Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.11.1895
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-11-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951111016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895111101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895111101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Ausgabe ohne Seitenzählung
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-11
- Tag1895-11-11
- Monat1895-11
- Jahr1895
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezugSPreiS k der Hauptrxpedttion oder den im Stadt« bezirk und den Vororten errichteten Aus- gabestellrn abgeholt: vierteljährlich>44.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus .4 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzband,rudung tut Ausland: monatlich 7.50. Die Morgen-Au-gabe erscheint um '/,? Uhr. dk« Abrnd-Au-gabe Wochentag- um 5 Uhr. Ve-action und Lrvedition: J<hanne«gaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend- 7 Uhr. Filialen: Ott» Klemm« Sortim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 1, Lont« Lösche, Katharinenstr. 14, Part, und König-Platz 7. Anzeiger- Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- vnd Geschäftsverkehr. Anzeigen.Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Redaction-strich l4ge» spalten) 50/H. vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40-^. Größere Schriften laut unserem Preis« Verzeichnis. Tabellarischer und Ziffer,nay nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, m«t Postbeförderung 4i 70.—. Ännahmefchlnß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen »Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Für die Montag-Morgen-AuSgabe: Sonnabend Mittag. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an di« Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz tn Leipzig. ^°547. Montag den 11. November 1895. 89. Jahrgang. Amtliche Bekanntmachungen. Lekannlmachung, kdie Kirchenvorstanvswahl tn der Lutherkirche betreffend. Für da- Lutherkirchspiel sind nach der Bekanntmachung deS kirchrnvorstandes vom 15. und 27. Oktober dieses Jahre- fünf Kirchenvorstrher zu wählen. Die Wahl soll Montag, den 18. November dickes Jahres» in der Sakristei der Luthertirche von Vormittags 10 Uhr bis Nachmittags 5 Uhr (ohne Unterbrechung in den Mittags- stunden) stattfinden. Stimmberechtigt sind Diejenigen, welche auf Grund rechtzeitiger Anmeldung in die Wählerliste ausgenommen sind. Die Wahl hat zu erfolgen durch persönlich zu bewirkende Ab gabe eines Stimmzettel«. Jeder Wühler kann sein Wahlrecht nur in eigner Person aus üben. Jeder Wähler hat fünf Gemeindeglieder, welche dem Luther kirchspiel angehören und mindestens 30 Jahre alt sind, nach Tauf und Familiennamen, Stand oder Beruf genau zu bezeichnen. Wir fordern hiermit die stimmberechtigten Gemeindeglieder auf, den 18. November 1805 innerhalb der obengenannte» Stunden ihr Wahlrecht auszuüben und ihr Augenmerk auf Männer von gutem Ruse, bewährtem christlichen Sinn, kirchlicher Einsicht und Erfahrung zu richten. Leipzig, den 9. November 1895. Der Kirchenvorstand der Lnthcrkirche. Reg. I. 377. Hans von Seydewitz, Pfr. Paul Fleming's Leziehungen zu Leipzig. Allbekannt ist das Lied „In allen meinen Thaten", eine Perle unserer evangelischen Gesangbücher; ebenso bekannt, daß eS einer Reise nach Persien seinen Ursprung verdankt. Der Zweck dieser Zeilen ist, auf Grund seiner gesummten Werke») die Beziehungen nachzuweisen, in denen Paul Fleming zu Leipzig gestanden hat. Geboren am 5. Oktober 1605 als Sobn des Pfarrers zu Hartenstein im Vogtland, der 1615 nach Topseiffersdorf ver setzt wurde, kam Paul Fleming, nachdem er den ersten Unter richt in Mittweida genossen, auf die TbomaSschule nach Leipzig, 1628 auf die Universität, um sich der Medicin und