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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.12.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-12-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951207027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895120702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895120702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-12
- Tag1895-12-07
- Monat1895-12
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Berlin, den 4. December 1895. Der Reichskanzler. In Vertretung: v. Boetticher. Vie Fluchl Said Paschas. -<» Wenn etwa« geeignet ist, die Unaufrichtigkeit und Hinter hältigkeit der Politik der Pforte und des Sultans selbst i» das grellste Licht zu rücken, so ist eS die Flu cht Sa id Pascha's nach der englischen Botschaft, welche der frühere Groß vezier aussuchte, um dem Schicksal Kiamil Paschas zu ent gehen, der nur schnellster Flucht eS zu verdanken hatte, daß er nach einer Unterredung mit dem Sultan lebend anS dem d)ildiz Kiosk entkam. Als England, Rußland und Frankreich auf die Annahme ihrer im Memorandum vom ll. Mai ent haltenen Reformvorschläge drängten, ernannte der Sultan im Juni d. I. den greisen Said Pascha zum Großoezier; allein schon nach drei Monaten mußte derselbe wieder gehen, um Kiamil Pascha Platz zu machen. Nach vier Wochen siel dieser in Ungnade, weil er eine Einschränkung der verderblichen Palastwirthschaft und einen größeren Ein fluß für die verantwortlichen Rathgeber des Sultans, d. h. für das Ministerium, verlangte. Da der »kleine" Saiv ähn lichen Ansichten huldigt, ist er dem Padischah im höchsten Grade verdächtig, der jetzt wieder sehr zuversichtlich in die Zukunft zu schauen scheint, nachdem er sich davon über zeugt hat, daß die Einigkeit der Mächte nur darin besteht, nichts zu thun. Den Weg zum Sultan, um verlangre Rathschläge zu ertheilen, hat Said Pascha seit seiner plötzlichen Entlastung oftmals zurückgelegt, und er wäre diesen Weg auch ferner gewandelt, wenn ihm nicht die genaue Erkenntoiß gekommen wäre, er sei gewaltsamem Tode geweiht, sobald er, wie der Sultan verlangt hatte, nach Aildiz übersiedele. Wer wird es von türkischen Würden trägern ferner noch wagen, seiner ehrlichen Ueber- zeugung Ausdruck zu geben und eine Meinung zu äußern, die sich nicht mit der vorgefaßten Ansicht des Sultans deckt, die diesem vielleicht der Eunuchenchef oder ein Anderer der Palastcliqne eingeblascn hat? Wir haben schon wiederholt darauf aufmerksam gemacht, daß die zwischen den Sultan und seine» Ministern sich einschiebenden Einflüsse der Palqstcamarilla e« seien, von denen auch nach Einleitung der PacisicirungSaction Gefahren drohten, welche im Stande seien, der Krisis doch noch eine schlimme Wendung zu geben. Hatte es eine Zeit lang geschienen, als ob der Sultan im Interesse der Seibst- erhaltung nicht bloS die Flammen der Revolution ersticken, sondern auch dem Wiederausbruch derselben durch thatsächUche Durchführung der versprochenen Reformen Vorbeugen wollte, so tritt e« jetzt offen zu Tage, daß er nur zu dem Einen entschlossen gewesen ist, nämlich: den Aufstand, soweit möglich, nieker- zuschlagen, damit Zeit zu gewinnen und die Mächte mittler weile in Zwiespalt zu bringen, um c« im Uebriaen bei der bisherigen corrupten