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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.12.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-12-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951204023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895120402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895120402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-12
- Tag1895-12-04
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Der gestern zur Eröffnung des Reichstags verlesenen ist aber auch da« geringe herkömmliche Interesse der politischen Kreise verkümmert worden — durch den Urlaub des Herrn von Köller, der säst das aus schließliche Tagesgespräch bildet und deshalb auch die Frage der Präsidentenwahl nicht zu ihrem Rechte kommen ließ. Der Urlaub ist halbamtlich bestätigte Thatsackr, über seine Natur herrscht die Meinung vor, daß er ein solcher sei, von dem eS keine Wiederkehr giebt. Er ist unter solchen Umständen ertheilt worden, gegen welche die Tbatsache, daß Herr v. Köller gestern noch der Eröffnung dcö Reichstags im Weißen Saale beigewohnt, nickt ins Gewicht fällt. Der Minister ist einer seits nicht unpäßlich und hat keine sonstigen privaten Ab haltungen; andererseits ist seine Politik in der jüngsten Ver gangenheit wieder Gegenstand einer — sebr zurückhaltenden Schätzung gewesen und die Abgabe der Geschäfte einen Tag vor Beginn der hochpolitischen Saison erfolgt. Die Annahme, daß ein unter solchen Umständen angetretenrr Urlaub etwas Anderes zur Folge haben könne, als den defini tiven Rücktritt, kann sich einzig und allein auf die An sicht stützen, daß im Reiche nachgerade Alle« mög lich geworden sei. Man wird aber diesmal kaum eine Rechtfertigung dieser Art, das Zukünftige zu bcurtbeilen, er leben. Unseres Erachtens kann Herr v. Köller nicht mehr mit jenem Minimum von Erfolg, das seiner Fähigkeit über haupt erreichbar war, in seinem Amte wirken, nachdem die Meldung von seiner Beurlaubung halbamtlich bestätigt worden ist, ohne daß auch nur der Versuch gemacht wurde, dem Er- eigniß den politischen Charakter abzusprechen. Welches Maß von Autorität würde dem obersten Chef der Polizei in Preußen noch beiwohnen, wenn er, der inmitten einer „Action" ohne äußeren Anlaß aus seiner Tbätigkeit herausgerissen worden ist, wieder- tehren und, sei eS mit dem Angefangenen fortsahren, sei es von Neuem anfangen wollte? Aus diesem Gevankengang heraus und ohne uns besonderer Information rühmen zu können, halten wir unS für berechtigt, den definitiven Rücktritt als eine vollendete Tbatsache zu betrachten. Man wird bei der Beurtheilnng dieser Tbatsache nicht um hin können, den Mangel an Einheitlichkeit und Zielbewußtsein in der preußischen Regierung zu beklagen, da er auch hier wieder festgestellt werden muß, mag die Meldung des „Hamb. Eorr.", daß Herr v. Köller die Schließung der socialdemokratischen Vereine ohne vorherige Rücksprache mit den preußischen Ministern und besonders mit dem Ministerpräsidenten verfügt habe, auf Wahrheit beruhen oder nicht. Unter normalen Verhältnissen, d. b., wenn die Beziehungen der Minister unter sich und zu der Krone auf eine dem Geiste der Verfassung entsprechende Weise geregelt sind, wäre eine politische Eigenmächtigkeit und Unbesonnenheit, wie sie Herrn von Köller von dem Hamburger Blatte nach gesagt wird, gar nicht denkbar. Unter allgemeinen Gesichtspunkten betrachtet, ist