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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.02.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-02-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960203021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896020302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896020302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-02
- Tag1896-02-03
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Größere Echnften laut uujrrem Preis unzeichnih. Tabellarischer uud Ziffern so nach höherem Tarif. Extra-vetlaaen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohur Postbrsörderung 60 —, mit Postbrsörderung 70.—. — Annahmeschlnb für Anzeige«: Abend-Ausgabe: Bormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Für die Montag-Morgen-Ausgabe: Sonnabend Mittag. Bei den Filiale» und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an dre Expedition zu richten. Druck uud Verlag von E. Polz in Leipzig. Montag den 3. Februar 1896. 80. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 3. Februar. Die Trennung zwischen Herrn Stöcker und den (kon servativen ist erfolgt. Die „Conserv. Corr." theilt dieses Ereianiß in folgender Form mit: „In der am ersten Februar stattgehabten Sitzung de- geschästS- sührenden (Elser)-Ausschuss-s der konservativen Partei erklärte sich Herr Hospreviger Stöcker bereit, die folgende Erklärung zu ver öffentlichen: „In meiner Kirchenzeitung vom 25. October v. I. habe ich erklärt, daß ich seit Jahr und Tag die Haltung de- „Volk" gegen über der conservativen Partei öfter scharf gemitzbilligt habe; die Redaction des „Volk" hat diese Thatsache ausdrücklich anerkannt. Zugleich habe ich die Linie bezeichnet, auf welcher das „Volk" meines Erachtens sich halten muß. Nach den slattgehablen Aus einandersetzungen ist es selbstverständlich, daß ich Las „Volk" zu meinen Veröffentlichungen erst dann wieder benutzen werde, wenn eS die von mir bezeichnet» Linie innehält." Der Elserausschuß lehnte diese Form der Erklärung mit neu» gegen zwei Stimmen ab, nahm dagegen mit derselben Stimmenmehrheit die nachstedrnde Fassung an: ,Ln Anbetracht, daß die Haltung, welche das „Volk" gegen wärtig in wichtigen Frage» einnimmt, mit conservativen Grund sätzen unvereinbar ist und die konservative Partei, der ich angehöre, schädigt, erkläre ich, daß ich mit diesem Blatie, auf Las ick schon lange einen maßgebenden Einfluß nicht mehr besitze, nichts mehr gemein habe und jede auch nur mittelbare Ver antwortlichkeit für dessen Inhalt ablehne." Da Herr Hosprediger Stöcker sich außer Slande sah, dieser Fassung zuzustimmen, erklärte er seinen Austritt aus dem Elferaus schlisse." Weiter theilt das conservative Parteiorgan mit, daß Herl- Stöcker am 1. Februar seinen Austritt aus der con servativen Fraction des preußischen Abgeordneten hauses angemeldet hat. Die nächste Folge dieser Trennung ist die, daß die „christlich-sociale" Partei in die Reihe der Parlamentspartcien tritt. Bisher bildete sie einen Theil der conservativen Partei, der Austritt des Prof. Hüpeden aus der conservativen ReichStagssraction war der Vorbote einer Aenderung dieses Verhältnisses, aber nicht die Aenderung selbst, und der Reichstagsabgeordnete Js kraut, der sich einen Christlich-Socialen nennt, wird unseres Wissens weder von den Alten, noch von den Jungen als solcher anerkannt. Jetzt erst mit dem Ausscheiden des Herrn Stöcker aus der con servativen Fraction deS preußischen Abgeordnetenhauses, also aus der conservativen Partei, ist