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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.02.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-02-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960207027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896020702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896020702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-02
- Tag1896-02-07
- Monat1896-02
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Größere Schriften laut unserem Peel», verzeichniß. Tabellarischer und Ziffern»«^ nach höherem Tarif. bztra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung >4 60—, mit Postbefvrderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend »Ausgabe: Vormittags 10 Uhr Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Für die Montag-Morgen-Ausgabe: Sonnabend Mittag. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige« sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Freitag den 7. Februar 1896. W. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leb zig, 7. Februar. Zur Beurtheilung der Bedeutung der gestern nach vier tägiger Dauer zu Ende gegangenen erstmaligen Beratbung des Bürgerlichen Äefetzbnchcs reichen die Sitzungs berichte der Zeitungen nickt als Grundlage aus. Auch die stenographischen Aufzeichnungen, die übrigens erst zum kleineren Theile vorliegen, weroen den Leser kaum in den Stand setzen, die günstigen und ungünstigen Momente gegeneinander abzu wägen. Man muß auch, um Roon's Ausdruck zu gebrauchen, die „Temperatur" des Reichsragssaaleü und noch mehr die der Wandelgänge in Betracht ziehen, um sich ein Urtheil zu bilden. Dieses dürfte dann, wie uns mündlich und schriftlich versichert wird, aus „nicht unbefriedigend" abgegeben werden. Was die Aeußerlichkeiten angeht, so reiht sich die schlechte Besetzung des Hauses bei der Berathnng eines Gegenstandes von der größten vater ländischen Bedeutung den großen Rulnnesthaten dieses Reichstags würdig an. Aber von den Rednern batte doch die große Mehrzahl sich von der Größe des Gegenstandes bewegt gezeigt, und diese Stimmung ist denn doch auch auf die Zuhörer übergegangen. Und was die Hauptsache ist: die Befürchtung, die Antisemiten möchten sich auf ablehnenden „germanistischen" Standpunkt stellen, ist nicht eingetroffen, und die Zeitungsmeldnng, daß der Eentrumsredner Rintelen die Stimmung des Centrums nicht getreu wiedergegeben habe, ist richtig. Danach ist eS nicht mehr geradezu ungeheuerlich, die zwiefache Möglichkeit einer Mehrheitsbildung ins Auge zu fassen, eine solche mit dem Centrum und eine ohne dasselbe. Die letztere Combination bleibt aber immerhin eine etwas abenteuerliche. Dagegen ist es unumstößliche Thatsache, daß einflußreiche Centrumsmitglieder die Annahme des Gesetz buchs um seiner selbst willen wollen und die Zustimmung zum Ganzen auch nach Ablehnung der Forderungen wegen des Ehe- rechts für zulässig erachten. Diese Forderungen haben keine praktische Bedeutung. Scheitert das Gesetzbuch, so bleibt der rechtliche Zustand bestehen» den daö Centrum im neuen Rechte festzulegen sich weigert und ausdrücklich, d. h. bei der Ab stimmung über diese Materie, seinerseits auch gar nicht fest legen soll. Die Partei bringt demnach kein thatsächliches Opfer, und das Nachgeben in einer Formsache ist der zweite Punct, der die Erwartung einer positiven Entschließung der Klerikalen nicht ungerechtfertigt erscheinen läßt. Das Zustande bringen einer großen Arbeit in dem Reichstage, der seit dem 23. März unter dem Zeichen des Centrums steht, hat für dieses einen nicht geringen Reiz, der am letzten Ende natürlich auch neue machtpolitische Erwägungen erregt. Und solche Erwägungen könnten u. a. auch zu der Berechnung führen, daß es zweckmäßig sei, den großen Trumpf so lange in der Hand zu behalten, als der Vorrang der Partei im Reichstage gesichert ist, also bis zum Ende der Legis laturperiode. Gerade diese letztere Möglichkeit aber läßt die von uns schon betonte Aufgabe der Regierung, daS Centruin zum Bewußtsein seiner Pflicht zu bruigen, um so dringlicher erscheinen. Denn, von unvorhergesehenen Hinder nissen abgesehen, das Centrum kann auch im Jahre 1898 das Spiel abbrechen, ohne den Trumpf ausgespielt zu haben. Wie im Königreiche Sachsen, so richten sich auch weit über dessen Grenzen hinaus die Blicke weiter politischer Kreise auf die sächsische Wahlreformvorlage. Daß sie ge- theilte Aufnahme auch in solchen Kreisen findet, die den Par teien in unserer Zweiten Kammer, welche die Vorlage provo- cirt haben, politisch nabe stehen, ist schon deshalb begreiflich, weil man sich anderwärts nicht leicht in unsere speziellen Verhältnisse hineinversetzen kann. Besonders begreiflich ist eS, daß besonders in Preußen, wo man mit Recht mit dem jetzigen Landtagswablgesetze unzufrieden ist, auch national- liberale Stimmen die Frage, ob die Einführung eines in- directen Dreiclassenwahlsystemö bei uns nothwendig und zweck mäßig sei, nicht unbedingt bejaht oder wohl gar verneint wird. Eben deshalb aber wirb man bei uns auf die Einwendungen von dieser Seite nicht allzuviel Gewicht legen dürfen. Wir haben unsere, nicht fremde Verhältnisse, unsere eigenen, nicht andere Bedürfnisse ins Auge zu fassen und zu prüfen. Aus den uns vorliegenden Auslassungen über Vas Thema greifen wir als besonders beachtenswerth die der „Nat.-Lib. Corr." heraus, die heute schreibt: „Die bürgerlichen Parteien in der sächsischen Abgeordneten kammer hatten bekanntlich einen wiederholt eingebrachten social- demokratischen Antrag auf Erweiterung desLandtaqswahlrechts mit der Aufforderung an die Regierung beantwortet, ein Wahlgesetz auf Grund des Clasjenjyslems vorzulegen. Diesem Wunsche hat die Regierung soeben mit einer Vorlage entsprochen. Ueber dieses neue Wahlrecht werden die Ansichten sehr getheilt sein und bleiben, in den staatserhaltenden Kreisen Sachsens selbst sind lebhafte Be denken gegen seine Grundlage laut geworden. Zunächst aber wird das politische Interesse weniger durch die Bestimmungen des Gesetzentwurfs in Anspruch genommen, als durch die Thatsache seines Entstehens und durch die Umstünde, die zur Inangriff nahme einer Wahlrechtsreform geführt haben. In dieser Hinsicht ist vor Allem anzuerkenne», daß es eine richtige Methode gewesen ist, der Socialdemokratie zu vergegenwärtigen, daß die unablässig auf das geltende einzelstaatliche Wahlrecht und auch auf das Reichstagswahlrecht geschleuderten Pfeile nicht der Fähigkeit ermangeln, auf den Schützen zurückzuprallen. Es hat sich in Wahl- rechtsresormsragen beim Radicatismus in beiderlei Gestalten eine unsinnige Logik und eine perverse Moral eingenistet. Wer in Erwägung zieht, ob etwa die Altersgrenze für den Beginn der Wahlberechtigung oder die Dauer des für die Wahlfähigkeit geforderten Aufenthalts im Wahlbezirke nicht zu niedrig angesetzt sei, der wird als Umstürzler und als Volksfeind zugleich von denen hingestellt, die das Wahlrecht für Frauen und halbwüchsige Burschen fordern; jede Maßregel, die den Mißbrauch des Wahlrechts zu fördern scheint, gilt als Reform, jedes Verlangen nach Cautelen gegen diesen Miß- brauch als revolutionaires Beginnen. So liegen die Dinge aber nicht nur staatsrechtlich, sondern auch materiell nicht. Keine deutsche Verfassung wägt das Recht zu einer demokratischen Aenderung des Wahlrechts reich li-eh er zu, als das zur Umgestaltung in einem anderen Sinne. Und wenn eine Reform des Wahlrechts nachdem Grundsätze mechanischer Gleichheit Fortschritt und eine solche, die davon ausgeht, daß Staat und Gesellschaft gegliederte Organismen seien, Rück schritt genannt wird, so ist das nichts weiter als eine Specutation auf den Wohlklang des einen und den Mißklang des anderen Worts. Was Fortschritt und was Rückschritt sei, bildet eben den Gegen stand des Kampfes der Parteien, und die socia ldemokratische ist die letzte, der man außerhalb ihres Kreises die Autorität zu der Be antwortung der Frage zuerkenncn wird. Denn sie mit ihrem auf die Ver- nichtung eines jeden individuellen Selbstbestimmungsccchts abzielenden Programm ist jedenfalls eine reactionaire Partei. Die Lection, die der Socialdeinokratie mit der Resolution der sächsischen Kammer mehrheit ertheilt wurde, war jedenfalls am Platze und scheint jetzt um so mehr angebracht, als inzwischen dem sächsischen Parteiführer Schönlank im Reichstage das Geständniß entschlüpft ist, mit dem — bisher stets als eine maxuu oliarta der Capitalistenherrschast ver dammten — bestehenden sächsischen Landtagswahlrecht lasse sich wohl auskommen. In der Sache selbst kann man der Empfindung das Verständniß nicht versagen, daß in Len Einzel- lajnd tagen, die in das, man darf sagen Alltagsleben des Staates noch weit tiefer eingreifen, als Las Parlament eines mit Verwaltungsbefngnissen äußerst dürftig ausgestatteten Bundes staates, wie das Reich, die Mitgliedschaft von den Staat selbst negirenden Elementen noch schwerer u ertragen sei, als im Reichstag. Ob jedoch das Uebel er socialrevolutionairen Propaganda mit einem Wahlgesetz über haupt an der Wurzel gefaßt werden kann, und ob im Besonderen daS vorgelegte, auf dem Dreiclassenjystem beruhende Gesetz diesem Zwecke zu dienen vermag, sind Fragen, welche die sächsischen Ord» nunasparteien nunmehr reiflich zu erwägen haben werden." Daß das Uebel der socialrevolutionären Propaganda mit einem Wahlgesetze überhaupt an der Wurzel anaefatzl werden könne und daß im Besonderen der vorliegende Gesetzentwurf, wenn er zur Annahme gelangt, diesem Zwecke zu dienen ver möge, glaubt in Sachsen wohl kein Mensch. Solche Illusionen liegen unseren politischen Freunden wenigstens fern. Für sie handelt es sich bei derWahlreform nicht um die Frage, ob dadurch das Uebel der socialrevolutionären Propaganda an ver Wurzel angefaßt werde, sondern um die Frage, ob man unthälig zusehen soll, daß in unserem industriereichen Staate durch vie wachsende Zahl socialdemokratischer Kammerredner daS Verhältniß zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zum Nachtheile unserer Industrie noch mehr verschlechtert wird und daß infolge dessen die socialremokratischen Abgeordneten einen immer größeren Einfluß auf die Lösung jener Fragen erhalten, von denen die Gestaltung unseres Verkehrswesens, unserer Einrichtungen für Kunst und Wissenschaft u. s. w. abhängt. Gerade in Sachsen ist diese Frage eine brennende. Besondere politische Ereignisse, die der socialdemokratischen Agitation Wasser auf die Mühle führen könnten, würden gar leicht ein noch bedrohlicheres Anwachsen der Zahl der social- demokratischen Kammermitglieder herbeiführen und ihnen eine Macht und einen Einfluß geben, die kaum jemals wieder zu brechen wären, weil erfahrungsgemäß jeder svcialdemokratische Wahlsieg die Zahl der Mitläufer der Umsturzpartei vermehrt. Es ist ein Act der Vorsicht, den die Parteien, die auf eine Reform des Wahlgesetzes gedrungen haben, nicht länger hinaus- schieben zu dürfen glaubten. Wollte man in optimistischer Hoffnung aus einen Umschlag in der Gesinnung eines leider schon allzu großen Theiles der Arbeiterwelt warten, so würbe es vielleicht zu spät sein, einen Damm aufrurichten, der unsere staatlichen Einrichtungen vor einer Ueberflmhung durch jene Apostel des „Zukunfls- staates" sichert, die an Allem rütteln, was unfern Staat blühend und zu einer Pflegstälte von Kunst und Wissenschaft gemacht hat. Diese Frage, ob die Errichtung eines solchen Dammes jetzt erfolgen muß, oder auf die lange Bank ge schoben werden darf, ist es vor Allein, die sorgsam erwogen werden muß und jedenfalls auch mit all der Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit, auf die sie Anspruch hat, erwogen werden wird. Mit dem österreichisch - ungarischen Ansgleich will eS diesmal nicht recht vorwärts gehen. Zn Bezug auf die Be dingungen einer Verlängerung des Privilegiums der öster reichisch-ungarischen Bank und auf die Verpflichtungen, die sie bei Aufnahme der Baarzahlungcn zu leisten hat, soll vollkommenes Einverständniß erzielt und insbesondere auch die ungarischer- seits geforderte Parität zugestanden worden sein. Zn der Frage der Verzehrsteuern weiß man nur von einer beträchtlichen An näherung ver beiderseitigen Standpuncte zu berichten. Der hauptsächlichste Stein des Anstoßes bleibt aber die Quote u den gemeinsamen Ausgaben, deren Aenderung österreichischer» eitS im Hinblick auf den unleugbaren wirthschaftlichen Auf schwung Ungarns gefordert, ungarischerseitS aber schroff znrück- aewiesen wirk. DaS Wort Andrassy'S, daß Ungarn seiner Zeit glücklich sein werde, wenn es ein: größere Quote über- nebmcn könne, wird dakin ausgelegt, daß vorher die Leistungs fähigkeit beider Theile sich entsprechend geändert haben müßte. Das sei aber nicht der Fall, denn noch immer sei die industrielle Ueberlegenbeit Oesterreichs eine ganz unverhältniß mäßige. Das Steigen der Steuern könne aber nicht als Maßstab der wirtbschastlichen Leistungsfähigkeit angenommen werden, denn der Umstand, daß ein höherer Betrag auf den Kopf in Ungarn entfalle alö in Oesterreich, beweise nur die Nothwendigkeit größerer Opfer jür die Ausgestaltung der Staatlichkeit und dürfe nicht zum Ausgangspunkte einer noch ungleicheren Vertbeilung der öffentlichen Lasten werden. Auf beiden Seiten der Leitha wächst in zwischen der Glaube, daß man vom anderen Staate materiell benachrheiligt sei. Die österreichischen Landtage fordern der Reibe nach die Kündigung des Zoll- und Handelsbündniffcs, um bei dem Abschluß eines neuen die bintangesetzten Zntcr- efsen ihrer Erzeugnisse besser als früher gewahrt zu sehen. Die Mehrzahl der ungarischen Handels- und Gewerbe» kammern hat sich für das gesonderte Zollgebiet ausgesprochen, und selbst diejenigen, die sieb für Aufrechthaltung des gemein samen Zollgebietes aussprechen, stellen dabei Bedingungen oder geben von Voraussetzungen aus, die den österreichischen Wünschen gänzlich entgegengesetzt sind. Tie oppositionelle unga rische Presse zeigt eine ziemlich scharfe Sprache gegen Alles, was österreichisch ist und führt besonders dem Grafen GoluchowSki bei Gelegenheit seiner Anwesenheit in Pest zu Gemütk, daß der gemeinsame Minister des Aeußern mit dem Ausgleiche gar nichts zu schaffen, sich in die Verhandlungen über denselben nicht im Geringsten einzumengen habe und daß ihm ja nicht einfallen dürfe, die Rolle eines Reichskanzlers spielen zu wollen. An dieser Sprache sind aber nicht in letzter Linie die maßlos heftigen Angriffe der Wiener Antisemiten gegen alles Magyarische Schuld. Jedenfalls wird eS der ganzen Klugheit und Gewandtheit des CabinetS Banffy bedürfen, um die Bäume des magyarischen Selbstgefühls nicht allzuhoch in den Himmel wachsen zu lassen. Ueber den Räubereinfall Zameson's in Transvaal sprechen sich zwei, Johannesburg, 12. Januar datirte Privat briese aus. die, an eine Leipziger Adresse gerichtet, uns gütigst ur Verfügung gestellt wurden. Wir entnehmen denselben olgende interessante, die Lage unmittelbar nach dem ver unglückten Coup der Cbartered-Compagnie schildernde Stellen: In diesen Tagen haben wir hier in Johannesburg einen Auf- stand der Bevölkerung erlebt, welcher von den hiesigen englischen reichen Leuten angezettelt worden ist. Es herrscht natürlich eine große Aufregung hier. Die Geschäfte waren alle geschlossen »nd die Fenster mir Bretern vernagelt; die Hauptverkehrsstraßen waren mit Menschen überfüllt; überall sah man bewaffnete Engländer zu Werde, welche verschiedene Corps gebildet hatten zur Vertheidigung der Siadt. Diese Revolution scheint schon lange von englischer Seite vorbereitet gewesen zu sein, denn aus einmal konnten einige Tausend Engländer bier bewaffnet werden mit Flinten, und sogar Maximgeschütze waren vorhanden, was Alles eingeschmuggelt worden ist. Auch halten die Ausrührer veranlaßt, daß englische Truppen in das Transvaal ein- örachrn, um Johannesburg zu helfen; jedoch hatten sie sich hierin verrechnet, denn die Boers waren doch schlauer und tapferer, als die Eng länder glaubten. Kurz vor Johannesburg nahmen sie alle Truppen gefangen, nachdem sie viele getödtet Hallen; denn wenn die Boers schießen, dann treffen sie gewöhnlich auch das, was sie treffen wollen. Dadurch ist nun Len hiesigen Engländer» der Muth sehr gesunken und jetzt liefern sie ihre Waffen aus, da sie jedenfalls keine Lust haben, sich Alle von den sicher treffenden Boers todtichieben zu lassen, was jedenfalls paisiren würde, wenn sie sich nicht ergeben. UnS Deutsche bier hat cs sehr gesreut, daß die zu über, müthigen Engländer tüchtig gedemiithigt worden sind, denn alle Deutschen sind für die Boers. Die Letzteren flehen zusammen wie ein Mann zur Vertheidigung ihres Landes und die Boers hatten noch große Lust, die Engländer richtig zu verhauen. Deutschland hat sich ja glücklicherweise auf die Seite FririHetsir» H Verlassen und verkannt. Erzählung von Wladimir Korolenko. Uebers. v. Ad. Garbell. Nachdruck verboten. D. S. G. Düima kroch langsam unter die Decke, indem er sich bemühte, den äußersten Rand des Bettes einzunehmen. Als jedoch das Licht im Zimmer verlosch, seufzte er erst auf, machte es sich auf seinem Platze bequem und sagte endlich: „Nun, Du mußt aber doch zugestehen, Matwei: immerhin ähnelt der Mensch so mehr einem Amerikaner. Und als ich in einer Bude meinen Kittel und Beinkleid gegen diese umtauschte, wobei ich nur wenig zuruzahlen hatte, kam ein unbekannter Herr zu mir auf der Straße und sagte etwas auf Englisch." „Ach Düima, Düima", sagte daraus Matwei so bitter, daß der Erstere von seinem Platze aufsprang. „Auf diese Weise wirst Du auch bald unfern Glauben vergessen" . . . „Andere Leute", brummte Düima, sich abwendend, „sind so starrsinnig wie ein Losisckzaner Stier, sie sind der Ansicht, daß eS besser ist, auf der Straße mit Speiseresten beworfen zu werken, als sich ein Büschel Haare vom Kinn abnehmen zu lassen." „Er schimpft schon ans Losischza", sagte Matwei für sich. Beide schwiegen. Matwei konnte sehr lange nicht wieder einschlafen und mußte immer Nachdenken, wobei er daS Schnarchen der Amerikaner hörte und bemerkte, wie die Stadt, die vor Kurzem erst stille geworden, wieder erwachte, wie jegliche Maschinen eine immer schnellere Bewegung annahmen und wie die Züge immer öfter dahinbrausten, gleich den, Sturm in einem Nadelwald an einem regnerischen Morgen. Es war schon ganz bell, alö Matwei nach seinem Freunde blickte. Dessen Gesicht war ganz rotb, denn der steife Kragen, den er nicht abgenommen hatte, stemmte sich kräftig gegen das selbe. Matwei aber schien eS, alö ob er in Düima's Gesicht Leichtsinn und Eitelkeit lese . . . XII. Seit jener Nacht bemerkte Matwei, daß Düima'S Cha rakter mit jedem Tage verdorbener wurde. Vor allen Dingen befreundete er sich mit Bork'S Schlaf burschen und verbrachte sehr viel Zeit mit ihnen im Hause selbst und außer demselben, in einem Locale, wobin sie alle mit einem Male verschwanden, Düima mit sich führend. Sonderbar! Matwei sagte mir später, daß sie in Amerika niemals mehr eine solche Gesellschaft angetroffen. Vielleicht kam es daher, weil dort wirklich eigentbümliche Leute sich zu sammenfanden, vielleicht auch hatte sie Losinski mit anderen Angen betrachtet. Unter ihnen waren Deutsche und Jtali-ner, am meisten aber Irländer. Es war ein lustiges, stolzes Völk chen, das viel in der Welt umhergekommen und leicht ausbranste. Sie gingen und kamen meist zu Haufen. Größtentbeils rauchten und spielten sie Karten, kauten Tabak, wobei sie fürchter lich spuckten, bis über den Kopf ihrer Nachbarn hinweg. Unter Anderm ist bei diesen Leuten das Bälden sehr be liebt. Sobald zwei in einen ordentlichen Streit geratben, stellen sich die Andern, einer mit einer Pfeife, ein Anderer mit einer Cigarre, ein Dritter mit Kautabak im Munde, im Kreise ans und sehen zu. Tie Streitenden aber ziehen die Jacken aus, krämpeln ihre Aermel auf, stellen einen Fuß nach vorn, den andern nach hinten, schwingen die Hände im Kreise und batz! wer geschickter ist, versetzt dem Andern einen Strcick. Dann belieben sie besonders, einen ins Gesicht zu schlagen oder auf die Nase und wenn das nicht gelingt, ums Ohr. Am meisten jedoch setzte es Matwei in Erstaunen, daß sich die Leute schlugen, ohne wüthend zu sein. Und sobald einer hinfällt und die Füße von sich streckt, heben ihn die Andern auf, waschen ibm das Gesicht und setzen sich wieder zu ihm, um mit ibm Karten zu spielen und zu trinken, als ob nichts geschehen wäre und sprechen darüber, wie einer den andern geschlagen und wie er eS hätte besser machen können. Später erfuhr Matwei, was für «in großer Sport damit getrieben werde. Sie nahmen Düima sofort in ihre Gesellschaft auf, be- wirtheten ihn und ließen sich von ihm bewirthen. Matwei beobachtete Alles nur von Weitem. Düima machte unterdessen gute Sprachfortschritte, aber Matwei betrübte sich sogar auch darüber, denn eS ärgert« ihn, daß Düima nickt einfach spreche, sondern sich auf sonder bare Weise den Mund zerbreche, die untere Lippe vorschiebe, kaue, zische und schnarre, so daß sein Gesicht einen geradezu widerwärtigen Ausdruck annahm. Wenn er Matwei so an redete, sab dieser ihn so lange an, bis Düima erröthete und sich abwandte. Dock sein Gewissen regte sich immer nur für kurze Zeit, und je weiter e< kam, desto schlimmer wurde eS mit ibm. Düima hatte allmählich die sorglosen, sicheren Manieren der Irländer angenommen, ging immer mit ihnen aus und kehrte erst spät in's Absteigequartier zurück, während Matwei daheim saß und auf einen Brief auS Minnesota wartete. Und wenn Düima dann zurückkam, so gelang es Matwei kaum, einige Worte mit ihm zu reden. Aber es kam noch schlimmer. Düima lernte sogar das Balgen, „Boxen", wie sie es nannten. Anfangs sab Matwei mit einer gewissen Schadenfreude, wie Düima sofort auf den Boden kollerte, aber dann wurde ihm das Schauspiel so widerwärtig, daß er eine alte, von seinem Vater herstainmende Bibel aus einem Winkel hervor- bolte und, der Gesellschaft den Rücken zukehrend, in derselben bei der Gasflamme zu lesen begann, wobei er leise die Lippen bewegte. Nach wenigen Augenblicken jedoch sah er Düima an sich herantreten. „Höre, Matwei", sagte dieser mit verwirrter Stimme, „Sieh mal... Du ziehst Dich ganz ohne Ursache zurück, denn es sind wirklich gute Leute." Matwei legte den Finger auf die Stelle, welche er eben las, und blickte zu dem Freunde aus. Düima schlug die Augen nieder und sagte dann leise: „Bitte, Matwei nimm das nicht schlecht auf, sie wollen sich auch mit Dir balgen. Matwei öffnete vor Erstaunen den Mund, Düima fuhr fort: „Es ist bei ihnen so Sitte." „Höre, Düima", erwiderte Matwei sehr ernst, „sie haben bier sehr viele Sitten, die ein Christ nicht annebmen darf. Das sage ich Dir zu Deinem Besten, ich, Matwei LosinSki. Und Deinen Freunden sage, daß sie zu Gott beten, daß ich mich mit ibnen nicht balge." „Und siehst Du", rief Düima erfreut, „ich habe ihnen ge sagt, daß Du der stärkste Mann im ganzen Umkreis warst, aber sie wollen es nicht glauben. Beweise eS ihnen, Matwei, thue mir den Gefallen." „Höre ich das wirklich von Dir, Düima? . . ." Düima ging wieder zu den Irländern zurück und Matwei laS in der Bibel, in der sein Vater schon gelesen hatte, weiter. Er laS dort, wie zwei junge Leute zu Lot nach Sodom kamen und wie di« Einwohner der Stakt sie zu sich nehmen wollten. Dann erhob Matwei den Kopf und verfiel in Nach denken. Und er dachte daran, daß er und Düima ebenso junge Leute und fremd in dieser Stadt waren. Nur sei Duimas Charakter verdorben worden und er auS eigenem Antriebe zu den Leuten gegangen . . . Während er so nacbdackte, wurde die Gasflamme, in deren Nähe er saß, ausgelöscht. Matwei sah sich um. Nicht weit hinter ihm saß Mister Paddy, Düimas irländischer Freund, und läckelte unschuldig. Matwei stand auf, holte ein Streichholz hervor, zündete die Flamme wieder an und begann aufs Neue zu lesen. Dock er errietb, daß sich Paddy damit nicht zufrieden geben würde und sah sich wieder um. Und in der Tbat sland derselbe hinter ihm mit geöffnetem Munde und schickte sich an, die Flamme wieder zu verlöschen. Matwei gab ihm mit dem Ellbogen einen leichten Stoß und Paddy siel ins Bett. .,^11 i'igllft', sagte er, sich erbebend, seine Jacke auSziebend. „Very crelll', riesen die Kameraden, rücklen die Stükle weg und traten heran. ,.^II rigllt,'', rief beinahe freudig Düima. „Komm Mat wei, stelle Dich jetzt in die Mitte." Aber Matwei tbat, als ob nichts vorgefallen wäre und begann weiter zu lesen. Die Irländer waren ganz verdutzt. Sie mußten ihre eigenen Regeln haben, denn Paddy näbcrte sich Matwei, sich fortwährend duckend, und die eine Faust um die andere, wie eine Mühle drehend. „Nun, da bleibt mir nichts übrig," dachte Matwei. „Wenn Du selbst es durchaus willst." Und Paddy hatte noch nickt vermocht, die richtige Stellung cinzunebme», als auch schon der Lvsischzaner sich wie ein Bär gegen den Jäger aufrichtete, die Hand über Paddh's Kopf hob, ihn an den Haaren packte, den Kopf unter seine Knie schob und ibn wie einen Buben züchtigte. Alle standen mit offenem Munde da und brachen, als Paddy sich wie ein neugeborenes Kind, daS nicht weiß, was mit ibm voraegangen. erhob, in ein schallendes Gelächter anö. Düima stimmte ebenfalls in daS Lacken ein, hörte aber bald auf und wandte seine Aufmerksamkeit Paddy und den Anderen zu, um zu beobachten, wie diese Matwei'< Benehmen brurtbrilten. „DaS ist schön! ... Da läßt sich gar nicht- sagen . . . Drein zu schlagen, wie ein Bär vor seiner Höhle . . . Da-
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