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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.11.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-11-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951112021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895111202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895111202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-11
- Tag1895-11-12
- Monat1895-11
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Reclamen unter dem Redactionsstrich (-ge spalten) 50-^. vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis Tabellarischer und Zifscrnsatz nach höherem Tarif. tsxtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe. ohne Postbesörderung X 60.—, mit Postbesörderung ^ 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Diorgen - Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Für die Montag.Morgen-Ausgabe: Sonnabend Mittag. Bet deu Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. ^ 55V. Dienstag den 12. November 1895 89. Jahrgang. Amtliche Bekanntmachungen. Bekanntmachung. Von heute ab beträgt bei der Reichsbank der Discont 4 Procent, der Lombardzinsfuß für Darlehne gegen ausschließliche Verpfändung von Schuldverschreibungen des Reiches oder eines Deutschen Staates 4'/, Procent, gegen Verpfändung sonstiger Effecten und Maaren 5 Procent. Berlin, den 11. November 1895. Reichsbank-Ttrectoriuin. Politische Tagesschau. * Leipzig. 12. November. Die Tugend sitzt wieder einmal zu Tisch, nachdem das Laster sich erbrochen. In der dcclarirten Börsenpreise und derjenigen, die noch weit gemeinschädlicher als diese ist. weil sie sich mit dem falschen Scheine des Nichlinteressirlseins um- giebt, wird nach dem ungeheuren Börsenkrach der letzten Tage die Speculation verdammt und mit herbem Tadel von den Leuten gesprochen, „die nichts an der Börse zu suchen haben". Die eindringlichsten Prediger sind natürlich di:, die am eifrigsten und raffinirtesten zwischen Börse und kleineren Capitalisten gekuppelt haben. Das dauert so lange, bis der Sturm vorbei ist, und dann geht die publicistische Empfehlung deS Glückspiels an der Börse von Neuem los. Indessen hoffen wir, daß diesmal die Erinnerung an die Mitverantwortlichkeit eines Theils der Presse für die unermeßliche Schädigung des PublicumS durch den letzten Börsenscbwindel, seinen jähen „Abschluß" darf man vielleicht nicht sagen, aber seine plötzliche Unterbrechung eine Weile frisch bleiben werde. Dies wenigstens bei den Politikern, die im nächsten Winter an einem Börsen- ge setze mit zu arbeiten haben werden. Da die Hunderte von Millionen dem Publicum einmal abgenommen sind, wirv man es nicht mißverstehen, wenn wir sagen, daß die Sache doch auch ihr Gutes hat. Ein Gutes insofern, als der Zusammenbruch vor Erledigung des erwähnten Gesetzes im Reichstage erfolgt ist. ES liegt uns fern, einer Gesetz gebung ab irnw daS Wort zu reden, aber ebenso wenig möchten wir, daß die frischen Erfahrungen nicht be herzigt würden. Sehr viel wirksamer, als die Anführung von Berlustziffern, wird bei den Behandlungen über die Börsenresorm der Hinweis auf die Beurtheilung deS wirthschaftlichen Werthes deS Termingeschäfts sein, die dieses in den letzten sechs Monaten in der Börsenpresse gefunden hat. Es soll dieser Presse gar nicht volle Autorität bcigelegt werden, denn geschähe Las, so müßte der Termin handel als mit den natürlichen Marktverhältnissen außer jedem Zusammenhang und volkSwirthschaftlich mit den „Umsätzen" in Monaco auf