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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.11.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-11-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951104022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895110402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895110402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-11
- Tag1895-11-04
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DaS späte Zusammentreten des Reichstags wird natürlich fast allgemein in der Presse kritisirt und ebenso natürlich fast durchweg abfällig, Eine Correspoadenz, m die manchmal ein Tropfen aus den RegieruugSgewassern sickert, bestätigt ausdrücklich die Richtigkeit unserer Angabe, wonach die Hoffnung, die Kürze der vor Weihnachten verbleibenden Zeit werde stimulirrnd auf die Schaffens lust des Reichstages wirken, die Mutter des Gedankens der Hinausschiebung des Einberufungstermins gewesen ist. „Ist", so wird officiöS gesagt, „die Zeit, welche dem Reichstag vor Weihnachten zur Verfügung steht, eine sehr reichliche, so muß befürchtet werden, daß sich einzelne Parteien kein Maß und Ziel auferlegen." Also müssen die Parteien temporär auf schmale Kost gesetzt werden. Die Rechnung wäre richtig, wenn die „bewußten" Parteien ein Interesse daran hätten, daß daS von der Regierung Ge wünschte geleistet werde. DaS ist aber keineswegs der Fall. Freisinn, Socialvemokratie u. s. w. begeistern sich keineswegs für die Börsen-Novelle, die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs und dergleichen; so wenig, daß ein antisemitisches Blatt zwar thatsächlich unrichtig, aber doch ohne einen Unsinn vorzubringen, andeuten darf, die Einberufung sei — durch den Einfluß deS Universalsündenbocks von Boetticher — erfolgt, um den Wünschen der Freisinnigen und der Socialdemokraten entgegenzukommen. Da diesen und anderen Parteien kein ihnen begehrenswert!) scheinender Lohn für rechtzeitig gelieferte Arbeit winkt, so erweist sich daS pädagogische Mittel der Regierung als verfehlt. Da Herr Stöcker kürzlich abermals bedauert hat, nicht in der Lage zu sein, die Echtheit deS „ihm zugeschriebenen" Scheiterhausen-Briefes zu prüfen, giebt ihm der „Vor wärts" dazu Gelegenheit, indem er das Facsimile des Briefes veröffentlicht. Es steht Alles darin, was gedruckt worden war, und man versichert uns, Schriftzüge und Unterschrift seien zweifellos diejenigen deS Herrn Hof- Predigers a. D. Aber: „Das kann auch Teufels Blendwerk sein" — sagt der Bisckwf in Busch'S „Heiligem Antonius von Padua", und so getrosten wir uns der Hoffnung. Herrn Stöcker'S meister hafte Auslegung des Briefe« werde gegenstandslos werden, weil dieser selbst eine Fälschung ist. Dann wird auch Herr von Arnim sein — iu jedem Falle liebloses — Ürtheil, Stöcker habe sich selbst gerichtet, cassiren. Die Existenz deS Freiherrn von Ha mm er stein freilich und der Geruch seiner Thaten, den Herr Stöcker sammt allen übrigen Eonservativen „erst lange nach den ersten Enthüllungen" gerochen haben will, wird sich nickt als Teufelsgestank erweisen. Es wäre im Interesse der konserva tiven Partei dringend zu wünschen, daß ihre Vorstandsmitglieder endlich einmal aufhörten, die Fabel zu erzählen, man habe in der Partei ohne Ausnahme bis nach den ersten Ent- büllungen in Frhrn. von Haminerstein