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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.11.1895
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-11-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951127010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895112701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895112701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-11
- Tag1895-11-27
- Monat1895-11
- Jahr1895
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Trübere Schriften laut unserem Preis- »erzeichnib Tabellarischer und Ziffrrnsatz nach höherem Tarif. Ertr«-Beilage« (gefalzt), nur mit der M argen-Ausaade, ohne Poilbesürderung SO.—» mit Postbesürderuug A 7V. -. Ännahmrschluß für Anzeigen: Abend-Autgabe: vormittag« 1V Uhr. Morge n-Ausgabe: Nachmittaa« 4 Uhr. Für dir Montag.Morgen-Ausgabe: Sonnabend Mittag. Lei den Filialen und Annahmestelle« je »ine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an di» Ertzedttien zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leivzig. 576. Mittwoch den 27. November 1895. 8S. Jahrgang. Amtliche Bekanntmachungen. Bekanntmachung. Montag, den II.. nnd Tonntag, den 24. November diese« Jahres ist. „nd zwar im ersten Falle in einem Hanse der Grenzstratze. im zweiten tn einem Hanse der Alcxander- straire. ein Unbekannter erschienen, hat da« ihm öffnende Dienstmädchen nach der Dienstherrschaft gefragt und ist, nachdem er erfahren, Last da« Mädchrn allein in der Wohnung anwesend sei. im erstten Kalle in das Logis ein- gedrungen. Hier hat er das Dienstmädchen durch Gewalt und Drohungen eingeschnchtert und die Wohnung znm Zwecke des Stehlen» nach Wertsachen dnrchsncht. Im zweiten Falle ist er, nachdem er bereit» das Dienstmädchen grwalisam gepackt und durch Drohungen am Schreie» zu hindern »ersucht hatte, durch verschiedene Umstände vom Eindringen in Las Innere der Wohnung abgehalten worden. Der Unbekannte, dessen Tignalrmcnt unten folgt, ist .nach der übereinstimmenden Beschreibung der überfallenen «Uädchen sicherlich eine »nd dieselbe Person gewesen, von der zu erwarten steht, das; sie ihr verbrecherisches Treiben an andcrr» geeigneten Stellen fortsctzcn wird. Wir bringen Lies hiermit zur öffentlichen Uenntnitz. warnen das Pnblicnm ausdrücklich vor dem Unbekannte» und fordern alle diejenigen, die über die Person des Näubero Anskunst zn geben vermögen, auf, sich nnvcrznglich in unserer Crtmtnalabtbctlnng, Wüchterftrasze 5, Zimmer S8, zu melden. Leipzig, den 2L. November 1X05. Das Polizeiamt der Stadt Leipzig. VII. 425k. Brctschneider. Beschreibung des Unbekannten: 20 bis 24 Jahre alt. von übcrmittlrr schlanker, schmäch tiger Gestalt, mit schmalem, blassem Gesicht, blondem Haar. Hellen Augen, langen, schmächtigen Arbetterhändcu, Heller Stimme. Während der Unbekannte am 11. November blonden Schnurrbart getragen hat, war er am 24. November glatt rasirt. Er trug Hellen (gelblichen) Jacketanzng, langen dunklen Winterübrrziehrr, brannrn steifen Hnt im ersten, grancn weichen Ftlzhnt im zweiten Falle, nnd soll den Eindruck eines Arbeiters (Schlosserst) tu Sonntagskleidung gemacht haben. Lirchenvorstelltr-Wahl in dem Kirchspiele St. Thomae- Nach Ablauf ihrer Amtsdauer scheiden ci»S dem Kirckienvorstande der Thomasgemeinde demnächst aus: Senatspräsidcut beim Reichs- gericht Or. Freicslrbc», Rechtsanwalt Paul Frcnkel» Privatmann T. O. Hering. Rector der Thomasichule Prof. Or Jnngman», Kaufmann E. F. Schaeffrr und Schuldirector llr. Willem Smitt. Es sind demnach sechs kirchcnvorstchcr ans sechs Jahre durch die Thoniasgemcinde zu wählen. Die Ausscheidenden sind wieder wählbar. Tie Wahl ist von uns ans Mittwoch, den 27. November d. I., angrsetzt und wird i» der Sakristei der Tbomaskirchc von Vormittags 10 Uhr bis Nachmittags 4 Uhr (ohne Unterbrechung in den Mittagsstunden) statlfinden. Dabei ist Folgendes zu beachten. 