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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.01.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-01-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960103021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896010302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896010302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-01
- Tag1896-01-03
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Im Vordergrund des politischen Interesses steht wie gestern so heute der englische Fricdcnsbruch im Transvaal und während die öffentliche Meinung, die namentlich in Deutschland mit ihrer vollen Sympathie auf Seite der Boeren - Republik ist, nach Mitteln sucht, wie die bedrohte Unabhängigkeit und Freiheit des so arg vergewal tigten Staatswesens zu schützen sei, haben die Boeren bereits selbst gehandelt und sich erfolgreich ihrer Haut ge wehrt. Die Weisungen, welche von London über Capstadt an vr. Jameson, den Führer der Flibusticrbande, der den unzufriedenen Uitländern in Johannesburg zu Hilfe kommen wollte, schleunigst ergangen sind, haben diesen zwar noch rechtzeitig erreicht, aber er hat sie bezeichnenderweise nicht beachtet, und so ist es, wie schon im Morgen- blatt mitgetheilt wurde, vor Johannesburg zwischen den Boeren und den Polizeitruppen des waghalsigen Administrators der B ri tisch-Südafrikanischen Gesell schaft zu einem ernsten Zusammenstoß gekommen, Lei welchem die letzteren eine unerwartete, sehr empfindliche Niederlage erlitten. Von verschiedenen Seiten wird die erfreuliche Meldung bestätigt, wie aus den folgenden uns zugegangenen Berichten hervvrgeht: " Lon-o», 2. Januar. Das Colonialamt veröffentlicht Depeschen, in welchen gemeldet wird, daß die Boten Sir Hercules Robinson's vr. Jameson zehn Meilen von Elans River erreichten. Jameson beachtete aber die Befehle, zurückzugehcn, nicht, nnd setzte seinen Vormarsch nach Osten fort. Das Gefecht begann gestern Nach, mittag; Jameson wurde aus mehreren Stellungen vertrieben. Tie Boeren nahmen 23 Verwundete, einschließlich 3 Lfficiere, gcfangcn- 5 Todte wurden von den Boeren begrabe». * London, 3. Januar. (Telegramm.) Das Ministerium für die Colonien bestätigt die Nachricht von der Niederlage vr. Jameson's, der große Verluste an Menschenleben erlitten hat. Jaiiieson hat sich ergeben. Chambcrlain tele- graphirte nach Prätoria und bat um hochherzige Behandlung der Gefangenen und Verwundeten. * Prätoria, 3. Januar. (Telegramm.) Die Boeren haben die Truppen der Chartered-Company unter Jameson in der Schlacht bei Krügersdorf vollständig geschlagen und dieselben zur UeVergabe gezwungen. Der High-Commissioner trifft von Cap stadt morgen hier ein, nachdem der britische Agent in Prätoria die Meldung von der Niederlage Jameson's nach Capstadt hatte ge langen lassen. „Onkel Paul", wie Präsident Krüger in Südafrika ge nannt wird, hat neulich, als die Rede davon war, daß von langer Hand her ein Umsturz in der Republik und eine Invasion von Außen her vorbereitet werde, das Wort ge sprochen, man müsse warten, bis die „Schildkröte" der Uitlanders-Bewegung den Kopf ganz Herausstrecke, ehe man zuschlage. Nun haben die Boeren zugeschlazen und daS ^.Tractement", welche sie den englischen Freibeutern der gold lüsternen Compagnie Rhodes-Jameson verabreicht haben, wird dieser hoffentlich den Appetit auf einige Zeit gründ lich verdorben haben. Gegenwärtig ist die Stimmung in der Cbartered - Company, wie überhaupt in Südafrika, allerdings noch kriegerisch, so daß eS den Anschein haben könnte, als sollte noch mehr Blut vergossen werden. So wird uns gemeldet: * London,2. Januar. Macguirc, der Direktor der Chartered- Company, drückte seine Meinung dahin aus, die Expedition Jameson's könne auf das Geheiß der heimischen Negierung den Rückzug nicht autreten. Ein Zurückziehen könnte nicht stattfindcn, ohne die ganze britische Stellung in Südafrika zu compromittiren. " Prätoria, 3. Januar. (Telegramm.) Die Regierung hat die weitere Nachricht empfangen, daß die Chartered- Company Streikende mobilisirt, um in Transvaal ein zudringen, da das Kafferncommando sich bereits in Transvaal an der Grenze des Beschuanalandcs befindet. Der Oranje- Freistaat bereitet sich vor, Transvaal zu unterstützen und hat ein Coimnando von 1600 Bürgern des Freistaates in der Nähe des Vaalslusses aufgestellt. Die Eisenbahnlinie zwischen Krügersdorf und Johannesburg ist aufgerissen. DaS sieht in der That danach aus, alö sollte der Conflict mit den Waffen zum Austrag gebracht werden und wan könnte, wenn dies geschähe, mit einiger Zuversicht auf einen ehrenvollen AuSgang für die beiden Freistaaten rechnen. Allein während in Südafrika die Gewehre noch schußbereit gehalten werden, ist auf dem Wege d iplomatischcr Verhand lungen, welche in den beiden letzten Tagen eifrig zwischen London und Berlin gepflogen wurden, doch Wohl die Garantie geschaffen worden, daß der ebenso verwegene wie frivole Schritt vr. Jameson's keine schlimmeren und keine unabsehbaren Folgen haben wird. Bekanntlich hatte der Präsident Krüger sich um Unterstützung an Deutschland gewendet, aber es hätte dieser Anregung nicht erst bedurft, um unsere Neichöregierung zu den ernsten Vorstellungen zu veranlassen, zu denen sie sich, unterstützt von der Zustimmung der gesammtcn nationalen Presse, sofort entschlossen hatte, als die ersten Nachrichten von dem unerhörten Einbruch des Vertreters einer englischen Erwerbsgescllschaft, zu deren Mitgliedern der Schwiegersohn der Königin von England, der Herzog von Fife, gekört, in Berlin, cingetroffen. Von welchem Erfolg der Schritt unseres Auswärtigen Amtes begleitet gewesen ist, konnte man schon daraus ersehen, baß von London sofort die Weisung nach Capstadt ging, das Ge schehene unumwunden zu mißbilligen und weiteres Unheil möglichst zu verhüten. Aber die englische Regierung ist den deutschen Wünschen noch weiter entgegengekommen, indem sie, wie die „Köln. Ztg." aus sicherer Quelle erfährt, an unser Auswärtiges Amt direct die Mittheilung hat gelangen lassen, daß sie das Eindringen der Chartered-Company in Transvaal entschieden desavouirt und den bestimm testen Befehl sowohl an die Regierung der Capcolonie wie an die betheiligten Osficiere gegeben hat, sich sofort ans dem Transvaal-Gebiet zurückzuziehen. Mit dieser loyalen Haltung des englischen Cabincts, das demnach die Meinung der „Times", Niemand, wer eS auch sei, habe sich in den Streit Englands und Trans vaals cinzumischennicht lheilt, scheint uns die augen blickliche Gefahr für Len TranSvaalfreistaat beseitigt, denn man wird in London sicher Mittel finden, um die conttictSlustige Chartcred-Compagnic zur Raison zu bringen. Aber nach einer Auslassung der Berliner „Post", welche als vom Auswärtigen Amte unterrichtet gelten kann, scheint eS auch, daß der Bestand der Boerenrepublik gegen äußere Feinde nicht blos für heute und morgen, sondern auf absehbare Zeit gesichert ist. Die „Post" schreibt: „Ta sowohl die englische Regierung wie die Regierung der Capcolonie den völkerrechtswidrigen Cinsall der Agenten der ChartereL-Cgiiipaiiy auf das Entschiedenste desavouirt haben, so ist um so eher zu erwarte», daß Bemühungen der hiesigen Regierung für die Ausrechterhaltung der Unabhängig- keit Transvaals von Erfolg sein werden." Demnach bemüht sich die deutsche Reichsregierung im eigenen Interesse, wie in dem der Boeren, den Freistaat auch in Zukunft intact zu halten und sie muß von London aus ächere Zusagen bekommen haben, daß wenigstens das ossicielle England nicht gesonnen ist, den Transvaal je zu vergewaltigen oder einer Vergewaltigung von anderer Seile seine Unter stützung zu leiben. Wäre eine solche Zusage nicht erfolgt, so würde ' schwerlich die oben citirte Aeußerung der „Post" in dieser Fassung in die Presse gelangt' sein. Daß freilich die Versuche, noch mehr UitlanderS nach Transvaal zu übersiedeln, mit Eifer von der Char tere!) - Company ihre Fortsetzung finden werden, wannt dann jene mit dem Anschein noch größeren Rechtes für die Majorität der Bevölkerung auch die politische Macht im Staate verlangen können, erscheint zweifellos, und aus diesem Grund heißt es, auch weiterhin scharf aus der Wacht zu bleiben. Vorläufig können wir mit dem Erfolg unserer Diplomatie, welche daS Prestige Deutschlands dem Ausland gegenüber sehr wesentlich zu beben geeignet ist, vollauf zu frieden sein. Weitere aus den Transvaal-Conslict sich be ziehende Meldungen finden sich unter „Afrika" abgedruckt. Es ist begreiflich, daß die rasche Wirkung der deutschen diplomatischen Action in Sachen des Transvaalconfticts die Pbantasiepolitiker anspvrnt, auf die Reise des Fürsten Hohen lohe nach Wien zurückzugreifen und sich in Betrachtungen über den Zweck und die Erfolge dieser Reise zu ergehen. Es ist ja nicht zu leugnen, das; dieses Ereigniß. wie sehr man auch bestrebt gewesen ist. ihm einen unpolitischen Anstrich ,n geben, die Äusmerksamken in Hohem Grade auf sich ziehen muß. Ohne besonderen Anlaß begiebt sich ein hoch bejahrter Staatsmann mitten im Winter nicht auf Reisen, selbst wenn er sich einer so ausgezeichneten Gesundheit erfreut, wie Fürst Hohenlohe. Zudem waren der feierliche Empfang, der dem deutschen Reichskanzler vom Kaiser Franz Joseph zu Theil geworden ist, und die eingehende Art, wie darüber berichtet wurde, nickt geeignet, an einen ganz harm losen Vorgang glauben zu machen. Man darf aber Alles, was in den Blättern an bestimmten Angaben über den eigent lichen Zweck der Reise zu Tage tritt, unbedenklich alö willkürliche Mulhmaßung bezeichnen. Der Schleier, welcher bei uns von jeher die auswärtige Politik verhüllte, ist unter dem Fürsten Hohenlohe dichter als sc. Nicht nur, daß der Reichstag bisher vergebens auf Mittbeilungen über die „hohe Politik" wartet, wie sie Fürst Bismarck doch hie nnd da gab, sondern selbst in den höchsten Rcgicrungökreisen können sich heutzu tage nur ganz verschwindend wenige Personen des Em- geweihlseins rühmen. Wie sollte da das Geheimniß dieser Wiener Reise mir nichts dir nichts in die Oeffentlich- keit gelangen! Alles, was man mit einiger Sicherheit schließen kann, ist dieses, daß die orientalische Verwickelung noch keineswegs über die Stufe bedenk licher Gefährlichkeit hinaus ist, daß es noch ungewöhn- icher Anstrengung bedarf, einen friedlichen und befriedigenden Ausweg zu finden. Das ist nun freilich für Niemand etwas Neues, und deshalb liegt für uns Deutsche Las eigentlich Bemerkenswerthc an der Hohenlohe'schen Reise in etwas Anderem, daS mit den internationalen Dingen an sick nichts zu thun hat. Unmittelbar vor der Reise schwirrten in der deutschen Presse allerlei Gerüchte über eine bevorstehende umfassende Ministerkrise umher; auch die Stellung des Fürsten Hohenlohe sollte erschüttert sein. Die Weise, wie derselbe jetzt in Wien aufgetreten ist, beweist, daß er sich weder erschüttert fühtt, noch daß er sich, wie man ihm ebenfalls nachgesagt Halle, aus eigenem Antriebe mit Rücktrittsgedanken trägt. Unter diesem Gesichtspunkte wird die Winterreise denn wohl eine beruhigende und klärende Wirkung üben. Die volle Klärung kann man freilich erst von dem weiteren Verlaufe der Reichstagssession erwarten. Daß Fürst Hohen lohe in Uebereinstimmung mit den verbündeten Regierungen entschlossen ist, der Umsturzbewegung mit allen ihm durch die bestehenden Gesetze gebotenen Mitteln entgegen zutreten, unterliegt keinem Zweifel. Aber das ist nur ein Theil der Aufgabe», die der jetzige Reichskanzler zu erfüllen hat. Ter größere und schwierigere ist der, den politischen Boden so zu bestellen, daß auS ihm bei den nächsten Reichslagswahlen eine parlamentarische Mehrheit hervvrgeht, die nicht wie die jetzige bei den wichtigsten Ver suchen zum weiteren Ansban reS Reiches und zur Festigung seiner Institutionen versagt. DaS ist um so schwerer, je mehr Fürst Hohenlohe ein leidliches Verhältnis mit der jetzigen Reichskagsmehrheit zu bewahren genöthigt ist. Aber es muß versucht werden und wird um so sicherer gelingen, je mehr sich die Ucberzcugung befestigt, daß Fürst Hohenlohe uner- schntlert im Vertrauen des Kaisers steht und mithin auch die Ausgabe erfüllen will, die ftaalscrhaltenden Kräfte zu sammeln. Der „Vorwärts" hat, wie alljährlich, seiner Neu- jahrönummer einen aus röthlichem Papier gedruckten Kalender beigclcgt. Tie jedem Monate beigedrnckteu „historischen" Angaben weisen die gewohnten Gehässig keiten und Fälschungen auf, bieten also nichts Neues. Verwunderlich ist nur, daß der Kalender, der dir unbedeu tendsten Angelegenheiten verewigt und dabei auch auf dem Acker der CriminalfäUc Früchte pflückt, den zahlreichen „Ge »offen", die im Laufe der letzten Jahre und auch im zuletzt verflossenen, häufig mit Gattinen von Parteifreunden, regel mäßig aber in Begleitung von Parteigeldern das Weite gesucht haben, die Unsterblichkeit vorenthält. Für die „stärkste Partei Deutschlands" kann dieses freiwillige Ver bleiben im Dunkel doch nicht mehr als ein Gebot der Be scheidenheit anerkannt werden. Verschiedene Anzeichen deuten, wie uns aus Belgrad ge schrieben wird, darauf hin, daß das krisenreiche Zcrbic» neuerdings vor einer inneren Krise steht und daß das jetzige fortschrittliche Cabinet Novakovitsch vielleicht sehr bald schon seine letzte Stunde wird kommen sehen. Ein eigenes Vcrbängniß lastet ans diesem Lande. Mit den Jahres zeiten wechseln die Ministerien, eine Krise jagt die andere, und ehe ein Ministerium noch reckt zu leben begonnen, hat cs auch sckon für immer ausgclcbt. Cö war ein nnglücklicker Gedanke, ein Ministerium aus der Fortschrittspartei ans Ruder zu stellen. Serbien erfreut sich Leö glücklichen Besitzes dreier Parteien. Die zahlreichste ist die radikale Partei, nach ihr kommt der Starte nach die Partei der Liberalen, die schwächste unter den FairiHetsn. Ämmlise's Pflegemutter. 21 Roman von L. Haid heim. Nachdruck verboten. „Was war eS? Rede, Sascha!" „Alte Frau — erkauft", lallte dieser. „Hören Sie doch nicht auf den Unsinn, er pbantasirt ja!" sagte sie hart. Aber indem sie sprach, ging ihres Gatten Lallen in schreckliches Röcheln über. Der Sterbende ver drehte die Augen, es war, als wolle er beide noch einmal beschwören. Ein schweres entsetzliches Ringen fand statt. DaS Geschrei des VaterS rief die Pflegerin, Boris, die Hotelbediensteten herbei. Auch Annaliese kam angestürzt, wie sie eben war, im weißen Frisirmantel, das wundervolle, Helle blonde Haar halb aufgelöst; sie umarmte ihre Pflegemutter, diese stieß sie aber rauh zurück. Blaß und verstört kniete das junge Mädchen betend neben dem Sterbenden, für den man nichts mehr thun konnte. Adele Jwanowna hatte diese Wendung getroffen wie ein Blitz. Sterben, jetzt sterben? Daran hatte sie nicht gedacht, nicht einen Augenblick. Die Aerzte, die irgend Jemand geholt batte, kamen schon. „Was ist vorgegangen? Nichts ließ auf dies baldige Ende schließen!" rief Doctor Erkner, der zuerst da war. Der alte Hofrath fragte nicht. Wozu hätte daS nützen sollen. Sie hatten ihn aufgeregt, die Aufregung war tödtlick geworden. Geisterhaft aussehend, ganz vernichtet hatte Adele Jwanowna sich über den Leichnam ihres Gatten geworfen. Sie hatte ihn sehr geliebt. In diesem Moment empfand sie nichts Andere-, begriff nicht, wie sie eben noch Haß und Er bitterung hatte fühlen können. Ganz gebrochen lehnte der alte vornehme Russe in dem Sessel neben der Wittwe. Auch nicht daS geringste Anzeichen deutete auf einen Streit zwischen ihnen. Doctor Erkner führte dann die Damen aus einen Wink seine- Chefs au- dem Sterbezimmer. Adele Jwanowna wie- die Begleitung ihrer Pflegetochter zurück. Sie wollte allein sei». Ein tiefer, bitterer Kummer darüber ließ daS junge Mädchen aufschluchzen. Wie oft war ihr, je älter sie wurde, fühlbar gemacht, daß sie nicht das rechte Kind dieser Frau, Adele Jwanowna nicht eine wirkliche Mutter für sie war. Nur ein Spielzeug, batte die kinderlose, reiche Dame vor Jahren in dem bildschönen, blonvhaarigen Kinde gesehen, dessen Eltern, arme deutsche Malersleute, fast zugleich ge storben waren. Ein entzückendes Spielzeug! Adele Jwanowna war damals ganz stolz darauf ; man beneidete sie, sagte ihr Complimente, das gefiel ihr. Später behielt sie ihr Spielzeug, weil sie eben nicht wußte, wobin damit. Das Mädchen wuchs heran und liebte die Pflegemutter zärtlich, das that der einsamen Frau wohl, sie war ihr eben unentbehrlich geworden. Als sie dann den Baron von Platow heirathete, gab sie Annaliese in eine Pension und ließ sie da, bis sie vor Kurzem sich ihrer erinnerte, als sie zufällig eine Gesellschafterin vermißte. * -!- Ein Sterbefall im Hotel! So sorgfältig man in der Regel einen solchen auch zu verheimlichen pflegt, der heutige war zu unerwartet schnell gekommen. Von Mund zu Mund flag die Kunde wie ein Lauffeuer. Die wenigen Gäste rückten naher zusammen. Man kam überein, daß die sofortige Abreise nicht geboten sei; außerdem war es doch interessant, ein Begräbniß »ach griechischem Ritus zu sehen. Schon in der ersten Stunde batte Se. Excellen» entschieden, die Leiche solle auf dem Kirchhofe von Wildbach bestattet werden, da sich dem Transport zur Zeit große Schwierigkeiten entgegenstellten. Alle Diener und Kammermädchen, die mit Boris bekannt waren, überhäuften diesen mit ihrer neugierigen Theilnahmc. Er batte für Niemand Zeit und war ehrlich betrübt, denn er liebte seinen Herrn, wie er dessen Gemahlin haßte; aber das hatte er sich in seiner Wutb über die ihm eben erst widerfahrene Behand lung entschlüpfen lasten, daß „sie" den braven Herrn inS Grab geärgert habe, eine Neuigkeit, welche im Salon willigen Glauben fand. Die einsame und der schmerzlichsten Unruhe überlieferte Annaliese fand in der Schwester Magvalene eine freundliche Trösterin, sobald diese sich von den Leuten des Leichenbestatters abgelöst sah. An der Brust de- treuherzigen, alten Mädchen« weinte das bedrückte junge Herz sich wieder frei. Die Schwester wußte so gut zu trösten, und als Annaliese, durch den Kummer mittheilsam gemacht, anfing, ihr zu erzählen von sich und ihrer Jugend, der Pflegemutter und deren Stiefsohn, Alfred, Graf Glogowsky, sowie von dem verstorbenen Baron von Platow, da zeigte sie auch, daß sie gut zu hören verstand. Im Stillen war sie erschrocken und erstaunt, wie freudlos die vielbeneidetc junge Dame durchs Leben gegangen war, und wie so wenig wirklich mütterlich Adele Jwanowna für ihr Pflegekind zu fühlen schien. Später kam Marfa, von ihrer Herrin entlassen, hereingeschlichen. Sie brachte Annaliese Thce und sorgte, daß die Ermüdete sich niederlezle. Dem jungen Mädchen grauste es, allein zu bleiben; so versprachen sie ibr den Beide, Wache bei ihr zu halten. Sie setzten sich flüsternd in den fernsten Winkel, Schwester Magdalene machte große Augen zu Dem, was sie erfuhr. Das nannten nun die unverständigen Menschen glückliche, reiche Leute! Der erste Mann der stolzen Dame, ein Tyrann, ein Revolutionair, der in Sibirien geendet hätte, wenn er sich nicht erschcß. Der Zweite unter dem Schein der Liebens würdigkeit ei» Spieler, ein leichtfertiger Lebemann, der seine Frau tausendmal mit Tänzerinnen und anderen leichtfertigen Frauen betrog, der ibr Vermögen vergeudete und verspielte unv sich doch bei ihr so einzuschmeicheln verstanden, daß sie ibm nicht nur das ihrige, sondern das ihres Stiefsohns zur Verwaltung übergeben hatte. Ein wahres Älück, daß die Frau Großmama klüger war; sie traute dem Baron von Platow nie und hielt ihr Geld fest bis zum letzten Athemzuge. Da erbte es denn freilich Abele Jwanowna! Ein ganzer Haufen Geld warS; Grund besitz und Hunderte von Seelen dazu. Eigentlich hätte eS in zwei Theile gehen sollen, und so war auch der Wille der alten Dame gewesen; denn sie hatte sich mit ihrer anderen Enkelin, sie hieß Natalie und war in ihrer Lummen Jugend mit einem deutsche» Osficier durch gegangen, — mit dieser Schwester Adele Jwanowna'S batte sie sich feierlich versöhnt. Frau von Linowitz war ein Jahr vor dem Tode der Großmama bei ihr gewesen, und Keiner dachte anders als sie seien versöhnt, ehrlich versöhnt; aber nachher fand sich's; Adele Jwanowna war die alleinige Erbin, daS spätere Testament hatte die Frau Großmama zurück- genommen. Das Begräbniß des BaronS von Platow war vorüber, die Neugier hatte reiche Befriedigung gefunden. Ein wahres Glück also, daß der Transport der Leick- nach den kürzlich erlassenen Verordnungen wegen der an der Grenze constatirten Cholerafälle unmöglich war. So bestattete denn die tieftrauernde Wittwe ihren Gemahl auf dem Friedhöfe von Wildbad, und was an Prunk und Ehrenbezeugungen möglich gewesen war, das ward bei der Feier entfaltet. Adele Jwanowna hatte fick dann mehr noch als früher von aller Berührung mit der Außenwelt abgesperrt. Boris nahm jede Meldung entgegen, er allein durste die Kammer frau in der Bedienung der beiden Damen unterstützen. Aber er blickte finster und trotzig, und die Herrin schien ihn über haupt nickt zu sehen, obwohl sie seine Dienste annahm wie sonst. Selbst das jetzt wieder sonnige Wetter konnte Adele Jwanowna nicht zu einer Spazierfahrt, einem Gange nack dem Grabe ihres Mannes verlocken. ScklasloS, überreizt, eine Beute der widersprechendsten Empfindungen, bockte sie in ihrem niedrigen Sessel nnd sprach kaum. Sie lachte ihrer Pflege tochtcr bitter und höhnisch inS Gesicht, als Annaliese sie sanft zu überreden suchte, ihren begreiflichen Schmerz nicht so wortlos'» ihr Herz zu verschließen. Erschreckt fuhr daS jungeMävchen zurück vor dem Blick, der sie dabei ans den Augen der Baronin traf. Was hatte sic? Was ging in ihr vor? Wie sah sie aus? Warum lachte sie oft so vor sich hin, wie jetzt eben? „Mutter! Mutter! WaS ist Dir? Sprich Dich aus, weine, klage, aber schließe Dich nicht mehr Tag und Nacht ein, gönne mir dock Deine Gegenwart", bat Annaliese von Neuem weinend, diesmal über die furchtbare Veränderung, die mir Adele Jwanowna vorgcgange» war nnd die sie jetzt erst mir Schrecken erkannte. „Wenn der Staalsratb fort ist! Wenn ich ihn nicht mehr zu sehen brauche!" hatte Frau von Platow mit haßerfüllter Stimme erwidert! Ter Staatsrath.' Se Excellen; reiste nach der Beerdigung nicht ab, wie Jedermann erwartet hatte. Aber er drängle sich den Dame» auch nicht auf. Niemand, der ihn sab, konnte be zweifeln, daß der Tod deö SohneS den alten Herrn fast zu Boden warf. Er sah bleich, überwacht und trank aus, seine unter Len buschigen Brauen bervorsunkelnken Augen waren tief in ihre Höhlen zurückgesunken, das selbstgewisse, herrische Auftreten wich einer schlaffen, gebeugten Haltung. Er ließ jeden Morgen regelmäßig bei seiner Schwiegertochter anfragen, ob sie ihn empfangen könne, und regelmäßig war der Bescheid ein Bedauern.
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