Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.11.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-11-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951115025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895111502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895111502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-11
- Tag1895-11-15
- Monat1895-11
- Jahr1895
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezugS'PreiS i» d« tzauptrrpedtltoa oder den im Stadt- deiirk und den Vororten errichteten Aus- aavestellen ab geholt: vierteljährlich.ckl 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau» 5.50. Durch dir Post bezogt» sür Deutschland und Oesterreich: viertel>ührlich >l 6.—. Directe tägliche jlreuzbandlendung in» Ausland: monatlich 7.50. Die Morgen-AUsgabr erscheint um '/,7 llhr. die Abend-Ausgabe Wochentag- um 5 Uhr. Ue-action und Expedition: LohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochr» geöffnet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr. Filialen: Ott» Klrmm'S Sortim. (Alfred Hahn). Universitätsstraße 1, Lauts Lösche, Natharlnrnstr. 14, part. und Königsplatz 7. Abend-Ausgabe. Ejger Tageblatt Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- «nd Geschäftsverkehr. Rnzeigen.Prei- die 6 gespaltene Pentzeile 20 Psg. Reclamen unter demRednclionsstrich <4qe- fpatlen vor de» Fainilleiluachticht,., (tt gespalten) 40 tNröhere Schriften laut u»sere»i Priie- Vcrzeichniß. Tabellarischer Und Zisserich,^ nach höheren: Tarif. —»<r»»c>-«— Eptra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Poslbefördetung 60—, mit Postbeförderung 70.—. ^nttahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Für die Montag-Morgen-Ausgabe: Sonnabend Mittag. Lei dcn Filialen und Aiiiiahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeige» sind stets an die Expedition zu richte». — - Truck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 558. Freitag den 15. November 1895. Politische Tagesschau. * Leipzig, 15. November. In einem „Dir öffentlichen Strömungen und die Regie rung" überschriebencn Artikel begrüßt der „Schwab. Merk." die bevorstehende Wiedereröffnung des Reichstags, weil er hofft, endlich auch einmal die Regierung Stellung zu den Fragen der Zeit und den Bewegungen der Gegenwart nehmen zu sehen. Wenn auch diese Hoffnung nicht überall gelheilt wird, so wird inan doch allenthalben dem znstimmen, was das schwäbische Blatt über die Gründe sagt, die den Wunsch nach einer entschiedenen Stellungnahme der Regierung nahe legen. „Die Mehrheit der politisch denkenden Deutschen" — schreibt das Blatt — „ist darüber einig, daß bei uns das parlamentarische Regierungssystem — einerlei, ob man dasselbe für wünschenswert!) halten möchte oder nicht — un möglich durchzuführcn wäre. Von allem Andern abgesehen, besitzen wir nicht die großen Parteien, welche abwechselnd die Regierung zu übernehmen in der Lage wären. Bei unS muß die Regierung über den Parteien stehen, und weil sie das muß, so muß sie auch die Führung der gcsammten Neichspolitik in ihrer Hand haben. Ihre eigene Würde verbietet ihr, sich von einer oder mehreren Parteien führen zu lassen, noch auch zn gestatten, daß selbst nur der Schein eines solchen Geführtwerdens aufkvinme. Deshalb ist es nothwendig, daß über die Stellung der Negierung zu de» das Volksleben bewegenden Strömungen unbedingte Klarheit Kerrsche. Wie aber steht es damit zur Zeit? Extreme Wühlereien ver schiedener Art sind unablässig zu Gange, überall, wo sich