1) Stimmberechtigt sind Diejenigen, die auf Grund rechtzeitiger Anmeldung in die Wahlliste ausgenommen sind; 8) die Wahl hat zu erfolgen durch persönlich zu bewirkende Abgabe eines Stimmzettels; jeder Wähler kann sein Wahl recht nur i» eigener Pcrion ausuben; 3) jeder Wähler hat sechs Gemein Srglieder, die dem Psar» sprenge! der Thomaskirche angeboren »nd mindestens 30 Jahre alt sind, nach Tauf- und Familiennamen, Stand und Berus genau zn bezeichnen. Wir fordern hiermit die stimmberechtigten Gemeindeglieder auf, Mittwoch, den 27. November» innerhalb der obengenannten Stunden ihr kirchliches Wahlrecht ausziiüben und ihr Augenmerk aus Männer von gutem Rufe, bewährtem christlichen Sinne, kirch licher Einsicht und Erfahrung (Kirchenvorstands-Ordnung 8. 8) zu richten. Leipzig, den 20. November 1895. Der WahlanSschnh für die Sirchenvorstandswahl der Thomaskirchengcmcinde. 0. Pank. Steckbrief. Gegen den unten beschriebenen Kutscher Georg Müller au< Saatfeld, zuletzt hier, welcher flüchtig ist, ist dir Unterjuchungshast wegen Betrugs verbängt. Es wird ersucht, denselben zu verhaften, und in das Landgerichts» Gesängniß zu Rudolstadt abznliefer». Rudolstadt, den 9. November 1895. Fürst!. Amtsgericht. Sommer. Beschreibung: Alter: 18 Jahre, Statur: untersetzt, Grütze: 1,60—1,65 m, Haare: hellblond, Nase: klein, etwas eingedrückt, Mund: klein, etwas aufgeworfene Lippen, Gesichtsfarbe: gesund, Sprache: deutsch, Kleidung: hellgrauer Jacketanzng, hellgrauer, weicher Filzhut, Halbschuhe oder steife Stieseln. Sonnabend, de» 30. November vr., von Vorm. 10 Uhr ab, soll im Geschäftszimmer des Proviantamtes zu Leipzig, Pleitzenburg, Tdurmhans. 2. Stock, eine Partie Roggen- und Weizenticie, Futzmrhl rc. öffentlich an den Meistbietenden gegen sofortige Baar- zahlung versteigert werden. Leipzig, am 22. November 1895. Kgl. Proviantamt. Die Spnrcasse zu Lieberlwolkwih bleibt wegen des vorzunetnnenden Rechnungsabschlusses vom 8. Dt- rember 1bi05 bis mit 1. Januar 1X80 für den allgemeinen Verkehr geschlossen und werde» während dieser Zeit an den be kannte» ExveditionSIogen nur Einlagen gegen Lösung neuer Bücher und Hypoidekenzinjen pro IV. Quartal 1895 angenommen. Die Tbätigkeit der Zweiggeschästsstellen in Stötteritz, Paunsdorf und Oelzschau bleibt während des Sparcassenschlusses aus die An nähme von Einlagen für neue Bücher beschränkt. Bezüglich der Exveditionstagr im Monat Januar 1896 erfolgt besondere Bekanntmachung. Liebertwolkivitz, am 25. November 1895. Sparcnfien-Berwattung. Dyck, Director. Concursverfahre». In dem Concnrsvrrfahren über da» Vermögen de« Schuh sabr>kanten Karl Gebert zu Wcißrnsels ist zur Abnahme der Echlutzrechnung drS Verwalters, zur Erhebung von Einwendungen gegen da- Schtußverzeichnitz der bei der Bertheilung zu berücksich tigcndrn Forderungen der Schlußtermin auf de« 20. Deeember I8S5. vormittag« 11 Uhr