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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.12.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-12-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951209025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895120902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895120902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-12
- Tag1895-12-09
- Monat1895-12
- Jahr1895
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Tabellarischer und Ziffern? nach höherem Tarif. kxtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mrt Postbesörderung >4 70. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Margen-AuSgabe: Nachmittag- 4Uhr. Für die Montag-Morgen-Ausgabe: Sonnabend Mittag. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anreise« stad stet» an di- Expedition zu richten. Druck nnd «erlag von E. Polz in Leipzig. 599. Montag den 9. December 1895. 89. Jahrgang. AmMche Bekanntmachungen. Wahl von Kirchenvorftehern für die Aicolaigemeinde. In Gemäßheit tz. 17 der Kirchenvorstaudsordnung vom 30. Märzl 868 scheiden au» dem Kirchenvorsiand zu St. Nicolai mit dem Ende diese» Jadre» die Herren Schulrath Vr. Hempel, Geheimer Rath Professor 0. Luthardt, Maurermstr. M. Miersch, vr. moä. Nakonz, Justizrath vr. Röntsch, Seilermeister Trümper-Bödemann aus. Dieselben sind jedoch wieder wählbar. Auch ist die Stelle deS von Leipzig verzogenen Herrn Postdirectors Vodel zu besetzen. Die Wahl ist aus Montag, den 16. Dkkbr. d. I., angesetzt und wird in der Sakristei der ditcolatkirchc von Vormittags 10 Uhr bi» Nachmittags 4 Uhr (ohne Unterbrechung) stattfinden. Für die Wahl ist zu beachren: 1) Stimmberechtigt sind nur die auf Grund der Anmeldung in die Wählerliste ausgenommenen Gemeindeglieder. 2) Die Wahl hat durch persönliche Abgabe eines Stimmzettels zn erfolgen. Jeder Wähler laun sein Wahlrecht nur in eigener Person ausüben. 8) Jeder Wähler hat auf seinem Stimmzettel 7 Gemeinde- glteder» und nicht mehr, welche dem Kirchspiel zu St. Nicolai augehörrn und mindestens 30 Jahre alt sind, nach Tauf-und Familiennamen, Stand und Beruf genau zu bezeichnen. Wir fordern hiermit die Gemeindeglieder aus, Montag, den 16. December d. 2-, ihr kirchliche- Wahlrecht auszuiiben und dabei ihr Augenmerk auf „Männer von gutem Rufe, bewährten, christlichen Sinn, kirchlicher Einsicht nnd Erfahrung" (K.-V.-O. g. 8) zu richten. Leipzig, am 8. December 1895. Der Kirchenvorstand zu St. Nicolai. v. Hölscher. Zur Lage in der Türkei. —p. Die Meldungen aus der Türkei drehen sich auch heute »och hauptsächlich um Said Pascha« Flucht in die eng lische Botschaft, dir einen tiefen, nachhaltigen Eindruck selbst in »«manischen Kreisen hinterlafsen hat. Die Bemühungen der Pforte, Said zum Verlassen seine« Asyl« zu vermögen, find bi- jetzt fruchtlos gewesen. Ueber diese Angelegenheit liegen un« folgende Meldungen vor: * London, 8. December. Dem „Reuter'schen Bureau" wird au« Konstantinopel vom 6. d. M. gemeldet: Said Pascha befindet sich noch in der englischen Botschaft. Zwei Abgesandte des Sultan« begaben sich gestern zu ihm, um ihn zu ersuchen, in seine Wohnung zurückzukehren. Said Pascha bestand aber auf seiner Weigerung, weil er den Versprechungen, welche ihm gemacht wurden, nicht glaubt; Said scheint das Land verlassen zu wollen. Auf jeden Fall wird er die englische Botschaft ohne eine Garantie der Mächte nicht verlassen. In einer gestern statt- gehabten Zusammenkunft