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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.01.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-01-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960125025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896012502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896012502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-01
- Tag1896-01-25
- Monat1896-01
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Rcclamcn unter dem Redactionsstrich i4ge- spalten) SO^, vor de» Fainiliennachrichten i6gespa!ten tO^. kiröstere Schriften laut unsere», Meie verzeichnist Tabellarischer u»d Zikkernlatz nach höherem Tarif Vptry. Beilagen lgesalzt). nur mit de, Murge»,Ausgabe. ohne Postd»sbrd>ru»g 60.—, m»t Poslbesörderung A) ÄnilaliMschlnß für Anzeigen: Abend-Ausaobe: Vormittags 10 Uhr Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Ubr. Für dir Montag-Morgen-Rn-gabe: Sonnabend Mittag. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine balde Stunde früher. Anzeigen sind stets an di, fstxpeditiou zu richten. Druck und Verlag von E Polz in Leipzig. ^»44. PoMische Tagesschau. * Lripzia. 35. Januar. Der Reichskanzler Fürst Hohenlohe hat bekanntlich am Donnerstag, von dem Abg. vr. Barth im Reichstage nach dem Schicksale der WährungSconfrrenz befragt, die Antwort erlheiit, daß er erst „in einiger Zeit" sich darüber äußern könne. Am Donnerstag Nachmittag hat nun, wie die „Nat.- Ztg." erfährt, der Bundcsrath den Beschluß des Reichs tag« vom 16. Februar v. I. in der Wäbrungsfrage ab- qe lehnt. Dieser Beschluß lautete: An die verbündeten Regierungen das Ersuchen zu richten, dir« selben wollen baldthunlichst Einladungen zu einer Münz- conferenz ergehen lassen behuss internationaler Regelung orr WährungSfragr. Bor der Annahme des Antrages, der von 210 Mitgliedern unterzeichnet war und die mit sehr großer Mehrheit e,folgte, hatte der Reichskanzler Fürst Hohenlohe folgende Erklärung abgegeben: „Ohne unserer Reichswährung zu präjudieiren, muß man doch zugrslrhen, daß der zunehmende Werthunierschied zwischen den beide» Münzmetallen auch aus un>er Erwerbsleben eine nuchtlieilige Wirkung »usübl. Im weiteren Verfolg des Gedankens, welcher zur Em- dernfuiig der Silbcrenguelecommijsion gesübrt bat, bin ich deshalb geneigt, mit den verbündeten Negierungen in Erwägung zu ziehen, ob mit anderen an der Bcwerthung des Silbers wesentlich belhei- ligten Staaten in einen sreundschastlichen Meinuiigsausiausch über gemeinschaftliche Maßregeln zur Abhilfe eingetreten werden konnte." Die mit den verbündeten Negierungen arigesteUlen Er wägungen haben nunmehr, nach fast Jabresfrisi, zu dem Er- gedniß geführt, daß Einladungen zu einer Münzconserenz nickt erlaßen werden. Wie weit inzwischen vertrauliche Anfragen bei den in Betracht kommenden fremden Eabinelten die Aussichts losigkeit einer Conferenz, an der kein Sachkundiger zweifeln konnte, ergeben haben, mag dahingestellt bleiben; an dem aus verschiedenen Gründen unerfreulichen Intermezzo der deutschen Währungspolitik, das mit dem Beschluß vom 16. Februar 1895 begann und nun zu Ende ist, darf man wenigstens das Eine als erfreulich bezeichnen, daß cs nickt erst bis zur Einladung fremder Regierungen zn einer Eonfcrenz gekommen und daß die Sache in den eigenen vier Wänden Deutschlands durch den Beschluß des Bundesratbs abgetban ist. Hoffentlich lassen die Blmetallisten nunmehr das deutsche Volk wenigstens