vor dem Königlichen Amtsgericht« Hierselbst, Zimmer Nr. 7, bestimmt. Schlußverzeichniß und Schlußrechnung liegen in der Gericht«- schreiderri zur Einsicht au«. Wettzeafrl«, den 22 November 1885. Königliche« Amt«gertcht, Aßttzetlung 1. Die „römische Frage". Der Briefwechsel, der zwischen den preußischen Bischöfen und dem Papste anläßlich der Wiederkehr des Tages stattgesunden hat, an dem vor 25 Jahren der Kirchenstaat zusammengebrochen ist, liegt jetzt im Wort laut vor. Die Sprache ist in beiden Schriftstücken maß voller als in der klerikalen Presse und eine gewisse Resigna tion buben und drüben unverkennbar. Die preußischen Bischöfe sprechen von einem Verbrechen der Gottlosen, aber sic fügen hinzu, daß Gott auch aus ikm neue Zeugnisse seines Ruhmes zn erwecken vermöge, und sie trösten sich, daß er zu seiner Zeit dem gegenwärtigen .Unglück" ein (Lude macken werke. Dem selben Gevanken giebt auch der Papst i» seinem Antwort schreiben Ausdruck. Er beklagt die betrübende, am aposto lischen Stuhle begangene Rechtsverletzung, den feindlichen Raub der päpstlichen Stadt. Aber er giebt zu, daß die Ber- bindung der Katholiken mit dem Studie deS Petrus sich nur gefestigt habe, und ersucht, da Gott allein Zeit und Umstände der Erlösung kenne und in seiner Gewalt habe, sie durch Gebet zu beschleunigen. Gleichzeitig mit diesem Briefwechsel tritt eine neue Schrift deS bekannten Exjesuiten Grafen Paul v. HoenSbroech über die römische Frage in die Oefsentlichkeit, desselben HoenSbroech, der noch im Jahre 1889 im papstfreundlichen Sinne eine Schrift .Der Kirchenstaat in seiner dogmatischen und historischen Bedeutung" versaßt hat. Allerdings hat. schon damals ein gründlicher Kenner deS Jesuilismu«, Professor IX Nippvtd in'Jena, aus die gewundOte und widerspruchsvolle Beweisführung in dieser Schrift Hoens- broech's hingewiese»; heute erfahren wir durch HoenSbroech selbst, daß ihm bei der Abfassung dieser Schrift nicht recht wobt zu Muthe gewesen ist. Er macht nämlich über seine Mit wirkung a» der von Windthorst veranstalteten Propaganda für die weltliche Herrschaft deS Papstthums die folgenden interessanten Enthüllnngen: „Im Jahre 1889 sprach Windthorst den Wunsch aus, es möchte zn Agitationszwecken die römische Krage wieder in Fluß gebracht und eine Schrift über den Kirchenstaat geschrieben werben. Mit diesem Wunsch wandte er sich an den damaligen Obern der deutsche» Jesuiten. Damals war ich Mitarbeiter an der jesuitischen Zeitschrift „Stimmen aus Maria Laach" und mir wurde von der Redaction diejer Zeitschrift sehr gegen meinen Wunsch und mein Empfinden der Auftrag gegeben, eine Reihe von Artikeln über diesen Gegenstand zu schreibe»; sie erschienen unter dem Titel: „Papst und Kirchenstaat". Wiederum war es Wind horst, der ihre Verbreitung in Broschürenform wünschte. Das Product dieses Wunsches war meine Schrift: „Der Kirchen staat in seiner dogmatischen und historischen Bedeutung". Aus eigenster Erfahrung tonn ich also sagen: eine undank. barere Ausgabe giebt es nicht, als die „Nothwendigkeir" des Kirchenstaates „beweisen" zu müssen. Man lese meine Schrift aufmerksam durch und jeder, auch jeder Katholik, wird die Schm-che des Beweises mil Händen greifen. Schöne Worte und rednerischer Schwung müssen das Mark der Argumentation ersetze». Und doch habe ich für diese Schrift ein Anerkennungsschreiben Windthorsl'S ergalten, und