einen „Charakter ohne Flecken" gesehen. Die „Franks. Ztg." hat soeben wieder auf die herausfordernden, um — insoweit die Gesammtheit der Eonservativen in Betracht kommt — nicht zu sagen schamlosen Ableugnungen gedient. Es ist hinzuzufügen, daß die außer Zu sammenhang mit seiner vorhergeganacneii landwirthschaftlichen Thätigkeit stehenden finanziellen Verlegenheiten des Herrn v. Hammerstein im Jahre 1886 begonnen haben und daß sie spätestens zwei Jahre später bei Mitgliedern der konservativen Partei der Gegenstand von Besorgnissen gewesen sind, die ihre Quelle in der Zugehörigkeit deS Herrn v. Hammerstrin zu ihrer Partei und in seiner Stellung als Nedacteur der „Kreuzztg." hatten. Und der „Spitzbube", den die „Franks. Ztg." um Ostern herum auftauchen läßt, war schon vor Neujahr in das konservative Gespräch gezogen, r. B. auf der Soiree eines Aristokraten, wo allerdings der „Spitz bube" auf den Namen „Erzlump" getauft wurde. Die Eonservativen sollten doch nachgerade eingeseben haben, daß der politische Beigeschmack deS Falles Haminerstein verstärkt statt gemildert wird, wenn man die Oeffentlichkeit durch Ab leugnung immer wieder zwingt, auf die Vorgeschichte der Entlarvung des Verbrechers hinzuweisen. auch dadurch, daß der verlängerte Schulbesuch in den Kindern Bedürfnisse großziehe, denen daö „väterliche Gütchen" nicht genügen könne. Wenn diese socialdemokratische Meinung nur nicht auf Herrn vr. Bosse Eindruck macht, der ohnehin einer Minderung deS VolksschulunterrichtS geneigt ist! Die Discussion über die „Agrarfrage" innerhalb der Socialdemo kratie ist mit dem Eommentar, den KautSky zu seiner eigenen Resolution geliefert hat, sicher nicht abgeschlossen. Unmöglich aber wird es sein, nach dieser Auslastung des Urhebers der Breslauer Resolution noch die Erwartung als berechtigt hin zustellen, die Socialdemokratie werde wegen des Land' Programms auseinanderfallen. Der „Vorwärts" hat sich trotz des Drängens der Magdeburger und anderer „Genossen" nickt dazu verstanden, die bayerischen LandtagSsocialdemokratrn und die mit diesen in der Kritik des Breslauer Beschlusses zur Agrarfrage einen Weg gebenden Parteigenossen scharf anzufassen. Er hat es selbst vermieden, abgesehen von einigen, principiell Stellung nehmenden Zeilen, sich in die Erörterung einzulassen, welche in der socialdemo kratischen Provinzpresse für und gegen Grillenberger und Genossen geführt wird. Das Centralorgan läßt Andere für sich reden, und wenn sich zu diesen Andern, wie es jetzt der Fall ist, der Urheber der Breslauer Agrar-Resolution gesellt, so wird man zugeben müssen, daß diese Tactik ebenso vor sichtig wie klug war. Kautsky ist zweifellos der beste und berufenste Interpret der nach ihm benannten Resolution. Die Auslegung nun, welche Kautsky in der neuen Zeit dieser Resolution giebt, weicht gar sehr ab von jener Deutung, auf Grund welcher die Magdeburger „Volksstimme" den Ausschluß Grillenberger'S und seines Anhangs forderte. Kautzky meint, Mancher habe aus der Resolution mehr herauS- gelesen, als sie besagen wolle. Die Ablehnung einer Stär kung deS bürgerlichen Privateigenthums bedeute keineswegs die Ablehnung jeder praktischen Thätigkeit zu Gunsten der Landbevölkerung. „Proletarisirt" solle der Bauer unter allen Umständen werden, aber die „Proletarisirung der Bauernschaft" soll sich nach ihm „in möglichst