den schönen Künsten zu widmen, promovirte am 10. März 1632 zum BaccalaureuS, am 2. Mai 1633 zum Magister und verließ sie erst, als er im August 1633 die große Reise an trat, die ihn als „Hofjunkr und Truchseß" der holsteinischen Gesandsckast über Hamburg und Travemünde nach Moskau und JSpahan führen sollte. So fällt seine ganze Jugend zeit nach Leipzig. Hier hat er sich die Rüstung erworben, die ihn auch unter Russen und Tscberkcssen vor Verwilderung bewahrte, bier als gekrönter Poet seinen ersten Dichterlorbeer gepflückt. Wie hätte nicht Leipzig ihm ans Herz wachsen sollen? Liebkosend bezeichnet er es als das „Auge von Meißen"»); von Hamburg aus schickt er der „Lindenstadt" noch einen poetischen Gruß»); die Moskwa selbst rust in ihm das Gedächtniß der Pleiße, Partbe und Elster wach.») Fleming war eine Dichterseele, der jede Empfindung in Verse ausslrömte, jedes Erlebniß sich poetisch verklärte. Sehr groß ist schon die Zahl seiner Gedickte aus der Leipziger Periode. Was Wunder, daß seine Werke eine ausgiebige Quelle für die Leipziger Localgeschichte wurden? Die Stadt und ihre Umgebung, ihr Personalbestand in gelehrten und bürgerlichen Kreisen, ihre Geschicke in einer ereigniß- reichen Zeit finden hier ihre dichterische Beleuchtung. ') Herausgegeben von I. M. Lappenberg. Stuttgart 1863 bis 1865. Erster Band: P. Fl.'s Lateinische Gedichte nebst An merkungen. 624 S. Zweiter Band, erste Hälfte: P. Fl.'s Deutiche Gedichte. 540 S. Zweite Hälfte: M. Rinckart's, Die Müllerin- Stimme; P. Fl.'s Siamm- und Ehrenbuch: G. Glogrr's Gedichte; Anmerkungen; Bibliographie; Biographie, Register. S. 545—961. ») Lt tu olmru llso, tolluri» ocvllv Llisenas, läpSÜk. ») vollcias salvets moao, kbilyrea vnleto vulpita, ptulosopbi vivite fuusti patres. ») live puto »ud »poeio patrium wo cernere Ullssum, eui xlomerat tamulus l^ar vt Laster aguas. Das Rosentbal (VsIIis Uossrum) mit seinen Wiesen wird in lateinischen und deutschen Gedichten besungen. Offenbar war es schon damals der Augapfel von Studenten und Bürgern. Wer von Leipzig schied, nahm auch Abschied vom Rosenthal. „Grünet wohl, ihr bunten Matten, seid, ihr Lüfte, seid geküßt. Rosenthal, du sehr gegrüßt, sehr ihr Bäche, sehr ihr Schatten, und du dreibeströmte Stadt, die mich wohl bewirtbet hat." Freilich trug Alles noch einen recht ländlichen Charakter. DaS erkennt man aus einem anderen Gedicht, in welchem ein Morgenspaziergang nach Gohlis geschildert wird (Mai 1632). Jtzund laß dich von mir führen in der feuchten Rosen Thal, daß wir sehn die Flora zieren ihrer langen Wiesen Saal, wie sie um die Bäume tanzt und manch schönes Blümlcin pflanzt! Der gesunde Tbau sinkt nieder, das gezogne Kind der Nackt, der der matten Kräuter Glieder wieder steif und lästig macht, der die welken Blumen tränkt und in ihren Schooß sich senkt Und die ausverschämten Frösche haben Hochzeit schon gemacht, treiben ihr Koaxgewäsche von früh' an bis in die Nacht; von der Nacht bis wieder früh' höret man sie schweigen nie. Hier laß uns ein wenig schauen, wie der Fischer Reusen legt, wie der Feidmann baut die Auen, wie der Gärtner Bäume hegt, oder wie die dicke Saat halb schon gleich vorschosset hat! Dorte stehen feiste Rinder in der Weide bis an Bauch. Hier sind Ziegen, so nicht minder blaten um den fetten Strauch. Hier gehn Lämmer, so für Lust scherzen bei gesunder Kost. GohliS ist noch ganz Dorf, wo man zur Hochzeit einen Bauerreigen kann tanken sehen. Schönefeld wird gern besucht; voch „wie schöne jenes heißt, Pfafsendors sei hochgepreist!" Denn hier fand der Student Alles, womit er sich etwa die Zeit vertrieb: das Interim, die Pcilke (Billard), Schach-, Mühlen- und Bretspicl, schattigen Rasen, sogar ein „Lusthaus", um im Freien zu schwelgen, Fische in der Pleiße und Geflügel im Hof, wenn er nobel leben wollte, ja, und waS