doch ist bieje Schrift aus den Katholikenversammlungen, zumal in Bochum, fast wörtlich als Rede gesprochen worden, und doch haben zuerst meine Artikel und dann die Schrift das strenge Urtheil der jeiuitijchen Eenjur und der Gesammtredactivn der „Laacher Stimmen" paisirt: die Schwäche der Beweisführung lag also nicht an meiner subjectiven Unfähigkeit, sondern sie liegt im Gegenstand selbst. Man wird sagen, wenn die Sache so stand, warum über nahmen Sie denn die Abfassung dieser Artikel? Wer so srägt, kennt eben nicht, was der jesuitische Gehorsam bedeutet. Wie oft werden jesuitische Schriftsteller durch diese» Gehorsam gezwungen, entgegen ihrer Ueberzeugung zu schreiben." Ein schönes Bild ist es nicht, daS da vor un- ausgerollt wird, aber ein lehrreiches. Also so wird'S gemacht, wenn die „römische Frage" in Fluß kommen soll! Thatsächlich gehört, wie Hoensbrorch weiter nachweist, diese Frage zu den edelen Dingen, die eigentlich gar keine „Fragen" sind, sondern nur von politischen oder religiösen Parteiieiren- scbaften zu solchen zugestutzt oder aufgebauscht werden. Durch solche „Fragen" soll nur daS katholische Bolk beständig in Atbem gehalten werden: „Es darf den Wahn nicht loS werden, die katholische Kirche schwebe in Gefahr; nur unter dieser Vorspiegelung bringt man eS geschlossen zu den Wahl urnen, und nur mit dem geschlossenen katholischen Bolk hinter sich können die Gewählten den Kampf gegen die verhaßten nichtkathvlischen Bekenntnisse und die .antckatholischen" Regierungen aufnebmen. Schon der Name „Kirchenstaat" enthält die größten Widersprüche in sich selbst. Nur die völlige Verkennung deS Begriffe« und Zweckes der christlichen Kirche ist die wesent liche Voraussetzung dieser unnatürlichen Verbindung, und die Folgen dieser Verquickung sind in der Thal für beide Theile die verderblichsten gewesen. Die schwärzesten Blätter in der Geschichte der katholischen Kirche und ihrer Päpste fallen dem Kirchenstaat zur Last. Deshalb sollte «in um die Reinheit und Heiligkeit seiner Kirche besorgter Katholik die Vorsehung preisen, daß sie mit de», Kirchenstaat einen üppigen Nähr boden vieler schwerer Mißstände beseitigen ließ. Der Kirchen staat hat nickt« Nützliches und Gute« gezeitigt, unv gerade innerhalb des Kirchenstaates lagen Sittlichkeit und Religiosität am meisten danieder. Mit der Beseitigung de« Kirchenstaates ist der geistliche Einfluß dc-S Papstes in« Ungeheure ge stiegen. Ein wie gröblicher Mißbrauch mit der Legende von der „Gefangenschaft" de« Papstes getrieben wird, weist Hoensbrorch folgendermaßen nach: „Der „Gesang,ne" des Batican regieet sein« Kirche mit der souverainsten Freiheit. Leider hat auch Leo Xlll. sich die« Schlag. wort vom „Gefangenen" angeeignet. Es giebt keine unrichtigere Bezeichnung als diese. Ich will nicht die Tbate» von 1859 und 1870 vertheidigcn. Der Kirchensiaat war auf durchaus legitime Weise entstanden und seine Beseitigung war also eine Rechts« Verletzung. Aber Rechtsverletzungen sind nun einmal rin stehendes Capitel der Weltgeschichte, jo sie aehören als Zulassungen in den Plan der göttlichen Weltregierung, die Gutes aus dem Bösen zu ziehen weitz. Entthront also wurde der Papst als weltlicher Herrscher; dies Schicksal theilt er mit vielen hundert Fürsten, und dies Schicksal Anderen zu bereiten, hat er selbst mit seinen Söldnern in früheren Zeiten oft genug