für längere Zeit unbelästigt von ihren Agitationen. Als erste unter den dem Reichstage in dieser Tagung zugegangenen Vorlagen bat die Novelle zmn tücnosscnschasts- gcfetz die erste Lesung in der Commission passirt. Der Zweck des Gesetzes ist bekanntlich im Wesentlichen, die bereits untersagte Waarenabgabe an Nichtmilglieder unter Strafe zu stellen. Eine Ausnahme ist für die sogenannten land- wirtbschaftlichen Consumvereine getroffen, die in Wirklichkeit mehr Rodstoffgenossenschaften als Consumvereine sind. Die Commission bat die Regel wie die Ausnahme gebilligt und im Uebrigen die Vorlage nach zwei Richtungen hin erweitert. Es ist in kaufmännischen streifen längst als ein Uebelstand empfunden worden, daß Consumvereins- mitglieder den Gewerbebetrieb ihrer Vereine dadurch erweitern, daß sie vom Verein bezogene Waaren an Nichl- mitglieder abgeden, und es hat auch in den letzten Sessionen des Reichstage« ein nationalliberaler Antrag Vorgelegen, welcher dem Mißbrauch steuern wollte. Die gesetzliche Regelung bereitet Schwierigkeiten, da es vermieden werden muß, gelegentliche Waarenabgaben, die aus Gefälligkeit er folgen, vielleicht sogar, um dem Nachbar oder Bekannten aus dringender Verlegenheit zu helfen, zu verbieten. Die Com mission hat nun die Fälle anderer Art durch die Annahme eines von anderer Seite modificirten und ergänzten Antrags Osann zu treffen gesucht, der mit Strafe solche Consum- vereinsmitglieder bedroht, die aus Consumvereinen bezogene Waaren von nicht unbedeutendem Werth oder nicht Tonnabend den unerheblicher Menge gewerbs- und gewohnheits mäßig an Nichtmilglieder veräußern. Die Commission hat sich für die zweite Lesung eine andere Fassung Vor behalten und cs läßt sich nickt verkennen, daß die vor stehende verbefferungsfäbig ist. So sollte die Vermittlung einer Waare von bedeutenderem Wertbc lz. B. eines größeren Möbel stücks) auch dann strafbar sein, wenn ein ConsumvereinS- Mitglied eine solche Vermittlung zum ersten Male besorgt. Es bandelt sich in solchen Fällen um ein Geschäft, wo der Grundsatz, daß nur Mitglieder von Consumvereinen Waaren beziehen sollen, ebne die geringste Berechtigung durchbrochen wird. Sodann wird es sich fragen, ob stall „gewerbs- und gewohnheitsmäßig" nickt bester gesagt würde „gewerbs- oder gewohnheitsmäßig." Es ist anzunebmen, daß die den gewerblichen Kleinhandel schädigende Vermittelung von Consumvereinöwaaren an Nichtmitglieder zum größeren Theile nickt zu dem Zwecke erfolgt, dem Wieberveräußerer einen Gewinn zu verschaffen. Eine zweite, gleichfalls im Wesentlichen schon früher von nationalliberaler Seile vor geschlagene Ergänzung der Vorlage bat die Commission vor genommen durch die Annahme eines weiteren Antrags Osann, der die Consumansta lten betriffl, also die von Unter nehmern für ihre Arbeiter und Beamten ins Leben gerufenen Verkaufshäuser, sowie die Wa arenhäuser von Gesellschaften und Corporatwuen, insbesondere auch die in dem An trag ausdrücklich genannten, Waarenhäuser der Beamten und Officiere. Diesen und ihren Mitgliedern bezw. Zugehörigen wird in dem Zusatz der Commission die Waarenabgabe an Nichtmitglieder bezw. Nicht- zugehörige ebenso untersagt, wie den Consumvereinen und ihren Mitgliedern. Jedoch ist die Einschränkung getroffen, daß das Abgabeverbot sich auf Gegenstände „der LebenS- und Hausbaliuugsbctürfnisse" beschränkt. Danach bleibt es beispielsweise dem Waarenhause für Armee und Marine (Lfsicicrverein) unbenommen, Helme und Säbel an Nickt- mitglieder abzugeben, aber es ist ikm nicht mehr gestattet, einen unbeschränkten Handel mit Fleisch, Tabak u. dgl. zu treiben. Mit dieser Vorschrift würde auch eine gesetzliche Garantie gegen Lieferungen des Officiervcreins an -ie Armee geschaffen, was trotz entgegenstebender Versicherungen noch immer nicht überflüssig ist. Nunmebr bleibt abzuwarten, wie der Bundcsrath sich zu der vom gesammten Mittel stände längst dringend verlangten Eindämmung der Con- currenz der Waarenhäuser von Gesellschaften verhalten wird. Die wohlwollende Tbeilnah me Kaiser Wilhelm's an dem Schicksale der italienischen Waffen in Afrika, wie sie in der Verleihung des Krone norde ns II. Classe mit Schwertern an den Oberstlieutenant Gakliano, den helbenmüthigen Verlbeidiger des Forts Makalle, und in dem den italienischen Osficieren und Soldaten gespendeten Lobe sich lundgiebt, ist ein abermaliger sprechender Beweis dafür, daß der Monarch Meister ist in der Kunst, die Imponderabilien, welche auf den Entwickclungsgang der Dinge im Leben der Staaten und der Völker einen so tiefgreifenden und häufig genug bestimmenden Einfluß üben, zur rechten Zeit, am rechten Ort und in der rechten Weise in Action treten zu lassen. Italien ist unser Bundesgenosse innerhalb der durch die Bedürfnisse der mitteleuropäischen Friedenspolitik gezogenen Grenzen; darüber hinaus gebt es seine eigenen Wege; insbesondere der abessinische Feld zug liegt ganz abseits von der Jntereffenspäre des Drei bundes. Wenn man in England regsten Antheil an den WechselsäUen des von General Baralieri begonnenen Kampfes gegen Abessinien nimmt, so erklärt sich das obne Weiteres daraus, daß sich jeder englische Politiker mehr oder minder klar und deutlich sagt: lim res agitur; denn aus keiner anderen Veranlassung, als in der anglo-italienischen Parallel action in maritimen Fragen ge'unden werden könnte, ist Italien s. Z. nach Maffaua und weiter gegangen. Gleichwohl 25. Januar 1896. bört man bis heute nicht, daß England für seinen italienischen Verbündeten in der jetzigen schwierigen Lage desselben mehr übrig gehabt hätte, als ein paar verbindliche Redensarten, die von dem italienischen Vertreter mit höflicher Verneigung entgegengenommen wurden, ohne daß die eine oder die andere Seile tiefer dabei empfand. Wie ganz anders die hochpersönliche Initiative Kaiser Wilhelm's! Ein Act wahrhaft ritterlicher Gesinnung, wird die dem tapferen Verlbeidiger eines schier für verloren gehaltenen Postens von Kaiser Wilhelm verliehene Auszeichnung nicht nur seitens der mililairischen Kreise zu beiden Seilen der Alpen nach Gebühr gewürdigt werden, sondern auch so manchen Leuten zu denken geben, die in letzter Zeit allerband von einer angeblichen Lockerung des Verhältnisses zwischen Deutschland und seinen Verbündeten zu fabeln wußten, auch wenn die aiullicke Noie des „Corriere della Sera", welche diesem Gerüchte entschieden eutgegentrilt, nickt veröffentlicht wäre. Selbstverständlich enlbebrt die Kundgebung ganz und gar jedweder politischen Tendenz, sic ist der spontane Ausfluß einer Herzensregung, aber eben deswegen bat sie auch ihren Weg direct zum Herzen pxß italienischen Volkes gesunde». Das bezeugen unwiderleglich die sympathischen Auslassungen italienischer Blätter. Wo der Engländer dem Deutschen begegnet, sucht er ihn zu verdrängen, deutschem Wesen den Garaus zu macken und Alles zu anglisnen. So bat, wie die „Illinois Siaats- Zeilung" schreibt, in letzter Zeit die englische Presse in Chicago mit einem Eifer gegen die Deutschen gewühlt, der einer besseren Sache würdig gewest« wäre. Sie stachelte die öffentliche Meinung gegen die Verwaltung der Schulbehörde aus und verlangte Ersparnisse, wollte dieselben aber nickt durch eine ökonomische Verwaltung, sondern durch eine Verkrüppelung des Unterrichtsplanes herbeifübren. Monate lang wütbete sie gegen die sogenannten „Fads", und zu diesen „Fads" rechnete sie auch den Unterricht i in Deutschen, im Turnen, im Gesang und andere Gegenstände, welche die moderne Erziehungsmethode als Geist und Gemülh anregend empfiehlt und für nötbig er achtet. Unter dem Vorwände, daß Ersparnisse gemacht werden müßten, hofften und wünschten die geheimen Feinde des Deutschen, daß der Unterricht in dieser Sprache aus den unteren Volksschulclassen verbannt werden würde. Aber sie batten, sagt die „StaatS-Ztg", die Rechnung ohne den Wirtb gemacht, sie hatten vergessen, daß im Chicagoer Sckulrathe Männer sitzen, welche den deutschen Unter richt wie ihren Augapfel behüten, unk daß besonders der Vice-Prästdent des Schulratbs, Halle, mit seinem weit reichenden Einflüsse die Zusammensetzung des Nesormcomilös bestimmen und solche Schulräihe fern ballen würde, welche den bestehenden Lehrplan gefährden könnten. So geschah es denn, daß in dieses Comits drei Deutsche und die mit den Deutschen sympatbisirenden Schulrälbe Errant und Cussaä gewählt wurden, und aus der Verdrängung des Deutschen wurde cs nichts. „Wir Deutschen, jubelt das Chicagoer Blatt, baden daher doppelte Ursache, uns über das Ergebniß der Arbeit des Resorm-Coniilss zu freuen, das in echt deutschem Geiste Ausgaben beschnitt, wo sich Ersparnisse anbringen ließen, zugleich aber auch dafür sorgte, daß rer Lehrplan der öffent lichen Schulen Chicagos, welcher ein anerkannt guter ist, in keiner Weise verkrüppelt wurde." Bravo! Während die Wiener „N. Fr. Pr." die Meldung der „Pall Mall Gazette" von dem Abschluß eines rnssisch- tnrkischcn Bündnisses mit der Bemerkung als falsch be zeichnet, die Beziehungen zwischen der Türkei und Rußland seien allerdings vorzügliche, die Pforte sei indessen bestrebt, gute Beziehungen mit allen Mächten zu pflegen, bezw. wieder berznstellen, halt das Londoner Platt die Richtigkeit seiner Meldung aufrecht. Seinem Berichterstatter ständen Infor mationsquellen offen, die den Diplomaten unzugänglich seien. 8». Jahrgang. Als völlig unwahrscheinlich läßt sich die Nachricht der „Pall Mall Gazette" nicht bezeichnen. Allerdings ist diePforte nickt wie im Jabre 1833 von äußeren Feinden bedroht. Damals war die Türkei wegen des unglücklichen Krieges mit Mehmed Ali von Egypien in der grössten Gefahr und sab sich daher ge- iiötbigl, mit Rußland einen Vertrag abzusckließen, der ei» Einvernehmen für acht Jabre und die Schließung der Tai danellen gegen fremde Kriegsschiffe festsetzle. Es erschien ein russisches Heer unter Orlow in Klcinasien, das auf dem asia tischen User des Bosporus bei Hunkiar-Jskelessi ein Lager bezog. Unter rem Druck dieses russisch türkische» Bündnisse- schloß der Kbedive am 4. Mai 1833 mit der Pforte den Frieden von Koniab. Heute liegen die Dinge, wie gesagt, ganz anders, aber der Bestand des Reichs erscheint nicht minder bedroht, diesmal zwar nickt von außen, aber durch die Wirren im Innern. Diezer bat die Pforte noch nickt Herr zu werten vermocht, weil sie mit ihren finanziellen Mitteln am Ende ist. Die kaum mir großen Opfern mobil gemachten Truppen müssen, weit sie nicht verpflegt werden können, zum Theil wieder entlassen werden, und die Beamten bekommen nur Abschlagszahlungen aus ihren rückständigen Gehalt. Unter diesen Umständen ist für den Beginn veS Frühjahrs das Aller- schlimmste zu besürckien, und man braucht sich nickt zu wundern, wenn die Pforte sich nach einem, zahlungsfähigen und zablungSwilligen Lundesgenoffen umsiebt. Daß Ruß land zu finanziellen Hilfeleistungen geneigt ist, weiß man schon längst. Von russischer Seite sind der Pforte bereits vier Millionen Lstrl. für Gewährung eines Petroleum Monopols an die russischen Naphtha-Industriellen angeboren worden, und auch einer Anleihe in Petersburg — man spricht von 5 Millionen Lstrl. — wird nichts entgegensteheu, wenn die Pforte zu genügenden Gegenleistungen bereit ist. Unter genügenden Gegenleistungen versteht man in Rußland natürlich die Auslieferung der Dardanellen. Diese direct zu verlangen, hütet man sich selbstverständlich, aber erreicht man nicht dasselbe aus Umwegen durch ein Bündniß, oder wenn man will eine „Entente", mit der Türkei, waS beides nichts Anderes bedeuten würde als eine Vormundschaft? Rußland geht Schritt für Schritt vor. eS bat Eile nickt nötbig, ja ein langsame» Tempo muß ibm schon wegen seiner noch nicht vollständig durckgefühnen Arinee-Ncorganisation erwünscht sein, und es konnte sich fürs Erste sehr wohl damit begnügen, daß ein engeres Verhältnis; zur Pforte es zur ausschlaggebenden Macht im Orient erbebt, daß sein Einfluß bei den Mukamedanern gewaltig steigt und seine Stellung in Indien wie in Afghanistan England gegenüber an Festigkeit gewinnt. Das klebrige findet sich dann scuon im Laufe dev Zeit. Oesterreich-Ungarn und Jtatien wären — von Eng land ganz abgesehen — durch ein solches Bündniß natür lick aufs Ernsteste in Mitleidenschaft gezogen, link mög lickerwcise baden die Unterredungen zwischen dem italie nischen Botschafter Nigra in Ästen mit dem Minister des Auswärtigen von Goluchowsti einer derartigen Even tualität gegolten. Nock bedenklicher würde die Sacke für die genannten Länder, wenn Frankreich als Dritter dem Bund beit, äte, und für England bieße die- nichts Geringeres als die Ausrottung der cgyptisch.'n Frage. Deutschlands Interessen würden zunächst nur mittelbar berührt, aber man vermöchte sieb wobt Consequenzen unk Complicationen denken, die auch Deutschland »ich! völlig unbetbeiligl lasten würden. Einstweilen bleibt aber noch die Bestätigung der Nachricht in der „Pall Mall Gazette" abzuwarten. Deutsche- Reich. II Berlin, 24. Januar. Wenn von socialdeinotratischer Seile im Reichstage die baldige Vorlegung einer Novelle zum JnvaliditätS- und Ältersversicherungsgesev gefordert wird, in welcher die Altersgrenze für den Bezug Feuilleton» Annalise's Pflegemutter. 201 Roman von L. Haid hei in. Nachdruck verbot«». Er setzte sich abermals zu Annalist und sprach mit ibr von ihrem vergangenen Leben. Warum nahm sie Glogowsky nicht? Drr Profestor sagte, er begriffe sie nicht. Der Graf, wenn auch sehr jung noch, sei doch ein liebenswürdiger frischer Cavalirr. Reich! Die Pflegemutter schien er keineswegs zu tadeln wegen dieser Wahl. „Aber ich liebte ihn ja nicht! Ich könnte idn nie und nimmer heirathen!" „Unsinn I" sagte der Professor scharf. Ein reizendes, sonniges Lächeln flog über Annalise'S Ge sicht, sie sah ihn fast mitleidig und dock schelmisch an. „Unsinn!" sprach sie ihm so recht kindlich, mädchenhaft nach. „Wissen Sie denn nichts von Liebe? So ganz und gar nichts? Wie der Blinde von der Farbe?" „Will auch gar nichts davon wisien! Bin froh, daß mir der Kopf so fest zwischen den Schultern steht", erwiderte er barsch. Sie lächelte ihn nur an, erstaunt und amüfirt. „Man muß aber nicht über Dinge urthcilen, die man nicht versteht!" sagte sie altklug. „Ich versiebe eine „sogenannte" Liebe nickt, welche den geliebten Gegenstand in völlig egoistischer Regung aus dem Sonnenschein für immer in den Schatten zieht, welche, um kurzer Freude willen, ihm seine ganze Zukunft zerstört." Betroffen brach er ab. Annalist stieß einen SckreckenSruf au«, ihre Mienen veränderten sich völlig. Traf sein Wort sie so überzeugend? Ach, ja, überzeugend! Ihr fiel ein, was Joackim'S Vater gesagt batte: Sie werden ibm nicht seine ganze Lauf bahn zerstören wollen? „Sie meinen also auch?" Was sie fragen wollte, laS er aus dem durchgeistigten, bleichen Gesicht, den große tbränenschinimcrndcn Augen. „Sie fühlen selbst, daß ick Recht habe, Annalise! Seien Sie ein gutes, energisches Mädchen, retten Sie sich!" „O, um meinetwillen? Nie! Aber er, er? Sein Glück? Es kommt mir auf sei Glück an!" „Nun wohl! Er würde Sie heirathen, um hernach fick zu sagen, daß er einen unverzeihlichen dummen Streich gemacht!" hatte er endigen wollen, brachte eS aber nicht über die Lippen. Sie errietb ihn dennoch. Und in ihm wurde der Drang, sie zu retten vor einem elenden Lebensloose, plötzlich übermächtig. „Wollen Sie mit mir gehen, zu meiner Mutter?" drängte er. „Sagen Sie Ja!" Sie sprach dies Ja nickt; aber sie ergab sich; über ihre schmalen Wangen perlten einzelne spärliche Tbräneu, die wie glühendes Blei in ihrem Herzen gelegen batten und nicht hervor wollten, obwohl ibr zu Muthe war, als »lüßle dies Herz vor Leid brechen. Die Hände fest darauf pressend, lag sie in ihren Kissen und wünschte sich den Tod. Nie hatte sie Joachim so heiß, so grenzenlos geliebt wie heute, wo sie ibm, das wußte sie genau, das Bitterste autbat. „Er hat mich lieb von ganzer Seele, er wird verzweifeln, wie ich!" schluchzte sie. Und obwohl sie ihm in den kleinen Zetteln, die sie ihm gekritzelt, noch gestern Liebe und Treue geschworen hatte, gab sie ibn beule auf. Um seines Glückes willen! Ich darf ihn nicht elend machen! „Ein Mann ist immer ehrgeizig und bereut eine Jugendthorhcit lebenslang, wen» sie ihm seine Laufbahn ver sperrte", batte der Professor gesagt. Welche Wokllhat, daß er weggegangen war! Sic haßte diesen kalten Mann mit dem Karlen Gesicht und der barten Sprache! Kein Funken von Liebe war^ in seinem Herzen; er halte wohl keinS! Nur von der alten Frau, seiner Mutter, sprach er immer mit zärtlichem Tone. Annalise lehnte sich in ihren Gedanken gegen ihn auf. Dennoch beeinflußte er sie, weil er ihr mit Aufrichtigkeit seine Meinung gesagt hatte. Daß er jede- Wort ehrlich so meinte, das fühlte sie mit Bestimmtheit. Ja, sie wollte das Neckte lbun, mockte eS ibr auch noch so schwer werden; aber sie grollte dem, der ihr unerbittlich diese Forderung stellte. Und dann vertiefte sie sich wieder in ihren Kuminer und ibre Liebe. Aber wie bieß doch der schöne Spruch? „Die Liebe ist geduldig, sie sucht nicht das Jbre!" * * * Der Professor war mit seinem Erfolge sebr zufrieden. Die Hauplperson hatte eingewilligt. Er gehörte keineswegs zu den Menschen, welche sich die Zeit gönnen, sich selbst zu beobachten und ihre Gefühle zu analysiren, dazu batte er, seit er ein Mann geworden war, zu viel ernste Arbeit zu bewältigen gehabt. So schritt er denn mit einem Sieges- bewußksein freudigster Art seines Wegeö, ohne im Entferntesten zu abne», waS in ibm verging. In Gedanken börle er die Abschiedworte seiner Mutter; „Nu» sei auch bei der Sache, lieber Junge, unk ein bischen praktischer als gewöhnlich. Wenn Du das junge Mädchen mit der Pflegemutter versöhnen könntest, das wäre freilich für alle Theile das Beste. Aber verlaß Dich darauf, sic soll es gut bei mir baden; sie ist mir Franz Sonneggs Tochter, wenn ick auch nicht viel übrig habe für elegante Dämchen, die wie die Lilien auf dein Felke nichts ibu» mögen, als Alles vom bimiiilischen Vater zu crwarken. Vergiß auch nicht, lieber Junge, daß Du sorgen mußt, ibre Garderobe von der Pflegemutter mitzubringc», siehe zu, daß Du selbst einmal mit der Dame redest; dann hört man beide Theile, und das ist nur gereckt". WaS seine liebe alte Mutter sagte, und wenn es zuweilen auch nickt nach seinem Sinn war, das galt dein gelehrten Altertbumssorscher für eine Art Evangelium, und darum war er jetzt unterwegs nach dem Schlöffe. Ach so, das war ja verbrannt, batte er gehört. Aber die kranke Frau Baronin wohnte noch immer da? Und der Gutsherr auch? Natürlich konnten da- nur Jnterimszustände sein und seine Cousine um so weniger dort wieder Unterkunft finden. Das freute ihn ordentlich. „Sie soll mit mir kommen!" Der Satz stand immer fester in ihm. So gelangte er nach Kllern. Auf dem GutShofe der reine Ameisenfleiß. Ein Sckaar von Arbeiiern räumte die Souterrains des abgebrannten Schlosses auf; Steine wurden angefabren und abgepackl. Holz behauen, ein Mann ging meffend und rechnend bin und ber; man wollte offenbar mit dem Neubau beginnen. Da zwischen kamen Knechte, mit ihren Gespannen vom Felde beim kehrend; aus einer Bodenluke des langestreckten Stalles wurden Heubündel herabgcworfe»; Mägde gingen mit gefüllten Milcheimern quer über den Hof; rcqes Leben überall. Mau wies ihn, als er nach der Baronin Platow fragte, nach dem Cavaticrbause; Herr von Luivwitz sei seit einige» Tagen verreist, lautete die Antwort auf die Frage nach diesem Als er in den Park und dort in den Laubenganz trat, der eigentliche Zugang vom Hofe war aus Adele Jwaiiowna's Bcfcbl abgespcrrt, begegneten ihm zwei Damen, welche ibn stutzend ansaben und in deren Mienen er las, sie batten von ihm gehört, errietben sofort, wer er war. Auch er sagte sich, daS mußten Frau von Liuowitz und Carola sein. Da er aber gleichzeitig bemerkte, sie batten geweint, grüßte er nur schnell und schritt an ihnen vorüber. Cie tonnten seinem Schützling doch nickt Kelsen und am Ende — er wünschte auch gar nickt, daß sie cS hätten thun können. Inzwischen waren sie längst an einander vorübergeaange», und er klingelte an der geschloffenen Tbür des einstöckigen, weinumrangtcn Hauses. Am Fenster wurde flüchtig eine weiße Haube sichtbar, dann hörte er eine Thür gehen, und ibm wurde aufgetban. Eine Minute später trat er zu Adele Jwanowua ine Zimmer. Sie hatte, seine Karte noch in der Hand, sich von ihrem Kraiikcnstuhl erhoben; mager wie ein Skelet stand die boch gewachsene, eckige Gestalt vor ibm, kaum fähig, sich aufrecht zu ballen. Ein abgetragener, wattirter Scklafrock von retblicher Seide hob noch die zamniervolle Krankhaftigkeit der harten Züge hervor; die großen, hellgrauen Augen, vor welchen sie ein schwarzumrändrrleS Pincenez trug, und die scharfe, gebogene Nase gaben ihr «in merkwürdig unkenhafte« Aussehen
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