nur ein Keim von Unzufriedenheit vermutben läßt, wird er aufgestöbert und als Anzeichen eines „MißslandeS" auf gebauscht, der dann zur Grundlage für phantastische Reltnngs- pläne mittels Staatshilfe dienen muß. Zn immer weiteren Kreisen werden auf diese Weise den Leuten die Köpfe ver dreht, die Regierung aber schweigt, während sie besser thäte, ihr ganzes Anseben cinzusetzen, um die Bevölkerung rechtzeitig von Irrwegen abzuhalten. Die Thätigkeit der „Nordd. Al lg ein. Zeitung" kann in dieser Beziehung als eine befriedigende durchaus nicht angesehen werden; auch ent hält dieselbe nur zu oft Leistungen, für welche nicht verantwortlich gemacht zu werden die Regierung der übrigen Presse immer aufrichtig Dank wissen wird. Warum aber benutzt die Negierung nicht den „Reichsanzeiger" oder die „Berliner Corresp.", um ihre Stellung in den großen Kämpfen der Zeit hell zu beleuchten? Als das letztgenannte Organ vor Jahresfrist gegründet wurde, war man allgemein der Ansicht, eS werde sich die aus den 70er Jahren noch in Erinnerung stehende halbamtliche „Provinzial Corresp." zum Muster nehmen. In dieser fand man in der Thal von Woche zu Woche eine mehr oder weniger eingehende Kennzeichnung der Stellung der Negierung zn den jeweils im Vordergrund stehenden Fragen, und es war damit ein greifbarer Anhalt für eine fruchtbare Erörterung geboten. Von der „Berl. Eorr." aber kann man nur sagen: wenn je ein Unternehmen die Er wartungen, welche es erweckte, nicht erfüllt hat, so ist es dieses. Die »leisten Mittheilnngen derselben sind nur da durch merkwürdig gewesen, daß für einen unbedeutenden Inhalt ein gewaltiger Apparat in Bewegung gesetzt wurde. Was bat es für einen Sinn, wenn meistens recht gleich- giltige Behauptungen aufgegriffen und mit feierlicher Miene berichtigt werden, während mit großem Lärm sich breit machenoe Bestrebungen, welche die Regierung nicht billigt und nicht billigen kann, von ihrem Organ gänzlich unberücksichtigt bleiben? In der vorigen Woche hat der Vorstand des Bundes der Landwirthe von Neuem den An trag Kanitz auf die Tagesordnung gesetzt. Im letzten Früh Feirrllrtsn. Der Älimps ums Dasein. I5j Roman von A. von Gersdorsf Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Sic schwieg, denn sein Ton war so hart gewesen, daß sie zögerte und das Gefühl sie beklemmte, an eine Grenze gekommen zu sein. „Ja, wenn Du nicht willst", sagte sie nach einer Pause traurig, „denn willst Du eben nicht, und denn kann ich ja auch still sein. Denn mußt Du eben sehen,' wic'S wird, und Dich weiter an'n Markt stellen." „Und wenn ich wollt' und wenn ich's thät, und wenn ich hinging, und wenn ich dann erstickte, und wenn ich wieder Luft kriegte", stieß er heraus und blickte sie ganz grimmig a», wie sie nasse Angen bekam und so zum Reinbeißen hübsch aussah, „meinst vielleicht, der — der — der thät's?! Der würde nnS Kelsen?! ha ha! Nicht in die Hand, wie der Fido sagt! Lachen thät' er und mich rauswerfen thät' er —" „Wer weiß?!" „Wer weiß? Ich weiß. Na und wenn er Dich erst zu sehen kriegte! Denn erst recht gar nickt. DaS wär' so em Bissen für ihn! Nee Du, den kennst« nicht!" „Ein Versuch schadet doch nichts. Denn hast Du eben nichts gewonnen und nichts verloren — denn ist'S eben noch so, wie's war. BloS Dn kannst Dir und, na Franzl, auch mir" — sie schmiegte sich wieder an ihn — „auch mir kannst Du denn sagen: Ich habe das Meinige gethan, nu kannst Dn nicht mehr verlangen und du muß der liebe Herrgott das Seinige thnn. Und der thut'S — daS kannst schon glauben. Du