mitgewirkt. Aber „Gefangener" geworden ist er doch in keiner Weise. Der prächtige päpstliche Palast und die glänzende Hofhaltung sollen hier nicht als Beweis aufgesührt werden: auch in Königs. Palästen giebt cs Gefangene nnd Freiheitsberaubungen. Napoleon in Wilheluishöbe war nicht weniger ein Gefangener wie irgend ein Sträfling in Plötzeniee. Aber nur der kann mit Recht ein Ge fangener genannt werden, dessen freie Tbätigkeit und freie Bewegung gehemmt ist. Bon Beidem ist aber bei dem päpstlichen „Gefangenen" im Batican nicht die leiieste Spur vorhanden. Datz der Papst den vaticanijchen Bezirk nicht verläßt, ist sein eigener freier Wille. Nichts würde ibm in den Straßen RomS ober irgend einer andern Stadt der Well geschehen; nur königliche Ehren wären sein Antheil, und dazu bedürfte es nicht der Bestimmungen des Äaraniiegejetzes. Frei willig würde die Ehrfurcht der Völker und Fürsten sie dem Papste leisten, und wenn einmal bei den Machthabern diese Ehrfurcht ver sagte, io würde» politische Klugheit und Interesse diese Ehren für das Oberhaupt der Katholiken garantiren. Tie Abgeschlossenheit des Papstes innerhalb des Valicans beruht also nicht aus irgend welchem äußere» Zwang, sondern einzig darauf, daß man im Batican sehr wohl weiß, daß durch das Heraustreten aus den päpstlichen Mauern und durch den Erfolg, den dies hätte, der thalsachliche Beweis ge- liefert würde von der völlige» Freiheit des Papstes. Diesen Beweis der Welt zn erbringen und damit die Illusion von der „Gesängen- schasl" zu zerstören, scheut man sich natürlich. Außerdem würde es eine thalsächliche Anerkennung der bestehenden Zustände bedeuten, und auch zu diesem Zugesländuiß kann man sich noch nicht ver stehen. Deshalb und nur deshalb wird der „Gefangene" weiter markirt. Wann und wie ist der Papst jemals behindert worden, die Kirche zu regieren? Man weise doch nur eine Spur, einen Versuch solcher Behinderung nach, statt immer und immer wieder diese vage Behauptung zu erheben. Kostenlos stehen dem Papst für alle seine Regierungsacte Post und Telegraph zu Gebote, und noch niemals hat man gehört oder auch nur zu behaupten gewagt, daß die italienische Regierung Schriftstücke von oder an den Papst un er schlagen, geöffnet oder gehemmt hätte. Die Protestnoten, die Per- dammungsurtheile, die kathedralen Entscheidungen, die AnweisiGgen an die Bischöfe, die Rundichrribe» und Bullen gehen init der gleichen Sicherheit und Regelmäßigkeit wie früher vom Vaticon .ÜNS «nd getangrn zn ihre AVusie». Me tll früheren Asien und mehr noch strömensvie Pilgerzüge nach Rom, sicher und ohne jede Schwierigkeit weichen sie über die italienischen Eisenbahnen ge leitet. Was fehlt denn eigentlich dem Papst zur freiesten »nd wirkungsvollsten Bethäiigung seiner Amtsgewalt? Man nenne es doch!" Trotz der Beschwerden Leo'S XIH. giebt es nur ein Mittel der Lösung der „römischen Frage", nämlich daß man einfach über sie zur Tagesorvnung übergeht und dann mit eiserner Beharrlichkeit an ihrer Nichtbeachtung festbält. Deshalb erklärt HoenSbroech zunächst vaS diplomatische Corps am Batican, sowie die päpstlichen Gesandten als »»berechtigte Ueberblcibsel der versunkenen Fürstenslellung deS Papstes für überflüssig. Ebenso überflüssig sind die vielen Rücksichten zur Aufrecht erballung der Vorstellung, der Papst sei noch Souverain: warum sollte ein katholischer Fürst nicht den