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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.11.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-11-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951129026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895112902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895112902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-11
- Tag1895-11-29
- Monat1895-11
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Sie lautet angeblich: „Alle soeialistischen Bestrebungen, wie sie nun auch heißen Möge«, besonders aber die christlich-sociale Richtung eines Wagner und Naumann, fördern geradezu nur da» Werk der Socialdemokratie; st« beschleunigen nur dir Revolution. DieserFriedrich Naumann ist der reine Thomas Münzer. — Das Unheil einer Revolution will ich von Deutschland abwenden. Ich reise am Freitag zn Seiner Majestät, um aiS Gast an der Jagd theilzunehmen, und werde ihn, den ich in dieser ganzen Sache ein« mit mir weiß, scharf z« machen suchen zur Anwendung rückhaltloser Gewalt, -um Kampf auf Leben und Tod." Wir hatten diese Auslassung bisher nicht erwähnt, weil wir glaubten, sie werde von Herrn von Stumm schleunigst demeulirt werden. Statt de» Herrn von Stumm ließ sich aber zunächst der Pfarrer Lentze vernehmen, welcher der „Franks. Ztg." schrieb: „Die in der „Franks. Ztg." im Abendblatt vom 25. d. M. erschienene Notiz über eine Unterredung zwischen dem Freiherrn von Stumm und mir. alS dem Vertreter des Verbandes der evan gelischen Arbeilervrreine a. d. S , enthält Aeußerungen des Ersteren, die unwahr sind und den Sachverhalt geradezu auf den Kopf stellen, indem der Freiherr von Stumm den Faden der Verständigung mit den christlich.socialen Bestrebungen noch nicht abreißrn zu wollen erklärte." Saarbrücken, 27. November 1895. Leptze, Pfarrer em. Daraus, daß Herr Lentze nur auf dm ersten, die christlich- socialen Bestrebungen betreffenden Theil der Stumm'schcn Aeußerungen Bezug nahm, den zweiten, die in der Jagd tasche des Herrn v. Stumm steckenden Rathschläge für den Kaffer betreffenden Theil aber unberücksichtigt ließ, wurde nun geschloffen, daß Herr Lentze in diesem Puncte nichts zu berich tigen und daß Herr v. Stumm sich wirklich so ausgesprochen habe, wie berichtet worden. Heute endlich verbreitet „Hirsch'S Trl.-Bureau" die Meldung, Herr v. Stumm habe ihm auf Anfrage mitgetbeilt, daß der ihm zugeschriebenen Aeußerung, er werde den Kaiser zu einem Kampfe gegen die Social demokratie auf Leben und Tod zu veranlassen suchen, auch nicht annähernd etwas Wahres zu Grunde liege: die Aeuße rung beruhe im Wesentlichen einfach auf Erfindung. WaS er eigentlich gesagt hat, weiß man also immer noch nicht genau; die Entrüstung der socialdemokratischrn Presse und ihrer mehr oder weniger verschämten Freunde wird daher voraussichtlich fortdauern. Andere können ruhig abwarten, wie die neue Stumm-Affaire sich weiter entwickelt. Selbst wenn Herr». Stumm sich ähnlich auSgedrückt hätte,wie behauptet wird, hätte Niemand Ursache, sich darüber zu erregen, als der Kaiser. Am wenigsten die Socialdemokratie. Sie will die „Dictatur deS Proletariats" aufrichten und weiß ganz genau, daß diese Dictatur ohne die Mittel der Gewalt sich nicht aufrichten läßt. Sie kann eS daher auch nicht verwunderlich oder verdammlich finden, wenn ein leidenschaftlicher Gegner deS socialvemokratischen Zukunftsideals die Ansicht