Brummbär, wenn Er sieht, daß Du brav bist und mir was zu Lieb' thust, und wegen der Arbeit über haupt —" „Hör' mal, Kathi auS der „Schwarzen Katze", wenn Du Dir cinbild'st — weil ich Dich nu immer toSpredigen lasse, wie 'n Pastor am Sonntag, und bloS drüber lacke — daß Du mich immer 'rumkriegst mit dem Gelbue —" „Wenn ick Dick nur dies Mal 'rumkriege, Alter!" „Ja wohl. Das könnt' Dir gefallen. Dann wär's jahr hat sich die Regierung nach einer sehr eingebenden Prüfung desselben durch den preußischen Staatsrath von seiner Undurchfübrbarkeit überzeugt. Wenn jetzt ihre Presse gegenüber der Wiederaufnahme dieser Action, über deren Be deutung doch wahrlich kein Zweifel sein kann, beharrlich schweigt, so kann das nur zn leicht den Eindruck der Unsicherheit, des Schwankens macken. Es ist deshalb gut, daß die Regierung durch den Beginn der parlamentarischen Verhandlungen Ge legenheit erkält, auch ihrerseits mit der Sprache heraus zugehen. Möchte sie nur einen recht ausgiebigen Gebrauch davon machen!" Die schwäbische Demokratie hatte sich der Hoffnung hingegeben, nach der Rcichstagsnachwahl in Nagold-6alw ein weiteres Anschwellen der demokratisch-antipreußischen Fluth, die bei den letzten württembergischen Landtagswahlen hervorgetreten war, feststellen zu dürfen. Ihre Presse war von großen Erwartungen erfüllt, die sich erst am letzten Tage vor der Wahl bedeutend berabgestünmt zeigten. Das Er- gebniß ist eine große Täuschung. Trotz mangelhafter Vor bereitung der Wahl ces nationalen Candidaten, der selbst durch Krankheit am Erscheinen im Wahlkreis verhindert war, und ungeachtet einer unter Mitwirkung der her vorragendsten Führer der Volkspartei betriebenen äußerst leb haften und aufreizenden Agitation sür den Demokraten ist der erstere im ersten Wahlgang gewählt worden und seinem demokratischen Gegner um mehr als 1400 Stimmen voraus geblieben. Der Stimmenrückgang gegen 1893 erklärt sich aus der schwächeren Wahlbetheiligung und trifft beide Candi- daten fast gleichmäßig. Die extremen Elemente haben dem nach in diesem württembergischen Wahlkreise so wenig eine Ver stärkung erfahren, wie in Dortmund, wo ihr Erfolg in der Stichwahl lediglich vom Centrum herbeigeführt worden war. Wie jetzt seststeht, hat in Bezug auf die Lage der Türkei die österreichisch-ungarische Regierung die Znitia tive ergriffen, um zwischen den europäische» Großmächten diejenige Einigkeit herzustellen, von welcher Lord Salisbury in seiner Guildhall-Rede gesprochen hat und von welcher er sagte, daß nach seinen Wahrnehmungen die Neigung dazu bei sämmtlichen Mächten vorhanden sei. Dem Grafen GoluchowSki schwebt dabei eine solche Einmüthigkeit der Mäckte vor, wie sie sich bei allen bisherigen Schritten der in Konstantinopel accreditirten Botschafter in erfreulicher und zum Theil auch er- folgreicker Weise gezeigt hat. Die Verhandlungen über diesen Vorschlag schweben zwar noch, aber die Dispositionen der Mächte, auf dieselben einzugehcn, werden als überaus günstig bezeichnet, so daß eine Vereinbarung zu erwarten steht, welche zum Zwecke hat, daß in allen das türkische Reich betreffenden Angelegenheiten keine Macht und auck keine Gruppe von Machten selbstständig und ohne das Einverständniß aller übrigen Mächte einen Schritt unternimmt, daß vielmehr, ob ein Einschreiten stattzufinden und worin dasselbe zu bestehen habe, der Vereinbarung sämintlicher Großmächte unterliegen soll. Die Absendung von Kriegsschiffen in die levantinischen Gewässer, welche in den letzten Tagen von mehreren