König von Italien in Rom besuchen? Katholische und nichlkathvlische Regierungen müßten eben dem Papste entschieden erklären und auch durch ihr Verhalten beweisen, daß sie in ihm weiter nichts seben und ehren, als daS geistliche Haupt der Katholiken. Dies ist die eigentliche „inlernationale Regelung" der römischen Frage. Man überlasse den Papst unv das Papst thum mit seinen weltlichen Ansprüchen sich selbst, und anstatt gegen dieselben zu protestiren, lasse man sie einfach un berücksichtigt, ebenso wie die grundfalsche und in sich wider sinnige Behauptung, für die freie Ausübung der geistlichen Gewalt des Papstes sei eine territoriale weltliche Souverai» nität nötbig. Allerdings wird sofort auf ultramontaner Seite über Verfolgung geklagt, sobald man auf die rein geistliche Natur der Kirche binweist und fordert, daß daS äußere Leben der Kircke ihrem inneren Wesen entspreche. Und der moderne Staat begeht der römischen Kirche gegen über zwei Grundfehler: er verfolgt oder verbätschell sie. Auch hier ist der Mittelweg der beste. Das katholische Bckenntniß als solches muß geachtet und geehrt, dagegen jeder Uebergriff auf daS staatlich politische Gebiet durch die Priester entschieden unterdrückt werden. Durch die äußeren Ehren, welche der Staat den hohen Würdenträgern der Kirche erweist, wird deren Hang zur Einmischung in Staats- geschäfte nur noch bestärkt. Freilich gekört zur Durchführung dieser Grundsätze, welche allein daS richtige Verhältniß von Staat und Kirche anbabuen können, Sackkennlniß, Geschick und Energie — Eigenschaften, welche in Bezug auf kuchen- politische Fragen in unseren leitenden Kreisen leider fast gar nicht vorhanden sind. Wer aber dies Programm zu ver wirklichen vermöchte, würde sich den Dank deS Vaterlandes und auch den Dank Tausender von den unter ultramontanem Joch seufzenden Katholiken erwerben. Deutsches Reich. * Berlin, 26. November. Man kann die Einleitung zabl- reicker MajestätsbrleidigungS-Processc für eine uner freulicke Erscheinung halten, und doch mit Gelastcndcil die von einer Anzahl freisinniger Blätter unterslützic Entrüstung der Socialdemokratie über die seit zwei Monaten gegen ibre Preßorgane und einzelne Führer verhandelten Proccsse dieser Art betracht«». Denn die Darstellung, als ob dieselben ver möge der Verderbtheit unserer öffentlichen Zustände als eine durch nichts herauSgefordcrte Heimsuchung über die unschul dige Socialdemokratie dereingebrvchcn wären, ist ein Hum bug. Ihm gegenüber bringt dir „Nat.-Ztg." mit Reckt die Entwickelung der Sache in Erinnerung. E« war folgende: Als im August dir nationalen Gedenktage be gannen, deren Feier keinerlei Herausforderung für die Social demokratie entdielt, forderte diese ibrerscits die große Mehr heit deS deutschen Volkes durch die schmählichsten Herab würdigungen der Thatcn von 1870 und der damaligen leitenden Männer beraus. Gegen dieses Treiben richteten sich die Reden des Kaisers. Auch wir batten gewünscht, daß nicht die Krone, sondern ihre verantwortlichen Räthe auf den Plan getreten wären; aber eine politische Führung seiten? der Negierung giebt eS ja leider seit langer Zelt nicht, sondern nur eine Restort-Politik, und da« Auftreten des Kaiser- war nun einmal eine Thatsache. Die Social- demokratie beantwortete eS mit einer systematischen Verhöhnung deS Herrschers in Wort nnd Schrift. Wenn gegen diese nicht