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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.01.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-01-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960109024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896010902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896010902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-01
- Tag1896-01-09
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Die Londoner Blätter lassen zwar auch heule noch ihrer blinden Wuth gegen Deutschland die Zügel schießen und führen eine albern-drohende Sprache, aber man wird diesseits deS Kanals klug und tactvoll genug sein, ruhige Kaltblütigkeit zu bewahren und die „Times" mit dem ganzen Chorus der conscr- vat'ven Blätter Englands sich heiser klaffen zu lassen. Nach einer unS zugegangenen Meldung des „Reuter'schen BureauS" aus London hat der deutsche Botschafter Gras Hatzfeldt gestern Nachmittag Lord Salisbury im Auswärtigen Amt einen Besuch abgestatlet und mit ihm eine längere Unterredung gehabt, deren Gegenstand natürlich die Transvaalangelegen heit gewesen ist, und es schweben auch sonst zwischen den näher betheiligten Cabinetten und officiellen Per sonen Erörterungen, von denen man hoffen darf, daß sie zu einem friedlichen Austrag der Sache führen werden. Es ist daher nur völlig correct, wenn, wie wir nach der „Nat.-Ztg." mittheiltcn, unsere Reichsregiernng parlamentarische Erörterungen der augenblicklichen inter nationalen Verhältnisse nicht wünscht und Staatssccretair Marschall das Ersuchen ausgesprochen hat, den Etat des Aus wärtigen Amtes von der morgigen Tagesordnung der Budget commission des Reichstags abzusctzen. Es liegt auch that- sächlich kein Bedürfnis; vor, den Verhandlungen der verant wortlichen Stellen vorzugreisen, denn wie die Haltung der deutschen, so ist zweifellos auch die der englischen Regierung in dem ganzen Handel, äußerlich wenigstens, eine in jeder Beziehung correcte und unangreifbare gewesen. Daran ändert auch daS an Paroxismus grenzende Gebabren der Londoner Presse nichts. In dieser Beziehung wird dem „Hamb. Corr." durchaus zutreffend von Berlin geschrieben: Der Saß: „Wo Rauch ist, ist auch Feuer" hat in dem Preß» trieg, den die ministeriellen Londoner Blätter gegen Deutschland und daS Kaiser-Telegramm an den Präsidenten Krüger führen, keine Geltung. Welches ist denn eigentlich der Gegenstand dieses unblutigen Krieges? Die Londoner Blätter gebärden sich, als ob Deutschland vertragsmäßige Rechte der englischen Regierung in Transvaal mißachte; sie würden aber, falls ihre Unschuld oder Unwissenheit nicht Maske, sehr überrascht sein, wenn sie erführen, daß die englische Regierung an diese Rechte selbst nicht glaubt, da sie anderenfalls nicht versäumt haben würde, ihre Ansprüche an der competenten Stelle anzumelden. Dieser Auffassung steht keineswegs die Thatsache entgegen, daß die englische Regierung den Befehl erlassen hat, unver züglich sechs Schiffe zur Formirung eines fliegenden Geschwaders m Dienst zu stellen (die „Times" sagen bezeichnend: „wegen der noch nicht ausgesprochenen Gefahren, die jetzt den Frieden Europas und die Wohlfahrt des britischen Reiches bedrohen): dem widerspricht ebenso wenig die Meldung englischer Blätter, der Admiral am Cap habe Befehl erhalten, nach der Delagoa-Bai zu gehen, „um den versuchten Uederraschungen (Landung deutscher Matrosen zum Schutz des Consulats in Pretoria) zu begegnen", und daran ändert auch die Nachricht deS „Daily Tele graph" nichts, tausend Mann englische Marine-Truppen, auf der Fahrt von Indien nach England begriffen, würden in Capstadt bleiben. Än diesen militairischen Maß nahmen Englands eine Provocation Deutschlands zu er blicken, ginge weit über das Ziel hinaus. Man vergegen wärtige sich doch nur die augenblickliche Situation! DaS