BerwaltungSwirthschaft zu lasten. Hätte Abdul-Hamid wirklich die ehrliche Absicht, sein Wort einrnlvsen und gründlich Wandel zu schaffen, so brauchten nicht die jenigen seiner Rathgeber, welche von der Notbwendigkrit einer Reformation an Haupt und Gliedern überzeugt sind, aus seiner Nähe zu fliehen und den Schutz fremder Botschafter zu erflehen. Daß der Sultan das Selbstmörderische seiner kurz- sichtigen, verblendeten Politik nicht einsiebt — wenn nicht diese, so wird doch die nächste Revolution seinen Thron aller Wahrscheinlichkeit nach stürzen —, ist daS Tragische in der Entwickelung der orientalischen Dinge. — Ueber das sensa tionelle Ereigniß der Flucht Said's gehen uns heute snoch folgende Nachrichten zu: * Konstantinopel, 5. December. (Meldung des Reuter'ichen Bureau'S.) Ueber die Angelegenheit, betreffend den früheren Groß. Vezier Said Pascha, verlautet, daß sich derselbe Mittwoch Abend in Begleitung seines 12jährigen Sobnes zu dem britischen Bot schafter Currie begab und ihn um ein Asyl bat, das ihm Currie sofort gewährte. Wie versichert wird, wollte der Sultan, daß Said Pascha in einem Chalet des Uildiz - Parkes Wohnung nehme, das früher Midhat Pascha inne hatte; allein Said-Pascha, der die Bedeutung einer derartigen Ein ladung kannte, weigerte sich dessen. Es ist auch bekannt, daß der Sultan seit einiger Zeit Said Pascha zur Wieder- übernahme des Großvezicrates zu veranlassen suchte, daß aber Said Pascha sich, so tauge keine Aenderung des gegenwärtigen Zustandes der Regierung eintrete, unveränderlich dagegen sträubte. Während dieser Bemühungen behielt der Sultan Saiv Pascha einmal lange im Palais; es mochte scheinen, daß er ihn als Gefangenen im BUdiz Kiosk behalten wolle. Es ist zweifellos, daß Said Pascha ernste Beweggründe zu dem von ihm gefaßten Ent schlüsse hatte. — Der Vorgang macht in Konstanlinopel einen tiefen Eindruck: man ist allgemein der Meinung, Laß das Ereigniß zu einem Wendepunkt in der Geschichte der Türkei werden könne. Als der Sultan von der Sache Mittheilung erhielt, wurde er zornig und machte mehrere vergebliche Versuche, Said zur Rückkehr nach seiner Behausung zu bewegen. Daraufhin begaben sich der Minister des Auswärtigen Tewfik Pascha und der frühere Minister des Aus wärtigen und gegenwärtige Vorsitzende des Staatsraths Said Pascha in vergangener Nacht um l'/z Uhr nach der englischen Botschaft. Der Botschafter Eurrle schlief bereits. Die beiden Paschas suchten Said auf und hatten mit ihm eine lange Unterredung; sie machten ihn allerlei Versprechungen im Namen des Sultans und suchten ihm zur Rückkehr in feine Wohnung zu bestimmen; es würde ihm nichts Uebles widerfahren. Said Pascha blieb jedoch un erschütterlich bei seiner Weigerung, die Botschaft zu verlassen. Heute Vormittag machte Tewfik Pascha dem englischen Botschafter einen Besuch und ersuchte denselben, auf Said Pascha cinzuwirken. Currie erwiderte, da Said al« Schutzsuchender zu ihm gekommen sei, könne er dem Wunsch nicht willfahren. Später kam Tahisin Bey, der erste Secretair des Sultans, nach der englischen Botschaft und blieb zwei Stunden bei Said Pascha, ohne denselben jedoch zum Verlassen der Botschaft bewegen zu können. — Die Botschafter sind bei dem französischen Botschafter Cambon zur Berathung über die Lage zusammengekommen. * Wik«, 6. December. Die „Politische Correspondenz" meldet au« konftantinopel: Der Zwischenfall Said Pascha ruft große« Aufsehen und in diplomatischen Areisen tiefes Be- dauern hervor «egen der auffallenden Analogie der denselben veranlassenden und begleitenden Umstände mit den Affairen Khiamil Pascha und Riza Pascha. Said Pascha empfängt in der englischen Botschaft viele Abgesandte hoher Persönlichkeiten. * London. 