der Botschafter wurde die Handlungsweise de« englischen Botschafters Currir, Said Zuflucht zu gewähren, ge> billigt; auch die Muselmänner sprechen sich lobend über die Handlungsweise Currie'» aus. Alle Depeschen nach dem Au-lande, welche Mittheilungeu über die Flucht Said Paschas enthalte», werden unterdrückt. In der Umgebung der eng lische» Botschaft sind seit Mittwoch Polizeibeamte aufgestellt. Den Mitgliedern der Botschaft, welche sich auf der Straße sehen lassen, folgen Geheimpolizisten. In der vergangenen Nacht waren die englischen Kriegsschiffe „Lockatrice" und „Jmogene" vonBooten der türkischen Behörden umringt, weil man befürchtete» Said Pascha würde H»««»W! US,«- sich an Bord der Kriegsschiffe flüchten. Gegen Morgen entfernten sich die Boote von den Kriegsschiffen. Der englische Botschafter Turrie hat bei der Pforte energischen Widerspruch erhoben. * kanftantinopel, 8. December. In türkischen Kreisen wird versichert, Said Pascha habe nicht nur keine Verfolgung zu ge wärtigen, sondern der Sultan beabsichtige sogar, ihm einen Beweis seines höchsten Vertrauens durch neuerliche Berufung zum Grobvezier zu geben, jedenfalls ihm aber Sicherheit zu garautiren, sofern er zurückkehrt. Eine gleiche Mittheilung wurde auch den Botschaftern gemacht mit dein Ersuchen, sie zur Kenntniß Said Paschas zu bringen; Letzterer, welcher ins Ausland abzureisen gedenkt, lehnte dies Ersuchen ab. — Gerüchtweise verlautet von Kuudgebungeu, welche das türkische Comits gegen die Pforte ins Werk zu setzen gedenke. An die Versicherung des Sultans, er wolle Said zum Beweis seines höchsten Vertrauens wieder zum Großvezier ernennen, glaubt natürlich Niemand, vielmebr erhält sich die allgemein getbeilte Ueberzeugung, daß Said unschädlich gemacht werden sollte, weil man in ihm das Haupt der türkischen Reformpartei zu erblicken glaubt. Diese fürchtet man im Hildiz Kiosk offenbar und mit vollem Grunde mebr, als die armenische Reformbewegung. Im letzten Ministerrath wurde, wie uns gemeldet wird, außer der An gelegenbeit Said's auch der Erlaß eines Hals im Sinne allgemein verständlicher Reformen und einer Ruhe und Gleichberechtigung verkündenden Proclamation seitens deS Sultans berathen und empfohlen. Es wird der Meldung aber sogleich hinzugefügt, ob die Erlaffe that sächlich ergeben werden, kann mit Sicherheit nicht vorausgesagt werden. In jungtürkischen Kreisen ist man der Urberzeugung, daß eS über leere Versprechungen nicht hinauskommen wird, und das Gerücht, daß von dieser Seite eine Kundgebung gegen die Pforte zu erwarten sei, ist durchaus nickt unwahrscheinlich. Vielleicht ist in folgender, gestern aus London eingetroffenen Nachricht schon ein Bor spiel dieser Kungebung zu erblicken. Die sensationell Meldung lautet: DaS „Reuter'sche Bureau" meldet auS Konstantinopel unter dem 7. d. Mts.: Als der Sultan gestern nach dem Selamlik die Moschee verließ, gelang es einem Manne in türkischer Kleidung, welcher eine Bittschrift, in der Hand hielt, den Truvpen- cordon zu durchbrechen. Der Mann stürzte bis zum Wagen des Sultans vor; er wurde sofort verhaftet. Der Sultan war höchst erschreckt und wurde sehr bleich. Von dem Inhalt der Bittschrift ist nichts bekannt. Käme eS infolge neuerlicher Kundgebungen gegen die Pforte und den Sultan wieder zu Unruhen und zu Blut vergießen in Konstantinopel, so würden zweifellos die Schiffe der Großmächte am Goldenen Horn erscheinen und Truppen ans Land setzen, um den fremden Staatsangehörigen Schutz zu