vorgehen der Führer der socialdemokratischen Gewerkschaftsbewegung verdächtig macht. Wir zweifeln nicht daran, daß auch im nächsten Frühjahr von Seiten der Social- demokratie einige Arbeitseinstellungen inscenirt werden, und es ist angezeigt, die Verantwortlichkeit dieser Partei für dieselben unzweifelhaft festzustellen; im Großen und Ganzen dürfte aber die „Bewegung" nur das Ziel verfolgen, die Arbeiter in die nothleidenden Gewerkschaften hineinzutreiben. Es ist längst bekannt, daß „die Motten in die Gewerkschaftsbewegung ge kommen" sind und daß es mit derselben statt vorwärts, rück wärts geht. Da ist denn die Aussicht auf Erlangung besserer Lohnbedingungcn ein bequemes Mittel, .um Propaganda zu machen, ein Mittel, das 'noch dazu den Vortheil finanzieller Wirksamkeit besitzt. Mit der Einrichtung der Streik- marken und der Streikkarten ist es dem Arbeiter so un geheuer bequem gemacht, sein Geld Pfennig- und nickel weise an die „Organisation" zu wenden, daß es wunderbar zugehen müßte, wenn die „Genossen" die Gelegenheit nicht benutzen würden. So hofft man die Ebbe in den Gewerk- schaflscaffen zu beseitigen. Daß so etwas wie ein General streik von den Führern der Socialdemokratie selbst längst als „Utopie" bezeichnet ist, bleibt der Kenntniß der Contribuenten sorglich entzogen. Trotz alledem ist zu bezweifeln, daß dir neuesten Anstrengungen der Legien und Genossen eine nach haltigere Wirkung Hervorbringen werden, als die bisherigen. Die prahlerischen Redensarten gewisser Geschäftssocialisten über die bevorstehende große „Frühjahrsaction" sind auf keinen Fall ernst zu nehmen; es handelt sich um nicht- weiter, als um eine neue Speculation auf die Taschen der Arbeiter. Zu Rom war man in den letzten Tagen gegen Rußland wegen seiner Haltung in der orientalische« Frage recht mißtrauisch geworden. Die „Tribuns" hatte sich zum Sprach rohr aller möglichen Besorgnisse gemacht, und vom Tiber aus gingen Meldungen in alle Welt, als würde das vom Grafen Goluchowski angeregte Einvernehmen sämmtlicher Großmächte an der Haltung Rußlands scheitern, das die österreichischen Vorschläge nicht angenommen habe. Diese Besorgnisse haben sich als übertrieben herausgestellt. Es gab einen Augenblick, wo Rußland schwankte, ob eS sich der unter Oesterreichs Führung unternommenen ge meinsamen Action anschließen sollte, aber dieses Schwanken ist nach der von uns in der Mittwochausgabe ver öffentlichen Auslassung des officiösen Wiener „Fremdenblattes" beseitigt, und Europa ist einig in seinen Schritten im Orient. Wenn man in Petersburg Anfangs überrascht war, plötzlich Oesterreich-Ungarn, also eine Dreibundmacht, und zwar einem Concurrenten Rußlands am Goldenen Horn, den ersten Schritt zu einer Flottrudemonstratio» thun zu sehen, so war dieses Staunen sehr begreiflich. Zn der armenischen Frage hatten England, Rußland und Frankreich ganz allein gemeinsam gehandelt, der Dreibund war erst mit einer Note auf den Plan getreten, als die Pforte den Reform-Jrads nicht auch Deutschland, Oesterreich-Ungarn und Italien amtlich mitgethcilt hatte. Daß in politischer Beziehung die russischen und die österreichischen Zirkel sich häufig kreuzen, ist nicht neu, und auch daS gegenwärtige Ein vernehmen wird diesen Zwist nicht lösen, eben so wenig wie es die Frage zum Austrag bringen wird, was geschieht mit Albanien, falls es einmal zu einer Theilung der Türkei kommen sollte, auf das Oesterreich, Ztalien und vielleicht auch Griechenland Ansprüche erheben würden. Das sind Zukunftsfragen, und gerade um diese nicht an die Oberfläche gelangen zu lassen, wird versucht, noch einmal die Türkei zu stützen, ihr das Leben zu retten, ihr durch die spätere Reformthätigkeit sogar Gesundheit zu verleiben. Wie weit dies gelingt, können die Aerzte nicht wissen. Sollte zu Gewaltmaßregeln geschritten werden müssen, werden die Mächte hoffentlich auch ihre Einigkeit bewahren. Vorzeitige