also auch der Rücktritt, oder sagen wir der Vorsicht Kälber der Fall Köller ein bedauerliches Symptom. An sich aber wüßten wir außer dem social demokratischen und etwa noch einem gedankenlos-junkerlichen keinen Standpunct zu entdecken, von dem aus ein Wechsel im preußischen Ministerium des Innern nicht mit Geuugthuung zu begrüßen wäre. Herr v. Köller, persönlich eine höchst achtenSwerthe Er scheinung, hat sich, obgleich die „Voss Zkg." ihm im Gegen satz zu seinem College« an der Spitze dcS Justizministeriums das Prädicat eines „Staatsmannes" beilegt, der Aufgabe eines höheren politischen Amtes niemals gewachsen gezeigt. Mit dem Verlassen wo er bat der freundlich genannte ferner Begabung gezogen Unterstar eines PostenSals Polizeipräsident von Frankfurt a.M., ich großer und verdienter Beliebtheit erfreute, rüher als gut gelaunter Parlamentarier viel und Mann die Grenze überschritten, die von war. In Elsaß-Lothringen, wo er vier Jahre als Unterstaatssecretair fungirte, sind die An sichten über seine Wirksamkeit getheilt gewesen; nachdem er Minister geworden war, konnte eine solche Zwiespältigkeit der Meinungen sich nicht lange mehr aufrecht erhalten. Keine einzige der bei der Vertretung der Umsturzvorlage betheiligten Personen hatte Reichstag und Publicum durch sonderliche Energie oder Geschicklichkeit ver wöhnt, die Bertheidigung des Entwurfes durch Herrn v. Köller mußte aber geradezu zweckwidrig genannt werden. Nicht leicht etwas Anderes hat daS Zurück greifen auf den Plan einer Bekämpfung der revolutionären Agitation dermaßen erschwert, al« die Rcve, die der preußische Polizeiminister in den lebten Tagen der Umsturzvorlage für dieselbe gehalten hat. Leider hat dieser Mißerfolg nicht den Entschluß herbeigefübrt, die Bekämpfung der Social demokratie auf dem Boden der bestehenden Gesetze einer anderen Kraft zu überlassen. Herr v. Köller war auch hierin nicht glücklich. Man hat ihm wegen der Schließung der socialistischen Berliner Verein« zu Gute gerechnet, daß er lediglich daS Gesetz zur Anwendung gebracht. Angenommen, daß d,e richterliche Entscheidung diese Auffassung rechtfertigt, so bleibt noch die Frage der Zweckmäßigkeit einer Maßregel, die, wie eine virljährige Praxis zeigt, nicht ergriffen werden mußte, zu beantworten. Die Erfahrung aller in Betracht kommenden psychologische» Momente drängen zur Verneinung der Frage. Nur ein einziger Grund könnte vie Schließung der Vereine rechtfertigen derjenige, der auch am lautesten für die gesetzliche Bekämpfung der socialdemokratischen Agitation spricht: das Volk wird irregeführt, wenn sich diese gegen Staat und Gesellschaft gerichtete Verhetzung ungestört breit machen darf. Wenn, so könnte man sagen, unter den Augen der Polizei Vereine thätig sind, welche die grundstürzende Agitation zu ihrer einzigen Ausgabe machen, so muß diese Agitation ihren verabscheuenSwerthen Charakter verlieren. DaS ist Aut und schön, aber socialdemokratische Vereine sind gemäß dem preußischen BereinSgesrtze erlaubt. Man kann sie nur treffen, wenn sie Frauen und Minderjährige zur Mitgliedschaft zulassen oder in Verbindung zu einander treten. Sind diese Gesetzesübertretungen verübt worden, dann kann der Richter allerdings die Vereine schließen. Aber die Existenz solcher Vereine kann auf die Dauer nicht hinter trieben werden, wenn sie sich an daS Gesetz halten. Und an daS Gesetz hatten können sie sich, ohne von ihrer Gemeingefährlich