üabinet Salisbury, in der gesammten auswärtigen Politik wider Erwarten noch unglücklicher als das Ministerium Rosebery, hat in der Transvaalangelegenheit einen neuen schweren Schlag erlitten, der für das Prestige Englands von den schlimmsten Folgen begleitet sein kann, die Stimmung in England, schon seit Jahresfrist nervös höchst erregt, hat sich in krankhaftem Chauvinismus aus« Aeußerste erhitzt und fordert, man möchte fast sagen ärztliche, Berücksichtigung und Behandlung. Was kann in dieser Lage das Cabinet Salisbury, um bedenkliche Ausbrüche der Volkslcidenschaft hintanzuhalten, nicht minder aber um sich selber im Sattel zu halten, Besseres und Anderes tbun, als dem so ungebärdig sich benehmenden britischen Chauvinismus einen Knochen hinru- werfen, an dem er sich die Zähne stumpf kauen kann? Bei aller Friedfert'-keit und Ccrrectheit muß die Londoner Re gierung wenig mit dem Säbel klappern. Sie meint — und sie weiß, warum — zweifellos nicht ernst damit, ^ ist Maskenspiel und man giebt sich in England auch keinem Zweifel darüber hin, aber das schadet dem Cabinet nicht so viel, denn der eben zur Schau getragene englische Chauvinis mus ist ja zum guten Thril auch nur Maske, eine Maske, die man — anstandshalber eine Weile vors Gesicht nimmt. Andererseits mag ja bei Ergreifung der erwähnten mili- tairiscken Maßregeln die Absicht mit gespielt haben, auf Prä sident Krüger dahin einen Druck zu üben, daß er vr. Jameson und Eomplicen weder hängen, noch erschießen läßt und in seinen Schadensforderungen nicht allzu weit geht. Ob dieser Pression es zuzuschreiben ist, daß Präsident Krüger das gegen Jameson gefällte Todesurtheil noch nickt genehmigt hat, mag dahingestellt bleiben. Wahrscheinlich ist es nicht; denn in seinen Forderungen an England, die noch dazu nur zum Tbril bekannt geworden sein dürften, legt er sich wenig Beschränkung auf: neben einer hohen Entschä digung von Seiten der Chartered Company verlangt er, wie das „Reuter'sche Bureau" aus Pretoria meldet, die Ent fernung Jameson's und Cecil RhodeS' aus Afrika, Forde rungen, die zu erfüllen der englischen Regierung sehr schwer fallen wird. In der Frage der den Uitlanders zu gewährenden Concessionen hat Krüger sich noch in nichts gebunden, er hat nur zugesagt, die Anliegen derselben in Erwägung zu ziehen Sollte es aber tbatsächlich auf eine mit Schädigung fremder Interessen verbundene Vergewaltigung der Trans vaalrepublik abgesehen sein, so sind außer den Boercn auch noch andere Leute da. Dock glauben wir, wie gesagt, an derartige Absichten der englischen Regierung vorläufig nicht. Sie wird sich auch sehr wohl hüten, Verwickelungen herbei zuführen, aus denen möglicherweise internationale Weiterungen entstehen könnten. Jedem einsichtigen Engländer muß sich ja — namentlich im Hinblick auf die völlige Jsolirung seines Landes — die Ueberzeugnng aufdrängen, daß Großbritannien für einen Krieg nach mehreren Fronten hin so gut wie gänzlich unvorbereitet ist, daß es, ganz abgesehen^ von der Kläglichkeit des englischen LandheereS, der Flotte an Artilleristen und Maschinenpersonal nicht minder wie an zureichender sonstiger Bemannung fehlt, ein Mangel, den alle militairischen Autoritäten Englands unumwunden eingestehen. Unter diesen Umständen läßt uns das fliegende Geschwader Englands völlig kalt, ebenso die fliegende Hitze des Chauvinismus, die England plötzlich über kommen ist und gar komische Blasen treibt. Davon zur Be lustigung der Leser nur ein Beispiel: Eine hiesige Buch drucker« stellt unS folgenden Geschäftsbrief einer englischen Kundschaft zur Verfügung, der in getreuer Uebersetzung lautet: Gl . . ., 4. Jan. 1896. Herrn . . . Senden Sie unS doch schleunig ri» Leith alles Druckmaterial. welches Sie von uns besitzen, zurück. Wir sind entschlossen, nichts mehr in Deutschland arbeite» zu lassen, was wir zu Hause be- kommen können, und wenn alle patriotischen Britten dasselbe thun, wird Ihr Volk begreifen, wie wir auf solche Handlungen, wie das Telegramm Ihres Kaisers an den Präsidenten Krüger, sehen. Niemand wird diese Handlung für einen Act der Freundlichkeit uns gegenüber halten. Ihr ergebener Mit solch kleinlichen Mittelchen bat bisher nur franzö sischer Chauvinismus sich befaßt. Die davon betroffenen deutschen Firmen haben sich über den — übrigen- nur ganz vereinzelten — Kundenverlust zu trösten und sich dafür ander weit schadlos zu halten gewußt; sie werden auch an englischem Nebelwollen nicht zu Grunde gehen. Gleich nach Wiederbeginn der Sitzungen des Reichs tags dürfte auch die bereits constituirte Commission zur Vorberathung des Gesetzentwurfs zur Bekämpfung Vcs unlauter» Wettbewerbs ihre Sitzungen beginnen. Die Com mission wird im Allgemeinen keine schwere Arbeit haben, da die Tendenz wie die Einzelbestimmungen des Gesetzentwurfs mit geringen Ausnahmen bereits daS Placet der öffent lichen Meinung, wie die Zustimmung der meisten Parteien des Reichstags gefunden haben. Die Ausnahmen beziehen sich in erster Linie oder beinahe ausschließlich auf den tz. 9 des Gesetz entwurfs, der von dem Verrath der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse handelt. Hier ist zweifellos die Achillesferse des Gesetzentwurfs zu suchen. Die Commission findet eine ausgiebige Kritik der fraglichen Gesetzesbestimmungen vor: Acußerungen der Presse, wie Gutachten der interessirten Kreise. Der übereinstimmende Mangel aller dieser Kund gebungen besteht aber in dem Umstande, daß die Kritik, welche geübt wird, lediglich eine negative ist, daß sie sich darauf beschränkt,die betreffenden Bestimmungen in ihrer gegenwärtigen Fassung und Form als nicht annehmbar darzuthun, ohne zu positiven Vorschlägen zu kommen, was an ihre Stelle zu setzen sei. Es bandelt sich dabei namentlich um eine ru- »,-effende Definition des Betriebs- und GescWWeveim- niffes, welches durch das Gesetz vor Verrath geschützt werden soll. Obwohl gewichtige Stimmen aus den zunächst inter essirten Kreisen der Arbeitgeber im Handels- und Gewerbe stande laut geworden sind, welche den Erlaß von Straf bestimmungen gegen den Verrat!, von Betriebs- und Geschäfts geheimnissen als unnöthig bezeichnen, so sind diese Stimmen doch entschieden in der Minderzahl geblieben, und die öffentliche Meinung hat sich durchweg zu Gunsten eines gesetzlichen Schutzes in dieser Richtung ausgesprochen. Das bringt aber die Notbwendigkcit mit sich, zur Verhütung eines Miß brauchs dcS Gesetzes, welcher der allgemeinen Tendenz desselben, dem wirtschaftlich Schwachen größeren Schutz zu gewähren, schnurstracks zuwiderlaufen würde, eine genauere Begriffs bestimmung des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses in das Gesetz einzusügen. Der vorliegende Entwurf enthält hier ein Vacuum, und dir Motive helfen sich mit dem „Sprachgebrauch des täglichen Lebens" und Analogien aus dem Strafgesetz buch, der Civilproccßordnung und dem Unfallversicherungs gesetz über die Schwierigkeit hinweg. Der erste Behelf taugt so wenig wie der zweite; daS tertium comparationis der angezogenen Analogie besteht lediglich in dem Fehlen jeder genaueren Begriffsfeststellung. Daß aber die weitere Bemerkung der Motive, ein Geheimniß setze Gegenstände voraus, welche sonst nicht bekannt sind, ebenso wenig zur Grundlage der Rechtspflege genügt, wie die von dem Herrn StaatSsecrrlair von Boetticher im Reichstag gegebene Definition, wonach ein Geheimniß daS sein würde, was sonst nickt bekannt ist, und ein Geschäfts- oder Betriebs- geheimniß das, was einer Geschäfts-, Fabrik- oder Hand- werkSthätigkeit so eigentbümlich ist, daß es in an deren Kreisen nicht zugleich angewendet werden .kann, liegt auf der Hand. Anhaltspuncte für eine zufriedenstellende DegriffSfeststellung des Betriebs und Geschäftsgeheimnisses finden sich leider auch in den einschlägigen Bestimmungen der alteren Gesetzgebung der deutschen Einzelstaaten nicht. Sie fehlen ebenso in den noch geltenden Gesetzesparagraphen in Frankreich, Belgien und Italien, welche dem Sinne nach vollständig dem tz. 9 des deutschen Gesetzentwurfs entsprechen. Die Commission wird demnach eine Aufgabe zu lösen haben, deren Schwierigkeiten ebensowohl auf juristisch-technischem, wie auf praktischem Gebiete liegen. Wenn man sich aber einmal für den gesetzlichen Schutz deS Betriebs- und Geschäfts geheimnisses entscheidet, so müssen diese Schwierigkeiten überwunden werden. Die BegriffSdrfinition dadurch zu um geben, daß man die Bestimmung, was Betriebs- oder Ge- schäfls-Geheimniß ist, in das jedesmalige Ermessen des PrincipalS stellt, ist ebenso wenig angängig, wie die Über lassung derselben an die „richterliche Würdigung der be sonderen Verhältnisse des EinzelfallrS". Das Erster? ver bieten fociale Rücksichten und das Interesse deS gewerb lichen Fortschritts, das Letztere wird durch die stark formalistische Seite unserer Rechtsprechung unthunlick ge macht, deren Abschwächung, wenn überhaupt, so doch nicht im Handumdrehen bewerkstelligt werden kann. Neben diesem Puncte wird die Frage der Sicherung des Betriebs- und Ge schäftsgeheimnisses über die Dauer der Dienstzeit der An gestellten hinaus von der Commission besonders ins Auge zu fassen sein. Hier dürste sich indessen auf dem von dem Abg. Baffermann bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfes angedeutcten Wege leichter ein Ausgleich der Interessen er zielen lassen. Weite Kreise des gewerblichen Lebens werden die Arbeiten der Commission mit vegreiflicher Aufmerksamkeit verfolgen. Als «in wichtiges Symptom liberaler Regungen in Ruhland ist der UkaS des Kaisers Nicolaus II. anzuschen, wonach das Justizministerium mit der Leitung des GefängnißwrsenS und der Strafbäuser in Rußland betraut wird. Bisher lag das Schicksal der Berurtheilten in der Hand des Ministers des Innern, während nunmehr die oberste Justizbehörde darüber ru wachen bat. DaS ist entschieden ein bemcrkenswcrther Fortschritt. Aber die Thatsache erhält noch eine besondere Bedeutung dadurch, daß der Zar in dem erwähnten UkaS zum ersten Mal seit seiner Thronbesteigung der freiheitlichen Reformen seines Großvaters Alexander H. gedenkt. Der betreffende Absatz der kaiserlichen Verordnung lautet: „In seiner kaiserlichen Fürsorge um eine bessere Organisation aller Zweige der Staatsverwaltung bat unser in Gott ruhender Großvater Kaiser Alexander II. seine Aufmerksamkeit auch dem Ee- fängnißwesen zugewendet, das eine Vervollkommnung er heischte. Aber diese Vervollkommnung kann nicht als ab geschlossen betrachtet werden, denn die geltenden Bestim mungen für die Gefängnisse bedürfen der Abänderung uud Correctur. Zu diesem Zweck und zur erfolgreichen Annäherung des Gefängnißwesens in gesetzgeberischer und praktischer Hinsicht an die Interessen der Gerechtigkeit finden Feuilleton. Ännalise's Pflegemutter. Roman von L. Hatdheim. Nachdruck v«rL»tcn. „Aber wir reisen weiter, ick weiß noch nicht einmal wohin." „Meine Liebe findet Sie überall, Annalise! Ich muß ja auch selber eilend auf meinen hochwichtigen Posten zurück." Er spottete selbst immer über seine diplomatischen Lei stungen bei der Botschaft. Da» rührte ihr junges, unerfahrenes Herzchen doch. Sie gab ihm die Hand und wurde wieder einmal sehr roth, zog sie aber schnell wieder aus der seinen, der Impuls schien sie zu reuen. Er jedoch schöpfte neue Hoffnung. Sie war noch zu ge winnen. Und am Ende, reich wie sie Beide waren, ein sicheres, gute» Jahreseinkommen nur beim Bankier zu erbeben, wie konnte sie das Leben genießen I Die alte Frau dort lebte nicht ewig, und ein ordentlicher, fester Wille gegen den ihrigen gesetzt. Graf Alfred Glogowsky fühlte sich mit dem ihn inne wohnenden SanguiniSmuS schon völlig wieder auf der Höhe. Gewiß, wa» ihm momentan wie eine große Thorheit vor gekommen, war ein kluger Sckackzug! Beide Damen sahen doch jedenfalls daraus, daß seine Liebe ohne Berechnung war; daS mußte der Baronin, bei ihrer Lebensauffassung, woblthun und sie ihm geneigt machen. Eine Frau aber, deren Gunst man gewonnen hat, sei sie jung oder alt, beherrscht man auch. Al» Graf Glogowsky sich von Annalise am Eingang des Seitenflügels trennte, hatte er verstanden, sie durch ein kurzes harmloses Geplauder wieder unbefangen zu macken. „Also, gute Freundschaft vorläufig, Annalise, und später —" „Ja, gute Freundschaft!" sagte sie hastig und entschlüpfte nach einem flüchtigen Gruße. Er sah ihr enttäuscht nach. Nicht einmal einen Kuß batte er bekommen. Sie war direct nach dem Zimmer der Baronin gegangen uud trat, wie sie gewohnt war, ohne Meldung ein, die Wangen beiß und roth, die Augen lebhafter und glänzender als je nach der eben erlebten Gartenscene. Erstaunt stand st« an der Lbür still und sah verwundert auf die beiden fremden Herren, die sich bei ihrem Anblick erhoben und verbeugten. „Das ist sie!" sagte Adele Jwanowna, und Annalise hörte aus ihrem Ton, man batte soeben von ihr gesprochen. „Komm her, Annalise! Dies ist mein Schwager Linowitz, Georg Linowitz von Ellern, und hier sein Sohn Joachim —" „Genannt Jocken!" setzte der ältere Linowitz hinzu und lachte neckend nach dem Sobn hinüber, der keine Freude an dieser landläufigen Namensentstellung zu fühlen schien. „Ach, Deiner Schwester, Tante Natalie's Mann? Will kommen, Onkel Georg! Willkommen, Jochen!" Annalise lächelte zutraulich und bot beiden Herren die Hand. Die Erregung der letzten halben Stunde hatte ihre Wangen tiefer gemalt, den zarten Teint noch weißer und durchsichtiger gemacht. Sie sab nie hübscher aus. „Ick kenne Sie schon, die Mama erzählte mir oft von Tante Natalie und Ihnen Allen", sagte sie. „Also das ist Annalise? Meine Nichte?" klang freundlich deS alten Herrn Erwiderung, obwohl er sich eines heimlichen Erstaunens über die Unbefangenheit „des fremden Kindes" nicht erwehren konnte. „Die thut ja ganz und gar, als gehörte sie zu uns!" dachte er- Da er aber lebenslang eine Schwäche für schöne Augen und liebliche Jugend gehabt batte, so konnte er sich deS innigen Wohlgefallens an dem holden Mädchen nicht er wehren. Er hatte ihre Hand geküßt und zog sie, nach einem schnellen Blick in Adele Jwanowna's Augen, näher an sick, indem er sie nun auch, mit dem Recht des Onkels, auf den frischen Mund küßte. Sie ließ eS überrascht geschehen, lächelte nur ein wenig verlegen dazu. Auf Jocken Linowitz' Stirn zog sick eine düstere Falte ;»sa»imen. Man sah ibm an, er ärgerte sich über seines Vaters Freiheit und vielleicht, um sie auSzugleichen, ließ er eS bei einer steifen Verbeugung, einem flüchtigen Druck der Hand Annalisens bewenden. „Ich bin ibm unsympathisch!" dachte Annalise in der nächsten Viertelstunde mehrere Male, während der Onkel Georg sie freundlick und liebenswürdig in ein Geplauder zog. Sie meinte aber nicht ibn, sondern seinen Sohn, der schweigsam daneben saß und dessen Züge sich nur erhellten, wenn er zu der Schwester seiner Mutter sprach. Im Ganzen batte sie kaum Zeit, viel darüber nackzudenken. Die Herren blieben zu Tisch; aber die Baronin lud weder den Staatsrath noch Annalisenö Freier dazu, eine Maßregel, welche durch ihre tiefe Trauer völlig gerechtfertigt wurde, Alfred Glogowskv aber in große ärgerliche Aufregung ver setzte, als er von Frau Marfa davon hörte. „Sie sehen übel aus, Adele!" Kommen Sie zu uns nach Thüringen, Sie werden neu aufleben!" sagte während deS Essens der alte Linowitz. Und Jochen setzte mit einem warmen Blick, der ibn geradezu verschönte, hinzu: „Wie würde die Mutter sich freuen, Tante Adele! Und dann, wohin wollt Ihr? Jh> steht in Eurer tiefen Trauer ganz allein; kommt zu uns, eS muß schrecklich sein, so immer in den Hotels und mit Fremden zu leben." „Ja, es ist schrecklick!" stimmte Annalise ihm zu und bat, sie wußte selbst nickt, wie eifrig: „Laß uns nach Ellern gehen, Mama; Deine Schwester, die Verwandten sind Dir doch die Nächsten." Der alte Linowitz streichelte ihr wohlgefällig über die and: „DaS war ein wahres und vernünftiges Wort, leine!" Dcrthin konnte Alfred Glogowsky nicht kommen, daS war der Gedanke, der Annaliese leitete. So lange er vor ihr gestanden, hatte sein liebenswürdiges, gewandtes Wesen auf sie gewirkt; jetzt schon sagte sie sich: Ich werde ihn nie nehmen können. Und nun redete sie der Mutter eifrig zu. „Es genirt mich. Ich bin nicht gewohnt, mich in anderer Leute Hausordnung zu fügen. Ich mag auch nickt mit vielen Menschen zusammen wohnen", sagte Adele Jwanowna zögernd und überlegeud. Jochen beredete sie freundlich, man sah ibm an, es war ihm Ernst mit seinem Wunsch. Sein Gesicht bekam einen wärmeren Ausdruck, offenbar zog ibn ein verwandschaftliches Gefühl zu der Schwester seiner Mutter. Adele Jwanowna machte allerlei Einwände bezüglich ihrer Bequemlichkeit; sie wollte auch noch einen Specialarzt in Heidelberg wegen ibres Herzleidens consultiren; sie werde, wenn sie sich entschließe, erst in einigen Wochen kommen, dann aber den ganzen Winter durch bleiben. Joachims warmherzige Widerlegung aller ihrer Bedenken besiegte sie endlich, und er wußte selbst kaum, daß Annaliese's zustimmendes Lächeln ibn so eifrig machte. Adele Jwanowna aber sagte sich: „Ich werde dort sparen können." . . „Das war ein guter Schachzug, Junge. Hast dock mehr Talent zum Diplomaten, als ich backte!" flüsterte mit inniger Befriedigung der alte Linowitz seinem Sohne zu, als Beide die Damen verließen, um sich vor dem Diner noch in Wild bad umzusehen. „Das Compliment verdiene ich nicht. Die Tante sieht jammervoll vergrämt aus, und ich weiß, daß wir der Mama den größten Gefallen thalen, als wir sie nach Ellern ein luden", erwiderte Jocken schroff. „Na, iu maM-om cksi gloriam! Die Hauptsache ist, das: wir sie erst mat nnter unfern Einfluß bringen." „Wenn Du da nur nicht wieder falsch speculirst, Vater." „Zum Kuckuck, das darf nickt sein, eS darf nicht, sage ich Dir. Sie ist unsere letzte Hoffnung", sagte gereizt der Alte. „Ich kenne Dich nicht wieder, Vater! Uud nimm es mir nickt übel, diese Art der Behandlung einer Gemüthsfrage . . . doch schließlich bist Du nickt so schlimm, wie Du khnst! Du wirst die Gastlichkeit, die wir geboten haben, doch von Herzen gern darbringen." „Tatata! ES gebt Dir gegen den Streich, daß ich das Ding beim rechten Namen nenne! Warft immer ein Ge miitbsmensch, Jochen, wirst auch schon einsehen lernen, daß man mit leerer Tasche keinen Hund vom Ofen lockt!" lachte der Vater, aber daS Gesicht bekam ganz entschieden einen grämlichen Ausdruck. „Nun, wenn ich'S denn mit dürren Worten sagen muß", ries Jochen von Linowitz. „so finde ich diese Spekulation auf ein Erbe, welches überdies unS noch Jahre und Jabre hinaus in der Ferne schwebt, einfach unwürdig. Die Tante mag höchstens fünf und vierzig sein! Sie kann achtzig Jahr« und älter werden." „Bei dem Aussehen? Keine zehn gebe ich ihr." „Möge sie hundert werden", fuhr Jochen aber erregt fort. „Uns muß cs lieb sein, und wir sollten un» zwingen, anständig zu füblen, trotz unserer Lage. Ich finde eS natürlich und geboten, Mamas einziger Schwester jede Liebe zu erweisen, aber Bater, um Alles bitte ich Dich, schiel« nicht dabei nach ihrem Geld!" „Das sollte ich mir von meinem eigenen Jungen nicht sagen lastenI" grollte der Alte. „Tu hast überhaupt gut reden, Deinen Zuschuß nimmst Du ganz fidel, und wenn er nicht aus den Tag da ist, kommt ein Brandbrief. Wo ich'» berkritge? Da» hat Dich noch nie gekümmert! Auch niivt»
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