wenig brutalen Formen" vollziehen. Darum soll der „Ver elendung" des Bauern entgegengearbeitet werden. Mit diesem Gedankengang ist Kautsky so ziemlich auf den Standvunct der „Principien-Erklärung" der bayerischen „Genossen" angelange. Seine Erklärungen schlagen die Brücke zwischen den beiden Lagern, die sich in einer Frage der Tactik gegenüberstehen. Kautsky nimmt nicht direct Stellung für die bayerische Erklärung, aber indem er die Gelegenheit ergreift, das Auftreten der „Genossen" im bayerischen Landtag in der Fuchsmühler Affaire als „voll kommen correct" zu beloben, bricht er dem Streite die Spitze ab. Man bezeichnet Kautsky als den Dialek tiker der Socialdemokratie. Die Art und Weise, wie er Princip und Tactik mit einander zu versöhnen sucht, rechtfertigt diese Bezeichnung. Daß er nach der oben dargrlegten Deutung seiner Resolution die Sätze der selben als „von nun an maßgebend bei der Gestaltung der praktischen Thätigkeit der Partei unter der Landbevölkerung und für dieselbe" erklärt und daß er dabei in der Agrar frage die Toleranz verwirft, macht seiner Sophistik alle Ehre. In München wie in Magdeburg sollte man ihn preisen. Auf welchen Wegen Kautsky die Proletarisirung der Bauern schaft anstrebt, dafür liefert er selbst einen elastischen Beweis. Nach ihm ist die — Ausdehnung der Schulpflicht rin treffliche- Mittel dazu, da sie eine Reihe von bäuerlichen Wirtschaften untergrabe, nicht nur dadurch, daß sie ihnen die billigen kindlichen Arbeitskräfte raube, sondern Mit großer Spannung ist die gestrige Abstimmung deS Schweizer Volkes über die neue Militairvorlage er wartet worden, welche bekanntlich eine weitere sehr nothwendige Centralisirung des schweizerischen Heerwesens in den Händen des Bundes bezweckt. Leider hat, wie wir voraussagten, die Abstimmung ein negatives Resultat gehabt. Wir erhalten darüber folgende Meldung: * Bern» 3. November. Tie von der Bundesversammlung be schlossene Vereinheitlichung des Militairwesens durch Ueberträgung desselben an de» Bund wurde in der heutigen Volksabstimmung mit etwa 252000 gegen 185000 Stimmen und I7'/z gegen 4'/, Eantons- stimmen abgelehnt. Die Vorlage sollte das Siegel sein auf die seit Jahren gemachten Anstrengungen, wenigstens im Heerwesen das Princip der Centralisation durchzufübren. Bisher sind diese Versuche noch stets an dem Widerstande der Föderalisten gescheitert, mit denen die Socialisten und der größere Theil der Ultramontanen zu rühmlichem Dreibund sich vereinigt hatten. Die Eantone wollen in allen den Bund angehenden Dingen ein gewichtiges Wort mitsprechen, und so besteht auch im Militairwesen eine Zweiherrschaft, die nicht nur zu steten Reibungen zwischen der Eentralgewalt und den cantonalen Militairbehörden führt, sondern die zweckmäßige Entwickelung des Schweizer Heerwesens überhaupt lähmt. Nun hatte sich endlich in weiten Kreisen die Ueberzengung Bahn gebrochen, daß es so nicht weiter gehen könne. Man sagte sich, daß die Neutralität der Schweiz ihre stärksten Wurzeln und ihre Kraft in der eibenen Armee habe und nicht in Len papierenen Verträgen, die, wie die Geschichte zur Genüge lehrt, ' mitunter leichten Herzens gebrochen werden. Es ist deshalb in der Thal für die Schweiz geradezu ein Gebot der Selbsterhaltung, Alles aufzubieten, was ihre Wehr Hastigkeit fördert, um in Zeiten der Gefahr jeder Macht, die