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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.11.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-11-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951105024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895110502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895110502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-11
- Tag1895-11-05
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Gröbere Schriften laut uujrrem Preis- vcrzeichnib- Tabellarischer und Zifferniap nach höherem Tarif. vxtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mrt Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgrn-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Für die Montag-Morgen-AuSgabe: Sonnabend Mittag. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Truck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 537. Dienstag den 5. November 1895. 89. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 5. November. Die „Berl. Pol. Nachr." legen heute die Gründe dar, aus denen dem Reichstage bei seinem Zusammentritte eine Borlage, betreffend die Lrganisation des Handwerks, noch nicht zugehen kann. „Neben der allgemeinen Berufszählung," — heißt es in dieser Darlegung — „bei welcher auch die Materialien für eine umfassende Statistik der Gewerbe treibenden im Allgemeinen gewonnen sind, haben besondere statistische Erhebungen zur Feststellung derjenigen tbat- sächlichen Verhältnisse stattgesunden, welche für die Frage der Organisation des Handwerks von großer Be deutung sind, deren Ermittelung sich aber nickt süglick mit der allgemeinen Berufsstatistik verbinden ließ. Die Ergebnisse dieser probeweise für eine Reihe besonders charakteristischer Bezirke vorgenommencn Erhebungen werven demnächst veröffentlicht werden. Und zwar stebt die Ver öffentlichung des gewonnenen Zahlenmaterials in nächster Zeit bevor, die Veröffentlichung der Erläuterungen zu demselben und der Schlußfolgerungen, zu denen die statistische Be arbeitung dieses Materials führt, wird in nicht zu langer Zeit Nachfolgen. Es handelt sich dabei um Materialien, welche wenigstens für den größten Theil von Deutschland noch nicht vorhanden und bei der Bedeutung, welche die Handwerkerfrage gerade jetzt beansprucht, von weit gehendem allgemeinen Interesse sind. Die Ergebnisse der Ermittelungen werden auch erst die ausreichende tbatsächliche Unterlage für die Beantwortung einer Reihe von Fragen liefern, welche sich bei der Durcharbeitung der bei einer Organisation dcS Handwerks im Wendepunkt stehenden gesetzgeberischen Gedanken aufwerfen. Wenn z. B. ab weichend von den früheren Zuständen, bei denen sich die obligatorische fachweise Organisation des Handwerks auf die Städte beschränkte, jetzt eine auch das flache Land umfassende fachgenossenschaftliche Zwangsorganisation des Handwerks vorgeschlagen ist, so liegt die Frage nahe, ob die Zahl und die Vertheilung der den verschiedenen Gewerbszweigen an gehörenden selbstständigen Handwerker auf dem flachen Lande eine solche ist, daß eine fachgenoffenschaftliche Gliederung ebne Bildung zu großer, mit dem Wesen einer solchen Organisation deS Kleingewerbes unvereinbarer Bezirke sich allgemein durch führen läßt. Die österreichischen Erfahrungen sind nur zu geeignet, in dieser Hinsicht Zweifel hervorzurufen. Erst auf Grund der Verarbeitung deö gewonnenen thatsächlichen Materials wird daher die sichere materielle Untersage für die gesetzgeberische