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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.12.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-12-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951217028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895121702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895121702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-12
- Tag1895-12-17
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Gröbere Schriften laut unserem Preis- »erzeichnib- Tabellarischer uud Ziffernsatz «ach höherem Laris. Extra-Beilage« (gefalzt), «ur mit der Morgen-Ausgabe» ohne Postbefürderung 60—, mit Postbesörderung 70. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abeud-Ausgab«: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» »Uhr. Für die Montag-Morgen-Ausgabe: Sonnabend Mittag. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Aiijkigrn sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leivziq. 614. Dienstag den 17. December 1895. 8S. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 17. December. Durch seinen unerwarteten Besuch beim Fürsten Bismarck hat der Kaiser der großen Mehrheit der deutschen Nation eine Weihnachtsfreude bereitet, die auch dann noch das Fest überdauern wird, wenn politische Folgen des Besuches nicht bemerkbar würden. Seit dem 80. Geburtstage des Fürsten hat mau sich'« abgewohnt, auf solche Folgen persön licher Begegnungen zwischen Kaiser Wilhelm II. und seinem ersten Kanzler zu hoffen; man Hai erkannt, daß die große Verschiedenheit des Atters und der Anschauungen, die zur Trennung des Kaiser« von dem Fürsten führten, die Möglichkeit einer dauernden Verständigung über die wichtigsten Fragen wenigstens der innern Politik aus- schließen würbe, selbst wenn die staatsrechtlichen Ver hältnisse es erlaubten, den Altreichskanzler wieder in dauernde Verbindung zu dem Träger der preußischen Königs- und der deutschen Kaiserkrone zu bringen. Man ist schon froh und beglückt, wenn diese Meinungsverschiedenheiten nicht in den Vordergrund treten und daS trotz derselben un verändert gebliebene Verhältniß nicht trüben, das auf der herzlichen Dankbarkeit des Kaisers für die unsterblichen nationalen Verdienste deS Fürsten und auf dessen uner schütterlicher Hingabe an Preußens König und Deutsch lands Kaiser beruht. Dieses Verhältnis ist es denn auch zweifellos, was den Kaiser zu seinem gestrigen Besuche in Friedrichsruh geführt bat. Die fünfund zwanzigste Wiederkehr des Tages, da Fürst Bismarck im Spiegelsaale des Schlosses von Versailles die Proklamation verlas, die den alten Sehnsuchtstraum des deutschen Volkes nach Einigung unter einem Kaiser verwirklichte, steht bevor. Eine vom Kaiser veranstaltete würdige Feier dieses großen Erinnerungstages, des Geburtsfestes des Reiches, wäre nicht denkbar, wenn der Schmied der deutschen Kaiserkrone bei ihr fehlte. Und wenn auch die Mehrheit des jetzigen deutschen Reichtags ihre Festfreude erhöht finden würde durch ein solches Fehlen, so würde dem Kaiser das Beste fehlen, wenn er bei dieser Gelegenheit nicht dem Manne die Hand drücken dürfte, der mit unvergleich licher Staatskunst und Energie die deutschen Stämme mit un zerreißbaren Banden umschloß und dem greisen Heldenkönige von Preußen die Kaiserkrone auf das Haupt setzte. Schon verlautete, der Kaiser habe eine Einladung zur Feier des l8. Januar nach Friedrichsruh ergeben lassen und eine bedingte Zusage erhalten. Man wird schwerlich in der Annahme irren, baß diese Nach richt verfrüht war und daß der Kaiser es sich Vorbehalten hatte, die Einladung mündlich zu überbringen und bei dieser Gelegenheit womöglich die Bedenken zu zerstreuen, die Arzt und Familie des greisen Altreichskanzlers gegen die Reise hegen. Noch liegt keine Meldung darüber vor, ob dieser weck erreicht worden ist. Aber er selbst, ja der Besuch des aisers an sich, auch wenn er lediglich eine Aufmerksamkeit für den altenHelven im Sachsenwalde und eineBekundung der kaiser lichen Dankbarkeit gerade inmittender glorreichen Erinnerungs tage dieses Winters bedeuten sollte, wirkt wie Sonnenschein in trüben Tagen, wie Frühtingsbotschaft im Winter des Miß vergnügens über die Auffassung, welche die Mehrheit der jetzigen deutschen Volksvertretung von ihrer nationalen Pflicht bekundet. Der Kaiser vergißt als Hüter des nationalen Ein heitsgedankens alle Meinungsverschiedenheiten, die ihn vom Altreichskanzler trennen; sein Herz und daS Bewußtsein der Pflicht, dem deutschen Volke voranzulcuchten in dankbarer Anerkennung unsterblicher nationaler Verdienste, haben ihn nach dem Sachsenwalde geführt. DaS dankt ihm die große Mehrzahl des deutschen Volkes, daS hoffentlich, wenn es abermals berufen sein wird, durch seine Stimme über Vas Wohl und Webe des Reichs mit zu entscheiden, ein Beispiel an seinem Kaiser sich nimmt und alle Meinungs- differenzen zurücktretcn laßt hinter die große Aufgabe, BiS- marck'S Werk für alle Zukunft zu erhalten uud ihm den schuldigen Dank nicht nur durch Worte, sondern durch die nationale That abzutragen. Der Reichstag bot gestern ein Schauspiel, wie man cs unseres Wissens seit der Berathung des Entwurfs, betr. oie Einführung eines Wehrgeldes für die Militair- dienstuntauglichen, nicht mehr erlebt hat. Kein einziger Redner trat für die Handwerkerkammer vorlage auf, und bei der heutigen, sehr über flüssigen Fortsetzung der Debatte wird sich voraussichtlich auch Niemand finden, der in die Monotonie der Ablehnungs erklärungen Abwechslung bringt. Gestern war die Zurück weisung eine einmüthige, denn die Voraussetzung, unter denen die Nationalliberalen der Vorlage zustimmen zu können erklärten, war derart, daß ihre Erfüllung das Gesetz grundsätzlich zu etwas ganz Anderem machen würde, als cs jetzt ist: statt eines Provisoriums ein Definitiv»?» und statt einer begutachtenden Kammer eine mit weit gehenden Selbstverwaltungsbefugnissen auSgestatlete; an Stelle der sacultativen eine obligatorische Einrichtung und an Stelle des Gutdünkens der Negierung hinsichtlich des Wahlrechts zu den Kammern eine reichsgesetzliche Regelung. Herr v. Boetlicher stand mit der Vertretung seiner Vorlage auch am Bundesratbslische „mutterseelenallein", ein Umstand, der mit seiner Mittheilung, baß alle Bundes regierungen für den Entwurf gestimmt hätten, einigermaßen contrastirte. Man kann nun aus sein gestriges Auftreten nicht das Wort anwenden: „Der Starke ist am mächtigsten allein." Es kam dem Staatssccretair offenbar gar nicht darauf an, stark in der Verlheidigung zu sein; eine Anklage auf fahrlässige Aussetzung eines Gesetzentwurfs kennt das Strafgesetzbuch nicht, sonst würde man vielleicht eine dahin gehende Anklage gegen den Vater der Handwerterkammervorlage mit Erlolg er heben können. Herr v. Boetticher sprach zwar dreimal, aber wie Einer, der eine verlorene Sache preisgiebt. Selbst dem Abgeordnete Gamp gegenüber, dessen offensives Auftreten Manchem mehr dem Vorleger als der Vorlage zu gelten schien, trat Herr v. Boelticher aus einer gewissen Zurück haltung nickt heraus. Wir verargen ihm das, obwohl wir den Weg, die Handwerker zu fragen, ob sie eine Zwangs vertretung wollen^noch immer für den richtigen halten. Aber der Inhalt der Vorlage und die Art, wie sie vertreten wurde, ließ diesen Zweck in den Hintergrund trete». Was soll man sagen, wenn der „Bertheidiaer" von Handwerkerkammcrn, die sich an geblich über die Organisation des Handwerks gutachtlich äußern sollen, es nicht für absolut unmöglich erklärt, das; eine diese Organisation regelnde Vorlage noch in dieser Tagung, also ehe die begutachtenden Kammer» fnnctionirt haben könne», an den Reichstag gelange?! Herr von Boelticher sprach viel und mit Nachdruck von seiner Uebereinstimmung mit dem preußischen Handelsministcr Frciherrn v. Berlepsch, der seiner seits dieses Verhältniß durch eine nach Lage der Dinge be sonders glänzend zu nennende Abwesenheit documentirte. Diese Uebereinstimmung dürfte nur äußerlich vorhanden sein. Immer mehr zeigen sich in Belgien die verderblichen Folgen der Umgestaltung des Gemeindewahlrechts. Ihm ist es zu danken, daß in alle Gemeindevertretungen die Socialdemokratie eingedrungen ist, ja daß sie eine große Anzahl, namentlich kleinerer Gemeinden vollständig be herrscht. Jetzt wird auch bald der Plan eines allgemeinen Bundes der socialistischen Gemeinden und Ge- meinderäthe des Landes verwirklicht sein. Die einzelnen Gruppenhildungen der socialistischen Gemeinderätbe der Jn- dustriebezirke von Lüttich, Eharlcroi und des Mitteldecken« sind schon erfolgt, und ihr allgemeiner Zusammenschluß mit denen von Brüssel. Gent. Verviers u. s. w. ist nur eine Frage kurzer Zeit. Der Bund wird der socialdemokralischen Partei- Organisation Belgiens eine weitere Klammer einstigen. Er will nick>t nur communale Venvaltungsfragen in socialistischen? Sinne beratben und löse??, sondern vor Allem eine politische Rolle spielen. Der Kamps, der von der Socialdemokratie bisher nur vereinzelt und bedeutungslos auf communale??? Gebiete mit der centralen Staatsgewalt geführt wurde, soll nunmehr planmäßig aus der ganzen Linie, die daö neue Gcmeindewahlrecht der Socialdemokratie eröffnet bat, ausge nommen lverden und der Centralleitung der Partei eine stärkere persönliche Machtstellung geben. Diese hat sehr wohl erkannt, daß die Partei auf kommunalem Gebiete jetzt handeln kann, während sie auf parla- meularischem noch lange vernrtheilt sein wird, ihre Kraft in Reden zu erschöpfen. Die Gemeinden, in denen sie vollständig Herrin der Lage ist, sollen nunmehr das Versuchsfeld des communale?? Collcctivismus werden. Freilich heißt es, daß die Regierung entschlossen ist, selbst in diesen Gemeinden keinen Socialdcmokrcttei? zürn Bürger meister zu ernennen; ob sie aber dieser? Slandpunct wird durchführen können, ohne überhaupt die Verwaltung der Gemeinte unmöglich zu machen, muß die Zukunft lehren. Was die großen Städte anbelangt, so bleiben Brüssel und Antwerpen in liberalen Händen, da die Regierung, entgegen den? Wunsche ihrer klerikalen Parteigenossen, aber infolge der dringenden Mahnung des Königs, beschlossen bat, die liberalen Bürgermeister BulS und Jan van Rysrvyk in? Anrle zu belassen. Denselben werden ausschließ lich liberale Schöffencollegien zur Seite stehen. In Lüttich weigern sich die Liberale??, unter den heutigen Ver hältnissen die seil 50 Jahren geführte Stadtverwaltung zu behalten, so daß die Regierung gezwungen ist, dieselbe der klerikaler? Gruppe zu übertrage??, obwohl dieselbe irn Lütticher Gemeinderätbe nur über 14 von 39 Sitzen verfügt. In Gent schließlich soll ein gemischtes System, eine Art liberal- klerikal-socialistische Gemeindeverwaltung mit eine??? klerikalen Bürgermeister an der Spitze, versucht werben. Diesem Ver suche wird ebenfalls mit sehr geringen Hoffnungen entgegen gesehen, und die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß dieser ganze unhaltbare Zustand in Brüssel, Antwerpen, Gent und Lüttich sehr bald mit der Auflösung dieser Stadlvertretungei? enden wird. Die spanischc C a b i u e t Sk r i s e hat, wie gemeldet wurde, mit der Ernennung des Bankgouverneurs Grafen Tejada Baldosera zum Justiz- und des StaatS- rathöpräsidenten LinercS Rivas zu??? Arbeits???i??,ster ihren Abschluß gefunden. Graf Tejada Valdosera ist in der Leitung der Bank von Spanien durch den früheren Finanzminister Garcia Barzanallana ersetzt worden. Der bisherige Arbeitsministcr Bosch begründet seinen Rück tritt damit, daß er die volle Freiheit der Vertbeidigung gegen den Marquis Cabrinana erlangen wolle, der bisherige Jnstizminister Romero Noble do erklärt, er wolle den An schein vermeiden, seinen Einfluß auf die Gerichte zu miß brauchen. Er fügt hinzu, nach seiner Auffassung habe die Negierung sich nicht genügend kraftvoll gegenüber den? Marquis Cabrinana, der Madrider Presse und den Ver einen gezeigt, welche die letzte große Kundgebung gegen Bosch veranstatteleii. Auch Halle er säion seit längerer Zeit die Politik des Marschalls Martine; CampoS auf Euba für schädlich für die spanischen Interessen. Diese Auffassung ist, wie die „Vossische Zeitung" in Uebereinstimmung mit unserer wiederholt begründeten Auffassung der Lage aussührt, grundfalsch, denn Spanien hat nur dann Aussicht, sich den Besiy der großen Anlille zu erhalten, wenn eS den Rathschlägen des Marschalls Campos folgt und sich zur Bewilligung von Reformen im Sinne einer nicht zu engherzig bemessenen Selbstverwaltung berbeiläßt. Je länger der Ausstand währt, uni so unwahrscheinlicher wird eS, daß die bloße Waffen gemalt ausreichen werbe, ihn zu ersticken. Gerade in den letzten Tagen sind wieder Meldungen aus Cuba eingetroffen, welche erkennen lassen, wie große Schwierigkeiten die militairische Bekämpfung der Erhebung bereitet, da die Aufständischen jedem entscheidenden Schlage aus dem Wege gehen, rafür aber den Spaniern fortgesetzt kleine Treffen liefern, bei welchen diese in der Regel empfindliche Verluste zu be klagen haben. Angesichts des Ausbleibens eines großen Waffenerfolges ist es nicht unwahrscheinlich, daß die Meldung von der bevorstehenden Abberufung deS Marschalls Campos sich bald bestätigt. Dadurch würde die Lage der Spanier allerdings nur noch verschlimmert, da CampoS fich auf Cuba allgemeiner Beliebtheit erfreut, weil man ihn als Befürworter von Reformen kennt. jDie Beziehungen zwischen Atalicn und England haben in letzrer Zeit durch die Unwillfährigkeit des Cabinels Salis bury, die unter Lord Rvsebery begonnenen Verhandlungen Italiens mit England über die pachiweise Abtretung Zeilas am Rothen Meere an Italien fortzuführen, anscheinend eine Trübung erfahren. Es scheint in italienischen militairischen Kreisen die Ansicht zu herrschen, daß England in Zeila als Wächter der Interessen Ras Makonnen's stehe, der dadurch im Stande sei, seine Streitkräfte mit denen Menelik'S zu vereinigen, um General Baratieri anzugreifen. Der Correspondent der „Times", welcher die Tbatsache der Ver schlechterung der Beziehungen Englands zu Italien constatirt, meint unter dem Hinzufügen, daß ihm Beweise hierfür jeden Tag vorliege??, cs sei zweifellos, daß in vielen Kreisen Italiens die Ansicht immer mehr Boten gewinne, daß das Abkommen Italiens mit England ein schwerer Irrt hum gewesen sei. Die Situation zwischen den beiden Mächten muß sich derart zngespitzt habe??, daß der „Standard" für nölhig hält, einen ofsiciösen Arliket zu bringen, der offenbar in Italien beruhige» soll, aber vielleicht das Gegenlheit erreichen wird. Darin w?rd constatirt, daß England JtaliensUnternebmungen in Afrika zwar nicht mit absoluter Billigung verfolgt, aber doch ohne Spur von Eifersucht. Danach wird die gefährliche Lage General Bara- tieri'S geschildert und angedeutet, daß die gut bewassuete Armee der Schoaner vermuthlich durch europäische Abenteurer geführt werde. Es wird dann geleugnet, daß England die Schoaner via Zeila mit Waffen veriorgte, und behauptet, daß dies von den Oesterreichern geschehe. Andererseits zeigt der Ossiciosus sich nicht geneigt, Zeila als Stützpnnct den Italienern zu überlassen, was ?mplic?te der Satz besagt: es sei keineswegs sicher, daß die italienische Regierung aus einer von Zeila ausgehenden Expedition, die Menelik in den Rücken fällt, Vortheil ziehen tonne. Den Schluß des Artikels bildet die Versicherung, Laß eine unbegrenzte Ausdehnung Italiens in Afrika durchaus nrcht mit Englands Ansichten übereinstimmen würde. — Daß England mit Italien in Afrika nur so la»ge zusammengeht, als es seinen Interessen entspricht, und daß es jetzt schon, während es sich offen als Bundesgenosse Italiens aufspielt, im Geheimen gegen Italien intriguirt, ist selbstverständlich, ??ud mau giebt sich darüber auch in Rom keinen Illusionen hin. Die Aeußerung, welche ?n der italienischen Kammer kürzlich bei Gelegenheil der Frage einer Intervention der Mächte im Orienr Der Geiger. sj Original »Roman von Emmy Rosst. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) De« Namen und den Nimbus deS Goldes legte er ab. A. Relau stand auf den Karten, die er sich neu drucken ließ — ein unbekannter Name. — Er wußte von einer Agentur Stern, welche die erste in der Residenz für Concertwesen war. — Sarasate, d'Albert, die Essipoff, die Menter, Staven- Hagen und alle anderen ersten Größen zählten zu der Clientele dieser rührigen Firma. Die Saison vor Weihnachten war auf der Höhe — es war Ende November, das Heer von Concerten kaum für eine einzelne Person zu überwältigen, dennoch hörte er die berühmtesten College» der Geige, begriff, was er nock zu lernen und zu verlernen hatte, studirte eifrig und nahm sich vor, erst nach Neujahr der Agentur einen Be such zu wachen. Während der Mittheilungen seiner Mutter auS der Ver gangenheit war ihm der Plan am einschlagendsten erschienen, den Neffen de» alten Herme« aufzusuchen, jenen ritterlichen Knaben Jacques, der auch nach der Katastrophe, als Jüngling bereit«, der Mutter freundliche Gesinnung er wiesen, als daS eigene Kind sie verleugnet. Er mußte jetzt ein reifer Mann, Mitte der Dreißig sein, und da er der Firma L. Herme- u. Co. angebörte, war d ieser Versuch das AuS- sichtsvollste für den Anfang — dennoch verging Tag auf Tag nnd Woche auf Woche, ehe er seinen Vorsatz anssllhrte; er wartet« gewissermaßen auf einen glücklichen Zufall, wie das Abwarten überhaupt in seiner träumerischen Natur lag. Auch die Gesellschafterin, welche er für die Mutter engagiren sollte und im April mit nach den? Orient zu??? Ersatz Fräulein Therese Reimer'» bringen wollt», hatte er nock nicht gefunden, weil er sie ebenfalls noch nicht gesucht. Die Freibeit, welche er nach der langen LiebeShast errungen, war ihm noch zu neu, er verstand sie kaum zu verwerthen; edel veranlagt, vornehm erzogen, hatte er nur bescheiden« Bedürfnisse. Wenn ihm Leidenschaften angeboren waren, so schlummerten sie noch in seiner Seele, für den Augenblick nahm die Kunst, das Verlangen nach Bethätigung derselben seine ganze Kraft und Fülle in Anspruch. Inzwischen liefen von der nun doppelt geliebten Mutter günstige Nachrichten ein — das milde Klima des Orients kräftigte ihre schwankende Gesundheit — die quälende Schlaf losigkeit hörte auf. Sie begann wieder Interesse an Lectüre zu finden und wünschte ihre Geige herbei. „Und wenn Du mir eine Gesellschafterin auswählst, lieb' Herzblatt, so sieh' mehr auf eine liebsame Erscheinung und gute Bileung, als auf robuste Kräfte. Bedienung im gewöhnlichen Sinne er weisen mir die eingeborenen Fekah-Mädchen besser und er gebener als die Damen der Cultnr — a»? liebsten Kälte ich eine sehr musikalische junge Dame, Pianistin, und zwar so gleich. Therese bittet Dich um dies „sogleich", da sie je eher, je lieber von ihrem Verlobten zu??? Weibe begehrt wird — er vergrößert dann sein Etablissement. Vielleicht findest Du irgend eine Pianistin von Beruf — überhaupt Dilettantismus selbstverständlich ausgeschlossen — irgend ein minder begütertes Mädchen, das den Aufenthalt i»? Orient und die Reiselust vorzieht, ehe es dem schweren Beruf der Clavier- lehrerin anbeimsällt ." Therese zu Liebe, die de??? Heranwachsenden Knaben stets eine dienstsreudige Hausgenossin gewesen, raffte er fich aus seiner seelischen Letharg?e auf und versuchte eS mit einer Annonce. Dutzende Offerten liefen ein. Aber trotzdem er jede Dame aussnchte, fand er auch nicht eine darunter, welche in ihrer Individualität für sein nervöses Mütterchen passend schien. Vielleicht batte er daS Inserat nicht richtig, nicht bezeichnend genug abgefaßt. Er wollte e« mit einem zweiten versuchen; da fiel ihm ein, daß vielleicht die Concertagentur solch eine junge Dame nachzuweisen im Stande sei, und kurz entschlossen fuhr er von seinem Quartier, welches er im Herzen der Stadt — in der Mittel-Straße — gewählt, nach der Pots damer Straße hinaus, wo sich die Agentur in einem der neuen Prachtbauten, gleich hinter dem Leipziger Platz, befand. „Herr Relau?" fragte der Chef, seine Karte in der Hand haltend, er batte wenig Interesse für Namen, die nicht bereit» durch den Zeitungsschwall leuchtend hindurchgegangen. „Wo mit kann ich dienen?" Jetzt erst fiel eS Aurel ein, daß er nicht sagen konnte, er suche für seine Mutter eine Gesellschafterin, da er ja ein Pseudonym gewählt, aber dir Nothwendigkeit ist eine schnelle Ralbgeberin. „Ich komme in doppelter Absicht — ersten-, ich habe micb zum Geiger auSaebildet und mochte ein Concert geben." — Herr Stern mustert« schnell die auch ohne jeden Schmuck elegante Erscheinung deS jungen Mannes, den echten Zobel pelz, die kleinen unbedeutenden und doch so bedeutungsvollen ToUetten-bric-L-krae'S — er machte eine bezeichnende Ver beugung und Aurel fuhr fort: „Zuerst aber eine andere Sache. Ich suche für eine schwächliche Dame, eine Verwandte von mir, die den Winter i»? Orient verbringt, eine Gesell schafterin. Es soll eine sehr musikalisch« Dame sein, da die Kranke selbst Künstlerin ist und mit ihr zusammen musiciren möchte — ein liebenswürdiger Charakter wird vorausgesetzt, sonst nichts beansprucht." Herr Stern drückte den elektrischen Knopf an seiner Schreibtisch-Klingel und einer dec Schreiber des Vorzimmers erschien. „Sagen Sie mal, Bernhard, ist die kleine Margarethe von Schlieffen in Berlin?" Bernhard bejahte. „Soviel ich weiß — ja — soll ich ansraaen?" „Ja, schreiben Sic ihr eine Karte und bestellen Sie die Dame zu morgen Mittags von 12—1 Uhr her. Paßt Ihnen die Stunde, Herr Relau?" „Mir paßt jede Stunde." Herr Stern bildete sich sein Urtheil. Ein reicher Dilettant, der ehrgeizig ist. — „Ich denke mir, die kleine Schlieffen wird Ihren Ansprüchen genügen, falls sie geneigt ist, die Stelle anzunehme». Sie ist sehr tüchtig, aber eignet sich gar nicht für den Concertsaal, denn sie hinkt stark, und obgleich die Presse ihre Leistung anerkannte, lag doch viel Peinliches zwischen den Zeilen der Kritiker — so ist sic denn auf den Beruf des Stundengebens angewiesen, da sie mittellos ist. Eine Stellung als musikalische Gesellschafterin dürfte ihr willkommen sein — ober ist ihr körperlicher Fehler ein Hinverniß?" Aurel zögerte — er war empfindlich gegen Gebrechen --- er glaubte von seiner Mutter dasselbe, dennoch mochte er nicht direct ablebnen, so erwiderte er ausweichend: „Ich möchte die junge Dame gern selbst sehen, ehe ich mich entscheide!" „Gut, also morgen zwischen 12 und 1 Uhr. Und Ihr persönliche« Anliegen?" Aurel faßte sich ein Herz. „Ich möchte in einem Concert ersten Ranges austreten, ich glaube daS Recht dazu zu haben, meine Leistung wird eS beweisen!" Herr Ralf Stern lächelte, die« Selbstbewußtsrin hatten sie Alle, selbst dir Talentlosen, nnd diese?« bildschönen Menschen, der sicherlich einer höheren ÄrstllschaftSclass» an- gehörte, mochte man durch schöne Complimente eine himmelhohe Einbildung in den blonden Kopf gesetzt haben. Ein wenig Aufrichtigkeit konnte dem Adonis nur nützen. „Ja, sehen Sie, Herr —", er blickte erst auf Aurel s Visitenkarte, „Herr Relau — wir insceniren eigentlich nur für schon berühmte Künstler Concerte. TournseS und so weiter. Trotzdem würde eS uns freuen, auck einmal ein Genie erst zu entdecken. Da Sie noch keinen Namen haben, ich erinnere mich wenigstens nicht —" „Nein, ich bin noch nie öffentlich aufgetreten." „Hm — also da« Einfachste, Sie bringen morgen Ihre Geige mit, und" — er lächelte eiwas mokant, „gestatten mir endl?ch einmal, daö lange erwartete Genie zu entdecken." Aurel erhob sich, verbeugte sich und fragte nur: „Wer wird mich begleiten? Ich werde Ihnen rin Solo Vorspiele??, möchte aber auch die Sarabande von Paganini vortragen." Die Sarabande — ein so schweres, technisch kau??? über windlickcS Musikstück, daß selbst erste Geiger es nur selten in ihr Programm aufnehmen — da sagte Bernhard, der nock anwesend geblieben: „Die Schlieffen spielt Alles vom Blatt, und Wenns der Teufel componirt hätte!" Herr Stern hatte sein mokante« Lächeln verloren — die Sarabande stand nicht auf dem musikalischen Menu eines Dilettanten — wenn dieser zwanzigjährig« Mann sich schon daran gewagt, so mußte eine bodenlose Selbsttäuschung oder gewaltiger Klriß neben allererstem Talent vorliegen. In der stolzen Art und Weise, wie Aurel sich verabschiedete, lag ibm inehr Wahrscheinlichkeit zu Letzterem vor. In diesem Sinne sprach er sich zu der kleinen Schlieffen aus, als sie am nächsten Tag, schon vor zwölf Ubr, sich mit der Pünctlichkeit einfand, die ein Symptom der Aengstlübkeit ist und etwas zu versäumen fürchtet. „Nun, liebes Fräulein, vielleicht haben Sie da» Glück, dem Herrn zu gefallen — ich meine, für den Posten bei der Dame in Kairo." — Sie zuckte zusammen, es hätte gar nicht dieses Zusatzes bedurft, sie wußte, daß sie in keinem anderen Sinne einem Mann „gefiel". Wenn sie so ruhig dasaß, war sie gar keine üble Er scheinung. Klein und zierlich gebaut, trat ihr dunkler Kopf markant hervor, — schön war sie nicht, nach gewöhnlichem Geschmack, doch die Stirn und die Augen waren schön! Graue, große, feuchte Sterne, die bald blau schimmerten, bald tiesschwarz leuchteten — jede Empfindung kegle sich, ihr be wegte» Innere widerspiegelnd, sofort In diese Augen hinein. Al» Aurel eintrat, erstarrte sie einen Augenblick, jede
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