gewähren. Eine Londoner Meldung will schon wissen, daß englische Matrosen zum Schutze der englischen Botschaft in Kon stantinopel gelandet seien. DaS „Reuter'sche Bur." meint zwar, diese Nachricht könne nicht als ernsthaft angesehen werden, und wenn ja eine Landung stattgefunden habe, so sei sie zu einem anderen Zwecke erfolgt und hänge nicht mit der politischen Lage zusammen. Indessen läßt eS da« tbörichte Verhalten der türkischen Polizei, welche die englischen Kriegsschiffe mit Booten umringen ließen, um eine Flucht Said's ins Aus land zu verhindern, und die fortwährende Begleitung der Mitglieder der englischen Botschaft durch Geheimpolizisten, welche osficiell zum „Schutze" Jener erfolgt, nicht unmöglich erscheinen, daß die englischen Matrosen doch nicht lediglich zum Vergnügen oder zu einem sonstigen „unpolitischen" Zwecke gelandet sind. — WaS die Frage der zweiten Stations ich iffe betrifft, so gilt, wie uns unterm 8. December ge meldet wird, eine befriedigende endgiltige Entscheidung Dank dem vollständig einmüthigen Auftreten aller Botschafter als nahe bevorstehend. Unter den augenblicklichen Verhält nissen kann der Sultan sich der Genehmigung auch nicht änger entziehen. Politische Tagesschau. * Leipzig, S. December. Die Verzögerung, welche die Entscheidung in der „köller- krisiS" erfahren hat, giebt begreiflicherweise nicht nur den gewerbsmäßigen Fabrikanten sensationeller Nachrichten will kommenste Gelegenheit zur Entfaltung ihrer pbantasiereichen Thäligkeit, sondern beirrt auch sonst besonnene Blätter in der nüchternen Beurteilung der Sachlage. So schreibt die „Post" in ihrer Ausgabe vom Sonnabend: „In wohlunterrichteten polilischen Kreisen wurde heute ange nommen, daß der Urlaub des Minister- des Innern, Herrn v. Köller, dieser Tage beendet sein und die Geschäfte des Ministeriums von ihm wieder übernommen werden dürsten." Die „Nordd. Allgem. Ztg." glaubt diese „Nachricht", allerdings „ohne für deren Richtigkeit eine Gewähr über nehmen zu können", mittheilen zu sollen und die „Berl. N. Nachr." fügen ihr sogar hinzu: „Wir halten einen solchen AuSgang, soweit der Minister des Innern in Frage kommt, um so weniger für aus- eschlossen, als die Verabschiedung auf dem Bahnhof iriedrichslraße, bis wohin der Minister am Montag Morgen :e Majestät den Kaiser begleitet hatte, eine durchaus huldvolle gewesen sein soll." Nun scheint aber gerade durch diese Berufung auf die angebliche Verabschiedungsscene die Meldung bestätigt werden zu sollen, welche die „Staatsbürger-Ztg." über die äußeren Vorgänge bei der Beurlaubung des Herrn v. Köller bringt: „Am (vorigen) Sonntag hatte der Reichskanzler eine Anzahl College» in seinem Palais versammelt, um mit ihnen die Kötter srage zu besprechen. Da» Ergebniß der Berattmngen war ein Bericht an denKaiser, in dem die Entlassung Kötter'» noch vor dem Zusammentritt des Reichstage» gefordert wurde. Der Kaiser war überrascht und besaht Herrn von Köller zu Montag früh 8 Uhr zu sich nach Potsdam. Die Unterredung dauerte sehr lange und da die Abreise des Kaiser» auf 8 Uhr 45 Minuten festgesetzt war, so fuhren Bride im Sonderzuge bis zum Bahnhof Friedrichstraße und setzten die Unterredung fort. Diese führte nicht zu einer vollständigen Klärung, der Kaiser behielt sich deshalb die Entscheidung vor und enlsprach dem Wunsche de- Herrn von Koller, ihn bi- dahin zu beurlauben." Nun liegt es doch auf der Hand, daß Herr v. Köller, wenn diese Darstellung richtig wäre, die Geschäfte de« preußischen