keit — denn die Agitation geht von den einzelnen Vereinen auS — einzubllßrn. Die Organisation über größere Bezirke und das ganze Land, die daS Gesetz verbietet, kann sich die Socialdemokratie leichter als jede andere Partei ohne eine gesetzlich faßbare Verbindung der Einzelorgani- sationen schaffen. Wenn wir nun auch diese Maßregel des Herrn v. Keller für nicht zweckentsprechend erachten, wollen wir damit nicht gesagt haben, daß sie die Ursache seines — „Urlaubes" bilde. Politische Tagesschau. * Leipzig, 4. December. Aus einer dem Reichstage zugegangenen D en kschrift ist die zu ernsten Betrachtungen herausfordernde Tbatsache hervorzuheben, daß die Schult» des deutschen Reiches vie weite Milliarde überschritten hat. Diese 2000 Millionen Mark Schulden sind in kaum 20 Zabren auf- gehäuft schävigu . . worden, denn infolge der französischen Kriegsent- chävigung stand das Reich noch im Iadre 1876 ziemlich schuldenfrei da. Es ist, wie die „M. N. N." mit Recht be tonen, ein leidiger Trost, daß unser alter Erbfeind Frankreich noch viel mehr Schulden hat als wir und gleichfalls auf dem Wege der Anleihen ungenirt weiter geht. Die französische Staats schuld beträgt etwa 28 Milliarden Mark, wobei aber, wenn man vergleichen will, zu berücksichtigen ist, daß neben der deutschen Reichsschuld die deutschen Einzelstaaten 9 bis 10 Milliarden Mark Schulden haben. Wenn indeß Preußen daran mit etwa 6, Bayern mit ca. i Vs Milliarden betheiligt sind, so haben sie dagegen in Eisenbahnen, Domänen rc. einen fast gleichwerthigen Activbesitz, so daß von einer wirklichen Ver schuldung bei Preußen, Bayern rc. keine Rede sein kann. Anders beim deutschen Reiche. Es hat in dem Reichskriegsschatz von 120 Mill., den Reichseisenbahnen in Elsaß-Lothringen und dem ReichSiiwalidenfonds Activposten, die nur einen kleinen Theil der Neichsschutden decken. Deswegen muß immer von Neuem betont werden, daß wir so im Schuldenmachen nicht Weiler wirtbschaften können und daß die Nothwendigkeit, auch für die T i l g u n g der Reichsschulden etwas zu tl>un, sich immer gebieterischer aufdrängt. England und die Bereinigten Staaten von Nordamerika, welche früher an riesigen Staats schulden mit Frankreich wetteiferten, haben seit einer Reihe von Jahren enorme Summen zurückbezahlt und somit ihr Vermögen erheblich verbessert. Und wir wollen doch schließlich auch nicht immer weiter leichtsinnig auf Kosten unserer Enkel leben. DaS glauben wir we nigstens von der überwiegenden Mebrzaht der deutschen Wähler annehmen zu dürfen. Die Mehrheit deS jetzigen Reichstages freilich gefällt sich darin, die Finanzlage des Reiches im rosigsten Lichte zu betrachten und die Noth- wcndigkeit einer Erhöhung unserer Reichs«,,nahmen rund weg abzuleugnen. Daß sie sich damit an ihren Kindern und Enkeln versündigen, die am Ende zu wer weiß was für Mitteln greisen müssen, um nicht nur die Bedürfnisse des Reichs zu befriedigen, sondern auch die Zinsen der noch mehr angeschwollenen Reichsschuld aufzubringen und diese selbst allmählich zu verringern: daran scheinen diese Finanzgrößen nicht zu denken. Um so mehr werden bei den nächsten Reichs tagswahlen die Wähler daran denken müssen. Da die Frage, vor welchem Gerichtshöfe Hauptmann Lothaire sich wegen der ungesetzlichen Hinrichtung Stoke'S zu verantworten haben wird, sich zu einem völkerrechtlichen Problem auSzubilden scheint, ist eS von Interesse, auf die Verhandlung der belgischen Depntirtenkammer in einer ihrer letzten Sitzungen zurnckzukommen. Der Abgeordnete Lorand führte interpellirend auS: Die Forderung des CongostaaleS, Lothaire vor einem belgischen Kriegsgericht abzuurtheilen, ist juristisch unmöglich und politisch für Belgien gefahrvoll. Hat ein Belgier im Auslande ein Verbrechen begangen, so kann er in Belgien auf Antrag des betreffenden Staates nur dann be langt werden, wenn er Belgien betritt und ein nach belgischen Gesetzen strafbares Vergehen sich hat zu Schulden kommen lassen. Lothaire befindet sich am Congo und untersteht nur congostaatlicher Justiz. Daß Lothaire als congostaatlicher Beamter ein unregelmäßiges Urtheil vollstreckt hat, ist nach belgischen Gesetzen nicht strafbar; eine UrtheilSsprechung in Belgien, wo die Zeugen fehlen, ist unmöglich. Würden wir uns mit diesem Proceffe befassen, so würden wir für Alles verantwortlich sein, waS die belgischen Officiere am Congo thuen. ES ist unrecht, daß diese Officiere nach dem Congo gehen dürfen, ohne auS der belgischen Armee auszutreten. Die einzige Lösung ist die Rechtsprechung am Congo selbst. England fordert mit Recht einen Richterspruch und es „ist eins der großen Verbrechen der congostaatlichen Politik, zum ersten Male Wolke» zwischen Belgien und England an gesammelt zu haben." Ministerpräsident De Burlet erwiderte darauf: Belgien hat nur eine Personalunion mit dem Congostaate, die congostaatlichen Angelegenheiten geben es nichts an. Juristisch ist Lorand im Rechte. Der Congo staat bat der belgischen Regierung mitgetbeilt, daß der belgische Capitain Lothaire am 15. Januar 1895 den englischen Händler Stokes in Lind, ohne regelmäßiges Urtheil hat hinrichten lassen, was unter daSAuslicferungSgesetz fällt. Die congostaatliche Mit- tbeilung mußte geprüft werten; aber es ist ihr ke in e Fo lg e zu leisten, da das Strafgesetz die gerichtliche Verfolgung des am Congo befindlichen Lolbaire nicht zuläßt. Erst wenn Lothaire nach Belgien zurückgekebrl ist, kann die belgische Regierung prüfen, ob derselbe vor ein belaischeS Kriegsgericht zu ver weisen ist. Die Sache StokeS Lothaire, die diplomatischen Unterhandlungen Englands mit dem Congostaate und die englischen Reklamationen gehen Belgien gar nichts an. Zwischen Belgien und England giebt es keine Wolke. Belgien hat sich erst im Jahre 1900 zu entscheiden, ob eS den Congo- staat übernehmen will. BiS dabin ist der Congostaat un abhängig, bleibt aber an Belgien für die ihm vergeschofsenen 30 Millionen Franc- verpfändet. Zu den gestern erwähnten Zeichen liberalerer Neigungen deS jungen russischen Kaisers muß auch die Ernennung Goremykms zum Leiter des Ministeriums des Innern ge rechnet werden. Dieselbe war insofern ein glücklicher Griff, als damit andere Candidaten von national-fanatischem Gepräge vermieden worden sind. Die bevorstehende Kon ferenz von Würdenträgern aus den Provinzen hat offenbar gleichfalls einen liberalen Sinn, indem sie die den Bauern- Gemeindeverwaltunge» zustehenden Rechte, wie Bauern körper lich zu strafen, durch Erkenntniß der Gemeinde die Verschickung von Gemeindegliedern nach Sibirien, deren die Gemeinde sich entledigen will, zu bewirken, prüfen und beseitigen soll. Un verkennbar ist ferner, daß man jetzt in Fink and weit freier atbmet, als es seit einer Reibe von Jahren der Fall gewesen ist, und man giebt sich der Hoffnung hin, daß Be strebungen, die finländischen Gesetze und