Mächten angeordnet worden ist, beruht nicht auf dieser Vereinbarung; jede Macht hat vielmehr zun: etwaigen Schutze ihrer eigenen Angehörigen und ihrer eigenen Interessen diese Vorsichtsmaß regeln ans eigener Entschließung ergriffen. Es ist, wie ge meldet wurde, Vorsorge getroffen, daß keine der europäischen Escadrcs in der uninittelbaren Nähe der Dardanellen erscheint, Wohl aber werden dieselben an verschiedenen Puncten der Levante ankern, um im Bedarfsfälle zur Stelle zu sein. Einstweilen glaubt man, daß gegen weitere Bedrohungen der europäischen Staatsangehörigen oder der sonstigen Christen in Kon stantinopel die in Gemäßheit des Pariser Vertrages im eirathen 'ne nette Sache für Dich, und Du ziehst denn die osen so sachte an im Haus. Nee!" „Franz — Du willst wirklich nicht?" „Nee. Das —" „Franz!" „Nee. Ich sage Dir — das —" „Franz!!" „Ja, franze man immer zu mit Deinen Funkcldingern im Kopf — das muß ich mir doch erst 'mal mit meinem Schreiber bereden. Wenn der sagt ja — na denn —" „Franz!!!" „Herr — Himmel — Mädel! Du willst mich wohl schon an das Ersticknngsgefühl gewöhnen!" 12. ES war an einem Wintermorgen um 8 llhr. DaS Wetter war trübe und schmutzig und naßkalt. Schmutziger Schnee lag auf den Böschungen des Canals, die Straßenkehrer waren beschäftigt, die graugelbe krümlige Masse, welche ans dem Fahrdami» lag, wegzufegen. Sie arbeiteten emsig und scklugen ab nnd zu in die Hände, um sich warm zn machen. Die feuchte Kälte drang durch Kleider und Handschuhe. Es war mildes Wetter gewesen die Tage vorher und kein EiS deckte den Canal. Schwarz und trostlos lag daS todte Wasser im trüben Dämmerlicht des Morgens. Auf einer Bank saß ein Mann. Er war elegant gekleidet »nd trug trotz der frühen Stunde und des zweifelbasten Wetters einen Cylinderhut. Leute gingen eilig an ihm vorbei an ihre Arbeit, Männer mit ArbeitSZeug, mit Mappen, mit Actenbündeln. Frauen mit Led erloschen, mit Packeten und anderen Sachen, die zu irgend einer Art Arbeit gehörten. Sie gingen Alle einen raschen Geschäftsschritt und batten den beschäftigten Blick von Menschen, die ihrer Thätigkeit zueilen. Der Mann auf der Bank sah ihnen nach und blickte dann wieder zu Boden. Er hatte keine Eile, so sckien eS, er batte Zeit. Fast alle Vorübergehenden warfen einen flüchtigen Blick auf ihn-, die Erscheinung war ausfallend. Ein Nachtschwärmer konnte eS nickt wohl sein. Er war frisch und sehr sauber gekleidet. Sein blondes, glänzendes Haar ordentlich gebürstet und über den Ohren ein wenig Bosporus ankernden Ctationsschiffe einen genügenden Schutz kiele», zumal da es jeder der Signatarmächte vertragsmäßig freisleht, auch noch ein zweites Schiff nach Koustaiitinopel zu senden. Im klebrigen dürste schon das Erscheine» der europäischen Flaggen im mittelländischen Meere eine wohl tätige Wirkung sowohl auf die Regierung, als auf die Volks- stliiiinuilg in Konstantinopel ausüben. Die Hoffnung der bulgarischen Russophilen, daß mit der orthodoxen Taufe des Prinzen Boris alle Hinder nisse, welche einer Aussöhnung Rußlands mit Bulgarien im Wege liegen, verschwinden würden, erklären die russischen Blätter, welche dem Petersburger Auswärtigen Amte nahe stehen, als trügerisch. So schreibt die „No wo je W rem ja", man müsse de» Bulgaren die Augen öffnen, um sie vor einer Täuschung hinsickllich der Folgen der orthodoxen Tanse des Prinzen Boris zu bewahren. Man müsse dem Fürsten Ferdinand jeden Anlaß nehme», sich nach der Taufe über Irreführung beklagen zu könne». Die bulgarische Deputation, welche