Ministeriums nicht wieder übernehmen könnte, ohne daß Fürst Hohenlohe und mit ihm noch einer oder der andere seiner Collegen zum Rücktritt sich genöthigt sähe. Und das ist doch sicherlich nicht anzunebmen, daß Fürst Hohenlohe Herrn v. Köller geopfert werden würde. Wir halten aber die Dar stellung der„Staatsbürger-Ztg."wenigstens in derHauptsache für ebenso unrichtig, wie die Behauptungen der„Post" und der„Berl. Neuest. Nachr.". Es erscheint uns geradezu undenkbar, daß die mit der größten Bestimmtheit rn der gesammten Presse ausgesprochene Behauptung, Herr v. Köller würde zurück treten, ohne Widerspruch von seiner Seite und von der ge summten officiösen Presse geblieben wäre, wenn jene Be- bauptung sich nur auf haltlose Vermuthungen gegründet hätte Solche Behauptungen läßt man doch nicht unwidersprochen durch die ganze deutsche und außerdeulscbe Presse geben, wenn sie unbegründet ist. Und die Beurlaubung de« Herrn v. Köller wäre ganz zweifellos in einer minder auffälligen Art erfolgt, wenn sein Verbleiben im Amte auch nur für möglich gehalten worden wäre. Mit vollem Rechte schreibt die „Nat.-Ztg.": „Die Lurch den „Urlaub" des Herrn von Köller entstandene Lage ist viel zu schwierig und kritisch, als daß eine Entscheidung nach irgend einer Richtung hin ohne persönliche Verständigung zwischen dem Kaiser und dem Ministerpräsidenten hätte erfolgen können, und der Kaiser ist bekanntlich erst am Sonnabend Abeod aus Hannover nach dem neuen Palais zurückgekehrt. Es ist klar, datz, wenn eine einfache „Wiederübernahme der Geschäfte" durch Herrn von Köller hätte möglich bleiben sollen, die Fortführung der- elben durch den Minister nicht in der sensationellen Art, wie es geschehen ist, unterbrochen werden durste; hierdurch sind Erörterungen hervorgerusen worden, die auf die einfachste Art von der Welt verhütet werden konnten, indem der vorhandene Gegensatz bis zu seiner Erledigung nicht an die große Glocke gehäugt wurde; dies ist aber beinahe demonstrativ durch dir Beurlaubung geschehen, von welcher Herr v. Koller am Montag selbst in seinem Ministerium Mittheilung gemacht hat." Wir sind daher der Ueberzeugung, daß der Rücktritt des Herrn v. Köller, wenn auch vielleicht nicht im Laufe des >euligen TageS, so doch in aller Kürze gleichzeitig mit der Ernennung seines Nachfolgers vom „Reichsanzeiger" gemeldet und damit den Gerüchten ein Ende bereitet wird, deren Väter im Glauben an das, was in Deutschlaud möglich sei, denn doch zu köhlermäßig sind. Für ihre Niederlage in Herford-Halle feblt den preußischen Conservativen auch heute noch die richtige Erklärung. Mit dem kümmerlichen Trost, daß die Socialdemokraten den AuSgang der Stichwahl entschieden hätten, ist nichts mehr zu beginnen, nach dem sich erwiesen hat, daß die Nationalliberalen sich nicht um ocialdemokratische Stimmen bemüht, die bezüglichen Mit- tbeilungen der conservativen Presse mitbin falsch waren. Nun bleibt der „Kreuzzeitung" nur noch übrig, Herrn Jskraul für die Katastrophe deS 4. December verantwortlich zu machen. Da ist sie allerdings insoweit im Recht, als die 2l3 in der ersten Wahl für den Candidalen deS Herrn Iskraut abgegebenen Stimmen ausgereicht hätten, den conservativen Candidaten im ersten Wahlaange siegen zu lassen. Die wahre Gesinnung der 10,000 Wähler, die sich beim ersten Wahlgang nicht betheiligt haben, wäre dann ver borgen geblieben, und wir versieben nach dem 4. December nur zu aut, wie lieb dies den Kreuzzeitungspolitikern gewesen