die christlich-sociale Partei selbstständig geworden. Parlamentarisch fällt diese Thatsache für den Augenblick wenig ins Gewickt, denn Stöcker steht im preußischen Abgeordnetenhause allein und ist nicht Mitglied deS Reichstags; ob das aber so bleibt, muß die Zukunft lehren. Es wird verbreitet, die Trennung von dem langjährigen Mitglied! sei friedlich erfolgt, nnd wir glauben daS. Zunächst wird zwischen der conservativen Partei und dieser einen Persönlichkeit wahrscheinlich kein Streit entstehen, die Conservative.» im preußischen Ab geordnetenhause werden vielmehr dem schlagfertigen Redner nach wie vor Beifall spenden und mit mehr Behagen zubören, als bisher, wo sie für ihn verantwortlich waren. Aber die Scheidung ist eine grundsätzliche, und das muß bald hervortrrten. Stöcker glaubte durch Lavrren es gleichzeitig mit dem „Volk" und den Conservativen Hallen zu können; dem hat diese Partei eine Zeit lang zu gesehen, und nun ist cS zu Enve. Jetzt gehört er zum „Volk", und dieses Blatt wird sich vielleicht für daS von seinem Begründer durch die Trennung von den Conservativen ge brachte Opfer eine Weile durch eiue maßvollere Sprache erkenntlich zeigen, aber lange kann das nicht dauern, denn bei einer Richtung, wie sie das Blatt vertritt, ist Mäßigung Selbstmord, und die letzien Wochen und Tage haben gezeigt, daß das „Volk" nickt lebenSüberbrüssig ist. Zunächst werden wir Herrn Stöcker sich mit vermehrter Vehemenz auf die „Mittelparteien" werfen sehen. Das ist ein außerordentlich bequemer Ausdruck, unter dem man Vielerlei verstehen kann, aber die Conservativen werden bald merken, daß sie vor Allem gemeint sind, und vermulblich erst nachträglich das Maß der Notbwenoigkeit, von Herrn Stöcker geschieden zu sein, seinem vollen Umfange nach erkennen. Es dürfte ihnen dann vielleicht bemerkenswerth erscheinen, daß sie sich von Herrn Stöcker aus einem Anlaß getrennt baden, derdie charakteristische Eigenschaft dieses Mannes, von dem conservativen Professor Brecher „Mangel an Wahrheitsliebe" genannt, scharf hat hervortrelen lassen. Wenn Herr Stöcker, als er vor etwa zwei Monaten über sein Verhällniß zum „Volk" eine öffentliche Erklärung abgab, sich an das Tbat- sächliche gehalten hätte, so hätte er der Aufforderung, „jede auch nur mittelbare Verantwortlichkeit für den Inhalt dieses Blattes abzulehnen", entsprechen können und müssen. Am Donnerstag hat bekanntlich der preußische Cultus- minister Or. Bosse bei der ersten Berathung des Lebrer- besoldungßgesetzeS im preußischen Abgcordneten- hause den Rednern des Centrums aus ihr Drängen nack einem allgemeinen Schulgesetze entgegengebalten, die Zevlitz'sche Vorlage habe die Ueberzeugung hervorgebracht, daß für ein allgemeines Schulgesetz die Zeit noch nicht gekommen sei. Unmittelbar nach Schluß jener Sitzung erschien in den „Verl. N. N." folgende Notiz: „Gegenüber dem in der Presse zu Tage tretenden Verlangen nach einem Volksschulgesetze erfahren wir aus berufenen Kreisen, daß der Cu ltusminister in dieser Beziehung auf den bestimmten Widerspruch an höchster Stelle gestoßen sei." Wir bemerkten hierzu, auS dieser Notiz gehe hervor, daß die von Herrn vr. Bosse ausgesprochene Ueberzeugung nicht von anno 1892 stamme, sondern sich noch im frühesten Säuglingsalter befinde. Aus dem weiteren Auftreten des Herrn Ör. Bosse während der Berathung der Vorlage mußte man dann schließen, daß er in der Thal gern bereit sein Würde, den Wünschen des Centrums entgegen zu kommen, wenn er nickt ganz neuerdings die Ueberzeugung von der Unmöglichkeit^ines