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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.12.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-12-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951211020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895121102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895121102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-12
- Tag1895-12-11
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Freilich die Socialdemokratie hat noch nicht gesprochen und ebenfalls nicht die Eonservativen, die zwar kein« „Sceuen" machen werden, solche aber durch eine allzu scharfe Betonung ihre« christlichen und gesellschaftserbaltenden Charakters herbeiführen konnten. Aber diese beiden Tage sind jedenfalls „Profit", und dessen darf und soll man sich freuen. Die Genugthuung Über ihren Verlauf wirv durch die zweistündige Rede de» Herrn Eugen Richter nicht im Mindesten getrübt. Er hat zwar nach Form und Inhalt seiner Gewohnheit gemäß gesprochen und, nicht zu vergessen, entsprechend seinem politischen Horizonte, der diesem an Einfällen nicht armen, aber aller fruchtbaren Gedanken baaren Beruf-Parlamentarier äußerst eng gezogen ist; aber mag er nun, wie er gestern fünfmal gethan, dem Fürsten Bismarck einen Mückenstich versetzen oder von dem Werthe der Marine wie ein Rbeinbündler von dem linken Rheinufer reden, rS macht keinen Eindruck mehr, weder angenehmen, noch unangenehmen, und daS auch bei Denen nicht mebr.die nicht gleich uns zum Lesen der „Freis. Ztg." verurtbeilt sind, in der seit Wochen Alles — daS kleinste Mätzchen nicht ausgenommen — gedruckt war, was Herr Richter gestern den ReichstagS- stenographen nochmals in die Feder dictirt hat. UebrigenS sprach er diesmal der Regierung und anderen Parteien gegenüber gedämpfter als sonst. Es liegt ihm offenbar daran, Manches von Anderen au-sprechen zu lassen, waS er gesagt haben will. Doch unterließ er nicht, für die Erörterung des Falles Hammerstein das Stich wort zu geben. Ein kurzer, gleichgiltiger Satz mit dem Namen des Mannes, sonst nicht«, aber da» genügt. Ohne Temperament, aber mit wohlthuendrr Sachlichkeit hielt der Abg. Enneccerus eine wirkliche Etatsrede, die sich von den Sprüngen Richter's vortbeilhaft unterschied. Die Be deutung gab jedoch der gestrigen Verhandlung wie der vor gestrigen die Regierung. Wir haben zu den im Morgen- blatte fast wörtlich mitgetbeilten Erklärungen des Fürsten Hohenlohe eigentlich nichts zu bemerken. Der Reichskanzler sprach wie ein Diplomat, und dazu hat er sich in langjähriger diplomatischer Laufbahn daS Recht erworben. Aber man weiß dock auch, daß ein Diplomat ge sprochen hat, und registrirt seine Bemerkungen über die Em- heitlickkeit in der Regierung nicht dort, wo die Unumstößlichkeiten eingetragen werden. Aber formell, ja Wohl, über da« Pro gramm des Fürsten Hohenlohe besteht sicher keine Meinungs verschiedenheit unter den preußischen Ministern; nur daß man in dieses Programm sehr Verschiedenartiges bineinlcgen kann, namentlich Negatives. Nicht geringer erwies sich die diplo matische Kunst de» Kanzlers bei der Behandlung deS Falles Kvller; aber immerhin hat man in den von ihm festgestellten „Mißbelligkeiten" die Bestätigung der Annahme, daß Persönliches, die ganze Individualität deS Ministers, seinen Rücktritt verursacht hat. Daß die Re gierung keine Initiative bethätigen kann, weil sie keiner ge schloffenen ReichStagSmehrheit gegenüberftehe, ist ein schöner Satz, der sich aber umgekehrt auch und vielleicht noch besser beweisen läßt: weil die Regierung keine Initiative zu zeigen vermag, steht ihr u. s. w. An den Bemerkungen de- Kanzlers über die Socialdemokratie ist zu rühmen, daß sie den wün schenSwrrthen Mangel an Sentimentalität dieser Partei gegenüber verrathen. Bon größerer Bedeutung als die gestrige Reichstagssitzung ist für unser engere« Vaterland die gestrige Sitzung der zweiten sächsische» Kammer, in welcher der socialdemo kratische Antrag, für die Wahlen zum Landtage daS Reichstag-Wahlrecht und zwar schon vom 2t. Lebens jabre an einzuführen, zur Berathung kam. An eine An nahme diese« Antrag« glaubten die' Antragsteller sicherlich selbst nicht, aber sie waren wohl auch kaum darauf gefaßt, daß die Mehrheit der Kammer und die Regierung sofort den Spieß umkehren und sich bereit zeigen würden, eine Aenderung deS LandtagswahlrrchtS vorzunebmen, aber eine solche, die nicht zur Diktatur de« Proletariats in Sachsen, sondern im Gegeutbeil zur Ein dämmuag deS Einflüsse- der Apostel dieser Dictatur zu führen geeignet ist. Das Unerwartete geschah: an eine scharfe Polemik gegen den socialdemokratischen Antrag knüpfte der Abg. Mehnert den von den Eonservativen, den Nationalliberalen und den Kammerfortschrittlcrn unterstützten Antrag: „In der Erwägung, daß das allgemeine gleiche, directe und geheime Wahlrecht den Verhältnissen und Interessen de« Lande- nicht entspricht, in der Erwägung, daß diesen Interessen eine Aenderung deS Wahlrechts nur dient in der Richtung, daß das Wahlsystem aus dem Princip des Verhältnisses der Leistungen der einzelnen Staatsbürger an direkten Staatssteuern aufgebaut wird unter ausdrücklicher Wahrung des Grundsatzes, daß eine Entziehung deS Wahlrechts derjenige», die dasselbe jetzt besitzen, nicht eintritt, wolle die Kammer beschließen: über den Antrag Fräßdorf zur Tagesordnung über- zugehen." Und in der Begründung dieses Antrags machte er im Namen der eonservativen Fraktion in Bezug auf eine Reform des Wahlrecht« den specielleren Vorschlag: 1) Keinem, ver jetzt das Wahlrecht besitzt, soll es entzogen werden; 2) die gegenwärtige, durch die Verfassung festgestellte Ein- theitung zwischen Stadt und Land wird beibehalten; 3) wir wollen keine Integral-Erneuerung deS Land tages. 4) die Einführung des indirecten Classenwahl- rechteS unter besonderen Garantien dafür, daß den reichen Leuten nicht ein unverhältnißmäßiger Einfluß bei dem Claffen- wahlrecht zu Tbeil wird. — In der an diesen Antrag sich knüpfenden Debatte stellte sich heraus, daß in den genannten Parteien grundsätzliche Uebereinstimmung über die Zweck Mäßigkeit der Einführung des indirecten ClafsenwcchlrechtS (Wahl der Abgeordneten durch Wablmänner, die von den Urwählern gewählt werden, deren Wahlrecht von der Höbe ihrer directen Staatssteuern abhängt) herrschte und die Mei nungen nur darüber getheilt waren, ob die Beibehaltung der Wahlkreise in Stadt und Land und eine Jntegralerneuerung der Kammer sich empfehlen würden. Die Folge dieser prin cipiellen Uebereinstimmung in der Grundfrage der Einführung des indirecten Wahlsystems war die Erklärung des Staats ministers v. Metzsck, daß die Regierung bereit sei, noch dem gegenwärtigen Landtage eine den Wünschen der Mehrheit entsp reckende Vorlage zu unterbreiten Der Antrag Mehnert wurde darauf mit allen ge gen die 14 Stimmen der Socialdemotraten zum Beschluß erhoben. Eine durchgreifende Reform unseres sächsischen Wahlrechts ist somit nur noch eine Frage der Zeit. Haben sich auch die Nationalliberalen noch volle Freiheit der Ent schließung einer zu erwartenden Regierungsvorlage gegen über Vorbehalten und ist auch zu erwarten, daß besonders über die Frage der Oeffentlickkeit der Stimm abgabe starke MeinungSdifferenzen zwischen den nickt social- demokratischen Parteien sich Herausstellen, so ist doch nicht anzu nehmen, daß an diesen Differenzen die Reform scheitern werde. Die gestrige Sitzung unserer Zweiten Kammer ist somit von der höchste» Bedeutung für da« Land und ein wuchtiger Gegenstoß gegen den Vorstoß der Socialdemokratie. Auf die Erfolge, welche die Italiener im Ockober in Afrika zu verzeichnen hatten, ist rasch eine äußerst empfindliche Schlappe gefolgt. Im October machte General Baratieri einen glücklichen Vorstoß gegen den RaS Maagascha, Fürsten und Statthalter der nördlichsten, an die italienischen Be sitzungen angrenzenden Landschaft Tigre, der in den Dienst KönigMenellks getreten, die Maske der Freundschaft mit Italien abgeworfen und gegen Baratieri den KriegSpfad beschritten batte; seine Streilkräfle wurden damals völlig auSeinandergesprengt und er mußte sein Heil in der Flucht suchen. Leiber wurde damals die einheitliche und umfassende Operation, welche Baratieri vorbereitet hatte, um die ganze abesfinische Frage zu lösen, im besten Gange abgebrochen und zwar aus Scheu vor dem oppositionellen Geschrei in der römischen Kammer. Wäre im October, was ursprünglich beabsichtigt war, der Takazza-Fluß, die Südgrenze Tigres, auch zur italienischen Süvgrenze gemacht worden, Menelik'S Gebiet also bei jedem Friedenöbruch unmittelbar bedroht gewesen, so hätte der Letztere Wohl eine neue Angriffsbewegung nicht so leicht unternommen. So ließ man bei ihm und anderen abessi- nischen Fürsten, voran dem Ras Makonnen, dem König vou Schoa, den Glauben an die Schwäche der Italiener wieder aufkommen und stellte ihm überdies für neue Unternehmungen das südliche Tigre zur Verfügung. Diesem Umstande aber ist die fast gänzliche Aufreibung des Eingeborenen-Bataillons Toselli durch die Schoaner zu verdanken, welche- in dem daS mittlere Tigre vom südlichen trennenden Amba-Aladschi-Gebirge, wahrscheinlich im Debbar-Paß, ziemlich in der Luft stand, da das befestigte Makalle reichlich zwölf geogra phische Meilen weiter nördlich liegt. Wie sich herauS- stellt, bat Ras Makonnen den Major Toselli durch mehr tägige Verhandlungen in Sicherheit gewiegt, bis die abessi- nischen Streitkräfte aus Schoa und Auchara herangerückt waren, um die kleine Truppe zu umzingeln und aufzureiben. Ob dabei auch Major Toselli gefalle», ist aus den Depeschen nicht zu ersehen, aber er dürfte sicher das Schicksal seiner Colonne getheilt haben. Der zur Unterstützung Toselli'S abmarschirte General Arimondi traf unterwegs plötzlich auf das Heer der Sckoaner, vor dem er sich selbst eilig zurückziehen mußte, wahrscheinlich über Makalle hinaus. Nunmehr ist derOberstcommandirendeGeneralBaratieri unter wegs, um die italienischen Streitkräfte für den bevorstehenden Ver- geltuiigskampf zu sammeln, daß die Schlappe fick, aber so leicht wieder wcltmachen lassen wird, scheint nicht von vorn herein ausgemacht. Die Lage der Italiener ist durchaus keine günstige. Sie selbst schätzen die Schoaner auf 20 000 Mann, Ras Olie soll über 15 000 Mann, Menelik gar über 25 000 Mann verfügen, die alle ziemlich gut be waffnet und namentlich mit Vetterli- und Remnigton-Gewehren ausgestattet sein und unter — russischer Führung stehen sollen. Alles in Allem haben ihnen die Italiener nur gegen Il OOO Mann entgegenzuftellen. Es werden allerdings aus Italien Verstärkungen zu Baratieri stoßen, doch zu eine», großen, entscheidenden Schlage fehlen die Mittel, so daß man sich wohl damit wird begnügen mliffen, dem Feind einen Denkzettel beizubringen und sich dann vorläufig auf die Defensive zu be- jchränken. Im Hinblick auf die Entwickelung der Dinge im Orient, die man in Italien mit wachsamem Auge glaubt verfolgen zu müssen, kommen die afrikanischen Verwickelungen natürlich höchst ungelegen. — An neuen Meldungen über das militairische Mißgeschick Toselli'S liegen unS heute die folgen den vor: * Nom, 10. December. Die „Lvinione" behauptet, aus sicherer Quelle zu wissen, daß die italienischen Truppen auch Adua räumten und sich in Adigrat concentrirtcn, wo sie sich zum Wider stände gegen den Feind vorbereiten. Die italienische Regierung betreibe die schleunige Entsendung von 3000 Mann und 8 Batterien Gebirgsartillerie. Die Zahl der Abessinier beträgt nach Angabe der „Opinione" 30 000—40 000. Der „Tribuns" zufolge verfügt General Baratieri über etwa 10000 kampssähiae Leute und sei voll Vertrauens in die Lage. Er habe niemals Verstärkungen außer i» ganz geringem Maßgabe verlangt. Die „Tribuns" fügt hinzu, es würden einige Kriegsschiffe nach dem Rothen Meere ab- gehen, um die Küsten zu überwachen und die weitere Ankunft von Waffen zu verhindern, wir solche in der letzten Zeit in reichem Maße an Menelik von de» Widersachern der italienischen Colonial- polilik geliefert worden seien. * Nom , 10. December. Tie „Jtalia militare" hebt hervor, daß man bis jetzt nur von dem Ausbleiben von Nachrichten über etwa 1000 Eingeborene und ungefähr zwanzig italienische Ofsictrre, die zum Bataillon Toselli gehören, sprechen könne, daß sich aber daraus nicht ergebe, daß dieselben gefallen seien; auch der Tod des Majors Toselli sei nicht gewiß. — Dem selben Blatte zufolge hat der Kriegs minister die Entsendung von 3 Bataillonen und I Batterie nach Afrika verfügt. Die Angelegenheit des türkischen Ex-Großveziers Said Pascha hat plötzlich eine Wendung genommen. Wie daS „Reuter'sche Bureau" meldet, ist der Flüchtling am Montag in seine Wobnung zurückgekehrt. Die Ver mittelung, die der Sultan zuletzt durch den österreichisch- »ngarischen Botschafter v. Calice anbahnen ließ, hat also Erfolg gehabt, und eS müssen Said Garantien ge boten worden sein, daß sein Leben und seine Freiheit, wenigstens vorläufig, nicht mehr in Gefahr sind. Daß Said aber doch dem Frieden nicht traut, geht auS der uns heute vorliegenden Konstantinopeler Meldung hervor, daß er dem Vernehmen nach den Gedanken, Konstantinopel zu verlassen, um ins Ausland zu reisen, nicht auf gegeben habe. Er hat ein dahingehendes Ansuchen an Len Sullan gerichtet, die kaiserliche Ermächtigung ist aber nach ossiciöserMittheilung in tUrkischenBlättern nicht ertheitl worden, nach Behauptungen von anderer Seite steht sie noch aus. Demnach scheint daS Verhältnis zwischen dem Sutkan doch nicht ein so ungetrübtes zu sein, wie cS in der gestern mit- geheilten Version der „Pol. Corr." hingestellt wurde. Diese stellte die Sache so dar: Die Said feindliche Palastclique habe den Sultan vermocht, Said inS Großvezirat zurückzuberufen, habe aber zugleich durch Said'S Freunde bei diesem den Glauben erweckt, der Sultan trachte ihm nach dem Leben. Dadurch habe sie zu erreichen gesucht, daß Abdul Hamid seinen früheren Berather, auf den er noch große Stücke gehalten, in Ungnade fallen lasse, da er gegen Miß trauen in seine guten Absichten und gegen Undankbarkeit äußerst empfindlich sei. Mit dieser Version scheint die folgende Darstellung veS Konstantinopeler Correspondenten der „Franks. Zeitung" übereinzustimmtn, welcher auf Grund eigener Mtt- theiiungen Said'S meldet: „Der Sultan machte ihm (Said) den Antrag, daS Groß- vezirat zu übernehmen und S<nd zeigte sich hierzu auch bereit, knüpfte aber an die Annahme die Bedingung, Laß das Großvezirat, wie es bereits Kiamit Pascha beantragt hatte, mit einer größeren Machtsphäre ausgestattet werde, uod gewisse unheilvolle Palastemflüffe defeitigt würden. Abdul Hamid sagte Said zu, verlangte aber eine eintägige Bedenkzeit. Nach deren Ab lauf erschien der gegenwärtig allmächtige Kammerherr des Sultans Jzzet Bcy in Said'S Konak und theitte ihm unter Ausdrücken deS höchsten kaifertichen Wohlwollens mit, daß der Sultan seine Bedingungen acceptire und noch in derselben Nacht den Wechsel im Großvezirat vollziehen werde. Der Sultan stelle Said den kleinen Kiosk im kaiserlichen Palaste zur Verfügung und zweifle nicht, daß Said von diesem Beweise des kaiserlichen Vertrauen- noch vor seiner Ernennung Gebrauch machen werde. Said sagte Jzzet Bey zu und war eutichlossen, in den Vilbiz'Kiosk überzusiedetn, al» ihm beim Einstrigen in den Wagen ein vertraulicher Brief von einer Seite, auf welche Said das höchste Gewicht legte, übergeben wurde. Dieser Brief enthielt nur Der Geiger. Original-Roman von Emmy Rosst. Nachdruck verdate». Erstes Capitrl. Den ganzen Abend war er in der Oper die Zielscheibe aller Frauenblicke gewesen — aber auch die Männer hatten seine ausfallende Schönheit nicht unbeachtet gelassen — wenigstens diejenigen, welche Verständniß und Bewundern ,z für Schönheit, in welcher Form sie sich auch bieten mag, besaßen. Da« ambrasarbene wellige Haar contrastirte so auffällig mit den tiesschwarzen Augen und dunklen Brauen, die reine Marmorbläfft des Teints hob seltsam die Purpurfarbe der Lippen von dem Goldgelb des leichten Schnurrbart-Ansatzes ab, bleiche, schlanke Hände, die sich bald mit dem Opernglas und bald mit dem Theaterzettel und Textbuch beschäftigten, vervollständigten den Eindruck, den diese überschlanke Iung- lingSgestalt hervorrief. Im ersten Rang saßen zwei Herren, di« ebenfalls öfter ihr Opernglas auf die Parquetlvfle des Fremden richteten — Herbert und Bruno Hermes, die Söbne des weltbekannten Handelsbause- L. Hermes und Compagnie. Als Herbert immer wieder den blonden Jüngling durch das Glas betrachtete, sprach sein Bruder zu ihm: „Nicht wahr, der junge Mensch erinnert Dich an Jemand, es geht mir ebenso." Herbert Herme« wandte sein kaltes Gesicht dem Bruder zu, nicht« in diesen gradlinigen Zügen vcrrietb die Urber- raschung, die ihm die Aussprache seine» Gedankengange« be reitet: „Ick glaube ja, aber ob an «in Bild oder an eine lebend, Person, kann ich wahrlich nickt sagen —" Bruno Hermes batte weichere Züge und auch ein weicheres Herz als sein älterer Bruder — trotz deS Geaensatze« ihrer Naturen harmonirten sie gut, ja, der liebenswürdige, jüngere Bruder war vielleicht der Elnrige auf der Welt, der so etwa» wie zärtliche Gefühle in Herbert » Brust erweckte. — wenn er nnt ihm sprach, war sem Ton minder schroff, seine Haltung minder straff, Bruno war. ohne eigentlich hübsch z» sei«, einer jener liebsamen Menschen, dir alle Herzen erobern, ohne daß sie mehr dazu thun, als nur ihre Daseinsfreude zu bethätigen. Obne daS GlaS vom Auge zu bringen, sagte er jetzt mit einer Stimme, der man ein heiteres Lächeln anhörte: „Weißt D», Berti — wenn der Junge da mit seinem goldenen Haar ein Mädchen wäre, die heirathete ich — die oder keine." Was war das! Herbert stöhnte auf, wie von einem Keulenbieb getroffen, er sank in den Sessel zurück und die nervige Reckte legte sich über die Augen — sein Stöhnen ward zu Worten: „Gott, mein Gott!" Bruno schrak empor. „Berti, was ist Dir, bist Du krank, so sage doch —" „Still, still", keuchte der Andere und bezwang gewaltsam seine Erregung — er war wieder ganz der eiserne Muskel- mensch, nur seine Lippen fügten sich nicht dem Zwang, den er ihnen anthat, sie bebten noch, als der Blick schon sicher und ruhig geworden. Die Oper ging zu Ende, — schiebend und geschoben er reichten die Brüter den Ausgang — dort befanden sie sich plötzlich dem schönen Fremden gegenüber, der sich nach einer Droschke uniznsehen schien. Jetzt erst unterschied Bruno genau die Züge, da er, etwas kurzsichtig, vorhin in der Loge mehr die Farben als die Conturen de- IünglingSkopfeS ivahrge- nommen, und leise, aber tief erregt, drückte er de- BruderS Arm: „Sieh doch, sieh — wie da« Bild von Mama!" Aber Herbert antwortete nicht; rasch sprang er in die Equipaae, die Augen nach der entgegengesetzten Seite gerichtet. Erst als Bruno wie vertieft in den Anblick deS jungen Ma»ne« stehen blieb, rief er mit einer Heftigkeit, die solche unbedeutende Zögerung kaum motivirte: „So komm doch — bei dieser gräßlichen Kälte, den offenen Wagen!" Und Bruno stieg ein — seine Augen halten sich gefeuchtet. Eine Zeiilang schwiegen Beide, dann hielt Bruno sich nickt länger. „Es hat mich furchtbar gepackt, Berti, wie da« Bild der lieben, geliebten Mama — sieh, daß ick dies EngelSmütterchrn schon in so früher Jugend verloren, daß Gott sie unS so früh genommen — ich erinnere mich nicht», nickt» von ihr — ihr Tod erfolgte ja, als ick kaum vier Jahre alt war — Du wenigsten» kannst Dich ihrer erinnern, Herbert, Du warst schon acht Jahre alt" Ein kurze« Lachen brach von Herbert'« todtblassen Lipve», ein Lacken, da» eine verletzende Antwort auf die mühsam zurückgebaltenen Thränen de« Bruder« war. „Ja, ja, alt genug, um die ganze Tragik deS Verlustes zu verstehen!" Und wieder verstummten sie Beide, doch löste sich Her bert'« eisige Kälte, er nabm des Bruders Hand und hielt sie mit der seinigen umschlossen, eine Zärtlichkeit, die seit ihren Kinderjahren wohl nickt gescheben — das Andenken an die so früh verlorene Mutter halte den längst erkalteten Zablen- menschen Herbert HermeS doch aus der erbeuckelten Gleich giltigkeit gebracht, daS fühlte Bruno, und er achtete die stolze Männlichkeit de« Mannes, der lieber rauh als weichlich erscheinen will. Es war den ganzen Tag über sehr kalt und schneidend windig gewesen, jetzt, als die Equipage durch das Branden burger Thor rollte, sing eS urplötzlich an zu schneien, aber so heftig, so toll wirbelnd, daß der Kutscher kaum die Augen aufzuhalten und nur langsam vorwärts zu kommen ver mochte. — In der Thiergarten-Straße besaß L. Hermes eines der schönsten Häuser. Der Kaufmann nannte cs nur schlicht sein „HauS", ein Herr vom Stande hätte es sein „PalaiS" betitelt, denn dazu berechtigte dieser Prachtbau sowohl durch seinen äußeren als inneren Reicktbum voll ständig den Besitzer. Die Bilder - Galerie des Coi»merzien- ratbS L. Hermes war eine Sehenswürdigkeit der Residenz. Künstler und Kunstfreunde pilgerten mit derselben Begeiste rung zu dieser Privat-Galerie deS MillwnairS wie zu den Schätzen des StaatS-Museums und der National-Galerie. Bädeker brachte neben einem Stern auch einen ganzen Artikel über die einzelnen Kostbarkeiten dieser Hermes-Galerie. Als der Wagen unter dem Portico der Auffabrt hielt, löste Herbert seine Hand und stieg mit einem energischen Aufschnellen aus. Indem er sich von dem Diener den Pelz von den Schultern rieben ließ, sagte er zu Bruno: „Gehst Du direct hinauf zu Papa? Ich glaube, er hat mit IacqueS und Blankenstein eine Scatpartie I — Ich komme bald nach — will erst einen Brief schreiben. — Bringen Sie mir Tb« und Cognac hinauf, Franz." „Sehr wobl, Herr HermeS." Bruno stand noch im Hut und Pelz — etwa» in deS Bruder« Gebühren beunruhigte ihn, er hätte ihm Nacheilen mögen, ihn fragen — ja, wa« denn? Gab e« etwa« zu fragen? Er wußte, daß Herbert so entsetzlich unter dem Verlust der abgöttisch geliebten Mutter gelitten hatte, daß man nie wagen durfte, von ihr zu sprechen — heut« noch nicht, zwanzig Jahr« nach ibrem Scheiden. Herbert war es, der den täglichen Anblick ihre» Bilde» im Salon nicht ertragen konnte, — eines Tages war die wunderbare Frau im reichen Barockrabmendverschwunden, sie blickte nickt mebr auf die Besucher herab — das Meisterwerk eines berühmten Malers barg sich jetzt in der Bitder-Galerie. Nein — nicht den Blicken der profanen Neugier auSgesetzt, eine Art Schrank schloß dieses göttliche Frauen-Antlitz von der Kritik der Zuschauer auS — der alte Commerzienratk hatte den Schlüssel dazu, er gab ibn nur ungern an Bruno, wenn dieser darum bat! Herbert bat nie um den Schlüssel — aber Niemand ahnte den Grund. Er besaß einen Nachschlüssel! Nun war er in seinem Salon — er trank hastig ein paar Cognacs und binterber eine Tasse des dampfenden Tbees. „Es ist sebr kalt, Franz", bemerkte er dabei zu dem alten Diener, als bade er das Bedürfniß, diese lastende Stille zu unterbrechen, dann aber winkte er mit der Hand und Aranz, der daS Schicksal deS Hauses kannte, da er eS mit erlebt, ging schweigend hinaus. Draußen schüttelte er den Kopf. „Er ist wie der Alte — bat auch kein Herz — der Bruno ist lieb wie „sie" — aber keiner von Beiden hat auch nur den Schimmer einer Ähnlichkeit von der süßen, süßen Frau I" Inzwischen suchte Herbert mit zitternden Händen einen Schlüssel, und der Schreck, der ihn beute Abend überfallen, saß nun in seinen stieren Blicken. Er sprach zu sich selbst, nicht in Worten, aber in Gedanken, und eS war seltsam, was er sprach. „Wer bist Du, schöner Junge? Giebt eS noch einmal solch' ein EngelSgesicht mit einem TeiiselSberzeri darunter? Wozu bist Du gekommen? Du sollst mir den Frieden meines alten Vaters nicht stören, nicht die Ahnungslosigkeit deS jungen BruderS. Eines TageS wird Bruno eS auch wohl erfahren müssen, aber eS soll da» Glück seiner Äugend nicht trüben, es soll ibm nicht de» Glauben an da- Weib nebmen —* Er war an das große Mittelfenster getreten, in dessen Nische frische Blumen blühten; eine Hebe lächelte ihm in marmorner Iunasräulichkeit von dem schwarzen Alabaster- Sockel an. Er lächelte verächtlich. „Weiber! — Göttinnen oder Menschen — die Mythologie und die Naturgeschichte kennt nur treulose Weiberl" Er wäre für einen Uneingeweihten lächerlich gewesen, dieser feindliche Blick, womit Herbert das schöne Statuen- Weib ansab — und welcher dann in den wirbelnden Flocken tanz binausslüchtete.
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