wäre. Daß eS aber anders kam, daß die Zehntausend im Hintergründe durch die Fortsetzung der Wahlbewegung nock veranlaßt wurden, über ihre Gesinnung Auskunft zu geben, ist von so viel größerer politischer Bedeutung, daß auch die „Kreuzzeitung" besser thäte, biermit sich zu beschäftigen, statt mit der Quertreiberei des Herrn Iskraut bei der ersten Wahl. Thatsäcklich haben jene Zehntausend, die am 22. No vember gefehlt hatten, am 4. December die Entscheidung gebracht; nnd sie sind nichts weniger als socialdemokratiscb gesinnt, sie repräsentiren vielmehr das Element der Mäßigung und der Bedachtsamkeit im politischen Leben, ohne zu einer bestimmten Partei zu gehören. So lange die preußischen Con servativen gegenüber den Radicalen und den revolutionären Himmelsstürmern am schärfsten das Beharren bei den über lieferten autoritativen Mächten im Staats- »nd Wirthschafts- leben betonten, erfreuten sie sich im entscheidenden Augen blicke des Beistandes jener gemäßigten Zehntausend. Nun braucht der Ravensburger zweimal so lange, wie irgend ein anderer Niedersachse, bis er mit einer Ueberliefe- rung bricht, und bei allem Mißtrauen gegen das, was man heutzutage konservative Partei nennt, hätte er es am 22. November doch noch nicht über sich gebracht, direct gegen sie zu stimmen. Namentlich nicht, da der konservative Candidat diesmal ein böchst achtbarer Mann war. Erst beim zweiten Appell wurde Farbe bekannt, und wie da- geschehen, sollten sich die Conservativen gesagt sein lassen. Man bält als Conservativer auf Autorität und feste Ordnung ini »41 Frttilleton. Der Kampf ums Dasein. Roman von A. von Ger-dorff Nal achdrock verboten. (Fortsetzung.) „Hoffentlich ist der Mann nun zu halten und brennt nicht darauf, sein Geld so schleunig als möglich auf irgend einem „eigenen Grund und Boden" wieder loS zu werden!" dachte «r mteressirt. Als daher die Sache hier nach einigen Legaten und un wichtigen Wünschen de« Erblassers beendigt war und man sich in den Sprisesaal begab, zu den der eisigen Feierlichkeit entsprechenden Gerichten, blieb Herr von Raffski einen Augen blick im Sterbezimmer allein zurück mit dem Inspektor. Cordial die Hand auf Wächter'« Schulter legend, sagte er in seiner ungenirt lauten Art: „Sie sind nun Capitalist, mein lieber Herr Inspector — sind in der Lage, durch eiligen Er werb von eigenem Grund und Boden in absehbarer Zeit, beim dermaligen Stande der Verhältnisse, einen ganz an ständigen Bankrrutt machen zu können. Wollen Sie das nicht lieber noch binausschieben? Sehen Sie 'mal, ich bin «in geschlagener Mann, wenn Sie mir da« liebe Torkitten allein aufhalsen. Wo krieg' ich einen ähnlichen Schatz her, wie Sie zu sein scheinen! Die ehrlichen, zuverlässigen, ver ständigen Leute sind ein etwa« rarer Artikel bei der kolossalen Nachfrage. Stellen Sie mir nur Ihre Bedingungen — ich will Ihre Stellung hier gern verbessern, Ihren Wünschen so viel als möglich gerecht werden, aber bleiben Sie Thor kitten treu!" Innig«, tiefe Freud« und hohe Gennatbuuna erfüllten bei diesen offenen, ehrlichen Worten Mächte?