Rechte zu beschränken, bei dem jungen Kaiser kein Gehör finden werden. Wie man erzählt, hätte Kaiser Alexander auf dem Todtenbette zu seinem Sobne gesagt: LaßFinland in Ruhe! und auch die Kaiserin-Wittwe sollibren LmflußzuGunstenFinlandSgeltendgemacht haben. WaS Wahres daran ist, muß dahingestellt bleiben, Thatsache ist, daß ver alte politische Druck, der auf der Bevölkerung-lastete, geschwunden ist, WaS in der Haltung des gegenwärtigen Kaisers Finland gegenüber seinen Grund hat. In gewissen russischen Kreisen war eS ja von je her ein LieblingSwunjch, die Gesetze FinlandS mit dem übrigen Reich in Ueber- einstimmung zu bringen, und nun schwebte die „Codi- fication" mit dem Plan, Reichsgesetze zu schassen, drohend über Finland. Bei der Verwirklichung diese- Planes würde aber die gesetzgeberische Befugniß des sinischen Landtags eine Einschränkung erfahren, und die Be friedigung der Finländer war daher zu begreifen, als der jetzige Kai er erklärte, daß diese Frage ohne seinen Aus drücklichen Willen nicht wieder ausgenommen werden solle. Noch immer sind die alten Parteikräfte auS der Umgebung Alexander's Nt. bemüht, den Willen des Zaren in die alten despotisch-kirchlichen Bahnen zu nöthigen, und «S gehört schon recht viel Selbstständigkeit dazu, um so altgewohnten Autori täten sich zu widersctzen, wie sie gegenwärtig thätig sind. Ob NicolauS II. diese Selbstständigkeit besitzt? Man sagt ihm humane Gesinnungen und den guten Willen, sie zu bethätigen, nach, aber auch Mangel an Willensfestigkeit. Jedenfalls wird man gut thun, aus den gegenwärtigen 301 FaniHetsir. Der Kampf ums Dasein. Roman von A. von Gersdorff Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) 22. ES war Mitte September, an einem Spätnachmittage. In dem Gartenziniiner war eS schon recht dunkel. Iakoba und Helmutb saßen sich gegenüber am Tische, der nahe zum Fenster gerückt war, und schrieben Bride. Helmutb, der noch immer ohne Stellung war, schrieb Iakoba'S Roman ab, dessen Schluß sie noch unter der Feder hatte. Da er kein Geld verdienen konnte, wollte er wenigstens welches ersparen. So langweilig und trocken solche Absckreibearbeit auch war — er war froh, daß eS diese Beschäftigung wenigstens für ihn gab und sie doch nicht ganz überflüssig war. Seine Gesundheit hatte sich gehoben. Er bewegte sich stunvenlang im Freien, um auch in dieser Weise seine er zwungene Muße zu benutzen, neue Kraft zu sammeln. Es war für ihn doch ein schwerer Schlag gewesen, al« Sckmidt ihm wirklich gekündigt batte, wenn auch die Art jener Arbeit ihm eine höchst unsympathische gewesen war. Nun ging daS Suchen und Laufen nach Be schäftigung von Neuem an. Es war furchtbar. Wie viel unnütze Gänge, wie viel ergebnißlosr Eorrrspondenz! Immer wieder von Neuem batte er unermüdlich, rastlos fick angeboten, sich vorgestellt — immer wieder war er zurückgewiesen worden. Bergmann half redlich. Aber eine Stellung schaffen, die Helmutb« Fähigkeiten entsprach — daS konnte er auch nickt. Vielleicht, daß sich, wenn BierkeS' von ihrer großen Reis« zurückkchrten, mit deren Hilfe etwas finden ließe. Dabei war noch große Vorsicht geboten, Helmutb'« sehr empfindliches Ehrgefühl nicht zu verletzen. Eine Stellung sür ihn zu schaffen, selbst wenn die Möglichkeit durch reich« Freunde gegeben war, würde schon darum nicht ausführbar gewesen jrin, weil er doch sofort gemerkt hätte, daß kein Bevürfniß näch seinen Leistungen vorhanden war, man