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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.04.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-04-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930418020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893041802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893041802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-04
- Tag1893-04-18
- Monat1893-04
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Sobald eS aber zu dunkeln beginnt, kommen die Bataillone der Bürgerwcbr beraninarsckirl und verlheilen sich über die bedrohte» Stadtibeile. Sämmtficbe Läden in der inner» Stadt, die sonst bis lO Uür bell erleuchtet sind, werden schon um 7 Uhr geschlossen und aus den Straßen herrscht infolge dessen ungewobnrc Dunkelheit. Die Bürgerwcbr sperrt viele Strafen und dürfen nur die niit Erlaubnißschem versebenen Bewohner passiren. Die Biirgcrwebr hat ihre Bajonette ausgepflanzt und jeder Mann bat acht scharfe Patronen bei sich. D»e roßen öffentlichen Gebäude sind von Militair, alle Plätze von eriltcner Gendarmerie besetzt. Der Bürgermeister bat an alle ordnungsliebenden Bürger die Aufforderung ergeben lassen, mit einbrechender Dunkelbeil sich nach Hause zu begeben, tamitPolizei und Bürgerwcbr nur mir den Ruhestörern zu thun baben und gegen dieselben mit aller Energie vergeben können. Zn dein Viertel, wo sich das socialistischc Vereinsbaus befindet, müssen uni 9 Uhr alle Wirtschaften geschlossen werten, und in de" ganzen Stadl ist von 9 Ubr an der ZeitungSverkanf uf den Straßen verboten. Das socia- listische Vereiiiöbaus wurde abgesperrt und militairisch besetzt, und der Generalralb der Arbeiierpartei und der permanente Streik-Ausschuß mutzten ihr Hauptquartier in daS am Rath- bauSplatz gelegene Schwanenholel verlegen. So sieht es in der Hauptstadt auS. Nicht bester sind die Verhältnisse in den Provinzen, namentlich in den Koblcn» dezirlen. Auch hier ist es in den letzie» Tagen vielfach zu Zusammenstößen der Arbeiter mit der bewassnelen Macht gekommen; iinincr neue Massen treten in den all gemeinen AnSstand ei». auS Tausenden von Kehlen tönt da« alte Schlachtlied der Revolution, die Marseillaise. ^ Die Regierung scheint de» Ernst der Lage zu würdigen. Tie will die StinimrcchtSfrage noch im letzten Augenblicke lösen, aber anslall für das allgemeine Wahlrecht einztttretea, greift sie wieder zu einem AuSbiisSmittel, daS keinen Anklang bei den erregten Massen findet. Sie tritt für das allgemeine Slinimrechl mit Pluralslimmeii, für den von uns bereits gewürdigten Antrag des Aba. RysienS ein. Auch die äußerste Linke ist bereit, für diesen Antrag zu stimmen, nur die Rechte mach! Schwierigkeiten und am Sonnabend konnit sie in der abgebaltene» Eonserenz noch zu keiner Einigung gelangen. Dieses Wahlsystem gicbt 1 200 000 Bürgern eine Summe; eine Mebrstimme erkalten 365 000 Familienväter, 275 000 Eizenlbümer und Rentner und 60 000 sogenannte „Eapayi- tälSwählcr",so daß bei jeder Wahl ungefähr l 900000 Stimme» abzugeben wären. Gegenüber der gegenwärtigen Praxis wäre dies ein außerordentlicher Fortschrill, aber der Rechten- sübrcr Woeste kämpsl mit aller Macht gegen jede- Zu- geständniß; er will vom Zensusregimente »lindeste»« retten, was zu retten ist, und höchsten« 600 000 Bürgern da« Wahlrecht gewähren, — ein Verschlag, der auch die Zu stimmung der D.-ctrinär-Liberaleii findet. Zur Ausgleichung der Gegensätze bar der .mtwerpener Senator Van P»t einen VerniitilungSantrag eingebracht, der allen Eigknibumein und BiltungSwähleru mit dem 25. Lebensjahre, allen übrigen Bürgern mit dem 40. Lebensjahre das Stimmrecht ertheilen will, aber daS Ministerium bestrbt auf dem Pluralwahlsystem und will bei Ablehnung die EabinetSsrage stellen. Die Arbeiterführer verwerfen auch diese- Wahlsystem. DaS Organ der Svcialisten, der „Peuple", erklärt als einzige Rcmedur gegen die ganze Krisis die Annahme de- allgemeinen Stimm rechts. Wie beute die Dinge also liegen, siebt es ganz danach auS, als ob in Belgien die allgemeine Revolution nicht mehr fern ist. — ES liegen folgende neueste telegraphische Mel dungen vor: * Brüssel, 17. April. Dir Regierung hat soeben zwei 2lassen der Miliz einberusen. * Brüssel, 18. April. Mehrer« Schulen sind zur Unter bringung de« heule au« Brügge ankommenden 4. Linien- regimentS geräumt worden. In Gent ist die gesammte Bürger wehr unter die Waffen berufen. Balders i>t nach Lanouö« abgereist. Die Ausständigen hielte» heute ein Meeting aus Koetetberg ab, weil der Bürgermeister von St. Gilles ein solche» nicht gestattet halte. * Brüssel, 18. April. Nachdem die Ausständigen auS Brüssel selbst verjagt sind, wählten sie St. GilleS als Versammlungs ort. Im Vororlsdereich werde» Kundgebungen organisirt. Wie verlautet, werden heute die Larmmacher weitere Zone» durchbreche». Tie Anführer BolderS und Anieele erklärten, daß der Antrag Rissen nicht vollkommen sei, und die Partei nicht zufrieden stellen könne. — Im Hinblick aus die für heute befürchteten Ruhestörungen sind »hlreiche Journalisten au» London, Paris, Amsterdam, Rom und vgar aus Schweden hier eingelrofsen. — Tie Tramwaybeamten hielten eine Sitzung ab, in welcher sür Anschluß an die Ausständigen plaidirt wurde, doch ist ein definitives Resultat noch nicht gewonnen. * MonS, 17. April. Tie Zahl der bei dem Zusammenstoß zwischen Bürgergardisten und Streikenden verwundeten BUrger- gardisten beträgt 14, von denen 3 nach denk Hospital gebracht werden mußten. * MonS, 18. April. Zahlreiche NnSständige auS den um liegenden Ortschaften wollte» in die Stadt eindringen, doch stellte sich ihnen dir Polizei riilgegen. Tie Menge schleudene Sleine gegen die Bürgergarde, woraus diese Fcuer gab. 5 Ausständige bliebe» ladt, 7 sind schwer verwundet. Ter Zusammenstoß fand in der Avenue Jeinavpes statt. Unbeschreiblich ist die herrschende Erregung. Viele der Polizisten haben Verletzungen durch Sleinw >rse erlitte». Ern Mann, der ruhig tm ILanal »ilt Filchsang beschäftigt war, wurde von einer Kugel durchbohrt. "Gent, 18. April. Durch Maueranschläge fordern die Au», ständigen di« Arbeiter auf, auch hier kein« WohuungSmiethen zu zahlen. * Antwerpen, 17. April. Nachmittag- kam eS zwischen den Streikenden und den Polizei»,aiiiischaslen zu neuen Zusammen- flößen, wobei die Letztere» mit gezogenem Säbel vorgingen »nd mehrere der Streikende» verwundeten, die Ttieikende» verichonzie» sich daraus hinter Holziiaufe» und seurrtcn vo» dorl aus die Pvttze» mannschaste». Die Letzteren erwiderten die Schüsse und verwundeten zwei der Demonslranlcn. In der Stadt herrscht levhasle Erregung; die Bürgergarde ist zuiamiiieuberusen. Tie Pctroleuinlogrr werden von Miluair bewacht. Mitilchr Cngtölchau. " Leipzig. 18. April. Heute verlassen der Kaiser und die Kaiserin Berlin, um das italienische KönigSpaar in seiner Hauptstadt zu dem Feste der silbernen Hochzeit zu beglückwünschen. Ist die Ver anlassung der Reise gänzlich unpolilisch, so schließt dies nicht aus, dag die deutsche wie die italienische Nat cn in de» Beweisen persönlicher Zuneigung, welche sich die Herrscher paare beider Reiche abermals geben, eine erncule Bür-ffcbafl sür die Fortdauer de« zwischen ihren Ländern bestehende» Verhältnisses treuer BundeSgenossenschaft erblicken dürfen. Die Reise des Kaiser- und seiner Gemahlin hat sicherlich nicht den Zweck, die vo» Zeit zu Zeit austauchenden böswilligen Gerüchte über eine Lockerung der deutsch-italienischen Beziehungen z» zer streuen. Dessen bedarf eS nicht. Wie Vieles in den letzten Iabren sich geändert baben mag, die große Kricdensschöpsung des Dreibundes, mit welcher Wilhelm I. und sein Kanzler ibrc weise Politik krönten, ist in ihren Fundamenten un er schüttert geblieben. Die abermalige Bezeugung dieser Tbat- sache, wie sie durch den römische» Besuch unseres Kaiser paares geschickt, hat aber die Bedeutung, das Trügerische der mancher Orlen gewährten Hossnungcn aus die Trennung derer, die turch zahllose gemeinsame Interessen verbunden und durch keinerlei widerstreitende Bestrebungen geschieden sink, auss Reue zu erweisen. Darum schulten wir und mit un ter friedliebende Erdtbeil dem deulschcn Kaiserpaare Dank, daß eS den vorjährige» Besuch König Humbcrt'S und einen srüberen der Königin Margarethe bei diesem seitlichen Anlaß erwidert. Tic italienische Nation wird in den boben Gästen die Ver treter Deulschlands mit ungemischter Freude begrüßen. Weiß sie doch, daß die Nebenumstän de, welche den römische» Aufenthalt unseres Kaisers begleiten, der großen Mehrheit de« deutschen Volkes eine größere Resignation als ibr selbst aufcrlegen. Es mag sei», und wir hoffen eS, daß bei der Zu sammenkunft des Kaisers mit dem Papste eine Ein mischung des römischen Stuhls in inner deutsche Verhältnisse weder angcboten noch angenommen werden wird. Immer aber bleibt die Tbalsache bestehen, daß auS der Menge der in Rom seß haften Eardinäle neben dem Bcrathrr des Papstes gerade der durch seine Feindseligkeit gegen Preußen »nd das deutsche Reich bekannt gewordene Poti LedochowSki eine Ein ladung zum Kaiser erkalten bat. Damit ist uns Deutschen ei» weil bitterer Tropfen Wermutk in den Becher gegossen als den Italienern durch de» Umstand, daß de» Kaiser statt vom Ouirinal von der preußischen Gesandtschaft aus die Fahrt nach dem Valican unleriiiiumt. Eine unerwartete Folge kan» nach dem Parifcr „GauloiS" leicht die Freisprechung des Anarchisten Francis habe,: die Weigerung der englischen Regierung, EornrliuS Herz auSzuliesern. Auch die Auolicscrung de« Francis war bekanntlich von der französischen Regierung verlangt worden und der Richter in Bvw Street hatte sie bewilligt, weil ikiu die gegen Francis erhobene An klage begründet schien. Die Pariser Geschworene» aber haben sie sür unbegründet erklärt, ihr Unheil ist i» London ungünstig ausgenommen worden, und eS wird aller Wahrscheinlichkeit »ach die englische» Richter be stimmen, sich in der Herrschen Angelegenheit weniger nachgiebig zu zeigen. — Der „Mali»" will wissen, daß der Rcracieur des „Eourricr de Eannes", Fr. Herne, dem Polizci- piäsccken Lozö und dem SichcrhcitSdirector Gorou sehr zu verlässige Aufschlüsse über den letzten Tbcil der Odyssee Arlvivs gegeben habe. Mil Hilfe von Briefen, die Arten einer in Nizza sehr bekannten Dame geschrieben, ließe sich Nachweisen, daß der Flüchtling von Ungarn und Wie» aus zunächst nach Mailand und Florenz und dann, in der ersten Hälfte des Februar, nach Nizza ge kommen sei. In Gesellschaft seiner Freundin besuchte er in offenem Wage» Monaco und Monte Earl»; dabei wurde er von einem Gastboskellner erkannt. In Nizza suchte er sich so wenig zu verbergen, baß er mit vier Perjonen, die >bn ebenfalls erkannt batten, in einem großen Restaurant speiste. In den ersten Tagen de? März befand er sich in San Rk»w, wo ihn eine seiner Geliebten aussuchte. Von da soll er zu einem Freunde in Offenbach (?), wo er nach seiner Flucht auS Paris sein erste« Obdach fand, zurückgekebrt sein und sich mit Hilfe eines Freundes sodann nach Brasilien eingrschifst haben. Das Ministerium Sagasta ist nach langem Schwanken zu einer Lösung der Madrider Bürgermeisterfrage gelaugt, es hat den Grafen San Bernardo fallen lassen und an seiner Statt den ebenraligen Minister Anaulo zum Bürger meister der Hauptstadt ernannt. Ob diese Lösung eine glück liche ist, muß ernstlich bezweifelt werde»; von einem großen Thcil der Madrider Presse wird sie dahin gedeutet, daß die Mißwirlbschast in der Gemciildcverwaltung sortdauern werde. Bestätigt sich diese Auffassung, daun werten die üblen Folgen nicht auSbleiben. Der Umstand, daß Herr Stambulow den Fürsten Ferdinand aus dessen Hochzeitsreise begleitete und Bulgarien sich selbst überließ, rief vielfach Ueberraschung her vor, umsomebr, als vorauSzusebcn war, daß Stambulow bei den Festlichkeiten nur eine zweite Rolle spielen würde und von einem Manne seines Ekaraktors nicht leicht vorausgesetzt werden kann, daß er lediglich um einer Neugierde wegen, da« Werk so langer Jahre gefährde» werde. In der Tbat hat man jetzt Anhaltspunkte zu der Annalune, daß die Hoch- cil des Fürste» Herrn Stambulow bloS die willkommene Ge- egcnbeitbot, auswärts vfficicll aufzutreten, um solcher art neue Beweise der moralische» Anerkennung Bulgarien- durch die Mächte zu liefern. Tie Berechnung Stambulow'- scheint dahin zu gehen, daß jene Höfe n >d Regierungen, welche den Fürsten und den ersten Minister Bulgarien- empfangen baden würden, sich dadurch auch moralisch ge bunden haben, für die offene Anerkennung derselben einzu- tretcn, sobald diese Frage auf die Tagesordnung gesetzt wäre. Bezüglich Oesterreich-Ungarns hat Stambulow seine Absichten vollständig erreicht. Es verlautet aber auch au- bestimmter Quelle, daß bulgarischerseits große An strengungen gemacht worden sind, um Stambulow einen Empfang am italienischen Hof zu sichern. Diese Bemühungen sind jedoch gescheitert und man wiro nicht sehlgehen mit der Annahme, daß die Rücksicht auf Deutsch land für diese Weigerung entscheidend gewesen ist. Immerhin bedeutet der Empfang Stambulow« durch de» Kaiser Franz Joseph, wenige Monate nachdem der bulgarische Premier minister durch den Sultan einpsangc» worbe» war, einen bedenkenden Fortschritt Bulgarien- aus dem Wege nach der Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, welche e« schließlich doch erlangen wird. Nach einer Meldung auS Belgrad beschlossen die dor tigen Liberalen, i» keine ausgesprochene Opposition zur Regierung zu treten. Tie radicale Partei beharrt da gegen dabei, in der Skupschtina eine» Antrag zu stellen, daS Ministerium Avakumowitsch auch dann in den Anklagczustand z» versetzen, wen» sich die Negierung dagegen ablehnend ver halten sollte. Die Liberalen wollen sich an de» Wahlen nicht bctkeitigcn. Die Regenten Ristitsch und Belimar- kowitsch sind als Staats, ätbe pcnsionirt worden. Am Sonntag empfing König Alexander Garaschanin in be sonderer Audienz und dankte demsclbe» sür seine bisherige corrccte Haltung. — Ei» Augenzeuge der Vorgänge, welche sich in der Nacht vom Tonncrölag rum Freitag im könig lichen Schlosse z» Belgrad abspieltc», gicbt von den- Feuilleton^ Lrimuls vsris. 14s Erzählung von A. Brüning. »«»knick o-rdolne iFortsetzimg > Im Arbeitszimmer de- Gutsherrn erlosch in dieser Nackt die Lampe nicht. Fablglänzenke Däinmerungsstreifen zeichneten sich bereit- am Horizont, als er sich endlich von dem Schreib tisch erbob, aus welche», sorgfältig geordnet mehrere couvertirte Päckchen Papiere »nd Briese lagen. Seine Züge waren bleich und abgespannt; dennoch lag in den Bugen ein Aii-druck beinahe heiterer Rübe, als er auf vie Frucht der angestrengten Nachtarbeit »irrerblickte. „Mein Hau« ist bestellt . . .", murmelte er. indem er die tief derabgedrannte Lampe verlöschte. „Mein Dasein darf jopi rubig auslösckrn wie diese- Lickt, daS seinen Dienst geiban und nun den, ausgehenden TageS- gestirn weichen muß." Er verharrte einige Sekunden lang unbeweglich, kein sich ibni aufdrängenden Vergleich weiter nacksinnend. Er nabni die beiden Pbotograpbien zur Hand, welche in bronzenem Rabnien seinen Schreibtisch schmückten, und von denen die eine Gert, die andere Gabriele tarstelltr. Mit trnster Innigkeit rubien seine Augen auf den beiden schönen jungen Gesichtern, die wie geschaffen schienen, einander zu ergänzen. „Anne Kinder", flüsterte er, als er endlich die Bilder an ibre» Play zurückstellie, „nickt lange mehr, so boffe ich, werde ick zwischen euch »eben, kenn mir abn», ich sterbe. Und dann soll, was von mir abbäng», geschoben, damit ihr in kommenden Tagen glücklich werdet Gert, ich ve,macke dir meine Gabriele- sei ibr Trost »nd ibr Glück in ferneren Tagen." Er verschloß sorgfältig die einzelnen mit Aufschriften versehenen Päckchen in seinem Sckreil-tisch und trat dann an- Fenster, kessen beide Flügel er öffnete. Die bereinströmende frische Morgen luft umwehte »nt belebendem Hauch seine Schläfen, ibni Ersatz sür den versäumte» Schlaf bietend. An dem im Frübroth strablentcn Himmel vollzog sich soeben in seltener Pracht da- Sckauspicl dcS SonnenaiiigangS. Mit tiefrr Aufmerksamkeit verfolgten Manfreds Augen den Kamps de- aufsteigendrn Gestirn- mit de» Dunst- »nd Nebrlmassen, welche von seinen Strahlen allmälig durchdrungen »nd gefärbt wurden, bi- zuletzt der ganze östliche Horizont wie in Gold unk Purpur getaucht schien. Er batte oft Gelegenbeit gehabt, diesen Vorgang zu beobachten, dock batte er ihm noch niemals einen ähnlich ergreifenden Eindruck gemacht; freilich, e« war ja auch da letzte Mal, daß er in Mallebnen die Sonne ausgebe» sab. Dennoch war es nicht eigentlich Schmerz, waS er cinpsand, cs war vielmcdr, als ob von dem erhabenen Naturschauspicle eine befreiende Kraft anSginge, die ihn über sich selbst erbob, indem eS ibm gleichsam ein Bild darbot der mächtigen Liebe, welche in seinem Inneren über alle Regungen der Selbstsucht und Eifersucht triumpbirt und ibn zu bobem Opfer begeistert balle. Seine überwachten Augen belebten sich; mit klarem, ruhigem Blicke grüßten sie de» jiuizen Morgen, der nun voll heraufgezogcn war und dem scheidenden Herr» sein Bcsiylbum noch einmal in seiner ganzen Schönheit zeigen zu wollen schien. Im Sonncngold flimmernd, wogten wcilbin die reifenden Saatfelder, von den dunklen Linien der herrlichen Waldungen wirkungsvoll abgegrenzt. Mit liebevollem Ausdruck ruhten Manfred« Augen auf dem anniutbige» Laiidsll'aftSbild, cs drängte ibn plötzlich unw dersteblick binauS zu einem Abschied- gange turch Feld und Wald. Seinen H»l von der Want nebmend, verließ er leisen Schritte- das Hau« Eine volle Silinke lang durchwanderte er seine» reichen Besitz nach allen Richtungen. Wenn er während diese- einsamen Gange- noch einmal einen Kampf zu bestehe» gehabt, so war er bei seiner Rückkehr überwunden — wenigstens zeigte sein Antlitz die ge wohnte Ruhe, al- er von der Rampe boS Herrenhauses fick zu einem letzten Gruße zurllckwandte. „Mein Mallebnen, iraure nicht!" murmelte er, unwillkürlich seine» Gedanken Worte leihend. „Wüßt' ich mir doch keinen fieberen Erben für Dick, als den, de» ich Dir lassen will." Bon dem Wirtschaftsgebäude der tönte jetzt laute- Ge räusch — c< war dir Stunde, wo sür die GutSleute die Arbeit begann. „Ah, guten Morgen, lieber Trucks", ries Manfred mit seiner aewobntcn Freundlichkeit dem Inspecror », de» eben um die Ecke bog. „Ich wollte gerade zu Ibnen chicken, da ich Wichtige- mit Ihnen ru besprechen habe." Neben dem ibn ehrerbietig begrüßenden Beamte» binschreitent, setzte er ibn von seiner bevorstebenken Abreise in Kennlniß In tiefer Bestürzung versuchte der ihm ausrichtig ergebene Inspektor, ihn durch Vorstellungen von seinem Entschluss« adzubringen, doch Mansred unterbrach >bn, indem er mit kirunklickei» Lächeln die Hand aus seinen Arm legte: ,Feine Einwändr, lieber DerichS, ich bitte Sir; sie würden doch ver geblich sein. Sie wissen ja, daß ick einmal gefaßte Entschlüsse eigensinnig durchzufübren pflege Der alte Soldatengrist ist zu mächtig in mir erwacht — ich kann ihm nicht wikersteben, und da ist'-, denke ich, kein Unrecht, wenn ich ibm folge. Daß hier inzwischen Alle« im gewohnten sicheren Glei- bleibt, dafür sind Sie ja da — nicht wahr, ick kann mich ganz auf Sie verlassen?" Er streckte dem In pector seine Hand hin, dir dieser voll Bewegung ergriff. „Ja, bei Gott, das köniicn Sie, Herr Blanden", betbeuerle er mit Tbränen in den Anac». „Sic sollen bei der Rückkehr, die Ibnen der Himmel gnädig schenken wolle, Alles in bester Ordnung finden, dafür siebe ick Ihnen." „Ich wußte es", lächelte der Gut-Herr, der sich bei den letzte» Worten wie zufällig ab- aewandt batte. „Haben Sie innigen Dank für Ihre Treue! Und nun bitte, versammeln Sic die Leute im Hvf, ick »löcble einige Abschied-werte an sie richten." Wenige Minuten später ertönte seine klangvolle Stimme im Kreise seiner Unter gebenen. Er erklärte seine Absicht, al« Freiwilliger zu den Fahnen zu eilen, und crniabnte sie, während seiner Abwesenheit wie bisher ihre Pflicht zu thun. Die Ansprache des von Allen geliebten Gut-Herrn fand eine aus Trauer und Begeisterung gemischte Ausnahme und wurde von den Leuten mit einem stürmischen, recht von Herzen kommenden Hoch beantwortet. In sichtlicher Erregung reichte Manfred jedem Einzelnen die Hand und lenkte bann, indeß die Leute sich entfernten, seine Schritte dem Herrcnhause zu. Er stieg langsam die Trevpe zum oberen Stockwerk bina». Bor Gabrielen« Thür blieb er einen Augenblick lauschend sieben — nein, eö regte sich drinnen noch nicht«, sie schlief sicher noch — sein Ver langen, sich noch einmal in ibren Anblick versenken zu können, würde sich erfüllen. Leise öffnete er die Thür, Damnierung nahm ihn aus; Jalousie» und Vorhänge waren noch sest ge schloffen. Mit »»hörbare» Schritten »äderte er sich dem Lager »nd schob vorsichtig die verhüllenden Ecidenfalicn zurück. Ei» Zucken lief über sein Antlitz bei dem Anblick, der sich ibm darbot. Die junge Frau lag noch völlig anaekleitet auf dem spitzenverzierlen Lager, daS sie erst in später Nachtstunde, von Erschöpfung übermannt, zu kurzem Schlummer ausgesucht hatte. Es mußten wohl wehe Gedanken sei», die sie mit in ihn hinübergenommen; davon erzählte der SchmerzenSzng. der den seinen Mund umzitterte, sowie die Tbränen, deren feuchte Spur a» den geschlossene» Wimpern zurückgeblieben. DaS dnnkel- rotbe Shawltuch, daß sie al- Hülle übergeworfen, ließ ibr Antlitz noch blasser und durchsichtiger erscheinen, weiß wie Alabaster schin werte e- unter der in die Stirn gesunkenen Lockenwelle hervor. In tiefer Erschütterung blickte ibr Gatte auf sie nieder. Er wußte, eS war ein Abschied für « Leben. Minute aus Minute verrann so, in denen siin Herz sich blutend loSriß von dem Theuerften, wa« er in Mallehnen zurlickließ. Al« er endlich, nachdem er sich über das Lager gebeugt und vorsichtig mit seinen Lippe» da« weiche Gelöck der aknniig-losen Sckläferin gestreift, leisen Fuße- da« Zimmer verlassen batte, da war sür ibn da» Schwerste überwunden Er batte ab geschlossen mi> Allem, wa« sein irdische« Glück au-gemacht —- wa- nun kam, würde ihn gerüstet finden. Es war ein stille-, trauriges Frühstück, zu dem eine Stunde später die Bewohner von Mallebnen sich ans der Terrasse vor dem Gartcnsaal z>isam»iensande» — still und traurig trotz de- strahlenden SoiintnscheinS, der wie eine Glorie, über Schloß »nd Park lag »nd der den tiefen Ernst in Blick und Miene» des kleinen Kreise- nur »m so düsterer erscheinen ließ. D:e Hand der jungen Fra» zitterte, während sie den Kaffee in die zierlichen Sevrcötasse» goß. Den thränenschwcrc» Blick gesenkt, saß sie da, ohne einen Bissen zum Munde z» führen, da- Ende diese- peinvollen Beisammensein- herbeisehnend und doch voll Todesangst vor dem Augenblick des Scheiden- zurückbebrnd. Anstatt der lichten Farben, die sic sonst ;» tragen pflegte und die ihr beute wie ein Hob» aus ihre Stimmung erschienen waren, floß »n> ibre Gestalt ein schwarzer, mit klaren Streifen durchwcbter Gazesloff, der fast den Eharaktcr eines TrauergcwandeS trug und die fahle Blässe doppelt scharf bcrvorbob. Auch Gert war sehr bleich, doch wußte er seine Züge völlig zu beherrschen, »nd ans seinen Auge» sprach, in> Gegensatz zu Gabrielen» tiefer Verzagtheit, ein stolzer, fester Wille. Ohne Zögern und mit warmem Druck halte er vorhin Manfred- Hand ergriffen, die ibm dieser zum Morgengrusi mit den Worten cntgcgcn- gestreckt: „Du siebst von beute ab einen Kameraden in mir, Gert, nicht wabr, ick bin Dir nicht unwillkommen als solcher, und wir werden wie bi-bcr treu ;nsa»imc»k>alten?" „Da- werden wir! Mit diesem Handschlag in Noth und Tod Dein treuer Kamerad, Onkel Manfred!" batte der junge Osficier beinahe feierlich erwidert und dabei wie in wortlos erneuertem Versprechen zu Gabrielen hinübergcblickt. Er machte auch während de- Frühstück- sichtliche Anstrengungen, in unbefangener Haltung auf die Beinciknnaen, mit welcher der Gut-Herr eine Unterhaltung in Gang zu oringen suchte, einzugeben, dennoch wollte eine solche nicht i» Fluß kommen. Es lag wie ein Bann aus den Mitgliedern der kleinen Tafelrunde, von denen ein jede- mit seinen eigenen schweren Gedanken rang, die eS vor den anderen verbergen zu müssen glaubte. Die Meldung de- Dieners, daß die Rappen angeschirrt seien, wirkte daker fast wie eine Erlösung. Die beiden Herren sprangen ans und machten sich reisefertig, wobei Gabriele ihrem Gatten unter beißem Schluchzen noch einmal die kleinen Dienste leistete, die er so Hern px>n jhr empfangen. Halb bewußtlos lag sie dann in semen Armen, als sic nun draußen an dem Wagen standen. Mit heroischer Kraft bezwang Manfred Blanden seine eigene tiefe Erschütterung. „Sei staxk, mein Liebling, und vergiß nickt, daß aus jede Nackt ein Morgen folgt!" sagte er mit fester Stimme. „Auch Dir wird er tagen — vertraue nur auf Gott unk hoffe!" „Ans ein Wictersrbcn .. .>?" Sie schüttelte unter erneutem Schluchzen da- Haupt. ,^O,
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