solchen Entgegenkommens gewonnen hätte. Es lag daher die Vermutbung nicht eben fern, daß dieses weitere Auftreten nicht ganz im Sinne jener „höchsten Stelle" sei, auf deren bestimmten Widerspruch das Verlangen nach einem allgemeinen Schulgesetze gestoßen sein sollte. Dieser Vermutbung entstammt wahrscheinlich das folgende Telegramm in der letzten Nummer der „Münchener Neuesten Nachrichten." * Berlin, 1. Februar. (Privaltelegramm.) In einer Unter redung, welche heute Nachmittag der Kaiser mit dem Reichs kanzler hotte, soll sich der Kaiser entschieden mißbilligend über das schlaffe Verhalten des Cultusministers Bosse in der gestrige» Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses aus- gesprochen haben, in der Bosse Len Ultramontanen gegenüber eine mehr als schwächliche Haltung au den Tag legte. Auf mehr als Verrnuthung gründet sich die Meldung aber schwerlich. Entstammte sie informirten Kreisen, so bedeutete sie für Herrn Or. Bosse einen Wink, zurückzulreten, und für das Centrum eine Herausforderung. Zu einer solchen liegt aber gerade jetzt kein Anlaß vor. Hat also der Kaiser wirklich eine festere Zurückweisung der ultramontanen An sprüche gewünscht, so wird er diesem Wunsche doch sicherlich nur in einer Unterredung unter vier Augen Ausdruck gegeben haben. Wahrscheinlich wird daher die Meldung der „Münch. N. N." dementirt, was allerdings nicht ausschließt, daß Herr Di. Bosse für seine Zurückweisung der Forderungen des Centrums künftig auch eine festere Form findet. Der wieder in Wien eingetroffene italienische Bot schafter Graf Nigra hat, wie von verschiedenen Seiten glaubhaft versichert wird, eine sehr beruhigende Auf fassung der allgemeinen Lage mitgebrachl. Der König berief ibn nach Rom, um über dringende Fragen, wie die erythräische, türkische und andere, die Ansichten eines der erfahrensten Staatsmänner Italiens zu hören; von seiner Berufung ins Ministerium war nicht die Rebe, eben so wenig von einer Kronprinzelibeiratb. Die allgemeine Auffassung diplomatischer Kreise ist beruhigend, zumal da die bevorstehende Zarenkröining für Rußland jede Störung un erwünscht macht und jede Verwicklung vermeiden läßt; nur Makedonien macht wegen der Schwäche der bulgarischen Regierung einige Sorge, doch gilt auch dort eine etwaige Bewegung für localisirbar, weil Rußland wie Oesterreich enlgegenwirken würde. Es werden nun voraussichtlich auch Jene zur Ruhe kommen, die in der letzten Zeit durchaus Erörterungen über Verschiebungen in den Beziehungen der Mächte zu einander, sei es über Lockerungen oder größere Befestigungen dieser Beziehungen, Nahrung zu geben suchte». Wer die Verhältnisse ruhig und vorurteilsfrei verfolgt, wird denn auch in der letzten Zeit unbeirrt von allen abenteuer lichen Ausstreuungen, keinen andern Eindruck haben gewinnen können, als daß das Bestreben aller in freundlichen, vollends aber in Bündnißverhältniffen zu einander siebenden Mächte dahin gebt, den Status guo dieser Beziehungen zu erhalten und zu pflegen. In Lord Salisburys Rede, die er am Freitag beim Bankette der No»consvrm>sten in London gehalten hat, ist das Wesentlichste der vollständige Rückzug Englands in der Orientsrage und seine Rückkehr zu den alten Traditionen seiner Oricntpolitik, die es eine Weile vergessen zu haben schien. Es besteht heute kein Zweifel mehr darüber, daß die englische Politik sich um der Armenier willen viel zu weit vorgcwagt hatte und eine Krise im Orient beschleunigt bat, zu deren Bedeutung der Anlaß in keinem zureichenden Verhält nisse stand. Und es ist auch kein Gebeimuiß, daß England selbst durch seinen Uebereifer, die Türkei zu einer Selbst verstümmlung zu nöthigen, in eine Sackgaffe gerietb, aus welcher es erst durch die Intervention des Grafen Goluchowski und durch die Herstellung des europäischen Einvernehmens befreit wurde. England sah sich, wie Lord Salisbury ein räumte, plötzlich allen übrigen Mächten gegenüber, welche die Türkei zwar ebenfalls zu Reformen bestimmen wollten, aber keineswegs um den Preis, daß sie selbst dabei aus den Fugen gehe und die Frage der Beutetbeilung sich erhebe. In dieser beängstigenden Situation war der Vorschlag, das Einver nehmen sämmtlicher Mächte zu constituiren, gerade für Eng- land ein wahres Rettungsseil, nach dem auch sofort gegriffen wurde. Seitdem bat die Orientkrise zweifellos einen Tbeil ihrer Gefährlichkeit verloren, und da man aus Lord Salisbury's Aeußerungen mit Sicherheit darauf schließen kann, daß der englische Löwe den Sprung nach seinem osmanischen Opfer, nach dem er es einmal so gründlich verfehlt hat, in absehbarer Zeit nicht wiederholen wird, so braucht man auch von dieser Seite aus eine neue Einmischung in die Orienkrise nicht zu befürchten. — Auffällig ist an den Ausführungen des englischen Premiers die Behauptung, Transvaal babe sich an die Mächte um Unterstützung gewandt, was jetzt zuge standen sei. Was Deutschland betrifft, so ist von dem Er suchen um eine Unterstützung nicht» bekannt geworden. Man erinnert sich im Gegentheil, daß seinerzeit der Mel düng, Präsident Krüger habe die Reichsregierung um Ueber nähme deS Protektorats ersucht, mit Bestimmtheit wider sprechen worden ist; ferner, daß Präsident Krüger unmittelbar nack Lckanntwcrden des Jameson'schen Einfalles erklärt batte, die Regierung sei im Stande, die Sicherheit der dort woh nenden Deutschen zu garantiren. Richtig ist allerdings, daß die Deutschen in Johannesburg an den Kaiser um Hilfe tele graphirt baben, aber die Jobannesburger Deutschen sind doch nickt Transvaal. Jedenfalls bedarf die Behauptung Salis bury's der Bestätigung. Der Vergleich, den Lord Salisbury zwischen den loyalen Ulsterleuten und den irischen Nationalisten einerseits, den Uitlauders und den Boeren in der Südafrikanischen Republik andererseits zog, hinkt, wie sofort in die Augen fällt, ganz ge waltig. Irland ist seit mehr als 200 Jahren England unterworfen; seine Zugehörigkeit zu England wird von Niemand als von den irischen Nationalisten bestritten, und die loyalen Unterthanen der großbritannischen Krone genießen dort ganz naturgemäß dieselben Reckte wie die von den alten Kelten abstammenden Iren. Die Boeren, welche der englischen Herrschaft in der Capcolonie sich durch Aus wanderung nach Natal und, als auch dieses von England occupirt wurde, nach dem heutigen Oranjefreistaal und der Südafrikanischen Republik entzogen, gründeten dort unab hängige Staatswesen. Die ersterwähnte Republik erfuhr zwar eine und die andere Beraubung durch England, welches neu entdeckte Diamanrvislricle derselben eintach wegnahm, aber ihre Unabhängigkeit ist seit 1854 ausdrücklich von England anerkannt, und die Südafrikanische Republik ist nur ganz vorübergebend von England unlerworfen worben. Sie erhielt ihre Unabbängigkeit nicht von diesem zurück, sondern sie zwang England durch eine siegreiche Erhebung, dieselbe anzuerkennen. Die aufrührerischen UitlanderS aber sind im Wesentlichen etliche Gründer und Speculantcn, welche zum Tbeil nickt einmal in der Republik wohnen, nebst einem sluc- tuirenden Gefolge von Goldgräbern. Aber so verkehrt auch der Vergleich Transvaals mit Irland ist, er ist doch von dem leitenden englischen Staatsmann gezogen worden, und man weiß nun, daß das gesammte englische Cabinet in der An legung des bekannten Paragraph 2 de» Transvaalvertrags von 1884 einig ist. Die Schlange der Verleumdung hat nun auch den fran zösische» Ministerpräsidenten Bourgeois und seine Eollegen von der Marine und vom Ackerbau in die Ferse ge stochen. DerConseilpräsident rühmte dieser Tage in derKammer, daß er es sich zur Ebre anrechue, von den biSber so aus giebig benützie» geheimen Fonds, mit deren Hilfe frühere Regierungen die Presse zu gewinnen und die öffentliche Meinung zu beeinflussen gesucht hätten, zu so bedenklichen Zwecken keinen Gebrauch zu macken. „Was sollte es auch nützen?" — ries er unter dem lebhaften Beisall seiner Anhänger aus. — „Diejenigen Blätter, die sich nach Subventionen drängen, haben keine Abonnenten und vermögen uns daher keine Dienste zu leisten, die viel gelesenen und gekauften aber, deren Dienste uns werthvoll sein könnten, lassen sich nicht bestechen." Das ist ohne Zweifel sehr weise und sehr wahr gesprochen; es fragt sich nur, ob Herr Bourgeois in der That Las Recht hatte, sick in die UnsckuldStoza zu hüllen und sich besser zu dünken als seine Vorgänger im Amte. In dem ersten der dreißig und einigen Prcceffe, welche wegen der Veröffentlichung der viel- erwälmten gefälschten Hundertvierer-Lisle gegen die „France", eines der anrüchigsten und am meisten heruntergekommenen A Verlassen un- verkannt. Erzählung von Wladimir Korolenko. Urbers. v. Ad. Garbe!l. Nachdruck verbot«». D. T. G. „Nun sieh doch nur, was Du für ein Kerl bist", sprach Düima zu ihm. „Jetzt benimmst Du Dich ganz wie ein guter Mensch, bedenke also, waS Du mit uns gemacht hast. Die leibliche Schwester mußten wir allein abfahren lassen, gehe zum Teufel!" Selbstverständlich begriff der Matrose keine einzige Silbe. Mittlerweile war das Schiff schon weit hinauSgefabren. Au- seinen Schornsteinen rauchte es, aber immer weniger und entfernter wurde der Rauch. DaS Fahrzeug verschwand immer mehr und mehr im Nebel. Den Losischzanern schnürte es beinahe die Kehle zu. „Du bist eine Hundtseele, ja eine Huudeseele", wandte Matwei sich wieder an den langen Matrosen. „Aber wozu sprichst Du denn mit ihm, da er Dich doch nicht versteht?" unterbrach ihn Düima ärgerlich.- „Wenn Du lieber zur reckten Zeit, wie ich eS Dir sagte, Deine Fäuste gerührt hättest, so waren wir jetzt auf dem Dampf schiff, und man hätte unS von da sicher nicht fortgejagt." „Wer weiß daS?" erwiderte Matwei. „Wenn ich Dir die Wahrheit sagen soll, so muß ich gestehen, daß seine Fäuste zu gebrauchen nicht schwer ist, aber ich babe noch nie gesehen, daß r« gute Folgen gehabt hätte. Glaube mir, daß auch daS nicht daS Richtige geweseu wäre und daß wir gewiß etwa» verabsäumt haben. Du hättest e» rrrathen müssen, denn Du giltst ja für klug." Die Freunde machten e», wie es oft geschieht: sie ver suchten einander die Schuld in die Schuhe zu schieben. Düima behauptete, daß man mit der Faust hätte emareifen müssen, und Matwei beschuldigte den Freund, daß er seinen Verstand nicht beisammen gehabt. Ter Matrose stand dabei und nickte Beiden freundlich zu. III. Bald aber zog der Deutsche die Münze, die ihm Düima m die Haud gedrückt, hervor und hielt st» den Losischzanern hin. Der Mann schien Gewissen zu besitzen und das Geld nicht obne Gegendienst behalten zu wollen. Er schnippte mit deu Fingern gegen die Kehle und rief: „Scknaps, Schnaps", mit der Hand auf eine vabeliegende Kneipe zeigend. DaS Wort Schnaps muß wohl von Jedermann verstanden werden, denn aucb bei unseren Losischzanern war das der Fall. Düima sah Matwei und Matwei den Düima an und sagte: „Was sollen wir nun jetzt machen? Selbstverständlich müssen wir gehen, zu Fuß kann man durchs Wasser nicht laufen, nnd auf diese Weise erfahren wir vielleicht etwas. ..." Sie folgten dem Matrosen. In der Kneipe stand ein alter Mann mit borstigen Haaren, mit denen daS Gesicht ebenfalls bedeckt war. Man sab sofort, daß, wie er sich auch rasiren mochte, sein Bart immer wieder zum Vorschein kam, wie Grummet nach einem guten Regen. Als unsere Freunde solch' behaarten Menschen zwischen den glatten und acuraten Deutschen sahen, war es ihnen, als ob sie einen Bekannten vor sich hätten. „Der muß aus Mobilem oder auS Puschza sein", sagte Düima leise zu seinem Freund. Und er hatte beinahe recht. Nachdem der Wirth mit dem Matrosen gesprochen und somit Alle» erfahren, brachte er vier Seidel Bier (daS vierte für sich) und begann mit ihnen russisch zu sprechen. Er schimpfte dir Losischzaner Narren und erklärte ihnen, daß sie selbst schuld seien. Sie hätten um die Ecke gehen muffen, wo über einer Thür da- Wort „Billetcasse" stand. „Aber Ihr stürzt wie eine Heerde in ein Pfahlwerk, ohne da» Oeffnen der Pforte zu verstehen." Matwei ließ da» Haupt sinken und dachte bei sich: „Cr sagt die Wahrheit. Wenn man sich nicht verständigen kann, ist man wie ein Blinder oder ein kleines Kind." Düima aber, der vielleicht dasselbe dachte, war ein Mann von Ehrgeiz, klopfte mit dem Seidel auf den Tisch und sagte: „Willst Du noch lange schimpfen, Alter? Bringe uns lieber noch ein Seidel und sage unS, wa» wir jetzt machen sollen." Diesem Vorschlag wurde allgemein zugestimmt, und Düima bewies wiederum, daß er erfinderisch und ehrgeizig sei. Der Matrose schlug ihm auf die Schulter, und der Wirth brachte auf einem Tadlet vier frisch gefüllte Seidel. „Nun, wie sollen wir sie denn einbolen?" fragte Düima. „kaufe ihnen nach, vielleicht holst Du sie ein", antwortete der Wirth. „Du glaubst wohl, daß man auf dem Meere wie mit einem Wagen auf dem Felde umherfahren kann. Jetzt müßt Ihr noch ein« Woche warten, die wieder rin anderes Auswandererschiff abgebt. Oder wenn Ihr wollt, könnt Ihr etwas mehr bezahlen und morgen mit einem großen Dampfschiff fahren, aus welchem viele Leute aus Schweden und Dänemark nach Amerika reisen, um sich dort als Dienst boten zu vermietben. Hört man doch so oft davon, daß die Amerikaner ein freie« und stolzes Volk sind, das sich für der artige Stellungen nicht hergiebt. Junge Schwedinnen und Däninnen, sagt man, erwerben sich in ein zwei Jahren eine gute Aussteuer." „DaS wird vielleicht zu theuer sein", meinte Düima. Matwei jedoch rief unwillig: „So fürchte Dich doch vor Gott; man kann doch ein Frauenzimmer nicht eine ganze Woche warten kaffen. Sic wird ja vor Thränen vergeben." Wenn man die Wahrbeit sagen soll, so schien eS damals dem Losinski, daß die Schwester wie bei der Ueberfabrtsstelle, so auch in Amerika auf dem Landungsplätze mit dem Bündel in der Hand am Ufer sitzen, hinansseben und weinen würde. Sie übernachteten bei ihrem Landsmann, der ihnen am andern Morgen einen Schweden zum Begleiter gab. Dieser führte sie an den Landungsplatz, kaufte ihnen Billete, brachte sie aus daS Dampfschiff, und am Mittag sehen wir unsere Losinski'S auf dem Wege, die Anna einzuholen. IV. Ein Tag nach dem andern verging. Die Sonne sank am Abend auf der einen Seite ins Meer und erhob sich auf der andern am Morgen. Die Wellen schäumten, am Himmel ogen neblige Wolken dabin, dem Schiffe folgten die Möven, etzten sich auf dessen Masten, lösten sich dann von denselben plötzlich, als ob sie der Wind davon wehe und sich von einer Seite zur andern, wie weiße Papierfetzen bewegend, ver schwanden sie in der Ferne, zu dem europäischen Frstlande zurückkehrend, daS unsere Losischzaner für immer verlassen batten. Matwai begleitete sie mit seinen Blicken und seufzte. Bor seinem geistigen Auge erschien ihm ein Fichtenwald und an dessen Rande ein Flüßchen mit blassen Weiden nnd ärm lichen Strohhütten. ES überkam ibn ein Gefühl, als müsse er zu seinen früheren armseligen Verhältnissen, die »hm verwandt und bekannt waren, zurückkebren. Und da- Meer schlug dumpf an den Bord des Schiffes, die Wellen thürmten sich zu Bergen auf und stürzten dann wieder mit Getöse, zischend und wie mit dumpfen Seufzern, als ob sie zu gleicher Zeit klagen und droben wollten, hinab. Das Schiff neigte sich immer mehr und mrhr und schien sich schon ganz auf die Seite legeu zu wollen, als es sich wieder unter Lechzen und Geknarre erhob. Die Mastbaume bogen sich, trocken blies der Wind in der Takelage, aber daS Schiff steuerte immer weiter. Ueber ihm glänzte bald die Sonne, bald herrschte dunkle Nacht, bald auch hingen die Wolken gedankenvoll über demselben, bald raste und brüllte ein Gewitlersturm daher, und die Blitze fielen in die entfesselten Wogen. Aber das Schiff steuerte Weiler und weiter. . . Matwei Düischlo sprach ja immer wenig, aber um so lebendiger dachte er bei sich, was er in keinem Falle mir Worten bäite wiedergeben können. Und niemals noch wirbelten in seinem Kopfe so viel« Gedanken, wirr uud unklar wie die Wolken und die Wellen und so unklar und tief wie da» Meer. Die Gedanken entstanden uud verschwanden in seinem Gebirn, obne daß er sie festbalten oder sich ihrer erinnern konnte, aber er fühlte klar, daß diese Gedanken ihn in der Tieft seiner Seele erregten und bewegten, wenn er auch nicht sagen konnte, was da« sei . . . Gegen Abend hüllte sich der Ocean iu Dunkel, der Himmel erlosch gleichsam, und die Spitzen der Wellen er glänzten iu einem sonderbareu Lichte . . . Matwei bemerkte zuerst, daß eine Welle, die von dem scharfen Schiffsschnabel zurückwich, sich weiß von der Dunkel heit, die den Himmel und daS Meer umspannte, abhob. Er beugte sich ein wenig nach unten, schaute in die Tiefe, um in diesem Anschauen zu ersterben . . . Rings um das Schiff leuchtete daS Wasser uud blasse Feuer duschten bin und her. bald erglühend, bald verlöschend, bald aus der Oberfläche erscheinend, bald m der gebeimniß- vollcn, schrecklichen Tiefe verschwindend . . . Und eS schien Matwei, als ob er jetzt Alle» begreife, sowohl den Gang deS Schiffes, als das klägliche Getöse und Rollen der Wellen, als auch die Bewegung deS Oceans und da» geheimnißvolle Schweigen des Himmels ! . . Er schaute hinab in die Tiefe, und cS schien ibm, daß ihm au» derselben Jemand entgegen blicke. Jemand Unbekannte-, jemand Erstauntes, jemand Erschrockene» und Unzufriedene» . . . Von Jahrhundert zu Jahrhundert vollendet da- Meer seinen Lauf, von Jahrhundert zu Jahrhundert thürmen sich die Wasserwogen auf und stürzen nieder, fingt da» Meer sein eigenes Lied, welche» daS menschliche Ohr nicht begreift. Von Jahrhundert zu Jahrhundert geht in seiner Tiefe ein Leben vor sich, da» wir nicht kennen . . . Und jetzt bat sich in diese ewige Harmonie und diese ewig lebendige Bewegung der aufdringliche und regelmäßig« Gang
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