ihm also ein Almosen bot. Er aber fühlte die Kraft und den Willen in fick, wirklich zu arbeiten, er wollte nicht sein Leben in geschäftigem Müßiggang» virbringtn, während die Frau an seiner Seite ernst und angestrengt ehrlicher Arbeit lebte. Freilich war die Arbeit an den Schreibtischen und Zahlpulten nicht sein Geschmack und auch Wohl nicht seine Stärke — aber WaS half daS? Die Arbeit, die er ver standen und geliebt hatte, konnte und wollte er nicht wieder aufnehmen; so ward es gleichgiltig, welche Arbeit er that, wenn er sie nur leisten konnte. Oftmals erinnerte er sich jetzt an Bergmann'« Zauber formel. „Nichts für mich!" und versuchte ihre gebeimnißvolle Beruhigung auch für sich zu finden und davon so „edel, hilfreich und gut" zu werden, wie Bergmann eS ge worden war. E- war dunkel geworden; Helmuth, der nicht allzu gute Augen batte, fühlte ein leises Brennen darin und mußte die Arbeit für heute aufgeben. „Ich begreife eigentlich nicht, "daß Du mit diesem Roman nicht zufrieden bist. Ich muß gestehen, daß ich ihn sogar sehr interessant finde!" „Wahrhaftig? Sollte ick mich denn irren?" fragte Iakoba zögernd. „Sollte man wirklich Interesse erregen für einen unS so unsympathischen Stoff, der außerdem schon hundert Mal auSgevrrßt wurde? ES wäre eine zu un günstige Zeit, als ich mich daran machte. Sonst hatte ich nie nach einem Thema gesucht, eS war immer von selbst ge kommen, batte mich gepackt und hingerissen, ich mußte e- auS- sühren." „Und doch", sagte Helmutb sinnend, „haben Deine beiden letzten Arbeiten, die Du doch gewiß mit Begeisterung schriebst, keinen rechten Widerhall im Publicum oder bei den Redaktionen gefunden." „Ja, eS ist sonderbar, aber wenn Du recht haben solltest und gerade diese Arbeit gefällt wider Erwarten — was Gott geben wolle! — dann wüßte ich kaum, wo de« Räthsel« Lösung zu finden sei, denn ein alte« Wort sagt ja schon: Nur, wa« von Herzen kommt, geht auch zu Herzen." „Sag' daS nicht, Geliebte. Nicht immer ist eS so. Denke an große Schauspieler z B., die un« in tiefster Seele er schütter«, ohne selbst erschüttert zu sein, die Wort und Geberde nur künstlerisch abwägen und studirt haben! Ich glaube viel mehr, daß Deine früheren Arbeiten fast zu subjectw gehalten waren, daß Dein eigenes Leben, Deine eigene innere Persön lichkeit Dir jene Begeisterung gaben, dir Dich so freudig machte, und daß diese Arbeit vielleicht mehr objektiv gehalten ist — ich möchte sagen: selbstloser empfunden. Aber ich bin Wohl sehr unbescheiden, eine solche Kritik aus zuüben und —" „Im Gegentheil, mein Glück. Ich glaube, daß Dein feines Gefühl, das da ganz unparteiisch urtheilt, richtig geht." „Aber komm, Liebling", sagte er aufstehend, „Du weißt ja, der Later liebt eS, wenn wir die Dämmerstunde mit ihm verplaudern." Der Oberst hatte sich übrigens nach dem Rathe jenes Verlegers wieder a» seine Arbeit gemacht, und Iakoba hatte dem Vater dabei Hilfe leisten können. Abends las er dann den Kindern die einzelnen Aufsätze vor. Namentlich Helmuth war ganz entzückt davon. Als er jetzt mit Iakoba inS Wohnzimmer trat, saß der Vater wie gewöhnlich in der Sopbaecke und der glühendrotbe Punct seiner Pfeife schimmerte hell durch die Dämmerung. Fox lag zusammengeringrlt auf seinem Schooße, Maria- Margarethe saß am Fenster und strickte, während sie auf das Heraufsteigen de« Monde« wartete, dessen weißer Licht schimmer schon am First deS gegenüberliegenden