etwa Lust verspüren möchte, die Neutralität der Schweiz zu verletzen, eine Achtung gebietende Armee entgegenstellen zu können. Gerade von diesem Standpunkte aus, d. h. von der Möglichkeit, ob die Schweiz in einem künftigen Kriege ihrer Nachbarstaaten in der Lage sein werde, ihre Neutralität wirksam zu wahren, wird die schweizerische Armee im Auslande beurtheilt und die Bestrebungen und Fortschritte auf dem Gebiete des Heerwesens aufmerksam verfolgt. Daß eine militairische Action der Schweiz nicht zu den unmöglichen Fällen gehört, hat ja der deutschfranzosische Krieg wieder gezeigt. In schlagender Weise fertigte Bundeörath Welti dieser Tage die Widersacher der neuen Vorlage in öffentlicher, mit brausendem Beifall begrüßter Rede ab. Er betonte, die Militairhoheit der Eantone bestehe im Hosen flicken und Kapiiteklopfen. (Heiterkeit.) Schlechtere Zustände im Militairwesen ließen sich in Bezug auf Bekleidung und Ausrüstung nur denken, wenn man sich vorsleUe, die Schweiz bestehe aus vier undvierzig Halbcantonen. Wenn die Schweiz der Behauptung ihrer Neutralität nicht gewachten sei, so bestehe für jeden Nachbarstaat im Kriege ein Recht, dem Gegner zuvorzukommen und das zu thun, ivas die Schweiz hätte thun sollen. Es sei endlich an der Zeit. Len Antrag zu verwirklichen, den Bern schon 1843 an der Tagsatzung gestellt. Die Eantone, die jetzt für ihre Scheinsouveräneiät aus militairischem Gebiete kümpsen und dadurch die Militaireinheit hemmen, laufen Gefahr, ihre wirklichen Souveränetätsrechte zu ver lieren. Sie zünden ein Feuer an, in dessen Flammen die cantonale Souveränetüt mit Stumpf und Stiel vernichtet wird. Was am ^leisten der Annahme des Gesetzes hinderlich war, ist die Furcht, daß damit der erste Schritt ans dem Wege des Militarismus gemacht werde. Man glaubte, daß in kurzer Zeit eine Verlängerung der Dienstzeit gefordert werden würde, und deshalb blieb der Ruf der Opposition „prinoipiis obsta^' bei den durch ibr bequemes Milizsystei» verwöhnten Schweizern nicht ohne Eindruck. Es ist ein schlechtes Zeichen für das radikale französische Ministerium, daß es keine geeigneten Männer für die Portefeuilles der Eolonien und des Auswärtigen hat finden tönnen. Jenes mußte, wie uns gemeldet wird, der Handels minister Mesureur interimistisch übernehmen und dieses über gab Bourgeois dem — Chemiker Berthelot. Berthelet's Ernennung erregt denn auch überall Erstaunen und Miß fallen. Die Blätter der gemäßigten Richtung und das „Journal > des Dsbats" begreifen, daß alle die von Bourgeois befragten Diplomaten abgelehnt haben, da keiner die Verantwortung übernehmen wollte, den Mada gaskar-Vertrag zu zerreißen. Unerklärlich aber sei es, daß Bourgeois in Ermangelung eines Diplomaten einen Gelehrten gewählt habe. Europa werde glauben, ein obskurer Namensvetter des berühmten Professors sei Minister gewor den, wie man dies in Frankreich geglaubt hätte, wenn Helm- holtz das deutsche Ministerium des Auswärtigen übernommen hätte. Der „Figaro" schreibt: Bourgeois macht sich gar zu unverschämt über das Publicum lustig, indem er einen Chemiker zum Minister des Aeußeren nimmt. Der „Gaulois" glaubt, Faure wolle, indem er diese Ernennung Unterzeichnete, die Radikalen in Lächerlichkeit ertränten. Im März dieses Jahres hatte die in Berlin erscheinende „Neue deutsche Rundschau" eine Rundfrage bei deutschen und französischen Autoritäten veranstaltet, durch die festgestellt werden sollte, wie die führenden Größen beider Nationen sich zu dem Problem einer deutsch-französischen An näherung verhalten. Zu den angefraoten Franzosen ge hörte auch der neue Minister des Aeußern im Cabinet Bourgeois. Seine damalige Kundgebung gewinnt jetzt er höhte Bedeutung. Sie lautete wie folgt: „Ich bi» entschieden der Meinung, daß die Culturvölker zwischen einander die engsten Beziehungen pflegen sollen und speciell Frankreich und Deutschland. In diesen Beziehungen wird jede Nation Originalität und eigenen Charakter behalten müssen, indem sie sich durch Assimilation der guten Eigenschaften ihrer Nachbarn bemüht, immer besser zu werden. Diesem Geiste ent sprechend habeich stets die deutschen Entdeckungen und Ideen verfolgt und es versucht, die besten Beziehungen zu den deutschen Gelehrten zu behalten. Ihre Sympathie hat uns im Allgemeinen nie gefehlt. Aber die Beziehungen können nur unter zwei Bedingungen ganz intime werden: Jede Nation muß aus alle Ansprüche, auf geistige oder andere Uebermacht seinen Nachbarn gegenüber ver zichten. Deutschland muß aushören, in der Welt das antike Recht der Gewalt und der Eroberung zu verkünden und der gcwaltthätig annectirten Bevölkerung Las moderne Recht, sein Schicksal zu wählen, zurückgeben. Der Mißbrauch, den cs von seine» Siegen gemacht hat, unterhält den Zwiespalt der Völker und bedroht die Zukunst mit neuen Katastrophen." Man sieht aus diesen Aeußerungen, daß Herr Berthelol sich nur in der Form von den Bekennern des Revanche dogmas unterscheidet. Davon, was man von der Thätigkeit FerriHetoir. Der Kampf ums Dasein. bj Roman von A. von GrrSdorff. Nachdruck verirtea. (Fortsetzung.) „Ach so! Du langweilst Dich, Du möchtest mal 'raus!" sagte er mitleidig in sanfterem Ton. „Nun läßt sich das denn nicht am Ende anders arranbiren als durch Deiner Hände Arbeit?" fügte er hinzu mit einem Blick auf den Vater. Der saß schweigend da und mischte sich vorläufig nicht in die bittere Meinungsverschiedenheit seiner Kinder. In seinem Soldatensinn gab er dem Sohne recht — in seinem rein menschlichen Empfinden der Tochter. Er sah sorgenvoll vor sich hin und vermied den Beistand fordernden Blick seine- SobneS. Maria Margarethe aber, besänftigt durch den mitleidig betroffenen Ton des Bruders, kam auf ihre Angelegenheit zurück. „Sieh, Helmuth" — meinte sie, freundlich ihre kalte Hand auf seinen Arm legend — „es ist ja nicht Zerstreuung, Spiel und Tanz, wa« ich mehr suche." „Nein, nein — armes Ding — arme- Thierchen, ich weiß wohl" — er küßte reuig da« schmale Händchen auf seinem Arrmel. „Es ist die Arbeit an sich, die ich suche, die ein LebenS- bedllrfniß ist »nd daS kleine bischen Glück verschafft, daS ich doch auch gern haben möchte." Der Vater nickte ihr leise zu, und Helmuth sah ganz zerknirscht aus. „Na ja, na gewiß, gute« Thierchen. Verstehe ich vollkommen. Ich liebe ja auch meine Thätigkeit um ihre« großen Zwecke willen, an sich, ohne böse zu sein, daß ich nicht genug Geld für meine — so zu sagen Auslagen bekomme — aber da ist doch auch etwas ganz Anderes. Meine Arbeit ist vom Vaterland geweiht und geheiligt, und wenn der Kaiser oder das Vaterland — wa- ganz dasselbe ist — wa« Anderes von mir verlangte, dann würde ich eben etwa» Andere» mit Passion thun." Der alte Mann sah mit