eingeschritten wurde, so mußte die Anhängerschaft der Herren Liebknecht und Genoffen von der Ueberzeugung erfüllt werden, daß die Staatsgewalt gegen sie feig unv ohnmächtig sei. DeSbalb war daS scharfe Vorgehen der Justiz notbwendig und gerechtfertigt. Es ist auch keineswegs wirkungslos ge blieben. Die socialdemokratische Presse vom August und An fang September ist kaum wiederzuerkennen, so vorsichtig ist sie geworden. Daß damit die socialistische Bewegung nicht beseitigt oder auch nur abgeschwächt ist, braucht Niemandem versickert zu werde»; daö ist selbstverständlich. Aber e« ist ein Gewinn, wenn wenigstens die Verhetzung in ihrer dreistesten Form einigermaßen still gestellt ist. Unv daß die« geschehen ist, wird z. B. in einer beweglichen Klage deS Hamburger soeialvemokratischen Organs zugestanden, welche- die Frage anregt, ob nicht eine Engels'sche Drohung vom September 1890 verwirklicht werden solle: daß man in Lonvon den dort während der Dauer des SocialistengesetzeS erschienenen und beimlich in Deutschland verbreiteten „Social demokrat" erforderlichenfalls wieder würde aufleben lasten. Aber der „Vorwärts" winkt ab, indem er schreibt: „Wir geben diese Preßstimme aus unseren Parteikreisrn wieder als charaktcriiiisches Stimmungsbild. In der Sache selbst sehen wir aber nicht so schwarz, wie unser Hamburger Bruderorgan. Vorläufig lassen sich trotz aller Staatsanwälte noch Wort« finden, um das zu jagen, was nothwendig ist. Wenn wir uns dabei auch eine weitgehende Reserve auslegen müssen, so wollen wir doch auch nicht vergessen, daß die nackten Thatsachen oft viel ausreizender wirken, als ei» in schärfsten Wendungen gehaltener Artikel. Welch' zersetzende Wirkung übt nicht z. B. die beliebte Anwendung be gruben Unfug-Paragraphen aus und auch manches Urtheil in den neuesten Majeslälsbcleidigiings-Proceffen ist von großem agitatorischen Werth für uns. — Also nur ruhig Blut I Es leben unser« Freunde, die Feinde!" Sebr schön gesagt; der wahre Grund aber, weshalb man den Londoner „Socialdemokrat" nicht wiederberstellen wird, ist, daß die zahlreichen „Führer" aller Grade, welche von der socialdemokratischen Presse einen bequemen Unterdal» ziehen, sich hüten werden, sich selbst eine so „pikante" und darum gefährliche Concurrcnz zu schaffen, wie e« der in London erscheinende „Socialdemokrat" sein würde. * Berlin, 26. November. Daß Herr Eugen Richter der alte, unbelehrbare Manchestermann geblieben ist, der er all' die Jabre hindurch war, zeigt in der neuesten Auslage seines berüchtigten ABC Buches die Auslassung über das Alters- und Jnvaliditä lSgesetz. Dann heißt eS: „Eine vorsichtige und schrittweise Aushebung des ganzen Ge setzes ist daS allein Nichtige. Je später man sich dazu ent- schließt, desto größer nicht nur die Nachthcile aus dem Gesetz, sondern auch desto schwieriger die Aushebung." Dir bereits aner- kannlen Rentenansprüche mußten ausbezahlt werden. Als lieber- gaugSbcsliiiiiiiung wird aiicmpfvhlen, die eingezahlten Beitrügt der Unternehmer zur Renteiizalilung zu verwenden und den Arbeitern, die noch keine Ansprüche besitzen, ihre eingezahlten Beiträge znrück- zuerstatten. Diese Enthüllung freisinniger Socialpolitik veranlaßt dir demokratische „Frankfurter Zeitung" zu einem ent schiedenen Protest. Das genannte Blatt schreibt u. a.: „Stellen wir unS einmal einen Augenblick ans den Standpunkt, daß jenes