sonst nicht Alles! Pfafsendors hält uns in Ehren, hier ist Lust in gutem Kauf, hier kan man dem Traure» wehren, hier trägt man vollauf uns auf. Was man wündscht nur und begehrt, dessen wird man hier gewährt. Wündschest du nach einer Schüssel, so mit süßer Milch gefüllt? Schau, dort ist der Kellerschlüssel! Nimm dir, so am meisten gilt! Hier sind Semmeln, Löffel hier. Iß, so viel beliebet dir!») Wollen wir zu Wasser fahren? Dorte steht ein neuer Kahn. Heute wird man nichts nicht sparen. Knecht, greif frisch dir Ruber an! Enke, du solt auch herein, mit der Du bei bei uns sein! Dorte liegen auch die Kegel. Liebt dirs, nim es an mit mir! Jndeß bringt der Knecht das Legel, ungefüllt mit kaltem Bier, und das soll uns lieber sein als Madrill, dein bester Wein. ») Auch in einem Gedicht von Gottfried Wilhelm, Paul Fleming's Stubengenossen, an diesen gerichtet, heißt es: Wie hat »ns wohl gethan des Rosen thales Lust, zu Pfaffendorf die Milch, zu Schönseld leichte Kost! war ein- Denn konnte man auch in Pfafsendors „ein Stübcken Wein" bekommen, — wollte man Rheinwein oder „Alakant" trinken, so mußte man in die Stadt hinein und ging auf die Post. Was sich um Fleming schaarte, gründete seine Freundschaft auf gemeinsames ideales Streben. Das „zu Tode saufen" und das „um Wollust Neue — kaufen" hier verpönt. Hier hieß es: „Tugend ist mein Leben!" Alles ander alles hat die Art des Balles, der steigt und fällt. Schätzen haben Flügel, Ehre laßt den Zügel, Lust kommt aus dem Bügel: die Tugend hält. Die Freunde wetteiferten im Versemachen, nannten ander mit Schäsernamen unv schwelgten in Zärtlichkeit füreinander. Kunst und Wissenschaft waren ihre Schwärmerei; nur an Geburtslagen überließ man sich dem Frohsinn: „Und so ward mit Lust und Küssen Tag und Haide Nacht verschlissen um der Pahren seichten Fluß." Auch' Studiosus Fleming erlebte in Leipzig seinen ersten kleinen Roman. Leider weiß man nichts Näheres über jene „von Gestalt und Sitten hochzenannte" Rubelle, welche die Pest ihm im Oktober 1630 entriß. Desto mehr erfährt man aus seinen Gedichte» über Leipziger Herrschaften in jenen Tagen. Besonders nahe scheint er der Familie des Cantors an der TbomaSschule Job. Herm. Schein gestanden zu haben, der Tonkünstler und Dichter zugleich war (ch November 1630). Er feiert ihn als einen „anderen OrpbeuS" und macht die Freunde in Reval mit einigen seiner Lieder, z. B. seinem „Waldlied" und seinem „Studenlenschmaus", bekannt. Doch bewegt ibn auch das Ableben von Georg Engelmann, dem städtischen und akademischen Organisten (h 1632), wie daS Ableben deS Kupferstechers Andreas Bret schneider in Leipzig. Von Professoren, denen er durch seine Fachwissenschaft näher kam. sei der „Leipziger Euklid" genannt, Philipp Müller, Licenliat der Medicin und Professor der Mathematik. Enger war sein Verbältniß zu den Professoren der Poesie und Be redtsamkeit, wie Conrad Bayer (Kavarus), dem er daS erste Buch seiner lateinischen „Wälder", Andreas Back »lann (iiiviuus), dem er daS 5. Buch seiner Nachrufe (Llanos) zueignete; doch ehrt er auch d-n Vicekanzler CaSpar Schumann, den Juristen Matth. Berlick, den Hebraisten Andreas Bauer und Hornschuch, den späteren Rector der Nicolaischule, in seinen Gedichten. Am nächsten stand er einigen der jüngeren Docenten, wie Christoph Buhle (Uulrwus), Professor der Poesie, der ihn selbst mit schmeichelhaslen Briefen und mit Ueberreichung seiner „Charilille" geehrt, und Adam Olearius, damals Assessor der philosophischen Facultät und Colleziat des kleineren Fürstencollegiums, der als Legationssecretair an der großen Gesandtschaft theilgenommen, die Reise in einem berühmt gewordenen Werk beschrieben und die erste Ausgabe von Fleming's Gedichten besorgt hat. Von Leipziger Geistlichen jener Zeit bat er Balthasar Hilscher, DiakonuS an St. Nicolai (ch 1630) und seinem Nachfolger Bartbol. Mayer (s- 1631) ein Denkmal gesetzt, besonders aber dem Superintendenten Polycarp Leyser (s- 1632) und dessen Nachfolger v. Heinrich Höpf ner. Er verkehrte im Hause deS vr. Seb. Roth, eines angesehenen Leipziger Arztes, und in den Familien seiner Freunde Israel Ilgen und Christoph Schürer. Bürgermeister war damals Fried rich Mayer (ch 1637), nach Fleming ein allbeliebler Herr, Stadtbaumeisler Sigmund Deverlein, dessen Sohn Gottfried mit ibm nach dem Norden zog. Dem hoch- angesehenen Rathsberrn Or. zur. Theodor Moestel setzte er 1629 einen Tumnlus und tröstete, als ein Fräulein Moester 1632 verunglückte, ihre Ellern mit einem warm empfundenen Leichengesang. Den gelehrten Senator Or.Quir i n usSch achel feiert er 463l als einen ebenso tapseren wie aeschäslsgewandten Herrn, den Kaufmann und RatbSberrn Eduard Becker als den allbeliebten Nestor im Natb und seine Tochter Johanna Eduarde als eine der Musik und der Sprachen kundige Dame. Offenbar Kat er dieser Familie näber ge standen. Verschiedene Leipziger Bürger sind mit Hochzeits gedichten bedacht; das schönste Lob aber hat ein sonst unbe kannter Bürgersmann, Johann Behr, davongetragen, dem er im November 1632 einen Nachruf widmete, in welchem es heißt: Wer sagt nicht, dah eS Schade sei um diesen tapfer» Man, der neulich solchen Nutz und Tre»' an unsrer Stadt gechan? Wer sich des Bairrlandes wehrt und fürchtet keinen Stoß, der ist »n Leven wohlgeehrt und nach dem Tod« groß. Ter tolle Mar- erboste sich und strengt' uns grimmig an; du stundey steif und wagtest dich, du chcurer Bürgersmann I Daß diese Stad« noch steht im Heil und fiel nicht allzusehr, des dankt sie billig dir ein Theil und klagt dich desto mehr. Was klagt ihr aber viel um euch? Die ganze Christenheit ist itzund einer Waisen gleich und ächzet um ihr Leid. Ihr Bater, Heiland, Schirm und Held, ihr bester Trost nach Gott, der strengste Ritter von der Welt, der liegt und ist nun todtl Mit diesen letzten Versen werden wir erinnert, daß der Aufenthalt Fleming's in Leipzig in eine der bewegtesten Perioden der Stadtgeschichtc fällt. Wie hätte nicht auch daS in seinen Gedichten sich ausdrücken sollen? In der Thal findet die Noth der Zeit selbst in seinen Hochzeits- gedichtc» ihren Widerhall; in den Jahren 1631 und l632 aber sah Leipzig weltgeschichtliche Ereignisse sich in nächster Nahe abspielen. Sie boten Fleming für seine Dichtungen einen würdigen Stoff, und ohne Zweifel sind es neben einigen der größeren Dichtungen religiösen Inhalts diese Gedichte, welche „der Deutschen Ruhm und seiner edlen Prinzen sangen", gewesen, welche ihm im Januar 1632 die Edre eintlugen, daß er zum Dichter gekrönt wurde. Wir beschränken uns hier auf diejenigen Erzeugnisse seiner Muse, die unmittelbar mit den Geschicken der Stadt Leipzig Zu sammenhängen. Bekanntlich war Gustav Adolf am 30. Juni 1630 in Pommern gelandet und öffnete sich im Winter darauf den Weg nach dem Herzen Deutschlands. Die Hess nung der evangelischen Stände belebte sich und der Kurfürst von Sachse» berief die Fürsten auf den 6. Februar 1631 zu einer Berathung nach Leipzig. Der Leipziger Convent dauerte zwei Monate, ohne zu einem kräftigen Entschluß zu führen. Der junge Fleming aber nabm fick den Mulb, an Herzog Johann Casimir von Sachsen (Coburg) zu dessen Namenslag ein Glückwunschschreiben zu richten, in welchem er ihn mahnt: „Trau, Sachse, nur auf Gott, es ist noch unverspieil!" und ihn flehentlich bittet: „Ach, wehret, werlher Held, eh uns die wilde Glutb in unsere Grenzen fällt!" Vielleicht entstand schon wäbrend dieses Convents, jedenfalls im Laufe des Sommers, das „Schreiben ver triebener Frau Germanien an ihre Söbne oder die Chur- sürsten, Fürsten und Stande in Deutschlande", in welchem er die Nolb der Frau Germanien in den grellsten