etwa» zagendem Blick auf. „Hm — meinst Du? Liebe zur Arbeit an sich — zu der Arbeit, die eben nur gerade unserer Fähigkeit entspricht — meinst Du nicht, daß das doch noch ein Besonderes ist?" „O Väterchen, wie recht hast Du wieder!" rief die Tochter dankbar, daß der alte Vater ihr, wie so oft schon im Leben oder Streiten, zu Hilfe kam, wenn er ihre Schwäche gegen geistige Ueberlegenheit merkte. Helmuth runzelte die Stirn. „Ich verlange aber doch, daß meine Schwester unter allen Umständen eine Dame bleibt!" „Zuerst darf ich wohl Mensch sein!" rief sie wieder empört. Er hatte sich erhoben und stand am Tische vor ihr, beide Hände auf die Platte stützend. Er war so blaß, daß sich breite Schatten unter seine sonderbaren Augen legten. „Wenn das Recht, zuerst Mensch zu sein, heißen soll, sich gleiche Rechte und Freiheiten mit Allen anmaßen, womöglich noch alle sogenannten Naturrechte der menschlichen Gattung, nun, warum denn nicht —" „Du gehst zu weit, mein Sohn!" „Zu weit? Wo ist denn da die Grenze, Vater? Wenn Eine erst anfängt, von ihrem Menschenrecht zu sprechen — nun, dafür spricht ja der biedere Freisinn — der Barrikaden- Mensch — der Massenmörder auch —" „Helmuth!" „Wie weit seine Menschenrechte gehen, ist doch dann absolut seinem persönlichen Unheil überlaffen. Nein — mit dem Mensch sein wollen kommt mir nicht — und vollends ein Mädchen! Ein Mädchen vornehmer Familie!" Der Alte schüttelte den Kopf. „Ich kann für Dich nur wünschen, mein lieber Sohn, daß Du nie Veranlassung finden möchtest und Neigung, eine andre Rede über Menschenrechte zu halten und etwa gar die eine- WeibeS vertheidigen zu müssen." Der Mann sah mit einem düstern Blick in« Weite, al» stiege ein erschütterndes Bild still winkend au- den Nebeln der Vergangenheit vor ihm auf. Helmuth aber fuhr auf, als sei er von einer Dolch spitze berührt. Tiefer Scharlach zog sich langsam über seine schöne, stolze Stirn. War es vielleicht nicht nur da« „emancipirte" Weib im Allgemeinen, gegen das er geeifert hatte, voll so tiefer Gekränktheit?! Der alte Menschenkenner im silbergrauea Bart nickte still vor sich hin, und ein kalbe-, fast wehmütbizeS Lächeln tbeilte seine Lippen. „Na, Helmuth, junger Brausekopf, nun laß Dich 'mal erweichen", meinte er gelassen. „Sieh 'mal Deine kleine Schwester an — die hast Du schön niedergedonnert! Sogar Fox ist unters Sofa geflüchtet." „Ich will ja auch gar nicht bei C. W. Knorr meinen Namen nennen!" schluchzte sie. Helmuth, der ein Bild an der Wand mit größter Auf merksamkeit betrachtete, das er fast täglich sah, drehte sich um und warf lachend die Arme über den Kopf hoch. „Herr des Himmels! Glaubst Du, die Leute kriegen daS nicht 'raus, wenn sie wollen? Denkst Du, die geben Dir womöglich ihre Waaren mit, ohne sich nach der Arbeiterin zu erkundigen?" „Ich will auch gar nicht selbst geben, unsere Waschfrau ist eine sehr brave und sehr schlaue Person!" beharrte sie. „Waschfrau! DiScretion Ehrensache — nicht wahr?" spottete er. „O, da kennst Du sie nicht! Die schweigt, wenn ich sie bitte." „Ja wohl. Weiber und Schweigen! Aber Waschfrauen mögen ja Ausnahmen machen!" sagte er mit einem gelang weilten Achselzucken, und die verschiedene Färbung seiner Augen trat fast unangenehm deutlich im gelben Licht eines ans flammenden Streichhölzchens hervor, mit dem er eine Cigarette anzündete. „Adieu, mein