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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.05.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-05-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930506027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893050602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893050602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-05
- Tag1893-05-06
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Heute heißt eS wieder, i» der freisinnigen Partei sei die Heizung, zu einer Verständigung auf der (Grundlage des Antrags Huene die Hand zu bieten, unter einer ansehnlichen ZahlrcnMitgliedern wieder schärfer bervvrgetrelen und auchim lllen lrum habe die Anhängerschaft deSHcrriiv.Hucne sich noch clwaS verstärkt. Ein neues Moment scheint i» die Situation dadurch zu kommen, daß die, namentlich aus freisinnigen Kreisen als Vorbedingung des Eomproinisses erhobene Forde rung einer mehr gesicherten und kauernden geschlichen Festlegung der zweijährigen Dienstzeit, über den Huene'schcn Antrag hinaus, in den Vordergrund tritt. Dies könnte in der Richtung deS Bcnnigsen'schen Antrages geschehen, welcher die Präienzzabl unk den Bestand der neuen Formationen mit der zweijährige» Dienstzeit in Zusammen hang brachte, so daß die Ausrcchterkallung der crstcrcn auch das Fortbestehen der letztere» in sich schließt. Die Eonscrvativen sollen dieser Forderung widersprechen und cS ist fraglich, ob die Regierung darauf cingebl. Es scheint aber das einzige Mittel, in der freisinnigen Partei noch weitere Anhänger für ein Evinpromiß zu gewinnen. Es ist angenblicklich nnmöglich, sestzustellen, inwieweit diese Gerückte, die gestern Nachmittag im Reichstag umliefen, begründet sind. Man mutz sich darauf gefaßt machen, daß schon jetzt von diesen günstigeren Aus sichten nicht mehr die Rede ist. Die Abstimmungen werden erst am Montag erwartet: cö ist aber nicht ausgeschlossen, daß sie auch schon heute erfolgen kann. — AuS Berlin liegen unS folgende Berichte vor: 88 Berlin, 5. Mai. Auch die heutigen Verhandlungen i»i Plenum deö Reichstags Kaden die Lage nicht gctlärt nnd waren, wenn man von der von staatSmännischem Geiste und lauterer Vaterlandsliebe durchwehte» Rede tcS Aba. von Bennigsen absieht, unfruchtbar. De, Reichskanzler mußtesich von fast allen Redner» schwere Fehler vorrücken lasse», von Herrn v. Manteuffel seinen, auch unseres Erachtens unmotivirteii, blindwüthigen Angriff auf die Ecnservativcn und die agrarischen Bestrebungen vom 12. Dcccmber v. I.. Herr ».Bennigsen geißelte die ungeschickte Art der Vorbereitung nnd publicistischeii Empfehlung der Militairvorlagc, und Herr Lieber war bos haft genug, durch Anführung des vom Kanzler i» einem seiner unbewachten Momente in Bezug auf die Nationalliberalen und Freiconservativen gebrauchten Ausdrucks „Atheisten" die Erinne rung an daSEiiibriugen und Zurückziehcn der preußischen Schul- vorlage und damit bei allen Parteien wenig schmeichelhafte Bor- stellungen von der Tendenz und der Festigkeit des neuen Eurseö wachzurufen. Auch eine kritische An deutung über die Art, wie die Regierung sich zu den ver schiedenen Parteien zu stellen liebt, sowie ein cvmpaclcr Hinweis auf die Zahlenwuthrede deS Grafen Caprivi waren Uiiallnebmlichleiteii, die sich ein zielbewußtcr und kräftiger Staatsmann wobt kaum zugezogcn hätte. Im Uebrigen entwickelte