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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.01.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-01-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960121017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896012101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896012101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-01
- Tag1896-01-21
- Monat1896-01
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Größer« Schriften laut uuserem Prel«, verzeichniß. Tabellarischer und Ziffrrnsatz noch höherem Tarif. t-xtra »Beilagen (g„',lzt), nur mit ver Morgen - Ausgabe, ohne Postbesvrderung VO.—, mit Postbesörderung ^ 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Lonnittags 10 Uhr. Morgen-Nusgabe: Nachmittags 4Uhr. Für Lle Montyg-Morgen-Ausgabe: Sonnabend Mittag. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen find stets an dt« Expedition tu richten. Druck und Verlag von E. Pol» in Leipzig. 35. Dienstag den 21. Januar 1896. 98. Jahrgang. Die Laiserfeier zur Ausrichtung -es deutschen Reiches. m. Da- Festmahl der nationalliberalen Fraction. kl. v. Berlin, 20. Januar. Drn glänzenden und erheben den Festlichkeiten im königlichen Schlosse reihte sich gestern Nachmitag da- Festmahl der jetzigen und früheren Mitglieder der nationalliberalen Fraction im -aiserhofr würdig an. Von einer Schilderung de- Schmuckes der Räume und des äußeren Verlause» dieser Feier sehe ich ab; ihre Bedeutung liegt wesentlich in drn gehaltenen Reden» die «ach der stenographischen Aufzeichnung hier wieder- gegeben seien. Aba. vr. Bürklin, bi» zum 23. Mai 1895 Vicepräsident de« Reichstags, begann die Reihe der Trinksprüche mit folgenden Worten: ».Hochgeehrte Festversammlung l E» ist eine von jeher ein- gewurzelt» Gepflogenheit, daß wir, wo wir immer zusammen sind, de» Staatsoberhauptes gedenken, die Augen erheben zu jener Stelle de» Staate», von welcher in guten und in bösen Tagen das letzte entscheidend» Worte gesprochen wird au» der Nation und über die Nation; daß wir rede» vom Reichsoberhaupt und vom deutschen Kaiser. Und wann, meine verehrten Freunde, hätten wir das freudigeren Herzen» und in tieferer Dankbarkeit thun können jrmal» zuvor, al» am heutigen Tag», da allenthalben im denlschen Vaterland« und weit darüber hinaus allüberall, wo deutsche Herzen schlagen, als Höhepunkt der monatelang gefeierten Dankes- und Siegeserinnerungen das Gedächtniß von uns begangen wird jenes 18. Januar 1871, wo im Prunkschlosse des Sonnenkönigs, umbraust und begleitet von den Jubetrufen aller deutschen Stämme und deren Fürsten, das deutsche Reich und das neue deutsche Kaiserthum begründet wurden! Die Krone, di» langersehnte Kaiserkrone, die jetzt wieder glänzte aus dem ehrwürdigen Haupte der Hohenzollern, meine Freunde, Sie wissen e», da« war und das ist eine ganz andere Krone als jene, die der Kaiser Karl der Große aus den Händen des Papstes empfing. Da- war die Krone Wilhelm's des Siegreichen (brausender Beifall), die nicht belastet durch irgend eine fremde Gunst, die auS Kriegen und Siegen, wie sie so ruhmreich noch nie erlebt worden sind, bezahlt wurde, als die edelste Perle, die in ihrem Reif« glänzt, geholt mit dem Blute unserer tapfersten Söhne. Da war kein Helfer, das hat das deutsche Volk sich selbst, seiner un geheuren Anstrengung zu verdanken, dir nur möglich war, wenn ein großes Volk der Erfüllung seiner heißesten Wünsche zustrebte, in der neuen Reichsherrlickkeit — da löste sich die Spannung in unendlichen Jubel, also daß Emanuel Geibel den Jubel des Dichter» in dem berühmten Liede