Lösung dieser und ähnlicher gesetzgeberischen Fragen gegeben sein." Gegen eine Verzögerung der Vorlage aus solchem Grunde läßt sich nichts einwcnden, obgleich sie die Bermutbung nahe legt, daß die Verarbeitung des ge wonnenen Materials längere Zeit beanspruchen und die Ein bringung der Vorlage im Reichstage schwerlich noch im Laufe der nächsten Session gestatten werde. Um so mehr aber muß man wünschen, daß die Veröffentlichung der Erläuterungen zu dein gewonnenen Zahlenmaterial so bald als möglich er folgt und den Interessenten Gelegenheit giebt, ihre Schluß folgerungen zu ziehen und zu begründen, bevor die Bearbeiter der Vortage die ihrigen ziehen. Im Neickstagswahlkreise Dortmund findet heute die Stichwahl statt. Die Leitung der Eentrums Partei hat Alles, was an ihr lag, gethan, um die socialrevolu- lionaire Partei im Reichstag durch Centrumsstimmen zu verstärken. Sie hat zwar officiell nur Wabtentbaltung proclamirt, in ihrer Presse im Wahlkreise aber eine Sprache gegen die nationalliberale Partei führen lassen, aus der die Absicht für den Socialdemokraten Stimmung zu machen, unverkennbar hervorging, und sie hat selbst in letzter Stunde ausdrücklich und officiell erklärt, die Nationattiberalen niminermchr zu den staatserbaltenden Parteien zu rechnen! DaS Eentrum befindet sich also in der Frage der Bekämpfung der Socialdeniotratie auf dem allen Standpunkte: es empfiehlt sich in Wort und Schrift als ihren verwendbarsten Gegner und leistet praktisch ihrer Machtvergrößerung und damit ihrem Einfluß auf die Massen Vorschub. Wenn es das Letztere auch in Dortmund gethan hat, wo die örtlichen Verhältnisse einen Triumph der Arbeiterverfübrer auch die eigenen Parteigenossen im ge werblichen Leben hart empfinde» lasse» würden, so gewinnt dieses Verhalten die Bedeutung einer grundsätzlichen Weigerung, dem Ruf zur Bekämpfung der Soeiatdemvkratie zu folgen. Und wenn die „Germania" in einer Erklärung, die eö den Dortmunder Eentrumswäblern zu einem Gebot der „Pflicht und Ehre" macht, ihren Wahlkreis der Social demokratie zu überantworten, aus Görres (f- 1848) und den Bischof von Ketteler (s- 1877) als katholische Gegner der socialrevolutionairen Tendenzen hinweist, so heißt das die Zurückweisung jenes Rufes zum Kampfe für Religion, Sitte und Ordnung mit Hohn durchtränken. Die Begünstigung der Socialdemokratie durch die Centrumsführer bei der Dortmunder Stichwahl hat die Stellung, die diese Partei in der wichtigsten Frage unseres staatlichen Lebens beizu- behalten entschlossen ist, mit vollkommener Sicherheit erkennen lassen, ein Wahlsieg der Vertreter der Staatsordnung kann an dem Bilde nichts ändern. Ein solcher ist möglich und nicht unwahr scheinlich. Denn einmal können für den nationalliberalen Ean- didaten noch Reserven herangezogen werben, sodann sind die Eentrumswähler keineswegs insgesammt geneigt, dem Wink ihrer Führer zu folgen. Im geraden Gegentheil werden katholische Wähler für den Nationalliberalen eintreten. In einer Reihe von Ortschaften des Landkreises baden sich zahlreicheKatboliken mit der eindringlichen öffentlichen Mahnung an ihre Glaubensgenossen gewandt, „Religion, Sitte und Ordnung gegen die revolutionaire Gefahr zu vertbeidigen" und demgemäß — aber dem Gedankengang der Centrums- leitung und ihrer Presse direct widersprechend — Herrn Möller die Stimme zu geben. Die Wahl des Letzteren würde demnach zugleich einer Niederlage des ofsiciellen Eentrums gleichkommen, während diese Partei in dem Siege des Social demokraten ein Pflaster auf die Wunde von Pleß-Rybnik zu erblicken allerdings em Recht hätte. lieber Ursprung und Zweck des Artikels im Petersburger RcgieruiigsbotkN und die telegraphische Verbreitung desselben durch die „Russische Telegr.-Agentur" liegt aus Petersburg noch keine Aufklärung vor, ist wohl auch kaum zu erwarten. Ebenso hat man einen völlig sicheren Anhalt dafür, wes halb die englische Presse auch jetzt noch absolutes Still schweigen über das Petersburger Alarmtelegramm und dessen „Dementi" bewahrt. Wir begnügen uns unterdessen, au folgende Auslassung eines anscheinend officiösen Berliner Berichterstatters des „Hamb. Corr." hinzuweisen, die sich im Allgemeinen mit unserer Auffassung des Zwischenfalles deckt. Es beißt da: „Man hat nun davon gesprochen, daß das Telegramm am 29. oder 30. October ein Börseuma növer gewesen und daß die jetzt erfolgte angebliche Richtigstellung ein Versuch sei, den Vor gang zu vertuschen. Nun liegt es aber doch auf der Hand, Laß die telegraphische Wiedergabe einer Auslassung des „Reg -Boten" über auswärtige Politik ohne das Vorwissen des Petersburger Auswärtigen Amtes nicht möglich gewesen wäre. Der Gedanke, daß dieser Mieldung Börsenspeculationen zu Grunde gelegen hätten, ist also ausgeschlossen. Anders aber verhält es sich vielleicht mit dem Beschwichtigungstelegramm. Man kann sich wohl denken, daß die russische» Finonzkreise durch die Wirkung, die die erste Meldung aus die conlinentalen Börsen und indireet auch aus die russischen Course ausgeübt hat, veinlich berührt worden sind, und daß man deshalb nachträglich den Versuch gemacht hat, de» Coursen wieder aus die Beine zu Helsen. Ist diese Erklärung zutreffend, so liegt der Gedanke nahe, daß Fürst Lobanow und der Finanzmiuister Witte zu weilen verschiedener Meinung sind. An der politischen Be deutung des Artikels des „Reg.-Bolen" wird dadurch freilich gar nichts geändert." Uebrigens verdient bemerkt zu werden, daß die Redaction der „Times", welche, weil erst um 6 Uhr Morgens schließend, das Petersburger Telegramm allein von allen Londoner Morgenblättern noch am Mittwoch früh bringen konnte, an einem Inhalt Anstoß nahm und erst in Petersburg anfragle, ob es damit seine Richtigkeit habe. Erst nachdem diese Frage bejaht worden, ist die Ausgabe des Telegrammes erfolgt. Die Lage in der Türkei ist sehr ernst; darüber ist eine Täuschung nicht mehr möglich. Die täglich aus Armenien und Syrien eintreffenden Meldungen lassen klar erkennen, daß sich die islamitische Welt gegen die Gewährung von Reformen an die Christen sträubt, daß sie zu blutigen Gewaltthaten schreitet. Die Armenier haben unter dem Eindruck der Metzeleien von Konstantinopel und Trapezunt ihre so lange geübte Geduld und Unterwürfigkeit aufgegeben, sie greifen zu den Waffen und üben blutige Wiedervergeltung. Zn Konstantinopel gährt es in den türkischen Kreisen; immer mehr dringen Gerüchte über Verschwörungen gegen den Sultan in die Ocffentlichkeit; eine große Mobilmachung ist angeordnet, um die Ordnung wieder herzustellen, und zu alledem tritt plötzlich eine Finanzkrise in Konstantinopel ein, welche die weitestgehenden Verheerungen anrichtet. Ein viermonatiges Moratorium mußte für das gesammte türkische Reich gewährt werden, das sich allerdings nur aus Börsen geschäfte, nicht auf HaudelSverpflichtungen erstreckt. Wer weiß jedoch, was die nächsten Tage noch bringen, wenn an die Ottomanbank immer weitere Ansprüche berantreten, die in Gold zu leisten sind! Jedenfalls sind die finanziellen Ver hältnisse am Goldenen Horn schwieriger denn je. Die politischen aber sind noch verwickelter; denn eS bandelt sich nicht allein darum, die Ruhe herzustellen und zu sichern, es sollen die Reformen auch wirk lich durchgeführt werden, und die Stellung der Mächte ist keineswegs so klar, daß nicht die Möglichkeit weitgehender Meinungsverschiedenheiten vorhanden wäre. Nach einer Drahtmeldung des ofsiciellen Wiener „Eorresp - Bur." aus Konstantinopel enthält man sich in dortigen diplomatischen Kreisen noch eines abschließenden Urtbeils über die Tragweite der letzten Ereignisse in Kleinasien, da zuverlässige Berichte und sichere Einzelheiten nicht vorliegen. Darin aber herrscht allgemeine Uebereinstiinmung, daß die Lage nicht zu berechnen ist, wenn die Metzeleien fortdauern. Selbst nach türkischen Privatberichten erscheinen wohl an einigen Punctcn die Armenier als die Angreifer, an anderen Orten aber die Türken als das offensive Element. Zu leugnen ist nicht, daß die Hetzereien der armenischen Agitationsausschüsse im Auslande einen nicht geringen Theit der Schuld an den jetzigen beklagenswerthen Ereignissen tragen, aber in der Türkei haben Zustände geherrscht, welche den Ausbruch einer revolutionairen Bewegung von lange her als unvermeidbar erscheinen ließen. Es sind fa auch nicht die Armenier allein, welche Reformen verlangen, sondern ebenso die Jungtürkcn, die noch viel weiter geben, als jene, und es wird nickt lange bauern, so wird auch in Makedonien der Aufruhr daS Haupt wieder erbeben. Im Interesse des Weltfriedens ist es allerdings dringend zu wünschen, daß in der Türkei so rasch wie möglich Ruhe ge- ckafft wird und daß die Vertreter der Mächte in Konstanti- nopel den Sultan dabei moralisch ausgiebig unterstützen; aber wer kann sich verhehlen, daß damit die Katastrophe nur aufgeschoben, nicht aber abgewendet wird! Schiebt der Sultan die geplanten Reformen aus die lange Bank, so droht seine». Thron von Seiten der Armenier und der Jungtürkcn Gefahr; ührt er sie durch, so ist die Revolution unter den Altlnrken ertig. Die Verhältnisse am Goldenen Horn sind eben boden- oS verfahren und geben zu den ernstesten Besorgnissen Anlaß, denn sie rücken die Eventualität eines Einschreitens von außen immer näher. Von welchen Gefahren dies aber für die Türkei und i» weiterer Consequenz für den europäischen Friede» begleitet sein könnte, liegt aus der Hand, wenn man erwägt, welche Mühe es kostete, angesichts der obwaltenden Gegensätze auch nur die diplomatische Action der drei inter venirenden Mächte ohne offene Veruneinigung zum Abschluß zu bringen. Alle Bestrebungen müssen daher darauf gerichtet ein, so^ lange als möglich zu verhüten, daß es von irgend einer Seite zu einem thatsächlichen Eingreifen komme. Ein olches Eingreifen wäre, von welcher Seite immer es aus ginge, ein Sprung ins Dunkle, denn Niemand vermöchte vor herzusagcn, zu welchen Verwicklungen eS dann kommen und wie es um den Umfang derselben bestellt sein könnte. Der König von Aschanti, Pempeh, oder, wie die Engländer ihn despectirlich nennen, der Häuptling von Kumassi, hat das ihm gesandte Ultimatum kurzer Hand zurückgesandt und damit deutlich gezeigt, daß er sich süblt. Er sei auf den Krieg vorbereitet und gerüstet, war seine Antwort. Es sei unwahr, daß in seinem Reiche noch Menschen opser gebracht würden; wenn es aber geschehe, so sei das seine Sache. Spione dulde er nicht in seinem Königreiche und an seinem Hof, und ein britischer Resident werbe in Kumassi nicht zugelassen werden. Da Pempeh auch be ständig fortfährt, die Stämme des früher« Aschanti-Reicks, die sich nach dem Kriege von 1874 den Engländern unter warfen, zu „strafen" und durch Raubzüge in ihrem Gebiete zu behelligen, so soll ihm mit Waffengewalt Vernunft bei gebracht werden. In militairischen Kreisen Londons be trachtet man die Sacke als eine Art Spaziergang. Sir Francis Scott, der Generalbefehlshaber der Truppen an der Goldküste, wird wahrscheinlich den Befehl über nehmen und gedenkt mit 100 Soldaten von Lagos, einem Bataillon westindischer Truppen und 600 HaussaS von der Goldküste binnen drei Monaten seine Ausgabe zu lösen. Da diese Truppen an Ort und Stelle sind, so wird die Expedition bereits Mitte December, sobald die zur Führung bestimmten Osficiere eingetroffen sind, aufbrechen können. Lord Wolsele», der als Sir Garuct vor 2l Jabren den goldenen Regen schirm des Aschanti-Königs auö Kumassi holte, dann die Stadt niederbrannle und den König zum Frieden zwang, soll jedoch, auf seine eigenen Erfahrungen gestützt, die Sache nicht so leicht nehmen, da die Aschantis heute weit besser bewaffnet und kriegserfahrener sind und nachweislich 50 000 Gewehre, die Hälfte Hinterlader, in ihrem Besitze haben. Lord Wolseley traut auch den HaussaS nicht, die ihn vor de», Feind im Stich gelassen haben, und es werden darum wahrscheinlich einige Bataillone weißer Truppen den Feld zug mitmachen. Das Kriegsministerium in London ist bereits von Officiercn belagert, die, des langen Friedens müde, de» Spaziergang nach Kumassi mitmachcn wollen. Es heißt, daß einige französische Osficiere bei König Pempeb eiu- getroffen sind und die Führung und Organisation seiner Truppen übernommen haben. Der Kampf ums Dasein. 6j Roman von A. von Ger-dorsf. Nachdruck verboten. lFortsetzung.) „O mein weither Herr", spottete der Sänger, „da kommen Sie schlecht an. Diese königliche Prinzessin hat schon ganz anderen Leuten die Thür ihres Herzens gewiesen, als einem — einem ja — was sind Sie doch gleich oder waren Sie vielmehr — Bogt oder so etwas?" „Hosinspector", fasste Wächter gelassen, beinahe freundlich, denn die warmen Blicke aus den schönsten Augen, die er je gesehen, verursachten ihm ein so sonderbar wohliges Gefühl, als sei er ordentlich schon ein wenig zu Hause in Berlin. „Fräulein", wandte er sich an sie, „haben Sie diesen Herrn Fido vielleicht zn Ihrem Sprecher gemacht?" Sie lachte. Was für ein Lacken! So gesund, so lustig, wie Drosselgeschmetter! „Ach nein, Herr —" „Wächter heiß' ich. Franz —" „Wächter Franz? oder Franz Wächter?" „Oder bloß Franz", lächelte er kühn, und trotz Fino'S giftigem Hohnlachen strich er leicht mit der Hand über die ans dem Tiscbrand ruhenden Finger des Mädchen». „Haben Sie denn keine Minute Zeit, Fräulein?" „Eigentlich nicht", sagte sie zögernd. Dann nahm sie bei ihm Platz. Verblüfft schauten Fino und der Wirth sie an. Es war das erste Mal, daß sie sich zn einem Gast setzte. Ein wenig verlegen und befangen war sie dabei, aber gerade das stand ihr entzückend. Wächter hatte übrigen« in seiner Gutmüthigkeit auch dem braven Fino ein GlaS Bier und ein Butterbrot geben lassen. Sonst aber nahmen weder er noch Kathinka von dem Herrn Notiz, obwohl er wiederholt allerlei Bemerkungen in das Gespräch warf. Sie hatte angefangen, schüchtern nach seinem Woher und Wohin zu fragen. Wächter antwortete freimüthig, aber eS war zu natürlich, daß er Alles in anderer Färbung erzählte, als in fener Nackt. Da begegnete er einem so hpShasten Blick Fino'S, daß er jäh verstummte. Seine Faust ballte sich auf dem Tische und sein heitere- Gesicht verfinsterte sich. Er begriff plötzlich seine große Unvorsichtigkeit diesem diebischen Schuft gegenüber, die ganz allein nur durch den Trunk veranlaßt war. Finster starrte er auf den Tisch und bemerkte nicht, wie Fino Kathinka mit dem Ellbogen ansließ und ans ibn wies und ahnte nicht, daS sein Gesicht eben die beste Illustration war zu den schlimmen Erzählungen von dem „jäbzornigen, gefährlichen, betrunkenen Menschen, der wegen gar nichts — einer dummen Hofdirne wegen, auf seinen guten Herrn einen Mordanfall gemacht hatte und nun ohne Arbeit durchs Land strich" — die der edle Exsängcr sich vornahm, dem Mädchen von ihm zu machen. Er sah auch nicht, wie der sehr eifersüchtige Wirth ihn beobachtete und wie ein Schutzmann, derselbe vom ersten Abend, hereinkam und ihn ebenfalls scharf betrachtete, während er mit dem Wirthe sprach. Kathinka erhob sich plötzlich, nickte Wächter aber zu, während der tückische Fino gar keinen Gruß erhielt. Auch Wächter stand sofort auf, zahlte und verließ die Kneipe. In schlechtester Laune ging er die matt erhellte Straße hinab, ohne viel darauf zu achten, daß der Schutzmann ihm eine Zeit lang folgte, »m dann in das Wachtlocal seines Reviers zu treten, an welchem sie vorüberkamen. Da berichtete er etwas und schrieb etwas in sein Buch. Ja, Franz Wächter war in häßlicher Stimmung. Seinen Vetter, den Papierhändler Fritz Wächter, hatte er zwar ge sunden, aber keine gute Aufnahme — noch weniger ein Quar tier bei ihm. Zuerst hatte er ihm sogar ein Zehnpfennigstück hingeworfen nnd ihn biuausgewiesen, da er gerade zwei vornehme Kunden, Osficiere, bediente. Er war wüthend hinausgegange» und hatte nicht recht gewußt, was nun weiter thun. Zufällig sah er in einem blanken Schaufenster sein wenig empfehlende« Aeußere und sein rascher Zorn legte sich. Es war dem feinen Herrn Papierhändler kaum zu ver denken gewesen, wenn er den Besucher mit der alten, verfärbten Joppe und dem breitrandigen, wettergewohnten Filzbut mittel« des Zebnpfennig-Almosens so schnell wie möglich hinauSbefördcrt hatte. Daß Wächter ihn mit: „Guten Tag, Vetter" begrüßt, das hatte der Beschäftigte wohl kaum gehört oder für eine verrückt« Unverschämtheit gehalten. „Na ja", dachte der ehemalige Hosinspector, „hier scheinen Kl-iver Leute zu machen." So machte er sich auf den Weg, um so gut wie möglich eine Wandlung seines äußeren Menschen vorzunehmen. Dabei ging freilich der größte Theil der Summe drauf, die er noch besaß, aber das half nichts. Anständig aussehen mußte man vor allen Dingen. Ordentlich zurecht gemacht und gebürstet, sogar rasirt, war er dann nach Feierabend wieder zu dem Vetter hin gegangen. Er empfing ihn dann ja auch nicht grade unhöflich, aber doch mehr erstaunt, als erfreut. Er machte ein sehr langes Gesicht bei seines Vetters ehr licher Erzählung und wechselte einen Blick mit seiner Frau. Sie gaben ihm dann noch ein Butterbrod, lehnten aber jede weitere verwandtschaftliche Verpflichtung ab. Er solle sich doch an eine Vermittlungsstelle wenden. Baar Geld konnten sie nickt entbehren, und sie riethen ihm dringend, doch die Stadt so schnell als möglich zu verlassen. Man sei hier sehr strenge gegen unbeschäftigte Herumtreiber. Eine drohende sociale Erörterung deS „reisenden Oeko- nomen" batte der feine Herr Papierhändler mit der offen herzigen Erklärung abgelehnt, daß er selbst zu beschäftigt sei, um sich für „socialen Unsinn" zu interessiren. Der Satz aber sei so alt wie die Welt, daß, wer arbeiten wolle, auch Arbeit finde. „Wenn er aber nichts mehr zu essen bat, kann kein Mensch mehr rnmsnchen!" hatte Wächter zornig gerufen. Da hatte ihn der Vetter ganz erschreckt, immer höflicher und höflicher werdend, zur Stube hinauSkomplimentirt. Bei dem Anblick deS schönen, freundlichen Mädchens in der „Schwarzen Katze" hatten sich die schweren Wolken am Horizont seiner Seele wieder auf Minuten gelichtet, um dann aber desto finstrer sich zusammenzuballen. Wenn er nicht bald Arbeit fand in seinem Fache, mußte er wahrhaftig Holzhacker werden! Das Vermittlungs-Bureau siel ihm ein. Aber er dachte seufzend an seine Vergangenheit und seine ungenügenden Zeugniffe und daß er da auch zu zahlen haben würde, und er ärgerte sich, daß er in seiner Grogstimmung dem Schuft, dem Lumpenhund, die zwei Mark vierzig Pfennige hingeworfen batte. Ziellos, zwecklos ging er die öde, dunkle Gaffe hinab und eine andere hinauf, die noch öder und dunkler war, so schlimm fast, wie seine Gedanken. Aber daS Nachdenken, eine Arbeit, die er bei seiner frischen, rastlosen Körperthätigkeit früher nie ordentlich geübt, brachte ihn nicht weiter, als daß er eine böse Erschlaffung fühlte und sich nach einem Schluck Bier sehnte. Bald sah auch Franz Wächter des „Teufels Nachtlicht" — wie sein alter Vater die Schankwirthschaften nannte mit ihren rothen oder grünen Lichtzeichen — an einer Straßenecke in eine Kellertiefe hinunterleuchten. Hier war es ganz nett und sauber. Die Lampe an der Decke war blitzblank, eine ansehnliche Uhr hing über dem Buffet. Zwei halbwüchsige Burschen in Jacken bedienten. Die Gesellschaft hier war weit besser, als in der „Schwär zen Katze". In einem gewissen grimmen Schamgefühl schob er seine breite, kräftige Gestalt an den Gästen vorbei nach einer Ecke hin, wo ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen stand. Einer der Stühle war besetzt. Ein alter Mann mit bartlosem Kinn, Lippen, die über fast zahnlosen Kiefern so eingefallen waren, daß sie gar nickt sichtbar wurden und schlaffen, faltenreichen Wangen, hob de» weiß- und dünnbehaarten Kopf mit einem unwilligen Blut seiner scharfen Augen nach dem unwillkommenen Störer empor. Wächter murmelte unwillkürlick eine Entschuldigung, als er sich niederließ und ein Glas Bier bestellte. Verwundert betrachtete er den alten Mann, neben welchem ein Glas Tbce stand und ein halb genossenes Stück trockenen Brodes. Er batte einen Bogen weißes Eonceptpapier vor fick und schrieb auf diesem, während er ab und zu in ein anderes, dickleibiges Manuskript hineinsah. Wächter's Murmeln wurde keiner Erwiderung gewürdigt und so betrachtete er den Anderen verstohlen, wie er saß und schrieb. Sein schwarzer Rock war rein, aber äußerst faden scheinig. Dennoch trug er noch am rechten Arm einen Schreib- Aermel, um den Rock noch zu schonen, wenn er schrieb. Zu geknöpft war er bis zum Halse; dadurch hatte der bartlose Alte ein beinahe geistliches Aussehen. Jetzt schien er seine Arbeit beendet zu haben. Der letzte Bogen war bis zur Hälfte beschrieben, er machte einen sauberen Strich darunter und drückte ein vielgebrauchtes Löschblatt darauf. Wächter verfolgte Alles, was er that, mit angespaiinlem Interesse. Also sogar dieser kränklich und abgezehrt aussebende Greis, der schon mit einem Fuße im Grabe stand, hatte seine Thätig- keit und — was ihm daS Wichtigste war — fand seine Arbeit!
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