« bescheidene« Herz. Dankbar und tief beugt« er sich Uber die Hand des neuen Herrn und sagte leise, vor unterdrückter Bewegung: „Wollen mir der gnädige Herr gütigst vierundzwanzig Stunden Be denkzeit gestattend 26. Zn plötzlich und strahlend hatte sich der Himmel im Hause der Andor« gelichtet, und leise, leise bob am Horizont wieder »ine drohende Wölkt ihr Haupt. Es schien wirklich, als könne Helmuth die Arbeit in Schmidt s Bureau nicht recht vertragen. Er klagte durchaus nicht, war heiter und guten Humors, aber es stimmte nicht recht mit seinem körperlichen Befinden. Er aß von Tag zu Tag weniger, schlief immer unruhig, oft ganze Nächte lang gar nicht, sprach im Schlaf verworrenes Zeug, da- immer mit seinen Arbeiten in der Expedition zusammenhing, und seine Gesichtsfarbe nahm allmählich einen krankhaft gelben Ton an. Wie oft drang seine Familie in ihn, einen Arzt zu con- sultiren! Wer könne denn wissen, ob sich nicht ein inneres Leiden bei ibm vorbereite? Er lachte nur und behauptete, sich vollständig gesund zu fühlen. Ihm fehle vielleicht etwas mehr Bewegung. An die sitzende Lebensweise müsse jeder Mensch sich erst gewöhnen. Er sei ja kaum vier Wochen auf der Redaction — in den nächsten vier Wochen würde es schon ganz anders sein. DaS fürchtete der Oberst nun auch. Anders, aber nicht besser. Sorgenvollen Auges folgte er den matten Bewegungen des Sohnes, sab er sein umschattetes Auge. Daß Helmuth unter keinen denkbaren Umständen irgend eine Schwäche zuaebrn würde, ehe er nicht zusammenbrach, wußte der Oberst gut genug. Ebenso Iakoba. Beide wechselten oft besorgte Blicke. Al« der Oberst eine« Tage« seiner Schwiegertochter erklärte, daß er nicht länger zusehen würde, da athmete sie auf und sagte ebenso entschieden: „Helmutb darf nicht länger auf dem Bureau bleiben. All' unseren Einfluß müssen wir aufwenden, ihn loszulösen. Was werden soll nachher — noch weiß ich e« nicht! Ich weiß nur Eins, daß wir vorläufig an einen eigenen Herd nicht denken können, sondern daß mein Honorar zu irgend einer Luftveränderung für Helmutb gebraucht werden mutz. Wenn ick nur erst eine Idee hätte, w«e wir ihn zu dieser Erkenntniß bringen!" „DaS wollen wir schon überlegen und herausbekommen", sagte der Oberst. Schmidt saß in seinem Zimmer auf der Redaction, wie immer in eifriger Thäligkeit. Der nicht gerade luxuriös auögestattete Raum sah au«, wie ein Papierkorb im Großen. Wo man binsad, bedruckte- uuv beschriebenes Papier, ans dem Schreibtisch, am Erdboden, auf dem Tische, sogar da- alte, schwarze WachStuchsopha war mit Gedrucktem M großen Stößen bedeckt. Am Fenster warfen japanische Papier gardinen ihre nicht gerade malerischen Falten, über dem Schreibtisch hing an einem sehr einfachen Nagel de- DoctorS Taschenuhr und darüber ein Abreißkalender als einzige Zierden der Wände. Längst war dem Doctor ein eleganteres Zimmer an geboren worden, aber er hatte lackend abgelehnt. Er wäre seit manchem lieben Jahre an diese Stube, wie sie gerade war, gewöhnt und es würde ihm etwas fehlen, wenn er nicht alle Morgen seine Uhr herausholen und an den guten alten Nagel hängen müßte, oder gar an Stelle de- alten braven Kanapees ein modernes Sofa da stände, auf welches man nicht wagen dürfe, so einen Arm voll Papier mir nichts dir nichts hinzuwerfen. Die Be legung des SosaS aber habe den praktischen Zweck, daß doch einer und der andere Besucher, natürlich Herren, auf eine zeitraubende Sitzung bei diesem Anblick ver zichteten und ihre Angelegenheit siebend abmachlen. Frauenzimmer natürlich niemals. Die setzten sich, wenn's sein mußte, mitten in die Zeitungen und da blieben sie sitzen, um mittels vorhandener und eingebildeter innerer »nd äußerer Reize durch da« weiche Herz deS RedacteurS seinen kritischen Kopf zu bestechen für ihre in der Reise tasche mitgebrachten Manuscripte. , , , . Der mächtige Mann saß heute da, eifrig beschäftigt, mit einem dicken Blaustift