gleicher Stufe stehendes Treiben unbedingt und allgemein verboten werden. Aber gegenüber den Propbezeiungen vom Weltuntergang, die wir jedenfalls zu bören bekommen, wenn der Reichstag den Termin handel scharf auzufassen Miene macht, wird es sehr nützlich und stellenweise auch belustigend sein, in den stenographischen Berichten des Parlaments niedergelegt zu sehen, wie die Priester und Tempeldiencr deS Zeitgeschäfts über ihren Gott eigentlich denken. Die Verlockung der kleineren Capitalisten um Börsenspiel wird man freilich niemals völlig verhüten önnen. Aber daS ist ebensowenig ein Grund, ihr gesetzlich nicht entgegenzutreten, als die UnrauSottbarkeit des gewöhnlichen Diebstahls den Gesetzgeber verlockt hat, die Entfremdung fremder beweglicher Sachen für straflos zu erklären. Und es würde noch viel mehr gestohlen, wenn die betreffenden Paragraphen des Strafgesetzbuches nicht wären. Es wird zu überlegen sein, ob die Cautelen, die der veröffentlichte Borsengesetzentwurs hier vorsieht, sich nicht vermehren oder verschärfen lassen. Insbesondere aber wird erwogen werden müssen, ob nicht das Anbieten von Effecten im Umherziehen — eine Betriebsform, in der kürzlich un gezählte Millionen von Goldminenactien unter das Publicum gebracht worden sind — durch Verbot und Androhung hoher Geldstrafen einzuschränken sei. Wenn die im Reickstagswahlkreise Dortmund zu Tage getretene Vorliebe des UltramontaniSmus für die Toctcil dcmokratic auch anderwärts zu Tage tritt, so kann man sich darüber nicht Wunder». Andere Früchte können aus der von ultramontanen Heißspornen auSgestreuten Saat nicht reifen. Wieder einmal ist die Fahne eines Krieger vereins von einem solchen Heißsporn in gröblicher Weise beschimpft worden. Die „Weseler Zeitung" berichtet hierüber aus dem Orte Alpen unter dem 7. d. M. Folgendes: „Gestern wurde ein langjähriges treues Mitglied des hiesigen Kriegervercins, Herr Johann Maas aus Menzelen, Inhaber des Eisernen Kreuzes, zur letzten Ruhe gebettet. Ein Vorkommniß der seltensten Art, welches bei der Beerdigung passirte, bedarf dringend der Veröffentlichung. Der genannte Veteran starb im Kloster zu Büderich. Der Bruder des Verstorbenen wünschte, daß Letzterer in Menzelen beerdigt würde, jedoch wurde vom Herrn Pfarrer Thöne ans Menzelen entschieden das kirchliche Begräbniß verweigert, wenn der Kriegerverein den Veteran mit mili- tairischen Ehren begraben würde. Die Anverwandten des Verstorbenen suchten nun in Büderich die Genehmigung zur Beerdigung nach. Doch, wie erging es hier? — Zur festgesetzten Beerdigungszeit erschien auch der Alpener Kricgerverem mit der umflorten Vereinssahne, um dem Hingeschiedenen Kameraden die letzte Ehre zu erweisen. Das mit dem Eisernen Kreuze und anderen Ehrenzeichen geschmückte Ordenskissen sollte gleich hinter der Fahne getragen werden. Auf die Musik hatte man von vornherein ver- zichtet, da es bekannt war, daß bei einem ähnlichen Falle in Büderich die Musik verboten wurde. Der Pfarrer und Dechant Herr Schoofs aus Büderich kam, um die Einsegnung der Leiche vorzunehmen. Ein Blick ans die Fahne und er erklärte mit laut vernehmbarer Stimme: „Wenn die Fahne mitgeht, begrabe ich nicht. Ich kann die Fahne hier nicht gebrauchen." Der Bruder trat an den Verein heran »nd bat thränenden Auges, dem Befehl des Pfarrers Folge zu leisten. Der Verein blieb der Fahne treu, salntirte die Leiche und sah wehmnthig dem sich entfernenden Zuge nach. So geschehen zu Büderich am 6. November 1895." WaS sagt, fragen die „Berl. N. N." mit