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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.01.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-01-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960117027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896011702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896011702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-01
- Tag1896-01-17
- Monat1896-01
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Bezugspreis dl der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgrhott: vierteljährlich.414.50, bei zwettnaltaer täglicher Zustellung in» Hau» ^l -.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertel,ährlich ^l S.—. Direkte täglich« ttreuzbandirndung in» Ansland: monatlich .41 7.50. DK Mvrgeu-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr. die Abend-Aasgabe Wochentag» um 5 Uhr. Abend-Ausgabe. Nr-artioa »u- Lrpe-itiim: 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geSffuet von sriih « bi» «b«w» 7 Uhr. Filialen: ktt» Sie«»'» Lorti«. (Alfred Hatz«), Universitätsstraße 1, Laut» L-sche. Katbarinrnstr. 14, Part, und König-Platz 7. (Mg er. Tageblatt AazeigeN'Pret- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Psq. Reklamen unter dem Ne-actionsslrick (4ge- lpalten) 50^,. vor den Familiennachrichteii (bgespalten) 40.^. Größere Schriften laut nnjerem Preis- Verzeichnis;. Tabellarischer und Mfser»i>.ch nach höherem Tarif. Anzeiger. Mtsklatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Aathes «nd Nokizei-Rmtes der Ltadt Leipzig. Vitra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen - Ansgabe, ohne Postbefördernng .6 60.—, mit Postbefördernng »l 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4Uhr. Für die Montaa-Morgen-An-gabe: Sonnabend Mittag. Bei den Filialen »nd Annahmestellen je ein» balde Stunde srnher. Anzeige» sind stets an die Expedition zu richten. Druck »nd Verlag von E. P olz in Leipzig. .z» 29. Freitag den 17. Januar 1896. SV. Jahrgang. Amtlicher Thetl. Städtische Volksschulen. Am 18. Januar, dem Tag» der 2Ljädrigen Wiederkehr der Renausrtchlung de» Deutschen Reiches, findet in den hiesigen Volksschulen eine patriotische Feier statt. Sie beginnt in der 8. VeztrkSschule für Lnaben um 8 Uhr, in der 1. Höheren Bürgerschule für Rädchen. in der 3. Bürgerschule, sowie um 10 Uhr, tn der ?4. und 2 t. VezirkSschule in asten ädrige« Schule« u« S Uhr. Zur Theilnahme an derselben beehren sich hierdurch ergebenst einzuladen Leipzig, den 16. Januar 1896. die Direktoren der Volksschulen. Politische Tagesschau. * Leipzig. 17. Januar. Da» Mißvergnügen a» dem Jubelfeste de» Reiches macht sich in der demokratischen Presse in komischer Weise Luft. In Mannheim hat bekanntlich die „Volks- partri" die Theilnahme an der Feier abgrlrhnt, weit dabei der Name de» Fürsten BiSmarck nicht mit Stillschweigen übergangen werden soll, und der „Stuttgarter Beobachter* schlägt — aus dem für die Feier ich Weißen Saal des Berliner Schlosses angeordneken Ceremoniell Capital. Er druckt es ab und bemerkt dazu; „So sieht des neuen deutschen Reiches Jubelfest aus! Fpuriere, Pagen, Hof- ckargen, Generale auf den Thronstufen, Stgndgrlen von 19 Regimentern, „Drap d'argent", „Drapd'or", „TabouretS"; wo bleibt daß schlichte deutsche Volk, das die Schlachten vor 25 Jahren schlagen mußte, das aus Tausenden von Wunden sein Blut für ein einiges bürgerliches Reich verspritzte? Wo bleibt das