Nervosität, wie sie in Italien zu Tage trat, ist wie die „Vossische Zeitung" richtig bemerkt, nicht am Platze und eS ist gut, daß — wie aus Rom gemeldet wurde — der italienische Botschafter am russischen Hofe, Marchese Maffei, sich auf seiner Reise nach Petersburg in Berlin aufgehalten und hier seinem vollen Vertrauen Aus druck gegeben hat, daß, nach seinen Instructionen, bezüglich der orientalischen Angelegenheiten das Einvernehmen der sechs Mächte, welches das beständige Ziel der italienischen Politik sei, aufrecht erhalten werde. Marschall Martine; Campos, der die spanischen Streitkräfte im Norden Cubas cvncentrirt, steht im Begriff, zu einem entscheidenden Schlage gegen die Insurgenten auszuholen. Daß über kurz oder laug dieser Entschluß gefaßt und seine Durchführung wenigstens versucht werden würde, war vorauszusehen, und deshalb haben die jetzigen militairischen Operationen des spanischen Hvchslcomman direnden für die Leiter des Aufstaudes nichts Ucber- raschendes. Wenn letztere klug und unbeschränkte Herren ihrer Bewegungen sind, so werden sie jedem größeren Treffen ausweichen. Denn dieselben Gründe, die den Marschall zur Beschleunigung der Entscheidung drängen, müssen den Znsurgentenfübrern das möglichste Hinzögern der Action nahe legen. Die Hoffnung des Aufstandes ruht in der all mählichen Mürbemachnng und Erschöpfung des Mutterlandes, die Tactik, den Stier bei den Hörnern zu fassen, wäre daher das Allerverkehrteste, waS seitens der Aufständischen geschehen könnte. Das ist so einleuchtend, daß der Feldzugsplan des Marschalls von vornherein darauf angelegt ist, den Insur genten das Ausweichen möglichst zu erschweren. Seine bis vor Kurzem getrennt marschirenden Colonncn batten zur Aufgabe, die Insurgenten allmählich zu umfaßen und in eine Lage zu versetzen, wo sie nicht länger ausweichen können, sondern den angebotenen Kampf unter den für sie möglichst ungünstigen Umständen annebmen müssen. Erschwert wird die Lösung dieser Aufgabe durch die Unwegsamkeit de- TerraiuS, durch die Unbekanntschaft der Spanier mit Land und Leuten, durch die Ungewißheit über Zahl und Stellung deS Feindes. Letzterer befindet sich dort, wo die Spanier nur mühsam und mit Aufgebot aller Vor sichtsmaßregeln fortkommen, in seinem eigensten Elemente und ersetzt durch List und Gewandtheit seinen Mangel an militairischer Ausbildung. Es ist daher nichts weniger denn sicher, ob der Feldzug den vom Marschall beabsichtigten und von allen spanische» Politikern sehnlichst gewünschten Verlauf nehmen wird. Die Art und Weise, wie die Engländer den Conflict mit dem König der Aschanti, Prempeh, vom Zaune gebrochen haben, die Hast, mit der sie die Expedition gegen denselben ins Werk setzen, vor Allem aber der Zeitpunct, den sie zum Austrag des Streites gewählt haben, lassen vermuthen, daß es sich für die britische Regierung um etwas mehr handelt, F-r-rlletsn» Der Kampf ums Vasein. 19) Roman von A. von GerSdorsf Nachdruck verboten. (Fortsetzunq.) Was nun die Wechselgeschichte und den braven Exsänger und Exbedienten Herrn Adalbert Fino betrifft, so hatte Wächter trotz der Ansicht seines lieben Vetters über Polizei und Familiengeschichten doch die ganze Sache den Gerichten übergeben. Ebenso für diesen Zweck die Reisetasche mit den Papieren. Er glaubte, daß die Augen des Gerichtes hier nicht unberufen genannt werden konnten. Einen erfahrenen Freund hatte er weiter nicht. Jener Arzt aber, der dem Chemiker die Unterschriften und bezüglichen Schriftstücke übergebe», hatte die Sache per sönlich nicht weiter verfolgen können, da er sich für eine Forschungsreise und Expedition der Wissenschaft in gewissen Gegenden Ost-Asienö hatte anwerben lassen und fern von Berlin weilte. Doch war auch er sehr einverstanden mit der Wiederaufnahme der Angelegenheit und bedauerte nur herz lich, daß der unglückliche Mann, der so schwer dadurch ge litten