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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.05.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-05-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930501021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893050102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893050102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-05
- Tag1893-05-01
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In einem höchst bcmerkenswcrthen Artikel entwickelt das genannte Blatt nochmals die Gründe, aus denen da- Eentrum gegen die Vorlage stimmen müsse, spricht ferner die Ueberzcugung auS, daß Graf Caprivi nach dem Zusammentritte des neuen Reichstags seinen Platz einem Nachfolger werde räumen müsse», und theilt endlich mit großer Offenheit daS Motiv mit, auS de», der oppo sitionelle Tbeil des CentrumS sich nicht bemüht, diesen Rück tritt zu verhüten. Es beißt nämlich in dem Artikel: „Wenn wir nach Zujaininentritt deS neuen Reichstages den Reichskanzler, was wir für wahrscheinlich ballen, aus seinem Amte scheiden jeden, so würde ihm unserseits nur das Be- dauern folgen, daß er den Zeitpunct für seinen Rücktritt nicht günstiger für sich gewählt hat. Wir wollen zugeben, dost die Meinung einen groben Arad von Wahrscheinlichkeit hat, nach der wir einen Kanzler von der Hoden persönliche» Ehren- Hastigkeit deS Grafen Caprivi wohl nicht wieder bekommen. Trotz dem aber würden wir nicht mehr in der Lage sein, wegen der moralischen Eigenschastcn desselben feinen Rücktritt vom Amte zu bedauern. Ein Reichskanzler, der das Schulgesetz fallen läßt und di» Militair-Borlage aufrecht erhalt, steht nicht auf der Höhe unserer socialpolitischen Situation." Offenherziger kann man kaum sein. Das Eentrum schachert nicht; Gott behüte! Aber e- betrachtet doch die verschiedensten Dinge im Zusammenhänge und läßt bei der Militairvorlage einen Reichskanzler fallen, weil dieser daS Schulgesetz bat fallen lassen. Hätte er dies nicht gelhan, so würde auch seine Militairvorlage mit anderen Augen angesehen worden sein. Natürlich richtet sich diese offenherzige Erklärung nicht an den Grafen Caprivi, sondern an eine höhere Stelle, der man zu verstehen gebe» will, unter welchen Be dingungen ein neuer Reichskanzler der Unterstützung deS ganzen CentrumS oder wenigstens eine- genügenden Lbeile« dessclben bei einer neuen Militairvorlage sicher sein würde. Darauf, daß der Kaiser selbst es gewesen ist, der daS Schul gesetz zum Verschwinden brachte, scheint die „Köln. Volksztg." kein Gewicht mehr zu legen. Es fragt sich nun, ob die Gruppe Huene, die dem jetzigen Reichskanzler trotz deS FallcnlassenS Lei Schulgesetzes ein dankbare- Gemüth zutraut und ihn deshalb u halten versucht, stark genug ist, um eine knappe Mehrheit ür die nickt sehr wesentlich abgeänterle Militairvorlage zu Stande zu bringen, oder ob die ultramontanen Caprivi- ftürzler den Fall dieser Vorlage, dem nach den Neuwablen auch der Sturz deS Grasen Caprivi wahrscheinlich folgen würde, herbeizuffihren vermögen. Daß sowohl demjenigen Theile des CentrumS, der den Kanzler zu halten sucht, weil er an seine Dankbarkeit glaubt, wie dem anderen Theile, der nur von einem neuen Kanzler die Erfüllung der klerikalen Wünsche erwartet, der Kamm bedcutendgeschwollen ist, daran tragen, wie schon wiederholt her- vorgehobenwnrde,dic halben amtlichenRichtigstellungenderultra- montanen Berichte über die Borgängeim Val ican einen wesent lichen Schuldantheil. An diesem Unheil wird nicht das Geringste geändert