Gesetz beseitigt werden müsse, so ist mit dem Richter'jchen Vorschlag die Sache noch lange nicht erledigt. So ist es doch aus jenem Gesichtswinkel eine fulminante Ungerechtigkeit, die Beiträge der U» lerne vmer einzvbehalten und für ganz andere Zwecke zn verwende». Und jeder Arbeiter, der die bezahlten Beiträge nicht wieder haben will, sondern auf Erjüllung klagen würde, dürste vor jedem Gerichtshof Recht erhalten. Damit sind nalür- lich die Schwierigkeiten noch nicht erschöpft. Allein es ist unnöthig, sich diese weiter auszumalen, da sowohl die Regierung als die übergroße Mehrheit des Reichsiagr« — bi« tief in die Reihen der freisinnigen Volk-Partei hinein (?) — nicht in der Aushebung, sondern in der zweckentsprechenden Reform des Gesetze- ihre Aus- gäbe sehen. Das weiß ja auch Herr Richter sehr wohl, sonst würbe er sich wohl zu einer seinem Standpunkt entsprechenden Thal im Reichstag emporraffen. Oder beabsichtigt er das vielleicht? Noch bezeichnender sür die Quantität und die Qualität des socialreformatorischen OeleS, da« angeblich auf die freisinnige Volk-partei seit Eisenach herab getröpfelt sein soll, ist die Erörterung ihre« Führer« da- rüber, welcher Ersatz denn für das Gesetz geschaffen werden solle. Was ist hier der Weisheit letzter Schluß? Einige — sagen wir — Redewendungen über die „manigsachen Mittel", welche Staat und Geiellschaft zur Altersversorgung der Arbeiter besitzen sollen. Auch Bersicherungscossen seien für große Kreise der Arbeiter wvhlihätig und selbst nothwendig. „Aber — so heißt es hier wörtlich — solche Cossen entstehen tn wünschenswerlhcr, den verschiedenartigen Bedürfnisse» einzelner Kreise angevaßter Beschaffe», heit nur aus dem Boden wirthschastlicher Freiheit." Nun wissen wir's! Dabei pajsirt dem Autor das merkwürdige Mißgeschick, daß er sich aus die Erfahrungen in England berust, die das gerade Gegentheil lehren. Denn hier ist die Fürsorge sür die alten Arbeiter eine so ungenügende, daß weitgehende Prostete einer gesetzlichen Brrsicherung mit staatlicher Subvention ausgrtaucht sind. Chamberlain, der dem neuen Cabinet angebört, wird mit seinem Versprechen der obliga torischen Altersversicherung sicher beim Wort genommen werde». Beiläufig bemerkt, ist da» Ungenügende der Alterspensionen Lurch die trieulil/ soeieties längst bewiesen. So steht es um die „besten und größten" Resultate des freisinnigen Socialpolitikers. Aber bei uns im kühleren Deutschland? Warum sind denn da nicht längst jene freiwilligen Cossen entstanden, von denen Herr Richter alles Heil erwartet? Doch nicht blos wegen der Hindernisse durch di« Gesetzgebung, die wir selbstredend rbensallS beklagen und bekämpfen? O'reilicd ckuilaeuo Xpella!" Wie man sieht, wird hier der Richter'scbe Vorschlag in böflichster Form zurückgewiesen. Grund für diese schonende Brbantlung mag wobl das Mitleid mit dem täglich sich «k- neurrnden Mißgeschick de« Generalgewaltigen a. D. sein, dem jetzt fast Tag für Tag di« eigenen Parteigenossen auf den Leib rücken. V. verltu, 26. November. (Telegramm.) Der Kaiser nabm gestern früh um 7 Uhr vor der Abreise nach Barby den Bortrag de« Chef« de« Geheimen Civit-Cabinet« k>r v Lucanu« «ntaegrn. Die Rückkehr au« Barby nach dem Neuen PalaiS erfolgte um ll>/, Ubr Abends Heute Vor mittag arbeitete der Kaiser von 9 Uhr ab mit dem Chef
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