im Sommer in Rußland weilte, hätte aus Petersburg keine wie immer gearteten positiven Zusicherungen mitgenommen. Sie hätte nur die Ueberzeugung gewonnen, daß die orthodoxe Taufe des Prinzen Boris die Lösung der verwickelten Sache der Aussöhnung Rußlands mit Bulgarien bis zu einem gewissen Grade erleichtern würde. Wenn Fürst Ferdinand die Taufe vornehmen ließe, so würde dadurch der erste Schritt zur Lösung dieser Aufgabe gethan sein, aber weder Fürst Ferdinand, noch die Vertreter des bulgarischen Volkes sollten sich der Täuschung hingebe», als ob Rußland von Bulgarien nichts mehr als die Taufe des Prinzen Boris verlangen würde. Rußland müsse auch die Ueberzeugung ge winnen, daß die Taufe eine Ordnung der Dinge herbei- sühren würbe, kraft welcher Bulgarien die ihm im Berliner Vertrage zugedackte politische Rolle auf sich nehmen könnte. In ähnlichen Worten äußern sich auch die „Moskowskija Wjedomosti". Uebrigens findet das Versprechen des Fürsten Ferdinand, die orthodoxe Taufe des Prinzen Boris am 18. Januar stattfinden zu lassen, in Sofia auch keinen rechten Glauben. Deputieren- und selbst Regierungskreise zweifeln sehr, daß der Fürst überhaupt ein Manifest über die Taufe des Prinzen erlassen wird. An welchem 18. Januar er den Prinzen taufen lasse» will, ist auch noch nicht bestimmt, — schwerlich jedoch im 19. Jahrhundert. Wie wir neulich schon ausführten, bezweckt der Fürst mit dem Anerbieten der Taufe des Prinzen, Rußland ein weitgehendes Zugeständniß abzu— betteln; findet das Anerbieten den Zaren nicht in der Gebe laune, so wird es wieder zurückgezogen, um vielleicht später nochmals eine Nolle zu spielen. Aus Skandinavien sind in de» letzten Jahren fast nur Nachrichten gekommen, welche von der tiefen Unzufriedenheit mit den gegenwärtigen unionellen Zuständen Zeugniß ablegte». Als letzte Phase des Unionstreites darf die Forderung Schwedens bezeichnet werden, eine gründliche Revision der Unions-Verfassung vorzunehmen, welche verlangt wird, weil nur so ein endgiltiger Ausgleich ver von Norwegen immer erneuten Streitigkeiten möglich erscheint. Das im vorigen Monat gebildete norwegische Ministerium Hagerup hat es als seine erste Aufgabe betrachtet, die Revisions-Unterhandlungen anzuknüpsen und am letzten Mittwoch wurde zu diesem Zweck eine univnelle Com- missio», von 7 Schweden und 7 Norweger, ernannt. Zweifelsohne ist dies ein für die Zukunft der Skandinavischen Union überaus bedeutungsvolles Ereigniß. Durch Wahl von hervorragenden Männern aus verschiedenen Par teien haben die beide» Regierungen der Commission gekräuselt, sein Gefickt blaß und schmal, und die Augen blickten klar und ernst. Ein schönes Männergesicht. Ein vornehmer Herr — Helmuth Andor. Er zog einen Brief aus der Brusttasche und entfaltete ihn langsam. Ein viel gelesener Brief mit einem gedruckten Firmen stempel darüber. „Geehrter Herr von Andor! Auf Ihr werthes Schreiben vom 7. d. M. tbeile ich Ihnen ergebenst mit, daß Herr Meyer von seiner Reise zurückgckchrt ist und bereit ist, die erbetene Rücksprache mit Ihnen zn nehmen. Wollen Sie sich gefälligst Mittwoch oder Sonnabend im Bureau melden. Gegen 9 Uhr ist der Chef zu sprechen. Mit Hochachtung ergebenst Kreutzer." Helmuth sah auf seine Uhr. Noch eine halbe Stunde Zeit. Gedankenvoll legte er den Brief zusammen n»d überlegte zum hundertsten Mal seine Aussichten bei Herrn Meyer. Wie oft hatte er schon so gesessen nnd seine „Aussichten" überlegt! Welch eine bewegte Zeit waren die letzten Woche» für ihn gewesen, seitdem er aus