Vater. Ich muß jetzt gehen. Adieu Schwesterchen. Sei nicht böse und thu', was Du nicht lassen kannst." „Aber es ist ja noch nicht 10 Uhr, Sohn, und ich denke, wir wollen nach Eurem Gefecht die Sache jetzt 'mal erst in Ruhe besprechen!" wendete der Oberst ein. „Ich bin wieder ganz ruhig! Wie gesagt, sie thut, was sie will und — und, was Du, mein Vater, für richtig hältst", sagte er kurz und nestelte an seiner Säbelkoppel. „Fängt denn Eure Festlichkeit da so zeitig an?" „Ja. Ich komme schon zu spät, Du mußt mich heute entschuldigen, mein guter Vater." „Standesverpflichtungen!" lächelte Maria Margarethe bitter. „Allerdings!" gab Helmuth kampfbereit zurück. „Aber Kinder!" mahnte der Oberst kopfschüttelnd. Helmuth konnte seinen Vater nicht traurig sehen. Er trat auf seine Schwester zu und umschlang sie innig. „Verzeih' mir, liebes Thierchen. Du kennst mich ja in all' meinen Schroffheiten." Nur halb versöhnt ließ sie sich die Umarmung gefallen und erwiderte kühl und noch schmollend seinen Kuß. Helmuth küßte auch den Vater heute und eilte davon. „Brr", murmelte er plötzlich auf der Treppe, „solch eine Frau haben!" Fröhlich pfeifend sprang er dann leichtfüßig die letzten Stufen hinab. 3. Dämmerung im Zimmer. Nothzuckende Lichter huschen vom Kaminfeuer über die schlechten, geflickten Dielen, über die schlechten, schadhaften Möbel aus den verschiedensten Trödelläden hin über die vornehme, bohe Standuhr mit ihrem lauten, heiseren Tick-tack. Auf dem Tisch mit der alten Plüschvecke, ohne Tischtuch darüber, steht einibes abgegessenes Geschirr gemeinster Gattung; Steingut, meist ohne Henkel. Ein schlankes Blumenglas mit blaßlila Georginen stebt da zwischen. Ueber dem alten Schlassvpha bängt ein anssallenkcs Bild: eine zarte Frauengestalt in tiefer Wittwentrauer mit weichen Zügen, hellblonden, einfach gescheitelten Haaren und einem holden Kindermunde. Die Frau saß jetzt am Kamin auf einem sogenannten Trinmphstuhl, der mit allerhand Steppdecken und federnden Kissen zu einer Art Divan gemacht war. Daneben ein niedriger Tisch. Ursprünglich ein lehnenloscr Stuhl, über dessen Sitz ein ungesäumtes Stuck gelben Brocales „malerisch" geworfen war. Die Haliung der Frau, wie sie dalag, war so durchaus elegant, die Hand, obwohl die Hand einer Fünfzigerin, so klein, so kigenlbnmlich kindlich in der Forni. Nicht rerarbeitel, wie die Hand Maria Margarethens von Andor — nein, die Hand einer vornehmen Müßiggänger!». Ihr Haar war eine rothblondc Perriicke. Doch hatte sie keine Anstrengung gemacht, das eigne, weißgraue Haar an den Schläfen zu verbergen. Ihr Gesicht war ziemlich roh mit rosa Puder beworfen. Keine beabsichtigte Täuschung mehr» Gewohnheit, reine GcwohnbeitSsacbe. Die Frau trug «inen losen Kittel von dunkelrothem Sammet mit Goldquasten, alt, verbraucht, zerknüllt. Sie war schier unnatürlich stark, und dennoch fiel das vornehme Ebenmaß ihres Körpers auf. Es war kalt i» dem trödelhaft eleganten Raum, trotz des FeuerS im Kamin. Dieser war nämlich die einzige Feuerstelle. Dieses Umstandes halber war die sehr alte Wohnung von zwei Zimmern eigentlich unvermiethbar gewesen, und dieses Umstandes halber miethete sie eben die Baronin Carola von Geffren, die bald darauf den Chemiker Paul Derflinger heirathete, der viele Jahre jünger war als sie. Sie lebte
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