Farben I schildert. Es fehlt ihr selbst an Tinte und Feder, ihren Klagebrief zu schreiben. Was man fürchtete, sollte nur zu bald eintreten. Kur sachsen war bis dabin sorgfältig geschont worden. Die Jesuiten hatten dem Kaiser geratben, es als „Consect" zum Nachtisch auszusparen. Nachdem Brandenburg, Hessen und Weimar sich den Schweden angeschlossen, beschloß Tilly, Sachsen zum Anschluß an die Liga zu zwingen, und die Kaiserlichen rückten brandschatzend in das kurfürstliche Gebiet (August 1631). Damals mag eS gewesen sein, daß Fleming das herrliche Sonett über die „Furchtsamkeit itziger Deutschen" dichtete, zu welchem offenbar locale Eindrücke die Farben geliefert haben: Itzt fällt man ins Consect, in unsere vollen Schalen, wie man uns längst gedräut. Wo ist nun unser Muth, der ausgestählte Sinn, das kriegerische Blut? Es fällt kein Ungar nicht von unserm eitlen Prahlen. Feriilletsn. Das Weinglas. Eine Erinnerung aus Schiller'- Jugendjahren. Bon C. SawerSky (Meiningen). Nachdruck verboten. Dreißigacker ist ein Bauerndörfchen bei Meiningen. Heute kennt man in der großen Welt den kleinen Ort nicht mehr und doch war er einst fast berühmter als die Residenzstadt, bei der er liegt. In Dreißigacker war eine Forstakademie, deren Ruf weit über Deutschland hinausging, und die von vielen Ausländern besucht wurde — in Dreißigacker hatte sich rin dramatischer Fürst niedergelassen, der eS im Nu zu einem Königreiche erhoben. Jetzt ist allerdings nicht viel mehr von diesem Königreich zu merken. Gebt man daS Dorf entlang, von den Ein wohnern begafft, begrüßt, angebellt, bescknattert — so glaubt man nicht, daß hier je ein geistiger Funken Herzen belebt und die Umgebung verklärt bat. Und doch sollte der Wanderer Thüringens nicht ver säumen, die Höbe zu besteigen; vielleicht begegnet ihm auch wie mir zufällig ein reizende« Intermezzo. daS ihn neben den Naturschöubeiten für alle Mühe eines steilen WcgeS tausendfach belohnen wird. Als ich vor der kleinen Kirche stand und da- ein fache Gebäude betrachtete, trat ein ehrwürdiger Mann an mich heran und sagte in freundlichem Tone: „Sie werden hier nicht viel Interessantes finden, mein Herr — diese Kirche stebt noch nickt zebn Jahre, da giebt eS nicht viel historische Anknüpfungspunkte; aber deswegen hat unser Ort doch seine Erlebnisse." „Ach, wenn ich Sie bitten darf." „Mit Vergnügen", unterbrach er mich, „ich werde Ihnen eine wahre unv in Deutschland vielleicht noch nickt bekannte Geschickte erzählen, die Ihnen um so intcressanlcr erscheinen wird, als einer der größten Männer auf Erden eine Rolle darin spielt. Allerdings müßte ich Sie schon bitten, mir zu folgen und in einem einfachen Heim ein Glas Portwein mit mir zu trinken." Ich ließ mich nicht lange dazu nöthigen; auf der Reise schließt man sich gern an, und solche Liebenswürdigkeit findet man selten. DaS Wohnzimmer deS Pfarrer- war sehr einfach. Ein Secretair, ein altmodische« Sopba, nickt zn vergessen ei» Clavier, aber kein Pianino, bildeten die hauptsächlichste Ein richtung deS Zimmer«. Wäbrend ick mich al« Gast auf« Sopba setzen mußte, begab sich der Pfarrer an den Secretair, schloß ihn ans > nk holte ein Weinglas heran«. E« war ziemlich stark, geschliffen und fiel durch seine außergewöhnliche Größe aui. Ter Pfarrer blickte mit seltsamem Behagen daraus und stellte e« dann sehr sorgfältig auf den Tisch. „Anne", sagte er darauf zu seiner Frau, „laß Mariechrn eine Flasche au« dem Keller holen und dann noch einige Gläser l" Die Frau Pfarrer eilte hinan«. E« dauerte nickt lange, so erschien eine reizende Blondine und brachte Flaschen und Gläser. „Nun wohl, mein Herr", begann der Pfarrer, „trinken wir zunächst auf da« Wohl der Förderer und Gönner der Kunst I" Wir stießen an. „Wissen Sie nun. mein Herr", begann hierauf der Pfarrer auf« Neue, „auS