Recht, der Erz bischof von Köln zu dieser Haltung seines Klerus? Auf der einen Seite geben die Staatsbehörden sich alle Mühe, die Kriegervereine zu heben und in ihren Gesinnungen zu festigen; auf der anderen Seite wagen amtirende Geistliche, durch Mißachtung der behördlich anerkannten Fahnen dieser Vereine die Gesinnung für staatliche Ordnung in gröblichster Weise u erschüttern. Wird die Regierung sich dies ruhig bieten affen? Unter der Spitzmarke: „Wir brauchen Häfen und Kohlen st ationen in Lstasien!" schreiben die für die colo nialen Interessen Deutschlands mit dankenSwerther Energie und Eonsequenz eintretenden „Alldeutschen Blätter": Als der jetzige Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe-Schillings fürst am 11. December 1894 im Reichstage sein coloniales Programm entwickelte, da bezeichnete er die schon vor der Be gründung des Reiches von einsichtigen Männern vertretene Auffassung als zutreffend: „daß Deutschland, um sich den Wettbewerb zu sichern und damit auch seine internationale Machtstellung zu bewahren, darauf bedacht sein müßte, sich neue und unabhängige überseeische Absatzgebiete zu schaffen und den überschiebenden Kräften der Heimath, statt sie sich zu entfremden, einen neuen Raum zur Ent faltung zu gewähren." Die jetzige Negierung hat nun durch ihre Behandlung der ostasiatischen Frage selbst anerkannt, daß Deutschland solche Absatzgebiete auch in Ostasien zu sichern habe — nach dem die Politik des Grafen Caprivi die Ausdehnung des deutschen Marktes in Afrika u»möglich gemacht hat. Wer hätte nun am 11. December 1894 geglaubt, den Geist des Grafen Eaprivi heraufbeschwören zu müssen, um den jetzigen Herrn Reichskanzler zum energischen Zugreifen in Oslasien zu ermnthigen? Es scheint heute vergessen zu sein, daß Graf Eaprivi, der mit Stolz von sich zu sagen pflegte, er sei kein Eolvnialschwärmer, über die Nothwendigkeit der Erwerbung von Kohlenstationen in überseeischen Ge bieten am 12. Mai 1890 im Reichstage Folgendes auögeführt hat, das jeder Eolonialfreund unterschreiben kann: „Läßt man sein Auge etwas weiter in die Zukunst gehen, so halte ich es doch nicht für uninöglich, daß die Entwickelung, die die Welt im Ganzen nimmt, auch Deutschland dazu nöthigen wird, mit transoceanischen Staaten in einen engeren Verkehr — hoffentlich immer nur friedlichen — zu treten, als bisher. Das Phäakendasein eines kleinen europäischen Staates hat ein Ende, wir werden mit Mächten jenseits des Meeres rechnen müssen, die über ganz andere Schätze an Menschen und Geld verfügen, wie wir, und, wenn man überhaupt nur zugiebt, daß Zeiten kommen werden, wo deutsche Macht und deutscher Geist sich stärker außerhalb Deutschlands Locnmentiren müssen, als bisher, so folgt weiter, daß wir dann zur See eine gewisse Kraft zu entwickeln im Stande sein müssen. Die Jahre, in denen ich die Ehre gehabt habe, Chef der Admiralität zu sein, hat mir als das für die Marine zu erreichende Ziel immer vorgeschwebt, die Marine in eine Lage zu bringen, daß, wen» einmal eine solche Erweiterung unseres Wir kungskreises nothwendig wäre, sie dazu befähigt wäre. Giebt man nun das als eine Möglichkeit wenigstens zu, giebt man zu, daß wir in Zeiten kommen können, wo eine Thätigkeit der Marine in ausgedehntem Maße im Frieden und Krieg in außerdeutschen, außerheimischen Gewässern erfordert wird, so muß man sich unumgänglich die Frage vorlegen: Woher bekommt denn die Marine das. wovon sie lebt und ohne das sie weder bewegungs-, noch gesechtssähig ist, die Kohlen? Wenn wir