der EentlnmSführer die zur Zeit so beliebte Theorie vom platonischen Patriotismus, besten wahres Wese» er auch allsoglcich beleuchtete. Es gelang ihm nicht, den Vorwurf zu entkräften, daß er in Afchaffcnburg den Fortbestand deS EenlrumS über den ausreichenden Schutz der deutschen Grenzen gesetzt habe. Sodann pries er die Verweigerung dieses Schutzes als „deutsche Politik", während die Forderung nach erhöhter Wehrkraft ein Ausfluß des „preußischen Militarismus" sei — eine Leistung, würdig des Herrn I)r. Sigl in München, der sich übrigens, ohne seinen Ruf zu gefährden, zur Autorschaft der ganze» Rede deS „Patrioten" Lieber bekennen dürste. Herr v. Ben nigsen war es, der, wie in der erste» Lesung der Militair- Vorlage, die Erörterung in eine höhere, reinere Sphäre hob. Nach de» schimpflichen Auftritten, zu deren Schauplatz man den deutschen Reichstag in den letzten Wochen herabgewürdigt hatte, war cS wie eine Entsühnung, als der große und erfahrene Patriot vor dem atbemloS lauschenden Hause ruhig, doch mit Wärme die große nationale Frage unter den nationalen Gesichtspunkt als den allein zulässigen ruckte und darlhat, daß das Schicksal der Militairvorlagc nicht »ur für die VertheidigungSfäkigkeit, sondern auch für die innere Entwickelung von einschneidender Wirkung sein werde. Den LinkSliberalen ward gezeigt, wie sie und ihre Vorgänger seit 1848 immer und gleichmäßig berechtigte Forderungen bis zu dem Augenblick vertraten, in dem die Erfüllung möglich wurde, und — wie jetzt bei der zweijährigen Dienstzeit — in den entscheidenden A»gc»blicken regelmäßig einen Vorwand fanden, sich der Durchführung ihres eigene» Programms zu widersetzcn. Auf mehr als einem Gesicht in den Reihe» der Dculsch- sreisinnigcn spiegelte sich Einverständniß wieder, als Herr von Bennigsen auf die übelen Folgen hinwies, die diese aus der Zeit der Kleinstaaterei überkommene kleinliche und unfruchtbare Politik für die freiheitliche Ent wickelung gehabt bat und auch künftig baden müsse. Tie nächsten Tage mögen bringe», was sic wollen, die eindringlichen Mahnungen dieses Redners werden nicht wirkungslos im Lande verhallen. Nach der Rede des Herrn v. Bennigsen wandte sich das Interesse des Hauses wieder mehr den Vor gängen hinter den Eoulissen zu. Man wußte im Voraus, wa« die folgenden Redner erklären würden. Nur der Letzte, der Elsässer Wlntercr, wurde mit Spannung angcbört; eine unzweidculige Erklärung über seine und seiner Landsleute Stellungi'akme blieb jedoch aus. Die Spannung war um so erklärlicher, als die Lage heute wieder etwas weniger pessimistisch angesehen werden darf. Es ist nach den Ereignissen der letzten Tage schon nicht wenig, wenn man scststellen kann, daß die Fäden, die von den Freunden einer Verständigung angeknüpf't waren, weder nach rechts, noch nach links abgerissen sind. Einige Een trumsmi lg lieber sind zu den Freunden des Herrn o. Huene hinzligekommen, manche Gegner dürften ab- gercist sein, und, was die Hauptsache ist, von einer aus reichenden Anzahl deutschsreisinnigcr Abgeordneten wird ernstlich die Frage erwogen, ob sich nicht aus der Grundlage der gesetzlichen Festlegung der zweijährigen Dienstzeit cm Einoerstälitiliß erziele» ließe. Es gilt für möglich, daß bereits morgen — die Berathung wird sich wahrschein lich bis zuin Montag binziehen — ein dahin abzielender, den Name» eines sraetionSlosen Liberalen tragender Antrag cingebrackt werden wird. Trifft dies ein, so wird sich die Regierung, wen» im Uebrigen die Annahme des Antrags Huene gesichert ist, der Aenderung kaum widersetzen und eher die Eonscrvativen dafür zu gewinnen suchen. Indessen ist eS unnütz, darüber Vermuthungen anzustellen, so lange man cS nicht mit endailtigcn Entschließungen der schwankenden dcutsch- sreisinnigen Abgeordneten zu tbu» hat. 88- Bert»». 5. Mai. Mehr als an den beiden vorber- egangenen Tagen kam es heute jeden, Hörer zum Bewußt em, daß die AuSsübrungen der Redner nicht den Zweck ver folgen. den Gegner zu überzeugen, daß sic vielmehr lediglich darauf berechnet seien, aus das außerhalb des Reichslago stehende Publicum zu wirken. Die Mebrbeil tcS Reichstags zweifelt nicht mehr daran, daß die Auflösung unveruieiklich ist. So kielten denn beule die rheinische» und vie süddeutschen Demokraten, die Herren Lieber und Payer, ihre Wahlreden. Dein Elfteren körte man mit einiger Aufmerksamkeit zu, denn er sprach im Namen deS be deutenden Restes der stärksten Partei und man erwartete, daß er einleuchtende und schwer wiegende Gründe für die ablehnende Stellung des EcntrumS vorzubringen in der Lage sein würde. Aber welche Enttäuschung! Der demonstrative Beifall der Ultramvntanen vermochte die hoble» Worte und nichtssagenden Redensarten des zwerghaftcn Nachbeters des Herrn Windtborst nicht in Argumente zu verwandeln und das schwülstige PatboS deS Redners ließ seine ganze Rede nur noch dürftiger erscheinen. Wie sollte man cS auch ernst nebmcn, wenn Herr Lieber den Einwanv erhob, die Bewilligung der Vorlage biete keine Bürg schaft dafür, daß die Russen nicht doch einmal nach Berlin kommen könnten — deshalb sei daS Ecntrum gegen die Vorlage! Auch der Württembcrger Payer bot lediglich Wiederholungen aus früheren Reden, klagte wie der „beste" Svcialtemokrat über den wachsenden „Militarismus" und war bemüht, in gleicher Weise bei Freisinnigen und Social- dcmckralcii Beifall zu erringen durch reichlichen Gebrauch kräftiger Schlagwortc: ein echtes Mitglied der „Dolksparlei". — Eine wahrhaft bedeutende Rede hielt »ur Rndols von Bennigsen — wie immer, wenn er daö Wort nimmt. Noch beute hat er die Hoffnung auf eine glückliche Lösung der schwebenden verkängnißvollen Frage nicht auf- gcgebc», »och hofft er, daß cs gelingen werde, das Unglück einer Auslösung zu verhüten. Nock einmal, wie in der Eom- mission, appellirte er an die Vaterlandsliebe und schilderte die Gefahren, welche der bevorstebenbe wüste Wablkamps uns bringen würde. Seinen Worten folgte der lebhafteste Bei fall; ihrer Wirkung vermochten sich im Augenblick auch Frei sinnige und Ultramontanc nicht zu entziehen — freilich nur im Augenblick, denn im nächsten war der Appell vergessen.— Morgen wird wohl die Entscheidung erfolgen. Ungewiß ist »och, ob auch sofort nach der Ablehnung deö Hllene'schen Antrages die Auslösung eintrilt oder ob die Regierung noch die dritte Lesung abwartet. Denn der Regierung fällt der äußerste Schritt nicht leicht, und noch in letzter Stunde, heule nach Schluß der Sitzung, waren Verhand lungen im Gange, denen Minister v. Boettiäier nicht fern stand, um für den Antrag v. Huene eine „verbesserte" Form zu finden, welche die Mehrheit auf sich vereinigen könnte. Politische Tagesschau. * Let-zig, 6. Mal. Die Vorgänge im deutschen Reichstage werken im Hin blick auf die Folgen einer Ablehnung der Militairvorlagc begreiflicherweise auch im Auslände mit besonderer Span nung verfolgt. Besonders in Oesterreich-Ungarn, wo man sich nicht verhehlen kann, daß nicht nur die äußeren, sondern auch die inneren Folgen einer solchen Ablehnung auch der Donau-Monarchie fühlbar werden müßten. So schreibt die „N. Fr. Presse": „Mit ungeheurer Spannung wird in ganz Europa der Ausgang des Berliner parlamentarischen Kampfes erwartet. Tie Auflöiu » g deS Reichstages bleibt ein Bekenn tniß der Schwäche, welches in Frankreich und Rußland das Gefühl der Stärke erhöhen muß. Nicht minder trüb sind die inner« Folgen bei dem Wahl lampt, die Entiesjelung unheimlicher Elemente, die gegen die Liberalen einig sind. Wenn auch der neue Reichstag die Vorlage oblehnt, o ist an Stelle Caprivi's ein handfester Reactionair zu erwarten. WaS ist die Last von ää Millionen Mark im Vergleich mit einer klerikal-rcactionaire» ConsliclSregierung, mit der Minderung der äußern Autorität de» Reiches, mit dem Ausgeben des schönen Traumes von der zweijährigen Dienstzeit? Das Traurigste ist, daß an der Verschuldung, ein verhängnißschweres Schicksal herauS- zusorder», die Liberalen theilnehmen, denn sie allein werden dieselbe zu fühlen baden." Und daS „Wiener Fremdenbl." sagt, das traurige Wort Licbers', daß der Fortbestand des EentrumS daS Wichtigste sei, erinnere an die schlimmen Zeiten der deutschen ReichS- stände, die dem Kaiser daS Geld verweigerten, um Türken- einsälle abzuwebre». Hoffentlich werde die Neuwahl eine bessere politische Schulung der deutschen Nation darlhun. — Auch die englische Presse wendet den deutschen Angelegen heiten ei» lebhaftes Interesse zu und die Mehrheit ihrer ton angebenden Blätter glaubt den Reichsboten die Nothwendigkeit eine« für die verbündeten Regierungen annehmbaren Beschlusses darlcgen zu sollen. So südrt der konservative „Standard" aus, die Abgeordneten sollten zur Regierung daS Ver trauen haben, daß sie für militairischc Zwecke nur daS Unerläßliche fordere, nur Dasjenige, besten sie zur Wahrung der Integrität und der Würde deS Vater landes unbedingt bedürfe; in den RcgierunaSkrcisen aber sollte man die Ueberzcugung hegen, daß die Majorität deS Reiä'StagS in der Bewilligung von Geld und Menschen bis zur Grenze der Leistungsfähigkeit eines opferbereiten Volkes geben werde. Bei solchen Anschauungen müsse ein BerührungS- »nd Vereiiiigungspunct gefunden werden und ein Vergleich zu Stande komme», der es uiiiiiöglich macke, von Siegern und Besiegten zu sprechen. Die Möglichkeit eines SckeiternS der BerstänkigungSvcrsuchc und deö Ausbruchs eines EonstictS saßt aber auch der „Standard" ins Auge. Ini Hinblick auf diese Eventualität äußert er: „Es würde das ein schweres Unglück sein, ein so schweres, daß wir seiner Zulassung von einem so patriotischen Kaiser, von einem so einsichtigen Minister und von einem so verständigen und praktischen Bolle, wie das deutsche cs ist, uns kaum zu versehen vermöge».. .. Wenn wir uns erinnern, mit welcher Einmüthigkeit eine französische Legislatur nach der anderen Soldaten und Geld votirte, so haben wir daS Empfinden, daß kein Deutscher, der sei» Vaterland liebt, geneigt sein kann, der Wett das Schauspiel eines für Deutschland traurigen Contrastes zwischen dem sranzö- sische» und dem deutschen Nalionalgesühl zu bieten. Die politischen Parteien im Reichstag sind leider augenblicklich in einem Zustand der Auslösung begriffen. Ter bittere Kampf gegen das Capital, weicher dort wüthet, bat daS Gleichgewicht der politischen Meinungen gehört. ... Deutschland aber »imnit eine so hohe und verantwort liche Stellung ein, daß wir alle an der Bewahrung seiner inneren Einheit interejsirt sind. Ein uneiniges Deutschland würde ei» gestörtes Europa zur Folge baden, denn das deutsche Reich ist noch, was es in den letzten zwanzig Jahren war: der Eckstein des europäischen Staatengcwötbes." Zu den französischen Parteien, die aus Anlaß der bevorstel,enden Parlamentswahlen bereits auf dem Kampsplatz erschienen sind, gehören auch die Orleanisten. Es liegen beule Mitlheilungen auS Brüssel vor, wonach dort in diesen Tagen eine große orleanistischc Bcrsainmlung zu dem Zweck staltsindcn wird, die Stellung der Partei zu den Wahlen zu bestimmen und daS Wablprogramm zu bc- ralhcii, daS bei der Auflösung der französischen Kammer in die Oeffentlickkeit gelangen soll. Als Theilnehmer dieser Versammlung werden genannt der Herzog von Orleans, Sohn deS Grafen von Paris, die Grasen Sucannet, EourtalöS, Ehamdord, Calman, Marquis Montemont, Baron Pierard, Bandon u. A. Der Herzog von Orleans Lady Sibylle. Roman von C. Schrocdcr. Nachdruck »erboten. 121 «Fortsetzung.) Lord Ellington ließ sick'S angelegen sein, einen kleinen Kreis mit allerlei Hosklatsch zu unterhalten. Tie übrigen Herren sprachen über Politik, die Damen über Toilette. ES war sterbenslang weilig. Nur mitunter kam durch die lange Flucht der Gemächer der Klang einer Sliinme, eines lebensfrohen LackcnS. Was eS wobl war, das ihn lachen »lackte, und wenn sic ikm doch hätte ins Gefickt sehe» können dabei! Es war unter allen Umständen ei» schönes Gesicht, aber wenn er lachte, wenn unter dem dunkle» Schnurrbart hervor die weißen Zähne blitzten, so ward c§ berückend. In einem niederen Sessel vor ihrem Kaminfeucr saß Sibylle. Alle Ereignisse deS Abends spiegelten sich wieder in der Gluth »nd lebensfroh lachte ihr Waldstedt s Antlitz daraus entgegen. Es ward ikr so seltsam dabei. Das Herz wollte ihr aus der Brust vor Freude und zog sich doch wieder bange in sich selbst zusammen. ,,Ack!" seufzte sie. „Wer doch auch schön sein könnte!" und in sehnsüchtigem Verlange» sprang sie ans und trat ror ihren Spiegel bin. Lange schaute sie hinein, aber Altgewohntes in einem günstigeren Licht zu sehen, wollte ibr nickt gelingen — eher sah sic eö noch in einem ungünstigeren. Schön hatte sie sich nie finden können, aber diese» >i»k jenen Vorzug hatte sic ihrer Gestalt und ihrem Antlitz dock im Stillen zuerkannt — beute ließ sie keinen gellen. „Es war Alles Eitelkeit", murmelte sie. „Schön? — Schön sieht man auS, wenn man MrS. Ceymour ist! Aber", setzte sie mit einem lriumphircnden Augcnblitz hinzu, „er bewundert sie ja nicht!" Diese seltsame Gedankenverbindung machte sie hinterher errötben. Verwirrt wandte sie sich vom Spiegel, gesenkten Hauptes ging sie ein paar Mal ini Zimmer auf und ab. Plötzlich ivar sie vor einem Schränkchen »iedergckaucrt und hatte cS geöffnet. Sie bewahrte allerlei theure Andenken aus der Kinderzeit darin. Bunt genug schienen sie durcheinander geworfen, aber für sie war Ordnung in dem EhaoS. Zwischen dem Märchenbuch, das ihr daS Liebste gewesen, und der Puppe, mit der sie am längsten gespielt, zog sie hervor, was sie suchte — eine kleine Mappe mit Papierskizzen, die Robert ihr auf flehentliches Bitten abgetreten halte, vor langer Zeit, in ihren Plippcnjahren noch, als er, ans Amerika zurückgekehrt, sich um Mildred beworben batte. Die Skizzen waren nicht von il»», sondern von seinem theuersten Freund, Richard Waldstedt, auf den Mildrcd damals im Stillen eifersüchtig gewesen und von dessen halsbrechenden Reilcrkünsten und verwegenen Aben teuern sic, die kleine Sibylle, nie genug batte Horen könne». Mit den Skizzen waren Photographien von ihm gewesen, die batte Robert sich nicht abbetteln taffen, aber nach deren Muster balle ihre Phantasie sich unversehens die schönen KönigSsöknc ihrer Märchenbücher umgcstaltet. Die Märchenprinzen hatten Zeit gehabt, in ihrer Erinnerung zu verblassen und die Skizzen auch, aber wie sie jetzt aus der Mappe daS erste Bildchen nahm, fielen ibr Strich für Strich die übrigen ein. Etwas wie Rührung überkam sie und zu gleich mußte sie lächeln, weil nämlich zu des ManncS Voll lomiiienbcilcndie Geduld nicht;» zählen schic». Statt einen zarten Farbenschleicr über den anderen zu breiten und so allmälig zu der gewünschten Wirkung zu gelangen, wie sich'S gekörte, suchte er diese Wirkung mit keckgefülltem, halbtrockcnem Pinsel z» erzwingen. Das schuf die harten Linien, von denen er csprochcn hatte. Sibylle konnte cS nicht loben, sic mußte e« clächcln, aber in ihrem Lächeln war auch Bewunderung, denn die Hast, die trotzige Ungeduld, die im Aquarellmalen so schlecht angebracht war, gefiel ihr in der Natur deS ManncS. Sie sah die Bilder an und wieder an, dann stand sie aus, ihnen einen besseren Auf'bewabruna-ort zu suchen. UnoerscbcnS aber gerieth sie unterwegs in ihren Sessel vor dem Kamin. Hier betrachtete sie sich die zweifelhaften Kunstwerke zum drillen Mal, dann sich behaglich zurücklehnend, mit lächelnden Lippen und aufwärts blickenden, strahlenden Augen versank sie in Träume, so rosig, wie der Widerschein deS FeuerS aus ihrer Wange. Irgendwo im Schlöffe schlug eine Uhr die zweite Stunde nach Mitternacht, da schrak sie zusammen und suhr empor. „Mein Gott! ich muß ja zu Bett", stammelte sie, „wenn ick nicht entsetzlich überwacht auSsehen will morgen früh!" Nie vorher war ihr eine Besorgniß dieser Art gekommen, daS fiel ihr selber plötzlich ein und sie erröthcte. Hastig schloß sie die kleine Mappe in ihren Schreibtisch, bastig entledigte sie sich ihrer Kleider, aber — Zubettgehen ist eine Sache und Einschlafen eine andere. In ihrem Herzen war cS ja noch viel heller als in dem Kamin dort »nd die Gedanken in ihrem Kops tanzten einen noch fröhlicheren Reigen wie die Schatten hier an der Wand. Mit wachen Augen träumte sie weiter. 11. Capitel. Nach beendigter Morgenandacht war die erste Mahlzeit deS TagcS eingenommen worden, dann batten sich die Herren der Gesellschaft auf die Hasen- und Rcbbuhnjagd begeben in der angenehmen Erwartung, um zwei Uhr aus Peak Hill, der höchsten Bodenerhebung der Umgebung, wieder mit de» Damen zusammcnzutrcffcn. Hier wollte man, unter den Ginstcrbüschcll lagernd, angesichts des Meeres ein vom Schloß berausgcschafflcs Gabelfrühstück gemeinschaftlich verzehren — so lautete das Programm. Die Familie Mainwaring und ihre Gäste waren von der Partie. Vom Dorfkirchtburm hatte cS nun längst zwei Uhr ge schlagen und aus Peak Hill war Alles in schönster Ordnung. Erdbügelcken und Steine boten mehr oder weniger bequeme Sitze, weiße Tischtücher waren über den Rase» gebreitet, und allerlei kalte Küche stand in blinkendem Geschirr reckt ver lockend darauf. Leider aber war die Luft schwül, der Himmel wolkcnbezogcn, nnd wenn die Sonne aus Momente bcrvordrang, so hatte ihr Blick etwas Stechendes. Möglicherweise also war ein Gewitter im Anzug, und wenn der Spaß nicht vom Anfang bis zuni Ende zu Äaffcr werden sollte, so lbat Eile noth. Doch die Gesellschaft war noch immer nicht vollzählig. Seymonr und Mainwaring, die soeben gleichzeitig anlangtc», vermißten der Eine die Gattin, der Andere den Freund. „Meine Frau ist doch nicht daheim geblieben'?" erkundigte sich Jener bastig. „Außer der Herzogin und der Gräfin ist Niemand daheim geblieben", antwortete Lady Ellington. „Mrs. Seymonr war mit mir, als sie plötzlich in ganz weiter Ferne Ihre Gestalt zu erblicken glaubte. „Da ist Job» — ich muß >bm entgegen!" rief sie. Lady Sibylle meinte, sie könne sich irren, aber sie lachte nur: „In meinem eigenen Mann'? DaS ist doch wohl nicht gut möglich!" Damit war sie auch schon fort. „In welcher Richtung?" erkundigte sich der besorgte Gatte. „Sie eilte links dem Gebüsch zu." „Und ich bin den ganzen Morgen in den Rübcnseldern rechts herumgestrichen! Wen in aller Welt sie denn nur mit mir verwechselt haben mag?" Lord Ellington schien eine Abnung zu haben, denn er lächelte abgewandten Antlitzes spöttisch in den Bart. Sibnlle wußte cs ganz genau, aber sic gab keine Aufklärung. Sie saß, emc seine Falte zwischen den Brauen, still und stumm im Kreise ihrer Ricktche». Die goldblonden Kleinen in schneeige» Weiß, sie selbst mit der Alabastcrbaut und dem braunen Gelock über der Stirn, in zartes Blau gekleidet — es gab ein hübsches Bild, aber sie hatte an Anderes zu denken, als an hübsche Bilder. „Ich muß ihr nack", entschied Mr. Seymour »ach sccunde»- langcm Zögern ^.Bitte tausendmal um Verzeihung, Lady Sibylle, aber die Sache wird mir ängstlich. Haben Äe nur die Güte, unsertwegen keinen Moment länger mit dem Früh stück zu warten — ich bin überzeugt, cS wird gleich regnen!" I»> Begriff, daoonzncilcn, stockte sein Fuß. Fast gleichzeitig jauchzte Dolly'S Silberstimmchcn. „Papa, Papa! Ta gegenüber — den Berg kommt er herunter!" Und richtig, da gegenüber — de» Berg herunter kam Wald ttcdt, »nd nickt allein, sondern in Gesellschaft der vermißten Dame. „Wie sie i b n aber für mich ballen konnte —", verwunderte sich kopfschüttelnd Mr. Seymonr. Lord Ellington biß sich auf die Lippen. Mainwaring flüsterte mit kaum unterdrücktem Lachen Sibyllen inS Ohr: „Nun? Hatte ich recht oder unrecht vorgestern?" „Unrecht!" gab sie in scharfem Ton zurück und ihr Blicks traf ihn. wie im Haß, so furchtbar web batte er ihr gethan, „kann er dafür, wenn sic ihm nawläiist?!" „Vielleicht — vielleicht auch nicht. Rolbc Haare waren immer seine Passion, so viel ist einmal gewiß." DaS Blut sckcß ihr siedend in die Stirn, ihr Fuß grub sich in de» Boden »nd in den Kleitersallen verborgen, ballle sich ihre Hand zur Faust. Ein Zorn kochte in ibr, vor dem ibr selber bange ward. Sic wußte, wen» er in diesem Sinne zu reden forlsuhr. so tbat und sprach sie Unerhörtes. Zum Glück wandte er sich ahnungslos von ibr, »m mit den Uebrigen seine ganze Aufmerksamkeit den Nachzüglern zu schenken. Sie stiegen eben jetzt am Rande eine« Stoppelfeldes ber- »iiter. Der abschüssige Weg beschleunigte ihren Schritt, hcnimle aber, wie cS schien, ihre Unterhaltung nicht. Die mußte
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