Randbemerkungen an einem Manuskript zu machen. Dicke blaue Wolken entstiegen seiner Cigarre. Der große Ofen verbreitete eine recht erwünschte Wärme an diesem kalten, nebligen Novembermorgen, der verdrossen und Landregen drohend in die nicht gerade sauberen Fenster ver Redaction blickte. Eine Meldung, die den quietschenden Schreibstuhl ein wenig berumfahren ließ, unterbrach den Arbeitenden. „Wer?" „Herr Oberst von Andor wünscht den Herrn Doctor —" „Ich laß sehr bitten." Der Oberst trat rin und wurde von dem Doctor auf herzliche Weise begrüßt. Der Blaustift wurde sogar fort- geleat, welcher sonst immer Kürze heischend in der Rechten blieb. Die Zeitungen flogen von dem Sopha zu Boden, und als Schmidt soweit Platz geschafft halte, lud er den alten Herrn rin, sich zu setzen. „Und was, mein verehrter Herr Oberst, führt Sie zu «ir zu so früher Stunde?" „Nichts Gutes, Herr Doctor", war di« ernste Antwort. Der Schalk verschwand gänzlich aus Schmidt'» Zügen; prüfend ruhte sein scharfe- Auge auf dem sorgenvollen Gesicht de» alten Mannes, den er sehr schätzte. ß „Wenn ich irgendwie von Nutzen sein kann, seien Sie vrrsicbert —" Der Oberst seufzte. „DaS Wohl kaum. Zu erbitten hätte ick eigentlich nichts. Nur mein bekümmertes Vaterhcrz möchte einige Worte zu Ihnen reden. Ihre Ansicht ist eS nur, die ich gern Hörle." „Ihr Sohn ist es, um den Sie in Sorge sind, Herr von Andor?" fragte Schmidt theilnebmend. „Helmutb geht es nicht gut. Er ist nicht mehr frisch und esund, frobsinnig und jugendlich hoffnungsvoll, wie ernst als voldat. Die Thäligkeit am Schreibtisch, den Tag über im geschloffenen dumpfen Raum scheint ihm sehr schlecht zu bekommen." „Ihr Herr Sohn wünscht auSzuscheiden?" „Gott bewahre. Mein Sohn ahnt nicht, daß ich hier hin. Er würde eS mir niemals vergeben. ES ist ganz allein meine, besser gesagt unser Aller tiefe Sorge um ihn, die mich herführt." „DaS ist allerdings, so weit ich die Verhältnisse de- urtheilen kann, eine schlimme, schlimme Geschichte! E» läßt ich ja schwerlich eine andere Thäligkeit für ihn finden." „DaS ist eS ja eben, lieber Herr Doctor. Es läßt sich überhaupt so furchtbar schwer Arbeit finden und insonderheit für Jemand, der in reiferen Jahren au« seinem eigentlichen Berufe ausschied, um sich einem anderen zu widmen. Für irgend welchen Staatsdienst feblt bei un« die erforderliche Stufenleiter, die sich nicht nachholen läßt. Für viele- Andere da- erforderliche Anlagekapital. Für diese endlich gefundene Arbeit in Ihrer Redaktion die körperliche Befähigung bei meinem Sohne. Er will das ja nicht wahr haben, aber der Augenschein lehrt es. Sehen Sie ihn nur an, lieber Doctor." Schmidt nickte. „Allerdings. Wenn Sie mich nun dar auf aufmerksam machen, erinnere ich mich auch, schon sein recht angegriffene- Aussehen bemerkt zu hoben. Aber was thun? Hier auStreten kann er ja jeden Augenblick — aber was dann? Die größte Schwierigkeit dürfte vorläufig Ihr Sohn selbst bieten, durch seine Entschlossenheit, hier anSzu halten — während es vielleicht zuerst zu wünschen wäre, daß er recht bald, möglichst gleich etwa« Ernstliche« für seine Gesundheit thäte." „Dieser Ansicht bin ich auch", stimmte der alte Mann bei. ^Ich Hab« mich schon im Geiste rückwärts gewendet — in mein vergangenes Leben, ob mir da nicht noch irgend alte Freunde leben, mit deren Hilfe vielleicht eine andere Tbätig- keit für Helmuth zu schaffen wäre Vorschlägen köunte." die man ihm darm
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