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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.12.1895
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-12-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951223013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895122301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895122301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Ausgabe ohne Seitenzählung
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-12
- Tag1895-12-23
- Monat1895-12
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175.- IsU — so.— 16-1.25 SIS so SS,SS 183,- S7H0 140.50 191.50 151. - 107.— 104.10 sss>:, 830,- 103.85 141.— 51,50 15SS, 158,- 133.50 107.40 t ISS.—. I 136.40 > 161.80 j 158.70 143.50 > 119,— >« 130.60 t 383.80. vrssliuLi 0 83.80 ^ Bezugs-Preis k» d» Ha»ptrxp»ditto» oder den im Stadt- bezirk n»d den Vororten errichteten An«, liabesteven ab geholt: vierteljährlich ^4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« Hau« 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland «ud Oesterreich: viertrljädrlich .4 6.—. Direct» tägliche Krruzbandienduug tu« Ausländ: monatlich 7^0. DK Morgen-Ansgabe erscheint um V,? Uhr. die Abend-Lusgabe Wochentags um 5 Uhr. Lrdartilm und Lrpedition: Johanne»,affe 8. Die Expedition ist Wochentags anunterbrochea geSstnrt von früh 8 bi« Abends 7 Uhr. Filialen: Llt« Klemm'S Lorttm. (Alfred Hahn). Universität-straße 1, Laut» Lösche. Katharineustr. 14. part. und ASnIgSplatz 7. Morgen-Ausgabe. Anzeiger. Lrgan fiir Politik, Localgeschichte, Kandels- und Geschäftsverkehr. 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Jahrgang. 8.01 128.- L 330,— 44,75 475.— , 68,— !« l sl !N IN V8Ä2 59.35 131,35 48,10 8.81 ? 58,33 , 1.2S» 243.— bsvirkea isusrUck« >s»Uod ds- 73 80 25 V?>!L ivllle 42 mke« 64- IV« 30'.. »»»avx. 510,- al. 0^63^ >sv 34^75 oo»e 80,— 24.25 - unä no- >n virktsu sttix rück ^ldea voi - rastt, nur Iw. Iw. l<u. -8 660 638 496-j» 500 »r.> 8'.- cet.l 68'« <1rilokt uni zk»U xcxcn- »ereu voxa, ick« kolxts tsctocd t»r Vvl. 102,— als 102 — »r. .oi. > kr II.6. S7.30 87- 51,50 !«rt. iüe rlor. kr. 34.60 43,— 81.— 78.- ückd. ri >t.-8 r»td. >d. oald 86.50 67.35 138.50 134 — 88 — 115.35 8650 1-v. /k.» VIII otd» isok 114,30 10S.50 121,80 163.60 131,75 ;t.-4 74 «rdr. i>t»a kvrL rldr.) rtm.) Il.-V. tivuU >»lio. eon» sied. Ke >e Kur» l 84.35 83.50 ISS.— 17S,— 105.— 118.35 163.80 363,— 306^— 63.— ISS — S7.- 167.50 317.35 213.50 217.50 » Ir. >v<1 oc.S. S.18S« -tvtsu l.oo«« lolckr. Hatte osu« teiüe 158,60 158.50 135.80 83,— 218.— 82,— 101.60 66- 4425 öre«: 8es,?r ««.) Velreu per vecemüer per vsceiuker ker. II 0.15,. .10). Laoiackempk, H»u»»s»wpf»r o»>o» veeewder von u»i»u, l»t »w «lt»»r,u io : Vou lolieooa- von oeo, ^S«dM»u' »doa, .aitov»" Anzeigen süv die ain zweiten Feievtag evseheinenbe Numnrev evbitten rviv bis spätestens morgen Mittag. Amtliche Bekanntmachungen. Oekanntmachnng. E» wird hiermst zur öffentlichen Kenntnis gebracht, daß die Markthalle Sonntag, den SS. d». Mt«., »an 11 Uhr BormittagS bis 7 Uhr Abends und Dienstag, den 24. d«. Mts., so» 7 Uhr Morgen» ununterbrochen bi« S Uhr Abend« für den Marktoerkehr geöffnet sein wird. Leipzig, am 18. December 1895. Der «ath der Stadt Leipzig. vr. Ärorgi. Lindner. Lekanntmachung. Sonntag, den 22. December, und an, ersten WeihnachtS- seiertage werden bei der hiesigen Zollabfertigungsstelle für Postgüter (Ltephanstrabe 2) zollamtliche Abfertigungen wie an Werktagen vorgenommen. Leipzig, am 13. December 1895. Königliche« Hauptzollamt. Weicker. L. „Patriotisch oder international? — Die ethische Leantwortung der Frage." Vortrag des Herrn Meh. Kirchcnrath Domherrn Profeffor V. Aricke im Kaufmännischen Verein. „Ein politisch Gedicht, ein garstig Gedicht," „eine politische Rede in diesem Hause, welches an diesen Abenden der Wissenschaft rugekehrt ist, eine garstige Rede," so klingt es vielleicht in Manchem von Ihnen angesichts des diesmal ge wählten Themas: „Patriotisch oder international?" Aber mein zweiter Satz lautet: „Die ethische Beantwortung der Frage . Damit sind wir in die Tiefe der inneren Lage unserer Frage gewiesen und denken, sie auch nicht aus dem Auge zu lasten. Die ethische Seite liegt hier so tief und die Verwirrung auf diesem Gebiete ist so groß, daß aller Grund vorhanden ist, sie einmal einer erschöpfenderen Beantwortung zu unterziehen. ES ist schmerzlich zu sehen, mit welcher Unverfrorenheit und Keckheit gewisse Kreise, die Socialdemokratie und die Ultramontanen, in widerwärtigem Bunde jetzt um das Na tionale berumzukommen suchen, mehr oder minder, namentlich im Eiertanz deS letzteren Kreises, taktisch noch verschleiert und mit bösem Gewissen. Aber thatsächlich ist die gleiche vaterlandslose Gesinnung da. Die Haltung dieser Parteien entspricht dem auch im „deutschen" Parlamente. Sie reden von einem Zurückgehliebensein der patriotisch gesinnten Männer, sie nennen deren Gesinnung reaktionär. Sie, „an der Spitze der Zeit und Bildung", wüßten in erster Linie nichts vom engeren Vaterlande, sie seien „international". Als ob dies der „patriotische" Mann nicht ebenso sein könnte und wäre, uur will er mit diesen BaterlaudSlosen nach Gesinnung und Handeln nichts zu thun haben. Und er weiß warum. So ist das Thema allerdings geschöpft aus der Zeit. Die Wissenschaft hat das Recht und die Pflicht, in ihren Dienst zu treten, zumal in diesem Jahre. Wir stehen jetzt in der Jubelfeier der großen Ereignisse und Erfolge, die daS deutsche Volk im Jahre l870/71 davon getragen hat. Fast daS ganze Jahr hindurch haben wir hier und ia ganz Deutschland gefeiert, und so herrlich wie diesmal ist daS Sedanfest auch in unserer patriotischen Stadt kaum jemal« begangen worden. Schmerzlich zu bedauern ist, daß der patriotische Mann, der an der Spitze des Sedanfestcomitös auch diesmal stand, der hochverdiente Standesbeamte Trinckler, seitdem heimzegangen ist, vielleicht gestorben an der großen Arbeit, welche die Vorbereitung einer solche Feier immer auf erlegt. Und in den letzten Wochen, ja Tagen erst haben engere Kreise, namentlich in sächsischen Städten historische EnnnerungStagt, wie den von St. Bry und Cbampigny mit großem Recht gefeiert. Es waren ja verlustreiche Ehrentage, namentlich für unsere tapferen sächsischen Streiter. Und so Gott will, wird in einigen Wochen, am 18. Januar, der 25 jährige Gedenktag der Ausrichkung des deutschen KeicheS begangen werden. Dom Kaiser-Palaste herab bis in die kleinste Hütte unseres Volke- wird es in irgendwelcher Weise gefeiert werden, soweit unser Volk wahrhaft deutsch und von dea ihm gewordenen Segnungen durchdrungen ist. Aber gerade bei diesen Feiern baden wir es erfahren müssen, daß sich Tausende und Hunderttausende bei Seite zogen: „international", nicht „patriotisch" war ihr Scbiboletd, sie wollen mit unserer Feier nichts zu lbun haben. Ia, die rößten Ehrentage der Leistungen und Erfolge unserer Nation aben sie beschimpft und mit Hobn übergossen. Mit tiefer Beschämung sieben wir vor dieser Thatsacbe. Es hat niemals ein Volk gegeben, das seine eigene Nation so, wie diese Leute es getkan, verleugnet Kälte. Wir müssen daher hinsichtlich unserer politischen und nationalen Reise etwa» stutzig werden, wir müssen fragen, ob das irrationale allgemeine Wahlrecht eine ausreichende innere Basis hat, wir müssen unS aufgesvrdert fühlen, einmal diesem Geschrei: „international, nicht patriotisch" näher zu treten. Daher mein Thema. Und wir untersuchen zuerst die Wurzel des nationalen Gedankens und sein Recht, dann seine Kraft und Wirkung, endlich wenigstens mit Einigem noch seine Ehre und Unehre. Grundzüge müssen hier genügen. I. Die Wurzel des Patriotismus reicht hinein bis in die Wiege, ja in die Zeit vor unserer Geburt, vor unserm HinauStritt an« Licht der Erde. Jeder Mensch wird auS einem bestimmten Menschen - geboren als ein bestimmter Mensch; er tritt in eine bestimmte Zeit und Umgebung, und für sie ein. Gleich von Beginn unseres Leben» an wider spricht sich daS altheivnische Wort aus schon verkommener Zeit: „lTdi bene, idi patria". DaS lautet, als hätten wir die Wahl de» „Vaterlandes", die bat aber Niemand. Wir sind geboten aus der Substanz unserer Eitern, unseres Volkes, sie prägen unabstreifbar die Signatur uns aus, wir sind geboren aus der Substanz der Bildung und Entwickelung, die wir finden und in der wir dann aufwacksen. Niemand ist im Stande, auS seiner Geburt, auS sich selbst berauSzuspringen. oder sich mit abstracten Phrasen zu sagen, daß er sich von seiner GeburtS- stätte, von seiner nationalen Heimath, von seinem Vaterlande losreißen kann; Jeder ist und bleibt von uran ein nationales Wesen, wo und wie er sich auch entwickeln mag. Allerdings ist Tbatsacke, daß jedes Individuum ein Unicum ist, ein Original. Es giebt nicht zwei gleiche Menschen, über- baupt nicht zwei aleiche Dinge, und das ist unser Reichthum. Jeder von uns ist von dem anderen verschieden: nicht zwei Gedanken, zwei Worte sind einander gleich, auch wenn sie sich gleich nennen. 2<de Seele spiegelt dasselbe Ding anders wieder als andere; der Gedanke, das Wort, daS wir „gleich" nennen, ist nicht dasselbe, denn die Personen, welche sie tragen, sind verschieden und bestimmen Sinn und Tragweite. Wir können und wollen sie auf ihre Gleichheit nicht controliren; denn daS Verhälkniß und die gegenseitige Unzugänglichkeit ist unvermeidlich, praktisch irrelevant und trifft Äste. Genug, daß wir wissen: eS giebt nicht zwei gleiche Menschen und Dinge, und ia einander hinein können sie einmal nicht. Wir können Laber geradezu sagen, daß wir in diesem Sinne in unS selbst einaesperrt sind für alle Zeiten. Das Wort: Duo änm fueiunt ioem, non est illew, beruht zwar nicht allein, aber vornehmlich darauf, daß Jeder sein Wesen und seine Indivi dualität für sich hat. Mehr oder minder erkennbar prägt er sie Allem auf, ohne Ausnahme. Es ist somit Pflicht eines Jeden, sich zu wehren, wenn seine Individualität unter drückt werden soll. DaS Verderbliche des IesuitiSmuS liegt gerade darin, daß er dem Individuum durch seine Dressur, durch den Kadavergehorsam die Selbst ständigkeit principiell zu nehmen sucht. Daher giebt eS in diesen Kreisen — und sie beherrschen jetzt dort das Ganze — kein besonderes Vaterland, keine nationale Begeisterung! viel- mebr herrscht dort der äußerste Gegensatz gegen alles patrio tische Empfinden, gegen alle patriotischen Bestrebungen. Der IesuitiSmuS will eben Alle- nivellirrn. Die patriotische Be geisterung, die obne einen FreiheitSzug gar nicht denkbar ist, ist ibm ein Greuel, und darum kann der nationale Staat den IesuitiSmuS nicht zulassen. Unsere Schulen werden sich düten wellen, mit ihren pädagogischen Schablonen, wahrlich wider Willen, solchen Grundsätzen zur Seite zu treten. Die nationale und sittlich-religiöse Persönlichkeit macht den guten Lcbrcr, nicht die Schablone, so richtig ibr Jnkalt sein mag. Ader so gewiß die Individualität überall eine besondere ist, so gewiß ist eS auch andererseits, daß sie sich von ihrem nächsten Zusammenhänge nickt trennen kann, also auch nicht von ibrem nationalen, volkstbümlicben Boden, aus welchem sie geboren ist. Jeder Mensch ist in ein bestimmtes Haus, in einen bestimmten Staat eingesenkt. Der Staat fragt auch nicht erst, ob er — in irgend weicher Form — sein Bürger sein will, er setzt eS voraus, und erzwingt eS, wenn Tborheit es verleugnet. Niemand kann außerhalb eines Staate- leben, und zwar eines bestimmten. Die Familie aber, dieser Juwel in unserem Leben, die unverlierbare Grundlage Beider, deS Staates und der Kirche, ist an sich schon ein kleiner, natio naler Staat. Wir werden von vornherein als organisches Glied in sie eingefügt. Jedes wirkliche Volk ist eben nichts anderes, als dir ins Große erweiterte Blutsverwandtschaft der Familie. Die Familie organisirt sich zusammen mit anderen Familien, die Gemeinde entsteht, und aus ihr der nationale Staat. Aber das Haus schon prägt uns seinen Stempel auf, wir mögen wollen oder nicht. Die ganze Haltung deS Gemüthes, des Denkens und Wollens, desReden- und SckweizenS, des Rühens und Handelns, deS Körpers und alle- klebrigen hängt an der Familie, aus der wir stam men. Daher ibre unermeßliche Wichtigkeit.und Verantwortung. Wir sind also gar nicht in der Lage, unS von den Einflüssen der Familie frei zu machen. Wir können Einzelnes und Vieles abstreifen — und leider ist dies jetzt bei der theil- weisen Auslösung und Entartung deS Familienlebens oft nölhig genug — aber wir können nie den mütterlichen Boden verleugnen, auf welchem wir geboren, auf welchem wir aus gewachsen sind, die ersten und letzten Eindrücke unseres Leben- empfangen haben. WaS ist aber Nationalität anderes als diese erweiterte Familie, als die volksthümliche Blutsverwandtschaft? Der normale Staat selbst ist seinem Begriffe nach nicht- anderes als die auf nationalem Boden begründete, durch da» gemeinsame Recht organisirte sittliche Gemeinschaft. Wenn riese nationale Grundlage fehlt, ist kein gesunder Staat denkbar. Wir sehen eS, wie sonst, so bei dem großen unS befreun deten Staate Oesterreick-Ungarn. Tschechen, Ungarn, Magyaren, Slowaken, Slowenen, Kroaten, Rumänen liegen in dem selben Staate in einem bellum omninm contra omnes — denn es durchkreuzen sich hier die mannigfachsten Interessen, nur die gleiche Nationalität würde sie Zusammenhalten können. Sie ist durch nichts zu ersetzen, am wenigsten durch das sogenannte „Internationale". Große, feste Ziele kann bei solcher Lage ein Staatsmann, und wäre er der größte, nicht ins Auge fassen und nickt zum Siege führen. Seine Politik für den nothwendigen Zusammenhalt kann nur die Politik von einem Tage zum anderen sein. Die Unfähigkeit dieser „Nation", für sich zu existiren, ist hier noch einiger Halt und Kitt. Frevelhaft und verderblich ist eS nach diesem Allen zu sagen, wir brauchen diese volksthümliche, alle nativ verbindende Bluts verwandtschaft nicht. Der Engländer weiß wohl, warum sein national-englischer Staat möglich ist, er ist stolz auf seine Nationalität, nn klebrigen denkt er an nicht- als an Unter werfung der Angegliederten und an deren Ausbeutung. Ebenso ist eS bei den Franzosen. Selbst ihre Socialdemo kraten verhöhnen mit ihrem französischen Patriotismus unsere vaterlandslose Socialdemokratie. Diesem Patrioti-muS der Franzosen haben auch die Päpste sich unterwerfen müssen und müssen eS sortgehend. Nur der Deutsche weiß eS noch nicht, sein Nationalgesühl ist zwar mächtig geweckt, aber noch lauge nicht die große Seele unsere« ganzen Volke-. Die Kleinstaaterei bi« vor Kurzem mag die Schuld tragen. Ader mir der Größe eine- Volkes muß auch sein Nationalgesühl wachsen. Entbehren können wir eS nicht: der Inter nationalismus ist sittlich und historisch Widersinn. ll. Bei unserer zweiten Frage, der nach der Kraft und Wirkung der Nationalität, werden wir unS beschranken müssen. Laut der ganzen Weltgeschichte sind nur die nationalen Kräfte diejenigen, welche Großes herbeigeführt -aben. In Krieg und Frieden liegen dort die Großthaten der Völker und Staaten. Allerdings fällt, wie zur Widerlegung, unser Blick hier »erst auf die „internationale" Organisation der römisch- atbolischen Kirche. Also doch eine „internationale" Groß macht? und die Befähigung als solche wenigsten- auf Zeit zu bestehen? Aber ein Dreifache- haben wir uns hier vor Augen zu führen. Zunächst: die römisch-katholische Hierarchie ist kem Staat und kein Volk. Der Kirchenstaat, den sie ausrecht zu erhalten suchte und leidenschaftlich jetzt zurückerstrebk, ist unter dem national aufstrebenden wirklichen Staate Italien moralisch und finanziell jämmerlich zu Grunde gegangen. AIS daS endlich geeinte Königreich Italien seine natürliche Hauptstadt m Besitz nahm, und der Papst in die mehr als 10 000 Zimmer de-VakicanS „verbannt" wurde, war e- eine wahre Befreiung deSVapsteS und seines bankerotten Kirchenstaates. Die ganze Geschichte VeS Kirchenstaat«»" ist eine traurige Geschichte von inneren und äußeren Kämpfen und Bürgerkriegen. In den italienischen Nationalstaat hineingezogen, hat diese Organisation nun und schon vorher für alle die großen Aufgaben, die ein Staat bat, nicht zu sorgen; er genießt nur den Schutz deS Staates und die Mittel des Staates und seiner Bürger. Es kann dies ja, wie eS in früheren Perioden deS noch unentwickelten Rechtsstaates der Fall war, von Segen sein, aber jetzt greift eS fast überall nur störend und hemmend ein. Es gehört eine zu bewundernde Kühnheit und Naivität dazu, zu sagen, Altar und Thron werden nur von Rom geschützt. Las Gegentheil ist der Fall. Der katholische brasilianische Kaiser wurde von seinem katholischen Volke davongejagt, der König-Papst selbst, in ganz Südamerika steht ein katho lischer Staat um den anderen in Revolution, in Irland, im fast ganz katholischen Belgien vollziehen sich sortgehend ähnliche Bewegungen. Nur daS auch katholische Frankreich reicht bei seinen großen Mitteln über die Unsicherheit der Lage hinan», der Patriotismus, welcher den Franzosen eigen ist, hält trotz allem Wechsel auch den Staat aufrecht, und Leo XIII. ist klug genug, um nicht einzugreifen. Er hat dock überall den Kürzeren gezogen. Die Nationalität ist eben mächtiger als diese Einwirkung von außen. Eine Hierarchie kann keinen Staat machen oder erhalten. Er geht schließlich immer zu Grunde. Nur die protestantischen Länder sind in Ordnung. Sie rubcn auf nationalem Grunde und verbitten sich die Ein mischung einer romanischen StaatSinstitutiou, wie sie da» Papstthum ist. Und da» ist da« Zweite: selbst in der scheinbar nur „internationalen" Hierarchie ist das „Nationale" dazwischen, man ist nach Gesinnung und Politik romanisch und beutet von dieser Nationalität her die anderen Nationen au- nach Möglichkeit. Die Deutschen insbesondere sind genugsam auSgebeutet worden, bis sie sich in der Reformation selber gesunden haben und endlich auch politisch Ein große- Volk geworden sind. Und überhaupt — daS Dritte — ein nationaler Zug geht jetzt durch die ganze Welt; ohne die Nationalität ist jetzt kein Volk zu denken. Der „Internationalismus uno Rom" ist Anachronismus geworden. Der Proceß der un- Feuilleton. Das Christkind. Eine Weihnachtserinnerung von Elise Polko. Urbkr Ioj«xh mein. Hilf »V «iegn, »ein Sinttltw." — Wiegenlied der Maria. Machdruck verboten.) Sethu» Salviu», Bor 25 Jahren um eben diese Zeit! — Sie schwirren wie Schneeflocken auf und nieder, alle die zahllosen Erinne rungen an den WeibnachtSmonat von 1870 — an jene Zeit voll Blut und Thränen, voll Kampf und Sieg. Die damals dabei waren und noch leben, schauen ernst in daS Geflimmer de- CbristbaumS und fragen einander leise: „weißt Du noch?" Urber manches Männerantlitz fliegt dann ein Schatte» und doch leuchten die Augen stolz und freudig auf. Die junge und jüngste Generation aber lauscht halb athemloS vor Erregung den verschiedenen mündlichen Erzählungen und Berichten und Kinderhände blättern in den Büchern, die in Wort und Bild von jenen gewaltigen Tagen reden. — „Und damal«!" „Wenn sie uur daS Christkind nicht aus Ver sehen todtschießen. die Franzosen!" bat eben damals ein kleine», blonde» Mädchen angstvoll auSgerufen, ihr Spiel «it der Puppe unterbrechend und zur Mutter aufblickend. „Ob der Vater da draußen im Kriege wohl mit Acht giebt, und mit beten hilft." Die Mutter nickt nur und schaute mit thranenvollen Angen in die wirbelnden Schneeflocken hinaus. Ach, nicht beim Christkind waren ihre Gedanken, nur bei dem Einen, d«r für König und Vaterland fortgrzogrn war und viel leicht eben jetzt mit dem Gesicht auf der kalten Erde lag — todtl — ES war ein schlichte- Stübchen — eine verlassene Schnitzelbauk stand in der Nähe deS Fenster- — ein Marien bild bmg darüber geschmückt mit Tannenzweigen. Da tönte vom Ofen her eine leise Stimme: Großmutter am Spinnrocken sang ibr alte» Trostlied, den Wiegenaesang der Maria. Die Melodie dazu batte rin Leipziger Cantor einst erdacht, der in der alten Liudenstadt in der ThomaS- schule noch vor dem großen Sebastian Bach gelebt. Di« erste Strophe lautet«: Joseph, lieber Joseph mein, Hilf mir wiegen mein Kindtlein!" Wer die alte Frau, ein Sachsenkind auS Taucha, kauute, der kannte auch daS Lied, daS in ihrem langen Dasein voll schwerer Prüfungen allmählich ihr Trostgeiang geworden war, wie der Gedanke an die schmerzensreiche Mutter und daS göttliche Kind selber. Alle ihre Kinder waren mit dieser WeibnachtSmelodi« ausgewachsen und — auch nach und nach schlafen gegangen für immer, und auch ihr Lebens gefährte, der eigentlich, zu ihrem heimlichen Kummer, nicht zu den Gläubigen gehörte, verlangte in seiner Sterbe stunde plötzlich nach jenem heiligen Wiegenlied. Die Engel hatten ihr damal« die Kraft gegeben, ob ihr gleich daS Herz s erspringrn wollte, eS mit silberheller Stimme dem Scheidenden su singen, der dabei mit verklärtem Lächeln heimging. Und rtzt — seit drr grobe Krieg begonnen, baten nur noch die unge Frau ihre« Jüngsten und sein klein»« Töchtrrlein darum. Der Franz selber hatte leider nie viel darnach gefragt. Sie batte einst in ihrer Herzensangst über seine Gleichgiltigkeit gegen da« Christkind rin Stückchen Schaum gold in der Nacht vor dem 24. December an das Fußende seines Kinderbett» geklebt und ihrem Jungen beim Erwachen versichert, daß da» Christkind diese Stelle bei seinem Fluge durch alle Kinderstuben mit dem Flügel offenbar gestreift habe. Aber selbst dies Mittel hatte nur bis zur schlichten Bescheerung damals vorgehalten, denn Franz hatte leider geäußert, daß ihm an ein Paar ordentlichen Schlittschuhen mehr ge legen sein würde als an dem Flügelgold und daß in keinem Falle da- Christkind sich ordentlich umaeseben habe, WaS ihn, fehle. Die großen Schulkameraden bestärkten ihn nur in dieser Annahme und seitdem war e» mit dem erwartungs vollen Weibnachtsglauben wie eS schien für immer vorbei. Der fromme milde Pfarrer tröstete zwar die besorgte Mutter mit der Versicherung, daß eine Stunde kommen würde, wo der Franz in sich gehen müsse, — gerade das Christkind könne Niemand entbehren in der ganzen weiten Welt, ob Mann oder Weib, hoch oder niedrig. Seitdem waren Iabre hingegangen — in der Bettstelle mit dem Schaumgoldfleckchen schlief schon das Enkelkind. DaS kleine Mädchen erwies sich freilich auch nicht ganz im Sinne der Großmutter — eS mühte sich in jeder Weih- nachtSwoche wach zu bleiben, bi« e« mit eigenen Augen daS Christkind fliegen gesehen. Da die blauen Kinderaugen aber regelmäßig lufielen, ehe der erwartete Flügelschlag hrran- rauschte, so blieb daS goldene Fleckchen immerhin mehr oder weniger ein srßeS Wunder für da« kleine Mädchen, da« vor 25 Jahren in der Kri«gSr«it im Sachsrnland« jeden Abend in dem WeibnachtSmonat für den fernen Vater betete und — für daS gefährdete Christkind. Aber wo war denn drr, zu dem alle Gedanken gingen und dem alle Gebete galten? Nun, der lag eben in dem längst verlassenen Pfarrhaus? eine« halbverbrannten, zusammengeschoffrnrn französischen Torfe- in der Nähe von Sedan, daß man in der allgemeinen roßen Noth für kurze Zeit zu einem Lazareth eingerichtet atte, um die schwersten Kranken dort abzuladen, bis weiterhin Platz geschaffen sein würde. Dem Franz war daS linke Bein zerschmettert worden, und der junge bayerische Arzt, der ihn begleitete, hatte eS ihm unter dem Knie ab genommen und ihm einen erfahrenen Krankenwärter für acht Tage wenigsten» zurückgelassen, der zugleich auch nach den Andern sehen sollte, die dort zurückgeblieben. Ach wie gern hätten sie den freundlichen ärztlichen Helfer und Tröster selber zurückbrbalten, aber der mußte sich taub stellen, so schwer es ibm auch wurde, all' den herzzerreißenden Bitten gegenüber. Es gab weitere Arbeit — vielleicht noch schrecklichere. „Ich komme wieder, wenn ich selber leben bleibe, mein Wort darauf", damit nahm er Abschied. Vorübergehend tauchte in dem abgelegenen, kleinen Hause auch Wohl einmal die Ge stalt eine- zener irdischen Engel auf, die Freund und Feind mit gleicher Freude begrüßte, barmherzige Schwester genannt, selber fast znsammenbrechend im unermüdlichen Liebe» werk. Aber auch sie durste nicht bleiben, Unzählige voll Qualen und Schmerzen, hilfloser al« jene, warteten auf sie. Während sich der junge Sachse in wilden Firberphantasicn bin und her warf, bemerkte er nicht, wie eS um ihn her still und stiller wurde und Einer nach dem Andern lautlos schied. DaS Crucisix, da« vergessen an der Wand de« kleinen Zimmer» lag, in dem Franz litt und kämpfte, wurde gar oft leise weg genommen, um für kurze Zeit aus die Brust eine« Gestorbenen gebettet zu werden. Als Franz endlich fieberfrei um sich blickte, macht» ihm »in alte« Mütterchen, «,ne Franzvstn, br-
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