Dache« sicht bar wurde. Iakoba batte sich gerade auf ihren gewöhnlichen Platz in der Sophaecke neben den Vater geschmiegt, als die Klingel gezogen wurde. Das war wirklich eine Seltenheit. Man empfing hier wenig Besuch. Maria-Margarethe ließ ihr Strickzeug sinken, denn eS war Bergmann - Stimme, die sich hören ließ. Auch Iakoba und Helmuth blickten gespannt nach der Thür, denn Berg mann kam nur in ihren Angelegenheiten, wenn er nicht direct eingeladen war. Maria-Margaretbe zündete rasch die Lampe an. Berg mann folgte GustenS Anmeldung und trat «in. Nach kurzer Begrüßung zog er seine Brieftasche heraus, entnabm ihr einen Zeitung«auSschnitt und reichte ihn lächelnd Helmuth. „Ich denke, da- wäre etwa« für Sie, Herr von Andor. Rasch griff Helmuth nach dem Papier, und Iakoba sah ihm über die Schulter. „Da« ist ja geradezu wunderbar!" sagte Helmuth, „da« deckt sich ja so genau mit dem, wa« ich bieten kann, al« hätten die Betreffenden gerade mich im Auge gehabt." „Zu schön wäre r«", seufzte Iakoba, „zu schön, erade aü^ unS die Wabl enschen aiebt eS, auf welche gerade diese Ann»nce paßt, wie für sie geschrieben! lzte ^akova, „zu schon, als daß fallen sollte. Wie viele, viele Zelmuth", baten Vater und Helmutb senkte die Stirn. „Du hast recht. Wir wollen daS Hoffnungsfähnlein noch nicht flattern lassen." „Aber so Ues doch vor, He Schwester dringend. Und Helmutb laS: „Gesucht für ein umfangreiche« Etab lissement in einem österreichischen Badeort ein repräi'entation«- fäbiger, umsichtiger Leiter zui» sofortigen oder baldigen Antritt. Gebalt nach Uebereinkunft. Freie Wohnung. Ehe malige preußische Officiere, die verheirathet und von Adel sind, bevorzugt. Gefällige Offerten unter 2. 100." „Allerdings. DaS wäre etwas für Dich, mein Junge. Vielleicht so eine Art Badedirector, scheint mir. Officiere bevorzugt — wahrscheinlich wegen Ordnung, Zuverlässigkeit, gesellschaftlich maßgebender Formen rc. Wirklich fast zu voll kommen, als daß inan den Muth hätte, zu hoffen", sagte der Oberst. „Ich werde jedenfalls sofort schreiben und mich melden. Haben Sie tausend Dank, Herr Doctor." Bergmann lehnte die Einladung, zum Thee zu bleiben, dankend ab. Sein jüngste- Töchlerchen sei wieder recht elend. DaS Kind habe sich über den Abgang seiner langjährigen Wärterin, welche sich verheirathet habe, so aufgeregt, daß eS schon mehrere Abende fiebere und deS Nacht« nur schlafe, wenn der Vater sein Händchen halte. DaS neue Mädchen dürfe sich gar nicht blicken lassen, dann weine da« Kind zum Herzbrechen nach der andern, die allerding« auch sehr gut verstanden habe, mit kranke» Kindern umzugrhea. Jetzt müsse der schon sehr betagte Hausarzt fast täglich kommen, wa« dem alten Herrn de« Treppensteigen« wegen nicht mehr recht bequem wäre. „Und Sie wollen ihm au« Pietät keinen jüngeren College» vorziehen?" fragte der Oberst. „DaS weniger. Wo e« sich um andre Mensche« handelt, und gar um die eignen Kinder, darf man wohl au« Pietät nickt gegen seine Ueberzeugung rücksichtsvoll sein, aber der SanitätSratb kannte meine Frau schon al« Mädchen, bat sie immer behandelt, kennt meine sämnitlichen Kinder und deren Natur, in die sich ein fremder Arzt erst hinein hören und leben müßte." „Ich glaub« doch", sagte Maria-Margarethe leise, „daß vielleicht gerade ein jüngerer, mit der Zeit »nd der so sehr der Autorität de- Herrn SanitätSrath Müller andeutev
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