äußert, dieses Ideal müsse mit denselben Mitteln abgewendet werden, mit denen die Socialdemokratie es erreichen will. Nebrigen« ist e» ja gerade die socialvemokratische Presse, die behauptet, durch Gewaltandrohungen gegen die Socialdemokratie werde diesrr uur Borschub geleistet. Der „Vorwärts" und seine mehr »der minder verschämten Freunde hätte also uur Anlaß Herrn v. Ttumm dankbar zu sein. Grund zur Bersiimmtmg hätte, wie gesagt, nur der Kaiser, dem Herr v. StnMm unter stellt haben würde, er lasse sich von unverantwortlichen Rathgebern beeinflussen und zu Maßregeln drängen, denen weder die übrigen BundeSsllrsten, Nock die jetzigen verantwortlichen Leiter der deutschen und der preußischen Politik ihre Zn- stimmung ertbeilen würden. Kann sich Herr v. Stumm von dem Vorwürfe, in renommiftischer Weise eines solchen Ein» flusse« sich gerühmt zu haben, nickt reinigen, so wird er seines wirklichen Einflusses bald verlustig sein. Herr v. Stumm kennt übrigens de» Kaiser gut genug, um zu wissen, daß dieser nicht nur kein Freund von Beeinflussungen ist, die er „nicht merken soll". Wir halten e» daher für mindestens sehr wahrscheinlich, daß Herr v. Stumm gröblich verleumdet worden ist. Anderenfalls wird er allein die Folgen zu tragen haben. Die geplante Aenderung des Zuckersteuergesetzes wird bereits in so erregter Weise von radicaler Seite behandelt, a!» ob morgen diese Frage da» Stich- und Schlagwort für allgemeine Wahlen liefern müßte; und doch liegt die Haupt ursache deS Niederganges der fortschrittlich-liberalen Parteien in der rein agitatorischen Art und Weise, wie dieselben die Fragen der wirtbschaftSpolitischen Gesetzgebung zu behandeln sich gewöhnt haben. Das gewerbsmäßige Verdächtigen der Gesinnung unserer Gesetzgeber, deS ganren Geistes unserer Gesetzgebung in solchen wirthschafllichen Jntercsseufragen bat eben die radicalen Parteien unter den Verdacht gestellt, als fehle ihnen nicht nur das Verständniß für solche Fragen, sondern geradezn der gute Wille, dies Ver- ständiß sich anzueignen. Ein Beispiel derartiger gehässiger Uebertreibung, daS die „Vossische Zeitung" heute liefert, muß au» dem besonderen Grunde gekennzeichnet werden, weil daS Blatt nickt davor zurückschreckt, das Ansehen Deutschlands in aller Welt herabzusetzen. Der in Aussicht gestellte Ent wurf will, wie nochmals kurz erwähnt sei, ein Zweifaches: der Ueberproduction soll dauernd vorgebeugt werden — dazu die Contingentirunz und die Betriebssteuer: und e- soll den Eoncurrrnzstaaten die Prämienmißwirthschatt verleidet werden — dazu die Kampfesprämien und die, wie diese, vorüber gehend gedachte Erhöhung der Verbrauchsabgabe. Man kann nun über den einen wie über den anderen Zweck seine be sondere Meinung haben, noch mehr über die Tauglichkeit der vorgeschlagenen Mittel. Namentlich kann man auch streiten, ob der dauernde und der vorübergebende Zweck derge stalt in einem organischen Resormgesetz verbunden werden können. Aber von einem ehrlichen Gegner wird man ver langen dürfen, daß er in jeden Stadium der Auseinander setzung als den Boden deS Streites gelten läßt: einmal, daß wir in Deutschland den Unfug der Prämicngewähr nicht an- gefangen haben, und zum Anderen, daß die neu geplante höhere Prämie nur als Kampfmittel gedacht ist. Was die Verantwortung für die Entstehung der Prämienmißwirtbschaft betrifft, so lehrt jedes Handbuch der VotkSwirtbschast, daß Deutschland reine Hände bat. Die Prämie ist eine ausgesprochen französische Erfindung; sie leitet ihren Ursprung zurück auf da- französische Gesetz vom 3. Juli 1840, daS sog. Farbentypensystem, welches den Raffinerien große Prämien und Gewinne verschaffte; mit der kurzen Unterbrechung von 186l—1864 hat eS bis 1880 bestanden. Jbm folgte ein neues Experiment, daS aber der Industrie nicht genug Bortbeil bot und 1884 durch ein System der Ausbeute-Besteuerung ersetzt wurde, vermöge dessen die franzö fischen Prämien in den achtziger Jahren zwischen 6 und 11 ^ für den Doppelcentner schwankten. Bei uns in Deutschland wurde aber die seit 1841 eingerichtete Material steuer überhaupt erst seit 1861 bei der Ausfuhr zurück vergütet. Bi» vahin lag aus dem einfachen Grunde keine Veranlassung dazu vor, weil Deutschland» Industrie hinter der französischen weit zurück und nicht entfernt in der Lage war, überhaupt an ZuckerauSfuhr zu denken. Frankreich allein beherrschte, Dank der Höhe seiner Ausfuhrprämien, den Rüben zucker-Weltmarkt. Demnach ist eS eine kaum mehr zu quali- ficireade KampfeSweise, wenn die „Vossische Zeitung" deute einen Lritartikel über die Verwerflichkeit de» Prämiensystrm» in der Behauptung gipfeln läßt, „daß der Ursprung de« Prämirnsystem« in Deutschland zu suchen ist". Und eS ge kört absoluter Mangel an VerantwortlichkeitSgefühl dazu, einen größeren Kreis von Lesern durch die wirtbschaftS- geschichttiche Fälschung irre zu führen, die in den Worten liegt: „Deutschland hat in der Zeit, wo eS noch an der Fabriksteuer festhielt, verdeckte Prämien gehabt, die geradezu übertrieben waren; eS hat aller Einwendungen unerachtet an diesen Prämien festgehalten und dadurch andere Staaten zur Nachahmung gereizt. ES hat dadurch seine Finanzen in Unordnung gebracht, die Ergebnisse der Zuckerbesteurrung verfallen lassen und trotzdem eS nicht Ver binder» können, sich einen erdrückenden Wettbewerb auf den Hals zu laden. Die beklagenSwerthen Zustände auf dem Zuckermarkte sind vor allen Dingen da» Ergrbniß der fehlerhaften deutschen Politik". Da wundere sich Niemand mehr, wenn Zweifel um sich greifen, ob beim Freisinn der gute Wille vorwatlet, wirthschaftSpotitische Fragen sachgemäß zu behandeln. Dem „Pester Lloyd" wird über die Haltung Deutsch lands zur Lrtentfrage daS Folgende au» Berlin geschrieben: „Früher noch, als die anderen Botschafter hierzu Gelegenheit fanden, hat die deutsche Botschaft der Pforte die dringende Noth- wendigkeit ans Herz gelegt, unvcrweilt den Reformvorjchlägen der Mächte Gehör zu geben und Alles vorznketireu, was zur Sicherung der Ruhe und Ordnung im Reiche unerläßlich sei. Und alS trotz alledem in der Haltung der Psortr kein entschiedene» Entgegen kommen wahrzunehmen war, kam dann die Mission deS Botschafters Grafen Saucma beim Suitan, bei welchem Anlässe der deutsche Diplomat eine Sprache führte, die in manchen Stücken noch über dasjenige hinausgegangen ist, waS Lord Salisbury gesagt hat und die in der That sehr consternirend auf den Sultan gewirkt haben muß, da sie In klaren Worten auf die Ge- fahren ausmerkian: machte, die nicht blo» dem ottomanischen Reiche, sondern dem Sultan selber drohen." In einem Berliner Blatte wird diese Berliner Corre- spondcnz deS „Pester Lloyv" als osficiös bezeichnet. „Wenn daS, so bemerken hierzu die „Hamb. Nachr.", zuträfe und die Angaben des betreffenden Gewährsmannes auf amtlicher Information beruhten, so würden wir nicht frei von Be- sorgniß bleiben können. Deutschland wird durch eigen- Jntereffen nicht genöthigt, in der türkischen Frage irgend welche Initiative zu ergreifen und sich den näher interessirten Mächten vorzudrängen, wie die» nach der Angabe des „Pester Lloyv" als geschehen anzunebmen wäre. Für Deutschland ist die armenische Frage so wenig die gesunden Knocken eines pommerschen Grenadier- wertb wie im Jahre 1877 daS Bischen Herzegowina. Deutschland- Interesse weist eS darauf bin, in dieser Frage abzuwarlen, wie sich die nächstbetheitigteu Mächte verhalten, in dem türkischen Spiele in der Nachband zn bleiben und sich darnach zu richten, was die Vorhand thut. Wir würden es be dauern, wenn Deutschland diesen Standpuuct verließe und ohne Noth die Finger in Dinge steckte, die eS nickt- angehen. Wir können nur annehmen, daß der Berliner Gewährsmann des „Pester Lloyd" falsch berichtet ist und fühlen uns darin durch die Haltung Deutschlands in Sachen der Flottendemon stration bestärkt." — Auch wir haben uns bereit- wiederholt im Sinne de» Hamburger Blatte» ausgesprochen. Wa» die Berliner „officiösen" Mittheilnnaen deS „Pester Lloyd" an- geht, so legen wir denselben nur sehr geringen Wertb bei, da sie sich schon wiederholt als irrig erwiesen haben. Immerhin war es nötbig, den Eatbüllungen de- in dem angesehenen ungarischen Blatte sich breikmachenden Berliner Orakel« ent schieden entgegenzutreten, um einer Legenkenbildung dort vor zubeugen, wo man ein Interesse daran haben muß, jene Mittheilungen für deutsch-officiö- zu halten und auSzugeben Man irrt, wenn man anläßlich der letzten Siege deS französischen Ministerium« Bourgeois von einem Triumph de« Radikalismus spricht. DaS Gezentheil ist richtig. Die großen Majoritäten, mit welchen daS Cabinet die Welt in Erstaunen setzt, dankt eS lediglich einem geschickten Laviren zwischen den politischen Principien deS RadicaliSmuS und deS Opportunismus mit der deutlich zu Tage tretenden Tendenz, sich auf die den letzteren vertretenden Parteien zu stützen und sich von der soeialistischen Bundesgenoffenschaft zu emancipiren. So war es, von anderem abgesehen, bei der Debatte über daS Anarckistengesetz, so am Mittwoch wieder gelegentlich der Interpellationen wegen Madagaskars Man erinnert sich noch des Verlangens der radicalen und soeialistischen Presse, der Friedensvertrag, den Honotaux mit der Königin von Madagaskar geschloffen, müsse abgeändert werden, da er lediglich ein Protecrorat vorsehe, wahrend e» der Würde Frankreichs, der Staatsklugheit und der Größe der gebrachten Opfer entspreche, das Land einfach zu annektiren. WaS lhut nun der Minister des Aeußeren, Brrlhetot? Mit vielem Pomp erklärt er, was alle Welt schon wußte, daß Madagaskar eine französische Besitzung sei, was die äußerste Linke ja, wenn sie wollte, al» „Einverleibung" deuten kynnle, auch behielt er dem Ministerium vor, einige Puncte in dem Vertrag zu ändern, d. h. „klarer zn fassen", den Kern desselben ließ er aber völlig unangetastet und eS bleibt demnach bei dem Protectorat deS opportu nistischen Cabinet- Ribot. Herr Bourgeois trieb den Opportunismus gar s o weit, daß er sich in die Bresche stellte, um seine Vorgänger im Amte gegen den radical- socialistischen Ansturm zu vertbeidigen. Der Minister- Präsident erklärte sich bereit, die Frage der Verantwort lichkeit wegen der bei dem Madagaskar-Feldzug von den früheren Ministern gemachten schweren Fehler auf administrativem Wege zu untersuchen, er leimte jedoch sowohl die Einsetzung einer Untersuchunas - Commission als auch die Versetzung der früheren Minister in den Anllagezustand ab, und die Kammer stimmte ihm mit allen gegen die 50 Stimmen der Socialisten zu. Herr Bourgeois wird daher in Zukunst auf die Unterstützung dieser Partei verzichten und dafür Ersatz im Centrum suchen müssen, d. h. daS radicale Ministerium wird gezwungen sein, im Sinne der republikanischen Concentration zu regieren. Bis jetzt find alle ConcentrationS-Cabinete, welche dieses Experi ment versucht haben, nach mehr oder weniger kurzer Zeit gescheitert. Auck dem Ministerium Bourgeois dürfte eS trotz seiner jetzigen „Erfolge" bald so ergeben, zumal da die radikale Partei eS nachgerate satt bekommen wird, ein Ministerium zu unterstützen, daS nur noch dem Namen nach radical ist. Schon murren die radicalen Blätter, reden von großer Ent täuschung und kündigen an, daß die Frage der Minister verantwortlichkeit nochmal« vor die Kammer werde gebracht werden. In Tpauieu erregt wieder einmal die traditionelle Miß- wirtbschafl des Madrider GemeinderatheS Auf sehen, und man nimmt abermals einen Anlauf zur Reinigung deS communalen Augiasstalles. Wenigstens setzte, wie uns heute der Draht meldet, der Untersuchungsrichter fünfzehn ..LT.. Fcuilletsir. Ver Kampf ums Dasein. Romaa von A. von GerSdorss Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Helmuth hatte sein AuSpackeu aufgegeben, eS fehlte für die Menge der Sachen vorläufig noch an Platz im Zimmer. Er saß aus dem Stuhl vor seinem Bett und sab Jakoba'S verschönender Tbäligkeit zu. Jetzt kehrte sie ihm ihr Gesicht zu. Sie war fertig mit ihren düsteren Gedanken. Strahlend lächelt« sie ihn an. „Du sollst sehen, mit ein paar alten Decken und Stoffen und Bildern wird da» hier noch so aemütblich werden, wie irgend denkbar, besonder« Abend» bei dem rosigen Lickt. Bitte, Schatz, nimm den Apoll, den armen Kerl, von dem gelben Kleiderschrank herunter! Siebt er nickt gerade au», als ob e« weinte, mit seinem abaewendeten Gesicht? Morgen machen wir die Koffer leer, stellen sie aufeinander und Wersen die große rolhe Decke von meinem Bett darüber, und dann kommt der Gott der Schönheit und Dichtkunst da oben hinauf, da iu di« Ecke, wo dir Chaiselongue gestanden hat." „Du hättest doch am Tode noch mehr von Deinen Sachen au» der Wohnung boten können," meinte Helmuth und sah sich, den Apoll im Arm, rathlo« um, wohin mit ihm. „Nuu, eia und daS ander« Stück hole ich mir auch sicher »och. Ich dachte uur, weil Dein« Schwester meint«, e« wäre Me» so voll und so reichlich wären Sachen vorbanden —" „Na ja, na jal" sagte Helmut-, der sich einer Erörterung über sei»« Schwrstrr heute Abend nicht recht mehr gewachst« fühlt«. — Mau mußte am anderen Tage schon zeitig aufstehen, da Helmuth schon um acht Ubr auf der Redaktion sem mußte. Er trank hastig ein« Tasse Kaffee, ohne etwa« zu essen, und eilte fort. Jakoba, die sich etwas versäumt batte, betrat ewige Minute» nachher da» Wohnzimmer, wo sie nur ihr« Schwägerin fand, welche ihren Kaffe« und die Zeitung mit augenscheinlichem Bebaue» genoß. Der Vater war in seinem Zimmer ,nd arbeitete schon. Er war übrigen« ru End« mit seinem Werkche» und schrieb es nuu selbst ab. Jakoba trug rin Moraenkleid von rothe« Tuch mit gelblichen Spitzen garvirt» ihr goldene» Haar war lose von einem Seidenbande zusammeugehalten. „Ach, Du bist ja so schön!" sagte Maria-Margarethe, von ihrem Zeitungsblatte aufsehevd, in jenem Tone, der wieder nur verwundert meinte: „Du hast Dich ja so geputzt!" Jakoba erröthete etwas ärgerlich. Diese stete Eingang-- beinerkung über ihre Erscheinung war ihr peinlich. „Ich finde e« hübsch, wenn Frauen und Mädwen Morgens recht nett und so hübsch wie möglich au-sehen. Ich begreife nicht, warum da» nur in der zweiten Hälfte des TageS nöthig sein soll und Viele deS Morgens so herumlaufen, als wenn da kein Mensch Augen hätte!" „Gott ja, aber hier — für unS ist doch solche Eleganz nicht nöthig. Dein Mann ist nicht da — der Vater siebt so etwas überhaupt nicht, und ich bin befriedigt, wenn Einer sich reinlich und praktisch anziebt." Nun, so sah sie allerdings aus in ihrem kurzen, schmuck losen Rock von blau und grau gestreiftem Flanell, mit der Schürze und einer etwas großen Morgenhaube, welcher mau den Preis (eine Mark) anseheu konnte. „Ich ziehe mich für mich selbst hübsch an, eS thut meinen eigenen Augen wohl, wenn ich mich im Spiegel sehe." „Nun. um meinen eigenen Augen wohl zu thun", lächelte Maria-Margarethe, „daru bin ich nicht reich genug. Ich bin leider keine berühmte Schriftstellerin, die da» Geld, wenn auch noch nicht in der Tasche, so doch im Kopfe bat." „Da hast Du recht", sagte Jakoba ernst. „Aber warum bist Du so unliedenSwürdig gegen mich, liebe Maria- Margarethe?" „Ick bin unliedenSwürdig?! Womit habe ich Dich denn verletzt? Ich habe ja kein Wort gesagt. Du mußt doch nicht Alle» übel nehmen, lieb« Jakoba. Ich meine eS doch nur gut, wenn ich Dich darauf aufmerksam mache, daß Du Dein« schönen Sachen hier schonen kannst." Jakoba stand auf. Sie war rasch mit ihrem Frühstück fertig. Sonst war ihr die» eine sehr lieb« Stunde am Tage geweien, ivo sie still und sich sammelnd für die Arbeit, ihre Briefe gelesen und ihre Journale durchblättert hatte. Ihre Post batten sich die Gatten postlagernd bestellt, heute konnte also noch nickt» hier sein. So ging sie in ihr Zimmer zurück. Hier war unterdessen aufgeräumt worden, nämlich Guste hatte die Ebaistlvngu« wieder hübsch ordentlich in die Ecke an di« Wand geschoben, hatte die Tüllecke wieder auf dru Tisch gelegt, die Lampenschlrirr mit großen Petrvleum- fingern versehen und abgenommen und die Gardinen sauber wieder in die Halter gesteckt, so daß man der ganzen Pracht der grauen Mauer und der verschiedenen Küchenfenster an sichtig wurde. Die Fenster waren geöffnet, um frische Luft aus dem „Brunnen" zu pumpen, aber dem Schlächter unten schien immer noch etwa- zu verfaulen. Auch der Apoll, den Helmuth aestern aus die Erde gestellt, hatte wieder seinen Tbron auf dem gelben Kleiderschrank bestiegen. Jakoba'S Seidenkleid vom Tage vorder war hineingehängt und Alles, waS von Toileltengegenständen umbergelegen, war ebenfalls irgendwo verwahrt. Aus dem Fußboden standen die Scheuer- flccke, und Guste zog eben mit Jakoba'S feinen Lackschuhen ab, um sie mit der allgemeinen Wichsbürste zu bebandrln. Kurz, Alles war und wurde ordentlich und reinlich besorgt. Jakoba setzte sich still auf den Stuhl vor ihrem Bett und überlegte. So ging da» Leben nicht. Und gehen mußte es. Gab eS denn nichts, womit man sich helfen konnte? Natürlich gab eS etwa». Zunächst dir Arbeit. Ja, da saß schon der große Haken. Wer konnte unter diesen Verhältnissen schaffen? Und doch mußte gearbeitet werden. Hier auch noch müßig geben? Entsetzlicher Gedanke. Wer hatte doch einst gesagt, daß er sich nie von Stimmungen abbängig mache bei der Arbeit! War dies denn etwa» Andere»? Unglück war es dock nicht — sie hatte ihr Glück, ihren Helmuth ja bei sich. Sie waren zusammen! Und Allem entgegen! batten sich sich gestern vorgenommen. Und nun ließ sie sich durch solch elende, kleine Bagatellen ernstlich verstimmen, sich untüchtig machen für den großen Zweck ihres Lebens?! Sie kannte doch ihre kleine Schwägerin mit ihren guten, soliden Eigen schaften und ihren kleinen, ärgerlichen Eigenheiten — lieber Himmel, wer batte keine! Und sie kannte doch auch un geschulte Dienstboten! WaS wußte die dumme Guste von Zimmereinrichtungen! Ordnung und Unordnung waren ibr vielleicht klar, aus Nuancen zwangloser Aumuth konnte sie unmöglich ringeben sollen. Jakoba schämt« sich wirklich ihrer Kleinlichkeit Nein. Die Sache sollte ander« angefaßt werden. Mit Gott und mit Liebe, hatte sie gestern gesagt, und mit Arbeit. Jetzt dachte sie noch eine« andern Tröster« in kleinen Wider wärtigkeiten und sagte lächelnd zu sich selber: „Mit Humor!" Ja. Sie wollte von Neuem beginnen, sich auf Alle« vorbereitcn und vor allen Dingen ihre Arbeit nicht von Aenßerlichkeiten abbängig machen. Wie viele Unglückliche gab «». die mußten arbeiten, mit hungerndem Magen und frierenden Fingern — in irgend einer schrecklichen Ecke oder unter Kiudergeschrri. Beinahe wäre eS sofort wieder um ihren Humor geschehen gewesen, denn als sie den Schrank öffnete, drang ibr eine Wolke von penetrantem Kampfergeruch entgegen. Und der war ihr furchtbar. Da hatten nä'mlich immer die Wintersachen deS Obersten gehangen. Jakoba riß schnell ihre und Helmuth's Kleider herau- und schloß den schrecklichen Geruch wieder «in. Nein, da» mußte irgendwie geändert werden, wenn Helmuth zu Tisch kam. Energisch verscheuchte sie die wieder aufsteigende Ver drießlichkeit und macht« sich daran, die von Guste hergestellte Ordnung wieder umzustohen, so daß es bald wieder auSsab, wie am Abend vorher. Ja diesem Augenblick steckte Maria-Margarethe die große Morgenhaube zur Thürspalte herein und sagte: „Wenn Du willst, kannst Du jetzt arbeiten kommen, ich —" Sie trat ganz herein und sah sich mit mitleidigem Lächeln um. „Soll daS so stehen bleiben? Mitten iu der Stube? Sebr genial! Und di« schönen, reinen Gardinen, sollen die so schleppen? Wo ist denn die gute Tülldecke, ich habe sie gestern neu gekauft." Jakoba aber trat, eingedenk ibrer Vorsätze, herzlich auf sie zu und sagte, sie heiter umfassend: „Nicht schelten. HauSmütterchen! Jede» Tbierckcn hat sein Pläsirckcn, und da« muß man ihm lassen, sonst füblt e» sich nickt wohl!" „Na. meinetwegen, Kinder!" sagte Maria-Margarethe, ganz großmüthig verzeihend, „wenn ich nur nicht hier sitze» soll I" „Sag', Schatz, weißt Du nickt ein Mittel gegen den starken Kampbergeruch in diesem sehr praktischen Schranke?" fuhr Jakoba fröhlich fort. „Da- ist aber doch ein sehr gesunder Geruch." „Ja, aber ich mag ihn nicht, Liebste." „Wie sonderbar! Er ist doch so kräftig. Aber, e« ist ja wahr, Du bist wohl sebr verwöbut von Deinen vielen Par füm«. Weun Du in« Zimmer kommst, dann kommt immer eine ganze Wolke von allem mögliche» Duft mit." „Uebertreibst Du nicht ein wenig, Schatz?" „Ich weiß nicht, Liebst», ich sage nur so wie es mir vorkommt. Bei Anderen kann eS za ander« sein. Willst Du jetzt arbeiten kommen? Ich habe Alle« nett gemacht drüben."
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