durch den Umstand, daß der Telegraph die letzte dieser Richtigstellungen entstellt wiedergcgeben bat. Cie lautet nicht: die Form, in welcher die „Köln. BolkSztg." eine an den Cardinal LedocbowSki gerichtete Frage deS Kaiser- wiedergebe, sei vollständig unwahr, sondern: „Die Form, welche die „Kölnische Bolkszeilung" einer an den Cardinal Grasen Ledochowski gerichteten huldreichen Aeuste- rung Seiner Majestät des Kaiser« giebt, ist vollständig erfunden." Die Richtigstellung bezieht sich also nicht auf die Mittheilung der „Köln.BolkSztg", der Kaiser habe dem Cardinal gefragt: „Nicht wahr, alle? Geschehene ist vergessen?", sondern auf dir andere Meldung deS rheinischen CcntriiinSblattes, der Kaiser habe an den Cardinal die Worte gerichtet: „Eminenz weiden gebeten, die Bergangenbeit zu vergessen." Dadurch, daß der „Nrick'Sanzeigrr" nur die „Form" dieser an geblichen Aeußerung als vollständig erfunden bezeichnet, giebt er dem klerikalen Platte und seinen Anhängern daö Recht zu der Annahme, der Inhalt der Ansprache sei vollständig correct wirdcrgegeben. Uud von dieser Annahme zu der ankeren, eS stehe ein Umschwung in der preußischen Kirche» Politik bevor, ist mir ein kleiner Schritt. Daß die „Köln. BoltSztg." diesen Schritt vollzogen bat, lehrt ihre Absage an den Grasen Caprivi und ihre Hoffnung ans einen besseren Nachfolger. In den Londoner Blättern findet man einen Beitrag zur parlamentarischen Redestalistik, der deS pikanten Interesses nickt entbehrt, nämlich einen „Record" der oratorisckcn Kämpfe, wclcke daS Home os Commons in der zweiten Lesung der iriscken Vorlage auögesockten bat. Wenn man die Pausen abreckiiet, so wurde vom 6. bis 21. April volle 8l Stunde» »nd 21 Minuten über Home-Rule geredet. Nicht weniger als 96 Abgeordnete haben fick an diesem Redelurnicr be- tdeiligt, 45 dafür, 51 dagegen. Gladstone sprack zum Anfang der Debatte anderthalb Stunden, vor der Ab stimmung siebzig Minuten. DaS zweifelhafte Verdienst der längste» Home Rute-Rede gcbübrt dem Anti-Parnellilcn Scxlon: dritthalb Stunden, daS unzweifelhafte der kürzesten seinem Gesinnungsgenossen Swift Mac Neill: zwölf Minuten. Was wird nun erst noch über diesen selben Gegenstand im Coniits geredet werden, welches allerdings kaum vor dem 4. Mai dir Einzelberatbungen beginnen dürste! ES mag nicht ohne In teresse sein, auf den Geschäftsgang dieses BerathungSsladiumS in Kürze binzuwcisen. Nacktem daS ganze Hau-sich als AuS- sckuß versammelt bat, verläßt der Speaker seinen Sitz, um seinen Stab unter den Tisck deS Hauses zu legen. Der Ob mann deS Budgct-Au-schuffeS übernimmt dann gewöhnlich seine Stelle, indeß kann auch ein Vorsitzender gewählt werden, da im großen Ganzen bei den AuSscknßberatbungcn derselbe Ge schäftsgang vorwaltet, wie bei de» sonstigenSitzungen deS Hauseö. Der Ausschuß darf nach der Geschäftsordnung eigentlich nur über den ihm zugewiesenen Gegenstand brratben; zur Berathung über einen andern Gegenstand wird er vom Hause durch eine sogenannte „Instruction" ermäcktigt. Anträge in diesem Sinne sollen immer noch vor der ComitS-Bcrwanblung deS Hauses gestellt werden. Es kann also durch Debatten über IiistructionS-Anträge die Verwandlung des Hauses in daS Comits binauSgeschoben werden. Gegenwärtig liegen nun deni Hause so viele InstructionS Anträge vor, daß die Oppo sition hofft, Gladstone werde seine Home-Nule-Bill erst nach Pfingsten vor daS ComilS bringen können. Und vermulhlich wird dies auch so sein. Das Verhalten der radicalcn Stortbingmcbrheit in Cbristiania, welches eine sckwere Krisis für die skandinavisckcn Länder hc>ausbeschworen bat, ist der Anlaß zu einer mächtigen Bewegung geworden, die in einem von zahlreichen sckwcdischen angrsebcnen Persönlichkeiten Unter zeichneten Aufruf an daS schwedische Volk bezeichnenden Ausdruck gefunden hat. In dieser Kundgebung werden alle Schweden, denen das Wohl und die Ebre deS Vaterlandes am Herzen liegen, aufgrfordert, einen Bund zu bilden, welcker die Regierung in dem bevorstehenden Kampfe gegen die norwegischen Uebergriffe mit allen möglicken Mitteln unter stützen soll. Die Hoffnung, daß eS dock nvck mit verfassungS- mägigen Mitteln gelingen könnte, die norwegische Krise zu lösen, soll auck» in den unionSfreundlickcn Kreisen Norwegens sckwindcn. ES gewinnt vielmehr die Ansicht immer mehr An hänger, daß nur die Aufhebung der Verfassung einen blutigen Conslict zwiscke» den beiden UnionSstaaten Verbinder» könne. Ein außerordentliche- Interesse bekundet vie schwedische Bevölkerung seit geraumer Zeit für die Vermehrung der schwedischen Strcilkräste zu Land und zur See. Zu nickt geringem Tbeile war eS auf die Wirkung dieser allgemeinen Sliininung zuriick- zusühren, daß der gegen Ende vorigen Jahres zu einer außer ordentlichen Session cinberusene Reichstag das neue Hecr- ordnunzSproject der Regierung mit großer Mehrheit anuabni, so daß Schweden nackVerlauf einiger Jahre im Staude sei» wird, 150000 Mann zu mobilisircn. Gegenwärtig sind die Äiistrenglingen der schwedischen Regierung darauf geruckte!, auck ein Prv)cct für die Reorganisation der Marine turckzusctzen. und eS ist möglich, daß im Herbst dieses Iahrcö abermals eine außerordentliche Session bcbusS Beratbung Vieles Pro jektes stattfindc» wird. Diesem Plane zufolge soll die Marine so schnell wie möglich mit l5 Panzerboote», 50 Torpedoboote» und 6 Avisodampfcr» auSgcsiatlck werde». Die uötbige» Mittel wären durch eine Anleihe z» beschaffen, welche iiiuer- balb 70 Iabren getilgt werken soll. — Für die Theilnahuie der Bevölkerung an diese» Angelegenheiten ist cö bezeichnend, daß daS schwedische Volt sich soeben freiwillig eine sogenannte „Ent Vehr»» gs wo che" auserlegl hat, in welcher aus die Befriedigung verschiedener Bedürfnisse verzichtet wird, um die ans diese Weise erzielten Ersparnisse einem Fonds für mili- tairffckc Zwecke zuzufübren. Man glaubt, das Eigcbniß der „EnlbcbruiigSwoche" werde binrnche», um die stoslen für die Anschaffung eines PanzerbootcS zu decken. Tic löuigliche Familie ist in der Ausführung dieses Gedankens mit ihrem Beispiele vorauSgegangcn. Ossiciöse Berichte auS St. Petersburg coiistatircn, baß der Be such, mit dem Kaiser Franz Joseph den russischen Minister tcöAclißeren Herrn von GicrS bccbrte, in St.Peters burg überall eine» ausgezeichneten Eindruck hervorgerusen hat. Wenn man — so beißt eS in einem Petersburger Briese der „Polit. Eorr." — sich auch in der öffentlichen Meinung, sowie in den amtlichen Kreisen darüber im Klaren ist, daß dieser ausgezeichncicHösiichkelisactdcS verehrungSwürdigcnMonarchc» auf irgend einen besonderen politischen Zweck durchaus nickt abgezielt hat, so empfinde man doch, day dieser Vorgang ein unbestreitbares Zeugniß tcr zwischen Rußland und Oesterreich- Ungarn bestehenden guten Beziehungen bilde und folgerichtig als eine neue Bürgschaft für die Ausrechierbatlunz deS Frieden- auf- zusassen sei. Man begrüße in der russischen Hauptstadt namentlich den Umstand mit hoher Befriedigung, raß dieses Ereizniß gerade im gegenwärtigen Augenblicke ciiigelreten ist, nämlich so bald nach dem Empfange des bulgarische» Ministerpräsitenle», Herrn Slambulow, durch den Kaiser, welche Tbatsachc in der russischen Presse vielfach zu ungünstigen Auslegungen über die Richtung der österreichisch-ungarischen Politik Anlaß ge geben batte. Der Besuch deS Kaisers Franz Josef bei Herrn v. GicrS sei somit in einem überaus günstige» Zcilpuncte erfolgt, indem durch denselben jenen Interpretationen cntgegen- gewirkt werde. Dieses Ereigniß werde wohl auck die weitere Folge haben, baß die öffentliche Meinung in Rußland für den Fall, als in der nächsten Zeit in Bulgarien ausfällige Kundgebungen erfolgen sollten, dieselben nicht mit der Politik Oesterreich-Ungarns in dirccten Zusammenhang bringen werbe, wie dies wahrscheinlich sonst geschehe» wäre. Die radicalcn Kreise in Serbien scheinen nach allen au- Belgrad vorliegenden Nachrichten wirklich die Absicht zu haben, Vie früheren liberalen Minister auf die An klagebank zu bringe». DieS deutet »liier Anderem ein Artikel in einer der letzten Nummern des „Odjek" au, worin eS alS eine heilige Pflicht der Männer des neuen Regimes bezeichnet wird, alle Jene, die an den Versassungs- unk Gc- sctzeSoerletzungen in den letzten acht Monate» während rer jiberalen Acra tkeilgenommcn haben, der verdienten Strafe zuzusübren. DieS fordere, meint daö radikale Partei-Organ, nickt nur die Gerechtigkeit, sondern auch die öffentliche Moral, und nur so sei die erfchülterle Autorität der Verfassung und der Gesetze wieder herzustcllen. Nachdem die Liberalen die Negierung verloren, büßen sic auch das Uebergcwichl in de» Gemeinden ein. Auch die Belgrader Gcuiciiidevcrwalluiig ist bereit- den Händen der Liberalen entschlüpft. Bekanntlich war eS einer der ersten Acte de-Ministerium» Avakumovitsch, die rakicale Belgrader Gemeindevertretung zu entfernen und eine liberale an deren Stelle zu setzen. Ter StaatSratb, der damals unter dem Präsidium de» fetzigen Ministerpräsidenten Dr. Dotiisch stand, erklärte diese Acte alS ungesetzlich für nichtig und ocrsügte die Wiedereinsetzung der raticalen Gcmeindc- Bcamtcii. Aber Herr Ribaräc kümmerte sich um die StaatS- ralbsbeschlüsse »ick't im Mindesten und ließ sic einfach unaus geführt, obwohl kie serbische Verfassung ausdrücklich vor- schrcibt, daß die Entscheidungen de- StaatSratheS in Gemeinde- fachen keiner weiteren Ueberprüsung unterliegen und sofort auszusühren sind. Es war vorauszusebcn, daß daS Ministerium Dokitsck die Slaatsratbsbeschlüsse betreffs der Wiedereinsetzung tcr gesetzniäßigcii Gemeindeverwaltung in Belgrad unvrrweilt zur Ausführung bringen wird. Deutsches Reich. * Leipzig, l. Mai. Der Münchener „Allg. Ztg." wird geschrieben: „In juristischen Kreisen wird eS vielfach bemerkt, dag das RcickSgericht in kurzer Zeit die Urkkcile zweier rheinischen Strafkammern, welche sich aus Strafsachen bezogen, die weithin Aussehen bervorgerufen hatten, auf gehoben und andere Gerichte mil der Entscheidung beauftragt hat. DaS eine Unheil war da» der Strafkammer deS Land gerichtes Köln, welches in dem NackdruckSproeeß gegen die „Kölnische Zeitung" wegen der TenfelöauStreibung in Wcmding ergangen ist, daS ankere eine Entscheidung deS Land gerichtes Trier »i der Anklage gegen einen kathotifchen Geist lichen wegen Entführung. Wenn schon die Gründe, ans denen daS RcickSgericht die Entscheidung eines FalleS cincm ankern Gerichte alS dem an und für sick zuständigen zuweist, »ick't hekanut sind, so liegt eS doch aus der Hand, daß die- nur um deswillen geschickt, weil nach Ansicht deS obersten Gerichtshofes eine richtige thatsächliche und rechtliche Würdigung deS Sachverhaltes von dem Gerichte nicht zu erwarten ist, kessen Urthcil vernicklet wurde. DaS Reichs gericht macht von seiner Besugniß. eine Sache an eia andere» Gericht, als daS ursprünglich damit befaßte, zu verweisen, nur mit großer Mäßigung Gebrauch, und man kann die Fälle, in denen dies alljährlich geschickt, recht gut zählen. Um so bemerlcuSwerther erscheint die Verweisung der beiden erwähnten Sacken an andere Gerichte; man hat hierin eine starke Mißbilligung der- rechtlichen und thalsäcklicken Beurtheilung der betreffenden Straffällt in der Entscheidung der damit befaßt gewesenen Gerichte zu erblicken. Die Entscheidungen des Reichsgericht- ent sprechen nickt immer der Anschauung, die man in den übrigen juristischen Kreisen hegt: im Gegentheil, reckt oft widersprechen sie dieser; noch häufiger allerdings sieben sie mit der An schauung der nicktiuristischen Kreife in starkem Widerspruch. In den Heike» in Rete stclienken Slraffällen ist dies >edoch nickt der Fall, die Vernichtung der Urtbcilc der Strafkammern in Köln und Trier erregt vielmehr bei Juristen und Laien Befriedigung, und sie wird wohl dazu beitragen, daß äbniichc Sachen in Zukunft in dem Sinne beurtbeilt werden, welchen tcr oberste Gerichtshof allein als den dem geltenden Strafrecht entsprechenden anerkennt. ES würde gar nichts schaden, wenn da» RcickSgericht von seiner VcrweisniigS- besugniß neck häufiger Gebrauch wackle, da hierin die einzige Möglichkeit liegt, einem Gerichte die Unzufriedenheit mit der Entscheidung in einem bestimmten Falle auSzuspreckcn " 6. II. Berlin, .70. April. Heule bat die Maifeier be reits begonnen, um die ganze Wecke hindurch fortgesetzt zu werden. Das Wetter war prächtig; nach dem kurzen Ge witter am Vormittag, daS nnS etwas Regen brachte, war die Lust mild und warm. In Hellen Haufen sind die „Ge nossen" und „Genossinnen" hinauszcwanrert, die staubigen Chausseen entlang nach Reinickendorf, Weißensee u. s. w. Tie älteren Genossen halten nichts Demonstratives in ihrer Feuilletsn. Lady Sibylle. Roman von L. Schroeder. Nachdruck verboten. 7s (Fortsetzung.) Auch von KarSbrooke Court war da- Antlitz Maske. Es war dem Beschauer ganz unmöglich, zu enträtdscln, hinter welchen der rn endlos langer Reihe aufgezogenen, gewaltig bohcn Spiegclfenster sich die Staat--, die Wohn-, die Schlaf- gcmächer bargen, wo die Herrschaft und wo die Dienerschaft bansten. Trotz alledem war eS, wenn auch vielleicht kein schönes, dock nimmermehr ein häßliche- Gebäude. Es wußte daS Auge mit seiner allgemeinen Einförmigkeit zu versöhnen. Die mächtigen Seitenflügel wichen ein bischen zurück hinter dem Mittelbaue, der durch einen stattlichen SäulenporticuS auf der Höhe de» ersten Stockwerkes, zu dem recht- und links im Zickzack breite Steintreppen hinaussührten, den Blick fesselte. Tann zogen sich an der ganzen Dach- kante entlang in unregelmäßiger Linie Statuen, Vasen, Ornamente aller Art, und wie diese sich zeitgesckwärzt vom lichten Himmel, dir Säulen, Treppe» und Fenster sich ihrerseits wieder dunkel von der gelblichbraunen Stein masse de» Ganzen abboben, so gab di« Farbe dem Gebäude, was die Form ihm versagte — einen gewissen malerischen Reiz. Hierzu kam die Lage. Im Hintergründe sansl gewellte blaue Hügel, recht« und link« die Masten dunkler Bäume, vorne ein wie mit Blumenbeeten übersärter weiter Rasen platz, jenseits desselben der Park und ganz in der Ferne, im letzten Abenbroth erglühend, da« Meer. DaS Ponywägrlchen hielt vor dem Mittelbau. Bon der einen Seite kam ein Groom hrrbeigeeilt auS der großen Halle, unmittelbar unter dem säulengetragenea Haupteinzang, der nur bei feierlichen Gelegenheiten benutzt wurde, stürzten vier dienstbare Geister auf eiamal — äußerst stattliche Er scheinungen mit gepuderten Haaren, in blauer LivrSe, mit Kuiehosea und weißen Strümpfen zierlich angethan. Sibylle warf dem Groom di» Zügel zu und befahl ihm, zu warten, sprang dann ohne Hilfe zur Erde, wandte sick an einen der Diener mit der Frage: „Wo ist die Gräfin?" empfing die Antwort: „In der Gemäldegalerie, Mylady", und trat, die Falten ihres zerrissenen Kleides zusammciirassend, in die Halle. Es war dicS ein Raum von ungeheuerer Länge »nd Breite, dessen ziemlich niedrige Decke zwanzig Pfeiler stützten. An dem kühlgrauen Steine der Wände hingen alter- tbümliche Waffen und fremdartige Geweihe. Zu beiden Seiten der gewaltigen Kamine waren Rüstungen ausgestellt. Rechts und link- im Hintergründe wanden sich Treppen empor, deren Fuß Statuen schmückten Sibylle hatte die Halle rasch durcheilt, war Eine der Treppen hinaufgcstiegen, in einen langen, weißschimmernten Corridor gebogen, hatte links eine der vielen Thüren geöffnet und befand sich nun in einem Gemach, da-, gewaltig doch und lang, von vier Riesenfenstern erhellt, dock noch etwa« freundlich Einladendes behielt, etwas, daS fast an Gemüth- lickkeik streifte. Säulen von gelblicher Scagliola standen in Zwischenräumen und halfen den Blick über die Länge de« Raumes wegtäuschen. Leuchtende persische Teppiche bereckten den Fußboden. Die Nubebetten, Sessel und Stühle, die Vor hänge, die in schwerem Sammet an den Fenstern niederwalltcn, schimmerten in warmem Notb. Die Hügellandschaft, die von draußen hineinschaute, war augenersreulich, und die Gemälde an den Wänden, die dem Raume seinen Namen gaben, batten auch manche« Anziebende. Es war eine Madonna von Rafael darunter, mehrere Rubens und VelaSque; und ein paar wundervolle FamilienportraitS von Van Dyck. In einem der Marmorkamine, deren Simse wertbvollc Gegenstände in Emailmalerei trugen, flammte trotz deS warmen Abend- ein Feuer, und neben diesem Feuer, die knochigen Hände der Gluth cntgegenstreckend, saß die verwillwrtr Gräfin KarSbrooke. Diese kleine, alte Mumie von einer Dame in dem gleißen den, schwarzen BtlaSkleide, mit der kostbaren Spitzenkaube aus der braunen Pcrrücke, war vor etlichen fünfzig Iabren eine große Schönbrit gewesen. Sie batte Manchen betbört, war von dem Einzigen, den sie selber geliebt, ihrer Armulh wegen verschmäht worden, batte im Trotz und in der Ver zweiflung einen Mann, der ihr Großvater hätte sein können, mit vielem — vielem Geld geheirathek, war sehr unglückick eworden und, um sich an ihrem Schicksal zu rächen, sebr oShaft. Ihre Zunge war in der ganzen Grafschaft gefürchtet. Ihre Gäste kamen mit Zittern und Zagen und gingen mit einem „Gott sei Dank!", Laß sie die Feuerprobe Überstunden, aber eS siel Keinem ein, sorizubleiben. Sie war als Gräfin KarSbrooke und nahe Verwandte de- herzoglichen Hause- von Banger zu sebr der Mittelpunkt der vornehmen Gesellschaft. Sie war nebenbei auch zu reich Sie balle sich Hundertausende zusichcrn lasten bei ihrer Ver mählung und auS diesen Hundertiansenden, die lange Jahre unberührt gelegen, waren Millionen geworden. Von dem Rang aber, der mit solchen! Rcichthum verbunden ist, läßt man sich schon etwa- gefallen — besonders in England. Sibylle mußte sich wokl oder übel überzeugen, daß da- Parasitentkuin auch in der hohen Aristokratie seine Stätte batte. Man schmeichelte und schwanzwedeltc uni die Alte herum und wenn eS trotzten, ohne moralische Ohrfeigen nickt abging, so steckte man diese ein und rcrschafftc seiner Ebre Gcnuglkuung, indem man sich hinter ihrem Rücken Gcsckichtchen auS ihrer Vergangenheit erzählte, die ihre eheliche Treue nicht in das allerbeste Lickt setzten. Diese Geschickteste» mochten erlogen sein, Tbatsacke ist, daß ihre allen Auge» ausfallend gern nach hübschen Männern saben, d.ß sie in ihrer Dienerschast gar keine Häßlichen duldete. Sie protegirte die Kirche und gab den Zeitungen bin und wieder Gelegenheit, von großartigen Werke» christlicher Barmherzigkeit ;» reden, zu denen sie ibre milde Hane anf- getban batte. Wenn sie eS nickt mit einigem Prunk thun konnte, gab sie ungern Geld au». In der Familie galt sie alS geizig, war sie überhaupt unbeliebt. Lord KarSbrooke trat sie überall mit ihrer Herrschsucht in den Weg, den MainwaringS mit Sticheleien gegen ihre Armulh. Lady Miltred, Sibylles ältere Schwester, batte au- Liebe eine» Mann gebeiratbet, der seit zehn Jahren auf den Titel unk die Gluckszüter eines Oheims wartete, der trotz häufiger Gichtansälle ein Methusalem zu werden drohte. Nun mußte man sich sehr nach der Decke strecken, und diese Decke bestand, da Robert so gut wie gar kein Vermögen batte, au« den tausend Pfund Revenuen seiner Gattin. Mit tausend Pfund Revenüen aber den Ansprüchen der eigenen Familie und zu gleich denen der Gesellschaft, von welcher man sich nicht auS- schließen konnte und wollle, gereckt zu werden, war eine Auf gabe zum Verzweifeln. Die alte Gräfin wußte dicS und hatte ihre Freude daran. Sic war gegen die Heirath gewesen, und man hatte ihr zum Trotz gebeirathet. Nu» mochte man sehen, wie man fertig ward Tic Armulh war eine bittere Pille, kein Mensch wußte dies bester als sie, die in ihrer Jugend daran batte ersticke» wollen. Sibylle war die Einzige, die sich von ihr weder reizen, quälen, nock cinsistüchtcrii ließ. Sie zeigte ihr die schuldige Chrerbielnng im Benehmen, trug mit Geduld ihre Laune», sagte ihr aber, wenn das Gewissen sie trieb, mit Ruhe und Ernst ibre Meinung. Tann gab eS jedeSmal eine kleine Scene, in der die Gräfin sehr viele giftige Worte verlor und Sibylle stumm und mit über der Brust gefalteten Armen dasaß oder stand, »»d ihren endlichen Sieg abwarleie, renn der blieb niemals aus — niemals. Es war aller Welt zum Wunder, allein die alte TeSpotin, die keine Autorität anerkannte, fügte sich mitunter ganz zahm der bessere» Einsicht ihrer jungen Enkelin. Es glimmte eben noch ein Fünkchen für diese in ihrem anSgehrannten Herzen. Sie batte ja auch be schlosten, sic aus den Gipfel deS irdischen Glücke- zu heben, sie mil dem Enkel ihres verstorbenen Bruders, dem jungen Herzog von Bangor, zu vermählen Indem SibnÜc kie Tbiire hinter sich in daS Schloß zog, wankte die Gräfin den Kopf. „Sieb da!" warf sie in spöttisch schrillem Tone bin. „Schon beimgekebrt?" „Endlich keimgckebrt. Großmutter", nickte Sibylle und kam daher mit ihrem schwebenden, lautlosen Gang. „Tu scheinst noch sebr viel Zeit zu Deiner Verfügung zu haben oder — ha, ba! — wolllest Du mich heute beim Diner in dieser Toilette überraschen?" „Mir bleiben zum Ankleiden genau noch zwanzig Minuten, Großmutter, »nd eine Viertelstunde wird mir genügen. Ber eit,' einsiwestcn nur, daß ich mich in diesem Anszuge über- aupl zu präscntiren wage — ich habe nämlich in aller Eile eine Bitte an Dich." „Du — eine Bitte? DaS kommt nicht oft vor!" „Sie betrifft Robert. Ich habe versprochen, ihm au« einer Verlegenheit zu helfen." . Fortsetzung folgt.)
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