schlichte deutsche Wort unter all dem fran zösischen Kram von „Drap d'or", „Drap d'argent" und „TabouretS"?" Mit dem Tadel des Gebrauchs fremdländischer Ausdrücke kann man sich einverstanden erklären, die Quint essenz aus dem Programm der vom Kaiser veranstalteten Feierlichkeit bat aber da» demokratische Organ etwa» un vollkommen gezogen. Die Leser anderer Zeitungen wissen, baß außer den noch lebenden Mitgliedern de» ersten Reichs tags der gegenwärtige Reichstag in den Weißen Saal geladen ist, also gerade auch nach demokratischer Auffassung eaS „schlichte Volk" als vertreten angesehen werden muß. Die fünfzig Millionen Deutsche oder auch nur die anderthalb Millionen Berliner sind freilich nicht zugezogen, aber wir sind überzeugt: wenn Karl Mayer den König Wilhelm I. von Württemberg s. Z. wirklich, wie er ihm angeküadigt hatte, pensionirt und die schwäbische Republik morgen ein Jubiläum zu feieru hätte, es würden in den Saal «hreS Präsidenten auch nicht mehr Leute eingelassen — als er zu taffen vermag. Die demokratische Presse freilich würde in diesem Falle sehr stark vertreten sein. Um so wirksamer wird das Oel sein, ras die „Köln. Ztg." in da» Feuer des demokratischen Grolles rurch folgende Auslassung gießt: „Die Feier der LSjährigen Wiederkehr der Kaiserproclamation scheint im königlichen Schlosse in Berlin unter Ausschluß der weiteren Oeffentlichkiit sich vollziehen zu sollen. Wenigstens wird uns versichert, daß s»it»oS d»r maßgebenden Behörde der deutschen Presse eine Betheiligung an dieser politischen Feier verweigert worden ist. Den Außenstehenden soll nur durch den „ReichS-A nzeiger" und da- Wolfs'sche Tele- graphenburrau Mittheilung über den äußeren Verlauf der Feier gemacht werden, vor Kurzem ist es möglich gewesen, im „Militair-Wochrnbtatt" eine ausführliche und zuverlässige Schilderung der Kaiserproelamation selbst vom 18- Januar 1871 zu veröffentlichen. Es scheint also in Aussicht genommen zu sein, daß das „Wilitair-Wochenbtatt" im Jahr» 1921 wiederum in die Loge versetzt werden soll, eine eingehende Schilderung des Festes vom 18. Januar 1896 in einem Sonderhefte zu veröffentlichen.' Nichtdemokratische Gemüther werden auch dadurch, daß die maßgebende Behörde aus der Schwierigkeit, die recht« Wahl unter den um Zulassung ersuchenden Vertretern der Presse zu treffe«, durch Zulassung von Berichterstattern nur des „ReichSanzriaerS" und de» Wolff'schen Telegrapbendureau» sich herauSgewickelt hat, ihre Feststimmung sich nickt ver kümmern taffen. Und auch die „Kölnische Zeitung" selbst wird sich trösten. Sie kennt doch unter den Geladenen so manchen, der gern bereit ist, seine Beobachtung»- und Schil» derungSgabe in einer Zeitung glänzen zu lassen. ES wird da her, wenn die Berichte des „Reichsanzeigers" und des Wölfischen Telegrapbrnbureaus lückenhaft sein sollten, an Ergänzungen durcb Augenzeugen nickt fehlen, denen sicherlich von keiner Seile rin Eid auf Geheimhaltung abverlangt wird. DaS ist auch vor 25 Jahren in Versailles nicht geschehen. Wenn eine zuver lässige Schilderung der Kaiserproclamation bis jetzt gefehlt hat, so liegt dies vor Allem daran, daß bei den eiaenthüm- lichen Raumverhältniffen deS SpjegelsaaleS im Versailler Schlosse ein Ueberblick nicht zu erlangen war und von den anwesenden Vertretern der Presse gar mancher die Lücken seiner Beobachtung durch mebr oder minder anmuthige Zu- thatrn seiner Phantasie ausfüllte. Die Entschiedenheit, mit der sich gestern im Reichstage per Abg. Graf Galen gegen den Antrag Kanitz aus gesprochen hat, und der Beifall, der ihm dafür aus ven Reihen seiner Parteigenossen zu Theil geworden ist, lassen darauf schließen, daß wenigstens die große Mehrheit des Zentrums zur Ablehnung dieses Antrags entschlossen ist. Eine Bestätigung findet diese Annahme dadurch, daß bei der Constituirung der Centrumsfraction des preußischen Abgeordnetenhauses der Abg. Freiherr von Loii nicht wieder in den Vorstand gewählt worden ist und von 75 ab gegebenen Stimmen nur 6 erhielt. Damit bat die anti- agrarische Mehrheit der rheinischen CentrumSpartei, die dem Frhrn. v. Loii längst den Vorwurf gemacht hat, er suche als Vorsitzender des rheinischen Bauernvereins dir ländliche Bevölkerung in das agrarische Lager hinüber zuziehen, Svnderbündelei zu treiben und die Stellung hochverdienter Mitglieder der Centrumsfraction zu unter graben, einen bemerkenswerthen Sieg errungen. Eine besondere Bedeutung gewinnt dieser Sieg noch dadurch, daß Frhr. v. Loö nicht nur in landwirthsckaftlichen Fragen sich in Gegensatz zu der Mehrheit seiner Parteigenossen gestellt, sondern auch mit einem anderen Herrn ein Programm ver saßt hat, welches das „katholisch-sociale Programm" genannt wurde. Dieses Programm ist von seinem Urbeber dem Papste vorgelegt worden, und daraufhin hat der Cgrdinal- StaatSsecretair Rampolla an den Freiherrn Felix von Loü unter dem 22. December 1894 ein Schreiben gerichtet, In halts dessen der Papst „auf die Bestrebungen der katholischen Social-Politiker Deutschlands, welche in Uebereinstimmung mit den, in dem denkwürdigen päpstlichen Rundschreiben enthaltenen Lehren auf die Besserung der Lage der hilfs bedürftigen Claffen der Gesellschaft Hinzielen, mit wahrer Befriedigung herabschaut, im höchsten Grade das Ziel billigt, welches die Unterzeichner des Programms sich vor- gesetzt haben, ohne auf die einzelnen besonder» Forderungen einzugeben". Dieses Programm in Verbindung mit dem Antwortschreiben des Cardinal-Staatssecretairs wurde vom Freiherrn von Loö und Genossen als allgemein verbindlich und als „das katholisch-sociale Programm" schlechtweg be handelt. Darüber herrschte in der Richtung der „Köln. Volksztg." das größte Mißvergnügen; man nannte das Verfahren d»S Herrn von Loö „Unfug" und „Herab setzung der päpstlichen Autorität", obwohl er im Grunde nichts Anderes that, als was sonst im Centrum üblich ist: nämlich mit einer Aeußerung des Papstes politische Geschäfte machte. Jetzt bat man ihn nun trotz seines Rück halte» in Rom auS dem Vorstande der Centrumsfraction de» Abgeordnetenhauses hinausgedrängt, als warnendes Bei spiel für alle anderen CentrumSmitglieder, die es wagen, in agrarischen oder socialen Fragen eine selbstständige Ansicht zu bekunden. Für den Bund der Landwirthe ist das ein harter Schlag, zugleich aber auch ein sehr empfindlicher für die zahl reichen Anhänger, die dieser Buno in vielen ländlichen Wahl kreisen deS Centrum» hat. Daß sie ihn geduldig hinnehmen würden, ist kaum anzunehmen. Man braucht sich nicht zu wundern, wenn Deutschland jetzt von England überall Steine in den Weg geworfen werden. Portugal, daS jeder Engländer haßt, weil es in Besitz der Delagoahay ist, mit Deutschland in Zwiespalt zu bringen, um dann bei erster bester Gelegenheit den tertius gauäens zu spielen, ist eine zu verlockende Idee, als daß sie von englischen Zeitungspolitikern nicht aufgegriffen und weiter verfolgt werden sollte. Angeblich aus Lissabon bringen die „Central News" die Meldung, eS bestätige sich, daß nur der glückliche Ausgang der Transvaal-Angelegenheit Portu gal aus seiner Politik des Zauderns gerettet habe. Nach dem seitens des deutschen Reiches dringende energische und wiederholte Anforderungen durch den dortigen Gesandten an die Regierung Dom Pedro's (! per König von Portugal heißt Dom Carlos. D. Red.) gestellt worden waren, ohne daß ein Definitivum erzielt werden konnte, sei Deutschland entschlossen gewesen, nicht länger zu zögern, sondern die Sache auf eigene Faust zu betreiben und in der Delagoa- bay Truppen zu landen. Im portugiesischen Cabinct habe man als einen Ausweg den Vorschlag gemacht, Deutschland zu gestatten, Truppen „unter Protest" (!) zu landen, aber die Mehrzahl des Cabinets opponirte der Idee, ebenso auch der Oberftcommanvirende der Armer. Es sei hier öffentliches Gebeimniß. Paß Deutichland eine bittere Pille sür Portugal vorbereite. — Wir erblicken, wie gesagt, hierin einen Versuch, zwischen Portugal und Deutschland Verstimmungen hervorzurufen. Doch dies Bemühen wird sich als vergeblich erweisen. Bekanntlich war Anfang Januar der Kreuzer „Seeadler" in der Delagoabay anwesend; ob man das halbe Hundert Mannschaften, die im äußersten Nothfall Härten gelandet werden können, um nach Pretoria und Johannesburg transportirt zu werden, als „Truppen" bezeichnen kann, ist eine Sache für sich, und ebenso braucht man jetzt nicht mehr zu erörtern, ob die Mittheilungen der „Central News" über Verhandlungen wegen eines Durchmarsches sachgemäß sind. Di« Niederwerfung der Jameson'schen Abenteurerbanbe ist bekanntlich schon am 1. Januar er folgt. Von diesem Augenblick an konnte von einer Landung deutscher Mannschaften nicht mehr die Rede sein. Zur Erörterung gestellt war sie überhaupt nur für den Fall, daß ei» Aufstand in Johannesburg ober die Ueberrumpelung der Stadt den Präsidenten Krüger außer Stand gesetzt hätte, die Ordnung aufrecht zu erhalten und daß die dort ansässigen Deutschen Maßregeln zum Schutz ihrer Person und ihres EigenthnmS bei der deutschen Regierung beantragt hätten. Nachdem aber Präsident Krüger erklärt hat, daß er für die Sicherheit der deutschen Reichs angehörigen bürge, konnte überhaupt nickt mehr davon die Rede sein, in die Rechte der bestehenden Regierung ein- zugreifen. Es liegt also, wie der „Hamburger Correspondent" zutreffend schließt, gar kein Grund vor, die Episode zu einer diplomatischen Action aufzubauschen, die in Berlin zu einer Verstimmung gegen Portugal geführt hätte. Die Auslassungen der Lissabon»! Presse über die TranSvaal-Angelegenbeit waren eine „bittere Pille", aber nickt für die deutsche Politik. Der Rücktritt des Grafen Thun vom böhmischen Statthalter-poslen hat nickt überrascht, da er schon beim Amtsantritt des Grafen Badeni angekündigt und trotz aller ossicwsen Dementis als unvermeidlich betrachtet wurde. Gras Thun hat sich die Sympathien keiner Partei zu erwerben ver standen und es ist ihm nicht gelungen, geordnete Verhältnisse in Böhmen zu schassen. Er war mit dem ausgesprochenen Programm ins Amt getreten, die damals im Ausstreben begriffene jungtschechische Opposition niederzuhalten, aber dieselbe ist unaufhaltsam gewachsen und bildet heute fast ausschließlich die Vertretung des tschechischen Voltes. Er war der Urheber der scharfen Repression, die in dem Ausnahmezustand »md in dem Omladina-Proceß ihre Spitze erreichte, und ohne daß der Widerstand, Len er dadurch zu brechen hoffte, besiegt worden wäre, endete diese Politik mit der Aufhebung des Ausnahmezustandes und der Amnestirung der vernrtheilten Omladinisten. Die Amnestie erfolgte aus den eigenen Antrag des Grafen Thun, er scheint also selbst zu dex Uebrrzeugung gekommen zu sein, daß er keine glück liche Hand im Kampfe mit den Jungtschechen gehabt. Aber auch die Deutschen in Böhmen haben nur wenig Ursache, den Rücktritt deS Grafen Thun zu bedauern. Wie wenig ihre Stellung im Lande während der Statthalterschaft des Graten Thun fick verbessert bat, das beweist der Kamps, den sie eben jetzt mit geringer Aussicht auf Erfolg um ein Minimum von Vertretung in der autcnomen Landesverwaltung kämpfen, und der Umstand, daß sie sich neuerdings mit dem Gedanken des Austritts aus dem Landtage vertraut machen. Man kann dem Grafen zwar keine offenbare Parteinahme gegen die Deutschen vorwerfen, aber er hat auch nichts zu ihrer Unterstützung gelban. Unter Denjenigen, die von den Wiener Ausgleichs-Stipulationen abfielen, war auch Gras Thun. Als die Alltschechen und der Großgrundbesitz den Ausgleich verlassen halten, rührte auch er keinen Finger zu seiner Vertbeidigung. Nichts ist von seiner Seite geschehen, um die Deutschen in ihrem schweren Kampfe um ihr nationales Recht zu unterstützen, nicht einmal um das Compromiß im Großgrundbesitze, als dessen Vertreter Gras Thun durch längere Zeit galt, hat er bei den letzten Wahlen sich bemüht. So geht Gras Th«n, ohne daß ihm von irgend einer Seite eine Thrane nachgeweint wird. In Wien ver wahrt man sich dagegen, daß die Annahme der Demission ein Zugesländniß an die Jungtschechen sei. Volle Klarheit über die Absichten der Regierung, in ihrer Haltung den Jungtschechen gegenüber wird man erst bekommen, wenn man den Nachfolger Thun'S kennt. Von der Canbivatur des Fürsten Lobkowitz kann kaum ernstlich gesprochen werden, da er ein entschiedenerTscheche ist. Der in zweiter Linie genannte Graf Bouquoi ist ein Feudaler vom reinsten Wasser und daher kaum geeignet, den Standpunct der Deutschen bei der AuSzleichSsrage ohne Vor eingenommenheit zu vertreten. Günstiger würde nach dieser Frrrilletoir. Ammlise's Pflegemutter. 13j Roman von L. Haidheim. Nachdruck verbot«». „Ich glaub«, ick habe da Leinenrollen gefunden. Große, runde Rollen!" erzählte er Carola. „Leinen? Wie sollte das da hinkommen?" „Vergessen seit OlimS Zeiten! Der Staub von mindesten- einem Jahrhundert liegt darauf; steh, meine Händel" „Dann hätten die Rollen aber doch am Ende Werth, Leinen verdirbt nicht durch Liegen", meinte Annalist. Carola batte keine Lust, sich schmutzig daran zu mache«, Joche» kroch aber wieder in den Verschlag zurück und brachte mit großer Mühe ganz unter dem Dach hervor eine» sehr langen, schweren, runden Packen, wobei er ries: da» ist kein Leinen, cs ist bunt und Seide dabei. Er konnte ihn allein nur mühsam bewältigen, die beiden jungen Mädchen halfen ihm. Nein, Leinen war da» unmöglich, wenn e» auch die Schwere batte! So breites Leinen gab es kaum, jedenfalls nicht Köllen von solchem Umfang. Während sie ihre Gedanken austauschten und immer neugieriger wurden, denn durch die Hülle von Packleinewand schimmerte an einer zerrissene« stelle wirklich so etwas wie bunte- Seitengewebe, zerrten sie den unförmlichen Packen dann endlich au» dem Lattrn- oerscklage hervor. E« lagen noch zwei andere, wo dieser gelegen hatte, sollten eS Fahnen sein? Etwa aus der Franzoftnzeit? „Wir wollen «» untersuchen und schneiden einfach die Sackleinwand ein Stückchen io»." Er zog sein Taschenmesser, Annalise nahm eine kleine scheere aus ihrem Taschenbuch». Beide schnitten eifna; aber dann fand sich, daß daS Gewebe, ein solches war darunter, unendlich fest mit starkem Bindfaden verschnürt war. Jochen hatte keine Lust mehr; aber Annalift bestand darauf, die Sache zu untersuchen. „Etwas WerthloseS verpackt man nicht so!" behauptete sie. Aber keiner hatte eine Ahnung, waS e» sein könnte. Unendlich mühsam schälten sie endlich daS Riesenpackrt au» seiner Hülle, schnitten di« Verschnürung auf und — Ein Teppich! Sie rollten ibn auseinander. Annalise machte große Augen. „Da- ist kein Teppich, das sind Gobelins!" Die drei junarn Leute wurden ganz aufgeregt; ein wenig beschädigter herrlicher Gobelin rollte sich unter ihren Händen auseinander, figurenreich, farbenprächtig. „Aber da- ist ja rin Schatz, ein wahrer Schatz, ries Anna lise und schlug die Hände zusammen in Hellem Staunen. Sie mußte eS den Geschwistern erst erklären, wie werthpoll oft solche Wandbekleidungen sind. Ihre Wangen malten sich in tiefem Roth, sie war ganz Fener und Flamme für diese Entdeckung. „Da! — die beiden andern, wir müssen sie auch besehen! DaS ist ja ein Vermögen!" rief sie immer wieder, und Joachim sah ihr an, sie dachte an seines Vaters Geldnoth. Da- Herz krampst» sich ihm zusammen vor Pein und Scham. Dennoch ergriff ihn di« Hoffnung ebenso. Sie merkte nichts, zerrte und zog schon an dem zweiten Packete. Stundenlang arbeiteten sie da oben in fieberhafter Auf regung. Dann hatten sie'S erreicht! Vier Gobelins, zwei sehr große und zwei kleinere. Die vollständige Dekoration eines Festsaale» lag vor ihnen. Wie fr« dahin gekommen waren? Jochen und Carola hatten keine Ahnung. Sie standen alle drei in Heller Bewunderung; denn Annalise, di« viel Derartige« gesehen hatte, erzählte und schilderte, wie Fürsten ihren Stolz in dem Besitz solcher Kost barkeiten suchten. „Ich hole die Mutler. Sie muß die» sehen!" hatte Carola gerufen und war fortgelaufen. Joachim und Annalise waren plötzlich allein. E» war Beiden, als erwachten sie au» einem lieblichen Traum Annalise'» Lebhaftigkeit erlosch mit einem Schlage; sie hatten sich scheu und erschreckt angesehen, ohne za wissen, warum sie erschraken. Und dann stockte auf einmal ihr heute so fröhliche», unbefangenes Geplauder; «in Schweigen trat ein, erdrückendes Schweigen. Warum wurde Annalise plötzlich roth und blaß und warum zitterte sie? Und Joachim? Warum athmet« er Plötzlich so schwer, fuhr mit der Hand über die Stirn und wurde bleich? Man hätte eine Nadel fallen hören müssen, so still waren sie. Fiel Annalise denn gar kein befreiendes Wort ein? Nicht ein kleiner Scherz, eine harmlose Bemerkung? Sie sah scheu nach ihm hinüber, oder zog sein Blick den ibrjgen magnetisch an? Ihre Augen trafen sich, und aus denen Joachjm'S brach ein leuchtender Strahl, ein Strahl von heißer Liebe, glühender Zärtlichkeit. Sie erschrak, daß sie schwankte. Da war er neben ihr, hatte ihre Hände ergriffen und sic an sich gezogen. Sie lag an seiner Brust und er stammelte wie außer sich: „Aiinalise, geliebte, tbeure Annalise, ich ertrage es nicht, ich muß es Dir sagen, daß ich Dich glühend liebe, von ganzer Seele, von ganzem Gemüthe! O, Annalise! Annalise!" Sie hielten sich umschlungen, küßten sich wieder und wieder, und fühlten neben der höchsten Seligkeit doch zugleich das bitterste Weh. Sie konnten ja nie Zusammenkommen, durften sich ja nie angehörrn und hatten sich doch so lieb, so unend lich lieb. Annalise weinte, Joachim s Augen standen voll Thränen. Er kniete vor ihr nieder, schlang seine Arme um ihre Taille und legte sein Haupt an ihre Brust. „Meine geliebte, lheure Annalise! So habe ich es denn nun doch vrrratheu, wie lieb ich Dick habe! Kannst Du mir daS verzeihen?" Der starke Mann bebte vor innerer Qual. „Verzeibrn? Danken will ich- Dir! Lebenslang danken, Joachim! O, Du lieber, herzlieber Mann! Nun habe ich doch eine, eine selige Stunde erlebt!" „Ja, mein Engel, und die kann keine Macht der Welt uns rauben!" Und wieder, immer wieder küßten sie sich in einem seligen, schmerzvollseligen Taumel. Es kam Niemand, sie zu stören, — sie merkten aber auch gar nicht, daß die Zeit verging. Auf einen alten Bettstuhl, der da herumstand, setzte er sich und zog sie auf seinen Schooß. Die eine selige Stunde wollten sie auskosten. Plötzlich aber fuhr er empor, leichenblaß, in den Augen «inen Blick so voll Entsetzen, daß sie zu Tode erschrak. „Annalise I Du darfst nie einem Andern gehören! Ich ertrage eS nickt. Ich müßte ihn morden!" flüsterte er ganz beiser. „Einem Andern gehören? O, Du lieber, tbörichter Narr! Wie sollte das möglich sein? Dir — Dir allein gehöre ich sür immer und ewig", jubelte, lackte sie. Sie begriff seine Idee gar nicht. Daß sie eben noch klar gewußt hatte, sie konnten sich nie angehören, hatte sie längst völlig vergessen. „Nein! Keine» anderen Mannes! Nie! Niemals!" stammelte er wie außer sich und erstickte sie fast mit seiner Leitenschaft. Sie küßte und beruhigte ibn mit tausend Zärtlichkeiten. Wie jung und unberührt und kindlich sie war, trat ihm nie so vor die Augen, wie heute. Sie dachte wohl an Alfred Glogowsky; aber was ging der sie noch an? Joachim liebte sie! Mehr wollle sie nicht. Größeres und Besseres hatte der Himmel nicht z» vergeben. Sie war fast selbst überrascht von ihrer leidenschaftlichen Glückseligkeit. Er dachte vom ersten Moment an weiter, und während sie Uber alle ZuknnflSsorge hinweggaukelte in ihrer Seligkeit, hielt er sie in feinen Armen und litt Folterqualen bei der Frage: Wie soll sie je dein sein können? „Wir werden es Keinem sagen, daß wir uns lieben! WaS gebt das die Andern an? Und man braucht ja nickt sofort zu beiratben! Wenn Du Hauptmann bist, holst Du mich. Einstweilen freue Dich noch, Laß wir so ftliz sind, mein Herzlieber! Mein goldener Liebling!" So plauderte sie, und vor der Wonne, sie umfangen zu Hallen, in ihr liebes Gesichtchen so ganz noch hinein,»schauen, in ihre zärtlichen blauen Augen, vor dieser Seligkeit vergaß er dann doch momentan alles Andere. Zuweilen mußte er lacken über den holden, weltfremden Unsinn, den die frischen Lippen so keck als eitel Weisheit hrrauSplaukerten. Das war ja entzückend! Die stolze, vornehme Annalise, solch ein Kind, solch ein herzige-, unschuldiges Kind! Ach, waS wußte sie von vergeblichem Sehnen, von hoss- nungSbangeni Harren, von Enttäuschung und all dem anderen Leid der Liebe. Er freilich kannte auch nichts davon, aber er kannte dock daS Leben, dachte an Carola'« Schicksal, und war ein Mann, der sein nennen wollte, waS er liebte. Sein nennen! Liebe und Sehnsucht übten schon auf ihn ihren Zauber aus, verwirrten sein Urtheil, bethörlen ibn, zeigten ihm die Welt in einem ganz anderen, rosigen Licht« und ließen ihn
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