dem activen Dienst in die Reserve übergetreten war! Wie in einem kleinen Boot ans einem erregten Meer, bald auf frober Hoffnung-Höhe, bald in der Tiefe mutbloser Verstimmung! Keinen seiner Lieben batte er lnneinziehen wollen, nnd er hatte eS durchgesührt. Durch alle Wechsel von Hoffnung und Täuschung, durch alle Stinimungsphctsen ging er bi- jetzt allein; immer zeigte er sich in gefaßter, heiterer Laune für die Seinen oder zeigte sich gar nicht. Letzteres war öfter vorgekommcn. Man batte das nicht ausfallend gefunden, daß ihn Geschäfte, Besuche, weite Wege fern hielten vom Familienkreise. Man fragte ibn nicht, er batte direct darum gebeten. „Sobald ich Euch Bestimmtes sagen kann, sollt Ihr wahr haftig keine Secnnde warten!" Er saß oft Abends allein in seiner Wohnung, weil ihm doch der still fragende Blick seines Vaters, das ängstliche, verstohlene Betrachten seiner Schwester peinlicher war, als er anfänglich geglaubt. Er hatte natürlich seine hübsche Wobnung von zwei Zimmern im Westen ausgegeben und sich eine einzige Stube ein hohcs Ansehen zugesichert. Es ist daher zu er warte», daß, wen» die Commission es zu einem Ein- versländniß bringen kann, ihre Vorschläge auch durchgeführt werden. Aber gerade die Aussichten für ein Einverständniß scheine» nicht eben groß zn sein. Zwar wird die Mebrzabt der Comiiiissioii als ans Männern gemäßigter Anschauung bestehend, bezeichnet, was von de» Schweden namentlich auf de» UniversitälSkanzler und Kammerpräsidenten P. von Ehren- beim, den früheren Slaatsminister Themptander, den Grafen G. Sparre und Herr» Jonsson. und von den Norwegern auf die früheren Minister Schweigaard, Thorne unk Offen zutrifft, in der allerwichligsten Frage aber, betreffend die Handhabung der auswärtigen Angelegenheiten, dürften die Schweden völlig darüber einig sein, eS nie zu gestatten sei, daß jene Handhabung von dem Parteispiele des Storthings abhängig wird. In dieser Hinsicht ist es bedeutsam, daß der npsaliensische Professor Di. O. Alin sich unter den schwedischen Cominiffivns-Mitgliedern findet, den» er ist bekanntlich der wissenschaftliche Begründer der allgemeine» schwedischen Auf fassung von dem unionellen Staatsrecht. Aiircrerscits wird der berühmte norwegische Nechtsgelehrte Dr. Getz in der Coiiimijsion eine der schwedischen oft gerade entgegengesetzte Meinung repräsenlireu, und ihm zur Seile sieben drei anö geprägte norwegische Nadicale Nur wenn die verschiedenen Coliiiniffions-Mitglieder sich so weit als möglich von dem Partei-Staiidpniict losinachcn und die wichtigen Fragen ruhig behandeln, ohne Rücksicht auf Lob oder Tadel von Seiten rcs Publicuins, ist zn hoffen, daß sic ihre Ausgabe zum Segen der beiden Völker lösen werden. Deutsches Reich. * Berlin, l4. November. Der „Reichsanzeiger" schreibt: „In der „Neuen deutschen Rundschau der freien Bühne", sechster Jahrgang Heft XI, findet sich unter der Ueberschrift „Coloniale Speculat ionen" ein Artikel, welcher auf Grund von Actenslücken zweier noch schwebender Civilvrocesse schwere Anschuldigungen gegen daS Syndical für süd Westafrika» is che SieLelung enthält. Hierauf cinzugehen wird erst Gelegenheit sein, sobald das Svudical selbst sich auf die Angriffe geäußert haben wird. Der Artikel erhebt aber auch gegen die Regierung dcn schweren Vorwurf, daß die Colon ial-Ab theil ung des Auswärtigen AmtS mit dein Syndikat wegen Beförderung von Personen und Frachten ein Abkommen getroffen nnd i» so verschwenderischer Weise mit NeichSniittcln gewirthsckaftet habe, daß für