welchem Glase Sie getrunken haben?" Ich sah neugierig auf. „Diese« GlaS gehörle unserem Friedrich Schiller . . .! „Und nun will ich Ihnen", fuhr er fort, ehe ich etwa« erwidern konnte, „eine interessante Geschickte erzählen: Als Dreißigacker noch die berühmte Fo> stakademie besaß, berrschle i» diesem Hause oft ein reges Leben; Schiller, oer sich ranialS aus eine kurze Zeit hier im Exil befand, der be jahrte Professor R . . . unv ver aus Warschau gebürtige Forsielcve G>af Dasckkow pflegten einen eifrigen Verkebr mit dem Geistliche» Julius Raschel. Nicht zum wenigsten war das darauf zurückzusübren, daß dieser würdige Geistliche drei reizende Töchter besaß, darunter eine Brünette, Emilie, die für vas schönste Mävchen Thüringens galt. Manchen Abend ging es hier reckt lustig und lebhaft her. Wtnn aber Rotbspobn a»S dem Keller geholt, Toaste ausgebrachl und Reden geschwungen wurden, da war dieses Bild die personificirte Freude mit ihrem lächelnden Ge sichte und lebhaften Gästen selbst — da war Freude in TrojaS Hallen. Wie oft mögen in diesem Zimmer die Becher geklirrt und Zitber und Sang die Herze» belebt dabenl Wie oft drangen vielleicht schwungvolle Verse von Sckiller'S Lippen unv wurden unter Jauchzen und stürmischem Beifall ausgenommen. O — eS waren sehr schöne Tage! Ob freilich auch für Schiller, der in der Verbannung lebte? Auch für ihn. Er süblte sich in diesem Kreise wohl und bebaglich, um so mehr, als plötzlich in sein m Inneren ei» Gesiibl der Wonne aufkam, daS er in seiner klassischen Periode sicher mit Eudänomie bezeichnet hätte. Schiller hatte ein größere- Interesse, als daß man e« mit Freundschaft bezeichnen könnte, für Emilie gewonnen. Wer ein Bild von diesem Mädchen gesehen, oder wer eine Schilderung über sie gelesen haben mag, kann daS freilich begreifen. Jbre Gestalt war von griechischer Schöne. Sie batte einen vollen, aber nicht zu starken Körper, einen ver bältnißmäßig kleinen Kopf, auS vem zwei wunderbare schwarze Augen glühten. Dabei schien eine Leivenschaft ihren Körper zu durchströmen, die, einmal entfacht, jede Schranke brechen konnte. Es war eines Abends im Hochsommer, als Schiller sich zufällig allein mit ihr im Garten befand. Wohl eine Viertel- tlinde waren sie schon aus- und abgegangen, ohne ein Wort besprochen^zu haben; sie waren Beide tief in Gedanken ver sunken. Schließlich setzte man sich auf eine Bank unter einer alten Linde. Das verballende Lied einer müden Lerche weckte Schiller aus seinem Traume. Er sah aus und da empfand er den wunderbaren Abendzauber der Natur. Ter Mond übergotz mit seinem Glanze eine märchenhafte Landschaft von Bergen, Flüssen und Tbälern . . . Bäume und Blumen sangen im Säuseln der Lüfte die süßeste Serenade... die blaue Unendlichkeit wogte und zitterte im Sternenmeere . . . und er saß bei einem Weibe, daS alles Schöne, das man sich beim pbantastischstcn Idealismus auSträumen konnte, in sich vereinte. Dem jungen Meister der Dichtkunst bebte vor Liebe das Herz in der Brust, und eS drängte ihn, sich dem Mävchen zu offenbaren. Glaubte er doch nicht ander«, daß auch ihr längeres Schweigen acwiß nur ihre Liebe zu ihm verrathe. Ebe aber noch sein Herzensgeheimniß seine Lippen berührte, fragte Emilie plötzlich: „Nicht wahr, Sie freuen sich doch auch, daß un« der Graf jetzt nicht verlassen hat?" „Gewiß", antwortete er und warf einen fragenden Blick auf ihr Auge. „Man findet doch selten einen besseren Menschen!" „Er scheint ein edler Charakter zu sein", erwiderte Schiller. „Scheint?" wandte sie ein — „ist" wollen Sie sagen", und nun wußte sie so viel Interessantes von ihm zu er zählen und schwärmte so von ihm und nahm ihn derart in Schutz, daß Schiller merkte, sie habe ibm heimlich und wer weiß, wie lange schon, ihr Herz zugewendet.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite