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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.04.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-04-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930429028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893042902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893042902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-04
- Tag1893-04-29
- Monat1893-04
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VolkSztg." eine an den Cardinal LedockowSki gerichtete Frage des Kaiser« wiederzebe. sei vollständig unwahr. Bekanntlich hätte das genannte Blatt gemeldet, der Kaiser babe den Cardinal gefragt: „Nicht wabr, alles Geschehene ist vergessen?" A»S dem Dementi des „RcichSanz." muß man nun schließen, daß eine ähnliche Frage wirklich an den Cardinal gerichtet worden sei und daß nur die Form der Frage von der „Kölnischen VolkSzeilung" unrichtig wiedergegeben werde. Dieser Schluß wird auch nicht hinfällig durch die Meldung des Wolfs'schen BureauS, eS verlaute zuverlässig, der Kaiser babe weder daS Wort „vergessen" gebraucht, noch überbaupt auf die Vergangenheit angespielt. Wäre diese letztere Meldung richtig, so würde doch der „Reichsanzeiger" nicht bloS erklärt haben, die nach dem ultraniontanen Blatte von dem Kaiser an den Cardinal gerichtete Frage sei in der „Form" unrichtig. Oder sollte daS amtliche Blatt nur deshalb so zurückhaltend sich auSdrücken, um daS Cenlrum nicht zu ver stimmen und eS bei Geberlaune in Sachen der Militair- vorlage zu erhalten? Aber auch diese Annahme ist nicht dazu angethan, die herrschende Bcsorgniß und Mißstimmung zu beschwichtigen. Und überdies wäre die Spekulation eine gänzlich verfehlte. Wie mit Bestimmt beil verlautet, wird in CenlrnmSkrcisen jede Aussicht auf eine Verständigung in der Militairfrage bestimmter als jemals in Abrede gestellt, obwohl der Reichskanzler Neuer ung- zu einigen Zugeständnissen sich geneigter gezeigt haben soll. Der „Nat.-Lib. Corresp." wird zuverlässig versichert, Herr v. Huenc, habe für seine erbeblich über die vom Centrum bisher ungehaltene Grenze binauSgehendcn Vorschläge nur ganz vereinzelte Mitglieder hinter sich. Die große Mehrheit de« lsentruiuS will eben, bevor sie anf weitere Zugeständnisse sich ciuläßt, genau wissen, was anläßlich des KaiserSbesucheS in Rom im Vatican vor sich gegangen ist und läßt sich durch noch so vorsichtig gefaßte osficiöse Dementis nicht sangen. Am allerwenigsten aber sind derartige „Richtigstellungen" geeignet, in Italien da- Befremden zu beseitigen, käS sich dort der Gemütber infolge jenes angeregten Verkehrs der deutschen Gäste mit der Curie und infolge der Meldungen der ultramontanen Blätter über die Art dieses Verkehrs bemächtigt hat. Dreibundsreundlichc Blätter geben diesem Befremden unverhohlen Ausdruck, indem sie auf kaS mindestens zurückhaltende, wenn nicht unartige Auftreten boher geistlicher Würdenträger Hinweisen. Man kann dort lesen, der eigentliche Zweck der Romfakrl scheine der Besuch im Vatican gewesen zu sein. Will oder kann der „Reichs anzeiger" den ultramontanen Meldungen nichts Bessere» entgegensetzen, als er wirklich thut, so ist eS am besten, er schweigt ganz. Während da» Schicksal der Militairvorlaze noch völlig im Ungewissen liegt und die Parteien daher ihre Vor bereitungen zu den möglicherweise schon bald nötbig werdenden Neuwahlen treffen, spielen sich im Reichstage Scenen ab, welche die erschreckendsten Aussichten auf die Wahlbewcgung eröffnen. So bewegte sich die gestrige Generaldebatte zur dritten Lesung de- WuchergesctzeS ausschließlich in rein persönlichen Auseinandersetzungen zwischen den Abz. Stadt- bagen und Kunert einerseits und den Abgg. Böckcl und Licbermann von Sonnenberg andererseits. Niemals zuvor hat man im Reichstage auch nur entfernt einen so niedrigenTon angenommen. Alle Ordnungs rufe seitens des Präsidiums vermochten nicht einmal, die ordinairsten Schimpfwörter aus den Reden fernzuhalten. Sobald daS Haus nach Schluß der AbgeordnetcnbauS- sitzunz zweifellos beschlußfähig geworden war, machte die große Mehrheit diesem empörenden Schauspiele durch den Schluß der Generaldebatte ein Ende. Aber eS kann keinem Zweifel unterliegen, daß diese Vorgänge nur daS Vorspiel zu Wahl kämpfen sind, die jedem Feinfühligen die Lust der Betheiligung verleiden. Es wird auch nicht bester werden, wenn der Reichs tag seinem Präsidium strengere DiSciplinarbcfugnissc ertheilt; der Geist, der in einem Theite der Wählerschaft und durch sie auch in den Reichstag ringe,ogen ist, läßt sich durch solche Befugnisse nicht bannen. Cr wird sich bei Neuwahlen und im künftigen Reichstage auStobcn müssen, zum hoffentlich heilsamen Schrecken derer, die ibn entfacht haben. In Oesterreich erweitert sich die Kluft zwischen den feudalen Großgrundd sitzern und den Iungczechen zusehends; der Versuch, durch eine Confereiiz der Führer eiste Annäherung berbcizusühren, ist mißlungen. Recht von oben derab hielt Prinz Karl Schwarzenberg den Herren Herold »nd Gregr ihre politischen Sünden vor; die Iung- czechcn wieder verlangten von den Großgrundbesitzern un bedingte Gefolgschaft in der Bekämpfung der Regierungs vorlage, welche die nationale Abgrenzung der Gerichlsbezirke zum Gegenstand hat. Dessen aber weigert sich die Adels- Partei. Eigentlich fügt sic ihren vielen Inconsequenzen jetzt eine neue hinzu; denn während sie im Vorjahr daS gesetz lich nothweiitige Gutachten über die Vorlage versagte, will sic eS diesmal gewähren. Freilich geschickt dies unter dem Vorwand, daß die neue Eintheiluug der GcrichtStezirke nicht aus Grund des Ausgleichs, sondern auS anderen sachlichen Motiven vorbereitet werde; damit ist aber die neuerliche Schwenkung gewiß nicht gerechtfertigt. Thatsäcklich haben sowohl Deutsche wie Czechcn volle» Recht, sich über di« Präpotenz der Gruppe der Großgrundbesitzer zu beschweren, welche die Vorlagen, die in Folge des Ausgleiches gemacht werden, bald annchmcn und bald ablehnen —geradeso, als ob sie deu Schlüssel besäßen, ihre Versprechungen zu lösen oder einzubalten, je nachdem ihnen die politische Laune kommt. DaS ist kein gesnnder Zustand. Regierung und Abel sehen unter diesen Umständen ihre Autorität gestärkt; abwechselnd wird den Deutschen und den Czechen ein Tort angethan, den jeder dieser BolkSstämme verwindet, weil er die Hoffnung hegt, daß demnächst der Andere an die Reibe kommt. Jetzt sind — sür eine ganz kurze Campagne — Deutsche und Großgrundbesitzer in leidleichcin Einvernehmen. Sic werden gegen die Stimmen der Alt- und Iungczechen im Landtag daS Gutachten über die Errichtung der Kreisgerichte von Trautcnau und von Schlan in günstigem Sinn abgeben; diese neuen GerichtSbczirke werden gebildet werden; und dann wird sich der Adel ver- muthlich wieder zu einem Schritt bestimmt süblen, der wieder den Czechen ausnehmend gefallen wird. Wird sich diese Politik iu inkllitum forlsetzen lassen? Werden die Czechen sich fortdauernd an diesem Gängelband fcsthalten lassen? Graf Taaffe hat auS solcher Negierung-weise ein System gemacht; seine Freunde und Schüler hoffen, eS auch nach feinem Scheiden auS dem Amte forlsetzen zu können; ob mit Erfolg, daS ist doch sehr zu bezweifeln. Wie bereit- telegraphisch in der Morgenausgabe dcS Blattes gemeldet, begiebt sich Kaiser Franz Josef in den ersten Tagen des Mai nach Pest und widerlegt dadurch ausS Schlagendste die Ansicht Derer, welche meinen, der Kaiser babe gegen die ungarische Hauptstadt eine besondere Abneigung, gleichviel ob vorder eine solche Abneigung verbanden gewesen ist, wie man auS der mehr als halb>ährigen Abwesenheit dcS Monarchen von der ungarischen Hauptstadt schließen konnte. Thatsacbc ist es ja, daß der Kaiser so lange wie diesmal sich von Pest noch nicht fern gehalten hat; auS welchen Motiven dies geschehen, das zu ergründen wird kaum möglich sein, ist auch im Grunde jetzt, wo eS seststeht, daß der Kaiser wieder bestimmt seiner ungarischen Residenz einen Besuch abstatten will, ganz gleichgiltig. Genug, daß die ungarische» Blätter und gleichermaßen die österreichische» mit großer Befriedigung die Thatsache der devorstebendcn Rückkehr des Kaisers nach Pest als eine freudig zu be grüßende bezeichnen. So schreibt u. A. die Wiener „Neue Freie Presse": Diese Reise ist ein erfreuliches Ercigniß. Erfreulich für das ungarische Volk, daS nach längerer Trennung seinen König wieder in seiner Mitte begrüßen wird; noch erfreulicher für daS Ministerium, welche- in der Lage ist, den offenen »nd versteckten Vorwürfen, die eS im Parlamente und außerhalb desselben schon zu hören bekam, mit dem Hinweise aus das königlicheHoslager in Ofen zu begegnen; am erfreulichsten sür die Monarchie, aus welcher der mit der Abwesenheit des Kaiser- getriebene Mißbrauch wie ein Alpdruck lastete. Nichts Schlimmeres könnte» dieser Monarchie ihre Feinte antbnn, als wenn eS ihnen gelänge, eine Trübung de- Verhältnisses zwischen Fürst und Volk berbeizusübren, gleichviel in welchem der beiden Staaten de« Reiches diese- unglückselige Ercigniß einträte. Die stärkste Klammer, welche die beiden Staaten zusammenhält, ist und bleibt die Dynastie, und eine Lockerung derselben wäre ein gleich schweres Unglück sür beide Tbcile. auf welcher Seite immer sie statlsände. Man möge daran den Patriotismus der Kreise ermeffen, aus welche daS Märchen von der Verstimmung des Monarchen gegen Ungarn zurückzusührcn ist. Es gicbt im Grunde allerdings nichts Widersinnigeres alS diese Fabel. Ader wenn eS nur einmal gelungen ist, die Parteileidenschast zu wecken und daS Mißtrauen rege zu machen, dann sind die Geister solchen Erwägungen unzugänglich, und da die Kreise, auS denen die Gerüchte inS Volk getragen wurden, dem Hose nahestekcn und über dessen Stimmung als unterrichtet gellen, so batte trotzdem das unsichtbare Netz, daS deni Ministerium über den Kopf geworfen wurde, gefährlich werden können, wen» nicht der Kaiser selbst eS zerrissen hätte. Die ganze öster reichisch-ungarische Monarchie ist ihm dafür zu erneutem Danke verpflichtet. Der holländische Kriegsminister hat das lange angrkvndigte Militairgesitz vorgelegt. Durch das neue G«ey wirb die persönliche Dienstpflicht eingesübrt und die bisherige übliche Stellvertretung aufgehoben. Diese Bestim mungen gelten für da» stehende Heer, die Miliz und den Landsturm. Die Wehrpflicht in der Armee beträgt neun Jahre, wovon die letzten drei in der Reserve zu dienen sind. Die höchste Zahl des jährlichen ContmgentS beträgt >1500 Mann. Die Mannschaft wird zu Anfang 12—18 Monate unter der Fahne gehalten und muß sür die nächsten sechs Jahre jährlich auf 7.8 Tage zur Waffenübung ein- berufen werden. Der Dienst in der Miliz soll durch ein eigene- Gesetz geregelt werden. Die Verehelichung der Soldaten soll künftighin ohne die bisher nolhwendige Erlaubniß der Vorgesetzten Behörde gestattet sein. Kriegs minister Scyffardt nennt dieses Gesetz ein bürgerliches Militairgcsey, doch sollen die Aussichten aus Annahme der Vorlage nicht die besten sein. In Paris ist in diesen Tagen ein Brief bekannt ge worden, der seine interessante Vorgeschichte bat und den der russische Botschafter Herr von Mobrenheim an den Bürgermeister von Brest gerichtet hat. Der bcmerkenSwerthe Brief lautet in kurzer Wiedergabe wie folgt: „Während der Anwesenheit dcS russischen Kreuzer- „Mi»!n" auf der Rhede von Brest im Frühjahr I89l haben die Schüler des dortigen Gymnasiums dem Capitain dcS kaiserlichen Schiffes eine Bronzestatuctte, einen französischen Soldaten darstellend, sür Seine kaiserliche Hoheit den Großfürsten-Thronfolger übergeben. Zn Folge seiner vielen Reisen ist dem Zare witsch die Statuette erst jetzt zugegangcn Ich bin beauftragt, den Brester Gymnasiasten den Tank Seiner kaiser lichen Hoheit zu übermitteln, gez. Baron Mohrenhcim." Die Sache verhält sich nun aber doch ein wenig ander«. Die Statuette ist allerdings im Frübjahr 1891 dem Capitain teS „Minin" von einer Abordnung der Brester Schüler über gebe»; der Capitain wird sie auch wohl weiter befördert haben; aber an den Zarewitsch ist daS Ding zunächst nickt gekommen; es hatte, wie das ja im alten Rußland und im neuen Frankreich Vorkommen soll, unterwegs einen Liebhaber gefunden. Drei, sechs, neun Monate, ein Jahr warteten die Brester Gymnasiasten geduldig auf Antwort. Als aber eine solche überhaupt nicht eintraf, fragte man an. erst ganz bescheiden, dann energischer Eine von der russischen und französischen Polizei eingelciiete Parallelunlcrsuchung ergab nun, daß die Statuette in Pari- wieder verkauft worden war Bon wem? Man Kälte eS wohl ersabren können, aber man bat vorgezoge», die Sache mit dem Mantel der christlichen Liebe zu bedecken, bat die Figur von dem Trödler, der sic inzwischen erworben, rurückgokaust, bat sie. diesmal auf sicherem Wege, dem Grotz- sürsten-Thronsolacr wirklich rugestcllt, und so ist denn nach mehr alS zwei Jahren den Gebern nach langem Harren de, kaiserliche Dank geworden. Natürlich behaupten jetzt die Russen, die Unterschlagung habe seiner Zeit in Frankreich stattgcsiindcn. wäbrend sich die Franzosen nicht nehmen lassen wollen, daß der Dieb in Rußland, wenigstens unter den Russen zu suchen sei. DaS „irische Abenteuer", wie von den Gegnern der GladstoneschenHomerule-Polirik die aufEmancipirungIrlands abzic'.endeu Bestrebungen de- leitenden englischen Staats mannes genannt werden, fängt an, den Leuten in ganz be denklicher Weise die Köpfe zu verwirren. Wenn auch der a»S London signalisirlc Mordversuch gegen Gladstone keinen sonderlich bedrohlichen Charakter gehabt haben mag, so zeigt er doch, daß die Aufregung, in welche weite patriotische Kreiie der englischen Bevölkerung durch den Ausblick aus den mit Homerule ankcbendenZcrsctzungSproceß de« Reiches geratben sind, durchaus keine künstlich gemachte ist. Erregungen der Volks seele, welche so tief geben, daß Einzelne darüber ihr intellec- tuelleS Gleichgewicht einbüßen, zeigen jedenfalls, daß ein Lebensinteresse in Mitleidenschaft gezogen ist und oerhängniß- vollc Auseinandersetzungen im Abzüge begriffen sind. DaS Mißvergnügen wegen der irischcp Politik Gladstonc'S wird noch erheblich verstärkt durch die Untrrbilanz dcS Budget- und die Absicht der Regierung, den Aeblbetraz einzig aus die Schultern der EiukommcnsteucrzaHler abzuwälzen. Man siebt vorher, daß, wenn die Homcrulc-Bill jemals Gesetzeskraft erlangen sollte, dann die Einnahmen dcS Lande- noch ganz andere Fehlbeträge ausweisen werden alS jetzt, wo Homcrulc bloS wie eine dräuende Wetter wolke am Himmel der englischen Politik hängt. Mil dem Budgetausweise hat sich die jetzige Regierung auch bei ihren Anhängern vielfach geschadet, indem dieselben, welche bisher die Warnungen der Conservativen sür tenlenziöS übertriebe» ansaben und ihnen daher keine ernstere Beachtung schenkten, jetzt stutzig geworden sind und anfangen, Homcrulc auch unter einem anderen Gesichtswinkel zu betrachten als dem der Gladstone'schen VcrsöhnungStbcorie. Eine sür die Aussichten HomerulcS bedcuklicbe Neigung, da die wirtbschastlichen Folgen der Emancipirung Irlands am schärfsten und unmittelbarsten daS englische Erwerbsleben bedrohen. Deutsche- Reich. H Berlin, 28. April. Am .8. Mai findet in Dortmund eine besonder« interessante Ersatzwahl zum Reichstag statt: an Stelle dcS bisherigen Vertreter-, Möller, der sei» Mandat in Folge eines die Ungilligkeit auSsprcchenden Be schlusses der WablprüsungScoinmission niedergclcgt hatte, jetzt aber wieder als »alionalliberalcr Candidat austritt. Die Wabl kann i» hervorragendem Maße als eine Probe auf die gegenwär- tigc Volköslimmulig betrachtet werden und wird vielleicht manchen Feuilleton. Lady Sibylle. Roman von C. Schroeder. stachdriKk »krtoten. 6> (Fortsetzung.) Sie batte mit einiger Hast gesprochen Jetzt biß sie sich auf die Lippen und ein blasses Rotb stieg ihr in die Wangen. „ES könnte nun aber sein —", begann Robert und stockte. „Wie meinst Du?" fragte sie ungeduldig. „Verzeih', Sibylle, es konnte allenfalls sein, daß er sich unbehaglich fühlte bei Euch." „Sei ohne Sorge", lachte sie, „an Comfort soll eS ihm nicht scblen!" „Du mißverstehst mich. Ich meine, er ist ein freies, ungebundenes Leben gewobnt und bei Euch geht eS steif her, die Etiquettc hat das große Wort." „Ja, mein lieber Robert", erwiderte sie in merklich kühlerem Tone, ändern können wir u»S ibin zu Gefallen den beute aus morgen leider nicht — will er kommen, so muß er mit uns vorliebnchmen, wie wir nun einmal sind." „Tu begreifst, Sibylle, daß ich ihn nicht gerne zu seiner Oual hier gescffclt haben möchte." „Zu seiner Qual? Um Gotteswillen nickt", machte sie den Kops sehr hoch hebend. „Betrachten wir die Sache als erledigt!" „Nein, nein — noch nicht als erledigt! Ich werde ihn einen kleinen Einblick in die Verhältnisse tbun lassen und scheu —" „Ob er sich nicht ahschrecken läßt?" vollendete Sibylle in sröltischem Tone. „Thue da», lieber Freund. Ich fahre mittlerweile nack Hause — e» ist nachgerade die höchste Zeit geworden — schicke Dir von dort auS den Wagen zurück und gebe dem Groom eine formelle Einladung an Herrn Waldstedt mit. Er kann dann damit machen, was er will." „Einen Augenblick, Sibylle!" ries er, als sie die Peitsche heben wollte. „Wen erwartet Ibr morgen?" „Den Herzog von Bangor und seine Mutter — Lord und Lady Ellington — Mr. und MrS. Treherne —" „Lauter in Ehren ergraute Häupter!" „Der Herzog ist in meinem Alter." „Ich rede von den Damen." „Ah so! Da hätten wir noch Miß Treherne —" „Na, wenn die nicht vierzig Jahre auf dem Rücken hat —" „MrS. Sehmour —" „WaS? Die schöne — die berühmte —die neueste Passion eines gewissen Prinzen?" „Leider. Sie ist scbr gegen meinen Wunsch auf die Liste der Einzuladcnden gekommen!" „Aber Sibylle, eS trifft sich ja herrlich! Sic ist die Frau, ibm die Zeit zu vertreiben!" „Herrn Waldstedt? Ich glaube gar!" „Gewiß — gewiß! Rotbgoldene Haare, Nixenaugen, blendende Toiletten — Du ahnst nicht, wie empfänglich er für dergleichen ist! Ich gehe sofort hin» entwerfe ihm eine glühende Schilderung und —" „Allerliebst! Der Zweck heiligt die Mittel. Wenn nur der gnädige Herr sich bei uns nickt langweilt! Ob er von den Frauen, die er so wie so schon verachtet, noch ein bischen schlechter denken lernt, daraus kommt nicht- an! Doch WaS kümmert'- mich? Thu, WaS Du nicht lassen kannst. Ich muß jetzt fort!" Sie schüttelte die Zügel und der Pony setzte sich in Be wegung. „Du bist mir doch nicht böse. Sibylle?" rief Robert von ihrem Tone mehr noch als von ihren Worten betroffen. „Wie sollte ick?" spottete sie, ohne sich zurückzuwenden. „Es ist ja so natürlich, daß man nn heiligen Eiser für da» Wohl seine» tbeuerstcn Freunde» mit gleichgiltigeren Sterb lichen zuweilen ein klein bischen tactloS verfahrt!" „Sibylle?' „Lebe wohl!" Ein Peitschenschlag brachte den Pont, in Trab. Der Wagen rollte aus dem Thorr auf die Straße. 6. Capitel. Sibylle batte eine Falte zwischen den Brauen, aber ihr Mund lächelte. „Jetzt steht er da und zerbricht sich den Kopf, worin seine Taktlosigkeit bestanden haben mag, der tbörickte Mensch", dachte sie bei sich. „Ich meine doch, mein Herr Robert, daß man sich sür eine Einladung höflich bedankt, statt daran herumzumäkeln — und ich meine dock auch, daß unsereins selber noch kein in Ehren ergraute« Haupt ist und einiger maßen ein Reckt hat, unter den jungen Damen mitgezablt zu werden. Freilich — eine junge Dame, die Deinem Zwecke entspräche, wären wir darum doch nicht, ras sehen wir bc- scheidcntlich ein! Rotbgoldene Haare und "Nixenaugen habe» wir nicht ausznweiscn, und einem gelangweilten Pascha die Zeit zu vertreiben — dafür halten wir uns denn doch ein biSchcn zu gut!" Jetzt lächelte ihr Mund nicht mehr, jetzt verzog er sich verächtlich. „Eine stehende Flirtcttion zwischen den Beiten —", murmelte sie, den Pony, der wieder in Schritt geratken war, u erneutem Eifer anspornend — „daS wird erbaulich werken ür die Zuschauer! Ich wollte — ich wollte fast, ich hätte ihn nickt eingeladen!" „Wer weiß?" fuhr sie nach einer Weile fort. „Vielleicht kommt er nickt, und wenn er kommt — bah! lassen wir de» Punct ruhen!" Allein eS schien, sie konnte ibn nicht ruben lassen. Sie ertappte sich im Wcitcrfabren ein paar Mal dabei, daß sie vor sich bin flüsterte: „Schade! Ein solcher Mann!" Es war ihr so ärgerlich, wie lächerlich, aber sie mußte diese ganz und gar nicht unwichtige Sache nun einmal wichtig nehmen. Sie brachte eS nicht fertig, ihre Gedanken davon loSzureißen, bi» sie sich, trotzig da« Haupt bebend, versichert batte: „Ich glaube eS nicht von ihm " Als sie im Geiste so weit war, batte der Pony den Fuß de» Hügels erreicht. Auf ebener Straße ging eS nun geradeaus und nach wenigen Minuten tauchte zur Rechten, inmitten dunkler Ulmen und hinter einem spiegelnden Trick, Uber welchen Sckwänc zogen, rin weitläufige-, malerische» Gebäude im sogenannten clisabethischen Baustile aus. Die- war ScvcnelmS, der Wohnsitz, den der gegenwärtige Graf KarS- brooke dem weit größeren Stammschloß seines Geschlecht», KarSbrooke Court, vorzog. Hier — in KarSbrooke Court — waltete auf seine» Wunsch, noch wie während seiner Minderjährigkeit, die Willwe seine» GroßobeimS. Dieser — Alzcruon, Gras von KarSbrooke — halte ini sechzigsten Lebensjahre erst ein jugendliches Fräulein auS einem verarmten herzoglichen Hause yeimgcsührt und dann noch volle fünsunddreißig Iabre gewartet, bevor er den Schauplatz dieser Welt verlasse». Sein einziger Sobn, Sibylle » Vaw>, war ibm, ohne männliche Erben zu kinterlasseu, nach kurzem Zeitraum in den Tod gefolgt und Titel und Würden batten sich aus seine» Großneffen, Reginald KarSbrooke, vererbt. Dieser war somit als Knabe von sechs Jahren Peer dcS Reicks, Gras von KarSbrooke und Herr einer Reihe stolzer Besitzlbümer geworden. Während er in Cton und Oxford standesgemäß erzogen ward, vermehrte weise Verwaltung sein Gut dergestalt, daß er, als er endlich seine Volljährigkeit er reichte, alS einer der reichsten Großgrundbesitzer England- betrachtet werden konnte. Er dankte c» dem Schicksal nickt sonderlich. Der zcbntc Tbeil seine» Geldes und Gute» hätte ib» auch besriekigt, hätte ihn vielleicht glücklicher gemacht. Er war ein Manu von engem Geist »nd engem Gewissen, ein Mann, der sich bewußt war, daß sein Rang, sein Name und vollend- sein Ncichtbum ibm eine überwältigende Verantwortlichkeit auf die Schultern legte». Ob er dieser Verantwortlichkeit auch nach allen Seilen hin gerecht werde, war der Gedanke, der ibn stündlich quälte und ibn zu keinem reckte» Lebensgenuß kommen ließ. Es genügte ibm nickt, daß er daS Ganze leitete, er mußte auch ui jeden geringfügigste» Theil des Ganzen einen genauen Einblick babcn. Daneben batte er dann noch daS Amt eine- Friedensrichter- auSzuübe», mußte er den Ansprüchen gerecht werden, die die Grafschaft an ibn machte, durste er niemals aus seinem Sitz im Oberhause schien, wen» c» in einer wichtige» Sacke abzustimmen galt. Solcher Pflichteifer gewann ibm die Achtung der Ehren- »ränncr und den Spott, wokl auch die Feindschaft, der Leicht lebigeren unter seinen StandcSgenossc». dencu er durch sein Beispiel allzusehr den Spiegel oorkiclt. ES gab ja so Manchen
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