Frachten an l 00 000 mehr als nöthia verausgabt worden seien. Diese Anführungen sind unrichtig. Bis zum Jabre >892 konnte eine Verbindung mit dem südwcstafrikanischcn Schutzgebiet nur ans englische,i Schiffen und nur über Cap stadt, wo umgeladeii werden mußte, nnterbalten werde». Die Negierung hatte hierfür sehr hohe Preise zu zahlen, und daneben bestand die Schwierigkeit hauptsächlich darin, daß die Beförderung von Soldaten, Waffen nnd Munition englisches Gebiet berühren mußte und somit die Vcrtheikigung der Colonie wesentlich von dem Gutbefinden einer fremden Regierung ab hängig war. In dieser Nothlage erbot sich die „Deutsche Colonialgesellschaft" zur Ueberiiahme des Transports auf unniittetdar in das Schutzgebiet z» entsendenden deutschen Schiffen in der Weise, daß damit allmählich die Grundlage zu einer regelmäßigen und dauernden Schiffsverbindung gelegt werden sollte. Die von der deutschen ColonialgescU- schaft geforderten Preise waren niedriger als diejenigen, welche bisher dcn englischen Rhcdercicn gezahlt werden mußten. In ein oder zwei Fällen, bei denen ein größerer Transport von Truppen in Frage stand, hätte die Colonial st! Moabit draußen gemiethet. Einige drückende Verpflich tungen und Zahlungsverhindlichkeiteii aus seiner Lientenants- zeit batte er mit herüber genomme», er hatte die Absicht und Möglichkeit gehabt, sie zu begleichen, wenn er Hauptmanii geworden war. Nun mußte er sehe», wie er es durch Sparsamkeit erübrigte von den hundert Mark monatlich, die ihm sein guter Vater gab. Das war ja auch nickt so schlimm, denn viele StandeS- ausgaben des activen Officiers sielen nun fort. Niemand beobachtete sein Sparen, sein Sickcinrichten, sein schlechteres Leben. Nichts hinderte ihn, in Restaurationen jeder Classe zu essen, seine Sachen zu schonen und in Civit jeder Art auSzugehen. Den Znsalnincnhaiig mit dem alten Regiment hatte er sofort gelöst. Das verstand sich nun auch eigentlich ganz von selbst. Er mied die Locale, wo er seine alten Kameraden treffen konnte. Die Wunde war z» tief, zu frisch. Würde sie je ganz vernarben? Trotz allem Muth und Selbstbewiißlseili, er konnte auch Jenen gegenüber ein gewisses Gefühl der Beschämung nickt überwinden, trotzdem ihm fast Alles freundlich entgegentrai, wen» sie seiner ansichtig wurden. Besonders anfangs suchte» ihm Viele zu beweisen, daß er in keiner Art für sie ein Anderer geworden war. Aber er wollte nicht. Er zog sich zurück. Und man sing an, ihn zu vergessen. Die Interessen gingen »nr allzu scharf auseinander, an de» Gesprächen der Officierc tonnte Helmuth kaum mebr rechte» Antheil nehmen — er war den sie bewegenden Tages ereignisse» nicht mehr gefolgt. Ab und zu sprach er Wohl »och Einen und den Andern auf der Straße und sagte zu, wenn man ihn auffordertc, in irgend ein Restaurant zu kommen, wußte sich aber dann immer zu entziehe» nnd kam nicht hin. Auch wäre cs ihm eine zu große Pein gewesen, in der alte» Gesellschaft auch eie alte heitere Laune zn zeigen. Er war lieber allein, ganz allein, da brauchte er wenig stens die Onal des Zwange« seinem Gefickt und Wesen nicht cmfzuerlegen und konnte seffieN eigenen Gedanken, seinen neuen Interessen ungestört »achhängen. Bei Jakvba freilich war Friede. Auch sie fragte nicht und forschte nickt. Und nie traf ibn ein ängstlicher, sorgender Blick, eine stumme Mabnung, die ibn wie ein Vorwurf der Sorglosigkeit getroffen hätte, da er noch immer nickt« „Bestimmtes" hatte. Hier hätte er sich
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite