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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.02.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-02-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960208019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896020801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896020801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-02
- Tag1896-02-08
- Monat1896-02
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Größere Schriften laut unserem Preis verzeichniß. Tabellarischer und Zisfernsatz »ach höherem Tarif. i-xtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen. Ausgabe, ohne Postbefürderuug SO.—, mrt Postbrförderuug ^4 70—. Ännahmefchluß fSr Anzeigen: Abend.Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Für die Montag-Morgen-AuSgabe: Sonnabend Mittag. Bei den Filialen und Annahmestellen ie eine halbe Stunde früher. Anzeigrn sind stets an dt« Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Sonnabend den 8. Februar 1896. 90. Jahrgang. Die conservative Partei und Herr Ztöcker. Ueber die Sitzung des conservativen Elfer - Ausschusses vom 1. Februar, die zum Austritte des Herrn Stöcker aus der conservativen Partei führte, bringt die „Kreuzztg." einen ihr „von berufener Seile" zugegangenen Bericht, in dem zu nächst mitgetbeilt wird, daß von Herrn Stöcker einige Tage vor dieser Sitzung den Mitgliedern des Ausschusses der nach stehende Antrag zugegangen war: „In Erwägung, daß über die focialpolitische Haltung der deutsch - conservativen Partei öffentlich Mißverständnisse und Miß deutungen hervorgetreten sind, welche den nothwenbigen Kamps gegen die Socialdemokratie und andere social - verderbliche Be strebungen beeinträchtigen, wolle der Elser-Ausschuß nachsolgenüe Erklärung erlassen oder gutheißen: 1) Es ist eine geschichtliche Nothwcndigkeit, die Arbeiterbewegung in ihrer Berechtigung an zuerkennen, sofern sie nicht den Umsturz deS Bestehenden, sondern auf gesetzlichem Wege einen Antheit der arbeitenden Classe» an der politischen Macht und eine höhere äußere wie innere Lebenshaltung anstrebt. 2) Es ist eine politische Nothwendigkeit, die Social reform ohne Rücksicht darauf, wie die Socialdemokratie und ihre ührerschaft sie ausnimmt, weiterzuführen und auf alle productiven tände gleichmäßig zu erstrecken. 3) Es ist eine conservative Nothwendigkeit, den in der kaiserlichen Botjchast von 1881 aus gesprochenen Gedanken eines socialen Ausbaues corporativer Ge- nossenschaften aus den Grundlagen des christlichen Volkslebens fest- zuhalten und seiner Zeit zu realisiren." Der Antrag kam, wie der Bericht sagt, am 1. d. MtS. nicht zur Discussivn, da Herr Stöcker „schließlich" auf die Beralhung kein Gewicht mehr legte. Dann fährt der Bericht fort: „Bei Beginn der Sitzung erklärte sich Herr Hofprediger Stöcker bereit, die folgende Erklärung zu veröffentlichen: „In meiner „Kirchenzeitung" vom 2ü. October v. I. habe ich erklärt, daß ich seit Jahr und Tag die Haltung des „Volk" gegenüber der konservativen Partei öfter scharf gemißbilligt habe; die Rebaction des „Volk" hat diese Tbatsache ausdrücklich anerkannt. Zugleich habe ich die Linie bezeichnet, auf welcher das „Volk" meines Erachtens sich halten muß. Nach den statigchabten Aus- einanderietzungen ist es selbstverständlich, daß ich das „Volk" zu meinen Veröffentlichungen erst dann wieder benutzen werde, wenn es die von mir bezeichnet« Linie innehält." Er motivirte diese Erklärung folgendermaßen: er con- statire, daß er von jeher ein eifriger Vorkämpfer für con servative Politik gewesen sei; er habe besonders in Berlin erhebliche Resultate erzielt, er habe durch seine Bewegung aus Berlin eine kirchlich positive Stadt gemacht und bei den Wahlen eine erbebliche Sümincnzahl an seine Fahne ge fesselt; er habe die von ihm begründete christlich-sociale Partei als eine Gruppe der Eonservaliven betrachtet, und es seien auch nie Bedenken darüber laut geworden, ob seine christlich sociale Politik mit dem Programm der conservativen Partei im Einklang stehe. Schwierigkeiten seien erst entstanden, als vor anderthalb Jahren die sogenannten „Jungen" sich in der christlich-socialen Partei aufgctban; er habe sich bcmübt, die Bewegung im Zaum zu kalten und habe gegen die von Herrn Naumann eingelcitete Bewegung eine scharfe Stellung eingenommen. Das „Volk" sei seiner Zeit unter seiner Mitwirkung gegründet worden, um ein für die Masse geeignetes, conservative Grundsätze verbreitendes Blatt zu haben. Er bemühe sich, so auf die Haltung des Blattes einzuwirken, daß eS in seiner Sprache nicht verletzend gegen die conservative Partei auftrete und conservative Grundsätze nicht verletze. Er könne möglicherweise bald — vielleicht in wenigen Tagen — Wandel schaffen dadurch, daß ein geeigneter Redacteur angenommen werde. Ganz die Beziehungen abbrechen könne er nicht, da das Blatt unent behrlich sei für die Beeinflussung der Masse in dem Sinne, wie er die sociale Politik auffasse. Im Augenblick mißbillige er, wie er wiederhole, die Haltung de« Blattes rücksichtslos. Von Seiten der Mitglieder des Ausschusses wurde die von dem Herrn Hofprediger Stöcker angeborene Erklärung für ungenügend erklärt: DaS „Volk" habe seit langer Zeit die conservative Partei in heftigster Weise angegriffen, und obgleich man eS für vollständig unzuträglich erachtet habe, daß Herr Hofprediger Stöcker als Mitglied deS Elfer- Ausschusses mit diesem Blatte Beziehungen unterhalte, habe man ihm seit Monaten Zeit gelassen, um Reinedur zu schaffen. Nach der von ihm beabsichtigten Erllärung bleibe es lediglich in das Ermessen des Herrn Hofpredigers Stöcker gestellt, ob und wann er die Beziehungen zum „Volk" wieder aufnehmen wolle. Der Elser-AuSschuß könne dies nicht allein in Herrn Stöcker'S Ermessen stellen. Es wurde darauf von Herrn v. Manteuffel der Ent wurf für eine von Herrn Hofprediger Stöcker zu gebende Erklärung vorgelegt: „In Anbetracht, daß die Tendenz, welche das „Volk" gegen- wärtig vertritt, mit conservativen Grundsätzen unvereinbar ist, und die conservative Partei, der ich angehöre, schädigt, erkläre ich, daß ich mit diesem Blatte, aus das sch schon lange einen maß gebenden Einfluß nicht inehr besitze, nichts mehr gemein habe und ,ede auch nur mittelbare Verantwortlichkeit für dessen Inhalt ablehne." Herr Stöcker wandte gegen die Formulirung dieser Er klärung ein, daß die gesammle Tendenz und gesammte Haltung des „Volks" doch nicht reprobirt werden könne: in kirchen- pvlitischen und auch in vielen socialpolilischen Dingen ent spreche daS „Volk" ganz seiner Auffassung. Man kam Herrn Stöcker in dieser Beziehung dadurch entgegen, daß man die Haltung deS „Volks" nur in einzelnen wichtigen Fragen als mit conservativen Grundsätzen unvereinbar erklärte und der von Herrn v. Manteuffel vorgeschlagenen Erklärung die nach stehende definitive Fassung gab: „In Anbetracht, daß die Haltung, welche das „Volk" gegen wärtig in wichtigen Fragen einnimmt, mit conservativen Grundsätzen unvereinbar ist und die conservative Partei, der ich angehöre, schädigt, erkläre ich, daß ich mit diesem Blatte, auf das ich schon lauge eineu maßgebenden Einfluß nicht mehr besitze, nichts mehr gemein habe und jede auch nur mittelbare Berant- Wörtlichkeit für dessen Inhalt ablehne." , In dem Verlauf der DiScussion wurde Herrn Stöcker auck schließlich von denjenigen Mitgliedern des Elfer-Aus- schusscS, dir ihm am nächsten stehen, entgegengebalten, daß er di« jetzt ameudirt« Erklärung wohl aeeeptiren könne, da sir mit seiner ganzen Auffassung und seinen Erklärungen sich decke: er babe die Haltung des „Veltü" gegenüber der con servaliven Partei und deren Leitung auf das schärfste gemiß billigt, und es stebe dem nichts entgegen, daß er seiner Zeit die Beziehungen wieder aufnehme, sobald das „Volk" eine mit conservative» Grundsätzen verträgliche Richtung ein geschlagen babe. Von diesen Mitgliedern des Elfer-Ausschusses wurde Herrn Stöcker die ausschließliche Verantwortung dafür rugeschoben, falls nach den gepflogenen Verhandlungen eine Verständigung nicht erzielt werden sollte. Bei der darauf folgenden Abstimmung wurde die von Herrn Slöcker vorgeschiagene Erklärung mit neun gegen zwei — Slöcker, Baron v. Dura nt — Stimmen^ sür unannehmbar erklärt, der amendirte Entwurf des Herrn v. Manteuffel als die von Herrn Stöcker zu erwartende Erklärung bezeichnet — mit demselben Snmmenverhättuiß —. Auf die durch den Vorsitzenden a» Herrn Slöcker gerichtete Frage, ob er diese vom Elfer-Ausschuß gebilligte Erklärung abzugeben gedächte, lehnte Herr Stöcker dies ab; er molivirte dies damit, daß mau seine Zustimmung sür ein Beugen des Nackens aufsassen und dies ihm seine Stellung bei seinen Anhängern im Lande verderben werbe. Er zeigte nunmehr seinen Austritt aus dem Elfer- Ausschuß an und lnüpfie daran die Erklärung, daß damit auch sein Austritt aus der conservativen Partei erfolge. Er gab dieser Erklärung einen praktischen Ausdruck, indem er seinen Austritt aus der conservativeii Kraction des Hauses der Abgeordneten dem anwesenden Vorsitzenden derselben anzeigte. Aus der Mitte des Elser-Ausschusses wurde Herr Stöcker von verschiedenen Seilen daraus aufmerksam gemacht, daß von einem Nackenbeugen in seinem Falle auch bei Annahme der vom Ausschuß gebilligten Erklärung gar keine Rede sein könne; um Nackenbeugen könne es sich nur dann handeln, wenn man Grundsätze aus Opportunitälsgründen oder, um Nachlheile zu vermeiden, aufgebe. — Bon einem principiellen Eonftict zwischen ihm und der Auffassung des Elfer- ÄusschusseS sei keine Rede. Auch aus dem von ihm gestellten Anträge, betreffend die sociale Politik, würden sich nicht unmittelbare grundsätzliche Differenzen ergeben, wenn auch nicht verkannt werden könnte, daß die über die Opportunität und auch eine präcisece Fassung des Antrages Erörterungen nothwcndig sein würden. Von verschiedenen Seiten aus dem Elfer-Ausschuß wurde Herrn Stöcker auck bemerkt, daß sein Austritt aus dem Elfer-Ausschuß nicht nolhiveudig seinen Austritt ans der Partei nach sich zöge: was sür einen der Leiter der Partei unzuträglich gewesen sei, — seine Beziehung zum „Volk" — sei dies nicht in demselben Maße für ein Mitglied der Partei. Die an Herrn Stöcker gerichtete Bitte, seinen Austritt aus der conservativen Partei des Hauses der Abgeordneten, wenn überhaupt, erst nach reiflicher Ueber- legung auszusprechen, lehnte er mit der Molivirung ab, er sei es seiner Stellung im Lande und seinen Freunden im Lande schuldig, Klar heil zu schaffen, und er lege Gewicht darauf, daß sein Austritt aus der Partei gleichzeitig mit seinem Ausscheiden aus dem Elfer-Ausschuß betaiinl werde. Die conservativen Fractionen des Reichstages und des Hauses der Abgeordneten habe» auf den ihnen von den Mit gliedern des Elfer-Ausschusses gehaltenen Vortrag das Ver halten desselben einstimmig gut geheißen." Soweit der Bericht der „Kreuzzeilunz". AuS ibm tritt uns der ganze Stöcker entgegen, wie er selbst durch ein tausendfach verbessertes Röntgen'sches Ver fahren in der Eigenart seines Inneren nicht getreuer abconterfeit werden könnte. Wir wollen ganz davon abseben, daß er sich beinahe in einem Alhem als zu etwas Selbstverständlichem bereit erklärt, das „Volk" nicht weiter zu Veröffentlichungen zu benutzen, und bemerkt, „ganz" könne er die Beziehungen zu dem Blatte nicht abbrechen, als ob seine Beziehungen in etwas Anderem beständen, als in der Benutzung zur Veröffentlichung, oder, was genau dasselbe ist, zum Jnspiriren von Veröffentlichungen. Der ganze Stöcker tritt uns schon in seinem Manöver mit dem Antrag auf eine socialpolitische Kundgebung der Partei entgegen, auf deren Beratbungen er schließlich, d. h. wenn es Ernst wird, „kein Ge wicht legt", weil er weiß, daß der Elser-Ausschuß sich wenn auch nicht mit ihrer unveränderten Fassung, so doch mit ihrem Grundgedanken befreunden konnte. Daß er mit diesem in folge seines Verzichts nicht erörterten Programm heraus gehen würde und sagen: „Damit darf man den Eonservativen nicht kommen und deshalb konnten sie mich nicht mehr behalten, das schien sicher." Und diese Zuversicht ist nicht getäuscht worden. In seiner „Deutsch-Evangelischen Kirchenzeitung" schreibt er: „Wer nur den Abschluß der Krisis in der Presse liest, der kann meinen, es handle sich um die Haltung des „Volk". Aber das war lediglich der todte Strang, auf den die ganze Sacke gefahren war, kaum der Anlaß (!), geschweige Venn die Ursache der letzten Eittscheidnngcn. Die sachlichen Unter schiede in den socialen Auffassungen der Christlich-Socialen und der Conservativen sind in der Tbat der eigentliche Trennungsgrund." Und dann kommt er aus seine im Elfer- AuSschuß emgebrachte und dort, wie er sich auSdrückt, „be seitigte" Resolution. Der ganze Stöcker! Deutsches Reich. * Leipzig, 7. Februar. Der Vorstand deS Con servativen LandeSvereinS, gezeichnet vr. Schober, Vorsitzender, erläßt folgende Erklärung: „Tie aus Großenhain gemeldete Kunde, daß der als conservativer Mitarbeiter und Sprecher bekannte Freiherr von Schorlemer wegen Verdachts verbrecherischer Handlungen verhaktet worden sei, muß selbstverständlich in der conservativen Partei schmerzliches Er staunen und tiefe Entrüstung erregen. Wenn von gegnerischer Seite die konservative Partei sür die ehrlose Handlungsweise eines Einzelnen mitverantwortlich gemacht werden sollte, so baden wir dem gegenüber schon jetzt auf das Bestimmteste zu erklären, daß conservativerseits in dieser traurigen und schmachvollen Angelegenheit lediglich loyal und correct verfahren worden ist. Sollte der Verhaftete schuldig befunden werden, so wird seine streng» Bestrafung un» zur Genugthuung g». reichen. Wir sehen der weiteren Entwickelung der Sache mit Ruhe entgegen. Bemerkt sei bier nur noch, daß, nachdem eine ehren rührige, aber »och nicht verbrecherische Handlung von Schorlemer zur Kenutniß gelangt war, dem Genannten sofort, und zwar bereits am 16. Januar, autoritativ erklärt worden ist, daß er sich aus der conservaiive» Partei als ausgeschieden zu betrachten und jeder poli tischen Thätigkeit zu enthalten habe." * Berlin, 7. Februar. Fürst Bismarck, so schreibt die »Doss. Zlg ", bat gelegentlich geklagt, daß „die Reichs flutb rückläufig geworden" sei. Fast ist man versucht, diese Wabrnebmnnz zu bestätigen, wenn man siebt, wie sich die Verhandlungen deS Reichstages über den Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches vollziehen. Es ist ein kläg liches Schauspiel. Nur zu viele Redner bleiben hinter der Bedeutung ihrer Aufgabe weit zurück oder verratben auch nicht eine Spur von Begeisterung für die Vollendung eines Werkes, das einst mit warmer, aufrichtiger Begeiste rung begonnen wurde. Und wer auch redet, er spricht zu einem Kreis von kaum sechzig oder Kundert Volksvertretern. Die große Mehrheit der Abgeordneten hält es nicht der Mühe wertb, der ersten Lesung eines Gesetzes beizuwobnen, das auf Menschenalter hinaus das Reckt des deutsche» Volkes festlezen soll, in die meisten bürgerlichen Verhältnisse tief cingreifl und den Bau der deutschen Einheit krönen soll. Ist denn das Bürgerliche Gesetzbuch ein Ding, das nur die Fachjuristen angebl? Und haben denn die Volksvertreter, auch wenn sie keine Tagegelder beziehen, nicht die Pflicht, im Reichstage ru erscheinen und an seinen Arbeiten theilzunebmen? Wir beklagen die Diätenlvsigkeit; aber sie reicht nicht aus, diese beschämende Theilnabmlosigkeit der Abgeordneten zu ent schuldigen. Schließlich weiß auch, wer sich um ein Mandat bewirbt, daß er keine Tagegelder erkält; wenn er gleichwobk die Ebre annimmt, so ist es seine Schuldigkeit, sich ihrer würdig zu zeigen, indem er das ibm übertragene Amt ge treulich ausfüllt. Hat er dazu nicht Zeit oder Mittel, so bat er sein Mandat niederzulegen. Die gegenwärtige Oede im Reichstage aber wird zu einem öffentlichen Scandal. Bei dem Empfangsabend im Reichskanzlerpalast finden sich die Abgeordneten zahlreich ein; während der Be- rathung über daS bürgerliche Gesetzbuch glauben sie fehlen zu Kursen. Welchen Eindruck soll diese Thatsache auf das Ausland, welchen auf die Masse der Deutschen machen? ... Das Ansehen der Volksvertretung kann dabei nicht gewinnen. Und man sollte meinen, gerade heute habe das Parlament allen Grund, alles zu vermeiden, was seiner Geltung weiteren Abbruch thun könnte. (-) Berlin, 7. Februar. (Telegramm.) Ter „Reichß- anzeiger" veröffentlicht einen Erlaß des KriegSministeriums betreffs der vor zeitigen Veröffentlichung des Amncstic-Erlafscs durch Sen „BorwärtS". Der Erlaß stellt fest, daß nach dem Ergebnisse der Disciplinaruntersuchung das Verschulden eines Angehörigen des Kriegsininisteriums ausgeschlossen sei. Zur Veröffentlichung wurde am 16. Januar Nachmittags ein in die Redaction des „Vorwärts" gebrachtes, anscheinend in der Druckerei von Müller Sohn entwendetes Exemplar des „Armee-VcrordnungöblalteS" benutzt. Die Disciplinar- Untersuchung ist daher geschlossen. Wegen der Einleitung des Strafverfahrens ist das Erforderliche veranlaßt worden. Im nichtamtlichen Tbcile bringt der „Neichsanz." ferner eine Darstellung der Ergebnisse der Disciplinar- Untersuchunz, in welcher eö heißt: „Am 16. Januar gab in den Abendstunden ein Unbekannter ein Exemplar deS „Armee - Verordnungsblattes" in der Redaction des „Vorwärts" ab. Der Unbekannte kam am 17. Januar wieder und bat, ibn nicht zu verratben, da in der Druckerei von Mittler <L Sobn eine strenge Untersuchung cingeleüet worden sei. Hieraus folgt, daß der Ueberbrinaer des entwendeten Blattes bei der Firma beschäftigt gewesen sein muß, da er sonst von der eingeleiteten Untersuchung nichts wissen, bez. nicht betroffen sein tonnte. Der Sach verhalt ist also, Dank der Aussagen der Redacteure des „Vorwärts", bis jetzt dahin klargcstellt, daß die Angebörigen des Kricgsministeriumö von jeder Schuld entlastet sind, und daß der Diebstahl bei Mittler L Sohn vor- gekommen ist. U. Berlin, 7. Februar. Die „Nat.-Ztg." schreibt: Ei» Eingreifen des Berliner (Scwcrbegcrtchts als Etnignngsanit in die Bewegung der Berliner Eonfectionsarbciter lönnte selbstverständlich nur dann Erfolg haben, wenn die großen Firmen dieses Geschäftszweiges sich dazu entgegen kommend verhalten. Daß dies geschehe, ist dringend zu wünschen; es würde der öffentlichen Meinung entsprechen, die fast durchweg von der Berechtigung der Klagen der meisten Confectionsarbeiter und Arbeiterinnen überzeugt ist; die Leiter der großen Geschäfte würden sich ein Verdienst erwerben und allgemeine Anerkennung finden. Es scheine denn auch, daß unter ihnen Neigung zur Verständigung vorhanden sei. R. Berlin, 7. Februar. (Privattelcgramm.) Wie die „Post" meldet, bat das im vorigen Jahre nicht boycottirte Münchrucr Brauhaus Arbeiter, welche in der letzten Brauer- versammlung die Verhältnisse des Brauhauses abfällig kritisirt hatten, entlassen und den „ringfreien" Arbeitsnachweis zum 1. März gekündigt. — Die Commission zur Vorberathung des Gesetzentwurfs über den unlauteren Wettbewerb hat, wie schon ge meldet, die Bestimmungen über Len Verrath von Geschäfts und Betriebsgeheimnissen fallen gelassen. Nach der „Nat.- Ztg." stebt bestimmt in Aussicht, daß diese Lücke bei der zweiten Lesung wenigstens insoweit auSgefüllt wird, als Anträge zu erwarten sind über die Bestrafung deS Ver- rathS während der Dauer der Anstellung und der Versichrung dazu. Bezüglich dieser Anträge sei eine Mehrheit vorhanden. — Ein ArbeitSnachweiS-Verein für jüdische Arbeiter ist ins Leben gerufen worden. In einem Aufruf an die wohlhabenderen Mitglieder der israelitischen Gemeinde beißt es nack, der „Post": „Wem eS Ernst ist, das sociale Niveau der Glaubensgenossen zu beben durch Schaffung von Arbeitsgelegenbeit und Lurch Ablenkung von Berufsarten, die den Gegnern als Waffen dienen, wolle die Sache unter stützen." * Aus Schleswig, 6. Februar. Im Landtagswahlkrcise Apenrade-Sonderburg spitzen sich die Verhältnisse in der Protestpartei mehr und mehr zu. Der Reichstags- abgeordncte Jo bannten veröffentlicht im „Flensb. Avis" eine Erklärung, daß er als Vorstandsmitglied des Wähler- Vereins für die Eanvidatur des Redacteurs Hanssen-Apenradc gestimmt babe. Der einflußreiche Chefredakteur Jessen bedauert in seinem Organ diese Stellung des Herrn Jobannsen zur Can- cidateiifrage und agitirl in Versammlungen für die Aufstellung eines Eldesverweigerers. Eine Versammlung in Kliplcff, Kreis Apenrade, nahm folgende, von Jessen in Ueberein- stnnuiung mit den anwesenden Waklniännern festgesetzte Resolution an: Die Wahlmänner mögen einen Landtags- Vertreter wäblen, der daS SelbstbestimmnngSrecht der Nord- schleswiger mit Bezug auf tz 5 des Prager Friedens aus reckthält unv diesen unseren Standpunct unbeeinflußt von ciiiscitigen dänischen oder deutschen Parteirichtunnen festhält. Dieser Beschluß richtet sich gegen den Redacteur Haussen, der zur Eidesleistung bereit ist und den kraß-protestlerischen «tandpuncl verwirft. -o-Oldenburg, 7. Februar. (Privattelegramm.) Tie Beisetzung der verstorbenen Großherzogin hat heute Vormittag stattgefunden. Um »/rlO Uhr traf der Kaiser ein. Er wnrve von dem Erbgroßherzog und dem Herzog Georg empfangen und fuhr sofort zum Palais, wo nach der Begrüßung der Traueract begann. Oberhofprediger Hansen sprach zunächst ein Gebet; dann wurde der Sarg auf den mit acht Pferden bespannten Leichenwagen geboben und der Zug setzte sich, während die Truppen präsentirten, in Bewegung. Unmittelbar binter dem Leichenwagen scdritt der Kaiser zwischen dem Großherzog und Erbgroßberzog von Oldenburg. Im Mausoleum hielt Oberhofprediger Hansen die Trauerrede. * Karlsruhe, 6. Februar. Die bekannte Klage deS social demokratischen Abgeordneten DreeSbach gegen die ehemaligen verantwortlichen Rebacteure der „Badischen Lvztg.", Flach und Eloß, wegen verleumderischer Beleidigung, die heute vor dem Schöffengericht verhandelt wenden sollte, wurde auf Antrag der Beklagten von der TaaeSordaung abgesetzt. Die Angeklagten stellten ,n letzter Stunde neue Beweisanträge. (K. Z.) ^ Aus Württemberg, 6. Februar. In Heidenheim haben die bürgerlichen Collegien beschlossen, zum 1. April d. I. ein Arbeitsamt ins Leben zu rufen. * Ligmaringen, 7. Februar. (Telegramm.) Die Fürstin. Mutter von Hohenzollern ist heute zur Hochzeit ihrer Enkelin, der Prinzessin Henriette von Belgien, nach Brüssel abgereist. * München, 7. Februar. Von dem Vorsitzenden des Denkmal-Comitös in Reichenhall geht der „Allg. Ztg." folgende Mittheilung zu: „Aus Ihre letzte Notiz bezüglich des Bismarck-Brunnens in Reichenball gestalte ich mir zu erwidern, daß die letzte Ent scheidung des Ministeriums gleichlautend mit einer Ablehnung des Brunnens ist. Ebenso wird uns die Errichtung des Brunnens auf städtischem und sogar privatem Boden unmöglich gemacht, wie aus der demnächst erfolgenden Veröffentlichung der Angelegenheit ersichtlich sein wird." Die „Allg. Ztg " entgegnet hierauf: „Dieser Erwiderung gegenüber können wir mit aller Be» stimmthcit daran frsthalten, daß gegen die Errichtung eineS Bismarck-Denkmals selbstverständlich nicht der geringste Einwand besteht. Dagegen konnte nach dem Gutachten der Akademie der Künste vom 22. März und 7. Deeember die Ausstellung dieses Brunnenmonuments im Curgarten des WeltbadeS Reichenhall unter keinen Umständen gut geheißen werden." Hoffentlich theilt die „Allg. Ztg." daS Gutachten der Akademie der Künste vollständig mit, daß man beurtbeilen kann, ob eS ästhetische Gründe sind, die die Aufstellung „dieses" Brunnenmonuments im „Weltbade" Reichenhall unmöglich machen. Oesterreich-Ungar«. * Pest, 7. Februar. Abgeordnetenhaus, Bei der fort gesetzten Berathung des Cultusetats sprach Emertch Madarasz den Wunsch aus, es möge in der Leitung des Unterrichtsressorts ein mehr nationaler Geist herrschen; Redner stimmt für den Vor anschlag. Gabriel Ugron brachte einen Beschlußantrog ein, durch welchen die Regierung ausgefordcrt wird, einen Gesetzentwurf eia- zubringen zur Regelung der Verhältnisse sämmtlicher aus der Grund lage der Autonomie stehenden Kirchen zum Staate, sowie dafür zn sorgen, daß gegen diejenigen Nationatitätskirchen, welche slaai feindliche Bestrebungen unterstützen, die Gesetzgebung von Fall Fall Verfügungen treffe. Johann Hock unterstützt den Bejchlnu- antrag Ugroirs. * Pest, 6. Februar. Gegen den Obergespan des Zalaer Comitats Svastics ist Anzeige wegen unregelmäßiger Gebahruna und Kraft seines amtlichen Einflusses beschaffter Giri ans Wechsel, welche die Giranten bezahlen müssen, au daS Ministerium gelangt. — Die Finanzdirectivn entdeckte bei der Sparcaffe in Debrecz in GesällSüberscbreitungen von über 100,006 Gulden. Die verbrecherischen Manipulationen wurden bereits seit Jahren betrieben. (Frkf. Ztg.) Frankreich. * Paris, 7. Februar. (Telegramm.) Untersuchungs richter Le Poittevin, dem die seinem Vorgänger Rempler plötzlich abgenommenen Angelegenheiten zugewiesen wurden, scheint die ganze Panama», Cornelius Herz-, Süd bahn- und Fernsprechergesellschaftssache wieder anfgraben zu wollen. Abgeordneter Christosle, gewesener Gouverneur deS CrSdit sonorr, Graf Lemercier, Rouvier, Passy und JuleS Roche wurden vorgeladen, um über ihre Betheiligung am sogenannten Bürg- schaftssyndicat für die Südbabnschuldscheine Auskunft zu geben. „Malm" erzählt, Las fieberhafte Vorgehen Le Poitlevinö, der im Aufträge des JustizministerS Ricard bandelt, veranlasse Zerwürfnisse im Cabinet. Bourgeois erbebe sich lebhaft gegen die Fortdauer eines Zu standes allgemeinerVerdächtigung und Verleumdung,und fordere Abschluß ver schwebenden Untersuchungen, während Eavaignac und Ricard immer wieder ausrusen: „Wir müssen bis an« Ende geben." Darlan, Vorsitzender de» KammerauSschusseS zur
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