jetzt in einen Krieg mit einer fremden Macht verwickelt werden, so haben wir ja einige, aber schwierige Mittel, unsere Schiffe im Auslande mit Kohlen zu versorgen. Wir sind im Ganzen ans das Wohlwollen neutraler Staaten angewiesen, und wer einmal dazu neigt, sich für die Marine zu begeistern, ihr eine große Zukunft zuzuerkennen, der mutz zugeben, dah eine solche Rolle in autzerheimischen Gewässern für die Marine auf die Dauer nicht durchzuführen sein wird. Wir müssen selbst in den Besitz wenigstens einiger Puncte gelangen, in denen deutsche Kohlen von deutschen Behörden an deutsche Schiffe gegeben werden können. Das Dasein von Kohlenstationen ist für einen zu künftigen Krieg die Bedingung jeder Wirksamkeit der Marin e." Niemals ist eine Gelegenheit so günstig gewesen, wie heute, Landerwerbungen in China zu machen. China ist uns moralisch verpflichtet für das deutsche Eintreten gegen Japans Forderungen. China ist uns rechtlich verpflichtet durch die Ausschreitungen, die gegen die deutsche Mission verübt worden sind. China hat seine Verpflichtung zur Schadloshaltung bereits anerkannt. Da gilt es nun neben der Geldentschädi- gung von China die Abtretung mehrerer guter Häfen zu fordern, als Gewähr für die fernere Sicherheit unserer schutz- befohlenen Missionare und Kaufleute in China! Wenn man sich in Deutschland mit den Verhältnissen in Luxemburg zu beschäftigen hat, gilt eö fast immer die dort in gewissen Kreisen fortgesetzt herrschende deutschfeind liche Gesinnung aufzudecken. Einen neuen Beitrag zu dem Capitel von dem dortigen Uebelwollen gegen das Deutsch thum bildet die nachfolgende Mittheilung der „Luxemburgischen Zeitg." über einen Vorgang in der letzten GemeinderathS- sitzung: „Eine Reihe von Gesuchen um Entbindung vom Schulbesuch wurde bewilligt. HerrSimonis: Ich stelle fest, daßdieevan- gelische Schule seit heute geschlossen ist. Hat man endlich anerkannt, daß die Existenz dieser Schule gegen das Gesetz verstieß? Herr Clement: Die Schließung erfolgte wegen Geldmangels. Tic Unterstützung von Weimar blieb ans. Bürgermeister: Es ist gut, daß diese Schule eingegangen ist; sie pflegte das Prentzenthum. Die Kinder sangen, wie mir die Nachbarn, brave Leute, versicherte», die „Wacht am Rhein", „Hei' dir im Sieger- kranz" u. s. w. Herr Simonis: Ich sah beim Vorübergehen deutschpatriotische Bilder an der Wand, u. A. das Portrail des Kaisers. Herr Knas: Weil es deutsche Kinder waren. Bürgermeister: Aber sie waren ans luxemburgischem Boden. Die „Wacht am Rhein" können sie daheim singen, aber nicht hier. Es ist gut, daß die Schule verschwindet, und zwar wegen Geldmangels." Dem Geldmangel wird hoffentlich bald abgeholfen werden, namentlich dürfte der deutsche Schulverein an der Wieder eröffnung der Schule interessirt sein und ihm wird eS nicht schwer fallen, die nöthigen Mittel auszubringen. Zn bedauern bleibt es aber, daß in einem Lande, das zwar nicht zum deutschen Reiche, wohl aber zum deutschen Zollverein gehört, das ein uralt-deutsches Land ist und von einem Fürsten regiert wird, dem die luxemburgischen Französlinge kürzlich erst seine Theilnahme an einer Sedanfeier in Königstein vorgeworfen haben, von amtlichen Stelle» aus eine deutschfeindliche Agitation betrieben wird. In der Türkei ist die Lage noch unverändert. Der Auf rühr tobt fort und ergreift noch weitere Gebiete. Von vfficiöser türkischer Seile sucht man glauben zu machen, daß es sich nur um „örtliche Reibereien wegen der Weideplätze" handle. Diese Ausflucht ist zu lächerlich, als daß man sich mit ihrer Widerlegung befassen sollte, aber man ersieht ans ihr wieder, wie man türkischerseits noch immer bestrebt isr. zu vertuschen, zu beschönigen und die lästige Einmischung der Botschafter los zu werden. Auch hat es den Anschein, als ob Abdul-Hamid lirunino spielen und noch einmal ver suchen wolle, unter den Mächten Zwietracht zu säen. Wenigstens wird über Wien berichtet, die Rückkehr des russophile» Said Pascha an Stelle Risaat Paschas gelte als feststehenv, um so mehr als der Einfluß Nelidows in den letzten Tagen beim Sultan in ungeahntem Maße ge stiegen und letzterer aus England in höchstem Grade erbittert sei. Sollte diese Meldung, die nicht völlig aus der Lust gegriffen sein dürfte, sich bewahrheiten, und in Sachen der armenischen Reform und der Unterdrückung der Un ruhen nichts geschehen, so kann eS nach den Erklärungen Salisbury'S kaum fehlen, daß der Sultan das Spiel und damit möglicherweise auch den Thron ver liert, denn auS der Aeußerung des englischen Premier ministers, daß keine der Mächte die gegenwärtige Regierung zu verewigen wünsche, klingt die versteckte Drohung heraus, daß ein erzwungener Systemwechsel von einem Herrscher wechsel begleitet sein könne. Mit der Möglichkeit der Entthronung Abdul Hamid'S muß allerdings gerechnet werden, wenn die Action der Mächte zum Ziel ge langen und die Verhältnisse in der Türkei aufhören solle», eine permanente Bedrohung des Weltfriedens zu sein. Die weit, selbst bis in den Aildizpalast verbreitete, jungtürkischc Refvrmpartei käme damit ans Ruder und sie dürfte im Bunde mit den christlichen Völkern ver Türkei schon im Stande sein, das reactionair-revolutionaire Alttürkenthum, daS jetzt noch vom Palast des Sultans auS zu immer neuen Gewalttbaten angespornt wird, in den gehörigen, durch die fortschreitende Civilisation nothwendig gebotenen Grenzen zu halten. Ob Armenier und Jungtürken in dem jüngeren Feiiilletoi,. Der Kampf ums Dasein. Roman von A. vonGersdorsf. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Er kehrte um und ging zurück. Ruhig und fest war sein Gang. Nein, er hatte keine Zeit zu bummeln, so viel Stunden wie der Tag hatte, so viel Arbeit sollte er ihm bringen. Er warf einen Blick zu den Fenstern binauf, als er an daS HauS kam, wo die Seinen wohnten. Sie saßen noch im Dunkeln droben. Um so besser. Er zog die Glocke. Sofort wurde geöffnet. Seine Schwester stand vor ihm. Auch im Flur war eS dunkel, aber in dem bellen Lichtschein, der von der Treppe bereinsiel, sah er einen Moment ihre vom Weinen gerötheten Augen. Sie siel ihm nicht mit Küssen um den Hals. Er fühlte nur seine rechte von zwei schmalen, zitternden Händchen um klammert. Er zog den Paletot auS und folgte ihr stumm in das kleine Wohnzimmer. Er sah in dem Dämmerschatten die ge liebte Gestalt des VaterS in der gewohnten Svphaecke und den brennenden Punct der zu dieser Stunde gewohnten Cigarre, die er wie immer ruhig zwischen den Lippen hielt. „Na, mein Junge, nimm Platz. Cigarren und Cigaretten stehen da — Du weißt ja. Zünd' Dir eine an, hier.an meiner Cigarre, Tu brauchst kein Hölzchen." Aber Helmuth dankte. Er rauche um diese Zeit nicht be sonders gern. Seine Stimme war ruhig und fest. Gott Lob, dachte der alte Mann. Er hat sich selber wieder. „Lieber Vater, ehe wir irgend etwas Anderes besprechen, muß ich Dir und meiner geliebten Schwester eine Mittheilung machen. Ich bin immer so überzeugt gewesen von Eurer Liebe und Theilnahme, daß ich es längst gethan hätte, doch eS gab da andere Gründe, weshalb ich eS bis zu einem Zeit punkt verschob, welcher — welcher nun nicht mehr eintreten kann —" Er zögerte einen Augenblick und lauschte in daS schwüle Stillschweigen. „Ihr ahnt wahrschcilich schon, welcher Art meine Mit» Heilung ist „Kann mir's denken!" sagte der Oberst und rauchte weiter. Die Stimme klang so gelassen wie immer. Leichter fuhr er fort: „Ich habe mich verlobt, lieber Vater, liebe Maria- Margarethe — mit einem unaussprechlich geliebten Mädchen —" „Helmuth! Und damit kommst Du so zaghaft an? O, tausend, tausend heiße Glückwünsche!" Und nun hing sie doch schluchzend an seinem Halse. Langsam löste sie sich, und die Tropfen hastig von ihren Augen trocknend, drückte sie sich an den Vater. „Erzähle, Helniuth, erzähle. Ich bin so gespannt. Wie sieht sie auS? Wie heißt sie? Wohnt sie hier? Sie ist wohl noch zu jung, weil Du mit der Verlobung noch warten wolltest?" Der Vater lachte. „Na, mehr Interesse und mehr Fragen kannst Du nicht verlangen. Na laß, mein Junge! Befriedige erst nur dieses Mägdeleins brennende Neugier, und dann wollen wir auf wichtigere Fragen kommen." Wichtigere Fragen! Helmuth war froh gewesen, daß die Dämmerung immer tiefer geworden, aber jetzt schien sie sich lichten zu wollen. Ein silberner Schimmer glitt dort an den Rändern der Dächer entlang — der Mond kam. „Wie sie aussieht? Sie hat goldene Haare, wie einen Glorienschein um ihr Weißes Gesicht, und die klügsten, strah lendsten Augen! Sie hat einen Mund, um vcn lauter ent zückende Räthsel spielen, sie ist groß und voll, nicht so schlank wie mein Schwesterlein. Ja, ich kann Dir auch sogar sagen, was sie für ein Kleid trug, als ich sie zuletzt sah, ein weißes Tuchkleid, englisch gemacht, so heißt eS ja wohl? und gelbe Rosen und Perlen." „Ach wie himmlisch! Sie ist Wohl sehr reich? Ach, Helmuth — jetzt wird das Leben gewiß noch schön für uns Alle. Siehst Du, der liebe Gott verlaßt keinen Deutschen — mit der einen Hand nahm er Dir viel und mit der andern gab er Dir viel!" „Du hast mehr recht, als Du ahnst, meine gute Schwester. Gott gab mir viel in dem treuen und starken Herzen, dem Geist und der edlen Weiblichkeit Iakoba Novalla'S", sagte Helmuth sehr langsam, sehr ernst. „Was? Wer?!" fragte der Oberst rasch und ließ die Cigarre fallen, daß sie Funken sprühend über den Teppich rollte. „Iakoba Rovalla? Die Schriftstellerin? Aber die soll ja ein ganz wunderbares Leben führen? Bist Du denn orien- tirt über die Verhältnisse da?" „Vollkommen", sagte Helmuth ruhig, dessen Sicherheit un erschütterlich ward. ,Mic lange kennst Du sie?" „Ein Jahr", sagte Helmuth und reichte dein Vater die Cigarre bin. Der Oberst schüttelte den Kopf. „Was Iakoba's Person anbetrifft, so kannst Du, theurer Vater, Deinem Sohne bedingungslos vertrauen!" „Welcher Verliebte spricht anders!" „Vater, kennst Du mich nicht besser? Weißt Du nicht, daß Du meinem Herzen aufs Haar so nahe stehst, wie das Mädchen, das ich zu meiner Gattin, zur Frau von Andor- Weyhern machen will!" Der Oberst aber sstand auf und fing an. auf und ab zu geben. „Hast recht — hast recht! Ich weiß — Du machst Keine gegen Deine Ueberzeugung zur Frau von Andor. Mir stieg auch blos da auf einmal eine alte Geschichte auf — eine alte Geschichte auf — — Na, laß gut sein! Ich er innere mich übrigens — ich habe ja von ihr gelesen — weißt Du. Maria-Margarethe? Hat uns, glaube ich, sehr inter essirt!" sagte der Oberst, schnell wieder in seine Gelassenheit zurücklenkend. Maria-Margarethe war ganz verstummt. Mit brennender Spannung folgte sie der Erörterung. „Ja Wohl, ja gewiß!" rief sie jetzt. „Ich habe öfter von ibr gelesen. Reizend schreibt sie. Zu nett! Also die istS? Die Rovalla! Gott, hätte ich das geahnt! Die kenn' ich ja vom Ansehen! Die ist freilich schön — na, Helmuth, das glaub' ich, daß Dir die gefallen hat! Und so elegant und chic! Sie lebt wokst fürstlich — wie?" „Sie lebt sehr einfach, sehr bescheiden. Iakoba lebt nur von ihrer Schriftstellerei", sagte Helmuth rasch, um endlich die vielen qualvollen Fragen abzuschneiden. „Ach! du Himmel! dabei soll man ja als Dame nicht leben und nicht sterben können, wenn man nicht zu den Be rühmten gehört! Und berühmt — daS ist sie also nicht?" „Nein. Berühmt gerade nicht. Nur bekannt — aber in einigen Jahren wird sie wahrscheinlich berühmt sein", sagte Helmuth stolz. „Wollt Ihr denn so lange warten?" Helmuth antwortete nicht. Er starrte seine Schwester an. Herrgott im Himmel! War er denn ganz verdummt gewesen von dem entsetzlichen Schicksal, das über ihn hereingebrochen; daß seine Seele nicht daran gedacht hatte, wie ihn dies Geschick ja eigentlich gebieterisch auch von seiner Iakoba riß?! Nein, nein! Er war nicht verdummt vor Gram und Schmerz! Er hatte eben nur genau gewußt, daß nicht- auf Erde», nicht» al» der Tod ihn von ihr scheide« konnte! Er fühlte sich riesenstark! Leicht schien ihm auf einmal sein LooS! Denn dies Glück, dies Weib, diesen geliebten, tapferen Kameraden, den konnte ihm ja Niemand rauben! Sie gehörte zu ihm in Ewigkeit! Erglühend sprang er auf und trat zu seinem Vater, der am Fenster stand, die Hände auf dem Rücken, und still in das weiße aufsteigende Licht blickte. „Vater — wende Dich nicht ab. Wir wollen und werden Dir nie zur Last fallen." Es zuckte schmerzlich über des alten Mannes Gesicht. „Von zur Last fallen kann gar nickt die Rede sein. Ihr seid meine Kinder — Du und Deine Iakoba!" „O Dank! Dank für dieses Wort!" Und stürmisch faßte Helmuth nach deS VaterS Hand und zog sie an seine Lippen. „Wenn ichs nur hätte", vollendete dieser, „wenn ich Euch nur geben könnte — aber —" „Nichts sollst Du geben, als Deinen Segen und Deine Liebe. Und was wirst Du — denn man muß sie lieben — auch Du Maria-Margarethe — auch Du wirst sie lieb haben —" „Ach! Das schon — das schon, daS versteht sich ja von selbst", klagte sie in ihrem alten, weinerlichen Ton — „aber kein Geld, kein Geld! Und so elegant, so prätentiös! Sie ieht sich gewiß Alles an, was sie sich zusammeuschreibt! Ind hat doch natürlich keine Ahnung von Wirtschaften und Sparen! Und wie schrecklich das ist: das entsetzliche Knapp- sen an allen Ecken! Da hätte ich dock noch eher heiratheil können damals, er hatte ja auch kein Geld, blos kein Geld, und war noch dazu ein solider vernünftiger Mensch". Sie brach in Thräncn aus. Helmuth murmelte etwas und griff nach seinem Hut. Der Vater drehte sich sehr ernst nach der Klagenden um und sagte: „Sei doch mal ein bischen barmherzig, mein Kind. Willst Du noch mehr Steine zu Deines Bruders Last thun? Wollen wir Viere nun", der Greis streckte dem Sohn die Hand hin, während er mitleidig der Tochter Haupt streichelte, „uns zur Zeit der Noth recht besonders fest aneinanderschließen?" Helmutb legte den Hut wieder fort und schlang fest beide Arme um Vater und Schwester. „Bleib' so bei, mein Sohn! Und der liebe Gott wird ein Einsehen haben, und morgen bringe uns Deine Braut!" Cr begleitete den Sohn auf den Flur. »Geh mit Gott, Helmuth, und sei nachsichtig. Sie hat
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