hatte, inzwischen verstorben war. Gedankenvoll saß Wächter jetzt vor dem kleinen, sauber aussehenden Mahle. daS ihm Herr Krüger selbst herbeitrug. Horch! Ter Wind machte sich auf, man hörte sein dumpfes, fernes Heulen. Eine Thür klappte im Hause. Krüger ging, um nachzusehen, und Wächter hörte ihn die HauSthür verschließen. „Dar gift en ordentlichen Schneesturm heut Nacht, kann möglich sin schon bälder. Zieht düster schwarz von de Tannen 'rüber, de Wind jagt dat vor sick Herl" sagte er wieder ein tretend. „Das ist aber eine böse Geschichte für die Leute unter wegs nach der Kirche!" meinte Wächter, dem neben ihm sitzen den schwarzen Kater den Heringskopf hinwerfend. „Na, sie Habens All' nich Wied, aber bös is dat, dats woll richtig. De Meist' kamen denn noch 'ran. Aber wird spät. Ich kenn' dat. Der Herr Pastohr macht dat immer en beten lang." Damit kam der Wirth mit einem Glase Punsch wieder u den Tisch zu seinem Gaste. „Nein nix, wie dat eene Bier nehmt Ihr an?" fragte er kopfschüttelnd, „soll ich nich 'n Punsch upgießen?" „Badder Krüger, ich Hab' das Zeug, wie« auch benannt ist, all' verschworen. Mir hats Unglück genug gebracht. Ich bin befriedigt. Nu könnt Ihr mir mal so 'n bischen erzählen, wie das denn hier so rum auSsieht. Ob da wo Veränderungen sind?" fragte Wächter, sich an der Pfeife des WirthS eine Cigarre ansteckend. „Z, na dat macht sich, all to vel iS nich. Wollt Ihr denn hier rum wieder 'ne Stell' annehmen?" „Das nun Wohl nicht, Vadder. Ich habe andere Geschäfte hier. Wie sieht das denn jetzt in Torkitten aus? Hat er noch die alten Leuts?" „Nich eenen! Dat ist seitdem, daß Ihr hier wea seid, als sei dat all' verwunschen und verhext. Kein Minsch halt bi cm ut. De KämmerS und de Inspektors, dat geiht als wie in 'n Taubenschlag, und Processen hat hei ooch mit welche, weil hei dat immer glik mit dat Bedrögen hat, und wenn er wat in 'n Kopp hat, denn seggt hei dat ohn Schenirlich- keit und andre Sachen dortau, wo se ein derentwegen ans Ledder wulln. Bon de ollen Mann- is ooch keen mehr da." „Im Kopf hat?" fragte Wächter rasch, „säuft er denn?" „Na, Supe nu grad' nicht, aber iS da oft Vergnügen mit de Nachbarschaft gewesen, und in Sonderheit was der Herr Lieutnanl is, der em jetzt bischen thut in de Wirtschaft, mit so 'ne Oberussicht — dat soll'n ganzen Liederjan sind, und 's is rein, als wollt' er dem Ollen dat Supe an gewöhnen. Hei langwilt sik ja ooch gar tau doll hier in Winter, aber de Herr will em nich weglaten, derweil hei sik einbilden thut, daß der Herr von RaffSki ihm doch die Karr' lausammen Hollen thut." „Na, thut er denn selbst gar nichts mehr? Er ist doch noch nicht alt?" fragte Wächter sehr erstaunt von Dem, was er hörte. „Nee, oll iS hei ja noch nich, aber hei het dat mit 'ne Krankheit — im Rücken sagen se ja — hei iS immer so schief mit de Beins und letzt kommt hei gor nich mehr reckt auS n Stuhl — und- uf'n Hoff schon nie nich." „Und WaS macht sie nun dabei?" „Ja — sie iS uff un davon!" „WaS ist sie?" „Em weglopen iS se, und die Hälfte von ihr Eingebrachtes bat sie rausgenommen. Na — dat kann ja nu woll keen Mann un keen Gut nich vertragen — ohne daß se davon elend werden —" „Also gehts schlecht mit der Wirthschaft?" „Miserabel gehts!" nickte Badder Krüger und pustete in seinen kochend heißen Punsch. „Warum ist sie denn fort?" fragte Wächter, dem so halb und halb eine Ahnung kam. „Wegen der Geschicht da mit dem Frauenzimmer, der Anna Kiwitt, die er doch dazumalen ins HuS nahm. War auch gar zu dumm von em. Na, die flog nachher richtig hinten drin, wie dat ja denn so iS." „Steht daS denn sehr schlimm mit ihm?" „Dat weet ich nu nich so richtig. De Doctor kümmt ja all Ogcnblick anführt — aber ich denk', hei hat 'mal seggt, dat daS noch lange dauern könnt', könnt' aber auch 'mal fix um de Eck sind. Na, wie se dat ja immer so seggen, und da kann denn Keener behaupten, dat de Doctor nichts