7. December. (Telegramm.) Wie der „Daily News" a»s Konstantinopel mitgetheilt wird, warf der Sultan angeblich Said Pascha vor, er sei das Haupt der revo lutionären Bewegung. Daß der Sultan Alle« aufbietet, um Said Pascha zuin Verlassen der englischen Botschaft zu vermögen, zeigt, wie sehr er über den außerordentlich schlechten Eindruck, welchen vaS Vorkommniß macht erschrocken ist. Wenn man in Konstantinopel allgemein der Ansicht ist, daß das Ereigniß einen „Wendepunkt in der Geschichte der Türkei" bedeute, so dürfte diese Befürchtung über das Ziel hinauSsch»eßen oder dock zu verfrühtem Ausdruck gelangt sein. Eins aber wird die Flucht Saiv'S hoffentlich im Gefolge haben: näm lich das Ausbören des unwürdigen Eiertanzes der Botschafter der europäischen Großmächte am goldenen Horn in Sachen ver zweiten Stationsschlffe. Jetzt ist Zeit und Gelegenheit zur Stellung eines Ultimatums iu dieser Frage. Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. December. Von den im Reichstag bereits eingebrachten zahlreichen Initiativanträgen, die nach der in der vorigen Session beschlossenen Abänderung der Geschäftsordnung als gleichzeitig eingebrackt gelten und an den Mittwochen in derjenigen Reihenfolge zur Berathung kommen, die den Fractionen als die zweckmäßigste erscheint, wird voraussichtlich der etwas abgcänderle Antrag Kanitz als einer der ersten das Haus beschäftigen. Die bedeutsamste Veränderung, welche die ursprüngliche Formulirung bei der neuen Fassung erfahren hak, besteht in der Beschränkung der Giltig keit des verlangten Gesetzentwurfs auf „Pie Dauer der bestehenden Handelsverträge". In der Be- gründung, welche dem Antrag beigcgeben ist, sucht man ver gebens nach einer solchen für diese von dem Abg. v. Kardorff in den Antrag gebrachte Klausel. Ihr Sinn kann nur sein, daß der Antrag Kanitz als ein Nothbehelf während des Bestehens der vom deutschen Reiche mit anderen Staaten vereinbarten Tarifverträge gelten und daß daS Ziel, welches er verfolgt, nach Ablauf dieser Verträge auf einem anderen Wege erreicht werden soll. Dieser offen ausgesprochene provisorische Charakter des Antrags Kanitz kennzeichnet bester, als alles Andere, den Geist, aus welchem er hervvrgeht. Um für acht Jahre den Wille» der Führer ver agrarischen Bewegung zu erfüllen — die Mehrheit ver deutschen Landwirthe ist bekanntlich nicht für den Antrag —, soll eine nie erhörte, in ihren Folgen gänzlich unberechenbare und auch von ihren Befürwortern nicht berechnete Um wälzung des gesammten Getreidrverkehrs eingeleitet werden, mit der Aussicht, daß nach Ablauf dieser Frist alle Einrich tungen, die auf dem Boden des Antrags Kanitz geschaffen sind, wieder über den Haufen geworfen werden. Oder steckt noch etwas Anderes in der Karvorff'schen Klausel? Dir Deutung, sie zeige an, daß nach Ablauf der Handelsverträge der Zweck des Antrags Kanitz auf dem Wege der Erhöhung der Getreidezölle erreicht werden solle, steht im Widerspruch mit der geringschätzenden Art, mit welcher der Autor de« Antrags sich über die Getreidezölle im Allgemeinen geäußert hat. In der Rede, welche Graf Kanitz zur Begründung seines Antrags in der vorigen Session im Reichstag hielt, erklärte er ausdrücklich, die bisherigen Mittel der Staats kunst und Zollpolitik hätten sich der Maffenerzeugung der lanbmirthschaftlichen Produkte gegenüber al« unwirksam erwiesen. Der Schutzzoll sunclionire nicht mehr, es müßten neue Schutzmittel ausfindig gemacht werden, um die Lanv- wirthschaft zu erhalten. Graf Kanitz erklärte sich sowohl gegen feste Getreidezölle, wie argen eine bewegliche Scala der selben. Nun sind wir der Meinung, daß die Befristung der Emfuhrverstaatlichung und die übrigen neuerdings an dem Antrag vorgenommenen Aenderungen nichts weiter al« die Maskirung deS thatsächlichen Verzichts aus da« ganze Projrci bedeuten. Seine Urheber bestreiten die« aber natürlich und müssen sich deshalb gefallen lassen, daß man ihren Absichten auch unter der Voraussetzung, daß ver Antrag noch recht ernst gemeint sei, nachgeht. Angesicht« der Verurtheilung der Schutzzölle durch den Grasen Kanitz kann dabei nichts Anderes angenommen werden, als daß der letzte Zweck die Verstaatlichung des gesammten Getreidehandels ist, ein Zweck, der erreicht werden soll durch die Vernichtung deS privaten GetreibehandelS, wie sie durch die Ver wirklichung des Antrages Kanitz herbeigesührt würde. E« wird sich empfehlen, im Reichstag der Karvorff'schen Klausel etwas mehr Beachtung zu schenken, als sie in der Begründung des Antrags Kanitz von den Antragstellern gefunden hat. Ueber den Rücktritt des Herrn ». Söller hat da« Organ des Bundes der Landwirthe, di« „Deutsch« TageSztg ", ganz eigene Ansichten, oder giebt wenigsten« an, sie zu haben. Das Blatt schreibt nämlich, wenn Herr v. KöUer, was jetzt feststehe, sein Entlassungsgesuch eingereicht Hab«, so sei eS auS schwerwiegenden Gründen geschehen, jedenfalls weil er als deutscher Mann von gefesteter Ueber- zeugung eine nach seiner Meinung falsche Politik nicht mehr mitmachen zu können glaubte. Sicherlich habe ihn nicht der Fall Delbrück oder das Vorgehen gegen die Socialveuiokratie zum Einreichen deS Abschieds bestimmt. Der Wahrheit kämen Diejenigen am nächsten, die die Ver- mnthung ausgesprochen hatten, daß Herr v. Koller sich zu dem Schritt veranlaßt gefühlt habe, weil die „Manchester lichen Anschauungen" in der Mehrheit der Regierung ihm ein Zusammenwirken mit dieser Mehrheit unfruchtbar erscheinen ließen. Der Fall Koller wird also von dem agrarischen Blatte m ganz ähnlicher Weise wie von der social- demokratischen Presse zu Agitationszwecken auS- gebeutet. Der einzige Unterschied zwischen der „D. TageSztg." und dem „Vorwärts" ist der, daß da- erster« Blatt leine Anhänger gegen die in ihren Aemtern verbleibenden College« des Herrn von Köller zu verh etzen sucdt, während der „social- demokratische Moniteur" den „Genoffen" vorredet, der Rück tritt dieses Ministers bedeute einen Sieg derjenigen Richtung im preußischen Staalsministerium, die ein energisches Vorgehen gegen die Socialvemokratie mißbillige, und also gewiffermaßcn einen Sieg der Socialdemokratie selbst. Je länger die Entscheidung über den Nachfolger des Herrn v. Köller sich hinzieht, uni so wirkungsvoller werden natürlich diese Agitalionsversuche sein. Wenn nun auch die KrisiS zu Beginn der Reichstags- session nicht zu vermeiden war, so hätte doch wohl ein Hinausdringen der Nackricht in die Öffentlichkeit so lange vermieden werden können, bis die Nachfolger frage zur Entscheidung gebracht war. Jedenfalls liegt es ebensowenig im Interesse der preußischen Regierung wie in dem des Reiches, wenn der gegenwärtige Zustand der Un sicherheit noch verschärft wird durch eine latente Krisis, die allen möglichen Combinationen und Agitationen Thür und Thor öffnet. Nach den eben vollzogenen Neuwahlen haben sich im böhmischen Landtag, der wichtigsten Landesvertretung CiSleithanienS, die Verhältnisse stark geändert. Wieder taucht die Frage de- böhmischen Ausgleich« auf, die seit den letzten AuSgleichS-Bersuchen im Jabre 1890 scheinbar in den Hinter grund getreten war. Damals war ««die Jungtscheche n- parlei, welche den unter dem Regime Toast« ohne FririHatsir. Der Kampf Hns Dasein. 33j Roman von A. von GrrSdorff . rtachdnick «erbäte». (Fortsetzung.) „Also da« war der Grund der Entlastung?" rief Helmuth, „nun, da« war doch ein sehr begreiflicher und richtiger Grund I" „Allerdings. So etwa« kann passiven, eö darf nur nicht passiven." „Und Du würdest gern wieder in der Expedition ar beiten?" fragte Jakoba ihren Mann. „Wie unendlich gern!" Und er umschlang seine Frau zur innigen Freude Schmidt'«, der seinen Gang reichlich belohnt fühlte durch die Freude, die er guten, strebsamen Menschen bereiten konnte. ,. Er mochte Beide sehr gern. Wie furchtbar hatte er sich geärgert über die flüchtige, fehlerhaft« Rechnerei, die er Helmuth zuschrieb! Wenn Einer schlechte Arbeit machte, dann konnte man ihm natürlich nicht helfen. Lieber Himmel, e« gab genug Leute, di« gute lnachten und doch keinen Absatz fanden. Er war geradezu witthenv auf Helmuth gewesen. Wie innig bat er ihm «De jetzt ab! Wie freute er sich, aut zu machen, ihm un^ihr nützen zu können „Und nun kommen Sie zu un«, liebster Freund", bat Jakoba. von deren Stirn bei den Worten ihre« Manne« die letzten Wolken schwanden, „nun müssen Sie die große Freud«, die Sie un« gebracht haven, auch mit un« Allen theilen — eine Ablebnung ist undenkbar!" „Ja wirklich", schloß sich Helmuth herzlich an, „Sie müssen ein GlaS mit uns trinken auf daS Wohl de« Brautpaare« und Ihr eignes, lieber Herr Doelorl" „Kinder", sagte Schmidt, ernsthaft di« Hände faltend, „e« ist schön von Euch, daß Ihr mich so bittet. Ich habe von Anfang an die feste Absicht gehabt, hier zu bleiben, selbst wem, Ihr mich ebenso herzlich gebeten hättet, -doch endlich zu gehen. Ich roch nämlich — Spickaal." Und nun traten sie mit schm in« Wohnzimmer zu den erstaunt anfsehenden Anderen. » » r Krrimütbig erklärt« Helmuth- den Grund von Schmidt'« Kommen und erregt« allgemeine Kpmde. Der Oberst strahlte und sein Händedruck für Schmidt war so sich, daH Hessen feine Finger die Herzlichkeit des alten Herrn heinahe schmerz- ich empfanden. Dann wurde ihm fröhlich Platz gemacht an der kleinen Tafelrunde. Der Oberst ließ rasch die Reserve- laschen au« dem Eiöschrank holen, und Spickaal fand sich noch so reichlich vor, daß eine Familie davon hätte leidlick satt werden können. Schmidt wurde indessen allein damit fertig. So saß man noch lange in jetzt ungetrübter Heiterkeit beisammen. Es ging auf Mitternacht. Man dachte noch gar nicht daran, sich zu trennen. Schmidt'S köstlicher Humor, der Keinen verschonte und Keinen verletzte, sein urfidele« Grübchengesicht versetzte Alle in Behagen und Heiterkeit. Plötzlich erhob sich Schmidt und schlug an sein Gla«. „Ich will keine Rede halten, meine Herren und Damen, gewiß nickt. Ick hätte nur beinahe etwas vergessen zu erzählen, was die geehrten Anwesenden jedenfalls sehr ipteressiren wird. Bei unserer schönen und verehrten Freundin hier" — er verneigte sich gegen Jakoba — „hin ich nach ihrer gütigen Versicherung deS Interesse« sicher, selbst wenn ich de« Nachts um 12 Uhr an ihrer Thüre pochen sollte, um ihr etwa zu erzählen, daß ick noch immer meinen alten Hut trage und meinen alten Kopf darunter. Da r« nun soeben Mitternacht schlägt — er hatte so lange gewartet, bis der Zeiger auf dem Regulator Mitter nacht wie« und der volle Schlag ertönte — „da es nun eben Mitternacht schlägt, erlaube ich mir von der Erlaubniß Gebrauch zu machen, in Ermangelung der Thür klopfe ich an mein Champagnerglas und leere es auf den besten Roman, der je meinem alten Kopf Stunden wahrer Befriedigung verschafft hat und den ich heute anzunehmen dir Ebre und da« Ver gnügen hatte. Fräulein R»valla" — im freudigen Uebereifer nannte er sie bei ihrem Schriftstellernamen — ,^)hre Arbeit gefällt mir. Sie werden doch noch berühmt werden — natürlich, wie alle Schriftsteller, auch durch Ihre Fehler berühmt. Wie mancher Ihrer handwerkenden Collegen aber, der seine abgeleckten Oeldrnckstücke Jahr auS Jabr ei» in gleicher Güte auf den Markt wirft, wipd gern Ihre Ent täuschungen, Fehler und naturgemäßen Mißerfolge mit- nehmen, wenn er dafür nur rin solche» Buch schreiben könnte! Hgben Sie die Gewogenheit, mir Ihre Houorqransprüche mitzntheilen. viril" Die Gäste waren fort. Die Familie allein. Noch wirbelte alle« Erfahrene seltsam btzyt m ihren Herzen durcheinander. / t . , ? - - Kaum konnten sie Alle recht fassen, daß nun wirklich die Noth und Sorge von ihnen genommen sei, daß sie aufathmen durften. Ganz strahlend waren die Schwägerinnen beschäftigt, rasch die gewöbnliche Ordnung in der Wohnung wieder her zustellen, und eilten immerzu plaudernd hinaus und wieder hinein. Jakoba konnte da- plötzlich so reich, so doppelt schon gekommene Glück kqum fassen. Ihre« Gatten Wieder anstellung, die Annahme ihres BuckeS, auf die sie, müde und mattherzig geworden von allen Enttäuschungen, kaum irgend welche Hoffnungen gesetzt batte, am eigenen Können mehr, als je im Anfang ihrer Tbätigkeit, zweifelnd. Immer wieder hielt sie in ihrer häuslichen Beschäftigung inne und alle mögliche» ffchönen ZukunftSpläne gaukelten vor ihren träumerischen Augen. Morgen, morgen mußt« Alles in Ruhe und Ordnung überlegt werden. Ach, wenn eS doch erst morgen wäre! Helmuth hatte ein Fenster geöffnet, um den Dampf der Cigarren hinaus zu lassen, und war daran stehen geblieben. Die Nacht war still geworden, der Sturm hatte sick ge legt. Der Vater hatte seinen ihm schon seit Jahren etwa« eng gewordenen schwarzen Rock in feinem Zimmer abgelegt und kam jetzt noch einmal in seinem allen braunen HauSrock herein, um seinen Kindern Gute Nacht zu wünschen. Ach, wie schön hoffte er heut zu schlafen! Der Himmel hatte sich auch für ihn gelichtet. Er sah seinen Sohn abgewendet am Fenster stehen und sein Blick ruhte einen Moment wie fragend auf dem feinen, scharfen Profil. Was war da«? Wa« ließ, leicht wie rin Nebel, sich plötzlich über dje heiteren Aug«n de« alten Manne« legen? „Ja ja", dachte er, „sollt' mich auch Wundern! Kann mir« denken — ungefähr denken." Er trat neben ihn und sab gleich- ihm ernst zu der feier lichen Majestät diese- leuchtenden Nachthimmel« auf. „Du kannst nicht ganz glücklich mit un« fein, mein Kind?" fragte er leise. „Mit Euch? Tbeure, — gewiß! Außerordentlich glück lich mit Euch, für Euch ff' war di« l«is« Antwort. „Ganz reckt. Für un», mit un«. Aber für Dich.—?" „Für mich? Ich kang auch für mich nur sehr zufrieden, sehr dankbar sein, daß ich endlich, endlich pn«d,r Arbeit Hab«!" „Hm — ja. aber diese, «klsveit, diese Dhätiglliit an sich befriedigt Dich nicht so recht — freut Dich nicht — wie die Arbeit eigentlich soll, wenn man sie recht machen will — „Mein Vater — ich war Soldat bis vor Kurzem! Soldat mit Leib und Seele!" klang eS erstickt. Er senkte den Kopf. „Und Du kannst nicht hoffen, daß diese neue Arbeit D>cki mit der Zeit interessiren. Dir mit der Zeit lieb werden wird?" „Ich kann eS nicht hoffen. Aber daü zu Dir allein, zu Dir im Vertrauen. Niemals darf meine Frau ahnen —" „Deine Frau ist sehr hellseherisch, wa« Dich betrifft. Du stellst Dir eine Riesenaüsgabe, mein Sohn. Geb« Gott, Paß die Kraft Deiner Selbstoeberrschung ausreichtk" „WaS sollt» wohl werden, wenn sie nicht reichte!? Jakoba würde unglücklich werden.an meiner Seite. Und dann. Vater, — werde ich eine starke Hilfe mit der Zeit haben, die Hilfe, welche jedwedem Frohnaroeiter, jedwede«» Sclavcn sogar seine Arbeit, die ungeliebte, unfreiwillige erträglich macht und vielleicht sogar lieb mit der Zeit: die Gewohnheit. Ich theile nur das LooS vieler festerer Menscheu? Der Oberst nickte «in paar Mal still vor sich hin. „Um so größer, um so reicher", fubr Helmuth fort, „ist aber mein Glück daheim. Um so Heller leuchtet mir die Herdflamme, wenn ick draußen meine Pflicht zu meinem Amte zu thkn habe. Gaur und vollkommen ist ja'nicht« aus Erden — kein Mensckenvasein ist schattenfrri. G«t Loh, daß «tz keinen tikfepen Sckatten hat als den, daß ich Zieber eine frischere, freier«, selbstständigere Thäligkert battd, wo ick mein — nun", fügt» sr läckelnv Lei, „sagen wir 'mal, mein Hexrsch«rtalent verwerthen könnte!" „Begreife ick recht Wohl. Na, gute Nacht, mein Junge, schade nur, daß es mit der Stellung da zn Hran«n«burg solch' einen bösen Haken hatte. Pas wäre »twas für Dick gewesen. Gott sei mit Dir au§ D««n«m Weg«!" rs. / Auch in Torkitteu brauste der Herbstfturv und riß die welken Blätter von dev Bäumen. Und auch ein welke« Blatt, da« schon längst vexdcrrt uud zitternd am ßebrnsbaume gc hangen, hatte er mit hinabgefegt in den St«ub, au« dem eS gemacht war. ' D«r kranke Herr war ziw Ruh« gebettet? auf dem Kamitien- ki«chb»je der Rastski«. . . ^ ; Jff dem großen, alten Haus« herrscht« Kälte, Stillt und Dunkelheit. Die Fenster waren auf, der Sturm spielt« mit den langen wtißen Vorhängen und de» dunkle» Gardimn über
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