hinausschmetterte: Nun wirf ihn weg den Witwenschleier, Nun rüste Dich zur Hochzeitsfeier, Mein Deutschland, mit dem grünsten Kranz, Flicht Myrrhen in die Lorbeerreiser, Da bräutlich naht Dein Held, Dein Kaiser Und führt Dich heim im SiegrSglanz. Mein, Herren! Der Held und Kaiser selbst ist dohkngegangen, und als man ihn hinaustrug durch die schwarz behangenen Straßen der Reichshauptstadt, hindurch durch den düstern Qualm, der von Brandaltären emporloderte, gefolgt nicht nur von den Vertretern seines Volkes, sondern von den Vertretern der ganzen Erde — hatte doch auch Frankreich trotz srines Kummers über seine Niederlagen und unserer Siege einen Kranz gesandt —, da sah man hinter der Bahre einen jungen Mann schreiten, der infolge des tragischen Geschicks, dem der Kaiser Friedrich zum Opfer fiel, wenige Monate darauf zum Erbe wurde dieser glänzenden, aber schweren Kaiserkrone. Es ist schon oft gesagt worden, wie schwer es ist, der Nachfolger zu sein eine» großen Vorgängers, wie unendlich schwer, der Erbe zu sein einer großrn Zeit. Wie leicht wird dann der Maßstab, den das ver- wöhnte Geschlecht anlegt, ungerecht, wie leicht vergißt man, Laß der köstliche Schatz der Erfahrung auch den Königen nicht in die Wiege gelegt wird, sondern daß er auch von ihnen erlebt und erkämpft sein will. Aber nun steht Er, Wilhelm II., nahezu acht Jahre auf der hehren Eommandobrücke des stolzen Staatsschiffes, Las Ihm anvertraut ist, ausgerüstet mit köstlichen Gaben der Natur, des Herzen» und Geistes, und erfüllt von den heiligen Pflichten Srines erhabenen Berufe». Der Schwur, den Er gestern gethan hat auf die alte sturmerprobte zersetzte Fahne, ist un» Allen durch Mark und Bein gegangen. (Lebhafter Beifall und stürmische Zustimmung.) Möge Gott diesem guten, edeln Willen, diesem Gelübde seinen reichsten Segen verleihen! Möchte auch Ihm Gottes reichster Beistand werden, auf daß da« Bermächtniß deS großen ersten Kaisers, welche» dieser vor 8b Jahren in Versailles in dem be- rühmten Manifest« an die Nachfolger der Kaiserkrone hniterlieh, an Kaiser Wilhelm II. seine Erfüllung in vollem Maße erlebe: allezeit zu sein eia Hüter de» Reiches, nicht an stolzen Er- oberungen, sondern an den Gaben und Gütern de» Friedens aus den Gebiete» nationaler Wohlfahrt, Freiheit uud Gesittung! In diesem Sinne lade ich Sie rin, Ihre Gläser zu erheben und mit mir zu rufen: Seine Majestät der deutsche Kaiser, König Wilhelm von Preußen, Er lebe hoch, hoch, hoch!" Mit begeistertem Jubel erbob sich die Versammlung und stimmte dreimal in da» Kaiserboch ein. Daraus schlug Vr. B ü r kli n unter brausender Zustimmung vor, folgende« Telegramm an drn Kaiser abzusenden: „An des Kaisers und König« Majestät, Berlin. Die national liberale Kractionen de» Rrich«tog« und Landtag«, mit den Collegen au» der großen Zeit der Reichsbrgründung festlich vereinigt, bringen Eurer Majestät ehrerbietigste Huldigung dar. Allezeit Kaiser nnd Reich l" Bald daraus erhob sich unser hochverdienter Führer, Rudolf von Bennigsen, von lebhaftem Beifall begrüßt, zu folgender Reve: „Meine verehrten Freund»! Das Comitv unseres heutigen Festes hat an mich die Aufforderung gerichtet, einig» Worte z» Ihnen zu sprechen. Ich bin diesem Aufträge im Allgemeinen gern entgegengekommrn, obwohl ich die Empfindung habe unter den Hofftsten dieser Tage, di» mich heute sechs Stunden in Anspruch genommen haben, so daß ich kaum rechtzeitig zu unserem Feste er scheinen konnte — die Empfindung hat sich mir widerwillig auf- gedrängt, daß dir Folgen meines Alters sich bet mir doch sehr bemerkbar machen. (Große Heiterkeit und lebhafter Widerspruch.) Doch lassen wir das sein! (Zuslimmung-rus.) Wir, die Mitglieder der Fraction. haben hier die Freude, eine ganze Reihe alter Freunde um uns vereinigt zu sehen; nicht blos Diejenigen, welche als die Mitglieder de« Norddeutschen Reichstages und des Deutschen Zollparlamentes officiell geladen wurden, sondern auch manche Mitglieder aus der späteren großen Zeit der Besestigung des Reiches, die gemeinsam mit uns wirkten. Wir, die wir jetzt noch im Paria- mente uns befinden, begrüßen sie Alle herzlichstl (LebhafteZustimmung.) Unter Anderen unseren H. H. Meter (Bremen), der trotz seiner 86 Jahre, noch geistig und körperlich rüstig (lautes Bravo), sich nicht gescheut hat, die Reise nach Berlin zu machen (erneuter Beifall). Ein anderes, hervorragendes Mitglied unserer Partei, daS noch am Leben sich befindet, hat allerdings wegen seiner Gesundheit sich nicht beiheiligen können, das ist Präsident Simson, dem es vergönnt gewesen ist, schon dem ersten Reichstage 1848—49 als erster Vor- sitzender vorzustehen — dem es ja nicht beschieden war. endgiltig die Grundlagen für ein neues deutsches Reich zu legen, dessen tiefe Wirkung aber noch lange Jahre fortgedauert hat, so daß alle er neuten Versuche daran anknüpsen mußten. Dann war dem Präsi denten Simson die Ehre beschieden, dem Erfurter Parlament, dem Norddeutschen Reichstag und dem ersten deutschen Reichstag als Präsident vorzusitzen, und noch einer ganzen Reihe anderer Reichs tage hat er präsidirt, dann ist er über ein Jahrzehnt Präsident des Reichsgerichts gewesen — in der That, ein schönes und be friedigendes Leben für einen hervorragenden Mann! (Lebhafter Beifall.) Meine Herren! Wenn wir jetzt hier und in ganz Deutschland die 25jährige Wiederkehr des Tages feiern, an welchem das deutsche Reich, wiedcrhergestellt durch die siegreichen Feldherren, im sran- zösischen Königsjchlosse den ersten deutschen Kaiser des neuen Reiches verkünden konnte, da steigen die Erinnerungen uud die Bilder an diese große Zeit vor unseren inneren Augen wieder lebendig auf; die Zeit, wo Deutschland aufgerusen wurde durch einen frevelhaften, durch nichts berechtigten Angriff zu einem gemeinsamen Kamps gegen eine große militairijche Nation, obwohl wir wenige Jahre vorher in schwerem Bürgerkriege die Waffen noch gegen einander gekreuzt hatten. Gewaltig ging die Begeisterung durch ganz Deutsch- tand, diesen frevelhaften Angriff von unserem Lande abzuwehren, einmüthig im Norden und im Süden. Bange Tage und Wochen waren es, bis die entscheidenden Siege von Metz und Sedan dem deutschen Volke dir Gewißheit gaben, daß wir nicht blos die end lichen Sieger über die Franzosen bleiben würden, nein, daß aus diesem Kriege die langerstrebte und niemals erreichte Wieder herstellung eines deutschen Nationalstaates hervorgehen würde. (Beifall.) Meine Herren I Nach den großen und entscheidenden militairischen Erfolgen bei Metz und Sedan, da war der Krieg mit seinen Anstrengungen und Opfern noch lange nicht zu Ende. Ein Volk von solchem militairischen und nationalen Ehrgefühl und ungeheurer kriege rischer Tüchtigkeit, wie die Franzosen, hat unserem glänzend geführten und wohlgesührten militairischen Körper noch monatelang eine schwere Arbeit uud große Opfer ousertrgt. Während dieser Arbeit bis zu dem Tage, wo am 18. Januar 1871 da- deutsche Reich ver kündet werden konnte und wenige Tage später die Uebergabe von Paris erfolgte, da war die Aufgabe der deutschen Politik wahrlich keine leichte! (Zustimmung.) Es hat in diesen Monaten der ganzen politischen und diplomatischen Kraft und Weisheit des gewaltigen Kanzlers und Staatsmannes, des Fürsten Bismarck (lebhasler brausender Jubel), bedurft, um die Einwirkung fremder Mächte abzuhalten, dir unser schwere- Ringen mit Frankreich zu hindern und zu bewirken suchten, daß di« Erfolge unserer Siege, aus die wir Anspruch hatten, uns wesentlich verkümmert würden. (Leb- Hafter Beifall.) Meine Herren! Durch die kriegerische Tüchtigkeit unseres Heeres und seiner genialen Leitung durch Moltke, durch die Anstrengungen einer in sich geschlossenen einigen Nation ist die Wiederherstellung des Reiches vor 25 Jahren endlich zur Durchführung gebracht worden, und dem ehrwürdigen und ruhmreichen Feldherr n und Könige Wilhelm l. ist es vergönnt gewesen, manche Jahre als Herrscher Liese» neu geeinten Volke- seines Amtes zu wattrn, trotz der ungeheuren Macht und Gewalt, die in seine Hände gelegt war, nicht alS rin Fürst, der diese Kraft je mißbraucht hätte zu Eroberungen und Vergewaltigungen, sondern in der Ausgabe eines weisen und großen Fürsten, der, gestützt allerdings auf solche sieg- reiche Erfolge, feine Ausgabe sucht in der Erhaltung de- Welt- sfr irden» und in der Entwickelung des deutschen Volkes in der geistigen und wirthschastlichen Eultur. (Lebhaftester Beifall.) Da« Reich, wir es damals begründet wurde, über die Erwartung und Hoffnung hinaus aller Telsrnigen, welche manches Jahr vorher für die Wiederbelebung des nationalen Gedankens und für die Vorbereitung der Gründung des nationalen Staates thätig gewesen waren, da- hat allerdings manche Entwickelung aus und ab seitdem durchmachen muffen, und manchem unter unS ist da», was wir nun jetzt vor uns sehen als das Product einer 25jährigen Ent Wickelung, häufig in einem wenig erfreulichen Lichte erschienen. Aber wir würden doch schwere» Unrecht begehen, wenn wir wegen mancher uns nicht erfreulichen Erscheinung irgendwie an der Kraft unseres Volkes zur gesunden Entwickelung desselben, an der Er Haltung des mit so schweren Opfern Errungenen und an der weiteren glücklichen Entfaltung unserer politischen Zustände und der deutschen Machtstellung irgendwie zweifeln (lebhafter Beifall), oder gar irre werden könnten (erneute Zustimmung). Nein, meine Freunde, derartige Entwickelung Hot dir Geschichte oller großen Länder gezeigt, und tüchtig« Völker sind immer im Stande gewesen, auch solche weniger erfreuliche Erscheinungen end lich zu überwinden (erneuter Beifall), und das wird hoffentlich auch dem deutschen Volke möglich sein! (Lebhaftes Bravo» Manches in den Erscheinungen, was nach dem großen Auf schwung in unsere», Dasein noch dem Jahre 1870 so schwer aus Deutschland gelastet hat, das war ja eine beinahe natürliche und selbstverständliche Folge eines Fortschrittes, der die bis ebendahin seit Jahrhunderten nicht mehr vorhandene politisch« Staatsgewalt ersten Ranges inmitten von Europa hrrvorbrachte. Selbstverständlich mußte es Jedem in Deutschland sein, der mit der Geschichte des deutschen Volkes sich vertraut gemacht hatte, daß mit dem mächtigen deutschen Reiche auch der alte verhängnißvolle Gegensatz zwischen Curie und Reich wieder würde erwachen müssen. Da- war «in nothwendiges Verhängniß, dem wir nicht hätten entgehen können. Dieser Kampf — Culturkampf ist er damals genannt worden — hat jahrelang schwer aus Deutschland gelastet und hat die Leidenschaften tief aufgewühlt, furchtbare Gegensätze hervorgerufen. Ich kann darüber persönlich ein Zeugniß ablegen, denn mir war die wenig da« kenswerthe Ausgabe geworden, in den Jahren 1873 bis 1879 und namentlich in Len ersten Jahren, als Präsident des preußischen Abgeordnetenhauses, Wochen- und monatelang diese tiefgehenden Gegensätze, diese leidenschaftliche Erregung der Gemüther vom Präsidentenstuhle aus in den nothwendigen Grenzen zu halten. Trotz der Schwere dieser Gegensätze, trotz der geschichtlichen Noth- wendigkeit für dieselben aber, ist es schließlich doch gelungen, wenn nicht zu einem definitiven Frieden, aber doch zu einem solchen Berhältniß zu gelangen, welches ein einträchtiges Zusammenwirken des Staates mit der Kirche und unter den verschiedenen Glaubens genossen vollkommen zuläßt und uns die Hoffnung nicht blos, sondern die Zuversicht einslößt, Laß auf diesen» Gebiete in ab sehbarer Zeit ein so schwerer Zwist nicht wieder ausbrechen wird (lebhafter Beifall), und daS wolle Gott auch verhüten! (Erneuter Beifall.) Denn zweimal in der Geschichte, im Mittelalter und in dem Zeitalter nach der Reformation, da hat dieser Gegensatz und Komvs das Leben und die Kraft der Nation zerstört, seine Einheit vernichtet und seine Cultur untergraben. (Lebhafter Beifall.) Wir haben noch andere Ereignisse erlebt, noch andere Kämpfe n unserem Vaterland«, die uns vor der Begründung des deutsche» Reiches unbekannt waren: das Anwachsen einer großen social demokratischen Partei, die den Kamps zwischen Arbeit und Capital zu einem Kampfe, zu einem zerstörenden Kampfe auszn- beuten versucht hat, der Art, daß dieser Gegensatz und Kampf eine solche Höhe erreichte, wie die Aelteren von uns ihn nicht kannten, da im ersten Reichstage kaum eine socialdemokratische Debatte zu Stande kam und fast nur Herr Bebel diese Partei vertrat. Nach und nach ist diese Bewegung zu großem Umfang an gewachsen. Kann uns das aber im Ganzen Wunder nehmen, wenn wir bedenken, wie stark dieselben Gegensätze in Frankreich schon in der Revolution der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts hervor- traten, und in England zwei Menschenalter, ehe sie in Deutschland sich geltend machen? Es war auch dieses fast eine selbstverständliche Folge de- großen Aufschwunges, welchen die deutsche Nation und Wrthschaft sahen in ihrem neuen Einheit-« und Kraftgesühl. Die Gegensätze zwischen Capital und Arbeit mußten bei dieser erstaunlich raschen Entwickelung der wirthschastlichen Thätig- keit nach 1870 auch bei uns nothwendig rasch zur Erscheinung kommen. Es liegt in der ganzen Natur des deutschen Wesens, daß wie die Gegensätze zwischen Capital und Arbeit, zwischen bürgerlicher Gesellschaft und revolutionairer Socialdemokratie in anderen Län dern auch hier zu einem Gegensätze der Grundlagen sich entwickeln — der Deutsche ist nun einmal dazu geschaffen und angelegt, daß er alle diese großen Tinge, welche drn Menschen bewegen, tiefer und innerlicher ersaßt, als die meisten anderen Völker. DaS ist rin Vorzug, aber unter Umständen auch ein Unglück, wenn es ihm nicht immer gelingt, diese tiefere Erfassung nun glücklich zu überwinden und in den Formen, die dafür gegeben sind. So ist es auch in Deutschland gekommen. Aber wenn das so ist, meine Herren, so liegt darin zugleich auch vielleicht die Lösung. Denn ich habe schon lange die Ueberzeugung gehabt, die viel verbreitet ist in Deutschland, daß es sich gar nicht allein um die Lösung der wirthschastlichen Frage, sondern wesentlich darum handelt: daß diese Gegensätze unter den Menschen menschlich überwunden werden müssen (lebhafter Beifall), mag daS nun in der kirchlichen oder in der menschlichen Art geschehen. (Wiederholter Beifall.) Und diese menschliche Ueber- windung, die endlich geschehen muß, wenn die europäische Cultur nicht zu Grunde gehen soll, die muß es in die Hand nehmen und auch durchführen, daß hier eine Brücke gewonnen wird, die wieder den Menschen dem Menschen nähert, bei un- ober noch keines- wrgS verloren ist (Ruse: Sehr wahr! Lebhafter Beifall), auch bei Männern, die mitten im wirthschastlichen Leben stehen und welche nicht blos im eigenen wirthschastlichen Interesse rin gutes Berhält- niß mit den Arbeitern hrrzustellen suchen, sondern als menschliche Ausgabe ersoffen «in herzliches Berhältniß zu den Arbeitern. (Lauter Beifall.) Wenn also auch dieser Kampf bedrohlich sich zu solcher Höhe entwickelt hat und in solchen Zahlen die Cocialdrmokraten auftreten und vorhanden sind, auch hier dürfen wir die Hoffnung nicht auf- grben, daß das deutsche Bolk, welche« diese Gegensätze auch mit tiefem Gefühl« erfaß», endlich doch die Lösung finden wird (Beifall». So mögen manche Gefahren sich entwickelt haben, meine Herren, von denen wir früher nichts kannten, so mag auch Manches in unseren heutigen Erscheinungen sein, was uns nicht erfreulich ist, am wenigsten erfreulich in den materiellen Gegensätzen, die sich auch unter den besitzenden Classen unter den verschiedenen Formen deS wirthschastlichen Lebens herausgebildet haben. Wir leben überhaupt in einer Zeit, wo der Materialismus und Realismus wieder in einer Weise an die Oeffentlichkeit tritt, die man vor sin cke si^Ie nicht für möglich gehalten hat. Aber wer sich den Anfang dieser Entwickelung ansieht, der mußte sich sage«, daß, nachdem die alten liberalen Parteien ihre schwere und ideale Aufgabe, «in deutsches Reichsrecht, den nationalen Staat u. s, w erreicht haben, die Kraft des deutschen Volkes sich auch aus die wirthschaftliche Entwickelung werfen und auch hier den Wettkampi ansnehmen werde. Diese große Entwickelung unserer wsethschasl Ischen Cultur bat auch Gegensätze in einer Mächtigkeit hervor- gerufen, dl« wir uns früher auch nicht träumen ließen, und der allgemeine Materialismus der Zeit hat das krinige dazu bei getragen, uin nun Gegensätze materieller Art unter den Besitzenden anwachirn zu lassen. (Der Schluß des Bericht» ist zu unserem Bedauern nicht ringcgangen. D. Red. d. ,.L. T.") Deutsche- Reich. * Leipzig, 20. Januuar. Zu der von uns gemeldeten Verhaftung des Oberfeuerwerkers Nürnberg von der Siegburger Geschoßfabrik, wegen Anfertigung und Verkaufs mililairischer Zeichnungen, erfolgte, erfahren wir, daß diese Angelegenheit nicht das Reichsgericht, sondern ausschließlich die Militärgerichte beschäftigen wird. * Leipzig, 20. Januar. Noch in letzter Stunde hat der Verein ver Fachpresse Lurch seinen Vorsitzenden Carl Hofmann, Verleger der „Papier-Zeitung", vom Reichstag die Ausnahme eines Zusatzes zum Gesetzentwurf Uber die Be kämpfung deS unlauteren Wettbewerbs erbeten. Er beantragt die Einschaltung der Worte „über die Auflage von Druckschriften" in 1 und 4. Der Antrag ist damit begründet, daß viele Verleger, um Anzeigen-Austräge zu er bauen, die Auflage ihrer Blätter zu hock angebcn. Das Publicum und die Verleger werden durch diesen »»lautern Wettbewerb in gleicher Weise geschädigt, können sich desselben aber nicht erwehren. ö? Berlin, 20. Januar. Wie mit Bestimmtheit voraus- gesehen worden war, ist unmittelbar nach der Eröffnung des preußischen Landtags von der conservaliven Partei ein Schritt zur Klärung der Stellung des Herrn Stöcker zur Partei gelban worden. Allerdings nicht von der coiiservativen Fraction des Abgeordnetenhauses, deren Mil glied Herr Stöcker ist, sondern von dem an der Spitze der Partei siebenden Elferausschuß, dem dieser politische Halb bruder des Herrn Naumann gleichfalls angehört. Es ist auch nicht die Zugehörigkeit Stöcker'S zur Partei Gegen stand der Beschlußfassung des ElferauSschusses gewesen, sondern nur seine Mitgliedschaft in dieser Parteileitung. Und diese wiederum ist nicht von einem Verzicht auf die eigen artige Agitation des frübcren Hofpredigers, oder auch nur von seinem Verhältnis zur christlich-socialen Partei abhängig ge macht worden, sondern von seinen Beziehungen zu deni „Volk". Aber nun tritt uns in der mitgetbeilten Auslassung der „Eons. Eorr." die Thatsache entgegen, daß Herr Stöcker die Haltung dieses Blattes „durchaus mißbilligt" und erklärt hat, daß er eine andere, den conservativen Interessen entsprechendere Richtung berbeizuführcn beabsichtige. Noch vor sehr kurzer Zeit hat Herr Stöcker sein Berhältniß zum „Volk" so gekennzeichnet, daß man unter der Voraussetzung der Glaubwürdigkeit dieser älteren Erklärung annehmen mußte, er sei außer Stande, Einfluß auf die Haltung des Blattes zu üben. Darüber muß Herr Stöcker also doch anderer Meinung gewesen sein, sonst hätte er nicht den Versuch, eine Aenderung herbei- zusühren, ankündiqen können. DaS „Bolk" enthebt ibn aller dings der Müde, indem eS das „Ultimatum" der conservativen Partei zurUckweist. Um ein solches handelt es sich für das „Volk" nicht, sondern erstens um ein Ultimatum, das die konser vative ParteileitungHerrn Stöcker — allerdings, wie gesagt, nur hinsichtlich seiner ferneren Zugehörigkeit zum Parteiausschuß — gestellt hat, und zweiten» um ein Ultimatum, bas Herr- Stöcker seinerseits dem „Bolk" zu übermitteln erklärt bat. Herrn Slöcker's thut aber die zurückweisende Kundgebung von „Verlag und Redaction" des „Volk" mit keiner Silbe Er- wäbnuiig, sie sagen nicht diesem, sondern der conservativen Partei ab, der gegenüber dies nicht nölhig war. weil die Parteileitung das Blatt thatsächlich längst als abgefallen angesehen und sich mit ihm nur wegen seines zu Stöcker bestehenden Verhältnisses beschäftigt hatte. Der Letztgenannte braucht nun die ihm gesetzte Frist bis zum 1.Februar nicht verstreichen zu lassen, um der Forderung des Parteiausschufses nach einer „unzweifelhaften" Stellung nähme zu dem Blatte zu genügen: daS „Volk" hat erklärt, „eine den conservativen Interessen entsprechende Haltung" nicht einnehmen zu wollen. Was wird Herr Stöcker nun tbun? Und wenn er nochmals und öffentlich erklärt, daß er die Haltung deS Blattes durchaus mißbilligt, wird der Partei- auSschuß sich auch dann damit begnügen, wenn Herr Stöcker durch Wort und Handlung verrat^ daß die Mißbilligung nur eine Formalität gewesen sei? Eine Frage, deren Beant wortung von allgemeinem politischen Interesse sein wird. * Berlin, 20. Januar. Die von dem Alldeutschen Verbände an den Reichskanzler gerichtete Eingabe, be treffend die Transvaalfrage, lautet: Berlin, den 7. Januar 1896. Durchlauchtigster Fürst! Hochgrbirtender Herr Reichskanzler I Der Frirdensbruch, Lessen sich englische Unterthanen und Beamte der südafrikanischen Republik gegenüber schuldig gemocht dobe», hat allerwärtS den gerechten Unwillen erregt, nicht zum wenigsten i» Deutschland, da» durch Stammesgrmeinschaft und wirthschaftliche Interessen mit jenem Lande so eng verbunden ist. Ir lebhafter in unserem Volke aber die Entrüstung über die fast beispiellos« Verletzung des Völkerrechtes durch englische Staats- angrhörige und Behörden war, um so freudiger begrüßte cs das sofortige und energische Einschreiten der Reichsregierung zu Gunsten deS bedrohten Tranövaalslaates. Denn die von den Zeitungen ge meldete Anfrage des kaijerl. Auswärtigen Amtes in London konnte das dortige Ministerium nicht im Zweifel darüber lassen, daß das Reich gewillt sei, einer versuchten politischen Vernichtung rer süd.
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