nich von weet. Hei kann starme, hei kann ooch leben bleiben. De DoctorSred' bliwt bestehn." „Und mit dem Gut?" fragte Wächter, aufs Höchste interessirt von allem Neuen, WaS er hörte. „Ja, mit dat Gut geht dat bergab und immer bergab. Ich denk', lang kann hei dat nich mehr Hollen, aber wer will dat seggen?!" „Und da sitzt er nun ganz hilflos und verlassen mit dem Vetter, der doch wohl auch da nicht viel von versteht!" „Nichts versteht und nichts thut! DaS iS dat Schlimme. Er läuft nach dat Fristen vom alten Herrn Dvmainenrath, und in der Letzt' is er da woll mehr als in To,kitten. Sie will ihn ja woll nehmen, schient dat, und Geld hat sie wie Heu. Da is der denn schön raus und wird sich viel um Torkitten und den kranken Herrn scheeren — in Sonderheit, wo dat mit de Wirthschaft immer wackliger steiht!" Franz Wächter schwieg. Er batte den Kopf in die Hand gestützt und starrte vor sich hin. Er wußte nicht recht, wie das, waS er gehört, zu seinen eigenen Absichten und Hoff nungen stand. „Wie ist er denn so im Verkehr jetzt, wie hält erS mein' ich, mit den Menschen, die mit ihm umgehen müssen?" „Na giftig und gallig und vergretzt und bissig. Kein Minsch, segg' ich ja, kann dat mit em uthollen. 's is 'ne Schande. Aber hei bat sich dat woll meist selbster ange schafft und die Krankheit ooch, sagen die Lüts, mit dat wilde Leben." — DaS alte Jahr war mit Sturm und Wettergebraus zur Ruhe gegangen. Franz, den schwere Gedanken und Sorgen nicht fest schlastn ließen, hörte zwischen seinen Träumen die Dachziegel raffeln und die alten Fenster klappern, Thüren auf- und zufliegen und das unstete kreischende Drehen der Wetterfahne über dem Giebelstübchen, in welchem er schlief. Das neue Jahr aber grüßte strahlend in die kleine Stube, als er nach kurzem Morgenschlummer erwachte. Goldig lag der Sonnenschein, der tief blaue Himmel über dem frischen, blllthenweißen Schnee. Jeder Zaunpfahl, die Hundehütte, der Taubenschlag batte ein schneeweißes Hütchen auf, Karo hellte lustig in die frisch kalte Morgenluft, daß sein Athen, stoßweise in blauen Wölkchen aufstieg. Schukeit, der Haus kneckt, mit einem rothen, gesunden Gesicht, in blauen Drill hosen und Weißen Hemdärmeln kam pfeifend über den Hof, mit einem Besen vor sich Bahn fegend. Zwei lustige kleine Spatzen kamen ans Fenster und ließen ihre zierlichen Fuß spuren im Schnee auf dem SimS, daß es aussab wie wunder liche Schriftzeichen. Still blickte Wächter über das sonnige, glänzend weiße Land hinüber nach dem dunklen Tannenwald, wo das rothe Spitzdach von Torkitten schimmerte. Bon dem Herrn da also wollte er etwas. Wollte er viel! Güte, Verstand, menschliches Einsehen, Freundlichkeit, von den: giftigen, galligen, durch Elend, Krankheit, Kummer ver bitterten Herrn Der würde sich wohl freuen über das Wiedersehen! Nickt heran und nickt herein lassen würde er ihn Wohl! Nicht zu sprechen! war wohl das Geringste. Dann konnte er machen, daß er wegkam. Für den Gang hatte er all' die Opfer gebracht. DaS größte Opfer seines GrimmcS, seines Stolzes, seines Hasses, seines berechtigten Grolles! Umsonst! Nein, nicht umsonst. Er wußte tan», daß er das Seinige gethan hatte. DaS Gefühl hatte er in seiner Brust, wenn der schwere Weg gethan war, dann trug er etwas Köstlicheres davon als die Verzeihung und Fürsprache eines beleidigten Bösewicktes, der einst sich seinen Herrn genannt batte und hart und unbillig gegen einen langjährigen guten Diener handeln konnte! Wenn er nach Berlin zurückkam, konnte er frohen AugeS vor sein Mädchen treten und ihr in Vertrauen die Hand reichen: DaS ist zwar verloren, daS bat nicht sollen sein — aber der liebe Gott, das fühl' ich nun, der hat mich schon belohnt, denn in mir ist's licht und hell, und Er wird mir schon die Arbeit finden, die just für mich paßt. Er hätte eS nicht in Worte fassen können, der Mann da,
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite